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Fünftes Buch

1

Die Güter der Freiherrn lagen in einer Ecke des Rosminer Kreises; nördlich hinter dem Walde das deutsche Bauerndorf Neudorf und weiter ab im Osten Kunau. Durch einen breiten Strich Sand und Heideland waren diese Orte von polnischen Gütern getrennt, unter denen die des Herrn von Tarowski die nächsten waren. Im Westen und Süden des Gutes grenzten Kreise mit gemischter Bevölkerung, die Deutschen waren dort stark, reiche Grundherren und große Bauerndörfer saßen unter den Slawen. Im Norden hinter Neudorf und Kunau war ein polnischer Strich, viele kleine Rittergüter, zum Teil tief verschuldet, mit heruntergekommenen Familien.



»Von dort droht uns die größte Gefahr«, sagte der Freiherr am Morgen nach dem Markttage zu Anton. »Die Bauerndörfer sind unsere natürlichen Feldwachen. Wenn Sie die Dorfleute dazu bringen, einen regelmäßigen Wachtdienst einzurichten, so müßten ihre Wachen die Kreisgrenze im Norden besetzen, wir würden dann versuchen, eine feste Verbindung mit ihnen zu unterhalten. Vergessen Sie die Fanale und Alarmhäuser nicht. Da Sie mit den Bauern schon so kameradschaftlich verkehrt haben, so werden Sie das am besten besorgen. Mir lassen Sie anspannen. Ich will in den nächsten Kreis fahren und versuchen, uns mit den Gutsbesitzern dort in ebensolche Verbindung zu setzen. Den jungen Sturm nehme ich mit.«



So ritt Anton nach Neudorf. Dorthin waren in der Nacht neue Unglücksbotschaften gekommen. Einige deutsche Dörfer waren von den bewaffneten Banden besetzt, die Häuser nach Waffen durchsucht, junge Leute mitgeschleppt worden. Niemand arbeitete auf dem Felde, die Männer saßen in der Schenke oder standen vor dem Hause des Schulzen, ratlos, jede Stunde einen Überfall erwartend. Antons Pferd wurde sogleich von einem dichten Haufen umdrängt; als der Schulze die Männer in die Gemeindestube rufen ließ, war nach wenig Augenblicken die Gemeinde vollzählig versammelt. Anton setzte ihr auseinander, was geschehen könne, ihr Dorf vor dem Schrecken eines plötzlichen Überfalls zu schützen: Einrichtung einer Bauernwehr, regelmäßige Wachen an den Dorfwegen längs der Grenze, Lärmstangen, Patrouillen, ein Alarmhaus im Dorfe und Vorsichtsmaßregeln ähnlicher Natur, wie der Freiherr sie ihm angegeben hatte. »Ihr werdet dadurch«, fuhr er fort, »unsere, der Nachbarn Hilfe in kurzer Zeit herbeirufen, ihr werdet imstande sein, euch gegen einen schwächern Feind gemeinschaftlich zu verteidigen, gegen einen stärkern schnell die Hilfe des Militärs herbeizurufen. Ihr werdet eure Weiber und Kinder, was euch von eurem Hausrat am liebsten ist, vielleicht auch euer Vieh vor Plünderung und Mißhandlung retten. Es wird keine kleine Beschwerde für euch sein, die Wachen bei Tag und Nacht zu stellen, aber euer Dorf ist groß. Vielleicht wird die Einrichtung in kurzer Zeit durch die Behörde befohlen, es ist sichrer für uns alle, wenn wir nicht darauf warten. Wir können schon in den nächsten Tagen wehrhaft sein.«



Seine eindringlichen Vorstellungen und das Ansehen des verständigen Schulzen brachten die Gemeinde zu einem einmütigen Beschluß. Mit dem Schulzen und einigen vom Ortsvorstande beritt er die Grenzen und bestimmte die Punkte für Wachen und Alarmzeichen. Unterdes entwarf der Schulmeister das Register der Bauernwehr, verzeichnete die, welche zu Pferde, und die, welche zu Fuß Dienst tun konnten, und ließ sich angeben, was von Waffen im Dorfe war. Manche erklärten sich bereit, ein Gewehr zu kaufen. Die jungen Leute des Dorfes faßten die Sache mit Eifer an, die Hausfrauen packten vorsorglich in Kisten und Bündeln das Wertvollste ihrer Habe zusammen. Von Neudorf fuhr Anton mit den Häuptern der Gemeinde nach Kunau; auch dort fand er guten Willen, ähnliche Einrichtungen wurden verabredet und zuletzt besprochen, daß die jungen Leute aus beiden Dörfern jeden Sonntagnachmittag auf das Gut des Freiherrn ziehen sollten, um dort in Gemeinschaft zu exerzieren.



