Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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Jetzt hat­te er sie ge­fun­den.

Er war im Üb­ri­gen ein hüb­scher an­sehn­li­cher Bursch, aber ein Wüst­ling, von je­ner Sor­te Le­be­män­ner aus der Pro­vinz, die mir so ver­hasst sind. Ich glaub­te in­des­sen, dass er ein für un­se­re Zwe­cke ganz pas­sen­der Ehe­mann sein wür­de, des­sen man sich nö­ti­gen­falls spä­ter mit Hil­fe ei­ner ent­spre­chen­den Pen­si­on wie­der ent­le­di­gen könn­te.

Er kam jetzt täg­lich ins Haus, um sich lie­bens­wür­dig zu ma­chen und dem hüb­schen geis­tes­schwa­chen Mäd­chen, das ihm üb­ri­gens wirk­lich zu ge­fal­len schi­en, die Kour auf sei­ne Wei­se zu schnei­den. Er brach­te ihr Blu­men, küss­te ihr die Hand, setz­te sich zu ih­ren Füs­sen und sah sie mit zärt­li­chen Au­gen an; aber sie nahm von sei­nen Auf­merk­sam­kei­ten so gut wie gar kei­ne No­tiz und mach­te in kei­ner Wei­se einen Un­ter­schied zwi­schen ihm und den üb­ri­gen Per­so­nen ih­rer Um­ge­bung.

Die Hoch­zeit fand statt.

Sie wer­den be­grei­fen, bis zu wel­chem Gra­de mei­ne Neu­gier­de an­ge­sta­chelt war.

Ich be­such­te Ber­t­ha am an­de­ren Mor­gen, um auf ih­rem Ge­sich­te zu le­sen, ob sie in ir­gend ei­ner Wei­se er­schüt­tert zu sein schie­ne. Aber ich fand sie ganz so wie alle Tage, le­dig­lich mit der Uhr und dem Es­sen be­schäf­tigt. Er schi­en da­ge­gen sehr ver­liebt und such­te die Hei­ter­keit und Zärt­lich­keit sei­ner Frau durch al­ler­lei Scher­ze und Tän­de­lei­en zu er­we­cken, so wie man es etwa mit klei­nen Kat­zen macht.

Er hat­te eben nichts bes­se­res zu fin­den ge­wusst.

Von jetzt an mach­te ich bei den jun­gen Ehe­gat­ten häu­fig mei­ne Vi­si­ten und über­zeug­te mich bald, dass die jun­ge Frau ih­ren Mann sehr gut als sol­chen er­kann­te und ihm die­sel­ben be­gehr­li­chen Bli­cke zu­warf wie vor­her den süs­sen Schüs­seln.

Sie folg­te al­len sei­nen Be­we­gun­gen, un­ter­schied sei­nen Schritt auf der Trep­pe oder in den be­nach­bar­ten Zim­mern, klatsch­te in die Hän­de, wenn er ein­trat, und ihr gan­zes Ge­sicht über­goss ein Schim­mer von Glück und Be­gehr­lich­keit.

Sie lieb­te ihn von gan­zem Her­zen und mit ih­rer gan­zen ar­men kind­li­chen See­le, mit die­sem ar­men Ge­mü­te, das die Er­kennt­lich­keit und An­häng­lich­keit ei­nes treu­en Tie­res emp­fand.

Es war in der Tat ein wun­der­ba­res und rüh­rend harm­lo­ses Bild: Die­se ein­fa­che Zu­nei­gung, noch ganz so sinn­lich und doch da­bei scham­haft, wie die Na­tur sie al­len We­sen ein­ge­pflanzt hat­te, ehe der Mensch an­fing, ih­ren Be­griff durch alle mög­li­chen Ge­fühls­du­se­lei­en zu ver­wir­ren und aus­ar­ten zu las­sen.

Er aber wur­de die­ses schö­nen Ge­schöp­fes, das so hin­ge­bend, aber lei­der stumm war, sehr bald müde. Er blieb nur ei­ni­ge Stun­den des Ta­ges bei ihr und fand es völ­lig ge­nü­gend, wenn er ihr sei­ne Näch­te wid­me­te.

Sie be­gann hier­un­ter zu lei­den.

