Einführung in das Verfassungsrecht der USA

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A. Einleitung › III. Generelle Schwierigkeiten des rechtsvergleichenden Blicks

III. Generelle Schwierigkeiten des rechtsvergleichenden Blicks

21

Eine Darstellung des Verfassungsrechts der USA mit einem rechtsvergleichenden Blick auf das Grundgesetz ist ein sehr ehrgeiziges Unterfangen. Deshalb heißt es im Titel auch „Einführung“. Es können nur ausgewählte Strukturen der beiden Verfassungen dargestellt und nur vereinzelt verglichen werden.

22

Gerade die Rechtsvergleichung steckt zudem voller Tücken. Wie Pierre Legrand eindrucksvoll gezeigt hat, steht man nicht nur vor einem sprachlichen Problem[1], sondern auch vor der erkenntnistheoretischen Schwierigkeit, dass man das fremde Recht immer durch die Brille seiner eigenen juristischen Sozialisation, der eigenen Begriffswelt, der eigenen Methodik und somit verfälscht wahrnimmt[2]. Mark Tushnet spricht in diesem Zusammenhang von einem normativen oder ideologischen Ballast, den jede Verfassungsrechtsvergleichung mitbringt[3].

23

Schließlich sei – um überhöhten Erwartungen zu begegnen – darauf hingewiesen, dass die Ursachen möglicher rechtlicher Unterschiede, die unter 2. bereits angedeutet wurden, zahlreich und häufig nicht einfach zu rekonstruieren sind. Verfassungsrecht zu vergleichen ist ein sehr schwieriges Unterfangen[4]. Wenn man, was plausibel erscheint, Verfassungsrecht als Produkt einer bestimmten Kultur begreift[5], kommen neben den erwähnten historischen, politischen, philosophischen und geographischen Aspekten auch noch soziale und ökonomische Erklärungen für bestimmte Regelungen in Betracht[6]. In einem einführenden Werk wie diesem, kann indes nicht annähernd allen Erklärungsansätzen nachgegangen werden.

Anmerkungen

[1]

Legrand, JCL 10:2, 405, 443 spricht sogar von „no translatability“; s.a. Frankenberg, Harvard International Law Journal 26:2 (1985), 411, 420; Voßkuhle, European Constitutional Law Review 6 (2010), 175, 184; Kommers, German Law Journal 20 (2019), 524, 529; Jackson, Penn State International Law Review 28 (2010), 319 u. 323; Kischel, S. 33; Tushnet, Comparative, S. 6.

[2]

Legrand, JCL 10:2, 405, 423 u. 428; ähnlich bereits Frankenberg, Harvard International Law Journal 26:2 (1985), 411, 413 f., 416, 425, 441 f u. 455; Kischel, S. 199 f.

[3]

Tushnet, Comparative, S. 9.

[4]

Heringa, S. 34; Kommers, German Law Journal 20 (2019), 524, 528.

[5]

Legrand, JCL 10:2, 405, 420, 422, 431 u. 433 m.w.N.; ähnlich Teitel, Harvard Law Review 117 (2004), 2570, 2578; Weber, S. 4; Kischel, S. 1 u. 34.

[6]

Ähnlicher Ansatz bei Frankenberg, Harvard International Law Journal 26:2 (1985), 411, 454; Kommers, German Law Journal 20 (2019), 524, 528; s.a. Jackson, Penn State International Law Review 28 (2010), 319 u. 323; Müller, ZaöRV 79 (2019), 85, 88; Hirschl, American Journal of Comparative Law 53 (2005), 125, 129.

