Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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Es wa­ren die al­ten Brie­fe ih­rer Gro­ß­el­tern, die sie nicht ge­kannt hat­te. Sie woll­te ih­nen über dem Kör­per der Toch­ter die Hand rei­chen, sich mit ih­nen in die­ser düstren Nacht ver­ei­nen, als hät­ten sie Teil an die­sem Leid; sie woll­te eine Art ge­heim­nis­vol­le Zärt­lich­keits­ket­te bil­den zwi­schen den To­ten von da­mals, der stil­len Lei­che dort und ihr selbst, die noch auf Er­den ver­blie­ben war.



Sie öff­ne­te die Schreib­tisch­plat­te und ent­nahm der un­te­ren Schieb­la­de ein Dut­zend der klei­nen gelb­li­chen Pa­pier­bün­del, wel­che in mus­ter­haf­ter Ord­nung ne­ben­ein­an­der la­gen.



Mit ei­ner Art wohl­be­dach­ter Sen­ti­men­ta­li­tät brei­te­te sie die­sel­ben auf dem Bett zwi­schen den Ar­men der To­ten aus und schick­te sich an zu le­sen.



Es wa­ren jene ehr­wür­di­gen Brief­schaf­ten, wie man sie in al­ten Fa­mi­li­en­schreib­ti­schen fin­det; jene Brief­schaf­ten, die die Luft ei­nes and­ren Jahr­hun­derts at­men.



»Mei­ne Teu­re!« be­gann der ers­te Brief; auf ei­nem zwei­ten stand »Mein lie­bes Töch­ter­chen!« dann kam: »Mein Herz­chen!« – »Mein an­ge­be­te­tes Töch­ter­chen!« – Lie­bes Kind!« – »Lie­be Ade­laï­de« – »Lie­be Toch­ter«, je nach­dem sie sich an das Kind, an die Toch­ter und spä­ter an die jun­ge Frau rich­te­ten.



Und das al­les at­me­te so viel lei­den­schaft­li­che Zärt­lich­keit, so viel Lie­be zum Kin­de; es er­zähl­te so viel große und klei­ne Ge­heim­nis­se, und da­zwi­schen wie­der al­ler­hand Din­ge, die dem Fer­ner­ste­hen­den gleich­gül­tig wa­ren: »Papa hat die Grip­pe; die Zofe Hor­ten­se hat sich den Fin­ger ver­brannt; die Kat­ze ›Cro­que­r­at‹ ist tot; die Tan­ne rechts vom Tore ist ge­fällt wor­den; Mut­ter hat ihr Ge­bet­buch auf dem Rück­weg von der Kir­che ver­lo­ren, sie glaubt dass es ge­stoh­len ist.«



Auch von Leu­ten war dar­in die Rede, die Jo­han­na zwar per­sön­lich nicht ge­kannt hat­te, de­ren Na­men sie sich aber noch dun­kel aus ih­rer ers­ten Ju­gend­zeit er­in­ner­te.



Mit wah­rer Zärt­lich­keit ver­tief­te sie sich in die­se Ein­zel­hei­ten, wel­che ihr wie eine Art To­te­ner­we­ckung vor­ka­men. Es war ihr, als tre­te sie plötz­lich in die Ver­gan­gen­heit ein, als sehe sie alle Ge­heim­nis­se, das ei­gent­li­che Her­zens­le­ben ih­rer Mut­ter vor sich. Sie be­trach­te­te wie­der den Leich­nam, und plötz­lich be­gann sie ganz laut zu le­sen; sie las für die Tote, als wol­le sie ihr Zer­streu­ung und Tracht brin­gen.



Es kam ihr vor, als ob der Ge­sichts­aus­druck der Ver­stor­be­nen ein glück­li­cher wäre.



Ei­nen nach dem and­ren leg­te sie die Brie­fe zu Füs­sen des Bet­tes; sie mein­te, man müs­se sie statt der Blu­men ihr in den Sarg mit­ge­ben.



Sie öff­ne­te ein neu­es Packet. Es war eine an­de­re Schrift. »Ich kann Dei­ne Zärt­lich­keit nicht ent­beh­ren. Ich lie­be Dich zum Ra­send­wer­den« las sie halb­laut.



Wei­ter nichts; kei­ne Un­ter­schrift.