Sie war­te­te auf ihn von früh bis spät, die Au­gen auf die Uhr ge­hef­tet, und ohne noch ans Es­sen zu den­ken; er aber ass fast im­mer aus­wärts, in Cler­mont, in Cha­tel-Guy­on, in Ro­jat, kurz ir­gend­wo, und ver­mied es, nach Hau­se zu kom­men.

Sie wur­de im­mer ma­ge­rer.

Je­der an­de­re Ge­dan­ke, je­des Ver­lan­gen, jede Er­war­tung, jede auch noch so un­be­stimm­te Hoff­nung ver­schwand aus ih­rem Her­zen, und die Stun­den, in de­nen sie ihn nicht sah, wur­den für sie Stun­den des bit­ters­ten Schmer­zes. Bald fing er auch an, die Näch­te aus­wärts zu­zu­brin­gen. Er trieb sich mit Wei­bern im Ka­si­no von Royat her­um und kehr­te erst bei Ta­ges­grau­en heim.

Sie wei­ger­te sich zu Bett zu ge­hen, ehe er wie­der­kam. Un­be­weg­lich sass sie in ih­rem Stuh­le, stets die Au­gen auf die klei­nen Zei­ger der Uhr ge­hef­tet und de­ren lang­sa­men Gang auf dem Zif­fer­blatt von Stun­de zu Stun­de ver­fol­gend.

Wenn sie dann von Wei­tem den Schritt sei­nes Pfer­des hör­te, so sprang sie auf und wies bei sei­nem Ein­tritt mit der Mie­ne ei­ner Er­schei­nung auf den Zei­ger, als woll­te sie sa­gen: ›Sieh nur, wie spät es ist.‹ Und er fing an, einen Wi­der­wil­len ge­gen die­se lie­bes­be­dürf­ti­ge und ei­fer­süch­ti­ge Idio­tin zu emp­fin­den; er ge­riet in eine tie­ri­sche Wut, und ei­nes Nachts schlug er sie.

Man ließ mich ho­len. Sie quäl­te sich un­ter wil­dem Heu­len in ei­ner furcht­ba­ren Kri­sis des Schmer­zes, des Zor­nes, der Lei­den­schaft und al­ler mög­li­chen Ge­füh­le. Wer konn­te wis­sen, was in die­sem ver­küm­mer­ten Ge­hirn al­les vor sich ging?

Ich be­ru­hig­te sie mit Mor­phi­um-Pil­len und ver­bot dann ein für alle Mal ein Wie­der­se­hen mit die­sem Men­schen; denn ich sah ein, dass die Ehe ihr un­fehl­bar den Tod brin­gen müs­se.


Dann wur­de sie ganz när­risch! Ja, mein Lie­ber, die­se Idio­tin ist när­risch ge­wor­den. Sie denkt un­aus­ge­setzt an ihn und war­tet auf ihn Tag und Nacht, schla­fend und wa­chend, heu­te wie ges­tern und mor­gen wie alle Tage. Als ich sah, dass sie im­mer mehr ab­ma­ger­te und ihr un­ru­hi­ger Blick nicht mehr vom Zif­fer­blatt der Uhr wich, ließ ich al­les fort­neh­men, was an Uhren im Hau­se hing. So raub­te ich ihr die Mög­lich­keit, die Stun­den zu zäh­len und in der dunklen Erin­ne­rung an die Zeit, wo er sonst heim­zu­keh­ren pfleg­te, sich ab­zu­grä­men. Ich hof­fe, auf die Dau­er in ihr die Erin­ne­rung zu er­tö­ten und je­nes Licht des Geis­tes wie­der aus­zu­lö­schen, das ich einst mit so vie­ler Mühe er­weckt hat­te.

Und dann mach­te ich ei­ni­ge Zeit spä­ter einen Ver­such: Ich zeig­te ihr mei­ne Ta­schen­uhr. Sie nahm sie und sah sie lan­ge an. Dann schrie sie plötz­lich auf eine furcht­ba­re Art, als wenn der An­blick die­ses klei­nen Ge­gen­stan­des mit ei­nem Male das be­reits ein­schlum­mern­de Ge­dächt­nis wie­der auf­ge­weckt hät­te.

