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Die Ahnen

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»Er rät gut«, rief sie außer sich. »Hinweg ihr alle, damit ich das Haus anzünde.«

»Eile mit Weile!« tröstete Gottlieb. »Alt-Rosen ist niemals so leichtfertig, ein volles Haus abzusengen. Soll die Ausstattung der Frau Rittmeisterin verkohlen oder den Schreibern in die Hände fallen? Erst geräumt, dann gebrannt, ist Soldatenbrauch.« Und zu Bernhard tretend gebot er: »Erwarte uns im Walde, es ist nicht nötig, daß sie unserer Arbeit zusieht. – Vorwärts, Bube! Wo ist der Zugang zum Versteck? Sperre die Truhe auf und wirf in den Wagen, wie‘s kommt! Heran, Kameraden, schnelle Hände und scharfen Ausguck, denn der Morgen ist nahe.«

Im nächsten Augenblick jagten Bewaffnete, das Weib in der Mitte, dem Bergwald zu, um den Hof aber bewegten sich schweigsam geschäftige Plünderer, während zwei aus dem Haufen die geknebelten Wächter vorwärts stießen bis in das nahe Gehölz und dort an Bäumen festbanden. Auch der Wagen rollte von dannen, umritten von der reisigen Schar. Als letzter blieb Gottlieb mit dem Knaben im Hause zurück; beim Heraustreten schloß er die Tür und die Pforte des Zaunes. »Es ist der letzte Hof,« sagte er zurückblickend, »dem unser Regiment ein feuriges Ende bereitet. Nur eins tut mir leid, daß wir von dannen ziehen, ohne daß ich den Amtsschreiber in das Feuer geworfen habe. Doch hoffe ich, Satan holt sich seinen Braten.« Mit diesem Wunsche ritten sie davon. Hinter ihnen stiegen aus dem verlassenen Hause die Flammen auf, der Wind blies hilfreich in die Glut. Als die erwachten Dorfleute herzurannten, stand der ganze Bau in Flammen, und sie riefen vergebens nach den Wächtern.

Die fremden Reiter aber fuhren dahin über die Berge, durch Regen und Sturm, und zu dem Geheul der Luft und dem Brausen des Waldes schallte ihr wildes Holla ho! Der wilde Jäger entführte sich das Zauberweib. Die er mit trotzigem Sinne auf das Roß gehoben, hielt er fest, um sie gegen eine Welt von Feinden zu behaupten. Was tut‘s, ob der Ritt kurz oder lange währt? Wer sein Leben wagt, um geliebtem Leben die Treue zu erweisen, der hat zu aller Zeit das Recht, über die Rotte der Einfältigen und Schlechten hinwegzusetzen.

In dem Zimmer der Herzogin harrte der kleine Prinz mit dem Lizentiaten auf die Ankunft seines Herrn Vaters, denn es war die Stunde, wo der Herzog sich gern von dem Kleinen aufsagen ließ, was dieser gelernt hatte. Zu den Füßen der Herrin saß Regine über vielen Knäueln von bunter Wolle, wählte und reichte sie zur Stickerei. Aber ihre Seele war nicht bei der Arbeit, die Hände flogen in fieberhafter Hast; und da sie nicht aufzusehen wagte, bemerkte sie auch nicht, wie bekümmert der Lizentiat zu ihr hinsah.

Der Herzog ließ diesmal auf sich warten; als er endlich eintrat, begrüßte er seine Gemahlin und ging mit umwölkter Stirne auf und ab, ohne nach der Lektion des Prinzen zu fragen. »Das Haus der Zauberin ist niedergebrannt, und sie selbst ist wahrscheinlich in dem verschlossenen Bau von der Flamme verzehrt«, begann er endlich zur Herzogin. »Die Bauern aber sagen aus, der Teufel oder wilde Jäger habe sie entführt.« Die bunten Knäuel entrollten dem Schoße Reginas und kugelten auf den Fußboden. »Die Dorfleute wollen die schwarze Höllenschar leibhaftig gesehen haben, den wilden Jäger mit seiner Jagd, wie er das Weib auf dem Rosse hielt und mit ihr durch Flammen und Rauch in der Luft über die Berge fuhr. Es ist seltsam, daß so viele dasselbe gesehen, der eine mehr, der andere weniger; die Wächter behaupten, von dem höllischen Heer übel zerstoßen zu sein, doch fand man sie mit gewöhnlichen Stricken gebunden.«

