Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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IX.



Drei Mo­na­te wa­ren seit­dem ver­gan­gen. Die Schei­dung Du Roys war aus­ge­spro­chen. Sei­ne Frau hat­te den Na­men Fo­res­tier wie­der an­ge­nom­men. Da die Wal­ters am 15. Juli nach Trou­ville fah­ren woll­ten, so hat­te man ver­ab­re­det, noch vor der Tren­nung einen Tag auf dem Lan­de zu ver­brin­gen.



Man wähl­te einen Don­ners­tag und brach schon um neun Uhr mor­gens in ei­nem großen sechs­sit­zi­gen Rei­se­land­au­er, der mit vier Pfer­den be­spannt war, auf. Es soll­te in Saint-Ger­main im Pa­vil­lon Hen­ry IV. ge­früh­stückt wer­den. Bel-Ami hat­te sich aus­ge­macht, der ein­zi­ge Mann in der Ge­sell­schaft zu sein, denn er konn­te we­der die An­we­sen­heit noch das Ge­sicht des Mar­quis de Ca­zol­les er­tra­gen. Doch im letz­ten Au­gen­blick ent­schloss man sich, den Gra­fen de La­tour-Yve­lin mit­zu­neh­men. Er wur­de am Tage vor­her be­nach­rich­tigt und soll­te gleich, nach­dem er auf­ge­stan­den war, ab­ge­holt wer­den.



Der Wa­gen fuhr in ra­schem Tra­be die Ave­nue des Champs-Ely­sees hin­ab und dann durch das Bois de Bou­lo­gne.



Es war ein herr­li­ches, nicht zu hei­ßes Som­mer­wet­ter. Die Schwal­ben zo­gen durch den blau­en Him­mel in wun­der­vol­len Kur­ven, sie flo­gen so schnell, dass man sie im­mer noch zu se­hen glaub­te, als sie schon vor­über wa­ren, Die drei Da­men sa­ßen tief im Vor­der­sitz des Lan­dau­ers, die Mut­ter zwi­schen den bei­den Töch­tern und im Rück­sitz die drei Män­ner, Wal­ter in der Mit­te, rechts und links die bei­den Gäs­te.



Man fuhr über die Sei­ne am Mont-Valéri­en vor­bei und ge­lang­te nach Bou­gi­val. Dann ging es am Fluss ent­lang bis nach Pecq.



Graf de La­tour-Yve­lin war schon ein rei­fer Mann mit ei­nem lan­gen, dün­nen Dop­pel­bart, des­sen Spit­zen sich beim lei­ses­ten Wind­hauch be­weg­ten und wie Du Roy oft be­haup­te­te, »der Wind schaf­fe die schöns­ten Ef­fek­te in sei­nem Bart«.



Der Graf sah Rose lie­be­voll an; sie wa­ren seit ei­nem Mo­nat ver­lobt. Ge­or­ges war sehr bleich und blick­te oft zu Suzan­ne hin­über, die auch sehr bleich war. Ihre Au­gen tra­fen sich, sie schie­nen über­ein­zu­stim­men, sich ge­gen­sei­tig zu ver­ste­hen und ge­hei­me Ge­dan­ken aus­zut­au­schen, um sich dann gleich wie­der zu flie­hen. Frau Wal­ter war ru­hig und glück­se­lig.



Das Früh­stück dau­er­te lan­ge. Vor der Rück­fahrt nach Pa­ris schlug Ge­or­ges vor, einen Spa­zier­gang auf der Ter­ras­se zu ma­chen.



Man blieb zu­nächst eine Wei­le ste­hen, um die Aus­sicht zu be­wun­dern. Alle stell­ten sich in ei­ner Rei­he längs der Brüs­tung, und man war über den wei­ten un­ge­heu­ren Ho­ri­zont be­geis­tert. Am Fuße ei­nes lan­gen Hü­gel­rückens floss die Sei­ne nach Mai­son-La­fit­te zu, wie eine Rie­sen­schlan­ge, die auf ei­ner großen Wie­se lag. Rechts auf dem Kamm der Hü­gel­ket­te hob sich die Was­ser­lei­tung von Mar­ly vom Him­mel ab; sie sah wie eine rie­si­ge Rau­pe mit brei­ten Pfo­ten aus, und Mar­ly selbst ver­schwand in dem dich­ten grü­nen Laub der Bäu­me.



Auf der wei­ten Ebe­ne, die sich vor ih­nen aus­brei­te­te, sah man hin und wie­der klei­ne­re Dör­fer. Die Seen von Ve­si­net bil­de­ten schö­ne wei­ße Fle­cke in dem spär­li­chen Grün der klei­nen Hai­ne. Links, ganz in der Fer­ne, rag­te über dem Ho­ri­zont der spit­ze Turm von Sar­trou­ville.



Wal­ter er­klär­te:



»Nir­gends in der Welt fin­det man solch ein Pa­n­ora­ma. Selbst in der Schweiz gibt es nichts Ähn­li­ches.«



Dann be­gann man lang­sam auf und ab zu ge­hen, um den Blick auf die wei­te Land­schaft zu ge­nie­ßen.