Sie ist jetzt ma­ger, so ma­ger, dass man von Mit­leid be­wegt wird; ihre Au­gen sind hohl und fun­kelnd. Und sie geht ohne Un­ter­lass hin und her, wie ein wil­des Tier im Kä­fig.

Ich habe die Fens­ter ver­git­tern, mit ho­hen La­den ver­se­hen und die Stüh­le am Bo­den be­fes­ti­gen las­sen, um zu ver­hin­dern, dass sie auf die Stras­se schaut, ob er wie­der­kom­me.

Ach die ar­men El­tern! Was für ein Le­ben müs­sen sie füh­ren!

Wir hat­ten in­zwi­schen den Hü­gel er­reicht und der Dok­tor wand­te sich mit den Wor­ten um:

»Se­hen Sie, hier ha­ben Sie Riom vor sich.«

Die Stadt hat­te das fins­te­re Aus­se­hen al­ler al­ten Städ­te. Nach hin­ten zu brei­te­te sich un­ab­seh­bar eine grü­ne, wal­di­ge, mit zahl­rei­chen Dör­fern und Städ­ten über­sä­e­te Ebe­ne aus; der blaue Dunst, in dem sie ge­ba­det war, bil­de­te einen wun­der­ba­ren Hin­ter­grund.

Der Dok­tor be­gann mir die ver­schie­de­nen Orte der Rei­he nach zu nen­nen und mir die Ge­schich­te je­des ein­zel­nen zu er­zäh­len.

Aber ich hör­te nicht recht zu; ich dach­te nur an die Wahn­sin­ni­ge, die mir im­mer vor Au­gen stand. Sie schi­en mir wie ein trau­ri­ger Geist über der gan­zen wei­ten Ge­gend zu schwe­ben.

Und plötz­lich un­ter­brach ich den Er­zäh­ler mit der un­ver­mit­tel­ten Fra­ge:

»Und was ist aus ihm, dem Ehe­mann, ge­wor­den?«

»Er lebt in Royat von der Pen­si­on, die ihm aus­ge­zahlt wird. Er ist glück­lich und amü­siert sich«, ant­wor­te­te et­was über­rascht mein Freund nach ei­ni­gem Zö­gern.

Als wir bei­de, trau­rig und schweig­sam, lang­sa­men Schrit­tes heim­kehr­ten, fuhr plötz­lich ein eng­li­sches Dog-Kart, von rück­wärts kom­mend, in sau­sen­dem Tem­po an uns vor­über.

»Das ist er!« sag­te der Dok­tor, mei­nen Arm er­grei­fend.

Ich sah nur einen grau­en Filz­hut, schief auf ei­nem Ohre sit­zend, über zwei brei­ten Schul­tern, in ei­ner Staub­wol­ke ver­schwin­den.

*

Die Geschichte einer Bauernmagd

I.

Da das Wet­ter sehr schön war, so hat­ten die Bau­ers­leu­te schnel­ler als sonst ge­ges­sen und wa­ren aufs Feld ge­gan­gen.

Rose, das Dienst­mäd­chen, blieb ganz al­lein in der großen Kü­che zu­rück, auf de­ren Herd noch ei­ni­ge Koh­len in der Asche un­ter dem vol­len Was­ser­kes­sel glimm­ten. Sie goss hin und wie­der et­was von die­sem Was­ser in einen Zu­ber und wusch lang­sam ihre Schüs­seln auf; wäh­rend sie zu­wei­len einen Blick auf die zwei hel­len Vier­e­cke warf, wel­che die Son­ne durch das Fens­ter auf dem läng­li­chen Ti­sche bil­de­te, und in de­nen sich deut­lich die schad­haf­ten Stel­len der Schei­ben ab­ho­ben.

Drei ke­cke Hüh­ner such­ten un­ter den Stüh­len nach Brot­kru­men; durch die halb­of­fe­ne Tür drang die laue Luft des Stal­les und der Dunst des Hüh­ner­hofs, auf wel­chem die Häh­ne in der war­men Mit­tags­son­ne mun­ter kräh­ten.

