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Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild

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Aber er konnte die Freudigkeit des Präses seines Vorstandes nicht gewinnen und mußte sich davon überzeugen, daß der gesamte Vorstand die Ansicht des Präses teilte. So legte er den Gütersloher Plan mit kurzer Entschlossenheit beiseite, um nun desto mehr unsern Bruder in der Freudigkeit für seine Aufgabe in Bethel zu stärken. Aber nicht in irgend einem Menschen sah er den eigentlichen Mittelpunkt der vielverzweigten Anstalt. „Das Wort Gottes muß euch zusammenhalten,” sagte er, „und das eigentliche Herzblatt unserer ganzen Arbeit ist die Heidenmission.”

Aber zugleich blieb ihm die Mission an der Seele des eigenen Volkes tiefstes Anliegen. Seit einigen Jahren hatten im Anschluß an die theologische Schule regelmäßig Bibelkurse für evangelische Arbeitersekretäre stattgefunden. Anfang März 1910 waren wieder die Sekretäre zu einem solchen Kursus versammelt. Mit tiefstem Interesse nahm Vater an den Besprechungen teil und trat im Einzelgespräch den Sekretären näher, namentlich ihrem weitblickenden Führer Behrens. Die durch diese Sekretäre vertretene, von Liz. Mumm und Liz. Weber mit zäher Umsicht geleitete evangelische Arbeiterbewegung hatte seit Jahren ihr Organ in einer von Stöcker begründeten, unter dem Titel „Das Volk” erscheinenden Tageszeitung, aus der sich die Zeitung „Das Reich” entwickelte. Daß die letztgenannte alsbald in eine bedrängte Lage geriet, bewegte Vater sehr. Er sah den Untergang des Blattes kommen, wenn es in Berlin bliebe, und bat den Redakteur, Dr. Oestreicher, Mitte März, zu einer Besprechung nach Bielefeld zu kommen. In herzandringender Weise legte er ihm dar, daß der Herausgeber eines Blattes, das die innerste Pflege der Seele des Volkes zur Aufgabe habe, in der schwülen Großstadtluft Berlins nicht frei und tief genug atmen könne und eine gesundere Atmosphäre aufsuchen müsse. Oestreicher möge so schnell wie möglich eine Übersiedelung des Blattes aus Berlin nach Bielefeld in die Wege leiten, um dort im Anschluß an das kleine von Budde begründete christlich-soziale Organ, den „Ravensberger”, seine Arbeit fortzusetzen. Die Bitte war vergebens. Nach einem halben Jahre stellte „Das Reich” sein Erscheinen ein, und die hingebende Kraft Oestreichers war für die Sache verloren. Der Gedanke selbst aber lebte fort und fand, wenn auch erst neun Jahre später, dadurch seine Erfüllung, daß aus dem „Ravensberger” die noch heute in Bethel erscheinende Tageszeitung „Aufwärts” hervorging.

Für die Anstaltsgemeinde im besonderen beschäftigte ihn unablässig der Gedanke an die richtige Versorgung der im Dienst ergrauten Schwestern, der alsbald durch die Errichtung eines schönen, großen Feierabendhauses in die Tat umgesetzt wurde. Daneben lag ihm wieder und wieder die rechte Pflege der heranwachsenden Kinder der Anstaltshauseltern und Anstaltsbeamten am Herzen.

Einer der letzten ausführlichen Briefe Vaters galt, wie im vorigen Abschnitt gezeigt, der deutschen Armee, und die verständnisvolle Antwort des Kriegsministers war eine der letzten großen Freuden, die Vater erlebte.

Am 6. März feierten wir mit der ganzen Gemeinde im schönen großen Assapheumssaal seinen Eintritt ins achtzigste Lebensjahr. Gelassen wie ein Kind ging er seinen Weg vorwärts, zuweilen mit einer Verlängerung seiner Arbeitsfrist auf Erden rechnend, aber daneben immer wieder an sein baldiges Ende denkend. Unbeschreiblich gemütlich blieben unsere Abendstunden, in denen wir ein schönes Buch nach dem andern lasen, zuletzt, als der zehnjährige Sohn unseres afrikanischen Freundes Johanssen seine Abende bei uns zubrachte, das Leben Hagenbecks. Nicht nur den Jungen, dem zuliebe Vater das Buch lesen ließ, interessierte es aufs lebhafteste, sondern auch Vater selbst, der immer wieder staunte über die große Liebe und Energie, mit der Hagenbeck über die wilden Tiere Herr wurde.

