Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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Mondschein

Frau Ju­lie Roubè­re er­war­te­te ihre äl­te­re Schwes­ter, Frau Hen­ri­et­te Létoré, die von ei­ner Schwei­zer Rei­se zu­rück­kehr­te.

Létorés wa­ren seit etwa fünf Wo­chen ver­reist, und Frau Hen­ri­et­te hat­te ih­ren Gat­ten al­lein nach sei­ner Be­sit­zung bei Cal­va­dos zu­rück­keh­ren las­sen, wo er ge­schäft­lich zu tun hat­te, um selbst auf ein paar Tage nach Pa­ris zu ge­hen und ihre Schwes­ter zu be­su­chen.

Es war schon Abend. In dem klei­nen bür­ger­li­chen Wohn­zim­mer war es be­reits recht däm­me­rig. Frau Roubè­re saß am Fens­ter und las zer­streut, um bei je­dem Geräusche den Kopf zu he­ben.

End­lich klin­gel­te es und ihre Schwes­ter er­schi­en in ih­ren wal­len­den Rei­se­klei­dern. Sie flo­gen sich gleich in die Arme, noch ehe sie sich wie­der­er­kannt hat­ten, und hiel­ten mit Küs­sen nur inne, um gleich wie­der an­zu­fan­gen.

Dann spra­chen sie und be­frag­ten sich über ihr Be­fin­den, ihre Fa­mi­lie und tau­send an­de­re Din­ge; sie schwatz­ten has­tig, mit ei­li­gen, ab­ge­ris­se­nen Wor­ten und spran­gen vom einen zum an­de­ren über, wäh­rend Hen­ri­et­te ih­ren Schlei­er und Hut ab­leg­te.

Die Nacht brach her­ein. Frau Roubè­re schell­te nach der Lam­pe, und als sie ge­bracht war, blick­te sie ihre Schwes­ter auf­merk­sam an und woll­te sie von Neu­em um­ar­men. Aber plötz­lich hielt sie be­trof­fen, starr und sprach­los inne: auf den Schlä­fen ih­rer Schwes­ter schlän­gel­ten sich zwei große wei­ße Lo­cken. Ihr üb­ri­ges Haar war kohl­schwarz und von tie­fem Glan­ze, aber da – nur da – an den bei­den Sei­ten zo­gen sich zwei Sil­ber­flech­ten hin, die sich als­bald in der dun­ke­len Mas­se ver­lo­ren. Und sie war doch kaum vier­und­zwan­zig Jah­re alt, und dies war vor ih­rer Schwei­zer Rei­se auch nicht ge­we­sen. Frau Roubè­re starr­te sie un­ver­wandt an; die Trä­nen wa­ren ihr nahe, als ob ir­gend ein ge­heim­nis­vol­les, furcht­ba­res Un­glück über ihre Schwes­ter her­ein­ge­bro­chen wäre.

– Was hast du, Hen­ri­et­te? frag­te sie.

– Nichts, ant­wor­te­te die Ge­frag­te mit trau­ri­gem, kran­kem Lä­cheln. Ich ver­si­che­re dir, nichts. Du blickst so auf mei­ne wei­ßen Haa­re?

Frau Roubè­re fass­te sie un­ge­stüm an der Schul­ter und blick­te sie for­schend an.

– Was hast du? wie­der­hol­te sie. Wenn du die Un­wahr­heit sagst – ich merk’ es so­gleich.

Sie stan­den sich Aug’ in Auge ge­gen­über. Frau Hen­ri­et­te war blass ge­wor­den, als ob sie ohn­mäch­tig wür­de; sie senk­te die Au­gen, de­ren Win­kel sich mit Trä­nen füll­ten.

– Was ist dir zu­ge­sto­ßen? wie­der­hol­te ängst­lich die Schwes­ter. Was sagst du? Gib mir Ant­wort!

Frau Hen­ri­et­te schi­en be­siegt und leg­te schluch­zend die Stirn auf die Schul­ter ih­rer jün­ge­ren Schwes­ter.

– Ich habe einen Lieb­ha­ber, flüs­ter­te sie.

Dann, als sie sich ein we­nig be­ru­higt hat­te und das krampf­haf­te Schluch­zen nachließ, be­gann sie plötz­lich mit­teil­sam zu wer­den. Es war, als ob sie ein las­ten­des Ge­heim­nis los­wer­den und ihr Herz ei­nem teu­ren Men­schen aus­schüt­ten woll­te.

Die bei­den Frau­en schrit­ten, sich mit ver­schlun­ge­nen Hän­den hal­tend, auf das Sofa zu, das im Grun­de des Zim­mers stand, und lie­ßen sich dar­auf nie­der. Die jün­ge­re Schwes­ter schlang ih­ren Arm um den Hals der äl­te­ren und zog de­ren Kopf an ihr Herz, wäh­rend sie auf­merk­sam zu­hör­te.