Als das Mäd­chen sei­ne Ar­beit be­en­det, den Tisch ab­ge­wischt, den Herd ver­sorgt und die Tel­ler auf dem ho­hen Ge­stell hin­ten ne­ben der ein­för­mig ti­cken­den höl­zer­nen Uhr ge­ord­net hat­te, seufz­te sie auf; denn sie fühl­te sich nie­der­ge­schla­gen und be­drückt, ohne recht zu wis­sen warum. Sie schau­te die ge­schwärz­ten Kalk­wän­de an, die ver­rauch­ten Bal­ken der De­cke, von wel­chen Spin­nen­net­ze, Bück­lin­ge und Zwie­bel­bün­del her­un­ter­hin­gen; dann setz­te sie sich nie­der, an­ge­wi­dert von den ver­schie­de­nen Aus­düns­tun­gen, wel­che die Ta­ges­hit­ze und das Son­nen­licht aus dem Bo­den her­vor­brach­ten, auf dem schon so Man­cher­lei seit so lan­ger Zeit ein­ge­trock­net war. Hie­rin misch­te sich noch der schar­fe Ge­ruch der Milch, die in dem küh­len Rau­me ne­ben­an zum Ge­rin­nen auf­ge­stellt war. Rose woll­te sich ei­gent­lich jetzt an eine Näh­ar­beit set­zen, aber es fehl­te ihr die rech­te Lust dazu und sie ging vor die Hau­stü­re, um et­was fri­sche Luft zu schöp­fen.

 

Als sie ins Freie trat und von der Son­ne be­schie­nen wur­de, ging ihr or­dent­lich das Herz auf, und sie fühl­te im gan­zen Kör­per ein ei­gen­tüm­li­ches Be­ha­gen.

Aus dem Dün­ger­hau­fen vor der Türe stieg fort­wäh­rend ein leich­ter Rauch em­por, und die Hüh­ner tum­mel­ten sich ver­gnügt auf dem­sel­ben her­um, leg­ten sich auf die Sei­te und scharr­ten hin und wie­der mit ei­nem Fus­se nach Wür­mern. Der stol­ze Hahn stand mit­ten un­ter ih­nen. Je­den Au­gen­blick wähl­te er sich ei­nes sei­ner Hüh­ner aus, um die er mit lo­cken­dem Tone her­um­balz­te. Das Tier er­hob sich nach­läs­sig und emp­fing ihn, ru­hig die Füs­se aus­stre­ckend und sich auf den Flü­geln stüt­zend. Dann schüt­tel­te es die Fe­dern, aus de­nen eine Men­ge Staub her­um­flog, und mach­te sich’s von Neu­em auf dem Dün­ger be­quem, wäh­rend der Hahn laut krä­hend sei­nen Tri­umph ver­kün­de­te. Von sämt­li­chen Hö­fen der Nach­bar­schaft ant­wor­te­ten die Häh­ne, als woll­ten sie sich ge­gen­sei­tig zum Lie­bes­wett­kamp­fe her­aus­for­dern.

Mecha­nisch schau­te das jun­ge Mäd­chen dem Trei­ben der Hüh­ner zu, und als es dann die Au­gen auf­schlug, war es wie ge­blen­det von dem An­blick der blü­hen­den Obst­bäu­me, die wie be­schneit aus­sa­hen.

Plötz­lich mach­te ein jun­ges Huhn in tol­lem Über­mut ei­ni­ge Luft­sprün­ge und rann­te dann mehr­mals an dem mit Bäu­men be­pflanz­ten Gra­ben auf und ab; dann blieb es ste­hen, wand­te den Kopf und schi­en sich sehr zu ver­wun­dern, dass es al­lein war.

Auch sie spür­te Lust her­um­zu­lau­fen, sich Be­we­gung zu ma­chen und da­bei hät­te sie sich gleich­zei­tig doch eben­so­gern nie­der­ge­legt, hät­te die Glie­der ge­streckt und sich in der lau­en Luft aus­ge­ruht. Noch un­ent­schlos­sen ging sie ei­ni­ge Schrit­te und mach­te, von ei­nem tie­ri­schen Be­hag­lich­keits­ge­fühl be­seelt, die Au­gen zu; dann be­gab sie sich lang­sam in den Hüh­ner­stall, um nach Ei­ern zu su­chen. Sie brach­te de­ren dreis­sig heim und ord­ne­te sie im Schran­ke; doch der Kü­chen­ge­ruch wur­de ihr aufs Neue läs­tig und sie ging aber­mals hin­aus, um sich et­was ins Gras zu set­zen.

