Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Zwei große Fäs­ser, durch Fa­ckeln be­leuch­tet, sorg­ten für den Durst der Men­ge. Die bei­den Mäg­de, wel­che die­sel­ben be­dien­ten, lie­fen un­auf­hör­lich hin und her, den Arm voll trop­fen­der Glä­ser, die sie ent­we­der mit ro­tem Wein oder mit gold­glän­zen­dem rei­nen Ci­der füll­ten. Die durs­ti­gen Tän­zer, die ru­hig da­sit­zen­den Al­ten eben­so wie die schweiß­trie­fen­den Jun­gen be­eil­ten sich, mit aus­ge­streck­ten Hän­den ein Glas oder einen Krug zu er­wi­schen und sich mit zu­rück­ge­bo­ge­nem Kop­fe ihr Lieb­lings­ge­tränk schluck­wei­se durch die Keh­le rin­nen zu las­sen.

Auf ei­nem Ti­sche wa­ren Brot, But­ter, Käse und Würst­chen auf­ge­stellt. Von Zeit zu Zeit hol­te sich je­der einen tüch­ti­gen Bis­sen; und die­ses mun­te­re Trei­ben un­ter dem grü­nen Laub­dach in sei­ner ge­sun­den Na­tür­lich­keit er­weck­te selbst in den Ge­la­de­nen oben im Saa­le die Lust, ein Tänz­chen zu ma­chen, und zu Brot und Käse einen Krug vom köst­li­chen Ci­der zu schlür­fen.

»Tau­send auch!« rief der Maire, der mit sei­nem Mes­ser den Takt schlug, »das ist präch­tig, wie bei der Hoch­zeit zu Ga­na­ga.«

Al­les lach­te laut.

»Sie mei­nen die Hoch­zeit zu Kanaa« sag­te Abbé Pi­cot, ein ab­ge­sag­ter Feind al­ler Zi­vil-Be­hör­den.

Der an­de­re aber woll­te die Be­leh­rung nicht gel­ten las­sen.

»Nein, Herr Pfar­rer, ich weiß schon Be­scheid; wenn ich sage Ga­na­ga, so mei­ne ich Ga­na­ga.«

Man er­hob sich und ging in den Sa­lon. Dann misch­te man sich für eine Wei­le un­ter die fröh­li­che Men­ge, bis die Ge­la­de­nen sich ent­fern­ten.

Der Baron und die Baro­nin führ­ten lei­se einen klei­nen Streit mit­ein­an­der. Ma­da­me Ade­laï­de, atem­lo­ser wie je, schi­en auf einen Wunsch ih­res Gat­ten nicht ein­ge­hen zu wol­len; end­lich sag­te sie halb­laut: »Nein, lie­ber Freund, ich kann nicht. Ich wüss­te nicht, wie ich es ma­chen soll­te.«

Hier­auf nä­her­te sich der Papa, in­dem er sie ein­fach ste­hen ließ, sei­ner Toch­ter.

»Willst Du einen klei­nen Spa­zier­gang mit mir ma­chen, mein Kind?« frag­te er.

»Gern, Papa« ant­wor­te­te sie be­wegt. Sie gin­gen hin­aus.

Als sie vor die Türe nach der Mee­res­sei­te zu tra­ten, weh­te ih­nen ein tro­ckener Wind ent­ge­gen, ei­ner je­ner küh­len Som­mer­win­de, wel­che schon das Na­hen des Herbs­tes ver­kün­den.

Wol­ken jag­ten am Him­mel vor­über und ver­deck­ten für ei­ni­ge Au­gen­bli­cke die Ster­ne.

Der Baron nahm sei­ne Toch­ter un­term Arm und drück­te zärt­lich ihre Hand. So gin­gen sie ei­ni­ge Au­gen­bli­cke schweig­sam ne­ben ein­an­der. Er schi­en ver­le­gen und un­ent­schlos­sen.

»Mein Kind«, be­gann er end­lich, »ich habe eine schwie­ri­ge Auf­ga­be über­nom­men, die ei­gent­lich Dei­ner Mut­ter zu­käme. Da sie sich aber nicht dazu im­stan­de fühlt, so muss ich sie ver­tre­ten. Es gibt Ge­heim­nis­se, die man Kin­dern, na­ment­lich Mäd­chen, sorg­fäl­tig ver­birgt. Denn ge­ra­de letz­te­re sol­len rei­nen, ab­so­lut rei­nen Geis­tes bis zu der Stun­de blei­ben, wo sie den Hän­den des­sen über­ge­ben wer­den, der von da an für ihr Glück Sor­ge zu tra­gen hat. Ihm kommt es zu, den Schlei­er zu lüf­ten, der über das süs­ses­te Ge­heim­nis des Le­bens ge­brei­tet ist. Die jun­gen Mäd­chen aber, je ah­nungs­lo­ser sie sind, schre­cken umso eher manch­mal vor der et­was rau­en Wirk­lich­keit zu­rück, wel­che die Er­fül­lung ih­rer Träu­me mit sich bringt. Sie füh­len sich geis­tig und kör­per­lich ver­letzt und ver­wei­gern ih­rem Gat­ten das, was mensch­li­ches und na­tür­li­ches Ge­setz ihm als ab­so­lu­tes Recht ein­räu­men. Mehr kann ich Dir nicht dar­über sa­gen; aber ver­giss das eine, nur das eine nicht: dass Du ganz und gar Dei­nem Man­ne an­ge­hörst.«

Was wuss­te sie nun ei­gent­lich? Wie viel hat­te sie er­ra­ten? Sie be­gann zu zit­tern; eine düs­te­re schmerz­li­che Trau­rig­keit wie eine Art Vorah­nung hat­te sie er­grif­fen.