– Ja, be­gann jene, ich be­ken­ne mich ohne Um­schwei­fe schul­dig. Ich ver­ste­he mich selbst nicht mehr. Seit je­nem Tage bin ich wie toll. Sieh du dich nur vor, Klei­ne, pass auf dich auf. Wenn du wüss­test, wie schwach wir sind, wie leicht wir nach­ge­ben, wie schnell wir fal­len! Ein Nichts, ein gan­zes klei­nes Nichts ge­nügt, eine zärt­li­che Re­gung, eine je­ner plötz­li­chen An­wand­lun­gen von Schwer­mut, die uns­re See­le durch­zie­hen, ein Be­dürf­nis, die Arme auf­zu­tun, zu küs­sen und zu her­zen, wie wir es alle in ge­wis­sen Au­gen­bli­cken ver­spü­ren.

Du kennst mei­nen Gat­ten, und du weißt, wie lieb ich ihn habe, aber er ist ge­setzt und ver­stän­dig, und ahnt nichts von all den zärt­li­chen Re­gun­gen ei­nes Frau­en­ge­mü­tes. Er ist sich im­mer gleich, im­mer gü­tig und lä­chelnd, im­mer ge­fäl­lig, im­mer voll­kom­men. O wie gern möch­te ich, dass er mich manch­mal jäh in sei­ne Arme ris­se, dass er mich mit je­nen lang­sa­men und tie­fen Küs­sen be­glück­te, die zwei See­len ver­ei­nen und wie stum­me Lie­bes­schwü­re sind; wie wünsch­te ich, dass er sich manch­mal ver­gä­ße und Schwä­chen zeig­te, dass er ein Be­dürf­nis nach mir und mei­nen Lieb­ko­sun­gen, mei­nen Trä­nen hät­te!

Das al­les ist dumm, wie er sagt, aber wir sind doch nun ein­mal so. Was kön­nen wir da­für?

Und doch ist es mir nie in den Sinn ge­kom­men, ihn zu be­trü­gen. Heu­te ist es nun so ge­kom­men, ohne Lie­be, ohne Grund, ohne Ur­sa­che, nur weil es in ei­ner Mond­nacht am Vier­wald­stät­ter­see war.

Den gan­zen Mo­nat lang, wo wir auf Rei­sen wa­ren, hat­te mir mein Mann mit sei­ner ewi­gen Gleich­mü­tig­keit alle Be­geis­te­rung ge­nom­men, al­les Hoch­ge­fühl er­stickt. Wenn wir so mor­gens bei Son­nen­auf­gang die stei­len Hän­ge im Ga­lopp her­un­ter­feg­ten, vier Pfer­de vor der Post­ka­le­sche, und ich durch den durch­sich­ti­gen Früh­ne­bel hin­durch die lang­ge­streck­ten Tä­ler und Wäl­der, die Flüs­se und Städ­te er­blick­te, und ent­zückt in die Hän­de klatsch­te und sag­te: »Wie schön ist das! Mein Freund, küs­se mich doch!« – dann ant­wor­te­te er mit wohl­wol­len­dem, fros­ti­gen Lä­cheln und zuck­te da­bei mit den Ach­seln: »Das ist doch kein Grund, sich zu küs­sen, weil die Land­schaft dir ge­fällt!«

So et­was er­käl­tet mich im­mer bis ins Herz hin­ein. Denn mir scheint, wenn man sich lieb hat, muss man im­mer Lust ha­ben, sich noch mehr zu lie­ben, wenn ein sol­ches Na­tur­spiel uns be­wegt.

Zu­dem hat­te ich manch­mal poe­ti­sche Wal­lun­gen, die er durch sei­ne blo­ße An­we­sen­heit un­ter­drück­te. Was soll ich dir sa­gen? Ich war nicht viel an­ders als ein Kes­sel voll Dampf, der luft­dicht ver­schlos­sen ist.

Ei­nes Abends, wir wa­ren schon seit vier Ta­gen in ei­nem Ho­tel in Flue­len, hat­te Ro­bert et­was Mi­grä­ne und war dar­um gleich nach dem Es­sen zu Bett ge­gan­gen; und ich ging ganz al­lein am Ran­de des Sees spa­zie­ren.

Die Nacht war zau­ber­haft. Der Voll­mond stand hoch am Him­mel; die großen Ber­ge mit ih­ren Schnee­häup­tern wa­ren mit Sil­ber um­säumt, und über das tief­schwar­ze Was­ser gin­gen leich­te Licht­schau­er. Die Luft war weich, sie war von je­ner be­zau­bern­den Wei­che, die uns schwach bis zum Um­fal­len macht und uns ohne Ver­an­las­sung zärt­lich stimmt. Wie ist die See­le in sol­chen Mo­men­ten emp­find­sam! Wie bebt sie! Wie leicht regt sie sich dann und wie stark emp­fin­det sie al­les!