Ge­or­ges und Suzan­ne blie­ben et­was zu­rück. So­bald sie ein paar Schrit­te von den an­de­ren ent­fernt wa­ren, sprach er mit ge­dämpf­ter, lei­ser Stim­me zu ihr:



»Suzan­ne, ich lie­be Sie über al­les, ich lie­be Sie zum Wahn­sin­nig­wer­den.«



Sie flüs­ter­te:



»Ich auch, Bel-Ami.«



Er fuhr fort:



»Wenn Sie nicht mei­ne Frau wer­den, ver­las­se ich für im­mer Pa­ris und die­ses Land.«



»Ver­su­chen Sie doch, Papa um mei­ne Hand zu bit­ten, viel­leicht wil­ligt er ein.«



Er mach­te eine kur­ze, un­ge­dul­di­ge Be­we­gung.



»Nein, ich sage es Ih­nen zum zehn­ten Mal, es ist zweck­los. Er wür­de mir nur sein Haus ver­bie­ten; er jagt mich aus der Zei­tung fort, und wir wer­den uns nicht ein­mal se­hen kön­nen. Das wür­de das hüb­sche Er­geb­nis sein, wenn ich in der üb­li­chen Form um Sie an­hal­te. Man hat Sie dem Mar­quis de Ca­zol­les ver­spro­chen, und man hofft, dass Sie schließ­lich doch ja sa­gen. Man war­tet.«



»Was soll man da tun?« frag­te sie.



Er sah sie von der Sei­te an und frag­te zö­gernd:



»Lie­ben Sie mich so heiß, dass Sie für mich eine Tor­heit be­ge­hen könn­ten?«



»Ja«, sag­te sie ent­schlos­sen.



»Eine große Tor­heit.«



»Ja.«



»Eine sehr große Tor­heit.«



»Ja.«



»Hät­ten Sie ge­nü­gend Mut, Ihrem Va­ter und Ih­rer Mut­ter zu trot­zen?«



»Ja.«



»Be­stimmt?«



»Ja.«



»Also gut. Es gibt ein ein­zi­ges Mit­tel, die gan­ze Sa­che muss von Ih­nen und nicht von mir aus­ge­hen. Sie sind die Lieb­ling­s­toch­ter, ein ver­wöhn­tes Kind. Sie dür­fen al­les sa­gen; man wird auch über eine neue Keck­heit Ih­rer­seits nicht so arg er­staunt sein. Also hö­ren Sie zu. Wenn Sie heu­te Abend nach Hau­se kom­men, su­chen Sie Ihre Mama auf, wenn sie ganz al­lein im Zim­mer ist und ge­ste­hen ihr, dass Sie mich hei­ra­ten wol­len. Sie wird in eine große Auf­re­gung ge­ra­ten und sehr wü­tend sein …«



Suzan­ne un­ter­brach ihn:



»Oh, Mama wird mit größ­ter Freu­de ein­wil­li­gen.«



»Nein,« sag­te er leb­haft, »Sie ken­nen sie nicht, sie wird noch zor­ni­ger und auf­ge­reg­ter sein als Ihr Va­ter. Sie wer­den se­hen, wie sie es Ih­nen ver­wei­gert. Aber Sie hal­ten sich. Sie ge­ben nicht nach. Sie wie­der­ho­len im­mer­fort, dass Sie mich hei­ra­ten wol­len, nur mich al­lein und nie­man­den an­de­ren. Wer­den Sie das tun?«



»Ja, ich wer­de es tun.«



»Wenn Sie von Ih­rer Mut­ter kom­men, sa­gen Sie das­sel­be Ihrem Va­ter, aber sehr ru­hig und ent­schlos­sen.«



»Ja, sehr gut; und dann?«



»Und dann … und dann kom­men wir an den schwie­rigs­ten Punkt. Wenn Sie ent­schlos­sen, rich­tig ent­schlos­sen sind, mei­ne Frau zu wer­den, mei­ne lie­be, lie­be, klei­ne Suzan­ne … dann … dann ent­füh­re ich Sie.«



Sie fuhr vor Freu­de auf und be­gann in die Hän­de zu klat­schen. .



»Oh, wel­ches Glück! Sie wer­den mich ent­füh­ren, wann wer­den Sie mich dann ent­füh­ren?«



Die gan­ze Poe­sie der nächt­li­chen Ent­füh­run­gen mit Post­kut­schen, Her­ber­gen und all den wun­der­ba­ren Aben­teu­ern, wie sie in den Bü­chern ste­hen, fuhr ihr plötz­lich wie ein mär­chen­haf­tes Traum­bild, das sich ver­wirk­li­chen soll­te, durch den Kopf. Sie wie­der­hol­te:



»Wann wer­den Sie mich ent­füh­ren?«



Er ant­wor­te­te ganz lei­se:



»Heu­te noch … heu­te Aben­d… viel­leicht in der Nacht.«



Sie frag­te zit­ternd:



