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Die verlorene Handschrift

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Am Theetisch entstand allgemeines Erstaunen, als der Doctor einst fallen ließ, er sei zu einem Maskenball eingeladen und nicht abgeneigt, sich in das Getümmel zu stürzen. Der Ball wurde von einer großen Ressource ansehnlicher Bürger gegeben, zu welcher auch Herr Hummel gehörte, die Gesellschaft war dafür bekannt, daß die ersten Schauspieler der Stadtbühne sich dort als willkommene Gäste im Kreise ihrer Verehrer bewegten. Da der Doctor sonst nie für diese Art geselliger Unterhaltung ein Herz bewiesen hatte, sah auch der Professor verwundert auf den Freund, nur Laura ahnte den Zusammenhang, aber Alle ließen sich schweigend die Ankündigung eines bevorstehenden Excesses gefallen.

Herr Hummel war nicht der Ansicht, daß ein Maskenball die Stätte sei, wo die Tüchtigkeit des deutschen Bürgers Triumphe feiert, er hatte widerwillig den schmeichelnden Bitten seiner Frauen nachgegeben und stand jetzt unter den Masken im Saale. Den kleinen schwarzen Domino hatte er wie ein Priestermäntelchen nachlässig auf den Rücken geschoben, den Hut in die Augen gedrückt, sein breites Gesicht überragte auf allen Seiten den Florbart der Seidenlarve und war so unverkennbar wie ein Vollmond hinter dünnem Gewölke. Spöttisch sah er in das Gedränge der Masken, welche beieinander vorbeistrichen, etwas weniger behaglich und etwas schweigsamer, als sie ohne Larve und bunten Rock gewesen wären. Und vor Andern zuwider waren ihm die eingestreuten Harlekine, welche beim Beginn des Festes eine Ausgelassenheit heuchelten, die ihnen nicht natürlich war. Herr Hummel hatte gute Augen, nur ging es ihm wie Andern auch: wenn Jemand maskirt war, vermochte er ihn nicht zu erkennen. Aber alle Welt erkannte ihn. Hinten zupfte etwas. »Was macht denn Ihr Hund Speihahn?« frug mit einer Verbeugung ein Herr in Rococco. Hummel verneigte sich wieder. »Danke für gütige Nachfrage, ich hätte ihn mitgebracht, Sie in Ihre Waden zu beißen, wenn Sie mit diesem Artikel versehen wären.« – »Kann diese Hummel auch stechen?« frug ein grüner Domino im Falsett. »Ersparen Sie sich Ihre Bemerkungen, Fistulant,« entgegnete Herr Hummel grollend, »Ihre Stimme ist ja ins Weibliche umgeschlagen, sollte Ihnen etwas fehlen, so bedaure ich aufrichtig Ihre Familie.« Er steuerte weiter. »Kaufst du eine Partie Hasenhaare, Bruder Hummel?« frug ein wandernder Tabuletkrämer. »Ich danke, Bruder,« versetzte Hummel grimmig, »du kannst mir aber die Eselshaare ablassen, welche dir deine Frau beim letzten Zanke ausgerissen hat.«

»Das ist der grobe Filz,« rief naseweis ein kleiner Pierrot und schlug Herrn Hummel mit der Pritsche über den Bauch. Das war Herrn Hummel zu viel, er faßte den Pierrot beim Kragen, nahm ihm die Pritsche weg und hielt den Widersetzlichen an sein Knie. »Warte, mein Söhnchen,« rief er, »dir wäre jetzt gut, den Filz anderswo zu tragen als auf dem Kopfe.« Aber ein beleibter Türke fiel ihm in den Arm. »Herr, wie können Sie sich unterstehen, meinen Sohn anzufallen?« »Ist dieses Besteck Ihre Arbeit,« frug Herr Hummel zornig, »schämen Sie sich. Ihre löschpapierne Physiognomie ist mir nicht bekannt. Wenn Sie sich als Türke der Anfertigung von ungezogenen Hanswürsten widmen, so müssen Sie sich auch türkischen Bambus auf dem Rücken Ihrer Producte gefallen lassen, das ist Völkerrecht. Sollten Sie dieses nicht verstehen, so melden Sie sich morgen auf meinem Comtoir, ich werde Sie darüber ins Klare setzen und Ihnen eine Rechnung überreichen wegen des Uhrglases, das mir das Subject aus Ihrem Harem in der Tasche zerbrochen hat.« Und damit warf er den Pierrot dem Türken in die Arme, die Pritsche auf die Erde und schritt schwerfällig durch die Masken, welche ihn umringten. »Keine menschliche Seele,« grollte er vor sich hin, »man ist wie Robinson unter den Wilden.« Er bewegte sich in den Tanzsaal, unbekümmert um die weißen Schultern und blitzenden Augen, welche neben ihm auftauchten und wieder verschwanden. Endlich erblickte er zwei graue Fledermäuse, die er persönlich zu kennen glaubte, denn es schienen ihm die Masken seiner Frau und Tochter. Er ging auf sie zu, sie aber wichen ihm scheu aus und verloren sich im Gedränge. Es waren allerdings die Frauen seines Hauses, aber sie hatten die Absicht, unerkannt zu bleiben, und sie wußten, daß das neben Herrn Hummel unmöglich sei. So wandte sich der verlassene Hausherr kurz um, ging in ein Nebenzimmer, setzte sich einsam an einen der leeren Tische, nahm die Larve ab, bestellte eine Flasche Wein, frug nach dem Tageblatt und zündete eine Cigarre an. »Vergebung, Herr Hummel,« rief ein kleiner Kellner, »hier wird nicht geraucht.«