Als sie ins Haus zu­rück­kehr­ten, blie­ben sie über­rascht un­ter der Türe des Sa­lons ste­hen. Ma­da­me Ade­laï­de hing an Ju­li­us Hal­se und schluchz­te herz­zer­bre­chend. Al­les an ihr schi­en Trä­nen aus­zu­strö­men, Nase, Mund und Au­gen; und der jun­ge Mann hat­te in sei­nem Er­stau­nen alle Mühe, die star­ke Dame zu stüt­zen, wel­che ihm in die Arme ge­sun­ken war, um ihm die Sor­ge für ihr Klein­od, ihr Herz­blatt, ihr an­ge­be­te­tes Kind, auf die See­le zu bin­den.

»Ach, nur kei­ne Sze­ne!« sag­te der Baron rasch vor­tre­tend, »ich bit­te drum.« Er nahm sei­ne Gat­tin und führ­te sie zu ei­nem Ses­sel, wäh­rend sie sich das Ge­sicht ab­wisch­te.

»Komm mein Kind«, wand­te er sich als­dann zu Jo­han­na, »gib Mama einen Kuss und geh’ zu Bett.«

Jo­han­na hielt die gleich­falls dro­hen­den Trä­nen zu­rück, küss­te schnell ihre El­tern und ver­liess das Zim­mer.

Tan­te Li­son hat­te sich schon auf ihr Zim­mer zu­rück­ge­zo­gen. Der Baron und die Baro­nin blie­ben mit Ju­li­us al­lein. Alle drei wa­ren so ver­le­gen, dass sie kein Wort spra­chen. Die Her­ren stan­den zer­streut da in ih­rer Di­ner-Toi­let­te, wäh­rend Ma­da­me Ade­laï­de ganz er­schöpft, noch die letz­ten Trä­nen auf den Wan­gen, in ih­rem Ses­sel lag.

Um der Ver­le­gen­heit ein Ende zu ma­chen, be­gann der Baron von der Rei­se zu spre­chen, wel­che die jun­gen Leu­te nach ei­ni­gen Ta­gen un­ter­neh­men soll­ten.

Jo­han­na ließ sich in ih­rem Zim­mer durch Ro­sa­lie aus­klei­den, die wie ein Was­ser­fall wein­te. Ihre Hän­de wa­ren un­ge­schickt; sie fand sich mit Schnü­ren und Hef­teln nicht zu­recht und schi­en noch in viel grös­se­rer Ge­müts­be­we­gung wie ihre Her­rin. Aber Jo­han­na ach­te­te nicht auf die Trä­nen ih­rer Kam­mer­jung­fer; sie war wie auf ei­ner an­de­ren Welt, in ei­nem frem­den Land, ge­trennt von al­lem, was ihr bis da­hin lieb und teu­er ge­we­sen war. In ih­rem Den­ken und Füh­len schi­en al­les so durch­ein­an­der zu sein, dass sie sich so­gar frag­te, ob sie ei­gent­lich ih­ren Gat­ten lie­be. Er schi­en ihr jetzt plötz­lich ein Frem­der zu sein, den sie kaum vor­her ge­kannt hat­te. Vor drei Mo­na­ten wuss­te sie noch nichts von sei­ner Exis­tenz und jetzt war sie schon sei­ne Frau. Wie kam das ei­gent­lich? Wa­rum so schnell in die Ehe stür­zen, wie in ein Loch, das sich plötz­lich zu un­sern Füs­sen öff­net?

Als sie ihre Nacht­toi­let­te be­en­det hat­te, schlüpf­te sie ins Bett. Die frisch über­zo­ge­nen Lein­tü­cher ver­ur­sach­ten ihr einen leich­ten Schau­er und ver­mehr­ten das Ge­fühl der Käl­te, der Ein­sam­keit und Trau­rig­keit, wel­ches seit zwei Stun­den auf ih­rer See­le las­te­te.

Ro­sa­lie ent­fern­te sich, noch ganz in Trä­nen ge­ba­det. Ängst­lich und mit krampf­haf­tem See­len­schmerz er­war­te­te sie das, was sie halb und halb aus den dunklen An­deu­tun­gen ih­res Va­ters er­ra­ten hat­te, die Ent­hül­lung des­sen, was man das große Ge­heim­nis der Lie­be nennt.

Drei leich­te Schlä­ge er­tön­ten an der Türe, ohne dass sie je­mand hat­te die Trep­pe her­auf­kom­men hö­ren. Sie fing hef­tig an zu zit­tern und wag­te nicht zu ant­wor­ten. Es klopf­te aber­mals und dann wur­de die Tür ge­öff­net. Sie steck­te den Kopf un­ter die De­cke, wie wenn ein Dieb in ihr Zim­mer ge­schli­chen käme. Leich­te Schrit­te tön­ten auf dem Fuss­bo­den, und dann stand je­mand plötz­lich an ih­rem Bett.

Sie stiess vor Er­re­gung einen klei­nen Schrei aus, und als sie den Kopf her­vor­streck­te, sah sie Ju­li­us ne­ben sich ste­hen. Er schau­te sie lä­chelnd an.

»Ach, wie Sie mich ge­ängs­tigt ha­ben!« sag­te sie.

