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2. Am Hofe des Landgrafen

Der junge Landgraf Ludwig war ein Herr ganz nach dem Herzen seiner Zeitgenossen: scharf, hart, gewaltsam und eigennützig, wo es galt, seine Herrschaft zu vergrößern, redlich und gutherzig in seinem Hause, gegen die Getreuen und gegen das arme Volk. Sein verstorbener Vater, ein kraftloser Mann, hatte den fahrenden Sängern für ein Musterbild ritterlicher Tugenden gegolten; auch der junge Fürst machte in müßigen Stunden gern den modischen Ritterbrauch mit, dem sich kein großer Herr entziehen durfte, wenn ihm an seinem guten Rufe etwas lag; aber im Grunde dachte er lieber an die ausgestreckten Hände bezwungener Burgmannen, welche ihm den Treueid leisteten, als an die behenden Finger der Sänger, welche das Saitenspiel rührten. Alles war ihm bisher wohlgelungen und seine Gedanken flogen hoch. Gerade jetzt bereitete er einen Zug nach Welschland zum Kaiser Friedrich, seine Boten waren seit dem Winter hin- und hergeritten, und seine Hofleute erzählten sich, daß ein fremder Gast, die Gräfin Hedwig von Meran, eine Nichte des Kaisers, nicht allein deshalb an den Hof gekommen sei, um ihre Base, die Landgräfin, zu besuchen, sondern auch, um dem Landgrafen geheime Botschaft des Kaisers zu überbringen.

Doch heut war im Hofhalt nichts von den Sorgen um Herrschaft und Reich zu merken, der Landgraf war mit großem Gefolge von der Kreuzburg nach Gotha geritten, wo er vor der Stadt einen schönen Meierhof besaß, um dort nach alter Gewohnheit den Mai zu begrüßen.

Bei dem einsamen Hofe drängte sich ein zahlreiches Gefolge, geschmückte Frauen, edle Herren im Festkleid, Ritter im Kettenhemd und Troß der Diener. Die Rosse, welche in den Ställen nicht Unterkunft fanden, stampften in langer Reihe an den Pfählen eines Geheges; auf dem Küchenherde loderte das Feuer, und die Köche bereiteten Speisen, welche ein geduldiges Eselpaar im Rüstwagen herangeführt hatte. Rudolf, der Schenk, ließ die Fässer mit Wein und starkem Bier anzapfen und zählte den Knaben, welche bei der Tafel aufwarten sollten, die Silberbecher zu. Aus der kleinen Stadt Gotha liefen die Leute schaulustig herbei und stellten sich in ehrfurchtsvoller Entfernung auf. Sie wiesen einander die berühmten Mannen ihrer Herrschaft und die vornehmen Gäste, zumeist aber staunten sie über schwarzbraune Männer im Turban, mit blitzenden Augen und mit Krummschwertern, welche zum Gefolge der fremden Gräfin gehörten.

Unterdes führte der Landgraf die Frauen aus dem Hofe einige Schritte aufwärts, wo sie Hügel und Tal überschauen konnten, und erklärte ihnen vergnügt seinen Besitz, die alte Burg, welche einst die Mönche von Hersfeld erbaut hatten, und eine Stelle auf der Höhe, welche der Landgräfin gerade jetzt sehr am Herzen lag, weil sie dort als gutes Werk einen kleinen Hof für die armen Siechen zu bauen gedachte.

Plötzlich verdüsterte sich das freundliche Gesicht des Landgrafen, er berührte die Schulter eines alten Hofherrn und wies nach der Landstraße. »Seht, Herr Walter, dort naht der König Mai mit Helm und Schildrand wie zum Kampfe gerüstet.«

Walter von Vargula lächelte. »Es ist Herr Ivo mit seinen Hofgesellen, der bei meinem Herrn ein altes Recht, den Ehrentrunk, sucht.«

»Mir mißfällt ein Vorrecht, welches den Landesherrn daran mahnt, daß andere in seinem Lande sitzen, die sich ihm gleich dünken,« versetzte der Fürst. »Dennoch, was er zu fordern hat, soll ihm gewährt sein, aber nichts darüber.«

»Dann gestattet auch,« ersuchte Herr Walter wohlmeinend, »daß ich ihm Anruf und Gruß entgegensende, und daß ich unsere jungen Hofherren auf die Pferde mahne. Denn nicht umsonst wollen diese mit Helm und Schild hergeritten sein, und eine Kränkung wäre es für Euren Gast, wenn Ihr seinem Gesinde den ritterlichen Willkommen versagtet.«

»Denkt an uns Frauen, Vetter, und daß wir zuweilen gern das Brechen der Speere hören«, bat eine wohlklingende Stimme mit fremdländischer Betonung. Eine Frau in langem weißem Gewande, die nach dem Gebrauche des Südens Haupt und Hals mit dichtem Schleiertuch umwunden trug, trat zum Landgrafen und wandte die Augen nach dem Wege, auf welchem die Reiter herankamen.

