Madame Bovary. Sittenbild aus der Provinz

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Am andern Morgen um neun war er bereits wieder auf dem Pachthof. Emma wurde rot, als er hereinkam; dabei zwang sie sich, ein wenig zu lachen, um Haltung zu bewahren. Der alte Rouault schloss seinen künftigen Schwiegersohn in die Arme. Die geschäftlichen Dinge wurden auf später verschoben; zudem hatte man Zeit, da die Heirat anstandshalber nicht vor Ablauf von Charles’ Trauerjahr stattfinden konnte, das hieß also, zu Beginn des nächsten Frühlings.

Über diese Wartezeit ging der Winter hin. Mademoiselle Rouault beschäftigte sich mit ihrer Aussteuer. Ein Teil davon wurde in Rouen bestellt; Hemden und Nachthauben nähte sie selber nach geliehenen Schnittmustern. Bei Charles’ Besuchen auf dem Pachthof wurde von den Vorbereitungen zur Hochzeit gesprochen; sie überlegten, in welchem Raum das Essen stattfinden sollte; sie erwogen die erforderliche Zahl der Gänge und die Vorspeisen.

Emma wäre es das liebste gewesen, wenn die Trauung um Mitternacht bei Fackelschein stattgefunden hätte; aber für diesen Einfall hatte der alte Rouault kein Verständnis. Es sollte also ein Hochzeitsfest mit dreiundvierzig Gästen geben; sechzehn Stunden sollte bei Tisch gesessen werden; am andern Tag sollte es von vorn losgehen, und an den folgenden Tagen so ähnlich.

IV

Die Hochzeitsgäste stellten sich beizeiten ein, in Kutschen, Einspännern, leichten zweirädrigen Wagen mit Bänken, alten Kabrioletts ohne Verdeck, Kremsern mit Ledervorhängen, und das junge Volk aus den nächstgelegenen Nachbardörfern kam in Leiterwagen angefahren, in einer Reihe stehend, die Hände an den Seitenstangen, um nicht zu fallen; sie fuhren im Trab und wurden tüchtig durchgeschüttelt. Manche kamen zehn Meilen weit her, aus Goderville, Normanville und Cany. Sämtliche Verwandten der beiden Familien waren eingeladen worden; man hatte sich mit Freunden ausgesöhnt, mit denen man uneins gewesen war; es war an Bekannte geschrieben worden, die man seit langem aus den Augen verloren hatte.

Von Zeit zu Zeit wurde hinter der Hecke Peitschenknall laut; bald darauf öffnete sich das Hoftor: eine Halbkutsche fuhr herein. Im Galopp ging es bis zur ersten Stufe der Freitreppe, dort hielt sie mit einem Ruck, und die Insassen stiegen nach beiden Seiten aus, rieben sich die Knie und reckten die Arme. Die Damen, Hauben auf dem Kopf, trugen städtische Kleider, goldene Uhrketten, Umhänge mit langen Enden, die sie kreuzweise in den Gürtel geschoben, oder kleine, bunte Busentücher, die sie am Rücken mit einer Nadel festgesteckt hatten und die ihren Hals hinten frei ließen. Die Knaben waren genauso angezogen wie ihre Väter; sie fühlten sich in ihren neuen Anzügen recht unbehaglich (viele trugen sogar an diesem Tag zum erstenmal in ihrem Leben Stiefel), und neben ihnen waren vierzehn- bis sechzehnjährige Mädchen zu sehen, offenbar ihre Kusinen oder älteren Schwestern, in weißen Kommunionskleidern, die zur Feier des Tages verlängert worden waren; alle hatten rote, verlegene Gesichter, fettiges, pomadisiertes Haar, und alle waren voller Angst, sich die Handschuhe zu beschmutzen. Da nicht Knechte genug da waren, um alle ankommenden Wagen abzuspannen, streiften die Herren die Rockärmel hoch und machten sich eigenhändig daran. Je nach ihrem gesellschaftlichen Rang waren sie im Frack, im Gehrock oder im Jackett erschienen; – guten Kleidungsstücken, aus denen die ganze Würde einer Familie sprach und die nur bei feierlichen Gelegenheiten aus dem Schrank geholt wurden; Bratenröcke mit langen, im Wind flatternden Schößen, mit zylindrischen Kragen und sackweiten Taschen; Jacken aus derbem Tuch, meist im Verein mit Mützen, deren Schirm einen Messingrand hatte; ganz kurze Röcke mit zwei dicht nebeneinander sitzenden Knöpfen auf dem Rücken, die wie zwei Augen aussahen; ihre Schöße schienen vom Zimmermann mit der Axt aus einem Block herausgehauen worden zu sein. Einige (aber diese mussten ganz sicher am untersten Ende der Festtafel sitzen) trugen Sonntagsblusen, also solche, deren Hemdkragen über die Schultern zurückgeschlagen ist, die am Rücken kleine Falten haben und deren Taille sehr tief durch einen genähten Gürtel gehalten wird.