»Ha­ben Sie mich denn nicht er­war­tet?« frag­te er.

Sie ant­wor­te­te nicht. Er war noch voll­stän­dig in sei­ner Fest­toi­let­te; als sie in sein hüb­sches Ge­sicht schau­te, fühl­te sie plötz­lich eine große Scham dar­über, vor die­sem ganz an­ge­zo­ge­nen Man­ne so leicht be­klei­det da­zu­lie­gen.

Sie wuss­ten bei­de nicht, was sie sa­gen oder tuen soll­ten; sie wag­ten nicht ein­mal, sich an­zu­se­hen. So sehr fühl­ten bei­de in­stink­tiv den Ernst die­ser ent­schei­den­den Stun­de, von der ja so oft das Glück ei­nes gan­zen Le­bens ab­hängt.

Er hat­te so eine un­be­stimm­te Ah­nung, wel­che Ge­fahr für ihn dar­in­lag, wenn er sei­ne Selbst­be­herr­schung ver­lor. Er wür­de sei­ne gan­ze wohl­er­wo­ge­ne Zärt­lich­keit auf­bie­ten müs­sen, um nicht das pein­li­che Zart­ge­fühl und die keu­sche Scham­haf­tig­keit ei­nes nur von idea­len Träu­men er­füll­ten jung­fräu­li­chen Ge­mü­tes zu ver­let­zen.

Sanft nahm er ihre Hand und küss­te sie; dann knie­te er vor ih­rem Bett wie vor ei­nem Al­tar nie­der und flüs­ter­te mit lei­ser zärt­li­cher Stim­me:

»Wer­den Sie mir Ihre Lie­be schen­ken?«

Sie ge­wann ihre Si­cher­heit lang­sam wie­der, hob das Köpf­chen aus dem spit­zen­be­deck­ten Kis­sen und sag­te lä­chelnd:

»Ich lie­be Sie ja schon längst, mein Freund!«

Da nahm er die klei­nen zar­ten Fin­ger sei­ner Frau an die Lip­pen und frag­te sie zärt­li­cher noch als vor­her:

»Wol­len Sie mir auch den Be­weis Ih­rer Lie­be ge­ben?«

Sei­ne Stim­me klang ganz ver­än­dert, als er so zwi­schen ih­ren Fin­gern hin­durch frag­te.

»Ich ge­hö­re Ih­nen ja, lie­ber Freund!« ant­wor­te­te sie aufs Neue ver­wirrt durch sei­ne Fra­ge, wel­che, ohne dass sie die­sel­be ganz ver­stand, ihr doch die Wor­te des Va­ters ins Ge­dächt­nis zu­rück­rief.

Er be­deck­te im­mer wie­der ihre Hand mit Küs­sen und, in­dem er lang­sam auf­stand, such­te er sich ih­rem Ant­litz zu nä­hern, das sie aufs Neue zu ver­ber­gen streb­te.

Dann streck­te er plötz­lich einen Arm aus, um­schlang sei­ne Frau mit­samt der Bett­de­cke und schob den an­de­ren Arm un­ter das Kopf­kis­sen. So zog er sie lang­sam an sich und flüs­ter­te ihr lei­se, ganz lei­se zu:

 

»Wür­den Sie mir dann auch ein klei­nes Plätz­chen in Ihrem Bet­te gön­nen?«

Sie emp­fand Furcht, eine in­stink­ti­ve Furcht:

»Ach, jetzt noch nicht, ich bit­te Sie«, stam­mel­te sie.

Er war sicht­lich über­rascht, ein we­nig ver­letzt so­gar; und wenn er den bit­ten­den Ton auch bei­be­hielt, so klang es doch et­was rau­er, als er jetzt sag­te:

»Wa­rum et­was ver­schie­ben, was wir doch schliess­lich alle Tage so ma­chen wer­den?«

Sie är­ger­te sich über die­se Wor­te; aber schliess­lich sag­te sie doch zum zwei­ten Male sanft und er­ge­ben:

»Ich ge­hö­re Ih­nen ja, lie­ber Freund!«

Da ver­schwand er schnell im An­klei­de­zim­mer. Sie hör­te deut­lich und mit ängst­li­chen Schau­ern das Geräusch ab­ge­leg­ter Klei­der, das Klin­gen von Geld, das er aus der Ta­sche nahm, das Fal­len der aus­ge­zo­ge­nen Schu­he.

Und plötz­lich kam er in Un­ter­klei­dern und Pan­tof­feln rasch durch das Zim­mer ge­gan­gen, um sei­ne Uhr auf den Ka­min zu le­gen. Dann kehr­te er has­tig ins Ne­ben­ge­mach zu­rück, ver­weil­te noch ei­ni­ge Au­gen­bli­cke und … Jo­han­na wand­te sich rasch auf die Sei­te und schloss die Au­gen, als sie sein Na­hen be­merk­te.

Sie fühl­te eine Re­gung aus dem Bett zu sprin­gen, als er jetzt rasch un­ter die De­cke schlüpf­te und sie die Berüh­rung ei­nes frem­den, kal­ten und haa­ri­gen Kör­pers an dem ih­ri­gen spür­te. Ent­setzt, das Ge­sicht mit den Hän­den be­de­ckend, hät­te sie am Liebs­ten laut schrei­en mö­gen und sie zog sich ganz an das Ende des Bet­tes zu­rück.