A. Einleitung › IV. Verfassungsauslegung in den USA und Deutschland

IV. Verfassungsauslegung in den USA und Deutschland

24

In beiden Ländern gibt es einen weitgehend akzeptierten Katalog von Interpretationsmöglichkeiten des Rechts, der auch für die Verfassungsauslegung herangezogen wird[1]. Er besteht aus der Wortlautauslegung, der systematischen oder auch kontextbezogenen[2] Auslegung, der historischen Auslegung[3] und der Auslegung nach dem Sinn und Zweck[4]. Die Gewichtung dieser Auslegungsgesichtspunkte ist allerdings durchaus unterschiedlich. In den USA werden, wie sogleich erläutert wird, historische Argumente oft sehr wichtig genommen[5], wohingegen systematisch-dogmatische Argumente, etwa der Gedanke der Einheit der Verfassung, weniger Relevanz haben[6].

25

Eine Besonderheit der US-amerikanischen Verfassungsauslegung ist allerdings der von manchen vertretene Ansatz des „original meaning“. Hier wird nach der Bedeutung gesucht, die der Verfassungstext ursprünglich, also zu seiner Entstehungszeit, hatte[7]. Selbst der Wille des Verfassungsgebers wird hierbei von manchen nicht berücksichtigt[8]. Auf diese Weise soll dem Verfassungstext selbst mehr Gewicht zukommen als etwa den hierzu später ergangenen Entscheidungen des Supreme Court[9]. Dies kann bedeuten, dass der demokratisch gewählte Verfassungsgeber gegenüber dem Verfassungsgericht aufgewertet wird[10]. Außerdem soll dieser Interpretationsmodus mehr zur Rechtssicherheit beitragen als sein Gegenentwurf, der etwa mit den Stichworten „living“ oder „evolving constitution“ gekennzeichnet wird[11]. Denn die Bedeutung bestimmter von der Verfassung eingesetzter Begriffe zu einer bestimmten Zeit lässt sich leichter ermitteln, als etwa der Sinn und Zweck, den eine Verfassungsbestimmung heute am besten haben sollte[12]. Zudem solle eine Verfassung Stabilität vermitteln und nicht nach dem Willen der Verfassungsrichterinnen und -richter beliebig wandelbar sein[13]. Generell bestehe bei der teleologischen Interpretation die Gefahr, dass Richter ihre eigenen Vorstellungen an die Stelle der Vorstellungen des Gesetzgebers setzten[14].

26

Aus deutscher Perspektive ist der Wunsch, an der ursprünglichen Wortbedeutung aus dem 18. Jahrhundert festzuhalten, ungewöhnlich[15]. Paul Kahn formuliert dies treffend[16]: The American concern with “original intent” for example, appears simply irrational – a kind of legal fetish – to the rest of the world. Eventuell spielt hier die fast religiöse Verehrung des Verfassungstextes[17] und der Verfassungsväter eine gewisse Rolle. Dennoch vermag der streng originalistische Ansatz nicht zu überzeugen[18]. Denn auch ein historisch interpretierter Wortlaut bietet Spielräume, geschichtliche Quellen sind vielfältig und ihre Aussagen nicht eindeutig[19]. Es kommt hinzu, dass die Methode, sich auf den ursprünglichen Text zu konzentrieren, bei Regelungslücken ins Leere geht. So spricht Art. I, section 8, cl. 12 USC von Armeen und Art. I, section 8, cl. 13 USC von der Marine, aber eine Luftwaffe ist in der Verfassung nicht erwähnt, weil 1787 noch unvorstellbar[20]. Dennoch besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass der Kongress die Kompetenz hat, eine Luftwaffe einzurichten. Folglich müssen „Originalisten“ bei historisch umstrittenem Wortlaut oder Regelungslücken ebenfalls auf die anderen Interpretationsmethoden zurückgreifen[21], so dass die Unterschiede zur Gegenauffassung nur graduell sein können. Hier besteht die Gefahr der Inkonsistenz, nämlich dass ich mich nur solange auf die ursprüngliche Wortbedeutung beschränke, wie mir das Ergebnis passt[22]. Es erscheint ohnehin unplausibel, in komplexen Auslegungsfragen bestimmte Informationen, wie etwa die Absichten des Verfassungsgebers oder die Betrachtung der aktuellen Auswirkung bestimmter Auslegungsvarianten von vornherein auszuschließen.

