Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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Jetzt bot Fett-Kloss mit freund­li­cher Mie­ne den bei­den Schwes­tern an, von ih­rem Früh­stück zu neh­men. Sie sträub­ten sich kei­nen Au­gen­blick und be­gan­nen ohne den Blick zu er­he­ben has­tig zu es­sen, nach­dem sie ei­ni­ge Dan­kes­wor­te ge­stam­melt hat­ten. Cor­nu­det wei­ger­te sich selbst­re­dend nicht, das Aner­bie­ten sei­ner Nach­ba­rin aus­zu­schla­gen und man bil­de­te mit den Or­dens­frau­en zu­sam­men eine Art Tisch, in­dem man Zei­tun­gen auf dem Schoss aus­brei­te­te.

Man öff­ne­te und schloss den Mund ab­wech­selnd, schob ein Stück hin­ein, kau­te und schluck­te has­tig. Loi­seau war in sei­ner Ecke em­sig bei der Ar­beit; und re­de­te lei­se sei­ner Frau zu, sei­nem Bei­spie­le zu fol­gen. Sie woll­te an­fangs nicht recht dar­an, aber als ein Krampf ihr In­ne­res zu­sam­men­zog, gab sie nach. Ihr Ehe­mann bat die »lie­bens­wür­di­ge Rei­se­ge­fähr­tin,« ob er nicht auch für sei­ne Gat­tin ein Stück­chen ha­ben könn­te. »Aber na­tür­lich, ge­wiss mein Herr,« sag­te sie, ihm mit lie­bens­wür­di­gem Lä­cheln die Ter­ri­ne rei­chend.

Eine klei­ne Ver­le­gen­heit ent­stand, als man die ers­te Fla­sche Bor­deaux ent­korkt hat­te: Es gab nur einen Be­cher. Man wisch­te ihn eben vor dem Trin­ken aus. Nur Cor­nu­det setz­te ihn dort an den Mund, wo er noch feucht von den Lip­pen sei­ner Nach­ba­rin war; zwei­felsoh­ne ein Akt der Höf­lich­keit ge­gen die­sel­be.

Der Graf und die Grä­fin Bréville, um­ge­ben von es­sen­den Men­schen und den Ge­ruch von Spei­sen fort­wäh­rend in der Nase, lit­ten un­ter­des­sen eben­so wie Herr und Frau Carré-La­ma­don wah­re Tan­ta­lus­qua­len. Plötz­lich stiess die jun­ge Frau des Fa­brik­be­sit­zers einen Seuf­zer aus, so­dass sich al­les nach ihr um­sah. Sie war bleich wie der Schnee draus­sen, ihre Au­gen wa­ren ge­schlos­sen, der Kopf hing vorn­über; sie hat­te das Be­wusst­sein ver­lo­ren. Ganz aus­ser sich bat ihr Gat­te alle Welt um Hil­fe. Man hat­te völ­lig den Kopf ver­lo­ren, als end­lich die äl­te­re von den bei­den Or­dens­schwes­tern, die das Haupt der Ohn­mäch­ti­gen stütz­te, den Be­cher von Fett-Kloss je­ner an die Lip­pen setz­te und ihr ei­ni­ge Trop­fen Wein ein­flöss­te. Die hüb­sche jun­ge Frau er­wach­te, schlug die Au­gen auf, lä­chel­te und er­klär­te mit lei­ser Stim­me, dass sie sich jetzt woh­ler füh­le. Aber um einen Rück­fall zu ver­mei­den, nö­tig­te ihr die Schwes­ter ein vol­les Glas Bor­deaux auf und füg­te hin­zu: »das macht nur der Hun­ger; wei­ter nichts.«

»Mein Him­mel!« sag­te jetzt Fett-Kloss, in­dem sie rot und ver­le­gen die vier aus­ge­hun­ger­ten Rei­sen­den an­sah, »viel­leicht darf ich den Her­ren und Da­men et­was an­bie­ten.« … Dann schwieg sie, eine Ab­leh­nung be­fürch­tend. »Na, wahr­haf­tig,« er­griff jetzt Loi­seau das Wort »in sol­chen Fäl­len gibt es kei­nen Un­ter­schied und man muss sich ge­gen­sei­tig hel­fen. Vor­wärts, mei­ne Da­men, ge­nie­ren Sie sich nicht; grei­fen Sie mun­ter zu. Sie wis­sen nicht, ob wir über­haupt noch eine Nacht­her­ber­ge fin­den. In die­sem Tem­po kom­men wir vor Mit­ter­nacht nicht nach Tôtes.«

Man zö­ger­te im­mer noch; nie­mand woll­te zu­erst »Ja« sa­gen. End­lich mach­te der Graf ein Ende. »Wir neh­men dan­kend an, Ma­da­me,« sag­te er mit der gan­zen Wür­de ei­nes Edel­man­nes zu der schüch­ter­nen di­cken Rei­se­ge­fähr­tin.

Jetzt war der ers­te Schritt ge­tan. Nach­dem man nun ein­mal den Ru­bi­kon hin­ter sich hat­te, ver­kehr­te man un­ge­zwun­ge­ner. Der Rei­se­korb wur­de ge­leert. Er ent­hielt noch eine Gän­se­le­ber- und eine Ler­chen-Pas­te­te, ein Stück ge­räu­cher­te Zun­ge, Bir­nen von Crassanc, eine Tor­te von Pont-Le­vêque, al­ler­lei klei­nes Ge­bäck und ein Glas mit Mi­xed-Pi­kles; Fett-Kloss lieb­te, wie alle ih­res­glei­chen, das Pi­kan­te.