»Auch du?« versetzte Herr Hummel trübe, »du siehst, es wird geraucht. Dies ist auch ein Maskenscherz. Denn heut wird alle Humanität und menschliche Rücksicht aus Langerweile mit Füßen getreten, und das ist’s gerade, was man bal masqué nennt.«

Unterdeß schlüpfte Laura unter den Masken umher, sie suchte den Doctor. Auch Fritz Hahn war für scharfe Augen leicht erkennbar, er trug über der Larve gemüthlich seine Brille. Er stand als blauer Domino neben einer eleganten Dame in rothem Mantel. Laura drängte sich in die Nähe. Fritz schrieb der Dame etwas in die Hand, jedenfalls ihren Namen, denn sie nickte gleichgültig, darauf schrieb er wieder etwas in ihre Hand und wies auf sich selbst, wahrscheinlich war es sein eigener Name, denn die Dame nickte und Laura glaubte zu erkennen, wie sie unter ihrem Flor lachte. Und Laura hörte, wie der Doctor die Dame mit dem Namen der Rolle anredete, in welcher er sie neulich auf der Bühne gesehen hatte und außerdem mit du. Das war zwar Maskenrecht, aber nöthig war es nicht. Der Doctor aber sprach seine Freude aus, daß die Künstlerin bei der Balkonscene so gut verstanden habe, die aufglühende Empfindung in den schwierigen Versen darzustellen. Der rothe Mantel wurde aufmerksam, wandte sich ganz dem Doctor zu und begann über die Rolle zu sprechen. Die Dame redete eine Weile, und dann wieder Doctor Romeo und noch länger. Dabei trat die Schauspielerin einige Schritte zurück an einen Pfeiler, der Doctor folgte ihr dahin, und Laura sah, wie der rothe Mantel einige andere Herrenmasken kurz abfertigte und sich wieder zum Doctor wandte. Endlich setzte sich die Künstlerin gar hinter den Pfeiler, wo sie wenig von fremden Blicken gesehen wurde, und der Doctor stand an den Stein gelehnt neben ihr und setzte die Unterhaltung fort. Laura schob sich zu dem Pfeiler und hörte, wie lebhaft die Unterhaltung von beiden geführt wurde. Es war von Leidenschaft die Rede. – Nun, es war noch nicht die Leidenschaft, welche beide für einander entflammte, sondern vorläufig die der Bühne – aber auch das war mehr, als ein Freund des Doctors billigen konnte.

Laura trat rasch hervor, stellte sich neben Fritz Hahn und hob warnend den Finger in die Höhe. Der Doctor sah verwundert auf die Fledermaus und zuckte die Achseln. Da ergriff sie seine Hand und schrieb seinen Namen ein. Der Doctor machte eine Verbeugung, darauf hielt sie ihre Hand hin. Wie konnte er sie in der entstellenden Hülle erkennen? Er gab starke Zeichen seiner vollen Unwissenheit und wandte sich wieder zu der Dame im rothen Mantel. Laura trat zurück und ihre Schläfe rötheten sich unter der Maske. Auch im Zorn auf sich selbst! Denn sie hatte dem Unglücklichen diese Gefahr gebracht, und sie hatte darauf bestanden, den Ball heimlich vor ihm und in einer Tracht zu besuchen, welche das Erkennen so schwer machte.