Ich setz­te mich ins Gras und ließ mein Auge auf die­sem großen, träu­me­ri­schen, be­zau­bern­den See ru­hen, und et­was Selt­sa­mes ging in mir vor. Ich emp­fand plötz­lich ein un­er­sätt­li­ches Ver­lan­gen nach Lie­be, eine Em­pö­rung ge­gen die trü­be Platt­heit mei­nes Le­bens. Soll­te es mir nie ver­gönnt sein, am Arm ei­nes ge­lieb­ten Man­nes das hohe Ufer ei­nes mond­be­glänz­ten Sees zu um­wan­deln? Wür­de ich nie jene tie­fen, sü­ßen, be­tö­ren­den Küs­se auf mich ein­drin­gen füh­len, wie man sie in sol­chen Mond­näch­ten aus­tauscht, die von Gott ei­gens für die Lie­be ge­schaf­fen schei­nen? Soll­te ich nie in mond­hel­ler Som­mer­nacht von trun­ke­nen Ar­men zit­ternd um­spannt wer­den?

Und ich be­gann zu wei­nen, wie eine Tö­rin. Da – hör­te ich Geräusch in mei­nem Rücken: ein Mann stand hin­ter mir und blick­te mich an. Als ich den Kopf wand­te, er­kann­te er mich und kam nä­her. »Sie wei­nen, gnä­di­ge Frau?« frag­te er zart­füh­lend. Es war ein jun­ger Ad­vo­kat, der mit sei­ner Mut­ter reis­te und den wir schon mehr­fach ge­trof­fen hat­ten. Sei­ne Au­gen hat­ten oft auf mir ge­ruht.

Ich war so au­ßer Fas­sung, dass ich nicht wuss­te, was ich sa­gen und den­ken soll­te. Ich stand auf und sag­te, dass ich krank wäre. Er schritt un­ge­zwun­gen und ehr­er­bie­tig ne­ben mir her und sprach von un­se­rer Rei­se. Al­les, was ich emp­fun­den hat­te, deu­te­te er sich. Al­les, wes­we­gen ich zit­ter­te, ver­stand er wie ich, bes­ser als ich. Und plötz­lich sag­te er mir Ver­se, Ver­se von Mus­set. Ich brach in Trä­nen aus, von un­aus­sprech­li­cher Sehn­sucht ge­packt. Mir war, als wä­ren die Ber­ge dro­ben, der See und der Mond­schein voll un­ver­gäng­lich sü­ßer Mu­si­k…

Und so kam es, ich weiß selbst nicht wie, ich weiß selbst nicht warum, es war wie in ei­ner Art von Traum­wa­chen…

Was ihn be­trifft… ich habe ihn nur noch am nächs­ten Tage ge­se­hen, es war bei der Ab­fahrt. Er hat mir sei­ne Kar­te ge­ge­ben…

Frau Létoré sank er­schöpft in die Arme ih­rer Schwes­ter und stieß Seuf­zer auf Seuf­zer, fast Schreie aus.

Und Frau Roubè­re sag­te ernst und ge­sam­melt, aber sanft:

– Siehst du, große Schwes­ter, oft ist es nicht ein Mann, den wir lie­ben, son­dern die Lie­be. Und an die­sem Abend war der Mond­schein dein wah­rer Ge­lieb­ter.

*

Eine Leidenschaft

Das Meer lag ru­hig und glän­zend, wie ein Spie­gel, von der an­drin­gen­den Flut­wel­le kaum ge­kräu­selt. Die gan­ze Be­völ­ke­rung stand auf dem Ha­fen­damm und sah dem Ein­lau­fen der Schif­fe zu.

Sie wa­ren schon weit­hin sicht­bar und zahl­reich, große Damp­fer mit der Rauch­fe­der am Schorn­stein, und Se­gel­schif­fe, von klei­nen Schlepp­damp­fern ge­zo­gen und mit nack­ten Mas­ten gen Him­mel star­rend, wie ent­laub­te Bäu­me.

Sie ka­men von al­len vier Win­den in die enge Mün­dung des Ha­fens ein­ge­lau­fen, der die­se Un­ge­tü­me alle ver­schlang, wäh­rend sie stöhn­ten und kreisch­ten und zisch­ten und Dampf­strö­me aus­spien, als wä­ren sie au­ßer Atem.

 

Zwei jun­ge Of­fi­zie­re pro­me­nier­ten grü­ßend und wie­der ge­grüßt und zu­wei­len ste­hen blei­bend, um zu plau­dern, auf der men­schen­be­deck­ten Mole.