27

Überdies müssen die Verfechter der These, dass die ursprüngliche Wortbedeutung das entscheidende Auslegungsinstrument sei, eine Ausnahme für Präzedenzentscheidungen machen[23], die für die US-Verfassungsinterpretation indes eine zentrale Rolle spielen[24]. Diese Ausnahme reißt jedoch eine große Lücke in die Theorie.

28

Es lässt sich ferner nicht zuverlässig sagen, dass die streng historische Wortlautinterpretation demokratischen Grundsätzen besser entspricht[25]. Wie ist mit Fällen von unglücklichen oder widersprüchlichen Formulierungen umzugehen, wenn die Absicht des Verfassungsgebers erkennbar ist? Warum sollte die heutige Bevölkerung streng an Überlegungen gebunden sein, die 200 Jahre zurückliegen?[26] Die originalistische Verfassungsinterpretation bevorzugt den Vergangenheitsbezug auf Kosten der Gegenwart[27].

29

Als zentrales Argument gegen die Überbetonung des „original meaning“ erweist sich aber die Unterscheidung zwischen Regel und Prinzip. Viele Verfassungsbestimmungen wollen keine präzise Regel formulieren, deren genauer Wortlaut entscheidend ist, sondern eine Grundidee festlegen, etwa Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit oder ein faires Gerichtsverfahren[28]. Prinzipien sind grundsätzlich entwicklungsoffen, um die Flexibilität der Verfassung im Wandel der Zeit zu sichern[29]; diese Sichtweise dürfte auch eher der Intention der Verfassungsväter entsprechen[30]. Eine solche Bewertung der Auslegungsfrage passt ebenfalls besser zur generellen Aufgabe von Recht, das Zusammenleben von Menschen (in der Gegenwart) gerecht zu ordnen[31], also auch flexibel auf technische oder moralische Veränderungen zu reagieren[32]. Diese Perspektive ist in den USA ebenfalls vertreten, wie folgendes Zitat des früheren Verfassungsrichters William Brennan zeigt[33]: „But the ultimate question must be: What do the words of the text mean in our time? For the genius of the Constitution rests not in any static meaning it might have had in a world that is dead and gone, but in the adaptability of its great principles to cope with current problems and current needs.”

 

30

Eine weitere Besonderheit der US-amerikanischen Verfassungsauslegung besteht darin, dass keine Protokolle der verfassungsgebenden Versammlung in Philadelphia 1787 existieren. Als historisches Dokument, welches die Anliegen der Verfassungsväter zumindest annähernd abbildet, werden die sogenannten Federalist Papers genutzt[34], das sind 85 ausführliche Zeitungsartikel aus dem Zeitraum von Oktober 1787 bis August 1788, die von James Madison, Alexander Hamilton und John Jay unter dem Pseudonym Publius verfasst wurden und insbesondere die Bürger in New York von den Vorzügen der neuen Verfassung überzeugen sollten. Noch in den Jahren 1990 bis 2010 zitierte der Supreme Court in mehr als 100 Entscheidungen aus dieser Textsammlung[35].

Anmerkungen

[1]

Kommers/Miller, S. 62 f.; Currie, S. IX.

[2]

So Scalia, S. 3, 37 u. 147; s.a. Amar (2018), XV, XXI.

[3]

Skeptisch in Bezug auf die Gesetzesmaterialien Scalia, S. 3, 29 ff.

[4]

Für die USA: Wood, S. 49, 62; Brugger, S. 11 f., S. 194 u. S. 198; für Deutschland: Jarass/Pieroth, Einleitung, Rn. 6-9; Glendon, S. 95, 105 f.; Kommers/Miller, S. 63; Sodan/Ziekow, § 2, Rn. 4 ff.; Grimm, ZfP 2019, 86, 95.

[5]

Lepsius, S. 319, 361 ff.; Collings, S. 273, 289 ff.; Kulick, JZ 2016, 67, 70.

[6]

Lepsius, S. 319, 352.