Das Ge­höft, von Bäu­men um­schat­tet, schi­en im Schla­fe zu lie­gen. Das hohe Gras, aus dem der gel­be Lö­wen­zahn wie klei­ne Flämm­chen her­vor­stach, trug ein sat­tes Grün, das neue Grün des Früh­lings. Rings um den Fuss der Ap­fel­bäu­me bil­de­te de­ren Schat­ten einen dunklen Kreis, und die Stroh­dä­cher der Häu­ser, aus de­ren Gip­fel die schwert­ar­ti­gen Blät­ter der Iris her­vor­rag­ten, dampf­ten et­was, als ob die Feuch­tig­keit der Scheu­nen und Stäl­le durch das Stroh ent­wi­che.

Die Magd kam zu dem Wa­gen­schup­pen, wo man die Kar­ren und sons­ti­ges Acker­ge­rät auf­be­wahr­te. Dort be­fand sich an der Bie­gung des Gra­bens eine große Gru­be, in wel­cher zahl­lo­se Veil­chen ih­ren zar­ten Duft ver­brei­te­ten, und über de­ren Rand hin­weg man auf das Feld se­hen konn­te. Es war eine große Flä­che, auf der das Ge­trei­de her­an­wuchs; da­zwi­schen stan­den ein­zel­ne Baum­grup­pen. Hin und wie­der be­merk­te man in der Fer­ne ar­bei­ten­de Men­schen, die sich wie Pup­pen aus­nah­men, Schim­mel so groß wie ein Spiel­zeug, die ein Kin­der­kärr­chen zo­gen und von ei­nem Man­ne ge­führt wür­den, der nicht hö­her schi­en, wie ein Fin­ger.

Sie hol­te aus der Scheu­ne ein Stroh­bün­del und warf es in die Gru­be, um sich dar­auf zu set­zen; aber es pass­te ihr so noch nicht und sie lös­te das Stroh­band, brei­te­te das Bün­del aus und leg­te sich, die Hän­de un­ter den Kopf und die Füs­se lang­ge­streckt, auf den Rücken.

Ganz lang­sam schloss sie die Au­gen in süs­ser Be­hag­lich­keit halb ent­schlum­mernd. Sie wäre bei­na­he ganz ein­ge­schla­fen, hät­te sie nicht plötz­lich auf ih­rer Brust zwei Hän­de ge­spürt, in­fol­ge des­sen sie mit ei­nem Satz in die Höhe sprang. Es war Jac­ques, der Knecht, ein großer, wohl­ge­wach­se­ner Pi­car­de, der ihr seit ei­ni­ger Zeit schon nach­ging. Er ar­bei­te­te ge­ra­de in der Schä­fe­rei, und da er ge­se­hen hat­te, dass sie ihr schat­ti­ges Plätz­chen auf­such­te, war er ganz lei­se, mit ver­hal­te­nem Atem und lüs­ter­nen Au­gen, die Haa­re noch voll Stroh, her­bei­ge­schli­chen.

Er ver­such­te sie zu küs­sen; aber sie stiess ihn, eben­so stark wie er, mit Leich­tig­keit von sich; und er bat sie heuch­le­risch um Ver­zei­hung. Dann setz­ten sie sich bei­de hin und plau­der­ten freund­schaft­lich. Sie spra­chen vom Wet­ter, das so güns­tig für die Ern­te wäre, von der schö­nen Jah­res­zeit, von ih­rem Herrn, wie gut er sei, dann von den Nach­barn, vom gan­zen Lan­de, von ih­nen selbst, von ih­rem Dor­fe, ih­rer Ju­gend, ih­ren Erin­ne­run­gen, ih­ren El­tern, die sie auf so lan­ge Zeit, viel­leicht für im­mer hät­ten ver­las­sen müs­sen. Ihr wur­de weich zu Mute, als sie an al­les die­ses dach­te, und er, mit sei­nem un­be­zähm­ba­ren Ver­lan­gen, rück­te wie­der nä­her zu ihr hin, so­dass ihre Schul­tern sich be­rühr­ten und er vor Be­gehr­lich­keit er­schau­er­te.