Plötz­lich drück­te der grö­ße­re von ih­nen, Paul d’Hen­ri­cel, den Arm sei­nes Ka­me­ra­den Jean Re­nol­di und flüs­ter­te: »Schau, da ist auch Frau Poinçot; sieh nur ge­nau hin, ich ver­sich­re dich, sie wirft dir Bli­cke zu…«

Die Ge­nann­te kam am Arm ih­res Gat­ten, ei­nes rei­chen Schiffs­r­he­ders, ih­nen ent­ge­gen. Sie war ge­gen Vier­zig, aber noch sehr statt­lich, ein we­nig stark, aber ge­ra­de in­fol­ge ih­rer üp­pi­gen Fül­le noch so frisch wie eine Zwan­zig­jäh­ri­ge. Ihre Be­kann­ten nann­ten sie we­gen ih­res stol­zen Auf­tre­tens, ih­rer großen schwar­zen Au­gen und der gan­zen Vor­nehm­heit ih­res We­sens die Göt­tin. Sie war stets un­be­schol­ten ge­blie­ben. Nie hat­te ein Ver­dacht ih­ren Wan­del ge­streift. Sie wur­de als Vor­bild ei­ner ehr­ba­ren und ein­fa­chen Frau hin­ge­stellt, und kein Mann hät­te ge­wagt, an sie zu den­ken; so hoch stand sie.

Und nun ver­si­cher­te Paul d’Hen­ri­cel sei­nem Freun­de Re­nol­di seit ei­nem Mo­nat, dass ihm Frau Poinçot zärt­lich Bli­cke zu­wür­fe, und war nicht da­von ab­zu­brin­gen. »Ich ver­si­che­re dir«, sag­te er, »dass ich mich nicht täu­sche. Ich sehe es deut­lich, sie liebt dich. Sie liebt dich lei­den­schaft­lich, wie ein keu­sches Weib, das nie ge­liebt hat. Vier­zig Jah­re sind ein ge­fähr­li­ches Al­ter für die an­stän­di­gen Frau­en, wenn sie Herz und Sin­ne ha­ben. Sie wer­den tö­richt und ma­chen Tor­hei­ten… Sie ist ge­trof­fen, mein Freund, wie ein ver­wun­de­ter Vo­gel. Sie fällt, sie fällt – dir in die Arme. Sieh nur, sieh!«

Die statt­li­che Frau rausch­te hin­ter ih­ren bei­den zwölf- und fünf­zehn­jäh­ri­gen Töch­tern vor­über und erb­lass­te plötz­lich, als sie den Of­fi­zier er­blick­te. Sie sah ihn glü­hend an, mit star­rem Blick, und schi­en nichts mehr um sich zu se­hen, we­der ih­ren Mann, noch ihre Kin­der, noch die Men­schen­men­ge. Sie er­wi­der­te den Gruß der jun­gen Leu­te, ohne ih­ren hei­ßen Blick zu sen­ken. Es war ein Blick von so lo­dern­der Glut, dass der Leut­nant Re­nol­di end­lich zu be­grei­fen be­gann.

»Ich wuss­te es ja«, tri­um­phier­te sein Freund. »Hast du’s dies­mal ge­se­hen? Wet­ter! Das ist noch ein schö­ner Bis­sen!«

*

Aber Re­nol­di woll­te nichts von der­ar­ti­gen Lieb­schaf­ten wis­sen. Er such­te die Lie­be nicht und sehn­te sich vor al­lem nach ei­nem ru­hi­gen Le­ben. Im Üb­ri­gen be­gnüg­te er sich mit Ge­le­gen­heits-Lieb­schaf­ten, wie sie ei­nem jun­gen Man­ne stets be­geg­nen. Denn ihm wa­ren all die Sen­ti­men­ta­li­tä­ten ei­nes sol­chen Ver­hält­nis­ses, all die Zärt­lich­keits­be­wei­se und Rück­sich­ten, die eine ver­wöhn­te Dame for­dert, ein Gräu­el. Die Ket­te, die ein sol­ches Aben­teu­er im­mer knüpft, und mag sie noch so leicht sein, flö­ßte ihm Angst ein. Er sag­te sich: Nach ei­nem Mo­nat hab’ ich es über und über satt, und ich muss an­stands­hal­ber sechs Mo­na­te aus­hal­ten. Zu­dem war ihm ein Bruch mit den ob­li­ga­ten Sze­nen und Vor­wür­fen, dem Sich-An­klam­mern des ver­las­se­nen Wei­bes ent­setz­lich.

Er ging dar­um Frau Poinçot aus den Wege.

Ei­nes Abends je­doch woll­te es der Zu­fall, dass er beim Di­ner ihr Tischnach­bar wur­de. Er fühl­te den glü­hen­den Blick sei­ner Nach­ba­rin un­auf­hör­lich auf sei­ner Haut, auf sei­nen Au­gen und bis in die See­le hin­ein; ihre Hän­de be­geg­ne­ten sich zu­fäl­lig und drück­ten sich fast wi­der Wil­len: Das war schon der An­fang zur Lieb­schaft.

Dann sah er sie wie­der, im­mer wi­der Wil­len. Er fühl­te, dass sie ihn lieb­te, und das rühr­te ihn; ein selbst­ge­fäl­li­ges Mit­leid mit der glü­hen­den Lei­den­schaft die­ses Wei­bes über­kam ihn. Er ließ sich also an­be­ten und war ein­fach ga­lant, in der Hoff­nung, dass es da­bei sein Be­wen­den ha­ben wür­de.