»Die Dienerin der Angeklagten, welche entflohen war, hat man in den Bergen leblos gefunden; sie saß in einem Versteck, zu dem die Dorfleute bei Kriegsgefahr flüchten. Die Nahrungsmittel in ihrem Korbe waren unberührt, und die Leute behaupten, der Böse habe ihr den Hals umgedreht. Doch ist wunderlich, daß in ihrem Schoße das Gesangbuch lag und darin aufgeschlagen das Lied: Ein feste Burg. – Dergleichen ist in der Christenheit unerhört. Für mich aber wird es besonders schrecklich, denn ich konnte mich, was auch die Richter vorbrachten, noch nicht an den Gedanken gewöhnen, daß das Mädchen einen Bund mit dem Bösen gemacht habe.«

»Des Himmels Segen über Eure herzogliche Gnaden für diese gütigen Worte«, klang es leise neben dem Stuhl der Herzogin, wo Regine mit gefalteten Händen auf den Knien lag. Der Herzog sah von der Seite auf die Kniende und fuhr fort: »Nur der Jägermeister will nicht glauben, daß es höllische Geister waren, welche das Weib entführten; er wies mir weiter oben am Wege die Spuren vieler Pferdehufe; die Hufe hatten Eisen, und an dem einen fehlte ein Nagel.«

Er ging wieder nachdenklich auf und ab. »Auch aus der Stadt wird Wunderliches berichtet. Bei der Schmiedin Stange, deren Mann seit vielen Jahren verschwunden ist und unter das Kriegsvolk gelaufen sein soll, stand vor zwei Tagen plötzlich zur Zeit der Abenddämmerung in der Stube eine finstere Gestalt, welche sich als heimgekehrter Schmiedemeister gebärdete, und als das erschreckte Weib auf ihn zugehen wollte, dasselbe streng ermahnte, bis Mitternacht nicht mit ihm zu sprechen, sondern ihn ruhig schalten zu lassen, und gegen jedermann zu schweigen; dies werde ihr Glück sein; wenn sie aber spreche, ihr Verderben. Zur Bekräftigung scheint er Geld auf den Tisch gelegt zu haben, die Frau gibt nur einen Dukaten zu, doch mag es mehr sein. Während sie noch betäubt dasaß, ist er in die Schmiede gegangen, hat dort mit dem Werkzeug hantiert und auch das Feuer angeblasen. Plötzlich war er verschwunden und ist bis jetzt nicht wieder sichtbar geworden. Durch das späte Arbeiten in der Schmiede, die seither kalt war, entstand in der Nachbarschaft ein Argwohn, und da die Frau widerwillig blieb, Auskunft zu geben, wurde sie heut verhört und behauptete, es sei der Geist ihres Mannes gewesen. Wir haben wahrlich genug gegen die Bösen in dieser Welt zu kämpfen, solches Eindringen des Satans schafft neuen Schrecken und entsetzt die Gemüter.«

Er hielt vor Regine an. »Ihr, Jungfer Königin, habt selbst Bekanntschaft mit der Angeklagten Möring gehabt. Ich frage Euch auf Euer Gewissen: Haltet Ihr sie für eine schädliche Zauberin?«

»Nein!« rief Regine, »an ihren Werken sollt ihr sie erkennen, sie war gutherzig gegen jedermann und nicht auf eigenen Vorteil bedacht. Der Pfarrer dort ist alt, und in der Gemeinde leben Arglistige, welche ihr neidisch sind.«

»Sie ist beschuldigt, um Mitternacht im Walde teuflische Künste geübt zu haben und ein Zeuge sagt aus, daß der Teufel in Gestalt des wilden Jägers bei ihr gesehen worden.«

Regine rang die Hände. »Es war ein Mensch und ein redlicher Christ, denn, herzogliche Gnaden, es war mein Bruder.«

Der Herzog trat zurück. »Woher ist Euch das bewußt, Jungfer?« fragte er streng.

»Mein Bruder selbst hat es mir vertraut«, antwortete das Mädchen und fuhr, das Haupt erhebend, fort: »Was mir auch geschehen möge, ich kann es nicht ertragen, daß Eure herzogliche Gnaden durch die Aussagen der verwirrten und boshaften Leute getäuscht werden. Die Jungfrau vom Walde war meinem Bruder lieb geworden, und als er durch seinen Buben Kunde erhielt von der Todesgefahr, in welcher sie verstrickt saß, kam er heimlich mit bitterer Angst in Eurer Hoheit Land. Er ließ mich aus dem Schlosse zu sich fordern, und obwohl er mir seinen Entschluß bergen wollte, so erkannte ich doch, daß er auf eine Gewalttat in der nächsten Nacht sann. Auch war er nicht allein, er hatte einen treuen Kameraden, welcher denselben Namen führt, mit dem herzogliche Gnaden soeben die Schmiedefrau benannten. Dieser war im Heere bekannt als ein redlicher Mann, aber in allerlei Listen erfahren, und ich hoffe, diese beiden haben die Jungfrau weggeführt.«