Ver­ständ­nis­los dreh­te sie das Pa­pier um. »Ma­da­me la ba­ron­ne Le Per­thuis des Vauds« lau­te­te deut­lich die Adres­se.



Dann öff­ne­te sie das fol­gen­de Bil­let: »Kom­m’ heu­te Abend, so­bald er fort ist. Wir wer­den eine Stun­de für uns ha­ben. Ich bete Dich an.«



»Ich habe eine Nacht in ra­sen­dem Ver­lan­gen nach Dir durch­träumt. Ich hielt Dich in mei­nen Ar­men, Dei­nen Mund un­ter mei­nen Lip­pen, Dei­ne Au­gen un­ter mei­nen Au­gen. Und dann hät­te ich mich vor Wut aus dem Fens­ter stür­zen kön­nen, wenn ich dar­an dach­te, dass Du zu die­ser Zeit ne­ben ihm ruh­test, ihm ganz zu ei­gen wärst …«



Jo­han­na hielt ver­ständ­nis­los inne. Was war das? An wen, für wen, von wem wa­ren die­se Lie­bes­be­teue­run­gen?



Wie­der fort­fah­rend fand sie stets wie­der die­se wahn­wit­zi­gen Lie­bes­schwü­re, die­se Stell­dich­eins mit Mah­nun­gen zur Vor­sicht, und stets zum Schluss die fünf Wor­te: »Ver­bren­ne vor al­lem die­se Zei­len!«



End­lich öff­ne­te sie ein nichts­sa­gen­des Bil­let, eine ein­fa­che Zu­sa­ge zu ei­nem Di­ner, aber mit der­sel­ben Hand­schrift und »Paul d’En­ne­ma­re« un­ter­zeich­net. Es war der­sel­be, den der Baron im­mer »mein gu­ter al­ter Paul« nann­te, wenn er von ihm sprach, und des­sen Gat­tin die in­tims­te Freun­din der Baro­nin ge­we­sen war.



Jo­han­na’s Zwei­fel wur­den jetzt plötz­lich zur vol­len Ge­wiss­heit. Ihre Mut­ter hat­te einen Lieb­ha­ber ge­habt?



Und mit ei­nem hef­ti­gen Ruck schleu­der­te sie die­se schänd­li­chen Pa­pie­re von sich wie ein gif­ti­ges Rep­til, das sich an ihr em­por­ge­wun­den hat­te. Sie lief an’s Fens­ter und wein­te bit­ter­lich, wo­bei ein hef­ti­ges Schluch­zen ihr die Keh­le zu­schnür­te. Dann brach sie ganz ver­nich­tet am Fuss der Fens­ter­brüs­tung nie­der und ver­barg ihr Ge­sicht in den Vor­hän­gen, da­mit man ihre Seuf­zer nicht hör­te. So wein­te sie in tiefs­ter Verzweif­lung bit­ter­lich vor sich hin.



Sie wür­de viel­leicht die gan­ze Nacht so zu­ge­bracht ha­ben, wenn nicht das Geräusch von Schrit­ten im Zim­mer ne­ben­an sie mit ei­nem Sat­ze auf­sprin­gen las­sen. War das etwa ihr Va­ter? Und alle die­se Brie­fe la­gen auf dem Bett und auf dem Fuss­bo­den zer­streut! Er brauch­te nur einen der­sel­ben zu öff­nen, um al­les zu wis­sen! Er!



Sie stürz­te vor­wärts und raff­te has­tig alle die­se gel­ben Pa­pie­re zu­sam­men, die Brie­fe der Gro­ß­el­tern wie des Lieb­ha­bers, die, wel­che sie schon ge­le­sen hat­te und jene, die noch un­be­rührt in der Schieb­la­de la­gen, um sie in den Ka­min zu wer­fen. Dann nahm sie eine der bren­nen­den Ker­zen vom Tisch und ent­zün­de­te den Pa­pier­sto­ss. Eine hel­le Flam­me zün­gel­te em­por, und be­leuch­te­te das Zim­mer, das Bett und den Leich­nam mit leb­haf­ten auf- und ab­tan­zen­dem Lich­te, das mit schwar­zen Um­ris­sen auf dem wei­ßen Vor­hange hin­ter dem Bet­te das zit­tern­de Pro­fil des star­ren Ant­lit­zes und die Li­ni­en des mäch­ti­gen Kör­pers un­ter den Bett­tü­chern ab­zeich­ne­te.