Und die steifen Hemden wölbten sich über der Brust wie Kürasse! Alle hatten sich das Haar schneiden lassen; die Ohren standen von den Schädeln ab; alle waren glatt rasiert; manche sogar, die schon vor dem Morgengrauen aufgestanden waren, hatten nicht genug Licht zum Bartschaben gehabt; sie hatten diagonale Schmisse unter der Nase, oder längs des Kinns Hautfetzen, die groß wie Drei-Francs-Taler waren; die frische Morgenluft hatte sie während der Fahrt entzündet, und deshalb waren diese hellen, blühenden Gesichter ein bisschen durch rosa Flecken marmoriert.

Da das Bürgermeisteramt eine halbe Stunde vom Pachthof entfernt lag, ging man zu Fuß dorthin, und ebenso kehrte man nach beendeter Zeremonie in der Kirche heim. Der Hochzeitszug war anfangs gut geordnet gewesen, ein einziges, buntes Band, das sich durch die Landschaft wand, den schmalen Fußpfad entlang, der sich zwischen den grünen Kornfeldern hinschlängelte; doch bald teilte er sich in mehrere Gruppen, die langsamer gingen, um plaudern zu können. Allen voran schritt der Dorfmusikant mit seiner an der Schnecke mit Bändern geschmückten Geige; dann folgten das Brautpaar, die Eltern und Verwandten, die Freunde, wie es gerade kam, und die Kinder blieben ganz hinten; sie vergnügten sich damit, die Glöckchen der Haferrispen abzureißen oder sich untereinander zu kabbeln, wenn keiner hinsah. Emmas Kleid war zu lang und schleppte ein bisschen; dann und wann blieb sie stehen und raffte es, und dabei las sie behutsam mit ihren behandschuhten Fingern die harten Gräser und die kleinen, stacheligen Distelspießchen ab, während Charles untätig wartete, bis sie damit fertig war. Der alte Rouault trug einen neuen Seidenzylinder, und die Ärmel seines schwarzen Fracks bedeckten seine Hände bis zu den Fingernägeln; er hatte der Mutter Bovary den Arm gereicht. Was nun den Vater Bovary betrifft, der diese ganze Sippschaft tief verachtete, so war er einfach in einem einreihigen Gehrock von militärischem Schnitt gekommen; er traktierte eine junge, blonde Bäuerin mit Kantinen-Galanterien. Sie hörte respektvoll zu, errötete und wusste nicht, was sie antworten sollte. Die übrigen Hochzeitsgäste sprachen von ihren Geschäften oder ulkten einander an, um schon im Voraus in heitere Stimmung zu geraten; und wer hinhorchte, hörte in einem fort das Gefiedel des Dorfmusikanten, der auch auf freiem Feld weitergeigte. Wenn er merkte, dass der Zug weit hinter ihm zurückgeblieben war, blieb er stehen, schöpfte Atem, rieb umständlich seinen Bogen mit Kolophonium ein, damit die Saiten noch besser kratzten, und dann setzte er sich wieder in Marsch, wobei er den Hals seiner Violine abwechselnd senkte und hob, um sich selbst den Takt anzugeben. Das Gequietsch des Instruments verscheuchte die kleinen Vögel schon von weitem.