Sie zog sich zu ihrer Mutter zurück, welche endlich das Glück gehabt hatte, in der Frau Pathe eine Gesellschafterin zu finden und eine Ecke des Maskensaales benutzte, um Beobachtungen über die körperliche Entwicklung des getauften kleinen Fritz auszutauschen. Laura setzte sich neben die Mutter und sah theilnahmlos auf die tanzenden Masken. Plötzlich sprang sie wie von Federn geschnellt in die Höhe, denn Fritz Hahn tanzte mit der Dame im rothen Mantel vorüber. War das möglich? Längst hatte er das Tanzen abgeschworen, mehr als einmal hatte er Laura wegen ihrer Freude daran verspottet, auch sie selbst hatte vor ihrem Geheimbuch Stunden gehabt, wo ihr diese einförmige kreisende Bewegung kindisch und mit einer edleren Auffassung des Lebens unverträglich erschien. Und jetzt drehte er sich wie ein Kreisel. »Was sehe ich?« rief auch ihre Mutter – »ist das nicht – und die rothe ist ja gar –« »Es ist gleichgültig, mit wem er tanzt,« unterbrach Laura, um nicht die verhaßte Bestätigung zu hören.

Aber sie kannte Fritz Hahn, und sie wußte, daß dieser Walzer etwas zu bedeuten hatte. Julia gefiel ihm sehr, sonst hätte er’s nicht gethan, ihr selbst war diese Auszeichnung nie zu Theil geworden. Der alte Komiker der Stadtbühne trat als Pantalon zu ihnen, er hatte endlich die zwei einflußreichen Damen aufgefunden, er trippelte, machte groteske Verbeugungen und fing an die Mama mit kleinen Geklätsch zu unterhalten. Und eine seiner ersten Bemerkungen war: »Man hört, der junge Hahn wird zum Theater gehen, er studirt mit unserer Primadonna seine Liebhaberrolle ein.« Laura wandte sich mit Widerwillen von der platten Bemerkung ab.

Ihre letzte Hoffnung war die Zeit des Demaskirens, ungeduldig erwartete sie den Augenblick. Endlich trat eine Pause ein, die Larven fielen. Sie nahm den Arm der Mutter, mit ihr durch den Saal zu gehen und die Bekannten zu grüßen; es dauerte lange, bis sie in die Nähe von Fritz Hahn kamen, und er sah nicht einmal nach ihnen hin. Laura zuckte mit der Hand, ihn leise anzurühren, aber sie preßte die Finger fest und gingaus, großen Augen auf ihn blickend, vorüber. Jetzt endlich that er, was längst seine Schuldigkeit gewesen wäre, er erkannte sie. Sie sah die Freude auf seinem Gesicht und ihr wurde leichter zu Muth. Sie blieb stehen, während er sich vor der Mutter verbeugte und einige höfliche Worte mit dieser wechselte, und sie wartete, daß er anerkennen werde, wie sie ihn bereits gegrüßt. Er aber sprach kein Wort von der Begegnung. Hatten ihm so Viele den Namen in die Hand geschrieben, daß er eine einzelne arme Fledermaus nicht im Gedächtniß behalten konnte? Und als er sich zu ihr wandte, lobte er die Ballmusik.

 

Das war die Beachtung, die er ihr gönnte! Mit Julia hatte er gesprochen, was zwischen freien Seelen der Rede werth ist, und ihr gegenüber schnurrte eine gleichgültige Phrase. Ihre Augen bekamen den düstern Hummelblick, als sie entgegnete: »Sie hatten sonst wenig Wohlgefallen an dem großen Hackebrett dort oben, das die Puppen hüpfen macht.« Der Doctor lächelte befangen und bat um den nächsten Tanz. Das war so ungeschickt als möglich. Laura antwortete bitter: »Die graue Fledermaus war bereits so dreist, an Romeo heran zu flattern, damals hatte er keinen Tanz für sie frei, jetzt thun ihr von dem hellen Licht die Augen weh.« Sie neigte ihr Köpfchen wie eine Königin, nahm den Arm ihrer Mutter und ließ ihn hinter sich zurück.

Was noch kam, war eitel Herzeleid. Noch einmal tanzte der Doctor mit der Dame im Mantel, und Laura sah jetzt, wie freundlich die Verführerin ihn anlachte, und er tanzte sonst mit Niemandem. Um sie aber kümmerte er sich nicht weiter; und es war ein Glück, daß bald darauf Hummel zu den Seinen trat und sagte: »Es hielt schwer, euch zu finden. Erst als ich die Leute nach den zwei häßlichsten Verputzungen frug, wurde auf euch gewiesen. Es wäre mir lieb, wenn ihr morgen ohne Kopfschmerz erwachtet, wir haben heut des Vergnügens genug ausgestanden.« Laura war froh, als der Wagen an der Hausschwelle hielt, sie stürzte in ihr Zimmer, riß ihr Buch aus der Schublade und schrieb mit fliegender Hast hinein: »Fluch meiner That und Fluch dem frevelhaften Scherz! Die Drachenzähne hab’ ich mir ins Land gestreut. In Waffen wächst ein Herr von Feinden und bedräut mit scharfem Stahle mir das warme Herz.« Und sie wischte dabei über den Thränen, die ihr auf das Papier rollten.