Man konn­te doch un­mög­lich et­was von die­ser Per­son an­neh­men, ohne auch mit ihr zu spre­chen. So be­gann denn eine Un­ter­hal­tung; an­fangs mit Re­ser­ve. Als sie sich aber ganz an­stän­dig be­nahm, ließ man sich schon mehr ge­hen. Die Da­men Bréville und Carré-La­ma­don be­nah­men sich mit zu­rück­hal­ten­der Lie­bens­wür­dig­keit, wie das bei ih­rer gu­ten Le­bens­art nicht an­ders zu er­war­ten war. Be­son­ders die Grä­fin zeig­te jene lie­bens­wür­di­ge Herab­las­sung al­ler vor­neh­men Da­men, de­nen nie­mals eine Per­le aus der Kro­ne fal­len kann. Nur die di­cke Frau Loi­seau, wel­che sich selbst et­was zu ver­ge­ben fürch­te­te, hielt sich zu­rück, sprach we­nig und ass de­sto mehr.

Die Rede kam na­tür­lich auf den Krieg. Man er­zähl­te sich schreck­li­che Ge­schich­ten von den Preus­sen und wun­der­ba­re Hel­den­ta­ten von den Fran­zo­sen. Bald be­rühr­te man auch per­sön­li­che Ver­hält­nis­se und Fett-Kloss er­zähl­te mit auf­rich­ti­ger Er­re­gung, mit je­nen war­men Wor­ten, die ih­res­glei­chen zu­wei­len ei­gen sind, um ihre Ge­füh­le aus­zu­drücken, wie sie dazu kam, Rou­en zu ver­las­sen. »Ich glaub­te an­fangs, dass ich dort blei­ben könn­te. Ich hat­te das Haus voll Le­bens­mit­tel und hät­te lie­ber ei­ni­ge Sol­da­ten ver­pflegt, als mich Gott weiß wo­hin be­ge­ben. Als ich aber sie ge­se­hen habe, die­se Preus­sen, da wa­ren mei­ne Ge­füh­le stär­ker wie ich. Das Blut koch­te mir vor Zorn in den Adern, und ich habe den gan­zen Tag vor Scham ge­weint. Ach, wenn ich ein Mann wäre, wahr­haf­tig! Ich sah sie von mei­nem Fens­ter aus, die­se großen Bes­ti­en mit ih­ren Pi­ckel­hau­ben. Mein Mäd­chen hat mich zu­rück­hal­ten müs­sen, dass ich ih­nen nicht mein Mo­bi­li­ar auf den Kopf warf. Dann kam die Ein­quar­tie­rung, und ich bin gleich dem ers­ten an die Keh­le ge­sprun­gen. Sie sind nicht schwe­rer zu er­dros­seln, wie an­de­re. Ich hät­te es wahr­haf­tig fer­tig ge­bracht, wenn man mich nicht an den Haa­ren zu­rück­ge­ris­sen hät­te. Da­rauf­hin muss­te ich mich ver­ste­cken, bis ich schliess­lich die Ge­le­gen­heit hier fand, mich da­von zu ma­chen.«

Man be­glück­wünsch­te sie leb­haft. Sie wuchs ent­schie­den im An­se­hen bei ih­ren Rei­se­ge­fähr­ten, die sich nicht so mu­tig ge­zeigt hat­ten. Cor­nu­det hör­te ihr mit dem zu­stim­men­den bei­fäl­li­gen Lä­cheln ei­nes Apos­tels zu; denn die lang­bär­ti­gen De­mo­kra­ten bil­den sich ein, ein Mo­no­pol auf den Pa­trio­tis­mus zu be­sit­zen. Er sprach nun sei­ner­seits in be­leh­ren­dem Tone und kram­te alle Weis­heit aus, die er aus den täg­li­chen Mau­er­an­schlä­gen ge­schöpft hat­te und schloss mit ei­ner groß­ar­ti­gen Re­de­wen­dung, in­dem er den Sturz die­ser »Ka­nail­le von Bo­na­par­te« pries.

Aber Fett-Kloss wur­de so­fort är­ger­lich, denn sie war Bo­na­par­tis­tin. »Ich hät­te Sie wahr­haf­tig an sei­ner Stel­le se­hen mö­gen«; stam­mel­te sie rot wie eine Kir­sche, »Sie und die and­ren alle. Das müss­te hübsch ge­we­sen sein, wahr­haf­tig. Sie sind es, die die­sen Mann ver­ra­ten ha­ben. Es blie­be ei­nem wei­ter nichts üb­rig, als Frank­reich zu ver­las­sen, wenn es von sol­chen Leu­ten, wie Sie re­giert wür­de.«

Cor­nu­det ver­harr­te in über­le­ge­nem ver­ächt­li­chen Lä­cheln; aber man hat­te das Ge­fühl, dass es noch zu grö­be­ren Wor­ten kom­men wür­de. Des­halb leg­te sich der Graf ins Mit­tel. Nicht ohne Mühe be­ru­hig­te er das zor­ni­ge Mäd­chen in­dem er ho­heits­voll er­klär­te, dass man die ehr­li­che Über­zeu­gung ei­nes je­den ach­ten müs­se. Die Grä­fin und die Fa­bri­kan­tens­gat­tin, wel­che den blin­den Hass al­ler vor­neh­men Leu­te ge­gen die Re­pu­blik und die in­stink­ti­ve Vor­lie­be al­ler Frau­en für eine pomp­haf­te und des­po­ti­sche Re­gie­rungs­form teil­ten, fühl­ten sich in­des­sen un­will­kür­lich zu die­ser Pro­sti­tu­ier­ten hin­ge­zo­gen, de­ren An­schau­un­gen den ih­ri­gen so nahe stan­den.