»Ihr aber,« sprach der Herzog unwillig, »seid Mitwisserin geworden bei einer frechen Gewalttat, durch welche das Gericht gehindert und meine Autorität gekränkt wird, und Ihr selbst seid schuldig geworden vor dem Gesetz.«

Da begann der Lizentiat ehrerbietig: »Ist Jungfer Regine schuldig, so bin ich in derselben Schuld, denn ich habe sie vorgestern zu der geheimen Besprechung mit ihrem Bruder begleitet und wieder zurückgeführt, und ich habe mir in der Stille ähnliche Gedanken gemacht wie sie selbst, über eine natürliche Entführung ohne teuflische Künste. Und ich berge Eurer herzoglichen Gnaden nicht, daß ich trotz der entgegengesetzten Meinung hoher Geistlichkeit in meinem Herzen auch die Gesinnung der Jungfer Regine gegen die Angeklagte teile und der Überzeugung lebe, daß jene unschuldig ist. Ja, ich wage Eurer herzoglichen Gnaden frei herauszusagen, daß ich die ganze Prozedur wegen dieser sogenannten Hexerei für ungerecht, gewalttätig und nicht in frommer christlicher Lehre begründet halte.«

»Der Herr Lizentiat,« rief Regine zitternd, »ist unsträflich wie ein Engel in dieser Sache, denn er wußte nicht, zu wem er mich begleitete; er kannte den Bruder nicht, hatte ihn nie gesehen, und ich habe, um niemanden in Gefahr zu setzen, ihm nichts bekannt.«

»Ist es so, wie Ihr sagt,« begann der Herzog unzufrieden, »so wundert mich, daß Monsieur Hermann, den ich seither als vorsichtigen und mir ergebenen Diener betrachtet habe, sich dazu drängt, der Vertraute und Komplize in einer so widerwärtigen Angelegenheit zu werden.«

Die Herzogin, welche mit Teilnahme zugehört hatte, so daß sie auch die Stickerei in den Schoß legte, erhob jetzt die Augen zu ihrem Gemahl und sprach leise: »Mein geliebtes Herz wolle die beiden ansehen, sie sind sich einander gut.«

In dem ernsten Gesicht des Herrn malte sich ein unmäßiges Erstaunen, daß die, welche er für eine Verkündigerin gehalten, sich in solcher Weise als eine Liebhaberin enthüllte. Und zuerst wurde seine Miene noch finsterer. Aber als er die ehrlichen Gesichter der jungen Leute prüfend betrachtete, erhielt seine gütige Gesinnung allmählich die Oberhand, zumal er in seinem verwüsteten Lande gern behilflich war, gottselige Ehen zu stiften. Und obschon der hohe Ernst nicht von seinem Angesicht wich, so war sein Ton doch ohne Härte, als er gegen Regine begann: »Die Herzogin und ich haben Euch als einer Landfremden Unterkunft in unserem eigenen Hause bewilligt; und wiewohl wir an Euch, abgesehen von Euren Heimsuchungen, nichts Unebenes und Auffälliges bemerkten, so erweist sich doch auch Euch gegenüber die Regel eines fürstlichen Haushalts als richtig, daß ein Landesherr seine vertraute Umgebung am besten aus Angehörigen des eigenen Landes erwählt, deren Extraktion und Anhang ihm genau bekannt sind. Ihr aber seid durch Euren Bruder und dessen Verbindung mit einem Weibe, welches unter furchtbarer Anklage steht, in den Schatten eines Verdachtes gekommen, welcher in einem fürstlichen Haushalt ganz unleidlich ist, deshalb könnt Ihr nicht länger in dem Schlosse und in unserer Nähe Euren Aufenthalt finden.« Regine erhob sich schweigend und streifte die Wollfäden von ihrem Kleide; ihre Angst war geschwunden, sie stand mit gesenktem Haupt bereit zu gehen.