Ob­schon sie ihm den Rücken dreh­te, schloss er sie doch in sei­ne Arme und küss­te sie hef­tig auf den Na­cken, wo­bei er die Bän­der ih­rer Nacht­hau­be und den Spit­zen­be­satz ih­res Hem­des zu­rück­schob.

Selbst als sie be­merk­te, wie sei­ne Hand be­gie­rig nach ih­rem Bu­sen tas­te­te, reg­te sie sich nicht, von ei­ner ent­setz­li­chen Furcht ge­lähmt. Sie at­me­te schwer un­ter die­ser un­ge­wohn­ten Berüh­rung, bei der sie am liebs­ten aus dem Zim­mer ge­flüch­tet wäre, um sich ir­gend­wo, fern von die­sem Man­ne, ein­zu­sch­lies­sen.

Er aber wich nicht von der Stel­le. Sie fühl­te die Wär­me sei­nes Kör­pers, sie be­merk­te, wie er sei­ne Zärt­lich­kei­ten ver­dop­pel­te und schliess­lich merk­te sie, dass ihr doch nichts üb­rig blei­ben wür­de, als sich um­zu­wen­den und ihn wie­der zu küs­sen.

Denn er be­gann be­reits un­ge­dul­dig zu wer­den und sag­te mit trau­ri­gem Tone:

»Sie wol­len also nicht mei­ne klei­ne lie­be Frau sein?«

»Bin ich das denn nicht schon?« mur­mel­te sie kaum hör­bar.

»Nein, durch­aus nicht,« ant­wor­te­te er mit ei­nem An­flug von Herb­heit, »ich glau­be, Sie hal­ten mich zum Bes­ten.«

Ganz er­grif­fen vom Ton sei­ner Stim­me wand­te sie sich plötz­lich zu ihm um und bat ihn um Ver­zei­hung.

Er nahm sie nun vollends in sei­ne Arme und be­gann wie ein Ra­sen­der sie mit Küs­sen zu be­de­cken. Kei­ne Stel­le an ih­rem gan­zen Ge­sicht blieb von die­sen heiss­hung­ri­gen, ver­zeh­ren­den, wü­ten­den Küs­sen un­be­rührt. Sie hat­te die Hän­de zu­rück­ge­zo­gen und er­gab sich wi­der­stands­los, ohne selbst zu wis­sen, was sie tat, sei­nen stür­mi­schen Lieb­ko­sun­gen. Ein tiefer Schmerz durch­drang ih­ren Kör­per, sie be­gann zu seuf­zen und er­wi­der­te leb­haft die Küs­se, vor de­nen sie vor­hin noch so sehr zu­rück­ge­schreckt war. Jetzt war sie Ju­li­us sei­ne Frau.

Was dann noch ge­sch­ah, ent­zog sich ih­rem Ge­dächt­nis­se, ihr Be­wusst­sein war ziem­lich ge­schwun­den; nur dun­kel er­in­ner­te sie sich noch, wie ihr Ju­li­us einen lan­gen in­ni­gen dank­ba­ren Kuss auf die Lip­pen drück­te.

Dann sprach er mit ihr und sie muss­te ihm ant­wor­ten. Nach ei­ni­ger Zeit be­gann er sei­ne Zärt­lich­kei­ten aufs Neue; aber sie sträub­te sich voll Scham, und wäh­rend sie sei­ne Umar­mung ab­wehr­te, fühl­te sie auf sei­ner Brust die dich­ten Haa­re, die sie schon vor­hin an sei­nen Bei­nen ge­spürt hat­te. Ent­setzt dreh­te sie sich um.

Er schi­en es schliess­lich leid zu sein, sich ver­geb­lich mit ihr zu be­mü­hen und blieb ru­hig lie­gen.

Dann dach­te sie nach. »Das also heisst sei­ne Frau sein; das also, nur das!« und die tiefs­te Verzweif­lung er­griff ihr Herz, als sie ihre Träu­me von in­nigs­ter Zärt­lich­keit so zer­stört, ihre teu­ers­ten Er­war­tun­gen ent­täuscht, ihr Glück ver­nich­tet sah.

Lan­ge lag sie so mit ih­rem Schmer­ze da, wäh­rend ihre Au­gen über die Sti­cke­rei­en an der Wand flo­gen, über die alte Lie­bes­ge­schich­te, mit der das gan­ze Zim­mer so­zu­sa­gen be­deckt war.

Aber als Ju­li­us nichts mehr sprach und ganz re­gungs­los dalag, wand­te sie lang­sam ih­ren Blick zu ihm und be­merk­te, dass er schlief. Er schlief mit halb­of­fe­nem Mun­de, sein Ant­litz zeig­te einen ru­hi­gen, zu­frie­de­nen Aus­druck. Er schlief also!

Sie konn­te es kaum glau­ben; sie fühl­te sich ver­letzt. Die­ser Schlaf be­frem­de­te sie noch mehr als sein Un­ge­stüm, sie fühl­te sich rück­sichts­los be­han­delt. Konn­te er denn wirk­lich in die­ser Nacht schla­fen? Für ihn hat­te also das, was zwi­schen ih­nen vor­ge­fal­len war, nichts Aus­ser­ge­wöhn­li­ches? Ach, sie hät­te sich lie­ber noch schla­gen las­sen, so fühl­te sie sich ver­letzt und ent­rüs­tet über die son­der­ba­ren Zärt­lich­kei­ten; und er schlief ganz ru­hig da­nach.