Als nur noch ein Häuf­lein Asche auf dem Bo­den des Ka­mins lag, kehr­te sie zu­rück und setz­te sich an’s of­fe­ne Fens­ter, als wenn sie nicht mehr wag­te in der Nähe der To­ten zu sein. Das Ge­sicht in den Hän­den be­gann sie aufs Neue zu wei­nen.



»O, mei­ne arme Mama, mei­ne arme Mama!« seufz­te sie un­auf­hör­lich mit ver­zweif­lungs­vol­lem Kla­ge­laut.



In die­ser un­glück­li­chen Stun­de wur­de ein gu­tes Teil der Kin­des­lie­be in ih­rem Her­zen aus­ge­löscht. Die Kennt­nis von dem Ge­heim­nis ih­rer Mut­ter wirk­te wie ein kal­ter Was­ser­strahl auf ihr Ge­müt.



Als Ju­li­us spä­ter noch­mals er­schi­en, und sie auf­for­der­te, doch et­was zu schla­fen, sträub­te sie sich nicht. Mit ei­nem letz­ten Kuss auf die blei­che kal­te Stirn der To­ten ver­liess sie das Zim­mer.



Der Baron kam am Abend des nächs­ten Ta­ges; sei­ne Trä­nen flos­sen un­auf­halt­sam.



Die Teil­nah­me am Be­gräb­nis­se war eine aus­ser­ge­wöhn­li­che und mit ho­her Be­frie­di­gung sah Ju­li­us, dass von dem gan­zen Adel der Um­ge­gend kein ein­zi­ger fehl­te. Die Mar­qui­se de Cou­te­lier hat­te so­gar Jo­han­na wie­der­holt um­armt und ge­küsst.



Tan­te Li­son, die gleich­falls ge­kom­men war, blieb mit Gil­bert wäh­rend der Fei­er­lich­keit bei Jo­han­na. »Mein ar­mes, teu­res Herz« sag­te die Grä­fin im­mer wie­der un­ter Küs­sen und Trä­nen zu der völ­lig ge­bro­che­nen Toch­ter.



Als der Graf vom Be­gräb­nis­se zu­rück­kehr­te, wein­te er, als habe er sei­ne ei­ge­ne Mut­ter zur Ruhe ge­bet­tet.



*




X.



Trau­ri­ge Tage wa­ren es, die die­sem Er­eig­nis­se folg­ten; dop­pelt trau­rig für Jo­han­na, die un­ter den Erin­ne­run­gen der letz­ten Nacht bei der to­ten Mut­ter ent­setz­lich litt. Dazu er­krank­te Paul; und wenn er auch wie­der ge­nas, so ver­folg­te sie doch stets der Ge­dan­ke, dass er ihr ein­mal durch den Tod ent­ris­sen wer­den könn­te. In ih­rem Her­zen er­wach­te die Sehn­sucht nach ei­nem zwei­ten Kin­de; aber sie leb­te von Ju­li­us ge­trennt, seit­dem sie Kennt­nis von sei­ner aber­ma­li­gen Un­treue hat­te. Und doch wuchs ihre Sehn­sucht von Tag zu Tag.



Ihr Va­ter war wie­der ab­ge­reist; die Mut­ter tot. Wem soll­te sie sich an­ver­trau­en? End­lich be­schloss sie sich dem Abbé Pi­cot in der Beich­te ih­ren Wunsch zu be­ken­nen. Der wa­cke­re Mann hör­te sie mit ei­nem ge­wis­sen Er­stau­nen an, das nur zu be­greif­lich war. wenn er an die Ge­wohn­hei­ten und die rück­sichts­lo­se Sinn­lich­keit sei­ner länd­li­chen Beicht­kin­der dach­te. Aber er war doch zart­füh­lend ge­blie­ben, in­mit­ten die­ser Na­tur­kin­der und sag­te ihr trös­tend zum Ab­schied: »Ver­las­sen Sie sich auf mich; ich wer­de mit Ju­li­us re­den.« Und we­ni­ge Tage dar­auf leb­ten sie wie­der ver­eint, wie in der ers­ten Zeit.