 

»Ich berge Euch nicht,« fuhr der Herzog fort, »daß durch den Schloßprediger auch Bedenken gegen das wenige, was mir von Euren Revelationen und Gesichten zugänglich wurde, erhoben sind, indem derselbe behauptet, daß darin eine ihm bereits anderweitig bekannte versifizierte Äußerung enthalten sei, welche von einem Jesuiten herrühre. Diesen Verdacht lasse ich billig auf sich beruhen, denn mir ist wohl bewußt, daß Ihr Euch sonst als eine treue Bekennerin evangelischer Lehre bewiesen habt. Und ich hoffe es vor meinem Gott zu verantworten, wenn ich in dem Wunsche, Euch vor Gefahr und Schaden zu bewahren, von dem, was Ihr mir heut im Vertrauen mitgeteilt, meinem Consistorio gegenüber keinerlei Gebrauch mache, zumal es mir eine herzliche Erleichterung ist, daß ich jetzt hoffen darf, die Angeklagte, welche sich durch die Flucht ihren Richtern entzogen hat, sei in Wahrheit nicht ewiger Verdammnis verfallen. Da Ihr selbst aber von hier scheiden müßt, so will ich Euch in guter Meinung fragen, wohin Ihr Eure Schritte zu wenden gedenkt?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete Regine ergeben, »ich bin jetzt allein, aber der Himmel wird mich nicht verlassen.« Sie neigte sich tief vor dem Herzog und kniete vor der Herzogin. »Ich danke in Ehrfurcht für alle Gnade, die ich hier gefunden.« Sie stand auf und wandte sich zum Gehen.

»Gestatten, herzogliche Gnaden,« sagte der Lizentiat schnell, »daß ich in hoher Gegenwart der Jungfer noch etwas weniges mitteile«; und zu Regine tretend, sprach er: »Der dritte Spruch, den ich damals getroffen, als ich die werte Jungfrau nach der Stadt holte, war aus dem Buch Ruth und er lautete: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, und wo du bleibst, da bleibe ich auch, und dein Gott ist mein Gott.« Er stand neben ihr und hielt ihre Hand fest.

Durch den Schmerz Reginas fuhr ein heller Strahl der Freude, daß der Mann, dem sie von Herzen zugeneigt war, sich in dieser Stunde zu ihr bekannte, und sie sah ihn dankbar mit nassen Augen an. Aber gleich darauf zog sie die Hand zurück und sagte leise: »Ich darf niemanden unglücklich machen.« Doch der Lizentiat ließ sich nicht beirren und führte sie vor den Herzog.

»Herzogliche Gnaden sind zugleich ein Vater aller Waisen und der oberste Bischof in Ehesachen. Deshalb sei mir gestattet, daß ich an hoher Stelle meine Absicht erkläre, um die Zuneigung der lieben Jungfer Königin zu werben, und dieselbe, wenn sie mir ihre gute Gesinnung zuwenden kann, zu meinem ehelichen Gemahl zu machen. Unterdes bitte ich ehrfurchtsvoll um Erlaubnis, die Jungfer meiner Mutter zu bringen, welche nach allem, was sie durch mich vernommen hat, sich freuen wird, dieselbe aufzunehmen.«

»Ungern werden wir Euch aus unserer Mitte entlassen,« antwortete der Herzog, »da Ihr aber für diese fremde Waise in so feierlichen Worten mein hohes Amt angerufen und Euren Willen erklärt habt, mit der Jungfer Königin Freud und Leid zu teilen, so will ich mich Eurem Vorhaben nicht entgegensetzen, sondern wünschen und hoffen, daß Ihr im Verein mit dieser auf Erden mehr Freude als Leid genießen mögt.«

Er trat vor Regine und fuhr gütig fort: »Es war meine Absicht nicht und nicht die der Herzogin, Euch ohne Schutz den Zufällen des Lebens preiszugeben. Denn uns ist Eure Ergebenheit gegen uns besser bewußt, als Ihr selbst meint. Wollt Ihr diesen Mann als Euren Herrn anerkennen, so tretet Ihr unter gute evangelische Aufsicht, und Eure Seele wird wohl behütet sein. Und um Euch für guten Willen, den Ihr im Dienste der Herzogin, wenn auch nicht lange, doch mit Eifer, bewiesen habt, unsererseits den Rekompens zu gewähren, so werde ich Euch für den Lizentiaten Hermann eine Vokation in die nächste offene Pfarrstelle übergeben. Diese mögt Ihr ihm zubringen, falls Ihr ihn zu Eurem Herrn nehmt. Bis dahin bleibt er in meinem Dienst, Ihr aber im Hause seiner Mutter, und da Ihr keinen Familienanhang in meinem Lande habt, so wird die Herzogin seinerzeit Euch im Pfarrhause die Hochzeit ausrichten lassen.«

9. Bei den Schweden

Der Krieg war von neuem zu hellen Flammen aufgebrannt. Der Kurfürst von Bayern hatte seine Neutralität aufgegeben, sein Heer verstärkt und mit den Kaiserlichen zu der größten Armee verbunden, welche seit Jahren im Felde operiert hatte. Gegen diese Macht rief Feldmarschall Wrangel den General Königsmark zu Hilfe, auch Graf Turenne kam widerwillig herzu, und ihre Heerhaufen lagerten an der Donau, drei Rudel von Wölfen, welche die Not zwang, sich für gemeinsame Jagd zu gesellen, während jeder Haufe gehässig die anderen belauerte. Aber auch die Kaiserlichen und Bayern betrachteten einander mit scheelem Wolfsblick. Von neuem wurden Städte berannt, Dörfer ausgesengt und im kleinen Kriege die Zahl der Kämpfenden verringert, denn keine Partei wollte ihre ganze Stärke zu einer entscheidenden Schlacht auf das Spiel setzen.