»Ich habe mei­ne Mut­ter lan­ge nicht ge­se­hen«, sag­te sie; »es ist hart, wenn man im­mer so ge­trennt ist.« Und ihr Auge schweif­te sin­nend in die Fer­ne, über den gan­zen Ho­ri­zont, weit nach Nor­den, tief da un­ten, wo ihr Hei­mats­dörf­chen lag.


Plötz­lich nahm er die Ge­le­gen­heit wahr, um­arm­te sie und woll­te sie von Neu­em küs­sen; aber sie schlug ihm mit der ge­schlos­se­nen Faust so kräf­tig ins Ge­sicht, dass sei­ne Nase zu blu­ten an­fing. Er sprang auf und stütz­te sich an einen Baum­stumpf. Da wur­de sie doch mit­lei­dig, und auf ihn zu­ge­hend frag­te sie:

»Hat es Dir sehr wehe ge­tan?«

Er fing an zu la­chen. Nein, es wäre nichts ge­we­sen; sie hät­te nur ge­ra­de die falsche Stel­le ge­trof­fen. »Ver­fluch­te Hexe!« sag­te er lei­se für sich und sah sie voll Be­wun­de­rung an; ein ge­wis­ser Re­spekt, eine Zu­nei­gung ganz an­de­rer Art, der An­fang ei­ner wirk­li­chen Lie­be zu die­sem ke­cken Mäd­chen hat­te ihn er­grif­fen.

Als das Blut zu trop­fen auf­ge­hört hat­te, schlug er ihr vor, einen klei­nen Gang zu ma­chen, denn er fürch­te­te die star­ke Hand sei­ner Nach­ba­rin, wenn sie so nahe bei­sam­men ge­blie­ben wä­ren. Aber sie nahm von selbst sei­nen Arm, wie es die Ver­lob­ten bei ih­ren abend­li­chen Spa­zier­gän­gen ma­chen und sag­te:

»Das ist nicht brav von Dir, Jac­ques, dass Du so we­nig Ach­tung vor mir hast.«

Er wi­der­sprach. Nein, an Ach­tung feh­le es ihm nicht; aber er sei eben furcht­bar ver­liebt.

»Du willst mich also wirk­lich hei­ra­ten?« frag­te sie ihn.

Er zö­ger­te an­fangs, dann sah er sie von der Sei­te an, wäh­rend ihre Au­gen wie­der traum­ver­lo­ren in die Fer­ne schweif­ten. Sie hat­te rote vol­le Wan­gen, ihr kat­tu­ne­nes Leib­chen um­schloss eine vol­le, üp­pi­ge Brust, ihre Lip­pen wa­ren frisch und an ih­rem halb­of­fe­nen Hal­se glänz­ten klei­ne Schweiß­perl­chen. Er fühl­te sich von neu­er Lei­den­schaft be­wäl­tigt, und in­dem er sei­nen Mund ih­rem Ohre nä­her­te, flüs­ter­te er:

»Ja, ich wer­de Dich hei­ra­ten.«

Da um­schlang sie sei­nen Hals mit bei­den Ar­men und küss­te ihn so lan­ge, bis sie bei­de fast den Atem ver­lo­ren.

Von die­ser Zeit an be­gann für sie die alte und doch ewig neue Lie­bes­ge­schich­te. Sie hock­ten in al­len Win­keln zu­sam­men, sie tra­fen sich beim Mon­den­schein im Schut­ze ei­nes Heu­sch­obers und tra­ten sich beim Es­sen mit ih­ren schwe­ren be­schla­ge­nen Schu­hen un­ter dem Ti­sche fast die Knie blau.

Dann schi­en Jac­ques all­mäh­lich die Ge­schich­te lang­wei­lig zu fin­den; er ging Rose aus dem Wege, sprach nicht mehr mit ihr und ver­mied es, al­lein mit ihr zu­sam­men zu sein. In ihr stie­gen lang­sam Zwei­fel an sei­ner Treue auf und es be­mäch­tig­te sich ih­rer eine tie­fe Trau­rig­keit. Nach ei­ni­ger Zeit fühl­te sie, dass ihr Um­gang mit Jac­ques nicht ohne Fol­gen ge­blie­ben war.