Aber ei­nes Ta­ges gab sie ihm ein Stell­dich­ein, um ihn zu se­hen und un­ge­stört mit ihm plau­dern zu kön­nen, wie sie sag­te. Sie fiel ihm ohn­mäch­tig in die Arme und er war wohl oder übel ge­nö­tigt, ihr Lieb­ha­ber zu wer­den.

*

Das währ­te so sechs Mo­na­te. Sie lieb­te ihn un­sin­nig, atem­los. Im Ban­ne die­ser fa­na­ti­schen Lei­den­schaft dach­te sie an nichts mehr; al­les gab sie ihm hin, Leib und See­le, Ruf, An­se­hen und Glück. Al­les hat­te sie in die Flam­me ih­res Her­zens ge­wor­fen, wie man vor Zei­ten al­les, was ei­nem teu­er war, auf den flam­men­den Holz­stoß warf, wenn man op­fer­te.

Er war der Sa­che längst über­drüs­sig und be­dau­er­te leb­haft, dass sein hüb­sches Ge­sicht ihm zu so leich­tem Sie­ge ver­hol­fen hat­te; aber er sah sich ge­bun­den, fest­ge­hal­ten, ge­fan­gen. – Bei je­der Ge­le­gen­heit sag­te sie ihm: »Ich habe dir al­les ge­ge­ben, was willst du noch?« Er hat­te dann große Lust, zu ant­wor­ten: »Aber ich habe dich um nichts ge­be­ten, und ich bit­te dich, wie­der zu­rück­zu­neh­men, was du mir ge­ge­ben hast.« Je­den Abend kam sie zu ihm; es küm­mer­te sie nicht, ob sie ge­se­hen wur­de, ob sie sich kom­pro­mit­tier­te und ver­lo­ren wäre; und je­des Mal lieb­te sie ihn hei­ßer. Sie warf sich ihm in die Arme, um­schlang ihn lei­den­schaft­lich und ver­schmach­te­te schier in ver­zück­ten Küs­sen, die ihn schau­der­haft lang­weil­ten. Er sag­te dann mit mü­der Stim­me: »Komm, sei ver­nünf­tig!« Sie ant­wor­te­te nur: »Ich lie­be dich« und setz­te sich zu sei­nen Fü­ßen, um lan­ge in an­be­ten­der Hal­tung vor ihm zu ver­har­ren. Bei die­sem be­harr­li­chen An­star­ren ver­ging ihm schließ­lich die Lau­ne und er such­te sie auf­zu­rich­ten. »Komm«, sag­te er, »setz’ dich; plau­dern wir et­was.« Aber sie mur­mel­te be­stän­dig: »Nein, lass mich!« und blieb ver­zückt sit­zen.

Ei­nes Ta­ges sag­te er zu sei­nem Freun­de d’Hen­ri­cel: »Weißt du, nächs­tens schla­ge ich sie. Ich bin es satt, ich will nicht mehr. Die Sa­che muss ein Ende neh­men und das schleu­nig!« Und dann setz­te er ru­hi­ger hin­zu: »Was rätst du mir zu tun?« – »Brich!« riet je­ner. Aber Re­nol­di zuck­te die Ach­seln. »Du sagst das so leicht hin. Glaubst du, das wäre so leicht, mit ei­ner Frau zu bre­chen, die einen mit Auf­merk­sam­kei­ten ver­folgt, mit Zu­vor­kom­men­heit mar­tert, mit Zärt­lich­keit quält, de­ren ein­zi­ge Sor­ge ist, dir zu ge­fal­len, und de­ren ein­zi­ges Un­recht ist, dass sie sich dir an den Hals ge­wor­fen hat…«

Aber da kam ei­nes Mor­gens die fro­he Bot­schaft, dass das Re­gi­ment sei­ne Gar­ni­son wech­seln soll­te, und Re­nol­di hüpf­te vor Freu­de. Er war ge­ret­tet, ge­ret­tet ohne Sze­nen und Auf­re­gung, ge­ret­tet!… Es han­del­te sich nur noch dar­um, zwei Mo­na­te Ge­duld zu ha­ben!… Ge­ret­tet!…

Als sie am Abend zu ihm kam, war sie noch auf­ge­reg­ter, als sonst. Sie hat­te die Schre­ckens­kun­de ver­nom­men. Ohne ih­ren Hut ab­zu­tun, er­griff sie sei­ne Hän­de und press­te sie fie­ber­haft, in­dem sie ihm fest ins Auge blick­te und mit be­ben­der, ent­schlos­se­ner Stim­me sag­te: »Ich weiß, du willst fort­ge­hen. Die Nach­richt brach mir an­fangs das Herz; nun aber weiß ich, was ich zu tun habe. Ich zö­ge­re nicht mehr. Ich will dir den größ­ten Be­weis mei­ner Lie­be brin­gen, den ein Weib brin­gen kann: ich fol­ge dir. Um dei­net­wil­len ver­las­se ich Mann, Kin­der, Fa­mi­lie. Ich rich­te mich zu Grun­de, aber ich bin glück­lich. Mir ist, als gäbe ich mich dir von Neu­em zu ei­gen. Es ist das letz­te und größ­te Op­fer. Ich bin dein für im­mer!«