In den Quartieren des Generals Königsmark standen jetzt unter Oberst Penz die weimarischen Reiter in vier Regimenter geteilt mit neuen Standarten. Es war viel junges Volk bei ihnen und nicht wenige der Alten hatte der Krieg getilgt oder ihr eigenes Gelüst zu anderen Fahnen geführt. Dennoch hielten sie untereinander gleich Leidensgefährten zusammen. Vor dem Feinde bewährten sie ihre Tüchtigkeit, und Königsmark wußte, daß sie ihm in der Gefahr nicht versagten; aber im Lager waren sie für die schwedischen Führer schwer zu behandeln.

An einem Maimorgen kam ein einzelner Reiter, gefolgt von seinem Knechte bei den Lagerwachen des Dorfes an, in welchem gerade der General das Hauptquartier hatte. Der Reisende war von mannhaftem Aussehen und in vornehmer Kleidung, aber er trug nicht die Feldbinde eines Offiziers. Dennoch empfing er Zuruf und Grüße von mehreren Soldaten, welche am Wege standen, und er selbst sah um sich, wie einer, der Bekannte wiederfindet, er schwenkte den Hut und sprang vom Pferde, als ihm ein alter Offizier mit ausgebreiteten Armen entgegenkam.

»Willkommen, Bruder!« rief Gottlieb. »Durch dein Brieflein bin ich avisiert, du findest alles bereit und der Oberst erwartet dich. Zuerst aber frage ich, wie geht es deiner Frau Rittmeisterin?«

»Sie grüßt ihren Brautführer«, antwortete Bernhard. »Um ihre Gesundheit zu schonen, ließ ich sie mit unserem Sohne und den Troßwagen in der Stadt zurück. Ist dir‘s recht, so holen wir sie ein, sobald ich hier in Amt und Quartier bin.«

»Um ihretwillen freut mich, daß du erst mit der Frühlingssonne dem Heere zuziehst; in meinen Gedanken zweifelte ich oft, ob du wieder zu Pferde steigen würdest.«

»Wir lebten verborgen im Feenlande«, berichtete Bernhard lachend. »Wisse, als du mit deinen Reitern aus dem Urlaub, den dir Königsmark bewilligt, nach den schwedischen Quartieren abgeritten warst, wollte der fränkische Dorfpfarrer, der mir mein Weib angetraut, uns gegen billige Vergütung gern in seinem Hauswesen behalten. Doch fand ich besseren Schutz bei dem Sohn eines vornehmen Geschlechtes aus Nürnberg, welcher zugleich mit mir das Jus studiert hat, und jetzt als reicher Erbe die Handlung und die Güter seiner Vorfahren besitzt. Er gab mir Unterkunft auf einer seiner Burgen und machte mich zu seinem Kastenvogt, so daß ich ihm mit meinen Knechten nicht nutzlos war, denn ich hielt das räuberische Volk von seinen Dörfern ab. Ich saß mit der jungen Hausfrau den Herbst und Winter in festem Steinhaus auf der Höhe, sah zu, wie die Blätter im Winde tanzten und der Schnee um die Fenster wirbelte; Bruder, es war eine selige Zeit; und Frau Judith fand zuweilen ihr Lachen wieder. Wenn das Burgtor am Abend verschlossen war, sang ich nach alter Gewohnheit zur Laute, sie aber schnitt und nähte fleißig von dem Schatz ihrer Truhe, den du gerettet, eine Ausstattung für sich und mich und dazu noch für ein Drittes. Als nun im Frühling das Laub sproß, wagte sie sich einst hinaus ins Freie, da traf sie auf dem Wege einen armen Mann, der als Hausierer früher in das thüringische Walddorf gekommen war; er bat um eine Gabe, und wie sie ihm freundlich antwortete, wandelte sich das Gesicht des Tropfes, er trat scheu zurück und lief ohne Gruß von dannen. Sie kam verstört in die Burg und trieb seitdem in unnötiger Angst um mich zum Aufbruch. Unterdes war auch die Geldkatze leicht geworden, und wir fragten in Sorge, wohin?«

Der Alte nickte. »Auch darin rate ich, der Zeit zu vertrauen. Der höchste Berg wird klein, wie ein Maulwurfshügel, wenn man sich weit genug von ihm entfernt. Hier findest du manchen ehrlichen Kameraden, aber viel Unfrieden, Brot ist teuer, doch das bayrische Vieh nährt den Soldaten, unsere Reiter sind Ochsenhändler geworden, von scharfen Aktionen ist wenig zu spüren.«

»Was weißt du über Wilhelm?« fragte Bernhard.