Der Korb war nun leer; zu Zeh­nen war das al­ler­dings kein großes Kunst­stück und man be­dau­er­te, dass es nicht mehr ge­we­sen war. Das Ge­plau­der setz­te sich noch eine Wei­le fort, wenn auch nicht mehr so leb­haft, als wäh­rend des Es­sens.

Der Abend brach her­ein, die Dun­kel­heit nahm im­mer mehr zu und Fett-Kloss fühl­te sich in­fol­ge der Käl­te, die wäh­rend der Ver­dau­ung im­mer fühl­ba­rer ist, trotz ih­rer Wohl­be­leibt­heit er­schau­ern. Da bot ihr Ma­da­me de Bréville ih­ren Wärm­ap­pa­rat an, des­sen Koh­le im Lau­fe des Ta­ges mehr­fach er­neu­ert wa­ren; sie nahm ihn gern an, denn ihre Füs­se wa­ren eis­kalt. Die Da­men Carré-La­ma­don und Loi­seau ga­ben die ih­ri­gen den bei­den Or­dens­schwes­tern.

Der Kut­scher hat­te sei­ne La­ter­nen an­ge­zün­det. Ihr hel­les Licht brach sich an ei­ner Dampf­wol­ke die über den Krup­pen der schweiß­trie­fen­den Pfer­de schweb­te und be­leuch­te­te zu bei­den Sei­ten des Wa­gens den Schnee, der bei den leb­haf­ten Re­fle­xen sich auf­zu­rol­len schi­en. Im Wa­gen konn­te man schon nichts mehr un­ter­schei­den; aber plötz­lich ent­stand eine Be­we­gung zwi­schen Fett-Kloss und Cor­nu­det. Loi­seau glaub­te in der Däm­me­rung zu be­mer­ken, dass der Mann mit dem großen Bar­te sich et­was plötz­lich zur Sei­te beug­te, als habe er ohne viel Geräusch einen gut­sit­zen­den Schlag er­hal­ten.

Vorn auf der Stras­se zeig­ten sich ein­zel­ne Lich­ter; es war Tôtes. Wenn man zu den elf Stun­den Fahrt noch die drei Stun­den Rast rech­ne­te, die man den Pfer­den zu ih­rem Fut­ter ge­gönnt hat­te, so wa­ren die Rei­sen­den vier­zehn Stun­den un­ter­wegs ge­we­sen. End­lich fuhr man durch das Stadt­tor und hielt vor dem Hôtel de Com­mer­ce an.

Die Türe wur­de auf­ge­ris­sen und ein wohl­be­kann­tes Geräusch ließ alle Rei­sen­den er­zit­tern; eine Sä­bel­schei­de klirr­te auf dem Bo­den. Man hör­te ei­ni­ge deut­sche Wor­te ru­fen.

Ob­schon am Hal­te­punkt an­ge­kom­men, stieg kei­ner von den Rei­sen­den aus; als ob sie er­war­tet hät­ten, da draus­sen so­fort nie­der­ge­sä­belt zu wer­den. Da er­schi­en der Kut­scher und leuch­te­te mit ei­ner La­ter­ne bis in den hin­ters­ten Eck des Wa­gens. Ihr Schein fiel auf zwei Rei­hen furcht­star­ren­der Ge­sich­ter mit of­fe­nem Mun­de und ängst­lich drein­schau­en­der Au­gen.

 

Beim vol­len Licht der La­ter­ne sah man ne­ben dem Kut­scher einen deut­schen Of­fi­zier, einen hoch­ge­wach­se­nen auf­fal­lend schlan­ken blon­den jun­gen Mann, der in sei­ner Uni­form wie in ein Kor­set ein­ge­zwängt war. Auf dem Kop­fe trug er eine fla­che run­de Müt­ze wie ein Lauf­bur­sche in den eng­li­schen Hôtels. Sein lan­ger ker­zen­gra­der Schnurr­bart wur­de zum Schluss zu im­mer dün­ner, bis er fast nur noch aus ei­nem blon­den Haar be­stand, des­sen Ende man nicht mehr un­ter­schei­den konn­te. Er schi­en auf sei­ner Ober­lip­pe auf­ge­klebt zu sein und droh­te bei je­der Be­we­gung der Ba­cken­mus­kel her­un­ter zu fal­len.

»Bit­te aus­zu­stei­gen, mei­ne Her­ren und Da­men,« for­der­te der Of­fi­zier in schlech­tem El­säs­ser Fran­zö­sisch brüsk die Rei­sen­den auf.

Die bei­den Or­den­schwes­tern folg­ten zu­erst mit je­ner sanf­ten Er­ge­ben­heit, die gott­ge­weih­te Jung­frau­en in al­len Le­bens­la­gen zei­gen. Dann ka­men der Graf und die Grä­fin, ge­folgt von dem Fa­bri­kan­ten und sei­ner Frau, hier­auf Loi­seau mit sei­ner bes­se­ren Hälf­te. »Gu­ten Abend, mein Herr,« sag­te der Wein­händ­ler, mehr der Klug­heit als der Höf­lich­keit fol­gend zu dem Of­fi­zier, wäh­rend er den Fuss auf den Bo­den setz­te. Je­ner, an­mas­send wie alle, in de­ren Hän­den die Ge­walt liegt, sah ihn an, ohne ihn ei­ner Ant­wort zu wür­di­gen.