Das klare Licht des nächsten Morgens übte auch auf ihre scheu flatternden Gedanken seine beruhigende Macht. Dort drüben lag Fritz Hahn wohl noch in seinem Bett. Der gute Junge war gestern müde geworden. Es mochte doch noch mancher Tropfen Wasser zum Meere fließen, bevor Freund Fritz sich entschloß, sein Geschick mit dem einer tragischen Künstlerin zu verbinden. Sie holte ihren Vorrath von alten Druckbogen heraus und wählte. Da war ja ein recht lustiges Lied: die Käferhochzeit, worin der Käfer auf dem Zaune die Jungfer Fliege auffordert, ihn zu heiraten. Viele kleine Vögel bemühen sich ernsthaft um die Hochzeit, diese aber wird zuletzt durch ein unrühmliches Privatvergnügen des Bräutigams verdorben. »Gut,« sagte Laura, »mein Käfer Fritz, ehe du die leichte Fliege Juliette heiratest, sollen noch andere Vögel ihr Stimmchen dazugeben.« Sie legte das Lied zusammen und schrieb dazu auf einen kleinen Zettel: »Sie vermuthen falsch. Der dies sendet, war niemals Julia.« Als sie den Brief schloß, sagte sie beruhigt zu sich selbst: »Wenn er jetzt nicht merkt, daß er im Irrthum war, so muß man an seinem Urtheil verzweifeln.«

Der Doctor saß noch ein wenig betäubt bei seinen Büchern, als dieser Brief bei ihm einfiel. Er warf einen Blick auf die Käferhochzeit; alte Einzeldrucke davon waren ihm überhaupt noch nicht davon vorgekommen und er sah schon bei schnellem Ueberfliegen, daß manche Verse ganz anders lauteten als in unserm landläufigen Text. Dann nahm er den Zettel und suchte den Orakelspruch desselben zu verstehen. Allerdings, jetzt war unzweifelhaft, daß die Sendung von der Schauspielerin kam, denn wer sonst konnte wissen, daß er sie mit Julia angeredet hatte, und daß lange von dieser Rolle die Rede gewesen war. Aber was sollten die Worte: Sie vermuthen falsch? Auch darüber ging ihm ein blendendes Licht auf. Er hatte behauptet, daß die Darstellung der Leidenschaft dem Künstler nur bis zu einem gewissen Grade möglich sei, wenn ihm nicht einmal das Leben selbst eine ähnliche Kette von Empfindungen durch die Seele gezogen hätte. Das hatte die Schauspielerin geleugnet, und sie hatten sich darüber zu vereinigen gesucht. Ihre Worte bedeuteten also offenbar, daß sie die Julia gegeben, ohne je eine große Leidenschaft gefühlt zu haben. Nun, dies war ein Geständniß, das wieder viel Vertrauen zeigte, ja vielleicht noch mehr. Der Doctor saß lange vor dem Blatt. Aber er wurde jetzt ziemlich sicher, mit wem er Briefwechsel führe, und die Entdeckung machte ihn nicht froh. Denn wie er sich auch mit verständigen Gründen gesträubt hatte, es waren doch immer Laura’s Augen gewesen, die ihm von dem Papier entgegenstrahlten, freilich ein ganz anderer Blick, als sie ihm gestern vergönnt hatte. Er legte die Käferhochzeit still zu den andern Liedern, und wieder frug er sich, ob er den Briefwechsel jetzt noch fortsetzen dürfe. Endlich packte er als Antwort die fällige Abgabe ein, etwas aus dem verblühten Vorrath seiner Mappe, und schrieb nichts weiter dazu.

Einige Tage darauf ging der Professor mit Ilse durch die Straße, und als sie bei der Wohnung der Schauspielerin vorbeikamen, sahen beide den Freund am Fenster der Heldin stehen, und Fritz nickte ihnen hinter den Scheiben zu.

»Wie kommt er zu dieser Bekanntschaft?« frug der Professor, »gilt die junge Dame nicht für sehr emancipirt?« »Ich fürchte,« antwortete Ilse bekümmert.

