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Die Ahnen

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So schrecklich war für zwei Seelen der Sturz aus hoher Freude zum Elend, daß die Verlobten fassungslos standen. Der erschrockene Magister zog die Tochter an sich und hielt die Unglückliche umschlungen. Der Doktor aber sah unzufrieden auf das Entsetzen der Geschiedenen, denn ihn erfreute zumeist ihre gute Aussicht für jenes Leben, sie aber fühlten stärker das Elend der irdischen Trennung. Doch sprach er schonend zu Georg, welcher mit gefurchter Stirn und geschlossener Faust vor ihm stand: »Da Ihr im höchsten Vertrauen zu mir gekommen seid und mich wider meinen Willen zum Meister Eures Geschickes machen wolltet, so vernehmt den besten Rat, den ich Euch geben kann: Eilt von hier zu den Füßen Eures Vaters, und fleht inständig, daß er Euch den Segen nicht länger vorenthalte. Denn Liebe der Eltern flackert nicht umher wie Liebe junger Herzen, sie sitzt tief und bleibt beständig, und wenn sie auch einmal in den Winkel gestampft wird, so bricht sie immer wieder hervor.«

»Ich habe zu den Füßen meines Vaters gefleht, ehrwürdiger Herr,« antwortete Georg, »und er hat seine Einwilligung verweigert. Da habe ich ihm bekannt, daß ich mit dem Vater meines Weibes vereinbart habe, uns unter Euren Richterspruch zu stellen. Er aber hat gefordert, selbst ein Zeuge Eures Ausspruches zu sein, um sein Recht als Vater gegen Euch zu behaupten, wenn Ihr ihm die Herrschaft über seinen Sohn absprechen wolltet. Und ich gab ihm zur Antwort, wenn er mich begleite, so sei auch ich durch mein Gewissen gedrungen, mein Recht unter Euren Augen gegen ihn selbst zu vertreten. Darüber vertrugen wir uns. Und ich bitte, gestattet mir, daß ich ihn vor Euch führe, denn ich erkenne, daß die schwerste Stunde meines Lebens gekommen ist.« Er wies auf den Wallfahrer, welcher herantrat: »Dies ist mein Vater.«

Die Gestalt des Doktors hob sich gebietend: »Ihr tatet klug, Euch in dem Schatten zu bergen, Herr. Hättet Ihr mir sofort Euren Namen genannt, so würde ich auch Euch gesagt haben, was Euch unlieb zu hören ist.«

»Dennoch zürnt nicht,« begann Marcus mit gleichem Stolze, »daß ich ein Zeuge Eures Urteils war; denn, was ich niemals für möglich gehalten, habt Ihr bewirkt: ich bin Euch dankbar geworden für Eure Rede.«

»Vermögt Ihr nach allem, was Ihr hier gesehen und gehört habt, Eure Einwilligung noch ferner zu versagen?«

»Ich versage sie«, antwortete Marcus.

»Dann habe ich mit Euch nichts mehr zu schaffen«, sagte Martinus. »Ich sehe wohl, Ihr seid einer von den Hochmütigen, welche sich in der Stille ihrer guten Werke berühmen und den Willen unseres Herrgotts zu meistern hoffen, weil sie fasten, opfern und zu den Altären der Heiligen fahren. Ich aber sage Euch, Ihr werbt um die Gunst Eurer Heiligen so, wie ein schlechter Verwalter durch Bestechung um die Gunst der Hofleute wirbt, damit sie ihm bei ihrem Gebieter zu weltlichem Vorteil helfen. Eure kalte Frömmigkeit ist eigennützig und gottlos, sie macht Euren Sinn nicht demütig, sondern stolz und hart. Und Ihr und Euresgleichen, die dem Herrn nur dienen wollen, damit er Euch wieder dienstbar sei, Ihr sollt erfahren, daß Euer Hoffen eitel und Euer Wille ohnmächtig sind, gerade dann, wenn Ihr am stolzesten auf Euer Recht vertraut.«

Marcus zuckte unter diesen Worten, aber er legte seinem Sohn die Hand auf und gebot: »Komm.«

Da sprang Georg zu seinem Kinde, riß es an sich und rief: »Fordert Ihr Euer Recht an mir, so bin auch ich Vater und fordere mein Anrecht an meinem Sohn. Diesen hat mir der Herr durch seine Mutter zugeteilt für mein Leben, und er hat auf mein Gewissen gelegt, daß ich dem Kinde und seiner Mutter ihre Tage behüte als Wirt und Herr.«

»Sprich nicht weiter, Georg,« rief Marcus heftig, »denn wie du den Knaben hältst, so hielt ich dich in meinen Armen.«