Fett-Kloss und Cor­nu­det, ob­wohl der Tür zu­nächst, stie­gen doch als die letz­ten aus; sie tru­gen An­ge­sichts des Fein­des eine erns­te hoch­fah­ren­de Mie­ne zur Schau. Die wohl­be­leib­te Don­na such­te sich zu be­herr­schen und ru­hig zu blei­ben. Der De­mo­krat strich in thea­tra­li­scher Wei­se mit et­was zit­tern­der Hand sei­nen ro­ten Schnurr­bart. Sie such­ten ihre Wür­de zu wah­ren, weil sie sich be­wusst wa­ren, dass bei sol­chen Begnü­gun­gen je­der ein­zel­ne das gan­ze Va­ter­land ver­tritt. Zu­dem är­ger­te sie das höf­li­che Be­neh­men ih­rer Rei­se­ge­fähr­ten. Fett-Kloss such­te da­her stol­zer auf­zu­tre­ten als die vor­neh­men ehr­ba­ren Da­men, wäh­rend in Cor­nu­dets Hal­tung sich der gan­ze Wi­der­stands-Geist aus­präg­te, der mit der Auf­wüh­lung der Stras­sen vor Rou­en be­gon­nen hat­te.

Man trat in den ge­räu­mi­gen Flur des Hôtels und der Of­fi­zier ließ sich den Er­laub­nis­schein des kom­man­die­ren­den Ge­ne­rals zei­gen, auf dem der Name, der Stand und die Per­so­nal­be­schrei­bung je­des ein­zel­nen ge­nau ver­zeich­net war. Nach­dem er alle An­we­sen­den ge­nau ge­mus­tert und ihr Äus­se­res mit der Be­schrei­bung ver­gli­chen hat­te sag­te er kurz: »Es ist gut,« wor­auf er ver­schwand.

Man at­me­te er­leich­tert auf. Da der Hun­ger sich aufs neue gel­tend mach­te, so wur­de noch ein Abendes­sen be­stellt. Eine hal­be Stun­de muss­te man je­doch noch war­ten und die Rei­sen­den mus­ter­ten in­zwi­schen die für sie be­stimm­ten Zim­mer. Sie la­gen alle ne­ben­ein­an­der auf ei­nem lan­gen Gan­ge an des­sen Ende sich eine Gla­stü­re mit ei­ner all­ge­mein be­kann­ten Zif­fer be­fand.

Als man sich end­lich zu Ti­sche setz­te, er­schi­en der Wirt sel­ber, ein al­ter Pfer­de­händ­ler, ein di­cker kurz­at­mi­ger Mann, aus des­sen Keh­le fort­ge­setzt ein ras­seln­der zi­schen­der ver­schleim­ter Ton er­klang. Sein Name war Fol­len­vie.

»Ist Fräu­lein Elie­sabeth Rous­set hier?« frag­te er.

»Das bin ich,« wand­te sich Fett-Kloss er­schreckt um.

»Der preus­si­sche Of­fi­zier möch­te Sie so­gleich spre­chen, Fräu­lein.«

»Mich?«

»Ja­wohl, wenn Sie wirk­lich Fräu­lein Rous­set sind.«

Ei­nen Au­gen­blick dach­te sie un­schlüs­sig nach, dann er­klär­te sie ent­schie­den:

»Mög­lich, dass er mich spre­chen will, aber ich wer­de nicht kom­men.«

Es ent­stand eine Be­we­gung an der Ta­fel; man sprach über die­sen Be­fehl und such­te sei­ne Ur­sa­che zu er­grün­den. Der Graf nä­her­te sich ihr.

»Sie tuen Un­recht Ma­da­me. Ihre Wei­ge­rung könn­te fa­ta­le Schwie­rig­kei­ten her­vor­ru­fen, nicht nur für Sie, son­dern für uns alle. Man muss dem Stär­ke­ren im­mer nach­ge­ben. Die­ser Schritt kann kei­nes­wegs ge­fähr­lich sein. Es han­delt sich je­den­falls um eine For­ma­li­tät, die ver­ges­sen wur­de.«

Alle üb­ri­gen ver­ei­nig­ten sich mit ihm, um sie zu bit­ten und sie zu drän­gen; schliess­lich ge­lang es ih­rer ge­mein­schaft­li­chen Über­re­dung, sie zu über­zeu­gen. Alle fürch­te­ten die Ver­wick­lun­gen, die aus ih­rer Hart­nä­ckig­keit ent­sprin­gen könn­ten.

»Wenn ich es tue, so ge­schieht es si­cher­lich nur um Ihret­wil­len,« sag­te sie end­lich.

»Und wir dan­ken Ih­nen da­für,« ent­geg­ne­te die Grä­fin ihr die Hand rei­chend.

Sie ging hin­aus und man war­te­te mit dem Es­sen auf sie. Ein je­der be­dau­er­te im Her­zen, nicht selbst statt die­ses zorn­mü­ti­gen hef­ti­gen Mäd­chens her­aus­ge­ru­fen zu sein und über­leg­te sich al­ler­lei Lie­bens­wür­dig­kei­ten für den Fall, dass die Rei­he an ihn käme.