Es lief ihm eis­kalt über den Rücken, als er das hör­te. Eine dump­fe, in­grim­mi­ge, ohn­mäch­ti­ge Wut über­kam ihn. Trotz­dem hielt er an sich und wies ihr Op­fer mit sanf­ter Stim­me zu­rück. Er such­te sie zu be­schwich­ti­gen, sie zur Ver­nunft zu brin­gen und ihr ihre Tor­heit aus­zu­re­den. Sie hör­te mit ver­ächt­lich auf­ge­wor­fe­ner Lip­pe zu und blick­te ihm mit ih­ren schwar­zen Au­gen ins Ge­sicht, ohne et­was zu ant­wor­ten. Als er ge­en­digt hat­te, sag­te sie nur: »Du bist also so fei­ge, ein Weib zu ver­füh­ren und es dann bei der ers­ten bes­ten Lau­ne zu ver­las­sen!«

Re­nol­di wur­de bleich und fing wie­der mit Ver­nunft­grün­den an. Er stell­te ihr die un­aus­bleib­li­chen Fol­gen die­ser Hand­lungs­wei­se bis zu ih­rem Tode vor Au­gen; er mach­te ihr klar, dass sie ihr Le­bens­glück zer­stör­te, dass die Welt für sie ver­schlos­sen wä­re… Aber sie ant­wor­te­te be­harr­lich: »Was tut das, wenn man sich liebt?«

Da braus­te er schließ­lich auf. »Nun wohl, ich will nicht! Nein! Ver­stehst du, ich will nicht, ich ver­bie­te es dir!« Und sein Herz quoll von dem lan­ge ge­nähr­ten Wi­der­wil­len über. »Ei zum Him­mel, es ist jetzt lan­ge ge­nug, dass du mich ge­gen mei­nen Wil­len liebst. Es fehl­te noch, dich mit­zu­neh­men. Ich dan­ke schön!«

Sie ant­wor­te­te nichts, aber über ihr lei­chen­fah­les Ge­sicht zog ein lang­sa­mes und schmerz­li­ches Zu­cken, als ob alle Mus­keln und Ner­ven sich krümm­ten. Sie ging, ohne Le­be­wohl zu sa­gen.

In der­sel­ben Nacht ver­gif­te­te sie sich. Eine Wo­che lang hielt man sie für ver­lo­ren. Und in der Stadt steck­te man die Köp­fe zu­sam­men, be­klag­te sie und ent­schul­dig­te ih­ren Fehl­tritt mit der Macht ih­rer Lei­den­schaft; denn alle bis auf Äu­ßers­te ge­stei­ger­ten Ge­füh­le, die den Men­schen zum He­ro­is­mus hin­rei­ßen, wer­den im­mer ver­zie­hen, wenn sie an sich auch ver­werf­lich sind. Ein Weib, das in den Tod geht, ist so­zu­sa­gen kei­ne Ehe­bre­che­rin mehr. Und so ent­stand denn all­ge­mach eine all­ge­mei­ne Er­bit­te­rung ge­gen den Leut­nant Re­nol­di, der sich wei­ger­te, sie wie­der zu se­hen, und ein ein­mü­ti­ges Ge­fühl der Miss­bil­li­gung.

Man er­zähl­te sich, dass er sie ver­las­sen, ver­ra­ten und ge­schla­gen hät­te. Selbst sein Oberst emp­fand Mit­leid mit der Selbst­mör­de­rin und ließ ein paar Wor­te des Ta­dels in eine Un­ter­re­dung mit sei­nem Un­ter­ge­be­nen ein­flie­ßen. Paul d’Hen­ri­cel kam zu sei­nem Freun­de und sag­te: »Aber zum Hen­ker, mein Lie­ber, man lässt ein Weib doch nicht in den Tod ge­hen. Das ist nicht an­stän­dig…«

Re­nol­di war er­bit­tert und hieß sei­nen Freund schwei­gen. Der aber ließ das Wort In­fa­mie fal­len; es kam zum Duell und Re­nol­di wur­de zur all­ge­mei­nen Zufrie­den­heit ver­wun­det. Er muss­te lan­ge das Bett hü­ten.

Als sie es er­fuhr, lieb­te sie ihn noch mehr, denn sie glaub­te, er hät­te sich ih­ret­we­gen ge­schla­gen. Da sie ihr Zim­mer in­des nicht ver­las­sen durf­te, sah sie ihn vor dem Auf­bruch des Re­gi­ments nicht wie­der.

Er war schon drei Mo­na­te in Lil­le, als er ei­nes Mor­gens den Be­such ei­ner jun­gen Frau be­kam. Es war die Schwes­ter sei­ner frü­he­ren Ge­lieb­ten.