»Und wo­hin ge­hen wir?«



»Das ist mein Ge­heim­nis. Aber über­le­gen Sie sich ge­nau, was Sie tun. Be­den­ken Sie, dass nach die­ser Flucht Ih­nen nichts an­de­res üb­rig­bleibt, als mei­ne Frau zu wer­den. Es ist das ein­zi­ge Mit­tel, aber es ist … sehr ge­fähr­lich … für Sie …«



Sie er­klär­te:



»Ich bin ent­schlos­sen … Wo wer­de ich Sie tref­fen kön­nen?«



»Kön­nen Sie das Palais ganz al­lein ver­las­sen?«



»Ja. Ich kann die Sei­ten­tür auf­schlie­ßen.«



»Nun gut! Wenn der Por­tier sich schla­fen ge­legt hat, er­war­te ich Sie auf dem Place de la Con­cor­de. Sie fin­den mich in ei­ner Drosch­ke, ge­gen­über dem Ma­ri­ne­mi­nis­te­ri­um.«



»Ich kom­me«, sag­te sie.



»Be­stimmt?’’



»Ganz be­stimmt.«



Er nahm ihre Hand und drück­te sie.



»Oh, wie ich Sie lie­be, wie Sie gut und tap­fer sind! Sie wol­len also den Mar­quis de Ca­zol­les nicht hei­ra­ten?«



»O nein.«



»War Ihr Va­ter sehr böse, als Sie nein sag­ten?«



»Das will ich wohl mei­nen, er woll­te mich in ein Klos­ter schi­cken.«



»Sie se­hen also, dass wir ener­gisch sein müs­sen.«



»Ich wer­de es auch sein.«



Sie sah vor sich die wei­te Land­schaft, den Kopf voll Ge­dan­ken über die Ent­füh­rung. Sie wür­de noch wei­ter zie­hen … mit ihm! … Sie wur­de ent­führt! … Sie war stolz dar­auf! Sie dach­te nicht an ih­ren Ruf, an das In­fa­me und Schänd­li­che, was ihr viel­leicht be­vor­stand. Wuss­te sie et­was da­von? Ahn­te sie das über­haupt?



Frau Wal­ter wand­te sich um und rief:



»Aber komm doch, Klei­ne! Was machst du da mit Bel-Ami?«



Sie hol­ten die an­de­ren ein. Man sprach über See­bä­der, wo man bald sein wür­de.



Dann fuh­ren sie über Cha­tou zu­rück, um nicht den­sel­ben Weg noch ein­mal ma­chen zu müs­sen. Ge­or­ges sag­te nichts. Er dach­te: »Also, wenn die­se Klei­ne et­was Mut hat, dann wür­de die Sa­che end­lich klap­pen.«



Seit drei Mo­na­ten spann er um sie das un­wi­der­steh­li­che Netz der schmei­cheln­den Zärt­lich­keit. Er be­zau­ber­te, er ver­führ­te und er­ober­te sie. Er hat­te sich von ihr lie­ben las­sen, er streng­te sich an, so gut wie er es ir­gend konn­te. Er hat­te mit Leich­tig­keit ihre Pup­pen­see­le ge­won­nen.



Er hat­te zu­nächst er­reicht, dass sie dem Mar­quis de Ca­zol­les ab­sag­te. Nun hat­te er er­reicht, dass sie mit ihm durch­ge­hen wür­de, denn es war das ein­zi­ge Mit­tel.



Dass Frau Wal­ter nie­mals zu­stim­men wür­de, ihm ihre Toch­ter zu ge­ben, das be­griff er sehr wohl. Sie lieb­te ihn noch, sie wür­de ihn im­mer lie­ben, und zwar mit ei­ner lei­den­schaft­li­chen Wucht. Er hielt sie durch sei­ne be­rech­ne­te Käl­te in den Schran­ken, aber er fühl­te, wie sie von ei­ner gie­ri­gen, ohn­mäch­ti­gen und ver­zeh­ren­den Lei­den­schaft ge­quält wur­de. Sie wür­de nie nach­ge­ben. Sie wür­de nie zu­las­sen, dass er Suzan­ne hei­ra­te­te. Aber so­bald er die Klei­ne in der Fer­ne ver­steckt hielt, dann konn­te er mit dem Va­ter un­ter­han­deln, wie eine Macht mit der an­de­ren.

 



Er dach­te über die­ses al­les nach. Er ant­wor­te­te mit ab­ge­hack­ten Sät­zen auf die Fra­gen, die man an ihn rich­te­te und auf die er kaum hör­te. Als man nach Pa­ris zu­rück­kam, wach­te er wie­der auf.



Auch Suzan­ne war in Ge­dan­ken. Das Schel­len­ge­klin­gel der vier tra­ben­den Pfer­de klang ihr im Kopf, und sie träum­te von end­lo­sen. Stra­ßen, un­ter ewi­gem Mond­schein, von fins­tern Wäl­dern, Her­ber­gen am Ran­de der Land­stra­ßen und von Stall­knech­ten, die has­tig die Pfer­de um­spann­ten, denn je­der soll­te er­ra­ten, dass sie ver­folgt wür­den.