Doch Georg warf sich, den Knaben festhaltend, auf die Knie. »Im Angesicht des Himmels klage ich mein bitteres Leid. Zwingt mich dein harter Wille, Vater, zu wählen zwischen deiner Liebe und der Treue gegen Weib und Kind, so muß ich deine Liebe missen, damit ich die Liebe meines Kindes verdiene.«

Marcus hob drohend den Arm: »Wahre dich, daß nicht der Fluch des Vaters dein Haus niederreiße.«

Da ermahnte der Doktor: »Ich höre zwei, welche allzuhart auf ihrem Recht bestehen. Euer Recht, Kniender, ist nach dem Evangelium das bessere, nach Brauch und Ordnung dieser Welt ist es das schwächere. Stürmt in Eurer Seele eine hohe Pflicht gegen die andere, so hütet Euch, daß Ihr nicht allzuschnell die eine verachtet, um die andere zu erfüllen. Denn was dem Menschen unversöhnlich scheint, weiß einer, der die Herzen lenkt, in Liebe zu vergleichen über alles Hoffen. Darum sage ich Euch zum zweiten Male, weichet um Eurer Geliebten willen nicht von Eurem alten Vater, wie hart er auch gegen Euch poche. Wisset, ich selbst habe erfahren in langem Herzeleid, wie es schmerzt, mit seinem Vater in Unfrieden zu leben, und ich habe ihn nicht um irdischer Liebe willen verlassen, sondern um meines Gottes willen, weil ich damals wahrhaftig nicht anders konnte. Aber den rechten Frohsinn habe ich in meinem Herzen erst gefühlt, seit ich aus der Möncherei erlöst wurde und mein alter Vater mich wieder freundlich anlachte. Seid Ihr ein solcher Gesell, wie Ihr mir heut erschienen seid, so fühlt Ihr in stillem Herzen denselben Stein, der mich im Kloster drückte. Sprecht aber nicht etwa: Herr, mein Gott, ich will zu meinem irdischen Vater gehen und ihn bitten, und wenn er meinen Wunsch nicht erfüllt, so tue ich dies und das. Solcher Vorsatz ist eitle Vermessenheit, er nimmt Eurem Flehen die Kraft und hindert Euch, den Willen Eures himmlischen Vaters zu erkennen; sondern geht und sprecht so: Ich will als ein guter Sohn gegen meinen irdischen Vater handeln. Und wenn dann Euer Herr Vater Euch ferner widersteht, so wendet Euch wieder zu Eurem Gott und sorget unablässig, daß Ihr mit diesem in Frieden bleibt und seinen rechten Willen erkennt. Dann wird auch er Euch zur Zeit eingeben, was für Euch das Rechte sein wird; und ich hoffe, lieber Junker, er wird‘s mit Euch wohlmachen.«

Georg hielt schweigend den Sohn an seinem Herzen. Martinus nahm ihm den Knaben aus der Hand und stellte ihn vor den Großvater: »Bitte du, Kleiner, denn unsere Stimme dringt nicht an sein Ohr.«

Doch Romulus, welcher wußte, daß die armen Pilger seine Mutter um Almosen baten, sah zu dem Doktor auf und antwortete: »Er muß bitten.«

»Wahrlich,« rief Martinus, »du hast in deiner Einfalt das Richtige gesagt. Dennoch flehe, denn du stehst vor dem Ahn deines Geschlechts.« – Da streifte das Kind seinen Ärmel zurück und wies einen braunen Fleck auf der Haut, welchen die Mutter seinem Vater im Turme als ein Zeichen des Geschlechts gewiesen hatte, und es sprach: »Ich habe auch ein Mal.«

Als Marcus das Zeichen sah, welches er selbst auf dem Arm hatte, wollte die weiche Regung seiner Herr werden; doch wieder zog sich sein Antlitz zusammen und er rief seinen Sohn nochmals an: »Komm!« »Fahrt dahin in Eurem Hochmut«, gebot der Doktor in heiligem Zorn. »Seht zu, was Euch von dem Sohne bleibt, wenn Ihr seinen getreuen Willen zerbrecht. Für diese hier zu leben hat er gelobt, was Ihr aber aus ihm machen wollt, ist ein ehrloser, eidbrüchiger Mann.«

Wie ein Blitzstrahl schlug das strenge Wort in das verdüsterte Gemüt des Vaters. Langsam trat er auf Anna zu, faßte die Schaudernde bei der Hand und führte sie zu Georg. »Nehmt ihn von mir, junge Frau, er war mein einziger Sohn.«

Anna sank neben dem Geliebten auf die Knie, und Marcus begann mit hartem Stolze zum Doktor: »Ihr wart bereit, zu segnen, Herr. Helft, daß er seinen Eid gegen diese halte, der Vater ist nicht dawider.«

Da sprach Martinus Luther feierlich den Segen über die knienden Gatten. Als die Vermählten sich erhoben, ergriff Marcus den Stab: »Lebe wohl, mein Sohn.«

»Vater«, schrie Georg.