»Er haust unzufrieden beim Wrangel, der ihn in der Kanzlei verwendet; doch haben unsere Leute hier ihn nicht vergessen, auch dich nicht, Bruder, und du wirst manchem beim Glase Bescheid tun müssen. Sieh, das ist einer von den Getreuen.«

Sie trafen in der Dorfgasse auf den Leutnant Pyritzer, der in seiner bedächtigen Weise grüßte.

»Ich freue mich Eurer Ankunft, sie ist uns bereits verkündigt; und ich erbitte Verzeihung, wenn ich den Herrn Kameraden zur Stelle um seinen Beistand angehe. Ein früherer Offizier vom Regiment Taupadel, der nur als ein französischer Windbeutel ästimiert werden kann, ist aus den Dörfern des Turenne herangeritten, er hält vor dem Lager und hat mir durch einen bebänderten Milchbart, der sich seinen Pagen nannte, diesen unsinnigen Kartellbrief gesandt, worin zu lesen steht: Er habe zu seinem großen Bedauern erfahren, daß ich mein Haar kurz geschoren trage. Dies sei ihm unleidlich und er bitte deshalb höflichst um die Ehre einer Begegnung im Freien. So schreibt der Narr.«

»Das ist der richtige französische Stilus«, bestätigte Gottlieb. »Es ist der verkehrte Hundestil, vorn Wedeln, hinten Zähnefletschen. Ich rate Euch, daß Ihr mit dem Degen die Punkte zu dieser Schrift stecht.«

»Darum eben wollte ich mir die Ehre erbitten,« sagte der Pyritzer zu Bernhard, »daß der Herr Kamerad als mein Begleiter mit hinausreite. Auch der Franzose bringt nur einen Partner mit. Fehlt es Euch an Pistolen, so ersuche ich, unter den meinen zu wählen.«

»Euer Vertrauen ehrt mich,« antwortete Bernhard, höflich den Hut lüftend, »ich bin bereit.«

Aber Gottlieb trat dazwischen. »Ich widerstehe den Herren ungern in solcher Sache; doch unser Gast hat weder Feldzeichen noch Lagerrecht und ist gebunden, zunächst vor dem Obersten zu erscheinen. Die Fremden aber sollen nicht prahlen, daß wir Deutsche gezögert haben, auf ihren Gruß zu antworten; bitte also, daß meine Herren Brüder diesmal mir den Vorzug geben und gestatten, an Stelle des Rittmeisters König die Sekundanz zu übernehmen.«

Gegen diesen Vorschlag konnte Bernhard nichts Stichhaltiges einwenden, und da auch der Pyritzer zufrieden war, so eilten die beiden Leutnants zu ihren Pferden. Der Rittmeister wurde von dem Obersten und der Kanzlei lange aufgehalten, bevor er bei der Standarte den Eid ablegte und die Feldbinde umtat. Als er, beglückwünscht von alten und neuen Kameraden, wieder auf die Straße trat, um das Logis des Generals Königsmark aufzusuchen, fand er seinen Vertrauten auf der Bank sitzen. »Der wackere Kamerad ist vom Pferde gefallen und dahin«, sagte Gottlieb traurig.

»Dann habe ich die Pflicht, ihn zu rächen«, antwortete Bernhard. »Trage dem Franzosen meine Herausforderung.«

»Es ist nicht nötig, Bruder,« sprach Gottlieb, an seinen Degen rührend, »auch der Franzose reitet nicht mehr zurück. Gedenkst du an den Traum, welchen du einmal dem Pommer auslegen solltest? Etwas davon ist ihm in Erfüllung gegangen. Als er auf dem Felde lag, so friedlich ausgestreckt wie ein Schlafender, der sein gutes Tagewerk getan hat, trieben Reiter von uns eine Viehherde heran, und bevor ich die Treiber verscheuchen konnte, drängten sich die Schafe um den Leib des Toten. Hat er noch etwas davon vernommen, so hoffe ich, er wird dabei zum letzten Ende an den Hof seines Vaters gedacht haben. Ich sage dir aber, Bruder, wenn das so zwischen uns und den Franzosen fortgeht, braucht der Kaiser sich unsertwegen nicht außer Atem zu setzen, denn das Gezänk und Geraufe ist unmäßig geworden, und die gemeinen Soldaten sind noch wütender aufeinander als die Offiziere. – Ich erwarte dich; sieh zu, daß du vom General nicht lange aufgehalten wirst, denn ich gedenke dich heut für mich und einige alte Käuze, die du kennst, zu behaupten.«