[7]

Scalia, S. 3, 38; darstellend Chemerinsky, S. 19 f. u. 22; Kulick, JZ 2016, 67, 72; Heringa, S. 9 f.; Tushnet, S. 253; Amar (2018), XV, XVI; Lepsius (2018), S. 149, 152 f.; Kischel, S. 82 f.; Winkler, S. 271.

[8]

Scalia, S. 3, 38.

[9]

Scalia, S. 3, 39 f.; Amar (2018), XV, XVI.

[10]

Scalia, S. 3, 40 f.; Calabresi, S. 151; Chemerinsky, S. 20 u. 23.

[11]

S. z.B. Chemerinsky, S. 20; Tribe, S. 65, 66; Lepsius (2018), S. 149, 154; Kulick, JZ 2016, 67, 71; Dworkin, S. 115, 122; Heringa, S. 9.

[12]

Scalia, S. 3, 45 f. u. 137.

[13]

Scalia, S. 3, 40 f.; Calabresi, S. 151, 155 ff.

[14]

Scalia, S. 3, 17 f., 20, 41, 132 u. 149.

[15]

Kulick, JZ 2016, 67, 71.

[16]

Kahn, Michigan Law Review 101 (2003), 2677, 2678; ähnlich Collings, S. 273, 284.

[17]

Kahn, Michigan Law Review 101 (2003), 2677, 2686 u. 2700; Dorf, S. 1, 4; Levinson, S. 124; kritisch Lepore, S. 787 f.

[18]

Ebenso Tushnet, S. 256.

[19]

Lepsius (2018), S. 149, 161 f.; 165 u. 169; Wood, S. 49, 63; Tushnet, S. 253 f.; Chemerinsky S. 26; Brugger, S. 195; Kommers/Miller, S. 72; Kulick, JZ 2016, 67, 71; Winkler, S. 271 f.; Wilkinson, Virginia Law Review 95 (2009), 253, 257; Dworkin, S. 115, 124 f.

[20]

Beispiel nach Tribe, S. 65, 70; s.a. Issacharoff, S. 19, 29.

[21]

Dworkin, S. 115, 116 f.

[22]

Tushnet, S. 230; Dworkin, S. 115, 116; Lepore, S. 684.

[23]

Tushnet, S. 259; Scalia, S. 140; Calabresi, S. 151, 162 f.; Winkler, S. 272 u. 288; Lepsius (2018), S. 149, 164; Tribe, S. 65, 82 f.; Amar (2018), XV, XXIII.

[24]

S. genauer unten B. II. 6.

[25]

Dworkin, S. 115, 118.

[26]

Chemerinsky, S. 25; Kulick, JZ 2016, 67, 70 f.

[27]

Lepsius (2018), S. 149, 157.

[28]

Tribe, S. 65, 67 f.; Dworkin, S. 115, 122; Grimm, ZfP 2019, 86, 94; ähnlich Tushnet, S. 256; Kulick, JZ 2016, 67, 71 u. 73; Kommers/Miller, S. 66 m.w.N.

[29]

Tribe, S. 65, 87 spricht von transtemporality; s.a. Kulick, JZ 2016, 67, 71; A.A. Scalia, S. 3, 40 Zweck der Verfassung besteht darin, Veränderung zu verhindern.

[30]

Amar (2018), XV, XVIII; Winkler, S. 287; Chemerinsky, S. 27.

[31]

Hierzu vertiefend u. m.w.N. Beaucamp/Beaucamp, S. 6.

[32]

Chemerinsky, S. 25; Grimm, ZfP 2019, 86, 96; Winkler, S. 281; ähnlich Kischel, S. 83.

[33]

Rede auf einem Symposium der Georgetown Universität 1985, Absatz 16, http://www.thirteen.org/wnet/supremecourt/democracy/source_document7.html

[34]

Brugger, S. 5; Lepsius (2018), S. 149, 153.

[35]

Amar (2012), S. 256.