Als Anton nach dem Schloß zurückkehrte, wurden die Verteidigungsmittel des Gutes erwogen. Ein kriegerisches Feuer entbrannte in der deutschen Kolonie. Jeder wurde davon ergriffen, auch die Friedfertigsten, der Schäfer und sein Hund Krambow, welcher durch nächtlichen Vorpostendienst und Patrouillen in einen Zorn gegen fremde Waden geriet, den er sonst an seinem jüngern Gefährten oft beknurrt hatte. Aller Gedanken waren auf gefährliche Werkzeuge gerichtet, was das Gut von Mordwaffen besaß, wurde hervorgesucht. Ach, die Gesinnung war vortrefflich, aber die Schar war klein, es fehlte an diensttuender Mannschaft. Dagegen war der Stab ausgezeichnet. Da war zuerst der Freiherr selbst, zwar Invalide, aber für alle Theorie schätzbar, dann Karl und der Förster, als Führer der Reiter und des Fußvolks, und Anton, nicht zu verachten in der Intendantur und im Festungsbau.



Der Freiherr verließ jetzt täglich sein Zimmer, um in der Mittagsstunde Kriegsrat zu halten, er besprach die Einübung der Bauernwehr, er hörte Berichte über die Bewegung der Umgegend an und sandte Boten nach den deutschen Kreisen. Ein Schimmer von militärischem Stolz glänzte auf seinem Gesicht, er schalt gutmütig die Angst seiner Gemahlin, sprach ermunternde Worte zu den Deutschen, welche ihm nahe kamen, und drohte allen übelgesinnten im Dorf, sie sofort bis auf weiteres einzustecken und auf Wasser und Brot zu setzen. Dem ganzen Hof war die Bewegung anzusehen, als der blinde Herr hoch aufgerichtet mit einer Muskete in der Hand dastand, um dem Förster einige Griffe zu zeigen, und dann das Ohr auf ihn hielt, um aus dem Anschlag der Hand zu erkennen, ob der andere ihn recht verstanden. Auch Anton heftete eine Kokarde auf die Mütze, und seine Rede erhielt einen Anflug von militärischer Strenge; er trug seit dem Tage von Rosmin ungeheure Wasserstiefel, und sein Tritt fiel schwer auf die Stufen der Treppe. Er selbst würde über sich gelacht haben, wenn man ihn gefragt hätte, zu welchem Zweck er die Erhebung des Gemüts an den Beinen ausdrücke. Aber es fragte ihn niemand, jeder erkannte, daß so etwas notwendig war. Und vollends Karl! Er zeigte sich nicht anders als in den Überresten seiner Extrauniform, die er sorgfältig aufgehoben hatte, in Mütze, Schnurrock und einem alten Soldatenmantel. Er kräuselte seinen Schnurrbart und pfiff den ganzen Tag seine Soldatenlieder. Da von den zuchtlosen Menschen des eigenen Dorfes am meisten zu fürchten war, so lud er alle, welche gedient hatten, in der Schenke zusammen und hielt ihnen mit Hilfe des Försters, der als Hexenmeister in großem Ansehen stand, eine mächtige Rede in Kalpak und Dolman, den Säbel an der Seite; er behandelte sie als Kameraden, schlug auf den Säbel und rief: »Wir vom Militär wollen hier unter den Bauern Ordnung halten.« Dann ließ er einige Quart Branntwein aufsetzen und sang mit ihnen leidenschaftliche Kriegslieder. Zuletzt teilte er neue Kokarden aus und nahm sie als Landsknechte der Gutswehr in Pflicht. So befestigte er die rührigsten Leute wenigstens für einige Zeit und erfuhr durch sie, was von Verschwörungsgedanken in der Schenke zutage kam.