Aber Ju­li­us übte sei­ne Pf­lich­ten nur halb aus; sei­ne Sor­ge, dass Jo­han­na aber­mals Mut­ter wür­de, konn­te er schliess­lich vor die­ser selbst nicht ver­heh­len. Ver­geb­lich ver­dop­pel­te sie ihre Zärt­lich­keit um ihn zu ver­lei­ten, sei­ne Selbst­be­herr­schung auf­zu­ge­ben. Er blieb in­des­sen stets zu­rück­hal­tend und wuss­te je­den Er­folg ih­res ehe­li­chen Zu­sam­men­le­bens zu ver­mei­den.



Da be­schloss sie, un­fä­hig ihr hef­ti­ges Ver­lan­gen nach ei­nem Kin­de län­ger zu be­meis­tern, aber­mals Abbé Pi­cot auf­zu­su­chen. Er wuss­te Rat. »Es gibt nur ein Mit­tel, lie­bes Kind«; sag­te er nach ei­ni­gem Be­sin­nen. »Sie brin­gen ihm die Über­zeu­gung bei, dass Sie sich aber­mals Mut­ter füh­len. Dann wird er sei­ne Vor­sicht ver­ges­sen.« Jo­han­na er­rö­te­te; aber er wuss­te ihre Zwei­fel zu zer­streu­en. »Die Kir­che kann die Zu­rück­hal­tung des Gat­ten nicht bil­li­gen; Sie ha­ben ein Recht, ihn zu sei­ner Pf­licht zu­rück­zu­füh­ren.«

 



Ju­li­us ließ sich wirk­lich täu­schen. Ein­mal über­zeugt, ver­lor er die lan­ge be­währ­te Selbst­be­herr­schung und Jo­han­na sah sich nach Ver­lauf ei­nes Mo­nats am Ziel ih­rer Wün­sche. Von da an schloss sie abends ihre Türe und ge­lob­te aus Dank­bar­keit dem Him­mel eine ewi­ge Keusch­heit.



Ge­gen Ende des Mo­nats kam der gute Abbé Pi­cot und stell­te sei­nen Nach­fol­ger, den Abbé Tol­biac, vor. Es war dies ein noch jun­ger, klei­ner, sehr ma­ge­rer Pries­ter, des­sen tief­lie­gen­de schwarz­ge­rän­der­te Au­gen ein lei­den­schaft­li­ches Ge­müt ver­kün­de­ten. Abbé Pi­cot war Dechant in Go­der­ville ge­wor­den.



Der Ab­schied moch­te ihm so schwer wer­den wie Jo­han­na. Als die Rede auf die ei­gen­ar­ti­ge Mora­li­tät sei­ner Pfarr­kin­der kam, be­merk­te der Pfar­rer brüsk: »Das wird un­ter mir an­ders wer­den.« Und hier­bei blieb er trotz al­ler ver­nünf­ti­gen Vor­stel­lun­gen des al­ten er­fah­re­nen Man­nes. Un­ter Trä­nen emp­fing Jo­han­na des­sen Ab­schieds­kuss.



Bald be­gann der Abbé Tol­biac mit sei­nen Re­for­men. Jo­han­na beug­te sich sei­nem fes­ten Cha­rak­ter, sei­nem bren­nen­den Ei­fer und wur­de eine re­gel­mäs­si­ge Be­su­che­rin der Kir­che und ih­rer Fes­te.



Aber die gan­ze Ge­mein­de hass­te den neu­en Pfar­rer, der mit rück­sichts­lo­ser Stren­ge auf der Kan­zel wie im Beicht­stuhl das lo­cke­re Le­ben der Pfarr­kin­der ver­damm­te, der so­gar schliess­lich die Schul­di­gen öf­fent­lich in der Pre­digt beim Na­men nann­te. Bald blie­ben sämt­li­che Bur­schen aus der Ge­mein­de der Kir­che fern. Im Schlos­se da­ge­gen war Abbé Tol­biac ein gern ge­se­he­ner Gast. So­gar Ju­li­us be­han­del­te ihn mit großer Ach­tung und ließ kei­nen Fest­tag vor­über­ge­hen ohne zu beich­ten und zu kom­mu­ni­zie­ren.