Die Festtafel war im Wagenschuppen aufgestellt worden. Es prangten darauf vier Lendenbraten, sechs Hühnerfrikassees, geschmortes Kalbfleisch, drei Hammelkeulen und in der Mitte, umlegt mit vier Sauerampferwürsten, ein hübsches, geröstetes Spanferkel. An den Tischenden stand in Karaffen der Schnaps. Der Zider schäumte aus den Flaschenhälsen, und alle Gläser waren schon im voraus bis an den Rand mit Wein gefüllt. Große Schüsseln mit gelber Cremespeise, die beim leisesten Stoß gegen den Tisch ins Wabbeln geriet, trugen auf ihrer glatten Oberfläche die von kleinen Schnörkeln umrahmten Monogramme des jungen Paars. Für die Torten und das Nougat hatte man eigens einen Konditor aus Yvetot kommen lassen. Da er sich in dieser Gegend zum erstenmal betätigte, hatte er sich besondere Mühe gegeben; beim Nachtisch trug er eigenhändig ein Prunkstück auf, das Ausrufe der Bewunderung auslöste. Auf einem quadratischen Unterbau aus blauer Pappe, darstellend einen Tempel mit Portikus, Säulengängen und ringsherum Gipsfigürchen in mit Sternbildern aus Goldpapier beklebten Nischen erhob sich als zweites Stockwerk ein Burgturm aus Pfefferkuchen, umgeben von winzigen Befestigungswerken aus Engelwurzbonbons, Mandeln, Rosinen und kandierten Orangenschnitten; und schließlich, auf der obersten Plattform, die aus einer grünen Wiese bestand, auf der es Felsgruppen mit Zuckerteichen und Booten aus Haselnussschalen gab, war ganz oben ein kleiner Amor zu sehen, der sich in einer Schokoladenschaukel wiegte; oben auf den Pfeilern steckten, statt der Kugeln, zwei natürliche Rosenknospen.

Gegessen wurde bis zum Abend. Wer vom Sitzen zu müde war, ging im Hof umher oder machte eine Partie Pfropfenspiel in der Scheune und setzte sich dann wieder zu Tisch. Einige nickten gegen Ende der Mahlzeit ein. Aber beim Kaffee wurde alles wieder munter; jetzt wurden Lieder angestimmt, Kraftübungen gemacht, Gewichte gestemmt, Purzelbäume geschossen, es wurde versucht, Karrenwagen mit den Schultern hochzuheben; saftige Witze wurden erzählt und die Damen abgeknutscht. Abends beim Aufbruch war es nicht leicht, die Pferde, denen der vertilgte Hafer bis an die Nüstern stand, in die Deichselgabeln zu bringen; sie bockten und schlugen aus; Riemen rissen; ihre Herren fluchten oder lachten, und die ganze Nacht hindurch ratterten auf den vom Mondschein erhellten Landstraßen in vollem Galopp heimrollende Fuhrwerke, sprangen über die Abzugsrinnen, hüpften über Steine, streiften die Böschungen, und die ängstlichen Frauen beugten sich über den Wagenschlag, um die Zügel zu fassen.

Die in Les Bertaux Verbleibenden zechten die Nacht hindurch in der Küche weiter. Die Kinder waren unter den Bänken eingeschlafen.

Die Braut hatte ihren Vater inständig gebeten, dass sie von den üblichen Späßen verschont bleibe. Aber einer der Vettern, ein Fischhändler (der als Hochzeitsgeschenk zwei Seezungen mitgebracht hatte), war drauf und dran, mit dem Mund Wasser durchs Schlüsselloch zu spritzen, als der alte Rouault gerade noch rechtzeitig dazu kam, um ihn daran zu hindern; er machte ihm klar, dass dergleichen Ungehörigkeiten sich nicht mit der Würde seines Schwiegersohns vertrügen. Der Vetter gab jedoch diesen Gründen nur widerwillig nach. Insgeheim hielt er den alten Rouault für aufgeblasen, und er ging weg und setzte sich in eine Ecke zu vier oder fünf andern Gästen, die während des Essens zufällig mehrmals hintereinander bei den Fleischspeisen Missgriffe getan hatten; sie meinten, sie seien schlecht bewirtet worden, tuschelten auf Kosten ihres Gastgebers und wünschten ihm andeutungsweise den Ruin.

 

Die Mutter Bovary hatte während des ganzen Tages den Mund nicht aufgetan. Sie war weder was die Toilette ihrer Schwiegertochter noch was die Speisenfolge des Festmahls betraf um Rat gefragt worden; sie zog sich beizeiten zurück. Anstatt ihr zu folgen, ließ ihr Mann sich aus Saint-Victor Zigarren holen, rauchte bis zum Tagesanbruch und trank Grog aus Kirschwasser, ein für die Dabeisitzenden unbekanntes Gemisch, das für ihn zur Quelle einer noch höheren Achtung wurde.