Als am Tage darauf die Streitkraft des Gutes vor dem Schlosse gemustert wurde, sahen die Männer erstaunt einander an. Sie alle waren durch die letzten Tage umgewandelt. Der Herr Rentmeister sah aus wie ein wilder Mann, der aus einem fremden Sumpflande heranzieht, wo er tagtäglich bis an die Hüften im Wasser watet. Und die vom neuen Vorwerk kamen angezogen wie Geister aus einer untergegangenen Zeit. Der Förster mit seinem kurzgeschorenen Haar und dem langen Bart, in einem ausgewetterten Rock, mit dem finstern Gesicht voll Runzeln und seinen buschigen Augenbrauen glich einem alten Söldling aus Wallensteins Heer, der zweihundert Jahr im tiefen Walde geschlafen hat und jetzt wieder in die Welt schreitet, weil Unheil und Greuel mächtig werden. Und wenn verzweifelte Gedanken und trotziger Haß gegen den Feind zu einem Wallensteiner machen konnten, so war er auch, was er schien. Wie ein frommer Hussit marschierte der Schäfer neben ihm. Die breite Krempe des runden Hutes hing ihm bis auf den Rücken herunter, ein brauner Ledergurt umschlang seinen Leib, in der Hand hielt er einen Hakenstock, an den er eine glänzende Eisenspitze geheftet hatte. Sein phlegmatisches Gesicht und der sinnende Ausdruck seiner Augen machten ihn dem Waldmann so unähnlich als möglich.



Alles in allem war die bewaffnete Mannschaft des Gutes nicht stärker als zwanzig Mann. Bei dieser kleinen Zahl brauchbarer Leute war es schwer, einen Wachtdienst im Schloß und im Dorfe einzurichten. Jedem einzelnen mußten die größten Anstrengungen zugemutet werden; indes, niemand klagte darüber, alle, auch die Gedienten aus dem Dorfe, waren zu der Art von kriegerischem Werk bereit.



Nachdem die Männer zusammengebracht waren, dachte man an die Sicherung des Schlosses. Um die Hinterseite des großen Gebäudes vor nächtlichem Einbruch zu schützen, ließ Anton einen Zaun aus starken Bohlen von einem Flügel bis zum andern ziehen. So wurde ein ziemlich großer Hofraum eingeschlossen und darin an die Mauer des Hauses ein offener Schuppen angelehnt, wo Flüchtlinge oder die Pferde der Einquartierung im Notfall auf kurze Zeit ein Obdach finden konnten. Da der Unterstock des Hauses sich hoch über den Boden erhob, die Fenster desselben durch starke Holzverschläge geschützt waren und alle Eingänge des Hauses in dem neuen Hofraum lagen, so war der Zugang für Unberufene soviel als möglich erschwert. Der Schloßbrunnen lag außerhalb des eingezäunten Hofes, mitten zwischen dem Wirtschaftshofe und dem Schlosse, deshalb wurde ein großer Wasserbottich in das Schloß gestellt und alle Morgen neu gefüllt.



Auch von Rosmin kam Nachricht. Der Schlosser erschien nach einigen Tagen auf wiederholte Bitten, um die Türen in der Turmhalle und im Hofzaun zu beschlagen und mit starken Riegeln zu versehen. Er brachte kriegerische Grüße von dem Bürgerhauptmann und die Nachricht, daß ein Kommando Infanterie in die Stadt eingerückt sei. »Es sind der Soldaten nur wenige«, sagte er, »und auch wir Schützen haben schweren Dienst.«

 



»Und was habt ihr mit eurem Gefangenen gemacht?« fragte Anton.