Auf einen El­len­bo­gen ge­stützt schau­te sie un­be­weg­lich zu ihm her­über und horch­te auf die tie­fen Atem­zü­ge, wel­che über sei­ne Lip­pen ka­men und schliess­lich in ein ziem­lich lau­tes Schnar­chen über­gin­gen.

Der Tag brach an, an­fangs un­be­stimmt däm­mernd, dann lich­ter, ro­si­ger und end­lich hell­strah­lend. Ju­li­us öff­ne­te die Au­gen, gähn­te, streck­te die Arme, sah sei­ne Frau an und frag­te lä­chelnd: »Hast Du gut ge­schla­fen, mein Herz?«

Sie be­merk­te, dass er jetzt »Du« zu ihr sag­te und ant­wor­te­te et­was ver­wirrt: »O ja, und Sie?«

»Ach, aus­ge­zeich­net« sag­te er. Und er wand­te sich zu ihr und küss­te sie; dann fing er ru­hig an zu plau­dern. Er setz­te ihr sei­ne Zu­kunfts­plä­ne aus­ein­an­der und sei­ne An­sich­ten über Spa­ren; letz­te­res Wort kam in sei­nen Aus­füh­run­gen öf­ters vor und mach­te Jo­han­na et­was er­staunt. Sie horch­te auf sei­ne Wor­te, ohne den Sinn rich­tig zu ver­ste­hen, sah ihn an, dach­te an tau­send ver­gan­ge­ne Din­ge, die ihm doch viel nä­her lie­gen muss­ten und ihn da­bei gar nicht zu be­rüh­ren schie­nen.

Es schlug acht Uhr.

»Jetzt müs­sen wir aber auf­ste­hen«, sag­te er, »man könn­te sich sonst lus­tig ma­chen, wenn wir so spät her­un­ter­kämen.«

Er stand zu­erst auf. Als er sei­ne Toi­let­te be­en­det hat­te, half er sorg­fäl­tig sei­ner Frau bei der ih­ri­gen und dul­de­te nicht, dass Ro­sa­lie ge­ru­fen wur­de.

Schon im Be­griff, her­aus­zu­ge­hen, blieb er noch­mals ste­hen:

»Wenn wir al­lein sind,« sag­te er, »kön­nen wir uns schon du­zen, weißt Du; aber in Ge­gen­wart der El­tern wol­len wir lie­ber noch et­was da­mit war­ten. Es macht sich von selbst, wenn wir von der Hoch­zeits­rei­se zu­rück­keh­ren.«

Sie zeig­te sich erst zur Stun­de des Früh­stücks.

Der Tag ver­lief im Üb­ri­gen, als hät­te sich in­zwi­schen nichts neu­es zu­ge­tra­gen. Nur eine Per­son mehr war im Hau­se; das war al­les.

*

V.

Vier Tage spä­ter fuhr die Post­kut­sche vor, in der sie die Rei­se nach Mar­seil­le an­tre­ten woll­ten.

Nach dem Schre­cken der ers­ten Nacht hat­te Jo­han­na sich schon mehr und mehr an das Zu­sam­men­le­ben mit Ju­li­us, an sei­ne Küs­se und zärt­li­chen Lie­bes­be­zeu­gun­gen ge­wöhnt, wenn auch ihr Wi­der­stre­ben ge­gen in­ti­me­re Be­zie­hun­gen sich im­mer noch nicht ver­lo­ren hat­te.

Sie fand ihn sehr schön und gut; sie lieb­te ihn von Her­zen. Im Gan­zen fühl­te sie sich glück­lich und zu­frie­den.

Der Ab­schied war kurz und ver­lief ziem­lich schmerz­los. Nur die Baro­nin schi­en be­wegt. Im Au­gen­blick der Ab­fahrt drück­te sie eine große wohl­ge­füll­te Bör­se ih­rer Toch­ter in die Hän­de.

»Für Dei­ne klei­nen Ne­ben­aus­ga­ben« sag­te sie.

Jo­han­na steck­te die Bör­se ein und die Pfer­de zo­gen an.

»Wie viel hat Dir Dei­ne Mut­ter in der Bör­se zu­ge­steckt?« frag­te Ju­li­us sie ge­gen Abend.


Sie hat­te schon gar nicht mehr dar­an ge­dacht und schüt­te­te jetzt den In­halt in ih­ren Schoss aus. Es war ein gan­zer Hau­fen Gold: Zwei­tau­send Fran­cs.

»Ich wer­de da noch die schöns­ten Tor­hei­ten be­ge­hen« sag­te sie die Hän­de zu­sam­menschla­gend. Dann steck­te sie das Geld wie­der ein.

Nach­dem sie acht Tage bei ei­ner wah­ren Glut­hit­ze auf der Land­stras­se ge­fah­ren wa­ren, ka­men sie glück­lich in Mar­seil­le an.

Am an­de­ren Mor­gen trug sie der »Kö­nig Lud­wig«, ein klei­nes Packet­boot, wel­ches über Ajac­cio nach Nea­pel fuhr, an die Ge­sta­de Kor­si­kas.

Kor­si­ka! mit sei­nen Ma­kis! sei­nen Räu­bern! sei­nen Ber­gen! Das Va­ter­land Na­po­le­ons! Es kam Jo­han­na vor, als ver­lies­se sie die Welt der Wirk­lich­keit, um wa­chen­den Sin­nes das Land der Träu­me zu be­tre­ten.