Zu Madame Hummel aber kam Frau Knips, welche der Schauspielerin gegenüber wohnte, mit noch feuchter Wäsche gelaufen und erzählte, daß am Abend zuvor ein ganzer Korb Champagner zu dem Fräulein geschafft worden sei, und daß man in der Nacht den lauten Gesang einer wilden Gesellschaft über die ganze Straße gehört habe, und der junge Herr Hahn sei mitten darunter gewesen!

Am Sonntag war der Komiker zum Mittagsbraten des Herrn Hummel geladen, und eine seiner ersten Anekdoten war, daß er von einer lustigen Gesellschaft erzählte, die bei der Schauspielerin gewesen war. Mit der Bosheit, welche auch Genossen derselben Kunst einander zu Theil werden lassen, setzte er hinzu: »Sie hat einen neuen Verehrer gefunden, den Sohn von drüben. Nun, das Geld seines Vaters wird doch auf diesem Wege der Kunst zu Hilfe kommen.« Herr Hummel machte große Augen und schüttelte den Kopf, sagte aber weiter nichts als: »Also auch Fritz Hahn ist unter die Schauspieler gegangen und lüderlich geworden, er wäre der letzte gewesen, dem ich so etwas zugetraut hätte.« Frau Hummel aber suchte ihre Erinnerungen vom Ball zusammen und fand darin traurige Bestätigung, als Laura, welche heut sehr bleich und schweigsam dasaß, gegen den Mimen heftig herausfuhr: »Ich leide nicht, daß Sie an unserm Tische in solchem Ton vom Herrn Doctor sprechen. Wir kennen ihn gut genug, um zu wissen, daß er in Benehmen und Grundsätzen ein edler Mensch ist. Er ist Herr über sein Thun, und wenn ihm das Fräulein lieb geworden ist und er sie zuweilen besucht, so geht das keinen Dritten etwas an. Und es ist boshafte Verleumdung zu sagen, daß er dort etwas Unehrenhaftes begehen wird und Geld ausgeben, das ihm nicht gehört.«

Dem Komiker kam vor Schrecken eine Brotkrume in die falsche Kehle, er versank in den heftigsten Bühnenhusten seines Lebens, die Mutter aber versetzte, um den genialen Mann zu entschuldigen: »Du selbst hast zuweilen gefühlt, daß das Benehmen des Doctors nicht das richtige war.«

»Wenn ich in thörichtem Unmuth so etwas gesagt habe,«rief Laura, »war es ein Unrecht, und es schmerzt mich sehr; ich habe nur die Entschuldigung, daß es niemals böse gemeint war. Von Andern aber ertrage ich keine Kränkung unseres Nachbars.« Und sie stand vom Tische auf und verließ das Zimmer.

Der Komiker rechtfertigte sich gegen die Mutter, Herr Hummel aber faßte an sein Weinglas und sagte, mit zugedrückten Augen seiner Tochter nachsehend: »Sie ist bei trübem Tageslicht gar nicht von mir zu unterscheiden.«

Die Missethaten des Doctors machten ihm selbst wenig Kummer. Er hatte seiner Tänzerin vom Ball einen Besuch gemacht, denselben, wobei er am Fenster gesehen wurde. Einer seiner Schulfreunde, jetzt zweiter Tenor der Bühne, war dazugekommen und hatte mit der Künstlerin beschlossen, an ihrem nahen Geburtstage ein kleines Pickenick einzurichten, so war Fritz aufgefordert worden, Theil zu nehmen. Es war eine lustige Gesellschaft gewesen, der Doctor hatte sich unter den leichtbeschwingten Vögeln der Bühne sehr gut unterhalten und mit der Ruhe eines Weisen über den guten Takt gefreut, welcher in der zwanglosen Weise ihres Verkehrs sichtbar wurde. Auch manches verständige Wort wurde den Abend gesprochen, und er ging mit der Ansicht nach Hause, daß es für Seinesgleichen recht erfrischend sei, sich einmal zu der lustigen Kunst zu gesellen. Aber er versuchte an demselben Abend auch durch eine Kriegslist seine unbekannte Briefschreiberin zu ermitteln. Als man kleine Lieder sang und mit munterer Grazie komische Reime hersagte, hatte er das Käferlied auf das Tapet gebracht und ehrbar angefangen: »Der Käfer auf dem Zaune saß, brum brum, die Fliege, die darunter saß, sum, sum.« Einige hatten eingestimmt, die Dame im Mantel aber kannte das Lied gar nicht, nur ein ähnliches aus einer alten Rolle, und als der Bassist dem Doctor die Melodie aus dem Munde nahm und bei den folgenden Versen jeden der auftretenden Vögel durch Geberde und komische Veränderungen der Melodie zu porträtiren wußte, da hatte die Wirthin so unbefangen gelacht und sich vorgenommen, das Lied zu lernen, daß der Doctor wieder sehr zweifelhaft wurde, bei der Heimkehr auf seiner Hausschwelle stehenblieb und bedeutsam nach dem Hause des Herrn Hummel hinübersah. Und wer genau untersucht hätte, weshalb er nach diesem Käferlied selbst laut und übermüthig wurde wie die Andern, der hätte vielleicht gefunden, daß ihm durch jene Unbefangenheit der Schauspielerin ein kleiner Stein vom Herzen geschnellt war.