»Während du im Kerkerturme lagst, dem Tode verfallen, gelobte ich den Heiligen, damit sie dich bewahrten, die Betfahrt nach Compostella. Zwingt dich dein Eid, für deinen Sohn zu leben, auch ich halte den Eid, den ich für meinen Sohn getan.« Er winkte mit der Hand und wandte sich zur Klostertür.

Wie Romulus sah, daß der Wallbruder unzufrieden und ohne Gabe entweichen sollte, tat ihm der Alte leid, er lief ihm nach und sagte: »Da hast du meine Gerte.«

Marcus fuhr zurück, wie vor einem unsichtbaren Schrecken, und rief: »Der Tote sah den Enkel des Alten, und seine letzten Worte haben ihn verkündigt.« Und den Knaben aufhebend, trug er ihn zu der Mutter: »Nehmt meinen Enkel, liebe Tochter, mit meinem Segen.« Er rührte ihr mit der Hand das Haupt, dann schritt er aus der Pforte.

Georg wollte dem Vater nacheilen, der Doktor hielt ihn zurück: »Was unsere Mahnung nicht vermochte, hat der Herr durch die Einfalt des Kindes getan. Widersteht ihm nicht, wenn er auch im Irrtum dahinwandelt. Ich kenne diese trotzige Art; in seiner Seele kämpft ein starker Engel mit dem Teufel. Ihr dürft hoffen, daß er Euch wiederkehrt.« Er wandte sich zu dem Magister. »Ihr habt einst vor dem Scheiterhaufen der Mönche für den Luther Zeugnis abgelegt, heut dankt er Euch dafür, Herr Magister.«

»Wieder Fabricius«, antwortete unter Freudentränen der Gelehrte.

Da trat Wuz herzu, entblößte sein Haupt, strich das spärliche Kopfhaar mit der Hand zurecht, und sein runzliges Gesicht rötete sich. »Dies ist die Gelegenheit, welche wir lange gesucht haben, ehrwürdiger Vater, denn wir erkennen, daß Ihr als ein Feldhauptmann vor uns steht im Streite gegen den Teufel.«

»Ängstigt Euch der alte Bösewicht?« fragte Martinus, die narbigen Gesichter musternd.

»Wir Landsknechte haben eine Verheißung wegen der Hölle, und wir möchten wohl wissen, ob wir darauf bauen dürfen.«

»Nein«, versetzte der Doktor.

»Derselben Meinung war zu ihrer Zeit die junge Frau Anna«, fuhr Wuz unsicher fort. »Auch würde uns das wenig frommen wegen alter Abneigung des heiligen Petrus. Nun ist uns von der erwähnten Fähnrichin verlesen worden und auch anderweitig zu Ohren gekommen Eure Lehre von den zehn Geboten, welche man gewissermaßen als Christ beachten soll.«

 

»Es sind nicht meine Gebote,« unterbrach ihn der Doktor, »sondern die Gebote deines himmlischen Vaters.«

Wuz verneigte sich aufs neue demütig: »Es wird uns gesagt, daß sie notwendig sind für unserer Seele Seligkeit, jedoch meinen wir aus vielen Gründen, daß sie nicht für uns Knechte gegeben sind. Denn, hochwürdiger Herr, sie sind uns bei weitem zu schwer und ganz unmöglich zu beachten. Darum kommen wir, um Euch flehentlich zu bitten, ob wir nicht mit einem Teil, etwa mit der Hälfte, genug hätten, weil wir keine hohe Würde im Himmel begehren, nur daß wir dort einen ehrlichen Ruhesitz finden.«

»Hinweg, du Narr,« versetzte Martinus, »meinst du, daß der große Gott mit zweierlei Maß mißt? Dasselbe Gesetz ist gegeben für den König wie für den Landsknecht.«

Wuz sah sehr bekümmert aus, als er erwiderte: »Aber, lieber Herr Doktor, übt Nachsicht mit uns, denn die zehn sind mit dem Amt eines Landsknechts unverträglich.«

»Ich weiß, daß ihr Spieler seid, Flucher, Räuber, voll von Unzucht, und daß euch der Teufel beim Kragen hat, ohne daß ihr ihn merkt.«