»Es geschehe, was Euch gefällt, Base Hedwig,« antwortete der Landgraf wieder in guter Laune, »wisset, der junge Held, welcher meinen Wein begehrt, ist mit seinen Dienstmannen im ganzen Lande wohlbekannt, weil er ruhelos sein Roß auf der Rennbahn treibt.« Herr Walter hatte unterdes den Speerruf nach dem Hofe gesendet; von dort erklang ein vielstimmiges »Urra wurra!« als Antwort, die Knechte liefen zu den Rossen, die Ritter schnallten an ihrem Harnisch und schrien nach den Speeren. Gleich darauf sprengte eine kleine Schar, geführt von Rudolf Schenk, dem Sohne des alten Walter, grüßend vor dem Landgrafen und den Frauen in den Grund, der zu dem Rennen geeignet war. Herr Rudolf ritt voraus, tauschte mit den Fremden die übliche Begrüßung und besprach in der Eile mit Henner Marschalk das Rennen, sechs Kämpfer von beiden Seiten und jedem zwei Speere.

Auf der andern Seite des Kampfplatzes hielt Ivo mit seinem Gefolge, während die Bewaffneten in scharfem Anlauf mit den Speeren gegeneinander ritten, zuerst Herr Henner und Herr Rudolf, nach ihnen die übrigen einzeln, dann sechs gegen sechs. Die Rosse schnoben, die Speere krachten und die Reiter erwiesen ihre Kunst, es war ein untadeliges Rennen, ehrenvoll für beide Höfe; auch der Landgraf freute sich und wurde warm. Und als Ivo abstieg und vom Herrn Walter geleitet näher kam, da trat er ihm freundlich entgegen.

»Dein Hauswirt spricht lange mit den Fremden,« begann Frau Hedwig zu Else und sah mit ihren großen Augen neugierig auf die Schar der Männer, »der Gast steht, wie ich sehe, in stolzer Haltung.«

»Er ist gut beleumdet im ganzen Lande, und die Leute rühmen ihn als einen freudigen Helden,« antwortete Frau Else, und leiser setzte sie hinzu: »Er dient einer Herrin in Zucht und Ehre, doch wunderlich dünkt es allen, daß niemand erraten kann, wer sie ist.«

»Geheimer Dienst ist nur halber Dienst«, versetzte Hedwig lachend; »wenn wir einem Ritter erlauben, uns zu dienen, so ziehen wir mit der einen Hand den Schleier über unsere Neigung, mit der andern lüften wir den Zipfel, denn eines Helden Huldigung mehret auch uns die Ehre.«

»Sicher bringt sein Dienst Ehre,« fuhr Else fort, »denn für den stärksten Speerkämpfer gilt er im Lande und ist voran bei jeder rühmlichen Tat. Sieh dort die bunten Bilder auf dem Gewande der Herren in Farben gemalt und gestickt. Wenn Herr Ivo jedem, den er im Speerkampfe besiegt, nur ein Bild aus dem Gewande schneiden ließe, er könnte seiner Herrin einen weiten Mantel machen lassen, der sie vom Kopf bis zu den Füßen bedeckte.«

»Wahrlich,« rief Hedwig spottend, »wenn seine Herrin nicht ein fahrendes Weib ist, welches gelernt hat, mit wilden Tieren durch das Land zu ziehen, so würde ihr mühevoller werden, seinen Mantel zu tragen, als ihm, das Tuch zu gewinnen.«

»Die Schüler und Spielleute singen auch Lieder, die er selbst erfunden hat, denn er ist des Gesanges wohl mächtig; wir merkten, daß seine Frau sich ihm züchtig versagt, denn voll Sehnsucht und Klage sind seine Töne und er ist uns deshalb um so werter.«

»Nun, er sieht nicht aus wie einer, der ohne Erhörung wirbt«, antwortete Hedwig trocken.