Er war jetzt fast täg­lich bei den Four­vil­les, um ent­we­der mit dem Gra­fen zu ja­gen oder mit der Grä­fin aus­zu­rei­ten. »Sie sind när­risch die bei­den, mit ih­rer Rei­te­rei«; sag­te der Graf, »aber es be­kommt mei­ner Frau so gut.«



Ge­gen Mit­te No­vem­ber kehr­te der Baron zu­rück, sehr ge­al­tert un­ter der Trau­er um die ver­lo­re­ne Gat­tin. Ob­gleich Jo­han­na ihm nichts von ih­rem en­gen Ver­kehr mit dem neu­en Pfar­rer sag­te, so fass­te er doch schon gleich nach der ers­ten Be­kannt­schaft eine in­stink­ti­ve Ab­nei­gung ge­gen den­sel­ben, die bald in of­fe­nen Hass über­ging. Sei­nem phi­lo­so­phisch an­ge­leg­ten Ge­mü­te, sei­ner na­tür­li­chen Nach­sicht und Mil­de wi­der­streb­te der Ze­lo­tis­mus die star­re Stren­ge, die aus dem gan­zen We­sen des Abbé Tol­biac sprach.



Auch der Pries­ter fühl­te recht gut, wie we­nig ihm der Baron ge­neigt war. Aber er woll­te sei­nen Ein­fluss im Schlos­se nicht ver­lie­ren und be­herrsch­te sich in dem Ge­füh­le, dass er end­lich doch Sie­ger blei­ben wer­de.



Ein an­de­rer Ge­dan­ke be­herrsch­te ihn jetzt ganz: Ein Zu­fall hat­te ihn das Ge­heim­nis zwi­schen Ju­li­us und Gil­ber­te ent­de­cken las­sen. Die­sem ein Ende zu ma­chen, war sein fes­ter Ent­schluss. Er zog Jo­han­na ins Ver­trau­en und ver­band sich mit ihr, um »zwei See­len vom Tode zu ret­ten.«



»Es ist eine pein­li­che Pf­licht für mich«; sag­te er, als Jo­han­na schwank­te, »aber ich muss sie er­fül­len. Was ge­den­ken Sie Ih­rer­seits zu tuen?«



»Was soll ich ma­chen, Herr Abbé?« stam­mel­te sie. »Sie müs­sen die­se schänd­li­che Nei­gung durch­kreu­zen.« Ver­geb­lich such­te Jo­han­na ihm vor­zu­stel­len, wie sie ih­rem Man­ne ge­gen­über macht­los sei. Er wur­de im­mer er­reg­ter und ver­wies sie auf ihre Pf­licht als Chris­tin, als Gat­tin, als Mut­ter. »Ver­las­sen Sie die­ses ent­weih­te Haus, wenn es nicht an­ders geht,« rief er schliess­lich aus. »Oder be­sit­zen Sie nicht den Mut dazu? Wohl­an so ha­ben Sie An­teil an der Schuld und sind un­wür­dig der Gna­de Got­tes.«



»Ach ver­las­sen Sie mich nicht, ich be­schwö­re Sie«; rief Jo­han­na in die Knie sin­kend, »ra­ten Sie mir.«



»So öff­nen Sie Graf Four­ville die Au­gen. An ihm ist es dann, der Sa­che ein Ende zu ma­chen,« sprach er mit har­tem Tone.



»Aber es wür­de sie bei­de tö­ten! Und ich soll eine De­nun­zi­an­tin sein? Nie­mals.«



»Wohl­an so ist mei­ne Mis­si­on hier zu Ende. Ich muss Sie Ih­rer Schan­de und Ih­rer Sün­de über­las­sen.«



Ver­ge­bens bat und fleh­te Jo­han­na. Er ver­liess zorn­be­bend das Haus. An dem Pacht­hof der Couil­lards vor­bei­kom­mend, ge­wahr­te er eine An­zahl Kin­der, die ver­gnügt zu­schau­ten wie Mir­za, des Päch­ters Hün­din eine An­zahl Jun­ge warf. Em­pört jag­te er die Kin­der mit sei­nem großen Re­gen­schirm aus­ein­an­der, den er er­bar­mungs­los auf ihre Schul­tern nie­der­sau­sen ließ. Plötz­lich fühl­te er sich von rück­wärts er­grif­fen und un­sanft zum Tore hin­aus­ge­setzt. Es war der Baron, der hin­zu­ge­kom­men war und des­sen Hass hier end­lich Ge­le­gen­heit zur Be­tä­ti­gung fand.