Wuz bestätigte durch Kopfnicken jede Eigenschaft, die ihm der Doktor zuteilte. »Alles ist, wie Ihr sagt, jedoch wie sollen wir anders sein, denn wir bestehen ohne Geld, nur durch Gewalttat, und leben in einem Notstande.«

»Wenn eure Herren auch zur Sünde verlocken, so werden sie dafür büßen wie ihr, euch aber vermag das nicht zu entschuldigen.«

Wuz drehte ängstlich seinen Hut: »Nichts für ungut, ehrwürdiger Herr, wir möchten aber doch auch selig werden.«

Als der Doktor die Angst des Mannes sah, trat er ihm näher. »Ihr habt allerlei Zauberei und geschriebenen Segen, auf den ihr euch gern verlaßt, wenn ihr ins Treffen geht.« Das gab der zerknirschte Wuz zu. »Wohlan, ich will euch einen besseren Segen lehren, der euch vielleicht helfen mag, wenn ihr ihn fleißig gebraucht. Kennt ihr das Vaterunser?« Das kannte Wuz ganz gut. »Aber die Worte allein tun‘s nicht,« belehrte der Doktor, »sie wirken nur dann, wenn ihr sie in der Weise gebraucht, welche ich euch jetzt lehren will. Bevor ihr sie sprecht, hebt die Augen zum Himmel und denket daran, daß auch euch armen Schelmen ein Vater im Himmel lebt, der euch liebhat und für euch sorgt, und der euch gar zu gern gnädig sein möchte, wenn ihr nur nicht so arge Unfläter wäret. Denkt an den Vater mit herzlichem Vertrauen, dann faltet die Hände, wie ich jetzt tue, und sprecht leise, was ich euch vorsage.« Er sagte ihnen langsam und mit heißer Andacht die Bitten vor, und die Landsknechte murmelten sie nach. »Diesen Segen«, fuhr er fort, »gebe ich euch auf den Weg, sprecht ihn jeden Abend und jeden Morgen und wenn ihr sonst einmal mit guten Gedanken allein seid, und ich sage euch, er wird euch aus eurem Elend helfen; denn es liegt eine wunderbare Kraft in ihm, er weckt das Gewissen und widersteht der Hölle.«

Wuz sah fröhlich aus, aber noch stand er zögernd, griff in seine Tasche, zog die Ohren eines schwarzen Lederbeutels und zählte drei Goldstücke in seine Hand. »Jeder von uns hat eins geopfert für die arme Seele des starken Hans, welcher unser Hauptmann war, bis eine Hellebarde seinen Schädel traf. Dies möchten wir gern anwenden, um unserem guten Gesellen noch etwas Günstiges zu erweisen für den Einmarsch bei Sankt Peter, und wir flehen, ob Ihr uns auch dazu helfen könnt.«

»Hinweg, ihr Leute,« gebot der Doktor, »ihr seid hier nicht im Papsttum; euer Hauptmann hat seinen Richter gefunden. – Möge der Herr euch allen gnädig sein.« Er grüßte und trat in das Haus zurück.

14. Schluß

Im Jahre 1530 wurde zu Augsburg auf dem Reichstage über die Geltung der neuen Lehre verhandelt. Der gebannte und geächtete Mönch aus Wittenberg war zu einer Macht geworden, mit welcher Kaiser und Reich sich vertragen mußten. Er selbst war südwärts gezogen bis zur letzten Burg seines Kurfürsten. Während er als geehrter Gast in der Feste Koburg wohnte, ritten seine Boten nach Augsburg und wieder zurück.

Auf dem Vorsprung eines hohen Hügels erhob sich die stolze Burg mit ihren Türmen, durch einen doppelten Mauerring gepanzert; am Saum der Höhe breiteten sich Obstgärten, zur Seite lag die alte Stadt Koburg, weiter unten das Tal des Itzbaches in leuchtendem Grün, gegenüber ragten schön geschwungene Höhen, mit Laubwald bedeckt, und in der Ferne die blauen Hügel des Mains mit alten Grenzburgen und Klöstern. An einem Tor der Feste stand ein Führer der kurfürstlichen Trabanten, breitbeinig hielt er seine Partisane im Arm, so daß man an der Haltung einen früheren Landsknecht erkannte, und streckte die beiden Hände grüßend den Fremden entgegen, welche von ihm Einlaß begehrten. Der eine war ein hochgewachsener Mann in voller Kraft, wie ein ansehnlicher Kaufmann gekleidet, er hatte den Handschuh der Rechten geschlossen und bot dem Trabanten die Linke. Neben ihm stand ein blühendes Weib, welches einen achtjährigen Knaben an der Hand führte; auf dem Torsitz aber ruhte mit gekrümmtem Rücken ein Greis, dem ein kleiner Herr als Begleiter und Stütze diente, und der Kleine hob dem Sitzenden den Stock auf, welcher diesem entfallen war, und klopfte ihm mit freundlicher Zurede auf die Schulter. Der jüngere Fremde bat: »Wir sind vom Main heraufgereist, um in schwerer Sache den Herrn Doktor zu sprechen. Helft dazu, lieber Wuz, daß es uns gelinge.«