Der Schlosser fuhr sich hinter das Ohr und rückte seine Mütze, als er kleinlaut antwortete: »Also, Sie wissen noch nichts? Gleich in der ersten Nacht kam eine Botschaft von den Feinden: wenn wir ihnen den Edelmann nicht auf der Stelle wieder herausgäben, würden sie mit voller Macht anrücken und unsere Scheuern abbrennen. Ich sprach dagegen und unser Hauptmann auch, aber wer eine Scheuer hatte, fing an zu lamentieren, und so kam’s, daß sich die Stadt mit dem von Tarow verglichen hat. Er mußte sein Wort geben, daß er mit seinen Leuten nichts weiter gegen die Stadt unternehmen wollte; darauf haben wir ihn über die Brücke geführt und losgelassen.«



»So ist er frei, der falsche Mann!« rief Anton entrüstet.



»Freilich«, sagte der Schlosser, »er sitzt wieder auf seinem Gut und hat einen Haufen junger Herren um sich. Sie reiten mit ihren Kokarden über die Felder, gerade wie vorher. Der Tarowski ist ein schlauer Mann, der schließt Ihnen mit einem Federbart jedes Schloß auf, er wird mit allen Leuten fertig. Dem ist nichts anzuhaben.«



Natürlich litt die Wirtschaft unter solchen Rüstungen. Zwar hielt Anton mit Strenge drauf, daß wenigstens das Notwendigste getan wurde, aber auch er fühlte, daß eine Zeit gekommen war, wo die Sorge um das eigene Wohl und Wehe schwindet über der Angst um das Größte, das der Mensch auf Erden besitzt. Die Gerüchte, welche jeden Tag drohender wurden, erhielten ihn und seine Umgebung in einer fortwährenden Aufregung und brachten zuletzt einen Zustand hervor, in dem der Seele die fieberhafte Spannung Gewohnheit ist. Man sah mit einer wilden Gleichgültigkeit in die Zukunft und ertrug das Unbehagen des Tages als etwas Natürliches.



Mehr aber als alle Männer des Gutes zusammen wurde Lenore von dem allgemeinen Fieber ergriffen. Seit jenem Tage, wo sie den abwesenden Anton erwartet hatte, begann für sie ein neues Leben. Die Mutter trauerte und wollte verzweifeln über eine solche Zeit, das junge Herz der Tochter schlug kräftig dem Sturm entgegen, und die Aufregung wurde ihr ein wilder Genuß, dem sie sich leidenschaftlich hingab. Sie war den ganzen Tag im Freien, im raschesten Wetter lief sie in ihren Halbstiefeln zwischen dem Schloß und Wirtschaftshof auf und ab, als Adjutant des Vaters oder als Parteigänger auf eigene Faust. An der Tür der Schenke wurde sie in dieser Zeit so oft gesehen wie der ärgste Schlemmer des Dorfes, denn täglich hatte sie von dem Wirt und seiner Frau etwas zu hören. Seit Karl den Husarenrock trug, behandelte sie ihn mit kameradschaftlicher Vertraulichkeit, und wenn er mit dem Förster verhandelte, so beugte auch Lenorens Haupt sich zur geheimen Beratung. Manche Stunde saßen die drei im Kriegsrat zusammen, in Karls Stube oder auf dem Hofe; mit Achtung hörten die Männer auf den mutigen Rat des Fräuleins und verfehlten nicht, ihre Ansicht zu erbitten, ob es ratsam sei, dem Ignaz, Gottlieb oder Blasius aus dem Dorfe ein Gewehr anzuvertrauen. Vergebens bat und schalt die Baronin die kriegslustige Tochter, vergebens suchte auch Anton ihr zu wehren. Denn sosehr Anton selbst im Eifer war, so wenig gefiel ihm dieselbe Stimmung im Fräulein. Wieder erschien sie ihm zu dreist und heftig, und er deutete ihr das an; dann schmollte sie ein wenig und suchte ihr kriegerisches Interesse vor ihm zu verbergen, aber sie änderte sich deshalb nicht. Sie wäre so gern mit nach Neudorf und Kunau gegangen, um auch bei den Nachbarn Krieg zu spielen, aber Anton, sonst über ihre Begleitung so glücklich, protestierte jetzt eifrig dagegen, und das Fräulein mußte auf seine Bitten am Ende des Dorfes umkehren.