Aber das alles half ihm wenig gegenüber Brumm und Summ der Nachbarn. Die Parkstraße hatte ihrem Fritz Hahn in der letzten Zeit erhöhte Beachtung gegönnt, sein Bild war unter die ernsten Gelehrten ihres Albums eingereiht, welche sie täglich betrachtete und besprach. Jetzt schien ein fremder Zug in das bekannte Gesicht gekommen, und die Straße wollte nicht dulden, daß eines ihrer Kinder einmal anders aussah, als ihr geläufig war. Deshalb fand viel Raunen und Kopfschütteln statt, Herr und Frau Hahn erfuhren das, nicht zuletzt der Doctor. Er lachte darüber, aber ganz recht war es ihm nicht.

»Tanhäuser, edler Rittersmann, du liegst in Frau Venus Banden, ich selbst war der arge Papst Urban, ich häufte dir Jammer und Schande.« So klagte Laura in ihrem Zimmer, aber sie verbarg den großen Schmerz, auch gegen Ilse sprach sie kein Wort über die Gefahren des Doctors, und als diese einmal eine leise Anspielung auf die neue Verbindung des Freundes wagte, zerriß Laura den Faden ihrer Stickerei und sagte, während ihr das Blut heiß zum Herzen drang: »Warum soll der Doctor nicht hinübergehen? Er ist ein junger Mann, dem es gut thut, verschiedene Menschen zu sehen, er sitzt ohnedies zu viel in der Stube und bei seinen Eltern, wäre ich ein Mann wie er, ich hätte längst mein Bündel geschnürt und wäre in die Welt gelaufen, denn diese engen Hausmauern machen kleinmüthig und pedantisch.«

Am Theetisch brachte einer der Anwesenden das Gespräch auf die Schauspielerin und zuckte die Achseln über ihr freies Wesen. Laura empfand die Pein des Doctors: da saß der arme Fritz und mußte das verwerfende Urtheil anhören, die näheren Bekannten schwiegen und sahen bedeutsam auf ihn, seine Lage war schrecklich, denn jeder Narr benutzte des Fräuleins schutzlose Stellung, um sich als Cato zu erweisen. »Ich wundere mich,« rief sie, »daß die Herren so strenge über kleine Streiche einer Künstlerin urtheilen, das sollten sie doch uns überlassen. Einer solchen Dame darf man noch viel mehr zu gut halten, denn ihr fehlt aller Schutz und alle Freude, welche uns die Familie gibt. Ich bin überzeugt, daß sie ein wackeres und feinfühlendes Mädchen ist.«

Der Doctor sah dankbar zu ihr hinüber und bestätigte ihre Worte. Er merkte nichts, aber es war gekommen, wie in seinem Kindermärchen, Laura bog sich bereits zu seiner Fußspitze herab und hob das Taschentuch auf.

Noch mehr wurde ihr zugemuthet. Der Monat März begann in der Welt seine Theaterstreiche. Erst hatte er eine Schneelandschaft aus grauen Wolkensoffitten heruntergelassen, Dächer mit Eiszapfen, weiße Krystalle an den Bäumen und wildes Sturmgeheul hinter der Scene, plötzlich war Alles verwandelt, ein lauer Südwind wehte, die Knospen der Bäume schwollen, auf den Wiesen hob sich junges Grün über die dürren Stiele; die Kinder liefen in den Stadtwald und trugen große Bündel der ersten Frühlingsblumen heim, fröhliche Menschen zogen in unabsehbarer Wallfahrt durch die Parkstraße dem warmen Sonnenschein entgegen.