»Alles soll gelingen, was Ihr und die Fähnrichin beginnt«, rief Wuz vergnügt. »Ich denke, unserm ehrwürdigen Vater wird es recht sein, daß ihr kommt. Wisset, er hat mich bereits euretwegen angeredet und mir erzählt, daß ihr zu Frankfurt durch Handelschaft fröhlich gedeiht. Zu ihm selbst dürfen wir nicht dringen, aber er hat zwei bescheidene Knaben als Begleiter, diesen müßt ihr euch vertrauen. Der dort auf dem Söller steht und jetzt die Treppe herabkommt, ist einer von ihnen.«

Georg ging dem Jüngling entgegen und nannte Namen und Begehr. Zögernd erwiderte dieser: »Der Herr Oheim hat geboten, in diesen Tagen Fremde von ihm abzuhalten, weil er mit großer Arbeit allzusehr beschwert ist. Doch da ihr aus der Ferne zugereist seid und seine Hilfe nottut, so harret im Hofe. Gegenüber seiner Arbeitsstube ist an der Mauer ein Sitz, wenn er aus dem Fenster sieht, wie er oft tut, und euch wahrnimmt, so beschließt er vielleicht selbst, euch zu sprechen.« Der Jüngling geleitete zur Seite des stattlichen Hofgebäudes, dort führten breite Stufen die Mauer hinauf, oben war ein Ausbau mit einer Bank, von der man über die Zinne in den nahen Bergwald und das lachende Tal sah.

Georg führte den Alten mit zärtlicher Sorgfalt zu der Bank, er und die übrigen setzten sich auf die Stufen vor seine Füße. Um den hohen Schloßturm lärmten die Dohlen, in dem niedrigen Gebüsch, welches draußen am Fuße der Mauer aufgeschossen war, zirpten furchtsam die kleinen Vögel. Die Fremden saßen in andächtigem Schweigen, nur von der untersten Stufe, wo Romulus die Hand des Magisters hielt, vernahm man leise die Lehre: »Fringilla, im Latein Femininum, obwohl der Fink ein kecker und tapferer Vogel ist.«

Da klirrte oben ein Fenster, man sah die Gestalt des Doktors und vernahm feierliche Laute einer Stimme. Die Gesellschaft unten senkte andächtig die Häupter, als aber die Stimme verhallte, rief der Greis auf der Bank nach der Höhe: »Seid Ihr der Rat und Helfer beschwerter Gewissen, so neigt Euch zu mir und helfet zum Frieden.«

Der Doktor trat an das Fenster. »Ich komme«, rief er herab. Georg eilte ihm entgegen. »Euch alle erkenne ich,« sprach der Doktor gütig, »wer aber ist der Alte, der mich rief?«

»Mein Vater, ehrwürdiger Herr.«

»Ich erinnere mich. Welche Hilfe begehrt er von mir?«

»Er ist jahrelang als Waller umhergezogen, von Compostella nach Rom, dann kam er zu uns zurück mit gebeugtem Mut; seitdem las er in Euren Büchern, ehrwürdiger Herr, und niemand kann eifriger sein, als er geworden ist. Aber er glaubt sich ausgeschieden von der Christenheit, weil er an dem heiligen Abendmahle nicht teilnehmen darf.«

»Was hindert ihn?« fragte der Doktor.

»Er will die Bedingung nicht erfüllen, welche uns Christen gesetzt und durch Eure Lehre geschärft ist, er kann sich nicht überwinden, einem Feinde zu vergeben. Darum hält er sich fern von Kirche und Gemeinde, und wir alle leben in Angst um seiner Seele Seligkeit. Er hat mit sich gerungen, daß es für den Sohn jammervoll anzuhören war; aber immer wieder brennt ihm der Zorn auf, und die Rachegedanken werden übermächtig, so daß er selbst an seinem Heile verzweifelt.«

»Ich gehe zu ihm«, sagte der Doktor. Er trat mit schnellem Schritt unter die Gesellschaft, grüßte durch eine Handbewegung, winkte, daß sie beiseite trat und stieg zu dem Alten hinauf. »Ihr riefet den Luther, hier steht er.«

Der Alte, dessen Kraft durch den Bergweg erschöpft war, versuchte sich zu erheben, der Doktor hinderte ihn. »Bleibt sitzen, Herr; durch Euren Sohn habe ich von Eurer Bedrängnis vernommen. Wer ist der Mann, den Ihr so haßt, daß Ihr seinetwegen die Versöhnung mit unserm himmlischen Vater nicht findet?«

»Albrecht, Herzog zu Preußen«, antwortete heftig der Alte.