Auf dem Ver­deck ne­ben­ein­an­der sit­zend sa­hen sie die Küs­te der Pro­vence an ih­ren Au­gen vor­über­zie­hen. Ru­hig, un­be­weg­lich, in präch­tig azur­ner Fär­bung lag das Meer, wie zu ei­ner fes­ten Mas­se er­starrt, un­ter den heis­sen Son­nen­strah­len, die von dem tief­blau­en Him­mel her­nie­der­san­ken.

»Erin­nerst Du Dich noch un­se­rer Fahrt da­mals im Boo­te des Papa Las­ti­que?« frag­te sie ihn.

Statt al­ler Ant­wort drück­te er einen Kuss auf ihre Wan­ge.

Die Schau­feln der Rä­der weck­ten das Was­ser aus sei­nem stil­len Trau­me. Ein lan­ger schäu­men­der Strei­fen er­streck­te sich vom Hin­ter­teil des Schif­fes aus so­weit das Auge reich­te, und das ge­teil­te Was­ser braus­te zu bei­den Sei­ten auf wie Cham­pa­gner.

Plötz­lich schnell­te vorn, nur ei­ni­ge Fa­den­län­gen vor dem Schiff, ein rie­si­ger Fisch aus dem Was­ser, tauch­te dann den Kopf un­ter und ver­schwand wie­der gänz­lich. Jo­han­na war so er­schreckt, dass sie mit ei­nem Angst­ruf ihr Ge­sicht an Ju­li­us’ Brust ver­barg. Dann muss­te sie selbst über ihre Furcht la­chen und war­te­te ge­spannt, ob das Tier nicht wie­der zum Vor­schein kam. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten tauch­te es wie­der auf wie ein großes künst­li­ches Spiel­zeug. Jetzt ver­schwand es wie­der, kam aber­mals her­auf; dann wa­ren es ih­rer zwei, dann drei, end­lich sechs, wel­che um das Schiff her­um­zuhüp­fen schie­nen, als woll­ten sie dem grös­se­ren Ge­fähr­ten, dem höl­zer­nen Fisch mit den ei­ser­nen Flos­sen, das Ge­leit ge­ben. Bald wa­ren sie rechts, bald links, bald ein­zeln, bald zu­sam­men, dann ei­ner hin­ter dem an­de­ren wie in lus­ti­ger Ver­fol­gung beim tän­deln­den Spiel. Zu­wei­len schnell­ten sie sich mit ei­nem großen Sprung in die Luft, um dann eins nach dem an­de­ren wie­der in ei­nem großen Bo­gen ins Was­ser zu­rück­zu­fal­len.

Jo­han­na klatsch­te vor Ver­gnü­gen in die Hän­de, trotz­dem sie je­des Mal beim Er­schei­nen der großen Fi­sche aufs neue schau­der­te.

Plötz­lich ver­schwan­den sie. Man sah sie noch ein­mal ziem­lich weit in der of­fe­nen See; dann kehr­ten sie nicht wie­der. Jo­han­na wur­de eine Zeit lang ganz trau­rig über ihr Ver­schwin­den.

Der Abend kam her­an, ein ru­hi­ger, mil­der, strah­len­der Abend voll Glanz und süs­sem Frie­den. Luft und Was­ser wa­ren in stil­ler Ruhe, und die­se un­be­grenz­te Ruhe des Mee­res und des Him­mels teil­te sich auch dem Her­zen mit.

Lang­sam ver­sank die Son­ne da drü­ben in der Ge­gend von Afri­ka, dem un­sicht­ba­ren heis­sen Afri­ka, des­sen Glut man schon zu spü­ren glaub­te, wenn nicht ein schmei­cheln­der küh­ler Luft­zug, der je­doch kei­nes­wegs ei­nem Wind­hau­che glich, die Ge­sich­ter der Rei­sen­den um­spielt hät­te, nach­dem die Son­ne un­ter­ge­gan­gen war.

Sie hat­ten kei­ne Lust, in ihre Ka­bi­ne her­un­ter­zu­ge­hen, die mit al­len Düf­ten ei­nes Packet­boo­tes an­ge­füllt war. So wi­ckel­ten sie sich denn bei­de dicht in ihre Män­tel ein und leg­ten sich ne­ben­ein­an­der aufs Ver­deck. Ju­li­us schlief so­fort ein, wäh­rend Jo­han­na noch eine Wei­le un­ter den un­ge­wohn­ten Rei­se-Ein­drücken wach blieb.

 

Das gleich­för­mi­ge Geräusch der Schau­fel­rä­der hielt sie wach, und sie be­trach­te­te mit In­ter­es­se die Le­gi­on von Ster­nen, so hell, so klar und fun­kelnd, wie man sie eben nur am süd­li­chen Him­mel er­blickt.

Ge­gen Mor­gen schlief sie in­des­sen ein, bis ein Geräusch von Stim­men sie weck­te. Die Ma­tro­sen rei­nig­ten un­ter ein­för­mi­gem Ge­san­ge das Schiff. Sie rüt­tel­te ih­ren im­mer noch re­gungs­los schla­fen­den Mann und bei­de er­ho­ben sich.

Mit Ent­zücken sog sie den sal­zi­gen Duft ein, der ihr bis in die Fin­ger­spit­zen drang. Rings um­her sah sie nichts als Meer. In­des­sen da vorn zeig­te sich et­was grau­es, noch un­be­stimmt in der Mor­gen­däm­me­rung; es sah aus wie ein­zel­ne auf­ge­türm­te za­cki­ge zer­ris­se­ne Wol­ken, die auf den Wo­gen zu la­gern schie­nen.