A. Einleitung › V. Aufbau des Buches

V. Aufbau des Buches

31

Im direkt anschließenden Teil B werden zentralen Strukturen und Institutionen der US-amerikanischen Verfassung geschildert, d.h. die Staatsorganisation. Zunächst geht es um den Präsidenten (I.), dann um das höchste Gericht sowie das Jury-System (II.), anschließend um den Kongress, der aus den beiden Kammern Senat und Repräsentantenhaus besteht (III.), und das Verhältnis von Bund und Bundesstaaten (IV.). Nach einem Blick auf einige Besonderheiten des US-amerikanischen Wahlrechts (V.) werden am Ende dieses Teils die gegenseitigen Kontrollmöglichkeiten der genannten Institutionen beleuchtet (VI.). Hier finden Sie auch eine graphische Darstellung der Staatsorganisation (S. 72).

32

Teil C des Buches widmet sich ausgewählten Grundrechten der US-Verfassung. Nach einigen allgemeinen Fragen (I. u. II.) befasst sich dieser Teil zunächst mit den geschriebenen Grundrechten des 1. und 2. Zusatzartikels USC, also der Religionsfreiheit (III.), der Meinungs- und Pressefreiheit (IV.), der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (V.) und dem Recht auf Waffenbesitz (VI.). Es folgt ein Blick auf den Gleichheitsgrundsatz der US-Verfassung (VII.). Am Ende des Grundrechtsabschnitts werden die aus dem 5. und 14. Zusatzartikel USC abgeleiteten, Rechte, z.B. das Recht auf Heirat oder das Recht auf Privatsphäre (VIII.) behandelt. Das Buch schließt mit einem persönlichen Fazit (D.).

33

So oft es mir sinnvoll und hilfreich erschien, habe ich vergleichende Betrachtungen zur Verfassungsrechtslage in Deutschland angestellt. Diese sollen Bezüge herstellen sowie Ähnlichkeiten und Unterschiede herausstellen[1]. Ein umfassender Verfassungsvergleich wird aber nicht versucht, um nicht das eigentliche Thema, die Einführung in das US-amerikanische Verfassungsrecht, zu verfehlen.

Anmerkungen

[1]

Zu dieser zweiten Stufe der Rechtsvergleichung Hirschl, American Journal of Comparative Law 53 (2005), 125, 126 ff.

B. Zentrale Institutionen der US-amerikanischen Verfassung

Inhaltsverzeichnis

I. Der Präsident

II. Der Supreme Court und das Jury-System

III. Der Kongress

IV. Der US-amerikanische Föderalismus

V. Einige Besonderheiten des US-amerikanischen Wahlrechts

VI. Gegenseitige Kontrollmöglichkeiten (checks and balances)

B. Zentrale Institutionen der US-amerikanischen Verfassung › I. Der Präsident

I. Der Präsident

34

Von außen betrachtet, scheint diese Institution der US-amerikanischen Verfassung die wichtigste zu sein[1]. Die Wahl eines neuen amerikanischen Präsidenten (s. hierzu Art. II, section 1 USC)[2], – eine US-amerikanische Präsidentin hat es bislang noch nie gegeben –, der voraufgehende Wahlkampf und die bereits davor liegende Kandidatenauswahl sind weltweit intensiv beobachtete und kommentierte Ereignisse. Im Folgenden sollen zunächst die wesentlichen außen- und innenpolitischen Kompetenzen des US-Präsidenten vorgestellt werden (1.). Sodann werden diese mit den Befugnissen des deutschen Bundespräsidenten verglichen, wobei dieser Abschnitt auch das Veto-Recht des US-Präsidenten behandelt (2.). Anschließend geht es um das beiden Präsidentschaften gemeinsame Amtsenthebungsverfahren (3.). Sodann werden zwei Spezialfragen der US-amerikanischen Verfassung behandelt, die in Deutschland keine Parallele haben. Zum einen die Rolle des Vizepräsidenten (4.), zum anderen die Durchführungsanordnungen des Präsidenten (executive orders) (5.). Das Kapitel schließt mit einer Übersicht über die festgestellten Gemeinsamkeiten und Unterschiede (6.) sowie dem Versuch, diese zu erklären (7.).