»Wie?« rief der Doktor, »er ist unter seinesgleichen der Schlechteste nicht. Hat er Euch an Gut, Leib oder Ehre geschädigt?«

»Er und ich haben uns zu gemeinsamem Werke verlobt, und er hat sein Gelöbnis, nachdem er mich lange getäuscht, nicht gehalten.«

»Ihr seid Kaufmann; ging Euer Bündnis auf Geld und Gut?«

»Es ging auf die Befreiung des Preußenlandes von polnischer Herrschaft, der Kaufmann gab sein Geld, der Hochmeister setzte die rechte Hand zum Pfande, daß er niemals der Krone Polen huldigen werde. Mein Sohn hat in seinem Dienst die Schwurhand verloren, er aber trägt die seine heil am Arm und lebt als Vasall des polnischen Königs.«

»Hat er Euch Euer Geld zurückgezahlt?«

»Er hat kaum den Anfang dazu gemacht.«

»Das war zu fürchten«, sagte der Doktor. »Hat er während Eurer Genossenschaft selbst und allein mit Euch verhandelt?«

»Zuerst er allein, als ihm der Vertrag lästig wurde, durch seinen Vertrauten.«

»Das denke ich mir wohl. Die Zwischenträger verderben einen üblen Handel vollends. Und was trieb Euch, den Bürger von Thorn, zu solch hohem Vertrage?«

»Meine Ahnen waren unter den ersten, welche das Kreuz in das preußische Heidenland trugen, und das Haupt meines Vaters fiel auf dem Blutgerüst, weil er gegen die Polen treu zum Orden hielt.«

»So werden die Taten der Väter das Unglück der Söhne«, seufzte der Doktor. »Wenn der Herzog Euch gelobt hat, etwas zu tun, was er nach dem Willen Gottes nicht durchsetzen konnte, so war das Gelübde ein Unrecht, nicht die Vereitlung; und der Zorn über den vorschnellen Eid steht dem Herrn zu, nicht Euch. Mein Amt ist nicht, weltklug zu sein, doch muß ich Euch sagen, daß gerade Euer heißer Wunsch für das deutsche Wesen Eurem Haß gegen den Herzog unrecht gibt. Ihr wolltet Eure Heimat unter deutscher Herrschaft sehen, und deshalb wolltet Ihr, daß der Herzog lieber untergehen sollte, als dem Polen huldigen. War‘s nicht so?«

»So war es, Herr.«

»Nun gebt acht. Gesetzt, der Herzog wäre seinem Versprechen, das er Euch töricht gegeben, so treu nachgekommen, wie Ihr fordert, was hätten wir erlebt? Wäre er Hochmeister und Knecht des Papstes geblieben, so hätten ihn seine eigenen Untertanen verachtet und ausgestoßen, denn wir wissen wohl, daß der ganze Orden zerfiel wie morsches Gestein. Und hätte er bis zum Tode widerstehen wollen, so wäre ihm nichts übriggeblieben, als sich auf der Heide von polnischen Säbeln niederhauen zu lassen. Dann war er tot und seines Gelübdes quitt. Doch was wurde aus dem Ordensland, wenn der letzte Herr wie ein Katzbalger erschlagen war? Es wäre den Polen gänzlich anheimgefallen, kein Hahn hätte darum gekräht; und was Ihr hartnäckig begehret, das wurde nach menschlichem Erkennen für alle Zeit vereitelt. Aber gerade, weil der Herzog erkannte, daß sein Versprechen gegen Euch eine sündige Vermessenheit war, und weil er sich beim Leben und bei der Regierung erhielt, bewahrte er seinem Lande ein deutsches Regiment. Und daß er den geistlichen Stand aufgab und ein weltlicher Herr wurde, verschaffte dem Lande die Hoffnung auf fürstliche Nachkommenschaft und auf ein Herrengeschlecht, welches sich dort behaupten und Euer deutsches Wesen, wie Ihr wollt, für künftige Zeiten bewahren kann. Ihr seht also, das Versprechen, welches Ihr von ihm erhieltet, war nicht nur ein Unrecht vor dem Herrn, die Erfüllung wäre auch nachteilig für das, was Ihr selbst begehrt.«