An dem Tage, wo die erste Übung der Gutswehr sein sollte, kam Lenore mit einer Mütze und einem leichten Säbel aus dem Schlosse, zog ihren Pony aus dem Stall und sagte zu Anton: »Ich reite mit.«



»Tun Sie das nicht, Fräulein.«



»Ich will aber«, entgegnete Lenore trotzig, »es fehlt Ihnen an Leuten, ich kann so gut Dienst tun wie ein Mann.«



»Aber liebes Fräulein«, bat Anton weiter, »es ist so auffallend.«



»Es ist mir gleichgültig, ob es jemandem auffällt«, sagte Lenore. »Ich bin stark, ich halte etwas aus, ich will nicht müde werden.«



»Aber vor den Knechten«, stellte Anton dawider, »Sie vergeben sich etwas vor den Leuten.«



»Das ist meine Sorge«, erwiderte Lenore hartnäckig, »widersprechen Sie nicht, ich will es und damit gut.«



Anton zuckte die Achseln und mußte sich’s gefallen lassen. Lenore ritt neben Karl und machte die kriegerischen Bewegungen mit, soviel der Damensattel das erlaubte, aber Anton sah aus der Reihe des Fußvolkes unzufrieden nach der hellen Gestalt hinüber. Sie hatte ihm nie so wenig gefallen. Wenn sie wild mit den andern vorsprengte, ihr Pferd herumriß und mit dem Säbel in die Luft schlug, wenn ihr helles Haar sich im Wind löste und ihr Auge vor Kampflust strahlte, so war sie hinreißend schön. Aber was Anton beim leichten Spiel entzückt hätte, das kam ihm jetzt, wo diese Übungen bitterer Ernst waren, sehr unweiblich vor, er mußte an eine Kunstreiterin denken. Einst hatte gerade diese Ähnlichkeit sein ganzes Herz gefangengenommen, heut erkältete sie ihm die Seele. Und als die Übung vorüber war und Lenore mit heißen Wangen in seiner Nähe hielt, damit er sie anrede, da schwieg er, und Lenore selbst mußte an ihn heranreiten und ihn lachend fragen: »Sie sehen so mürrisch aus, mein Herr, wissen Sie, daß Ihnen das gar nicht gut steht?«



»Es gefällt mir nicht, daß Sie so wild sind«, erwiderte Anton. Lenore wandte sich schweigend ab, übergab das Pferd einem Knecht und ging ärgerlich nach dem Schloß zurück.



Seit der Zeit verzichtete sie auf die Teilnahme an den Übungen, aber sie fehlte niemals, wenn die bewaffnete Macht sich versammelte; dann sah sie sehnsüchtig von weitem zu. Und wenn Anton nicht zugegen war, suchte sie doch heimlich mit Karl auf die Nachbardörfer zu reiten, oder sie besichtigte wohl auch auf ihren Spaziergängen aus eigener Begeisterung die Fanale, sie strich allein durch Feld und Wald, mit einem Taschenterzerol bewaffnet, und war glücklich, wenn sie einen Wanderer anhalten und ausfragen konnte.



Auch darüber machte ihr Anton Vorstellungen. »Die Gegend ist unsicher«, sagte er, »wie leicht, daß Ihnen ein Strauchdieb etwas zuleide tut. Und ist’s kein Fremder, so sind’s vielleicht gar Leute aus dem Dorfe.«



»Ich fürchte mich nicht«, sagte dann Lenore, »und die Männer aus unserm Dorfe tun mir nichts.« Und in der Tat wußte sie mit diesen besser fertig zu werden als Anton und irgendein anderer. Sie allein wurde von jedem, auch von dem Rohesten, ehrerbietig in polnischer Weise gegrüßt; sooft ihre hohe Gestalt durch die Dorfgasse schritt, neigten sich die Männer herab bis an ihre Knie, und die Weiber liefen an die Fenster und sahen ihr bewundernd nach.