Auch über Herrn Hummel kam das Frühlingsahnen. Dies äußerte sich jährlich dadurch, daß er Farbe für den Kahn mischte und an einem kluggewählten Nachmittag mit Frau und Tochter in einen entlegenen Kaffegarten lustwandelte. Für Laura war die festliche Reise ein mäßiges Vergnügen, denn Herr Hummel spazierte den Frauen mit starken Schritten voraus, er freute sich ganz in der Stille darüber, wie Alles in der alten Natur wieder in Stand kam und gönnte den Seinen nur dann eine Bemerkung über die Schulter, wenn ihn eine Veränderung im Pflanzenwuchs ärgerte. Aber Laura wußte, daß der Vater auf diese Märzfreude hielt und eilte auch in diesem Jahre neben der Mutter hinter ihm her, einem einsamen Dorfe zu, wo Herr Hummel seine Pfeife rauchte, die Hühner fütterte, den Kellner abkanzelte, mit dem Wirth ein Gespräch über die Saaten führte und der Sonne gestattete, sich auch ihrerseits über das gute Aussehen ihres alten Bekannten Hummel zu freuen. Denn Herr Hummel, sonst keineswegs menschenscheu, liebte in der Natur allein zu sein und haßte die Sammelplätze der Städter auf dem Lande, wo der Duft von frischem Kuchen und gebackenen Kräpfeln alle Natur wegräucherte.

 

Als er mit seinen Frauen den Kaffegarten betrat, sah er unzufrieden, daß bereits andere Gäste vorhanden waren. Er warf einen zweiten tadelnden Blick auf die lustige Gesellschaft, welche seinen gewöhnlichen Platz in Besitz genommen hatte, und erkannte die junge Schauspielerin, andere Mitglieder der Bühne, mitten unter ihnen den Sohn seines Gegners. Da wandte er sich zu seiner Tochter und sagte blinzelnd: »Heut wirst du recht zufrieden sein, hier hast du ja außer dem Naturgenuß auch noch die Kunst zur Hand.« Laura erschrak vor der harten Zumuthung, welche ihrer Kraft gestellt wurde, aber sie hob stolz das Haupt und schritt mit den Eltern in eine andere Ecke des Gartens. Dort setzte sie sich mit dem Rücken gegen die Fremden. Dennoch merkte sie mehr von ihrem Treiben, als für die Fassung gut war, sie vernahm Lachen und lustiges Gebrumm der Käferversammlung; je weniger sie sah, um so peinlicher wurde der Lärm, und jedes Geräusch wurde in der tiefen Stille fühlbar, denn auch Ohr und Auge der Mutter hing gespannt an der andern Gesellschaft. Nach einer Weile brach die laute Unterhaltung der Künstler ab, aus den leisen Reden glaubte sie ihren Namen zu hören. Gleich darauf knirschte hinter ihr der Kies, sie dachte sich, daß der Doctor in ihrem Rücken war.

Er trat an den Tisch, grüßte stumm den Vater, machte der Mutter eine freundliche Bemerkung über das Wetter und war gerade im Begriff sich an Laura zu wenden, mit einem Zwange, den sie ihm wohl ansah, als Herr Hummel, der bis dahin den Einbruch des Feindes schweigend ertragen hatte, die Pfeife aus dem Munde nahm und mit sanfter Stimme begann: »Ist denn möglich, was man über Sie hört, Herr Doctor? Sie wollen sich verändern?« Laura fuhr mit dem Sonnenschirm heftig in den Kies.

»Ich weiß nichts davon,« versetzte der Doctor kühl.

»Es geht das Gerücht,« fuhr Herr Hummel fort, »Sie wollen Ihren Büchern Lebewohl sagen und dramatischer Künstler werden. Sollte dieses doch der Fall sein, so bitte ich Sie freundlich, auch meines kleinen Geschäftes zu gedenken. Jede Art von künstlerischer Kopftracht, für Liebhaberrollen feiner Biber, für Lakaien mit Tressen, und wenn Sie einmal den Bajazzo machen, eine weiße Filzmütze. Aber Sie werden lieber Clown heißen wollen. Es ist jetzt eine gute Carriere geworden, Hanswurst ist aus der Mode, man wird Sie auch Herr Clown anreden.«

»Ich habe nicht die Absicht, zur Bühne zu gehen,« erwiederte der Doctor. »Wenn ich ja auf den Einfall käme, würde ich Sie nicht um die Kunstwerke Ihrer Fabrik bitten, sondern um eine Unterweisung in dem, was Sie für gute Lebensart halten. Ich würde dann auf der Bühne wenigstens wissen, was sich unter Männern von Anstandsgefühl nicht schickt.« Er grüßte die Frauen und entfernte sich.

»Immer Humboldt,« sagte Herr Hummel ihm nachblickend.