Als der Lan­dau­er in den Hof des Palais ein­fuhr, woll­te man Ge­or­ges zum Di­ner da­be­hal­ten. Er lehn­te je­doch dan­kend ab und ging nach Hau­se. Nach­dem er et­was ge­ges­sen hat­te, ord­ne­te er sei­ne Pa­pie­re, als wenn ihm eine lan­ge Rei­se be­vor­stand. Er ver­brann­te die Brie­fe, die ihn kom­pro­mit­tie­ren konn­ten, die an­de­ren ver­steck­te er und schrieb an ei­ni­ge Freun­de.



Von Zeit zu Zeit sah er auf die Stand­uhr und dach­te:



»Jetzt muss es drü­ben sehr heiß her­ge­hen.«



Eine Un­ru­he und Un­si­cher­heit nag­te ihm am Her­zen. Wie, wenn ihm die Sa­che miss­lin­gen wür­de? … Was hat­te er ja ei­gent­lich zu fürch­ten? Er hat­te sich noch im­mer aus der Klem­me zie­hen kön­nen. Es war doch ein sehr großes Spiel, das er heu­te spiel­te.



Ge­gen elf Uhr ver­ließ er sein Haus. Er wan­der­te eine Wei­le auf und ab. Dann nahm er eine Drosch­ke und ließ den Kut­scher an der Place de la Con­cor­de vor den Ar­ka­den des Ma­ri­ne­mi­nis­te­ri­ums hal­ten. Hin und wie­der zün­de­te er ein Streich­holz an, um nach der Uhr zu se­hen. Je mehr die Mit­ter­nachts­stun­de her­an­rück­te, umso fie­ber­haf­ter und un­ru­hi­ger wur­de sei­ne Un­ge­duld. Alle Au­gen­bli­cke steck­te er sei­nen Kopf aus dem Wa­gen­fens­ter und späh­te hin­aus.



Eine fer­ne Turm­uhr schlug zwölf, gleich dar­auf schlug eine an­de­re in der Nähe und dann gleich zwei auf ein­mal. Als der letz­te Schlag ver­hallt war, dach­te er: »Nun ist es aus, es ist miss­lun­gen, sie kommt nicht mehr!« Trotz­dem war er ent­schlos­sen zu blei­ben, bis es Tag wur­de. In sol­chen Fäl­len muss man Ge­duld ha­ben.



Er hör­te, wie es ein vier­tel, dann ein halb, dann drei­vier­tel schlug, und schließ­lich wie­der­hol­ten sämt­lich Uhren, eine nach der an­de­ren, eins, wie sie zwölf Uhr ge­schla­gen hat­ten.



Er hat­te die Hoff­nung schon ver­lo­ren und zer­brach sich den Kopf dar­über, was wohl ge­sche­hen sein könn­te. Plötz­lich blick­te ein Frau­en­kopf durch die Fens­ter und frag­te:



»Sind Sie da, Bel-Ami?«



Er fuhr atem­los em­por:



»Sind Sie das, Suzan­ne?«



»Ja, das bin ich.«



Die Tür­klin­ke ging nicht so­fort auf und er konn­te sie nicht rasch um­dre­hen, in­zwi­schen wie­der­hol­te er:



»Ach … Sie sind es … da sind Sie, Gott sei Dank … kom­men Sie her­ein.«



Sie stieg ein und sank in sei­ne Arme.



Er rief dem Kut­scher zu: »Vor­wärts!« Und die Drosch­ke setz­te sich in Be­we­gung. Vor Auf­re­gung konn­te sie kein Wort her­vor­brin­gen.



Er frag­te:



»Nun er­zäh­len Sie, wie ist es bei Ih­nen zu Hau­se her­ge­gan­gen?«



Bei­na­he ohn­mäch­tig mur­mel­te sie:



»Oh! Es war furcht­bar, be­son­ders mit Mama.«



Er war un­ru­hig und zit­ter­te:



»Er­zäh­len Sie? Was hat Ih­nen Ihre Mama er­zählt, er­zäh­len Sie mir al­les.«



»Oh, es war ent­setz­lich. Ich kam in ihr Zim­mer und habe ihr die Sa­che vor­ge­tra­gen, wie ich sie mir im Voraus vor­be­rei­tet hat­te. Da wur­de sie ganz blass und schrie:



›Nie­mals, nie im Le­ben!‹



Ich habe ge­weint, ich wur­de böse, ich habe ge­schwo­ren, dass ich nur Sie hei­ra­ten wür­de. Ich habe ge­dacht, sie wür­de mich schla­gen. Sie wur­de wie wahn­sin­nig. Sie er­klär­te, dass man mich mor­gen schon ins Klos­ter schi­cken wür­de. Ich habe sie noch nie in ei­nem sol­chen Zu­stan­de ge­se­hen. Da kam Papa, der of­fen­bar ge­hört hat­te, wie sie alle ihre Dumm­hei­ten sag­te. Er wur­de nicht so wü­tend wie sie, aber er er­klär­te, Sie sei­en kei­ne gute Par­tie für mich. Sie mach­ten mich auch wü­tend, und da schrie ich noch lau­ter als sie. Da be­fahl mir Papa mit ei­nem dra­ma­ti­schen Ge­sichts­aus­druck, der ihm gar nicht stand, hin­aus­zu­ge­hen. Das brach­te mich zum Ent­schluss, mit Ih­nen zu flie­hen. Nun! Hier bin ich. Wo fah­ren wir hin?«



Er hielt ihre Tail­le sanft um­schlun­gen; und er hör­te mit ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit zu, sein Herz klopf­te, ein zor­ni­ger, nei­di­scher Hass stieg in ihm ge­gen die­se Leu­te auf. Doch er hielt die Toch­ter. Nun wür­den sie se­hen.