Sie erlebte die Freude, daß die Leute selbst ihr in Antons Gegenwart das sagten. An einem Sonntagabend, während die Bauern in der Schenke tranken, saßen Karl, der Förster und der Schäfer als Wachtposten im Wirtschaftshofe; denn der Sonntag war für die im Schlosse am gefährlichsten. Karl hatte im Amtmannshaus eine Stube für militärische Zwecke eingerichtet, einige Bund Stroh zum Schlafen, einen Tisch, Bänke und Stühle hineingesetzt. Heute trug Lenore mit eigener Hand eine Flasche Rum und Zitronen aus dem Schloß zu den Wächtern hinüber und gab dem Amtmann den Rat, daraus einen Kriegspunsch zu kochen. Der Schäfer und der Waldmensch zogen beglückt über diese Aufmerksamkeit den Mund von einem Ohr zum andern, Karl sprang herbei, setzte dem Fräulein einen Stuhl zurecht, der Förster begann sogleich eine schreckliche Geschichte von einer Räuberbande aus dem Nachbarkreis, und so machte sich’s von selbst, daß Lenore sich auf einige Minuten niedersetzte und ihre Ansichten über den Lauf der Welt mit den Getreuen austauschte. Da trat, gerade als der Punsch fertig war und von dem Fräulein selbst in zwei Gläser und einen Topf gegossen wurde, auch Anton herein. Er kam ihr ungelegen, das war wieder nichts für ihn. Indes, er schalt nicht, sondern wandte sich zur Tür und winkte einen Fremden aus dem Hausflur herein. Ein schlanker Bauernbursch in blauem Rock mit hellen Wollschnüren, eine Soldatenmütze in der Hand, die weiten Leinwandhosen in die Stiefel gesteckt, trat stolz in das Zimmer. Da fiel sein Auge auf das Fräulein. Wie der Blitz fuhr er zu ihren Füßen, küßte ihr das Knie und blieb dann mit gesenktem Haupt, die Mütze in der Hand, die Augen auf den Boden geheftet, vor ihr stehen. Karl trat zu ihm. »Nun, Blasius, was Neues aus der Schenke?«



»O nichts«, erwiderte der Bursch in dem melodischen Tonfall, mit dem der Pole sein gebrochenes Deutsch spricht, »Bauer sitzt und trinkt und ist lustig.«



»Sind Fremde hier, ist jemand von Tarow gekommen?«



»Nichts«, sagte Blasius. »Niemand ist da, als dem Wirt seine Muhme ist gekommen, das Judenmädel, die Rebekka.« Dabei sah er unverrückt Lenore an als die Herrin, der er seine Meldung zu machen habe. Lenore trat zum Tisch, goß ein Glas voll und reichte es dem Burschen. Glückselig nahm der schmucke Junge das Glas, wandte sich zur Seite, trank ohne abzusetzen aus, setzte das leere wieder auf den Tisch und neigte sich wieder auf Lenorens Knie, alles mit einem Anstand, um den ihn ein Prinz hätte beneiden können. »Sie dürfen keine Furcht haben«, redete er in plötzlicher Begeisterung das Fräulein an, »keiner im Dorfe tut Ihnen was, wer sich gegen Sie wagt, den schlagen wir tot.«



Lenore errötete und sagte, auf Anton sehend: »Du weißt, ich fürchte mich nicht, am wenigsten vor euch«, und der Amtmann verabschiedete den Kundschafter mit dem Auftrag, in einigen Stunden wiederzukommen.



Beim Herausgehen sagte Lenore zu Anton: »Wie gut seine Haltung ist!«



»Er war bei der Garde«, erwiderte Anton, »und ist nicht der Schlechteste im Dorfe, aber ich bitte Sie doch, sich nicht zu sehr auf die Ritterlichkeit des ehrlichen Blasius und seiner Freunde zu verlassen. Ich habe heut wieder den ganzen Nachmittag Sorge um Ihr Ausbleiben gehabt und habe Ihnen gegen Abend Ihr Mädchen auf den Weg nach Rosmin entgegengeschickt. Denn ein erschrockener Handwerksbursch kam auf das Schloß gelaufen und erzählte, er sei auf dem Wege von einer bewaffneten Frau angehalten worden und habe ihr sein Wanderbuch vorzeigen müssen. Nach seiner Erzählung hatte die Frau einen ungeheuren Hund so groß wie eine Kuh hinter sich; er klagte, sie hätte schrecklich ausgesehen. Der Mann war ganz außer sich.«