 

Als Bernhard in dem Vorzimmer seines neuen Befehlshabers stand, fiel ihm auf die Seele, wie verändert seine Lage war. Einst hatte er in der Zuversicht junger Liebe den schwedischen Dienst verschmäht, jetzt mußte er ihn als eine Zuflucht für sich und die geliebte Frau suchen. Alles Glück, an das er damals mit Sehnsucht gedacht, war ihm zuteil geworden, und doch zog er unstet und heimatlos auf der Erde, und über ihm schwebte eine dunkle Wolke, die ihn und eine andere vom hellen Sonnenlichte schied.

Königsmark empfing ihn gütig wie einen jüngeren Kameraden. »Euer Brief hat mich nicht vergebens an mein Versprechen gemahnt. Ich hoffe, die Redlichkeit, welche Euch damals hinderte, in den Dienst der Königin zu treten, wird Euch jetzt zu einem guten Offizier machen, dem auch ich vertrauen kann. Euch soll nicht schaden, daß ich durch das Geschenk, welches Ihr mir damals anbotet, in noch größere Sorgen gekommen bin, als wir beide ahnten. Denn wisset, Eure Alten verstehen zwar zu reiten, aber sie sind im Heere ein harter Stein des Ärgernisses und machen mir das Leben sauer. Um ihretwillen bin ich mit Feldmarschall Wrangel verfeindet, und ich bin, wie ich voraussah, zu Stockholm in den Verdacht gekommen, als ob ich für mich selbst insgeheim machiniere und mich zum Haupt einer deutschen Partei aufwerfen wolle. Doch das ist nicht das ärgste, denn euren Übertritt vermag auch der Franzose nicht zu verwinden, er liegt unseren Kommissaren beständig in den Ohren, ihm die Abtrünnigen wieder zu überweisen. Zornig hat er sich mit uns konjungiert, die Feindschaft zwischen uns und ihm ist kaum noch zu bergen, und er droht, sich wieder nach dem Rheine zu wenden. Der Zustand wird unleidlich für das Heer und für mich selbst. Das sage ich Euch im Vertrauen, damit Ihr zur Ruhe und Vorsicht mahnt, denn ich weiß, daß Ihr unter den alten Weimarischen Anhang habt. Und ich habe auf Euer Gesuch günstig geantwortet, weil ich einen zuverlässigen Mann brauche, der mir die Gedanken der Völker zuträgt und vor ihnen mein Interesse nach Kräften vertritt. Wollt Ihr mir solche Treue erweisen, so soll es Euer Schade nicht sein, denn ich schlafe gut, wenn ich weiß, daß meine Feinde darniederliegen, aber ich wache auch eifrig für den Vorteil meiner Freunde.«

»Eure Exzellenz wird nicht fordern, daß ich als Zuträger und Spion zwischen dem Feldherrn und den Soldaten einherschleiche, zu solchem Dienst schickt sich mein Wesen nicht«, versetzte Bernhard mit Festigkeit. »Auch bin ich mit dem, was Offiziere und Soldaten begehren, zur Zeit wenig bekannt. Doch hoffe ich, des hohen Vertrauens nicht unwert zu sein, wenn ich behaupte, gerade durch die ärgerlichen Händel mit dem Franzosen ist eine günstige Gelegenheit geboten, wo Eure Exzellenz als Führer der deutschen Völker zum hohen eigenen Ruhm und zum Vorteil der Krone Schweden den Frieden befördern könnten, auf eigene Hand und als höchster Befehlshaber. Denn jetzt ist die Zeit gekommen, unsere Regimenter von hier ab in das Kaiserliche zu führen.«

Der General lächelte. »Ist‘s Eure Weisheit oder ist es der Witz des Lagers, den Ihr mir zutragen wollt?«

»Nicht ich allein unterhalte mich mit solchen Gedanken. Liegt Euch daran, die geheime Meinung der Soldaten zu erkunden, so ist Leutnant Stange, ein alter Reiter, der bei den Weimarischen in hohem Ansehen steht, hier in der Nähe.«

Ein schwedischer Offizier trat ein. »Was bringst du?« rief Königsmark unwillig über die Unterbrechung.