»Es ist zu spät,« ant­wor­te­te er, »wir kön­nen kei­nen Zug mehr er­rei­chen. Wir fah­ren mit die­sem Wa­gen nach Se­vres und dort über­nach­ten wir, und mor­gen früh rei­sen wir nach La Ro­che Guy­on wei­ter. Es ist ein hüb­sches Dorf an der Sei­ne, zwi­schen Mon­tes und Bon­nie­res.«



Sie mur­mel­te:



»Ich habe aber gar kei­ne Sa­chen mit.«



Er lä­chel­te mit sorg­lo­ser Mie­ne.



»Ach was, das rich­ten wir drü­ben ir­gend­wie ein.«



Der Wa­gen roll­te durch die Stra­ßen. Ge­or­ges nahm die Hand des jun­gen Mäd­chens und be­gann sie lang­sam und rück­sichts­voll zu küs­sen. Er wuss­te nicht, was er ihr sa­gen soll­te, denn er war an pla­to­ni­sche Zärt­lich­kei­ten nicht ge­wöhnt. Plötz­lich schi­en es ihm, als wenn sie wein­te.



Er­schro­cken frag­te er:



»Was ha­ben Sie, mei­ne lie­be Klei­ne?«



Sie ant­wor­te­te mit schluch­zen­der Stim­me:



»Mei­ne arme Mut­ter, wenn sie be­merkt hat, dass ich fort bin, wird sie jetzt si­cher nicht schla­fen kön­nen.«



Und in der Tat schlief ihre Mut­ter nicht.



So­bald Suzan­ne das Zim­mer ver­las­sen hat­te, stand Frau Wal­ter ih­rem Man­ne ge­gen­über und frag­te ängst­lich und nie­der­ge­schmet­tert:



»O Gott! Was soll das nur be­deu­ten?«



»Das be­deu­tet,« rief Wal­ter wü­tend, »dass die­ser Int­ri­gant ihr den Kopf ver­dreht hat. Er war es doch, der sie be­we­gen hat, dem Ca­zol­les ab­zu­sa­gen. Na­tür­lich fin­det er die Mit­gift hübsch!«



Er be­gann wü­tend im Zim­mer hin und her zu lau­fen und fuhr fort:



»Du auch, du hast ihn im­mer­fort ins Haus ge­lockt, du hast ihm ge­schmei­chelt, du hast ihm den Hof ge­macht, du fan­dest nie ge­nug schö­ne Wor­te für ihn. Bel-Ami hier, Bel-Ami dort, — so ging es vom frü­hen Mor­gen bis zum spä­ten Abend. Nun hast du den Lohn da­für.«



»Ich?« stam­mel­te sie to­ten­blass, »ich lock­te ihn ins Haus?«



Er schleu­der­te ihr ins Ge­sicht:



»Ja­wohl, du! Ihr alle seid toll auf ihn, die Ma­rel­le, Suzan­ne und vie­le an­de­re. Glaubst du, dass ich nicht merk­te, wie du kei­ne zwei Tage aus­hal­ten konn­test, ohne dass er hier­her­kam?«



Sie rich­te­te sich mit tra­gi­scher Mie­ne em­por:



»Ich er­lau­be Ih­nen nicht, mit mir so zu re­den. Sie ver­ges­sen, dass ich nicht wie Sie in ei­nem La­den er­zo­gen bin.«



Er stand zu­erst starr und ver­blüfft da, dann stieß er ein wü­ten­des »O Gott!« aus, ging hin­aus und warf die Tür hin­ter sich zu.



So­bald sie al­lein war, ging sie un­will­kür­lich zum Spie­gel, um zu se­hen, ob nicht et­was an ihr ver­än­dert wäre, so un­glaub­lich, so un­ge­heu­er­lich er­schi­en ihr das Ge­sche­he­ne. Suzan­ne war in den Bel-Ami ver­liebt und Bel-Ami woll­te Suzan­ne hei­ra­ten! Nein! Si­cher irr­te sie sich, es konn­te nicht wahr sein. Das jun­ge Mäd­chen hat­te sich in den schö­nen jun­gen Mann ver­gafft, es war ganz na­tür­lich; sie hoff­te, ihn zum Gat­ten zu be­kom­men; sie hat­te es sich in den Kopf ge­setzt! Aber er? Er konn­te doch un­mög­lich die Hand im Spiel ha­ben! Sie grü­bel­te, ver­wirrt, wie man über­haupt vor ei­nem be­vor­ste­hen­den Un­glück ver­wirrt ist. Nein, Bel-Ami konn­te nichts von Suzan­nes Streich wis­sen.