»Es war ein Hase«, sagte Lenore verächtlich. »Als er mich mit dem Pony sah, lief er davon wie vom bösen Gewissen gejagt. Da rief ich ihm nach und drohte mit einer Pistole.«



Unter solchen Vorbereitungen erwarteten die vom Gute täglich den Ausbruch der Empörung auch auf ihrer Waldinsel. Unterdes verbreitete sich die Glut des Aufstandes wie ein Waldbrand über die ganze Provinz. Wo die Polen dicht aneinander saßen, schlug die helle Flamme zum Himmel, an den Rändern flackerte das Feuer bald hier, bald da, wie der Brand im grünen Holze. An mancher Stelle wurde gelöscht, eine Zeitlang blieb alles still, dann loderte die Flamme plötzlich wieder auf.



An einem Sonntagnachmittag war große Übung der verbündeten Dörfer. Mit ihren Fahnen kamen die von Neudorf und Kunau herab, das Fußvolk an der Spitze, die Burschen zu Pferde hinterher, vom Schloßhofe zog die kleine Reihe der berittenen Knechte, von Karl geführt, ihnen entgegen, außerdem einige Mann zu Fuß, denen der Förster als Generalissimus der drei Heerscharen voranmarschierte. Auch Anton hatte sich unter das Kommando des Försters gestellt. Als Lenore ihn aus dem Hause treten sah, befahl sie, den Pony zu satteln.



»Ich will zusehen« sagte sie zu Anton.



»Aber nur zusehen, gnädiges Fräulein«, bat dieser.



»Schulmeistern Sie nicht«, rief ihm Lenore nach.



Am Rande des Waldes war der Exerzierplatz. Der Förster hatte sich aus alten Erinnerungen und nach mehrfachen Beratungen mit dem Freiherrn ein Kommando gebildet, welches ungefähr ausreichte, die Leute zu dem zu bringen, was er wollte, und Karl führte seine Schwadron mit einem Feuer, welches die Mängel in der Führung und in den Leistungen ersetzen mußte. An der Seite war ein Kugelfang aufgeworfen, und Karl hatte mit dem Rest seiner Ölfarbe eine Scheibe gemalt, auf welcher ein Drache mit drei Schwänzen und sechs Beinen zwar rotes Feuer spie, aber, wenn man von dieser Familienunart absah, wieder durch die Gutmütigkeit versöhnte, mit der er sein großes Herz dem Schützen darbot. Es wurde eine Zeitlang marschiert, geschwenkt, abgebrochen und zuletzt geladen. Lustig knallten die blinden Schüsse in den Wald. Lenore sah den Übungen von weitem zu; endlich konnte sie der Lust nicht widerstehen, die Schwenkungen der Reiter mitzumachen, sie trabte an die Züge heran und sagte leise zu Karl: »Nur ein paar Augenblicke.«

 



»Wenn’s aber Herr Wohlfart sieht?« fragte Karl ebenso.



»Er wird’s nicht sehen«, erwiderte Lenore lachend. So stellte sie sich mit dem kleinen Pferd in die Reihe. Die Burschen sahen neugierig auf die schlanke Gestalt, welche neben ihnen trabte und als Vedette vorritt wie sie. Bei der Bewunderung, mit welcher sie nach dem Fräulein schauten, exerzierten sie schlecht, und Karl hatte viel zu tadeln. »Das Fräulein macht’s am besten!« rief in der Pause einer der Neudorfer, die Bewunderer schwenkten die Hüte und brachten ihr ein Hoch aus. Lenore verneigte sich und zwang den Pony zu einigen anmutigen Beinbewegungen. Aber die Freude dauerte nicht lang, denn Anton kam über das Feld herüber und trat neben das Fräulein. »Es ist wirklich nicht gut«, sagte er leise, im Ernst erzürnt über ihre kriegerische Tätigkeit, »Sie setzen sich einer dreisten Bemerkung aus, die gewiß nicht böse gemeint ist, die Sie aber doch verletzen würde. Hier ist kein Ort für Ihre Reitkunst.«



»Sie gönnen mir auch keine Freude«, erwiderte Lenore aufgebracht und warf den Pony zur Seite.