An­fangs wuss­te sie in ih­rer Be­stür­zung kei­nen Rat, dann aber ge­riet sie in hef­ti­gen Zorn, der sich von Tag zu Tag stei­ger­te, weil er sorg­fäl­tig je­des Zu­sam­men­tref­fen mit ihr ver­mied.

Sch­liess­lich ei­nes Nachts, als al­les im Hofe schlief, schlüpf­te sie lei­se nur im Rock aus ih­rer Kam­mer, husch­te mit blos­sen Füs­sen über den Hof und stiess die Tür des Stal­les auf, wo Jac­ques auf ei­nem ganz mit Stroh ge­füll­ten Hän­ge­bo­den über sei­nen Pfer­den schlief. Als er sie kom­men hör­te, stell­te er sich laut schnar­chend, aber sie schwang sich hin­auf, und ne­ben ihm nie­der­kni­end weck­te sie ihn mit der­ben Püf­fen.

»Was willst Du?« frag­te er sich auf­rich­tend.

»Ich will«, sag­te sie laut, vor Wut zit­ternd und mit den Zäh­nen knir­schend, »ich will, dass Du mich hei­ra­test, denn Du hast mir die Ehe ver­spro­chen.«

»Sehr gut«, sag­te er la­chend, »man hät­te viel zu tun, wenn man je­des Mäd­chen hei­ra­ten woll­te, mit dem man sich ein­ge­las­sen hat.«

Aber mit ei­nem Griff hat­te Rose ihn an der Gur­gel ge­packt, warf ihn hin­ten­über, ehe er sich von sei­ner Be­stür­zung er­ho­len konn­te und würg­te ihn, wäh­rend sie über ihn ge­beugt ihm ins Ge­sicht schrie:

»Ich bin schwan­ger, hörst Du? ich bin schwan­ger!«

Er hol­te stöh­nend Atem und so blie­ben sie alle bei­de eine Zeit lang fast re­gungs­los und stumm in die­ser nächt­li­chen Stil­le, die nur durch das Schnau­ben ei­nes Pfer­des un­ter­bro­chen wur­de, wel­ches sich einen Stroh­halm auf­such­te und den­sel­ben lang­sam zer­kau­te. Da Jac­ques ein­sah, dass sie die Stär­ke­re war, so stam­mel­te er end­lich:

»Nun gut, da es so steht, muss ich Dich hei­ra­ten.«

Aber sie trau­te sei­nen Ver­spre­chun­gen nicht:

»Aber so­fort!« sag­te sie; »Du wirst das Auf­ge­bot gleich ver­kün­di­gen las­sen.«

»So­fort!« ant­wor­te­te er.

»Schwö­re es beim ewi­gen Gott!«

Nach kur­z­em Zö­gern sag­te er:

»Ich schwö­re es beim ewi­gen Gott!«

Da ließ sie sei­ne Keh­le los und ging, ohne noch ein Wort zu sa­gen, hin­aus.

Ei­ni­ge Tage ver­stri­chen, ohne dass sie ihn spre­chen konn­te und die Stall­tü­re war seit je­ner Nacht je­des Mal sorg­fäl­tig ver­schlos­sen; aus Furcht vor ei­nem Skan­dal wag­te sie kein Geräusch zu ma­chen.

Dann sah sie ei­nes Mor­gens zur Früh­sup­pe einen an­de­ren Knecht ein­tre­ten.

»Ist Jac­ques fort?« frag­te sie.

»Al­ler­dings; ich bin an sei­ne Stel­le ge­kom­men.«

Sie be­gann so hef­tig zu zit­tern, dass sie den Was­ser­kes­sel nicht los­ha­ken konn­te; dann ging sie, als al­les bei der Ar­beit war, in ihre Kam­mer hin­auf und wein­te, das Ge­sicht in ihre Kis­sen ver­gra­bend, da­mit sie nie­mand hör­te. Im Lau­fe des Ta­ges such­te sie sich zu er­kun­di­gen; aber sie hat­te so das Be­wusst­sein ih­res Un­glücks, dass sie ein ma­li­ti­öses Lä­cheln auf den Ge­sich­tern al­ler Leu­te zu se­hen glaub­te, die sie frag­te. Im Üb­ri­gen brach­te sie nur in Er­fah­rung, dass er die Ge­gend für im­mer ver­las­sen habe.