Laura rührte sich nicht, aber ihre dunklen Augenbrauen zogen sich so drohend zusammen, daß auch Herr Hummel davon Kenntniß nahm. »Ich bin ganz deiner Meinung,« sagte er behaglich zu seiner Tochter, »es ist schade um ihn; wäre er nicht in dieser Strohhütte verdorben, es hätte wohl etwas aus ihm werden können. Der ist nun auch dahin.« Dabei nahm er Kuchenbrocken und bot sie einem Löwenhündchen, welches vor ihm auf den Hinterbeinen saß und die Vorderpfoten bittend auf und ab bewegte.

»Billy,« rief eine Frauenstimme durch den Garten. Aber Hund Billy achtete nicht darauf, sondern fuhr fort, Herrn Hummel seine Ergebenheit zu beweisen, und dieser, der für Thiere ein weicheres Gemüth hatte als für Menschen, fütterte den Kleinen.

Die Schauspielerin kam eilig heran. »Bitte geben Sie dem unartigen Thiere keinen Kuchen, es sind Mandeln darin,« bat die Künstlerin und wehrte dem Hündchen.

»Ein hübscher Hund,« bemerkte Herr Hummel sitzend.

»Wenn Sie erst wüßten, wie gescheidt er ist,« sagte das Fräulein, »er versteht alle Kunststücke. Zeige dem Herrn, was du gelernt hast.« Sie hielt den Sonnenschirm hin, Billy sprang eifrig darüber weg und sofort mit einem Satze auf den Schoß des Herrn Hummel, dort wedelte er mit dem Schweif und versuchte ihm das Gesicht zu lecken.

»Er will Sie küssen,« sagte die Schauspielerin, »darauf dürfen Sie sich etwas einbilden, denn das thut er gar nicht Jedermann.«

»Es ist auch nicht Jedermanns Sache,« versetzte Herr Hummel und streichelte den Kleinen.

»Sei dem Herrn nicht lästig, Billy,« schalt das Fräulein.

Herr Hummel stand auf und überreichte den Hund, der auf seinen Kuß nicht verzichten wollte und immer noch nach dem Gesicht des Hausbesitzers züngelte. »Er ist treuherzig,« sagte Herr Hummel, »und hat ganz die Farbe des meinigen.«

Das Fräulein liebkoste den Kleinen. »Der Schelm ist leider sehr verzogen; er kriecht in meinen Muff, sooft ich in das Theater gehe, und ich muß ihn mitnehmen, obgleich das nicht geschehen soll. Erst neulich stand ich seinetwegen Todesangst aus, denn während ich als Klärchen unter den Bürgern jammerte, war Billy aus der Garderobe gelaufen, wedelte zwischen den Coulissen und machte mir Männchen.«

»Es war ein ergreifendes Spiel,« begann Frau Hummel.

»Ich fuhr wohl mehr umher als sonst,« entgegnete die Schauspielerin, »denn ich mußte bei jeder Wendung in die Coulisse rufen: Kusch, Billy!«

»Gut,« nickte Herr Hummel, »immer Besonnenheit.«

»Heut bin ich dem Unartigen dankbar,« fuhr das Fräulein fort, »denn er verschafft mir hier auf dem Lande die Freude, meine Nachbarn zu begrüßen. Herr Hummel, wie ich höre.«

Herr Hummel verneigte sich schwerfällig. Die Schauspielerin wandte sich mit einer Verbeugung zu den Damen, welche stumm ihren Gruß erwiederten.

An der Dame war Manches, was Herrn Hummel gefiel. Sie war hübsch, sah aus klugen Augen fröhlich in die Welt und trug etwas auf dem Kopf, was er persönlich kannte. Er ergriff also einen Stuhl und sagte mit einer zweiten Verbeugung: »Wollen Sie nicht die Güte haben, Platz zu nehmen?« Die Fremde nickte ihm zu und wandte sich an Laura. »Ich freue mich, Sie endlich so nahe zu sehen, Sie sind mir keine Fremde mehr, ich habe manchmal an Ihnen rechte Freude gehabt, und es ist mir lieb, daß ich Ihnen heut dafür danken kann.«

»Wo war das doch?« frug Laura beklommen.

»Wo Sie gewiß nicht daran dachten,« versetzte die Andere. »Ich habe ein scharfes Auge und erkenne über die Lampen jedes Gesicht der Zuschauer. Sie glauben nicht, wie sehr das zuweilen peinigt. Da Sie einen festen Platz haben, ist mir oft Erholung gewesen, auf Ihren Zügen auszuruhen und den lebendigen Ausdruck zu betrachten. Und mehr als einmal habe ich, ohne daß Sie es wußten, für Sie allein gespielt.«