Nach zehn Mi­nu­ten kam sie wie­der, keu­chend, ganz aus­ser sich, rot zum Er­sti­cken. »Ah, die­se Ka­nail­le! die­se Ka­nail­le!« stam­mel­te sie.

Man über­stürz­te sich mit Fra­gen; aber sie sag­te nichts. Als der Graf in sie drang, sag­te sie mit großer Wür­de: »Nein, das kann Sie nicht küm­mern; ich kann es nicht sa­gen.«

Nun ver­sam­mel­te man sich um die große Sup­pen­schüs­sel, aus der ein kräf­ti­ger Duft von Kohl em­por­stieg. Trotz der Eile, mit der es an­ge­rich­tet war, war das Es­sen vor­züg­lich. Der Ci­der, den das Ehe­paar Loi­seau und die Schwes­tern aus Spar­sam­keits-Rück­sich­ten be­stellt hat­ten, mun­de­te vor­treff­lich. Die üb­ri­gen hat­ten Wein, Cor­nu­det da­ge­gen Bier be­stellt. Letz­te­rer hat­te eine ei­ge­ne Art die Fla­sche zu ent­kor­ken, ein­zu­schen­ken und die schäu­men­de Flüs­sig­keit zu be­trach­ten, in­dem er das Glas et­was schräg hielt, und es als­dann zwi­schen sich und das Lam­pen­licht brach­te, um die Far­be des Stof­fes zu prü­fen. Sein gleich­far­bi­ger großer Bart schi­en beim Trin­ken vor Ver­gnü­gen zu zit­tern, sei­ne Au­gen schiel­ten, um den An­blick des Schop­pens nicht zu ver­lie­ren, und man merk­te, dass dies die ei­gent­li­che Be­schäf­ti­gung sei, für die er ge­bo­ren war. Man be­merk­te, dass in sei­nem In­nern eine An­nä­he­rung, eine Art geis­ti­ger Ver­bin­dung zwi­schen den bei­den großen Lei­den­schaf­ten statt­fand, die ihn be­seel­ten: dem Pale Ale und der Re­pu­blik. Si­cher­lich konn­te er das eine nicht kos­ten ohne an die an­de­re zu den­ken.

Herr und Frau Fol­len­vie as­sen am obe­ren Ende der Ta­fel mit. Er, mit sei­nem ewig ras­seln­den Kehl­kopf hat­te zu viel Brust­klem­mung, um wäh­rend des Es­sens re­den zu kön­nen; aber sei­ne Frau mach­te dies reich­lich wie­der gut. Sie schil­der­te alle ihre Ein­drücke bei der An­kunft der Preus­sen, was sie trie­ben, was sie sag­ten; sie ver­wünsch­te die­sel­ben ein­mal, weil sie ihr viel Geld kos­te­ten, so­dann, weil sie zwei Söh­ne bei der Ar­mee hat­te. Ihre An­re­de galt vor al­lem der Grä­fin, weil es ihr sehr schmei­chel­te mit ei­ner vor­neh­men Dame sich zu un­ter­hal­ten.

Dann senk­te sie et­was die Stim­me, um von de­li­ka­te­ren Sa­chen zu spre­chen, wäh­rend ihr Mann sie zu­wei­len mit den Wor­ten un­ter­brach; »Sprich lie­ber nicht da­von, Ma­da­me Fol­len­vie.« Aber sie ach­te­te nicht auf ihn und fuhr fort:

»Ja, Ma­da­me, die­se Leu­te es­sen nichts, wie Kar­tof­feln mit Schwei­ne­bra­ten und dann wie­der Schwei­ne­bra­ten mit Kar­tof­feln. Man muss nur nicht den­ken, dass sie rein­lich sei­en. Oh nein. Über­all ma­chen sie ih­ren Schmutz hin, mit Er­laub­nis zu sa­gen. Und wenn Sie erst mal ihre Übung an­se­hen wür­den den gan­zen lie­ben Tag lang; sie sind da in ei­nem La­ger – vor­wärts, rück­wärts mar­schie­ren, rechts – um, links – um! Wenn sie we­nigs­tens noch das Land be­bau­ten, oder die Stras­sen ver­bes­ser­ten. Aber nein, Ma­da­me; die­se Sol­da­ten nüt­zen zu gar nichts. Das arme Volk muss sie nur er­näh­ren, da­mit sie das Ab­schlach­ten rich­tig ler­nen. – Ich bin nur eine alte ein­fa­che Frau, das muss ich sa­gen; aber wenn ich sie so an­se­he, wie sie so den gan­zen Tag mit den Bei­nen stram­peln, so spre­che ich oft zu mir selbst: Wie es Leu­te gibt, die so vie­le Er­fin­dun­gen ma­chen zum Woh­le der Mensch­heit, so gibt es auch sol­che die zum Scha­den der­sel­ben auf Bö­ses sin­nen. Ist es denn wirk­lich nicht ein Gräu­el, dass sich die Leu­te ge­gen­sei­tig um­brin­gen, bloß weil sie Preus­sen, Eng­län­der, Po­len oder Fran­zo­sen sind? Wenn man sich an Je­man­dem für ein Un­recht zu rä­chen sucht, so ist das böse und wird ver­dammt; aber wenn man uns­re jun­gen Bur­schen wie die Ha­sen nie­der­knallt, so ist das gut und man zeich­net den aus, der das Meis­te dar­in leis­tet. Nein, se­hen Sie, das wer­de ich nie ver­ste­hen.«

»Der Krieg« warf Cor­nu­det laut ein »ist eine Bar­ba­rei, so­bald man den fried­li­chen Nach­bar an­greift; aber er ist eine hei­li­ge Pf­licht, so­bald es sich um die Ver­tei­di­gung des Va­ter­lan­des han­delt.«

Die alte Frau senk­te den Kopf.