Dann konn­te man ge­nau­er un­ter­schei­den; die For­men tra­ten mehr her­vor, je mehr der Him­mel sich auf­klär­te. Eine lan­ge Rei­he son­der­bar ge­zack­ter Ber­ge er­hob sich aus dem Mee­re. Es war Cor­si­ka, noch ver­hüllt in ei­ner Art leich­tem Ne­bel­schlei­er.

Da­hin­ter stieg lang­sam die Son­ne auf. An­fangs la­gen die Käm­me der Ber­ge noch in tie­fem Schat­ten, dann schi­en es, als ob auf al­len Gip­feln strah­len­de Lich­ter ent­zün­det wür­den, wäh­rend der un­te­re Teil der In­sel noch in dich­tem Ne­bel lag.

Der Ka­pi­tän, ein al­tes gelb­li­ches, von den schar­fen salz­hal­ti­gen Win­den ver­trock­ne­tes, ver­schrumpf­tes und aus­ge­dörr­tes, aber zä­hes Männ­chen wur­de auf der Steu­er­brücke sicht­bar.

»Rie­chen Sie das, die­sen Duft?« sag­te er mit sei­ner durch dreis­sig­jäh­ri­ges Kom­man­die­ren rau ge­wor­de­nen und im Ge­brüll der Stür­me ver­schlis­se­nen Stim­me.

In der Tat nahm sie einen ei­gen­tüm­li­chen selt­sa­men Pflan­zen­duft von un­ge­wöhn­li­cher Wür­ze wahr.

»Das ist Cor­si­ka in der Blü­te, Ma­da­me«, fuhr der Ka­pi­tän fort. »Es ist wie der Duft ei­ner hüb­schen jun­gen Frau. Ich wür­de ihn noch nach zwan­zig Jah­ren auf fünf Mei­len Ent­fer­nung wie­der­er­ken­nen. Ich stam­me von dort. Er, da un­ten auf St. He­le­na, spricht wie es heisst, stets von dem Duf­te sei­nes Va­ter­lan­des. Wir sind mit ihm ver­wandt.«

Und der Ka­pi­tän lüf­te­te sei­nen Hut, grüss­te Cor­si­ka und grüss­te da un­ten, weit im Ozean den großen ge­fan­ge­nen Kai­ser, der zu sei­ner Fa­mi­lie ge­hör­te.

Jo­han­na fühl­te sich so be­wegt, dass sie bei­na­he ge­weint hät­te.

Dann brei­te­te der See­mann die Arme ge­gen den Ho­ri­zont aus.

»Die Blut­stei­ne!« sag­te er.

Ju­li­us stand ne­ben sei­ner Frau und hielt sie um­schlun­gen; bei­de schau­ten in die Fer­ne, um den an­ge­deu­te­ten Punkt zu er­ken­nen.

End­lich be­merk­ten sie ei­ni­ge Fel­sen in Ge­stalt von Py­ra­mi­den, wel­che bald dar­auf das Schiff um­fuhr, um in einen un­ge­heu­ren ru­hi­gen Golf ein­zu­lau­fen, der von zahl­rei­chen ho­hen Gip­feln um­säumt war, de­ren grü­ne Hän­ge mit Moos be­deckt schie­nen.

»Die Ma­kis!«1 sag­te der Ka­pi­tän, auf die grü­nen Hän­ge deu­tend.

Je nä­her man kam, de­sto mehr schi­en sich der Kreis von Ber­gen hin­ter dem Schiff zu­sam­men­zu­sch­lies­sen, wel­ches lang­sam da­hin glitt. Die azur­blaue Flut war so klar, dass man fast bis auf den Grund se­hen konn­te.

Und plötz­lich zeig­te sich im Hin­ter­grun­de der Bucht am Ran­de der Wo­gen zu Füs­sen der Ber­ge die weiß­schim­mern­de Stadt.

Ei­ni­ge klei­ne ita­lie­ni­sche Schif­fe la­gen im Ha­fen vor An­ker. Vier oder fünf Bar­ken um­kreis­ten den »Kö­nig Lud­wig«, um sei­ne Pas­sa­gie­re auf­zu­neh­men.

»Was meinst Du«, sag­te Ju­li­us, das Ge­päck zu­sam­men­le­gend, lei­se zu sei­ner Frau, »zwan­zig Sous wird für den Trä­ger wohl ge­nug sein?«

Seit acht Ta­gen stell­te er je­den Au­gen­blick die glei­che Fra­ge, die ihr schreck­lich pein­lich war.

»Wenn man nicht weiß, ob es ge­nug ist, gibt man lie­ber et­was mehr«, sag­te sie ziem­lich un­ge­dul­dig.

Unauf­hör­lich han­del­te er mit Wir­ten und Kell­nern, mit Kut­schern und Ge­schäfts­leu­ten al­ler Art. Wenn er dann mit Hil­fe sei­ner Zun­gen­fer­tig­keit einen bil­li­ge­ren Preis er­zielt hat­te, so sag­te er zu Jo­han­na, sich ver­gnügt die Hän­de rei­bend:

»Ich las­se mich nicht gern übers Ohr hau­en.«

Sie zit­ter­te je­des Mal, wenn sie die Rech­nun­gen kom­men sah, denn sie wuss­te, dass er zu je­dem Pos­ten sei­ne Ein­wen­dun­gen ma­chen wür­de. Sie fühl­te sich durch die­sen Krä­mer­geist er­nied­rigt und er­rö­te­te je­des Mal bis über die Ohren, wenn sie den miss­ver­gnüg­ten Blick der An­ge­stell­ten be­merk­te, mit wel­chem die­sel­ben aus der Hand ih­res Man­nes das stets sehr spär­li­che Trink­geld emp­fin­gen.