Frau Poinçot hat­te lan­ge schwer ge­lit­ten und war von ei­ner Verzweif­lung be­fal­len, ge­gen die sie nicht an­kämp­fen konn­te. Jetzt war sie dem Tode nahe. Sie war hoff­nungs­los auf­ge­ge­ben und woll­te ihn nur noch eine Mi­nu­te se­hen, ehe sie die Au­gen schloss.

Tren­nung und Zeit hat­ten den Ver­druss und Zorn des jun­gen Man­nes ge­lin­dert; er war ge­rührt und wein­te. Noch am sel­ben Tage reis­te er nach Le Ha­vre.

Sie schi­en in den letz­ten Zü­gen zu lie­gen. Man ließ ihn al­lein am Bet­te der Ster­ben­den, die er ohne sei­ne Schuld ge­tö­tet hat­te. Eine furcht­ba­re Reue schüt­tel­te ihn. Schluch­zend küss­te er sie mit sanf­ten, glü­hen­den Lip­pen, wie nie zu­vor, und stam­mel­te: »Nein, du sollst nicht ster­ben. Du sollst wie­der ge­ne­sen. Wir wer­den wie­der zu­sam­men sein. Im­mer…«

»Ist’s wahr?« lis­pel­te sie. »Liebst du mich noch?« Und in sei­ner Verzweif­lung schwur und ver­sprach er, sie zu er­war­ten, wenn sie ge­ne­sen sein wür­de. Er emp­fand das tiefs­te Mit­leid mit ihr und küss­te die ab­ge­ma­ger­ten Hän­de der ar­men Frau, de­ren Herz un­re­gel­mä­ßig schlug.

Am nächs­ten Tage war er wie­der in sei­ner Gar­ni­son. Sechs Wo­chen spä­ter kam sie nach. Sie war nicht wie­der­zu­er­ken­nen, so war sie ge­al­tert, und ver­lieb­ter denn je.

In sei­ner Rat­lo­sig­keit nahm er sie wie­der zu sich und sie leb­ten zu­sam­men, als wä­ren sie durch das Ge­setz ver­eint. Aber der­sel­be Oberst, den es da­mals em­pört hat­te, dass er sie ver­las­sen, ent­rüs­te­te sich jetzt über die­se wil­de Ehe; so et­was wäre mit dem Vor­bil­de, das ein Of­fi­zier im Re­gi­ment ge­ben soll­te, un­ver­ein­bar. Erst er­teil­te er sei­nem Un­ter­ge­be­nen einen Ver­weis, dann wur­de er wü­tend, und Re­nol­di reich­te sei­nen Ab­schied ein.

 

Sie leb­ten nun in ei­ner Vil­la am Mit­tel­meer, dem klas­si­schen Meer der Ver­lieb­ten.

Drei Jah­re gin­gen so hin; Re­nol­di war ge­beugt, be­siegt, er­le­gen, an die­se hart­nä­cki­ge Zärt­lich­keit ge­wöhnt. Sie hat­te jetzt wei­ßes Haar.

Er hielt sich für einen ver­lo­re­nen, ver­nich­te­ten Men­schen. Alle Aus­sich­ten schie­nen ihm da­hin, die Kar­rie­re ver­pfuscht, alle Freu­de be­nom­men, alle Be­frie­di­gung ver­sagt.

Ei­nes Mor­gens be­kam er eine Kar­te mit der Auf­schrift: »Jo­sef Poinçot, Rhe­der, Le Ha­vre.« – Der Mann! Der Mann, der nichts ge­sagt hat­te, weil er wohl auch ein­sah, dass ge­gen den ver­zwei­fel­ten Ei­gen­sinn der Wei­ber­lie­be nichts zu ma­chen sei. Was woll­te er?

Er war­te­te im Gar­ten und wei­ger­te sich, in die Vil­la zu kom­men. Er grüß­te höf­lich, woll­te sich aber nicht ein­mal auf eine Gar­ten­bank set­zen und be­gann deut­lich und lang­sam zu spre­chen:

– Mein Herr, ich bin nicht hier­her ge­kom­men, um Ih­nen Vor­wür­fe zu ma­chen. Ich weiß zu gut, wie die Din­ge ge­kom­men sind. Ich bin… wir sin­d… ei­ner Art von Ver­häng­nis un­ter­le­gen. Ich hät­te Sie hier in ih­rem Wohn­sitz nicht be­läs­tigt, wenn die Ver­hält­nis­se es nicht er­heisch­ten. Ich habe zwei Töch­ter, mein Herr. Die eine liebt einen jun­gen Mann, der ihre Lie­be er­wi­dert. Aber sei­ne Fa­mi­lie wi­der­setzt sich der Hei­rat. Es ist we­gen der Lage, in der sich die… die Mut­ter der Kin­der be­fin­det… Ich hege we­der Zorn noch Rach­sucht ge­gen sie, aber ich bete mei­ne Kin­der an, mein Herr. Ich kom­me also, um mei­ne… mei­ne Frau von Ih­nen zu­rück­zu­for­dern; ich hof­fe, sie wird heu­te dar­ein wil­li­gen, in mein… ihr Haus zu­rück­zu­keh­ren. Was mich be­trifft, so wer­de ich den Schein zu er­hal­ten wis­sen, dass ich ihr we­gen mei­ner Töch­ter ver­zie­hen habe.