»Ja­wohl, wenn man sich ver­tei­digt, das ist et­was an­de­res. Aber müss­te man dann nicht alle Kö­ni­ge um­brin­gen, die so et­was nur zum Ver­gnü­gen trei­ben?«

»Bra­vo, Bür­ge­rin!« rief Cor­nu­det flam­men­den Au­ges. Herr Carré-La­ma­don war in tie­fes Nach­den­ken ver­sun­ken. Ob­schon er für den Kriegs­ruhm schwärm­te, so stell­te er sich doch nach den Wor­ten die­ser ein­fa­chen Frau den Wohl­stand vor, den so vie­le tau­sen­de, jetzt ar­beits­lo­se und des­halb kost­spie­li­ge Hän­de dem Lan­de brin­gen müss­ten; wie vie­le Kraft, die man jetzt un­ge­nützt er­hal­ten müss­te lies­se sich da zu in­dus­tri­el­len Zwe­cken ver­wen­den, de­ren Be­wäl­ti­gung jetzt Jahr­zehn­te er­for­der­te.

Loi­seau hat­te un­ter­des­sen sei­nen Platz ver­las­sen und sich zu dem Wirt ge­setzt. Der di­cke Mann lach­te, hus­te­te und spuck­te ab­wech­selnd; sein di­cker Bauch wa­ckel­te vor Ver­gnü­gen bei den Wit­zen sei­nes Nach­barn. Er kauf­te ihm sechs Fass Bor­deaux ab zum nächs­ten Früh­jahr, wenn die Preus­sen wie­der ab­ge­zo­gen wä­ren.

Das Sou­per war kaum zu Ende, als alle, von Mü­dig­keit über­wäl­tigt, ihre Zim­mer auf­such­ten.

Loi­seau, der auf al­les ein Auge hat­te, ließ in­des­sen sei­ne Frau zu Bett ge­hen, wäh­rend er selbst bald sein Auge bald sein Ohr an’s Schlüs­sel­loch brach­te, um »die Ge­heim­nis­se des Gan­ges,« wie er sie nann­te, zu er­for­schen.

Nach Ver­lauf ei­ner Stun­de hör­te er ein Geräusch, blick­te schnell hin­durch und ge­wahr­te Fett-Kloss, die in ei­nem spit­zen­be­setz­ten Schlaf­rock aus blau­em Kasch­mir noch un­förm­li­cher aus­sah. Sie trug ein Nacht­licht und ging auf die Tür mit der be­kann­ten Num­mer am Ende des Gan­ges zu. Als sie nach ei­ni­gen Mi­nu­ten von dort zu­rück kam, öff­ne­te sich seit­wärts eine an­de­re Türe. Cor­nu­det nur im Hemd und Bein­kleid kam hin­ter ihr her. Sie spra­chen lei­se mit­ein­an­der und blie­ben end­lich ste­hen. Fett-Kloss schi­en ihm ener­gisch den Ein­tritt in ihr Zim­mer zu ver­weh­ren. Lei­der konn­te Loi­seau nicht al­les ver­ste­hen; er fing nur ei­ni­ge Wor­te auf, als sie schliess­lich doch lau­ter wur­de. Cor­nu­det dräng­te leb­haft.

»Ge­hen Sie doch!« sag­te er, »sei­en sie nicht när­risch; was macht das Ih­nen denn?«

»Nein, nein, Wer­tes­ter«, sag­te sie mit ent­rüs­te­ter Mie­ne, »es gibt Au­gen­bli­cke, wo man so was nicht macht. Und dann, hier an die­sem Orte wäre es ge­ra­de­zu eine Schmach.«

Er ver­stand sie ent­schie­den nicht und frag­te um den Grund.

»Wa­rum?« sag­te sie, mit noch er­ho­be­ne­rer Stim­me. »Sie be­grei­fen nicht, warum? Weil Preus­sen hier im Hau­se sind, viel­leicht gleich im Zim­mer ne­ben­an.«

Er schwieg. Die­se pa­trio­ti­sche Scham ei­ner Pro­sti­tu­ier­ten, die un­ter den Au­gen des Fein­des so­zu­sa­gen, sich nicht preis­ge­ben woll­te, moch­te doch in sei­nem Her­zen noch einen Rest von Scham­ge­fühl er­we­cken; denn er küss­te sie nur und ging dann mit Kat­zen­trit­ten wie­der auf sein Zim­mer.

Loi­seau war sehr er­regt. Er ver­liess das Schlüs­sel­loch, rann­te im Zim­mer hin und her, zog sein Nacht­hemd an, und lüf­te­te die De­cke, un­ter der sei­ne Ehe­hälf­te ruh­te. »Hast Du mich lieb, Schatz?« frag­te er sie mit ei­nem Kus­se we­ckend.