»Meine Vaterstadt aber und das Weichselland überließ er dem Verderben«, antwortete Marcus finster. »Ihr sprecht als Anwalt eines Unbeständigen, und Ihr selbst, hochwürdiger Herr, habt die Deutschen gelehrt, daß ein Mann, der in guter Sache fest auf seinem Worte steht, über Tod und Teufel triumphiert und ein ganzes Volk zwingt, nach seinem Willen zu tun. Gerade damals, wie ich mit dem Herzog handelte und Euch als einem Ketzer abgeneigt war, habe ich an Eurer Tapferkeit gelernt, was ein Starker auf dieser Erde in dem Gemüt der Menschen zu ändern vermag.«

 

»Ich bin ein Diener des Herrn in geistlichen Dingen, und wer mit seinem Gott in Frieden lebt, kann die ganze Welt verachten und darf frohlocken, wenn die Feinde seinen Leib töten, damit er aus dieser sündigen Welt zu seinem lieben Vater gehe. Weit anders steht es in weltlichen Händeln, wo Tausende in Eigennutz und Herrschsucht gegeneinander streiten. Wer sich hier behaupten will, der muß auch seinen Gegnern etwas nachgeben. Und merket wohl, in weltlichen Dingen ist der Klügste vor unserm Herrgott ein armer Tropf. Seid Ihr ein Landwirt gewesen?«

»Auf dem Landgut, das ich besaß, stand die Eiche, um welche die Deutschen an der Weichsel ihre erste Burg schlugen; die Eiche fiel zu Boden, als der Hochmeister mir die Treue brach.«

»Wohl, mein guter Freund, die Eiche ist gestürzt, und Gottes Sonne scheint noch heut wie damals über die Flur. Wir nennen die Eiche einen dauerhaften Baum, der viele hundert Jahre auf Erden steht, aber viele hundert Jahre sind vor dem Herrn wie ein Tag, die Geschlechter der Menschen, welche aufeinanderfolgen, sind vor ihm wie Halme eines Sommers und die Erde gleich einem Landgut; und wie ein Wirt Weizen und Hafer, so säet er Deutsche und Polen nacheinander auf denselben Grund, gerade die Frucht, welche er für die himmlische Wirtschaft bedarf. Was wollt Ihr, der Ihr nur ein Halm der Erde seid, im voraus bestimmen, welche Frucht der Herr jetzt und künftig an der Weichsel säen soll?«

»Kein ehrlicher Mann vermag in den Tag hineinzuleben, ohne gute Vertröstung auch für seine irdische Zukunft,« antwortete der Alte, »und jeder Deutsche muß Angst um seine Angehörigen fühlen, wenn er zusieht, wie die Feinde seines Geschlechtes und seines Volkes die Herrschaft gewinnen. Könnt Ihr einem Manne raten, ehrwürdiger Herr, daß er ohne Widerstand gegen Feinde das Gericht Gottes und den jüngsten Tag erwarten soll?«

»Er soll bescheiden seinem Gott vertrauen«, antwortete der Doktor. »Ich bin ein deutscher Mann wie Ihr, und Gott weiß, daß ich meinem Volk das Beste gönne, aber ich sage Euch, vor dem allmächtigen Gott steht die Frage nicht so, wie Ihr sie gestellt habt, ob Deutscher oder Pole, sondern sie steht so, ob echter Glaube oder teuflische Verblendung. Wenn die Polen Gottes Wort annehmen und treu bewahren, wie sie ja auch guten Willen haben, so werden sie und ihre Herrschaft fröhlich gedeihen, und Euren Landsleuten wird es frommen, in Eintracht mit ihnen zu leben. Wenn sie aber beharren in ihrem alten Wust und Unrat, so werden sie darin umkommen und hier und dort ihren Lohn erhalten. Sind die Deutschen besser in Glauben und Gewissen, so mögt Ihr vertrauen, daß sie auch tüchtiger auf der Erde sein werden und dem Herrn liebere Kinder Evä als die Polacken, wenn diese ungewaschen und strotzig bleiben.«

»Ich höre die Verkündigung, ehrwürdiger Vater, aber sie tröstet mich nicht. Dem Hochmeister gab der Herr des Himmels den Beruf, im Preußenlande unsere Herrschaft wiederherzustellen, und seine Treulosigkeit ist schuld, wenn meine Landsleute durch Schmeichelei, List und Gewalt der Fremden umgarnt werden. Um eitler Ehre willen hat er mein Vertrauen getäuscht und mich verraten, und darum vermag ich dem Grimm und der Rachsucht nicht zu widerstehen. Jeden Tag steigen die bösen Geister in mir auf, und wie ich auch im Gebet gegen sie ringe, sie bleiben übermächtig.«