Charles war von Natur alles andere als witzig; er hatte während des Hochzeitsessens nicht geglänzt. Gegenüber den Späßen, Kalauern, Zweideutigkeiten, Komplimenten und Possen, mit denen ihn zu überschütten man sich von der Suppe an zur Pflicht gemacht hatte, war er die rechte Antwort schuldig geblieben.

Am nächsten Morgen indessen mutete er an wie ein völlig anderer Mensch. Er und nicht Emma war am Vortage sozusagen die Jungfrau gewesen, wogegen die Braut sich nichts anmerken ließ, aus dem man etwas hätte ersehen können. Den ärgsten Schandmäulern verschlug es die Sprache; sie musterten sie, wenn sie vorüberging, über die Maßen erstaunt. Charles jedoch verhehlte nichts. Er nannte sie »mein Frauchen«, duzte sie, erkundigte sich bei jedermann nach ihr, suchte sie überall und zog sie oftmals in ein Gehege, wo man ihn von weitem unter den Bäumen sah, wie er ihr den Arm um die Taille legte, sich im Weitergehen halb über sie beugte und ihr mit dem Kopf das Brusttuch zerknitterte.

Zwei Tage nach der Hochzeit brachen die Neuvermählten auf: Charles konnte seiner Patienten wegen nicht länger fortbleiben. Der alte Rouault ließ sie in seinem zweibänkigen Einspänner heimfahren und begleitete sie bis Vassonville. Dort küsste er die Tochter ein letztes Mal, stieg aus und ging seines Weges. Als er etwa hundert Schritte zurückgelegt hatte, blieb er stehen, und als er sah, wie das Gefährt, dessen Räder Staub aufwirbelten, sich immer weiter entfernte, stieß er einen tiefen Seufzer aus. Dann gedachte er seiner eigenen Hochzeit, der früheren Zeiten, der ersten Schwangerschaft seiner Frau; auch er war damals sehr fröhlich gewesen an jenem Tag, da er sie aus dem Haus des Schwiegervaters in das seine geholt, als sie hinter ihm auf dem Pferde gesessen hatte und sie über den Schnee getrabt waren; es war nämlich um die Weihnachtszeit und das Land war ganz weiß gewesen; mit der einen Hand hatte sie sich an ihm festgehalten, die andere hatte ihren Korb getragen; der Wind hatte den langen Spitzenbesatz ihrer landesüblichen Haube flattern lassen, manchmal hatte sie seinen Mund gestreift, und wenn er den Kopf gewandt hatte, dann hatte er dicht bei sich, über die Schulter hinweg, ihr rosiges Gesichtchen gesehen, das unter dem Goldzierat der Haube still lächelte. Um sich die Finger zu wärmen, hatte sie sie von Zeit zu Zeit vorn in seine Jacke gesteckt. Wie lange war das her! Ihrer beider Sohn würde jetzt dreißig sein! Da sah er sich nochmals um und erblickte auf der Landstraße nichts mehr. Er fühlte sich traurig wie ein ausgeräumtes Haus; und da sich in seinem durch die Gasterei benebelten Kopf die zärtlichen Erinnerungen mit schwermütigen Gedanken mischten, verspürte er einen Augenblick das Verlangen, einen Umweg vorbei an der Kirche zu machen. Indessen fürchtete er, dass dieser Anblick ihn noch trauriger stimmen werde, und so ging er geradewegs wieder heim.

Monsieur und Madame Bovary langten gegen sechs in Tostes an. Die Nachbarn stürzten an die Fenster, um die junge Frau ihres Arztes zu sehen.

Die alte Magd kam, begrüßte ihn und entschuldigte sich, dass das Abendessen nicht fertig sei; sie schlug Madame vor, sich inzwischen ihr Haus anzusehen.