Dann wur­de es still in gan­zem Hau­se. Aber bald er­hob sich ir­gend­wo, aus ei­ner un­be­stimm­ten Rich­tung, ent­we­der aus dem Kel­ler oder aus dem Söl­ler kom­mend, ein mäch­ti­ges ein­för­mi­ges gleich­mäs­si­ges Schnar­chen. Es wech­sel­te mit kur­z­en und lan­gen Tö­nen ab, wie ein un­ter Druck er­zit­tern­der Dampf­kes­sel. Herr Fol­len­vie schlief.

 

Da man be­schlos­sen hat­te, am an­de­ren Mor­gen um 8 Uhr ab­zu­rei­sen, so fand sich früh al­les pünkt­lich im Gast­zim­mer ein; aber der Wa­gen, des­sen Dach mit Schnee be­deckt war, stand ein­sam, ohne Kut­scher und Pfer­de im Hofe. Ver­geb­lich such­te man ers­te­ren in den Stäl­len, im Fut­ter­raum, in den Re­mi­sen. Da be­schloss man et­was spa­zie­ren zu ge­hen, um sich den Ort an­zu­se­hen. Sie be­fan­den sich auf dem Plat­ze, in des­sen Hin­ter­grun­de die Kir­che lag mit nied­ri­gen Häu­sern auf bei­den Sei­ten, in de­nen man preus­si­sche Sol­da­ten be­merk­te. Der ers­te, den sie sa­hen, klaub­te Kar­tof­feln aus; der zwei­te rei­nig­te den La­den ei­nes Bar­biers. Ein drit­ter, bär­tig bis un­ter die Au­gen, küss­te ein wei­nen­des Baby und schau­kel­te es auf den Kni­en, um es zu be­ru­hi­gen. Di­cke Bäue­rin­nen, de­ren Män­ner bei der »mo­bi­len Ar­mee« wa­ren, zeig­ten den gut­wil­li­gen Sie­gern durch Ge­bär­den, was sie zu tun hät­ten. Da gab es Holz zu spal­ten, Sup­pe zu ko­chen, Kaf­fee zu mah­len; ja ei­ner wusch so­gar das Lei­nen­zeug sei­ner Haus­wir­tin, ei­ner ganz hilflo­sen Al­ten.

Er­staunt frag­te der Graf den Küs­ter, der ge­ra­de aus der Sa­kris­tei kam. »Ja, die­se da,« sag­te die alte Kir­chen­rat­te, »sind wa­cke­re Ker­le. Es sind kei­ne Preus­sen was man so sagt. Sie sind von wei­ter her, ich weiß nicht wo. Sie ha­ben alle Frau­en und Kin­der da­heim, und der Krieg macht ih­nen wahr­haf­tig kein Ver­gnü­gen. Bei ih­nen zu Hau­se wird man si­cher auch nach den Män­nern jam­mern, und die Ih­ri­gen wer­den nicht bes­ser dran sein, wie bei uns. Hier ist man üb­ri­gens au­gen­blick­lich ganz zu­frie­den. Sie be­tra­gen sich gut und ar­bei­ten so gut wie bei sich zu Hau­se. Se­hen Sie, mein Herr, arme Leu­te müs­sen sich ge­gen­sei­tig hel­fen … Die Gro­ßen sind es nur, die den Krieg füh­ren …«

Cor­nu­det, sehr ent­rüs­tet über die­ses freund­schaft­li­che Ver­hält­nis zwi­schen Sie­gern und Be­sieg­ten, ging heim; er zog es vor im Hôtel zu blei­ben. »Sie be­völ­kern wie­der,« sag­te Loi­seau scher­zend. »Sie ma­chen man­ches wie­der gut,« ent­geg­ne­te Herr Carré-La­ma­don er­regt. Der Kut­scher war nir­gends zu fin­den. Sch­liess­lich ent­deck­te man ihn in ei­ner Kaf­fee­schen­ke, wo er sich mit dem Bur­schen des Of­fi­ziers freund­schaft­lich zu­sam­men nie­der­ge­las­sen hat­te.

»Hat man Ih­nen denn nicht be­foh­len, um 8 Uhr an­zu­span­nen?« frag­te ihn der Graf.

»Ganz recht; aber nach­her hat man an­ders be­foh­len.«

»Was?«

»Über­haupt nicht an­zu­span­nen?«

»Wer hat das ver­bo­ten?«

»Nun, der preus­si­sche Of­fi­zier.«

»Wa­rum denn?«

»Ich weiß von nichts. Fra­gen Sie ihn. Man ver­bie­tet mir an­zu­span­nen; nun so spann ich eben nicht an … Selbst­re­dend.«

»Hat er Ih­nen selbst das ge­sagt?«

»Nein, mein Herr; der Wirt hat mir sei­nen Be­fehl über­bracht.«

»Wann denn?

»Ges­tern Abend, als ich schla­fen ging.«

Die drei Her­ren gin­gen sehr be­un­ru­higt heim. Man frag­te nach Herrn Fol­len­vie, aber das Mäd­chen er­klär­te, dass der Herr we­gen sei­nes Asth­ma’s nie vor zehn Uhr auf­stän­de. Er hat­te so­gar aus­drück­lich ver­bo­ten ihn frü­her zu we­cken; aus­ser im Fal­le ei­nes Bran­des.

Man wünsch­te den Of­fi­zier zu spre­chen; aber das war ab­so­lut un­mög­lich, ob­schon er im Hôtel wohn­te. Er ver­han­del­te in Zi­vil-An­ge­le­gen­hei­ten nur mit Herrn Fol­len­vie. So muss­te man denn war­ten. Die Da­men be­ga­ben sich wie­der auf ihre Zim­mer und such­ten sich die Zeit zu ver­trei­ben, so gut es ging.