Sie sann lan­ge über die mög­li­che Ge­mein­heit oder Un­schuld die­ses Man­nes nach. Oh! welch ein treu­lo­ser Schur­ke war er, wenn er die­sen Streich vor­be­rei­tet hat! Was wür­de dann ge­sche­hen? Wie vie­le Ge­fah­ren und wie vie­le Qua­len glaub­te sie dann vor­aus­zu­se­hen.



Wenn er nichts wuss­te, dann konn­te al­les noch ge­ret­tet wer­den. Man wür­de mit Suzan­ne für sechs Mo­na­te ver­rei­sen und da­mit wäre al­les zu Ende. Wie konn­te aber sie ihn dann wie­der­se­hen? Sie lieb­te ihn noch im­mer. Die­se Lei­den­schaft hat­te sich in sie hin­ein­ge­bohrt wie Pfeil­spit­zen, die sich nicht wie­der her­aus­rei­ßen las­sen. Le­ben ohne ihn war un­mög­lich. Dann lie­ber ster­ben.



Ihre Ge­dan­ken schweif­ten in die­ser Angst und Un­ge­wiss­heit her­um. Ein hef­ti­ger Schmerz drück­te auf ih­ren Kopf. Ihre Ge­dan­ken wur­den sor­gen­voll, trü­be und quäl­ten sie furcht­bar. Verzwei­felt such­te sie die Sa­che zu er­grü­beln, und die Un­wis­sen­heit: mach­te sie ner­vös. Sie sah nach der Uhr, es war eins vor­bei. Sie sag­te sich: »So kann es nicht blei­ben, sonst wer­de ich wahn­sin­nig. Ich muss mir Ge­wiss­heit ver­schaf­fen. Ich wer­de Suzan­ne we­cken und sie aus­fra­gen.«



Dann ging; sie ohne Schu­he, um kei­nen Lärm zu ma­chen, mit der Ker­ze in der Hand nach dem Zim­mer ih­rer Toch­ter. Sie öff­ne­te lei­se die Tür, trat her­ein und sah nach dem Bett. Es war nicht an­ge­rührt. Zu­nächst be­griff sie nichts und dach­te, das Mäd­chen sprä­che viel­leicht noch mit sei­nem Va­ter. Dann aber stieg plötz­lich in ihr ein furcht­ba­rer Ver­dacht auf und sie eil­te zu ih­rem Gat­ten. Blass und keu­chend stürz­te sie in sein Zim­mer. Er lag im Bett und las.



Er war be­stürzt.



»Was ist denn? Was ist los?«



Sie stam­mel­te:



»Hast du Suzan­ne ge­se­hen?«



»Ich? Nein. Wie­so?«



»Sie ist … sie ist … sie ist durch­ge­gan­gen. Sie ist nicht in … in ih­rem Zim­mer.«



Mit ei­nem Satz sprang er auf den Tep­pich, schlüpf­te in sei­ne Pan­tof­feln und stürz­te ohne Un­ter­ho­sen, im blo­ßen Hemd, das um ihn her­um­flat­ter­te, in das Zim­mer sei­ner Toch­ter. So­bald er es selbst ge­se­hen hat­te, heg­te er kei­nen Zwei­fel mehr. Sie war ent­flo­hen.



Er sank in einen Ses­sel und stell­te die Lam­pe vor sich auf den Bo­den hin.



Sei­ne Frau kam nach. Sie stam­mel­te;



»Nun? … Was jetzt? …«



Er hat­te kei­ne Kraft mehr zu ant­wor­ten. Er war nicht mehr wü­tend, er seufz­te nur:



»Es ist er­le­digt. Er hat sie. Wir sind ver­lo­ren.«



Sie be­griff ihn nicht.



»Wie­so ver­lo­ren?«



»Nun ja. Jetzt muss er sie hei­ra­ten.«



Sie stieß einen Schrei aus wie ein wil­des Tier.



»Er! Nein, nie­mals! Bist du wahn­sin­nig?«



Er ant­wor­te­te trau­rig:



»Es nützt nichts, zu schrei­en. Er hat sie ent­führt, er hat sie auch si­cher ent­ehrt. Das bes­te, was wir noch tun kön­nen, ist, sie ihm zu ge­ben. Wenn wir uns klug ver­hal­ten, wird nie­mand von die­sem Streich et­was er­fah­ren.«



Sie war von ei­ner ent­setz­li­chen Er­re­gung er­schüt­tert und wie­der­hol­te:



»Nie­mals, nie soll er Suzan­ne be­kom­men. Ich wer­de nie mei­ne Zu­stim­mung ge­ben.«



Wal­ter mur­mel­te nie­der­ge­schmet­tert:



»Er hat sie doch schon. Er wird sie so lan­ge ir­gend­wo ver­bor­gen hal­ten, bis wir nach­ge­ben. Um ei­nem Skan­dal zu ent­ge­hen, muss man so­fort nach­ge­ben.«