»Aus den Quartieren des Feldmarschalls Wrangel kam die Nachricht, daß Oberstleutnant Hempel, der vormals Befehlshaber der Weimarischen war, gestern morgen tot vor seiner Behausung gefunden worden sei.«

Der General sah von der Seite nach Bernhard und erkannte die tiefe Bewegung. »Er ist im Duell erstochen?« fragte er, »das war zu besorgen, denn er hatte viele Feinde.«

»Unter den Soldaten läuft das Gerücht,« fuhr der Offizier fort, »daß an seinem Leibe keine Kartellwunde gefunden sei, sondern ein Messerstich. Die Leute klagen über Ermordung, weil der Tote in aller Stille sofort begraben worden.«

»Es tut mir leid um ihn«, bedauerte Königsmark. »Er war in diffiziler Stellung, doch hörte ich, daß er sich dem Feldmarschall als brauchbar empfohlen hat. Euch war er gut bekannt?« fragte er, zu Bernhard gewendet.

»Er war mein Freund«, versetzte dieser mit zuckendem Munde.

»Das Leben des Soldaten hängt an einem Haar«, tröstete der General. »Der Tod sucht ihn mit jeder Art von Waffen. Rufe den Leutnant Stange!« gebot er dem Offizier.

Es war ein unheimliches Schweigen im Zimmer, bis Gottlieb hereintrat, das Angesicht noch finsterer zusammengezogen als gewöhnlich.

»Ihr seid einer von den Alten des Herzogs Bernhard?« fragte ihn der Feldherr.

»Jetzt Leutnant bei Penz, vierte Kompanie,« antwortete Gottlieb feierlich, »früher bei Alt-Rosen, erste; unter König Gustav Adolf Kanonier bei Lützen.«

»Ein guter Anfang, Alter,« lobte der Graf, mit Wohlgefallen den Veteranen betrachtend, »damals wieset Ihr dem Pappenheim die Wege, neulich sah ich Euch den anderen voran in die Kaiserlichen einhauen.«

»Jeder nach Kräften«, antwortete Gottlieb. »Eure Exzellenz hielten auch nicht hinten, als dieselben das sahen.«

Der General nickte ihm zu: »Eure Kameraden sind schwierig. Mir liegt am Herzen, ihre Unzufriedenheit zu dämpfen, denn der Groll, der durch einen Zufall in die Gemüter kommt, frißt weiter und treibt eine Forderung nach der anderen hervor. Ihr kennt die Gesinnung der Soldaten, was begehren sie?«

»Rache,« antwortete Gottlieb nachdrücklich, »Rache an dem Franzosen oder an wem es sonst sei! Feldmarschall Graf Turenne wird klug handeln, wenn er es vermeidet, bei einer Gasterei oder auch beim Scharmützel unseren Leuten in Schußweite zu kommen, ihre Karabiner könnten von selbst losgehen.«

»Euch an einem Verbündeten zu rächen, ist nicht meines Amtes«, sagte der General mit finsterer Miene. »Was kann ich selbst tun, um meine tapfern Reiter zu kontentieren?«

Gottlieb räusperte sich: »Links schwenken und vorwärts ins Kaiserliche! Denn des Römischen Kaisers Majestät ist, mit Respekt zu sagen, kriegslustig in der Fremde, aber furchtsam in seinem Hause. Jetzt hat er sich ein großes Herz gefaßt und seine Armada dem Bayern ins Land geschickt. Wenn wir unterdes links ab nach Böhmen traben, während Feldmarschall Wrangel und der Franzose hier Herausforderung blasen, so würden unsere Völker den Wunsch erreichen, von dessen Erfüllung sie bei Tage diskurieren und in der Nacht träumen.«

»Kommt Ihr alter Haudegen auch mit dem Frieden?« sagte Königsmark achselzuckend.

»Nicht sowohl Friede, Eure Exzellenz, als vielmehr Beute,« antwortete Gottlieb, »die größte Beute der Welt, Millionen von Gold, Edelsteinen und Prachtgerät, wie es noch schwerlich irgendwo auf einem Haufen zu finden ist! Darnach steht unserem Volke das Herz. Denn wir haben durch böhmische Überläufer von der Hussitenart gute Kunde, daß nach Prag die Schätze aus allen Landen des Kaisers zusammengeflüchtet sind; auch sitzen dort Hunderte der vornehmsten Edelleute mit Weib und Kind, von denen jeder über tausend Dukaten Ranzion zahlen würde. Das alles ist für den zu greifen, der die Hand darnach ausstreckt, denn die Kaiserlichen sind sorglos im Dienst, und die Böhmen erzählen, daß man leicht in die Festung Prag hineinpassieren könnte, weil die Pfaffen vorgeben, daß die Heiligen selbst davor Wache halten. Darum begehren unsere Reiter zuerst, den kaiserlichen Adler kahl zu rupfen; dann wäre ihnen der Friede recht.«