So tummelte sie ihr Pferd allein, ließ es in der Nähe eines großen Birnbaums Volten machen und grollte in der Stille mit Anton. ›Wie unzart, daß er mir das sagt‹, dachte sie, ›der Vater hat recht, er ist sehr prosaisch. Damals, als ich ihn zuerst sah, war es auch auf dem Pony, da gefiel ich ihm besser, damals waren wir beide Kinder, aber sein Wesen war rücksichtsvoller.‹ Der Gedanke schoß ihr durch die Seele, wie glänzend, schön und leicht das Leben früher gewesen war und wie herb die Gegenwart. Und während sie darüber träumte, ließ sie das Pferd eine Acht nach der andern machen.



»Nicht übel – aber mehr Faust, Fräulein Lenore«, rief eine sonore Männerstimme neben ihr. Erschrocken sah Lenore zur Seite. An dem Baume lehnte die schlanke Gestalt eines fremden Mannes, die Arme übereinandergeschlagen, auf dem edel geformten Gesicht ein spöttisches Lächeln. Der Fremde schritt langsam auf sie zu und griff an seinen Hut. »Es wird dem alten Herrn sauer«, sagte er, auf das Pferd weisend. »Hoffe, Sie kennen mich noch.«



Lenore sah ihm starr ins Gesicht, wie einer Erscheinung, und glitt endlich in ihrer Verwirrung vom Pferde herunter. Ein Bild aus alter Zeit trat ihr leibhaftig entgegen, das kühle Lächeln, die elegante Gestalt, die nachlässige Sicherheit dieses Mannes gehörten auch zu der Vergangenheit, an die sie eben gedacht hatte. »Herr von Fink«, rief sie verlegen, »Wie wird sich Wohlfart freuen, Sie zu sehen.«



»Und ich«, erwiderte Fink, »habe ihn schon aus der Ferne betrachtet, und wenn ich nicht aus gewissen untrüglichen Kennzeichen« – hier sah er wieder auf Lenore – »erkannt hätte, daß er es ist, der dort als geharnischter Mann durch den Sand watet, ich hätte es nicht für möglich gehalten.«



»Kommen Sie schnell zu ihm«, rief Lenore, »Ihre Ankunft ist die größte Freude, die ihm werden konnte.«



So schritt Fink neben ihr zu dem Schießplatz, wo jetzt die Männer sich anschickten, auf den Drachen zu zielen. Fink trat hinter Anton und legte die Hand auf seine Schulter. »Guten Tag, Anton«, sagte er.



Anton drehte sich erstaunt um und warf sich an den Hals des Freundes. Heftiges Fragen und kurze Antworten flogen durcheinander. »Wo kommst du her, du lieber Wiedergefundener?« rief Anton endlich.



»Ziemlich auf geradem Wege von drüben«, erwiderte Fink, in die Ferne weisend. »ich bin erst seit wenigen Wochen wieder im Lande. Der letzte Brief, den ich von dir erhielt, war aus dem vorigen Herbst. Durch ihn wußte ich ungefähr, wo ich dich zu suchen hatte. Bei der Konfusion, die unter euch herrscht, halte ich es für ein merkwürdiges Glück, daß ich dich gefunden. Da ist auch Meister Karl«, rief er, als Karl mit lautem Freudenrufe heransprengte. »Jetzt ist die halbe Firma versammelt, und wir können auf der Stelle anfangen, Kontor zu spielen. Ihr freilich macht euch hier ein anderes Vergnügen.« Er wandte sich zu Lenoren und fuhr fort: »Ich habe mich dem Freiherrn vorgestellt und von der gnädigen Frau erfahren, daß ich die kriegerische Jugend im Freien finden würde. Jetzt möchte ich noch Ihre Fürsprache für mich erflehen. Ich kenne hier diesen Mann ein wenig und würde gern einige Tage in seiner Nähe zubringen; ich fühle lebhaft, wie unbescheiden es ist, in solcher Zeit selbst von Ihrem gastfreien Hause die Aufnahme eines Fremden zu erbitten. Tun Sie um seinetwillen, der doch im ganzen ein guter Junge ist, ein übriges und gönnen Sie mir die Freude, hierbleiben zu dürfen, bis ich über die