Von ei­ner ent­setz­li­chen See­len­qual ge­pei­nigt, wie­der­hol­te sei­ne Frau im­mer­fort:



»Nein! Nein! Nie gebe ich mei­ne Ein­wil­li­gung.«



Er fuhr un­ge­dul­dig fort:



»Dar­über lässt sich nicht mehr strei­ten. Es muss sein. Ah! Der Ha­lun­ke, wie hat er uns her­ein­ge­legt … Aber er ist stark, trotz­dem. Wir hät­ten einen Mann aus ei­nem viel bes­se­ren ge­sell­schaft­li­chen Kreis fin­den kön­nen, aber kei­nen mit so viel Ver­stand und so großen Zu­kunfts­aus­sich­ten. Er wird Ab­ge­ord­ne­ter und Mi­nis­ter.«



Ma­da­me Wal­ter er­klär­te mit ei­ner wil­den Ener­gie:



»Nie­mals las­se ich ihn Suzan­ne hei­ra­ten … ver­stehst du? … Nie­mals.«



Er wur­de schließ­lich böse und be­gann als prak­ti­scher Mann den Bel-Ami in Schutz zu neh­men.

 



»Schwei­ge doch … ich sage dir doch, es muss sein … es muss un­be­dingt sein. Wer weiß? Vi­el­leicht wer­den wir es auch gar nicht be­dau­ern. Bei Män­nern von die­sem Schla­ge weiß man nie, was kom­men kann. Du hast ja ge­se­hen, wie er in drei Ar­ti­keln den Trot­tel Lar­oche-Ma­thieu ge­stürzt hat; wie wür­dig er es ge­tan hat, und da­bei war es in sei­ner Lage als Ehe­mann so ver­dammt schwie­rig und hei­kel. Wir wol­len se­hen … Denn wir sit­zen im­mer noch in der Klem­me und kön­nen nicht her­aus.«



Sie hät­te am liebs­ten laut ge­schri­en, sich auf den Bo­den ge­wor­fen, sich die Haa­re aus­ge­ris­sen.



»Er be­kommt sie nicht«, ver­setz­te sie mit ver­zwei­fel­ter Stim­me. »Ich … will … es … nicht.«



Wal­ter stand auf, nahm sei­ne Lam­pe und fuhr fort:



»Du bist dumm, wie alle Wei­ber. Ihr han­delt im­mer nur aus Pas­si­on, und wisst nie, euch den Ver­hält­nis­sen an­zu­pas­sen … ihr seid tö­richt! Ich sage dir, er wird sie hei­ra­ten … es muss so sein.«



Mit den Pan­tof­feln schlur­fend, ging er hin­aus. Er durch­schritt wie ein ko­mi­sches Ge­s­penst im Nacht­hemd den brei­ten Flur des rie­si­gen schla­fen­den Palas­tes und be­gab sich ge­räusch­los in sein Zim­mer.



Von ent­setz­li­chen Schmer­zen in­ner­lich zer­ris­sen blieb Frau Wal­ter zu­rück. Da­bei war ihr noch im­mer nicht al­les klar, sie litt nur. Dann sah sie ein, dass; sie un­mög­lich hier bis zum Ta­ge­s­an­bruch un­be­weg­lich ste­hen konn­te. Sie emp­fand ein hef­ti­ges Ver­lan­gen zu ent­flie­hen, fort­zu­lau­fen, Hil­fe zu su­chen, ge­trös­tet zu wer­den.



Sie such­te, wen sie nun her­bei­ru­fen könn­te. Wel­chen Mann? Sie wuss­te kei­nen. Ei­nen Pries­ter! Ja, einen Pries­ter! Sie wür­de sich zu sei­nen Fü­ßen wer­fen, sie wür­de al­les ge­ste­hen, ihm ihre Sün­de und Verzweif­lung beich­ten. Er wür­de sie ver­ste­hen, er wür­de be­grei­fen, dass die­ser Ehr­lo­se Suzan­ne nicht hei­ra­ten könn­te, und er wür­de es zu ver­hin­dern wis­sen.



Sie brauch­te so­fort einen Pries­ter! Wo soll­te man ihn jetzt fin­den? Wo­hin soll­te sie ge­hen? Und so blei­ben konn­te sie nicht mehr.



Da trat ihr wie eine Vi­si­on die er­leuch­te­te Ge­stalt des auf dem Mee­re wan­deln­den Je­sus vor Au­gen. Sie sah ihn so klar und deut­lich, als stün­de sie vor dem Bil­de. Er rief sie also! Er sag­te zu ihr: »Kom­met zu mir, kniet vor mir hin. Ich will euch trös­ten und auch ein­ge­ben, was ihr tun sollt.«



Sie nahm ihr Licht, ver­ließ das Zim­mer und ging hin­ab in den Win­ter­gar­ten. Das Je­sus­bild be­fand sich ganz am Ende des­sel­ben in ei­nem klei­nen Räu­me, der mit ei­ner Glas­tür ver­schlos­sen war, da­mit die Feuch­tig­keit der Erde die Lein­wand des Ge­mäl­des nicht an­grei­fen könn­te.