Als der Pfar­rer am nächs­ten Sonn­ta­ge von der Kan­zel aus mit ei­ner deut­li­chen An­spie­lung auf Schloss Peup­les von der man­geln­den Ach­tung vor dem geist­li­chen Stan­de und mit ei­ner noch deut­li­che­ren An­spie­lung von ehe­bre­che­ri­schen Ver­hält­nis­sen sprach, wur­de es selbst Ju­li­us zu viel. Er schrieb in ge­zie­men­der Wei­se dem Bi­schof und Abbé Tol­biac wur­de zur Ruhe ver­wie­sen.



Aber es war die Ruhe vor dem Stur­me. Hin und wie­der, wenn Gil­ber­te und Ju­li­us aus­rit­ten, sa­hen sie durch ein Ge­büsch die schwar­ze Su­ta­ne des Pfar­rers schim­mern. Und ei­nes Ta­ges als sie nach Vri­let­te zu­rück­kehr­ten, be­geg­ne­te ih­nen der Abbé Tol­biac auf der Zug­brücke.



Eine selt­sa­me Un­ru­he über­kam sie; aber bald hat­ten sie das Er­eig­nis wie­der ver­ges­sen.



Da ei­nes Nach­mit­tages, als Jo­han­na le­send am Fens­ter sass, be­merk­te sie Graf Four­ville, der zu Fuss her­an­kam. Sein Gang war so ei­lig, dass sie ein Un­glück be­fürch­te­te. Sie eil­te hin­un­ter, um ihn zu emp­fan­gen. Sein Aus­se­hen war das ei­nes Wahn­sin­ni­gen. »Ist mei­ne Frau hier?« stiess er rau her­vor. »Nein«, ant­wor­te­te Jo­han­na den Kopf ver­lie­rend, »ich habe sie heu­te noch nicht ge­se­hen.« Die Wir­kung die­ser Wor­te war er­schüt­ternd. Der Rie­se schi­en zu­sam­men­zu­kni­cken; er nahm den Hut ab, wisch­te sich den Schweiß von der Stirn. Sei­ne Au­gen roll­ten. Er hat­te den Mund ge­öff­net, wie um zu spre­chen; aber kein Ton drang her­vor. End­lich wand­te er sich um und rann­te mit ei­nem Wut­schrei dem Mee­re zu.



Ei­nen Au­gen­blick lief Jo­han­na ihm nach, ihn bit­tend und be­schwö­rend; er hör­te sie nicht. End­lich gab sie ihre Be­mü­hun­gen auf, als sie ihn mit Rie­sen­schrit­ten der Küs­te zu­ei­len sah. Von qual­vol­ler Angst ge­pei­nigt, kehr­te sie ins Haus zu­rück.



Der Wind war in­zwi­schen im­mer hef­ti­ger ge­wor­den. Sto­ss um Sto­ss weh­te er vom Mee­re her­über, schüt­tel­te das jun­ge Grün der Bäu­me und ließ das Gras in selt­sa­men Ge­wim­mel auf- und ab­wo­gen. Wei­ße Mö­ven saus­ten wie Schaum­flo­cken durch die Luft. Ein Ha­gel­schau­er folg­te und große Kör­ner peitsch­ten das Ge­sicht des Gra­fen, der un­be­küm­mert um al­les dem Tale von Vau­cot­te zu­eil­te. Zwei Pfer­de, die an ei­nem Schä­fer­kar­ren an­ge­bun­den wa­ren, zeig­te ihm al­les.



Er duck­te sich nie­der und wie der Jä­ger beim An­blick des Wil­des, pürsch­te er sich auf dem Bau­che an den Kar­ren her­an. Mit sei­nem rie­si­gen Kör­per glich er ei­nem Un­tier, das auf Tod und Ver­der­ben sinnt. Jetzt war er un­ter dem Kar­ren an­ge­langt. Die Pfer­de wur­den un­ru­hig. Ein Schnitt mit sei­nem schar­fen Waid­mes­ser trenn­te das Rie­men­zeug. Als ein neu­er Wind­sto­ss das Dach des Kar­rens er­zit­tern ließ, rann­ten die er­schreck­ten Tie­re wie ge­hetz­tes Wild da­von. Lei­se leg­te der Rie­se sein Ohr an die Tür; dann lug­te er durch eine schma­le