Wurde Vater müde, so rief er: „Vorwärts, alter Kerl!”, richtete sich in seinem Sessel auf und ging an seinen beiden Stöcken auf und ab. Wenn die Uhr neun schlug, las unsere Schwester aus Wursters Buch die Andacht, und Vater hielt das Schlußgebet. Tagsüber freute er sich immer wieder an dem kommenden Frühling und seinen Blumen. Am Todestage Cäsars, dem 15. März, blieb er vor den sprossenden Primeln im Garten stehen. „Armer Cäsar,” sagte er, „hast an deinen Iden gewiß keine so schönen Blümchen gehabt.” Und dann im Gedanken an den schmerzlichen Untergang des großen Mannes: „Wo mag er jetzt sein? Wenn Gott dem nicht gnädig ist, wem ist er dann gnädig?”

Mit den Frühlingsblumen in der Hand ist er dann noch von einem Krankenbett zum andern gewandert. Zuletzt zu den gemütsleidenden Frauen nach Magdala und zu seiner an schwerer Lungenentzündung darniederliegenden Schwiegertochter.

Am zweiten Ostertage zogen wir noch einmal mit ihm durch das ganze liebe Anstaltstal bis zum benachbarten Hof des Kolons Wüllner, der später die Heimat der Volkshochschule werden sollte.

Am Mittwoch darauf war der letzte Abend, den wir ihn unter uns hatten. Noch einmal las die Schwester die Andacht, und Vater betete und schloß mit den Worten: „Sorget nichts, Kinder! Alle eure Sorge werfet auf ihn!”

Im Schlafzimmer oben traf ihn dann ein neuer Schlaganfall. Das Bewußtsein war gleich verschwunden. Ohne zu leiden, lag er noch drei Tage. Wie mit verhaltenem Atem ging die ganze Gemeinde dahin. Wir wußten alle, daß nun der Abschied gekommen sei. Einer nach dem andern trat still an das Sterbelager, um noch einmal in das schlummernde Angesicht zu sehen. Die Klänge aus Pastor Kuhlos Flügelhorn stärkten uns wieder und wieder.

In der Mittagsstunde des 2. April, während ich am Krankenlager meiner Frau war, wurde ich gerufen. Die Stunde des Abscheidens stand vor der Tür. Ich eilte von meiner Wohnung durch den Buchenwald hinunter. Am Wege, den Spaten in der Hand, stand ein russischer Baron von Obolianinoff, der seit vielen Jahren als epileptischer Kranker in Bethel war und Vater sehr nahe stand. Ich sagte ihm, wohin mein Weg ginge. Da floh der Glanz von seinen dunklen Augen, und ich sah wie in einen dunklen Abgrund des Schmerzes hinein. Sagen konnte er nichts. Aber sein erloschenes Auge sprach laut von dem, was diese Stunde nicht nur für diesen einen einsamen Kranken, sondern für ungezählte bedeutete.

Die Geschwister fand ich schon versammelt. Wir knieten um das Bett und hielten abwechselnd die erkaltenden Hände. Als der letzte Atemzug getan war, betete unser Bruder Wilhelm aus tiefstem Herzen und brachte Gott den Dank dar über diesem für die Erdenarbeit abgeschlossenen Leben.

Als ich am späten Nachmittag wieder durch den Buchenwald zurückging, wehte von der Zionskirche die Fahne. Im hellen Schein der Abendsonne leuchteten darauf die Worte: „Lobe, Zion, deinen Gott!” Jene in Schmerz getauchten Augen des Kranken und diese hell leuchtende Fahne gehörten zusammen. Darum waren auch die nun folgenden Tage, in denen der Zug der Kranken und ihrer Freunde noch einmal still in das friedliche Antlitz sah, bis wir mit vielen aus der Nähe und Ferne Herbeigeeilten um den geschlossenen Sarg in der Zionskirche versammelt waren, Tage, in denen das Klagen und Weinen überdeckt und übertönt wurde durch das Lob, das die Gemeinde der Elenden Gott darbrachte. Und als am 6. April die nicht enden wollenden Scharen sich langsam vom Grabe verloren, sang durch den scharfen Abendwind die Amsel ihr Frühlingslied.