Cor­nu­det setz­te sich an den Herd in der Kü­che, wo ein mäch­ti­ges Feu­er brann­te. Er ließ sich dort einen klei­nen Kaf­fee­tisch und eine Fla­sche Bier hin­brin­gen; dann zog er sei­ne Pfei­fe her­vor die bei den De­mo­kra­ten bei­na­he eben­so in An­se­hen stand, wie er selbst; als ob sie dem Va­ter­lan­de diente, weil Cor­nu­det sie im Ge­brauch hat­te. Es war eine präch­ti­ge Meer­schaum­pfei­fe, herr­lich an­ge­raucht, eben­so schwarz wie die Zäh­ne ih­res Herrn, wohl­rie­chend, ge­krüm­melt, glän­zend, hand­lich und ganz zu sei­nem Ge­sicht pas­send. So sass er still vor sich hin, die Au­gen bald auf das Herd­feu­er bald auf den Schaum in sei­nem Gla­se ge­hef­tet. Je­des Mal wenn er ge­trun­ken hat­te, fuhr er sich mit sei­nen lan­gen ha­ge­ren Fin­gern be­frie­digt durch das lan­ge fet­ti­ge Haar, und wisch­te sich dann den Schaum aus dem Schnurr­bart.


Loi­seau be­gab sich un­ter dem Vor­wand, sich Be­we­gung zu ma­chen hin­aus und ver­such­te bei den Kneip­wir­ten des Or­tes sei­nen Wein an­zu­brin­gen. Der Graf und der Fa­bri­kant un­ter­hiel­ten sich über Po­li­tik; ihr Ge­spräch dreh­te sich um die Zu­kunft Frank­reichs. Der eine bau­te sei­ne Hoff­nun­gen auf die Or­leans der an­de­re auf ir­gend einen un­be­kann­ten Ret­ter, einen Held, der ih­nen im letz­ten Au­gen­blick der Verzweif­lung ent­ste­hen wür­de: Ei­nen du Gue­sclin, eine Jean­ne d’Arc etwa, oder einen zwei­ten Na­po­le­on. Ja, wenn der kai­ser­li­che Prinz nicht noch so jung wäre. Cor­nu­det hör­te ih­nen mit dem Lä­cheln ei­nes Man­nes zu, der wei­ter in die Zu­kunft blickt. Der Dampf sei­ner Pfei­fe hüll­te die Kü­che ein.

Als es zehn Uhr schlug, er­schi­en Fol­len­vie. Man be­stürm­te ihn mit Fra­gen; aber er wie­der­hol­te drei bis vier­mal ge­nau die­sel­be Ge­schich­te. »Herr Fol­len­vie,« hat der Of­fi­zier zu mir ge­sagt. »Sie wer­den ver­bie­ten, dass man mor­gen den Wa­gen die­ser Rei­sen­den an­spannt. Ich will nicht, dass sie ohne mei­ne Er­laub­nis ab­rei­sen; ver­ste­hen Sie? Gut also.«

Nun woll­te man den Of­fi­zier auf­su­chen. Der Graf schick­te ihm sei­ne Kar­te, auf der auch Herr Carré-La­ma­don sei­nen Na­men samt al­len Ti­teln und Wür­den ver­merk­te. Der Preus­se ließ zu­rück­sa­gen, dass er den bei­den Herrn ge­stat­ten wür­de, ihn nach sei­nem Früh­stück, d. h. um ein Uhr auf­zu­su­chen.

Die Da­men er­schie­nen wie­der und trotz der all­ge­mei­nen Mis­s­tim­mung nahm man et­was zu sich. Fett-Kloss schi­en krank und sicht­lich sehr ver­wirrt.

Als man mit dem Kaf­fee fer­tig war, er­schi­en eine Or­do­nanz, um die Herrn zu ho­len, de­nen sich Loi­seau als drit­ter an­schloss. Cor­nu­det da­ge­gen, den man um der Sa­che mehr Fei­er­lich­keit zu ge­ben, eben­falls zur Be­tei­li­gung auf­for­der­te, er­klär­te ent­schie­den, dass er kei­ne Be­zie­hun­gen mit den Preus­sen zu ha­ben wün­sche. Er zog sich wie­der an sei­nen Ka­min zu­rück und be­stell­te eine neue Fla­sche.

Die drei Herrn gin­gen hin­auf und wur­den in das schöns­te Zim­mer des Gast­hofs ge­führt, wo sie der Of­fi­zier, auf ei­nem Ses­sel ru­hend, die Füs­se am Ka­min aus­ge­streckt und eine lan­ge Por­zel­lan­pfei­fe im Mun­de, emp­fing. Ein grel­ler Zim­mer­rock, ohne Zwei­fel aus der ver­las­se­nen Woh­nung ir­gend ei­nes Spiess­bür­gers ge­raubt, des­sen schlech­ter Ge­schmack sich an ihm be­kun­de­te, um­gab ihn statt der Uni­form. Er er­hob sich we­der, noch be­grüss­te er sonst die Herrn; er wür­dig­te sie nicht ein­mal ei­nes Blickes. Es schi­en als woll­te er ih­nen mal eine Pro­be von der den sieg­rei­chen Sol­da­ten ei­ge­nen Ro­heit ge­ben.

»Was wün­schen Sie?« frag­te er nach ei­ni­ger Zeit end­lich.