»Herr mein Gott,« rief der Doktor, »hier ist ein Greis, der wenig mehr auf Erden hat, was ihn von dem Gedanken an dich abziehen kann, und doch hält er fest an seiner Rache! Erbarme dich seines Gemütes und senke in die Bitterkeit seines Herzens einen Tropfen deiner himmlischen Gnade. Ich denke,« fuhr er fort, »Euch dem bösen Feind nicht zu überlassen, der jetzt die Krallen nach Eurer Seele ausstreckt; manchesmal habe ich mit dem Grobian gerungen und bin sein Meister geblieben. Auch Euch will ich stärker bedräuen, damit Ihr auf mich achtet. Ihr wollt einem nicht vergeben, den Ihr Euch selbst in gehässigen Gedanken zu Eurem Feinde gemacht habt, und Ihr vermögt von dem Recht nicht zu lassen, das Ihr, wie Ihr meint, an seiner Seele erworben habt. Wohl, tragt seinen Schuldschein vor Gottes Thron und beschuldigt ihn des Treubruchs gegen Euch. Seht zu, ob der Richter Euch nicht antworten wird: Bevor ich deinen Zorn entschuldige, will ich prüfen, ob du selbst niemals der Verzeihung anderer bedurft hast. Bist du immer treu gewesen gegen deine Mitbürger und deine Stadt, der du verpflichtet warst?«

»Nein«, rief Marcus mit starker Stimme. »Untreu war ich gegen die Obrigkeit meiner Stadt, aber die Sünde nahm ich auf mich um seinetwillen. Gerade darum hasse ich ihn.«

»Und der Richter wird weiter fragen, du bist niemals ungerecht und untreu gewesen gegen dein eigenes Geschlecht, welches du in deinem Ehrgeiz durch den Hochmeister erhöhen wolltest?«

»Ja,« rief Marcus wieder, »hart und ungerecht war ich gegen meinen lieben Sohn, meine Pflicht als Vater habe ich gering geachtet, um den Eid zu halten, den ich dem andern geleistet. Gerade darum fühle ich den Grimm, daß er mich getäuscht, wie ein Werkzeug benutzt und preisgegeben hat.«

»Und zum dritten wird der Richter fragen: Hast du selbst niemals einen andern getäuscht und zur Täuschung verlockt, zu deinem Vorteil benützt und preisgegeben?«

Marcus zuckte empor und starrte mit verglasten Augen vor sich in die Luft: »Dort ward er gerichtet, es war mein vertrauter Knecht.«

Da winkte der Doktor die Angehörigen herzu und wies mit der Rechten nach der Höhe: »Darum spricht dein Richter in deiner letzten Stunde: Vergib, damit dir vergeben werde.« Er stand gebietend vor dem Alten: »Vergib! Dein Richter ladet dich vor seinen Thron.«

Die Augen des Scheidenden fuhren unsicher über den Sohn und über die Tochter, welche vor ihm knieten, und sie hafteten zuletzt auf dem Kinde, welches Georg mit tränenden Augen vor ihm festhielt. Plötzlich erhob er sich, griff mit beiden Händen nach dem Arm des Doktors und seufzte zurücksinkend: »Nehmt die Hand zur Versöhnung.«

Um den Toten glänzten Himmel und Erde in goldenem Abendlichte. Er hatte zornig die Heimat an der Weichsel verlassen, um in der Fremde zu sterben, und er schloß die Augen auf der alten Heimatstätte seines eigenen Geschlechtes. Aber nicht er und keiner seines Stammes kannte die Heimat.

Die Krähen und Dohlen flogen schreiend um die Türme der Burg, und im Gebüsch an der Mauer sangen furchtsam die kleinen Vögel. Da klang über den Lauten der Natur die feierliche Stimme des Mannes, in welchem sich die Kraft, die Größe und die Einfalt des deutschen Wesens vereinten, wie nie vorher in einem einzelnen Menschen. Auch an dem Geschlecht des Toten übte er sein hohes Amt, indem er die Trauernden ermahnte, jeden Tag und jede Stunde mit ihrem Gott zu leben, den er nach alter Überlieferung als gebietenden Herrn und liebenden Vater verstand. Spätere Enkel desselben Geschlechtes deuteten das Unermeßliche nach dem Maß ihres Erkennens und nach dem Bedürfnis ihres Herzens zugleich freier und bescheidener; aber alle späteren, wohin sie auch der himmlische Landwirt nach dem Bedarf seiner Wirtschaft säte, wurden Dank schuldig für ihre Freiheit und für ihre Frömmigkeit dem Doktor Martinus Luther.