V

Die Backsteinfassade stand genau in der Fluchtlinie der Straße oder vielmehr der Landstraße. Hinter der Haustür hingen ein Mantel mit kleinem Kragen, ein Zügel, eine schwarze Ledermütze, und in einem Winkel lagen auf der Erde ein Paar Gamaschen, an denen noch der getrocknete Dreck haftete. Rechts lag die große Stube, das heißt: der Raum, wo gegessen wurde und wo man sich aufzuhalten pflegte. Eine kanariengelbe Tapete, die oben durch eine Girlande aus blassen Blumen belebt wurde, zitterte von oben bis unten, so schlecht war der Leinenuntergrund gespannt; die Gardinen waren aus weißem Kattun mit roter Borte; sie überschnitten sich an den Fenstern, und auf dem schmalen Kaminsims glänzte eine Stutzuhr mit einem Hippokrateskopf zwischen zwei versilberten Leuchtern unter ovalen Glasglocken. Auf der anderen Seite des Flurs lag Charles’ Sprechzimmer, ein kleines Gelass von etwa sechs Fuß Breite, mit einem Tisch, drei Stühlen und einem Schreibtischsessel. Die Bände des »Medizinischen Lexikons« waren unaufgeschnitten, und ihre Broschur war bei all den Versteigerungen, die sie durchgemacht hatten, arg schadhaft geworden; sie füllten ganz allein schon die sechs Fächer eines Büchergestells aus Tannenholz. Während der Sprechstunde drang der Kochdunst durch die Wand, gerade wie man in der Küche die Patienten husten und des langen und breiten ihre Geschichte erzählen hören konnte. Dann kam, mit einem Ausgang unmittelbar nach dem Hof hin, wo der Pferdestall war, ein großer, verwahrloster Raum; er enthielt einen Backofen und diente jetzt als Holzschuppen, Keller und Rumpelkammer; er war vollgepfropft mit altem Eisenkram, leeren Fässern, ausgedientem Ackergerät und einem Haufen anderer verstaubter Dinge, deren Zweck sich unmöglich erraten ließ.

Der Garten war mehr lang als breit; er erstreckte sich zwischen zwei Lehmmauern mit Strohkappe und Aprikosenspalieren bis zu einer Dornenhecke, die ihn von den Feldern trennte. In der Mitte stand auf einem gemauerten Sockel eine Sonnenuhr aus Schiefer; vier Beete mit kümmernden Buschrosen umgaben symmetrisch das nützlichere Viereck mit Gemüse und Küchenkräutern. Ganz hinten unter amerikanischen Fichten stand ein gipserner Pfarrer und las sein Brevier.

Emma stieg zu den Schlafzimmern hinauf. Das erste war überhaupt nicht möbliert; aber im zweiten, dem ehelichen Schlafgemach, stand in einer Nische mit roter Draperie ein Mahagonibett. Ein Muschelkästchen zierte die Kommode; und auf dem Schreibpult am Fenster stand in einer Karaffe ein von weißen Atlasbändern umwundener Orangenblütenstrauß. Es war ein Hochzeitsstrauß, der Strauß der andern! Emma sah ihn sich an. Das bemerkte Charles; er nahm ihn und trug ihn auf den Speicher, während Emma in einem Lehnstuhl saß (rings um sie her wurden ihre Sachen aufgebaut) und an ihren eigenen Hochzeitsstrauß dachte, der in einen Karton verpackt war; und sie fragte sich träumerisch, was wohl daraus werden würde, wenn zufällig sie als die erste sterben sollte.

Während der ersten Tage beschäftigte sie sich damit, die Änderungen zu überlegen, die sie im Haus durchführen wollte. Sie nahm die Glasglocken von den Leuchtern, ließ neue Tapeten ankleben, die Treppe streichen und im Garten rings um die Sonnenuhr Bänke aufstellen; sie fragte sogar, wie man es anfangen müsse, um ein Becken mit Springbrunnen und Fischen zu bekommen. Ihr Mann wusste, dass sie gern spazieren fuhr; also kaufte er aus zweiter Hand einen zweirädrigen Einspänner, der, nachdem er neue Laternen und ein gestepptes Spritzleder bekommen hatte, fast wie ein Dogcart aussah.