Das Gan­ze sah aus wie eine klei­ne Ka­pel­le in ei­nem Wald von selt­sa­men Bäu­men.



Als sie den Win­ter­gar­ten be­trat, den sie nie an­ders als nur in hel­ler Be­leuch­tung ge­se­hen hat­te, stand sie be­trof­fen da vor sei­ner dunklen Tie­fe. Die schwe­ren Tro­pen­pflan­zen ver­dick­ten die Luft mit ih­rem schwü­len Atem. Und da die Tü­ren ge­schlos­sen wa­ren, so drang der be­klem­men­de Duft die­ses selt­sa­men Wal­des, der von ei­ner Glas­kup­pel be­deckt und um­schlos­sen war, schwer und be­rau­schend in die Lun­gen.



Die un­glück­se­li­ge Frau ging lang­sam vor­wärts; sie blick­te ängst­lich auf die Schat­ten der fan­tas­tisch ge­form­ten Pflan­zen, auf die das schim­mern­de Licht der Ker­ze fiel, und die wie un­ge­heu­er le­ben­de, selt­sa­me Miss­ge­stal­ten auf­tauch­ten.



Plötz­lich sah sie Chris­tus. Sie öff­ne­te die Tür, die ihn von ihr trenn­te, und stürz­te auf die Knie.



Zu­erst be­te­te sie ganz ver­stört, stam­mel­te Lie­bes­wor­te und lei­den­schaft­li­che und ver­zwei­fel­te Be­schwö­run­gen, dann wur­de sie et­was ru­hi­ger und rich­te­te ihre Au­gen zu ihm em­por, und sie blieb in ei­ner un­end­li­chen Angst er­starrt. Beim fla­ckern­den Licht ei­ner ein­zi­gen Ker­ze, die ihn von un­ten schwach be­leuch­te­te, war die Ähn­lich­keit zwi­schen ihm und Bel-Ami noch auf­fal­len­der. Es war nicht mehr Gott, son­dern ihr Ge­lieb­ter, der sie an­sah. Es wa­ren sei­ne Au­gen, sei­ne Stirn, sein Ge­sichts­aus­druck, sei­ne kal­te und hoch­mü­ti­ge Hal­tung.



Sie stam­mel­te: »Je­sus! — Je­sus! — Je­sus!«



Aber das Wort »Ge­or­ges« kam über ihre Lip­pen. Auf ein­mal fiel ihr ein, dass Ge­or­ges viel­leicht in die­ser Stun­de ihre Toch­ter ver­führ­te und in Be­sitz nahm. Er war al­lein mit ihr, ir­gend­wo, in ir­gend­ei­nem Zim­mer. Er! Er! Mit Suzan­ne. Sie wie­der­hol­te: »Je­sus! … Je­sus!« Doch sie dach­te an sie … an ihre Toch­ter und an ih­ren Ge­lieb­ten! Sie wa­ren al­lein in ei­nem Zim­mer… es war Nacht. Sie sah die bei­den. Sie sah sie so deut­lich, so deut­lich, wie das Bild, das vor ihr stand. Sie lä­chel­ten sich zu, sie küss­ten sich. Das Zim­mer war dun­kel, das Bett auf­ge­deckt. Sie stand auf, um sich zu nä­hern, um ihre Toch­ter am Haar zu fas­sen und sie aus die­ser Umar­mung her­aus­zu­rei­ßen. Sie woll­te sie an der Keh­le pa­cken, er­wür­gen, ihre ei­ge­ne Toch­ter, die sie hass­te, ihre Toch­ter, die sich die­sem Man­ne hin­gab. Sie fass­te sie schon. … ihre Hän­de stie­ßen an die Lei­ne­wand des Ge­mäl­des. Sie be­rühr­te die Füße Chris­ti … Sie schrie laut auf und sank zu Bo­den. Die Ker­ze war um­ge­fal­len und er­losch.



Was ge­sch­ah wei­ter? Sie träum­te lan­ge von selt­sa­men schreck­li­chen Din­gen. Es war im­mer Ge­or­ges und Suzan­ne, die vor ihre Au­gen tra­ten, eng an­ein­an­der ge­schmiegt, und der Chris­tus seg­ne­te ihre ver­ruch­te Lie­be.



Sie hat­te das Ge­fühl, sie be­fin­de sich nicht in ih­rem Hau­se. Sie woll­te auf­ste­hen, flie­hen, doch sie hat­te kei­ne Kraft. Eine Starr­heit hat­te sie be­fal­len, ihre Glie­der wa­ren ge­lähmt, nur die Ge­dan­ken blie­ben ihr noch, wenn auch ver­wirrt und be­tört durch gräss­li­che, fan­tas­ti­sche Vor­stel­lun­gen. Sie war halb be­täubt und träum­te. Es war ein un­ge­sun­der, selt­sa­mer und bis­wei­len töd­li­cher Traum, den die ein­schlä­fern­den tro­pi­schen Pflan­zen mit ih­ren wun­der­vol­len For­men und schwü­lem Duft in das Men­schen­ge­hirn ein­drin­gen las­sen.



Bei Ta­