Nun hat­te er noch einen län­ge­ren Streit mit dem Bar­ken­füh­rer, der sie an Land brach­te.

Der ers­te Baum, den sie sah, war eine Pal­me.

Sie stie­gen in ei­nem großen statt­li­chen Ho­tel an der Ecke ei­nes ge­räu­mi­gen Plat­zes ab und lies­sen sich ein Früh­stück ser­vie­ren.

Als sie mit dem Nach­tisch fer­tig wa­ren und Jo­han­na sich ge­ra­de er­he­ben woll­te, um ein we­nig durch die Stadt zu strei­fen, schloss sie Ju­li­us in sei­ne Arme und flüs­ter­te ihr zärt­lich zu:

»Wol­len wir uns nicht et­was nie­der­le­gen, mein Schatz?«

»Uns nie­der­le­gen?« frag­te sie über­rascht. »Aber Ich bin durch­aus nicht müde!«

»Aber ich möch­te … Du weißt schon«, sag­te er, »seit zwei Ta­gen! …«

»Ach, zu die­ser Stun­de?« stam­mel­te sie scham­rot. »Was wird man da­von den­ken? Wie wür­dest Du den Mut fin­den, am hel­len Tage ein Zim­mer zu ver­lan­gen? Ach, Ju­li­us, ich bit­te Dich!«

»Ich ma­che mir den Kuckuck dar­aus, was die Leu­te den­ken oder sa­gen wer­den«, un­ter­brach er sie. »Du wirst se­hen, wie gleich­gül­tig mir das ist.« Und er schell­te.

Sie wag­te nichts mehr ein­zu­wen­den und sass mit nie­der­ge­schla­ge­nen Au­gen da; ihr Herz und ihr gan­zes Ge­fühl sträub­te sich ge­gen die­ses un­be­zähm­ba­re Ver­lan­gen ih­res Gat­ten. Nur wi­der­stre­bend füg­te sie sich in das Un­ver­meid­li­che, aber sie fühl­te sich er­nied­rigt und her­ab­ge­wür­digt durch ein Be­geh­ren, wel­ches ihr tie­risch und un­end­lich un­rein vor­kam.

Ihre Ge­füh­le wa­ren noch nicht er­wacht und doch tat ihr Mann, als ob sie schon ganz sein Feu­er tei­le.

Als der Kell­ner kam, ver­lang­te Ju­li­us auf ihr Zim­mer ge­führt zu wer­den. Der Mann, ein ech­ter Cor­se, haa­rig bis an die Au­gen, schi­en an­fangs nicht recht zu be­grei­fen; er ver­si­cher­te, dass das Zim­mer für die Nacht be­reit ste­hen wer­de.

»Nein, ich wün­sche es so­fort!« sag­te Ju­li­us un­ge­dul­dig. »Wir sind müde von der Rei­se und wol­len uns aus­ru­hen!«

Ein Lä­cheln husch­te über die bär­ti­gen Lip­pen des Kell­ners. Jo­han­na wäre am liebs­ten da­von­ge­lau­fen.

Als sie eine Stun­de spä­ter wie­der her­un­ter­ka­men, wag­ten sie nicht, die Leu­te an­zu­se­hen, die an ih­nen vor­über­gin­gen; sie glaub­te ein Lä­cheln und Tu­scheln hin­ter ih­rem Rücken zu be­mer­ken. Es war ihr un­be­greif­lich, wie Ju­li­us da­für kein Ge­fühl hat­te; sie är­ger­te sich, dass er nicht mehr Rück­sicht und zar­te­re Scham be­sass. Wie ein Schlei­er, wie eine Schei­de­wand, leg­te es sich zwi­schen ihr und ihm, als sie jetzt zum ers­ten Mal die Über­zeu­gung fass­te, dass zwei Per­so­nen sich nie­mals wirk­lich bis auf den Grund der See­le drin­gen, um dort die ver­bor­gens­ten Ge­dan­ken zu le­sen; dass sie ne­ben­ein­an­der, eng an ein­an­der ge­schmiegt so­gar, ge­hen kön­nen, aber nie­mals ganz mit­ein­an­der ver­mengt sind und dass die See­le ei­nes je­den doch so­zu­sa­gen ihre ei­ge­nen Wege wan­delt.

Drei Tage ver­brach­ten sie in der klei­nen Stadt am blau­en Gol­fe, die hin­ter dem Berg­vor­hang von je­dem küh­len Luft­zug ab­ge­sperrt, vor Hit­ze bei­na­he koch­te.

Dann ent­war­fen sie einen Rei­se­plan und be­schlos­sen, um auch die schwie­rigs­ten Tou­ren ma­chen zu kön­nen, sich Pfer­de zu mie­ten. So nah­men sie also zwei klei­ne kor­si­sche Hengs­te mit feu­ri­gen Au­gen, zäh und un­er­müd­lich, und be­ga­ben sich ei­nes Mor­gens bei Ta­ge­s­an­bruch auf den Weg. Ein Füh­rer auf ei­nem Maulesel, der zu­gleich mit Pro­vi­ant be­la­den war, bil­de­te ihre Beglei­tung; denn auf Gast­häu­ser durf­ten sie in dem un­wirt­li­chen Lan­de nicht rech­nen.