Re­nol­di glaub­te sich in den Him­mel ver­setzt. Ein Freu­den­tau­mel durch­fuhr ihn; es war ihm wie ei­nem Ver­ur­teil­ten, der be­gna­digt wird.

– Aber na­tür­lich, mein Herr, stot­ter­te er. Ich selbst… glau­ben Sie mir… ohne Zwei­fel… es ist ge­recht­fer­tigt, nur zu ge­recht­fer­tig­t…

Am liebs­ten hät­te er die Hän­de des Man­nes er­grif­fen, ihn in sei­ne Arme ge­schlos­sen und auf bei­de Ba­cken ge­küsst.

– Tre­ten Sie doch nä­her, bat er. Im Sa­lon ist es doch bes­ser. Ich wer­de sie gleich ru­fen.

Dies­mal wei­ger­te sich Herr Poinçot nicht län­ger und setz­te sich.

Re­nol­di hüpf­te die Stu­fen her­auf; vor der Tür sei­ner Ge­lieb­ten sam­mel­te er sich und trat ernst her­ein. »Du wirst un­ten er­war­tet,« sag­te er. »Es ist we­gen Dei­ner Töch­ter.« Sie rich­te­te sich auf. »We­gen mei­ner Töch­ter? Was ist denn mit ih­nen? Sie sind doch nicht ge­stor­ben?«

– Nein, er­wi­der­te er, aber sie sind in ei­ner erns­ten Lage, aus der du sie al­lein er­lö­sen kannst. Sie hör­te nicht mehr hin und ging schnell her­un­ter, wäh­rend er auf einen Ses­sel sank und mit po­chen­dem Her­zen war­te­te.

Er war­te­te lan­ge, lan­ge. Dann, als hef­ti­ge Stim­men durch die De­cke bis zu ihm her­auf dran­gen, ent­schloss er sich, her­un­ter­zu­ge­hen.

Frau Poinçot stand auf­recht im Zim­mer und woll­te eben ge­hen; ihr Gat­te hielt sie am Klei­de fest und sag­te ein­dring­lich: »Aber ver­ste­hen Sie doch, Sie ver­nich­ten das Glück Ih­rer Töch­ter, un­se­rer Kin­der!«

Aber sie ant­wor­te­te hart­nä­ckig: »Ich will nicht zu Ih­nen zu­rück!« Re­nol­di er­kann­te so­fort die Ge­fahr, trat nie­der­ge­schla­gen nä­her und stot­ter­te: »Was, sie will nicht?« Da dreh­te sie sich um und sag­te, in­dem sie ihn in ei­ner An­wand­lung von Scham vor dem rech­ten Gat­ten nicht mehr zu dut­zen wag­te: »Wis­sen Sie, was er von mir ver­langt? Zu­rück­kom­men soll ich in sein Haus!« Da­bei lach­te sie höh­nisch und mit ver­ächt­li­cher Mie­ne ge­gen den Mann, der sie knie­fäl­lig bat.

Da sprach Re­nol­di mit der Ent­schlos­sen­heit ei­nes ver­zwei­fel­ten Spie­lers, der al­les auf die letz­te Kar­te setzt. Er trat für die ar­men Mäd­chen ein, für den Gat­ten, für sich. Als er in­ne­hielt, um nach neu­en Be­weg­grün­den zu su­chen, lis­pel­te Herr Poinçot, der mit sei­ner Weis­heit auch zu Ende war, in­dem er sie aus al­ter Ge­wohn­heit plötz­lich wie­der dutz­te:

– Komm, Del­phi­ne, den­ke an dei­ne Kin­der!

Sie warf ih­nen bei­den einen Blick sou­ve­rä­ner Ver­ach­tung zu, riss sich los und war mit ei­nem Satz auf der Trep­pe.

– Ihr seid zwei elen­de Ge­sel­len! rief sie ih­nen von oben aus zu.

Als sie wie­der al­lein wa­ren, blick­ten sie sich einen Au­gen­blick ge­bro­chen und nie­der­ge­schla­gen an. Dann hob Herr Poinçot sei­nen hin­ge­fal­le­nen Hut auf, klopf­te sich das vom Knie­fall be­staub­te Bein­kleid ab, und Re­nol­di be­glei­te­te ihn nach der Tür.

»Wir sind bei­de sehr un­glück­lich, mein Herr!« sag­te er drau­ßen mit ver­zwei­fel­ter Ge­bär­de, grüß­te, setz­te sei­nen Hut auf und ging mit kum­mer­vol­len Schrit­ten.

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