So war er also glücklich und aller Sorgen ledig. Eine Mahlzeit zu zweit, ein abendlicher Spaziergang auf der Hauptstraße, ein Gleiten ihrer Hand über das glatt anliegende Haar, der Anblick ihres Strohhuts, der an einem Fensterriegel hing, und viele andere Dinge noch, von denen Charles niemals geglaubt hätte, dass sie mit Lustgefühlen verbunden seien, bildeten für ihn jetzt eine Bürgschaft für die Beständigkeit seines Glücks. Morgens im Bett, Seite an Seite mit ihr auf dem Kopfkissen, schaute er zu, wie das Sonnenlicht durch den blonden Flaum ihrer von den breiten Flügeln der Nachthaube halb verdeckten Wangen glitt. So aus der Nähe gesehen kamen ihre Augen ihm größer vor, zumal wenn sie beim Erwachen die Lider mehrmals hintereinander öffnete und schloss; sie waren schwarz im Schatten und dunkelblau bei vollem Tagesschein; sie hatten etwas wie übereinanderliegende Farbschichten, die nach der Tiefe zu immer dunkler und nach der schimmernden Oberfläche zu immer heller wurden. Sein eigenes Auge verlor sich in diese Tiefen, und er sah sich darin verkleinert bis zu den Schultern, mit dem Schal, den er sich um den Kopf geschlungen hatte, und den oberen Rand seines halboffenen Hemds. Er stand auf. Sie stellte sich ans Fenster, um ihn fortreiten zu sehen; und dort blieb sie stehen, auf das Fensterbrett gestützt, zwischen zwei Geranientöpfen, im Morgenrock, der sie locker umschloss. Unten auf der Straße schnallte er sich an einem Prellstein die Sporen an; und sie fuhr fort, von oben her mit ihm zu sprechen, wobei sie mit dem Munde eine Blüte oder ein Blättchen abzupfte und ihm zublies; das schwebte dann und schaukelte in der Luft, flog in kleinen Halbkreisen wie ein Vogel und blieb, ehe es niederfiel, in der schlecht gestriegelten Mähne der alten Schimmelstute hängen, die unbeweglich vor der Haustür stand. Charles saß auf und warf ihr eine Kusshand zu; sie antwortete mit einem Nicken; sie schloss das Fenster, er ritt davon. Und dann, auf der Landstraße, die endlos ihr langes Staubband entfaltete, in Hohlwegen, über denen die Bäume sich zueinander neigten und Gewölbe bildeten, auf Feldwegen, wo das Getreide ihm bis zum Knie reichte, den Sonnenschein auf den Feldern, die Morgenluft in der Nase, das Herz noch erfüllt von den Beglückungen der Nacht, mit ruhigem Gemüt und befriedigtem Körper, ritt er einher und genoss sein Glück zum zweiten Mal wie einer, der nach dem Abendessen noch den Geschmack der Trüffeln, die er bereits verdaut, auf der Zunge hat.

Was hatte er denn bislang an Gutem im Leben erfahren? Etwa seine Schulzeit, wo hohe Mauern ihn eingeschlossen hatten und er sich einsam zwischen Kameraden gefühlt hatte, die in ihren Klassen reicher oder stärker als er gewesen waren, die er durch seine Aussprache zum Lachen gebracht hatte, die sich über seine Kleidung lustig machten und deren Mütter mit Backwerk im Muff ins Sprechzimmer kamen? Oder etwa später, als er Medizin studiert und niemals genug Geld hatte, um irgendein Arbeitermädchen zum Tanz zu führen, das dann vielleicht seine Geliebte geworden wäre? Danach hatte er vierzehn Monate mit der Witwe zusammengelebt, deren Füße im Bett kalt gewesen waren wie Eisklumpen. Jetzt jedoch besaß er fürs Leben diese hübsche Frau, die er vergötterte. Für ihn ging das Weltall nicht über den seidigen Saum ihres Unterrocks hinaus; und er warf sich vor, er liebe sie nicht, es überkam ihn das Verlangen, sie zu sehen; schnell kehrte er um und stieg mit klopfendem Herzen die Treppe hinauf. – Emma war in ihrem Schlafzimmer bei ihrer Toilette; leisen Schrittes trat er zu ihr und küsste sie auf den Rücken; sie schrie auf.

Er konnte es nicht lassen, immer wieder ihren Kamm, ihre Ringe, ihr Brusttuch zu berühren; manchmal gab er ihr mit vollen Lippen plumpe Küsse auf die Wangen oder reihte kleine Küsse auf ihrem nackten Arm aneinander, von den Fingerspitzen bis zur Schulter; und sie stieß ihn zurück, halb lächelnd und halb belästigt, wie man ein Kind wegschiebt, das sich an einen hängt.

Vor der Hochzeit hatte sie geglaubt, sie liebe ihn; aber als das Glück, das aus dieser Liebe hatte entspringen sollen, ausblieb, dachte sie, sie müsse sich getäuscht haben. Und Emma suchte zu begreifen, was man denn eigentlich im Leben unter den Ausdrücken Glückseligkeit, Leidenschaft und Trunkenheit verstehe, die ihr in den Büchern so schön erschienen waren.