 

Anmerkungen

[1]

Heringa, S. 184.

[2]

Genauer zum Wahlverfahren unter IV. 2.

B. Zentrale Institutionen der US-amerikanischen Verfassung › I. Der Präsident › 1. Zentrale außen- und innenpolitischen Befugnisse des US-Präsidenten

1. Zentrale außen- und innenpolitischen Befugnisse des US-Präsidenten

35

Für das Verhältnis zu den anderen Staaten der Welt ist der jeweilige US-amerikanische Präsident tatsächlich von zentraler Bedeutung[1]. Er ist Oberbefehlshaber aller US-amerikanischen Soldaten (Art. II, section 2, cl. 1 USC) und zentraler Akteur der Außenpolitik, weil er – allerdings mit Zustimmung von zwei Dritteln der Senatsmitglieder – völkerrechtliche Verträge abschließt und alle Botschafterinnen und Botschafter ernennt (Art. II, section 2, cl. 2 USC).

36

Ferner wird aus der sogenannten receiving-clause des Art. II, section 3 USC das ausschließliche Recht des Präsidenten entwickelt, fremde Staaten anzuerkennen bzw. diese Anerkennung zurückzunehmen[2]. Außenpolitisch relevant sind ferner die durch historisch gewachsene Staatspraxis anerkannten Kompetenzen des Präsidenten, völkerrechtliche Verträge zu kündigen[3] und Regierungsvereinbarungen (executive agreements) abzuschließen[4] und damit die für völkerrechtliche Verträge eigentlich notwendigen 2/3 Mehrheit im Senat (Art. II, section 2, cl. 2 USC) zu umgehen. Schließlich hat der Kongress durch die War Powers Resolution von 1973 akzeptiert, dass es einen begrenzten Truppeneinsatz seitens des Präsidenten ohne offizielle Kriegserklärung durch den Kongress geben darf und damit seine eigene Kompetenz aus Art. I, section 8, cl. 11 USC eher restriktiv gehandhabt[5].

37

Innenpolitisch hat der US-Präsident ebenfalls eine dominante Rolle[6]. Er darf alle Bundesbediensteten und Bundesrichterinnen bzw. -richter ernennen (Art. II, section 2, cl. 2 USC). Hierzu zählen auch die Minister und Ministerinnen seiner Regierung und die Richterinnen und Richter des obersten Bundesgerichts. Für die Ernennungen – nicht aber für Entlassungen[7] – braucht der Präsident die Zustimmung des Senats (Art. II, section 2, cl. 2 USC)[8]. Ähnlich wie der deutsche Bundespräsident ist der US-Präsident für Begnadigungen auf Bundesebene zuständig (Art. I, section 2, cl. 1 USC, Art. 60 Abs. 2 GG).

38

Der US-Präsident ist nicht nur Staatschef sondern auch Regierungschef[9], er leitet die Exekutive (Art. II, section 1, cl. 1 USC) und trägt die Verantwortung für diese allein[10]. Ressortverantwortung der Ministerinnen und Minister oder den Regierungschef bindende Entscheidungen des Kabinetts, wie in Art. 65 GG vorgesehen, sind dem US-amerikanischen Verfassungsrecht unbekannt[11]. Der Präsident kann Ministerinnen und Minister sowie andere hochrangige Beschäftigte, etwa seinen Regierungssprecher, die ihm nicht mehr zusagen, entlassen[12]. Lebenszeitbeamtinnen und -beamte kennt das amerikanische Verfassungsrecht im Unterschied zu Art. 33 Abs. 4 GG nicht. Dies bedeutet, dass mit einem neuen Präsidenten auch rund 4000 Spitzenpositionen in Washington neu besetzt werden[13]. Man benennt deshalb die jeweilige Bundesverwaltung auch nach dem amtierenden Präsidenten und spricht etwa von der Bush-Administration, der Obama-Administration und aktuell von der Trump-Administration.