»Dennoch ist es so«, erklärte die Landgräfin eifrig, und mit zartem Erröten fügte sie hinzu: »Es gab bereits müßiges Geschwätz, daß er eine, die uns nahe ist, in seinem Sange preist. Aber mein Hauswirt und ich, wir wissen beide, daß die Meinung falsch ist.«

Hedwig sah scharf in das unschuldige Gesicht und berührte leise die Wange der Landgräfin. »Er hätte keine holdere Herrin finden können. Sieh, dein Wirt führt ihn zu uns, laß sehen, ob er auch zu sprechen vermag.«

Der Landgraf wies nach der Begrüßung auf die Frauen. »Folgt mir, daß ich Euch zu denen geleite, welche Euer Lob am liebsten verkünden. Ihr findet einen seltenen Gast, des Kaisers Nichte Hedwig, sie und die Frauen in ihrem Gefolge sind wohl wert, daß Ihr ihnen huldigt.«

Ivo berührte mit der Hand ein Tuch, welches er um den Hals geschlungen trug. »Habt die Güte, mich bei den edlen Frauen zu entschuldigen, wenn ich ihnen unhöflich diene. Mir ist verboten, meinen Blick zu einer Frau Eures Hofes zu erheben, und ich darf nur vor sie treten mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenen Augen; unlieb wäre mir, wenn sie mich für kindisch hielten.«

»Nun, beim heiligen Georg,« rief der Landgraf erstaunt, »Eure Herrin übt eine harte Herrschaft! Selten haben unsere Frauen sich über niedergeschlagene Augen der Gäste und der Schildtragenden zu beklagen.« Doch ernsthafter fuhr er fort: »Wir wissen den Dienst eines verlobten Mannes zu ehren, mögen die Gäste sich streiten über die Farbe Eurer Augensterne.«

Mit tiefer Verneigung trat Ivo vor die Fürstinnen, das lockige Haar, welches er nach Gebrauch seines Hauses lang trug, umsäumte ein männliches Antlitz. Als er so schweigend stand, ruhig, von hohem Wuchs, ein Bild der Kraft und vornehmen Zucht trotz seiner niedergeschlagenen Augen, da wandten sich alle wohlgefällig ihm zu, und die Frauen im Gefolge der Fürstinnen nickten und flüsterten einander in die Ohren. Sogar die alte Dame Wendelmuth, welche den Kammerdienst und das Hüteramt bei Frau Hedwig hatte, gönnte ihm einen teilnehmenden Blick und sprach halblaut zu ihrem Begleiter, dem fremden Kämmerer Volko, der mit düsterer Miene unter den Thüringen stand: »Wahrlich, manchem von unseren jungen Rittern wäre so züchtige Scham zu wünschen«, und dieser bestätigte es durch ein leises Brummen.

»Es ist ihm durch ein Gelübde verboten, euch, edle Frauen, anzusehen,« erklärte der Landgraf, »dennoch gönnt ihm eure Huld, denn allen Frauen gereicht zum Ruhme, daß der Held einer in Züchten dient.«

»Das sagen wir zuweilen,« antwortete die klangvolle Stimme der Hedwig, »doch wir denken nur so, wenn wir den Ritterdienst einer andern lieber gönnen als uns selbst. Verlangt Ihr solche kalte Huld für Euren Gast, so wird sie gern gewährt.«

 

»Ihr versteht zu demütigen, indem Ihr Gnade übt«, versetzte Ivo stolz.

»Verzeiht, Herr, wie kann ein Gast gefallen, der uns nicht gestattet, zu prüfen, ob sein Blick treuherzig oder falsch ist?« entgegnete die Fremde, und sich zum Landgrafen wendend, rief sie: »Seht, Herr Ludwig, gerade über Euch schwebt ein Reiher, ist niemand da, der Eurem Edelfalken die Kappe löst?« Alle sahen nach der Höhe, doch Ivo widerstand der neckenden Versuchung. »Nichts für ungut, Vetter,« fuhr die Dame lachend fort, »es war nur eine Probe für Euren Gast.«

»Da er die Probe bestanden hat, Base Hedwig, sollt Ihr die Buße zahlen. Ich bitte Euch, legt den Schleier ab, der Euch Stirn und Kinn verhüllt, und laßt meine Helden Euer Angesicht schauen. Ist auch in Eurer Heimat die Sitte strenger, wir in Thüringen sind gewöhnt, beim Feste das Antlitz schöner Frauen zu betrachten. Gestattet unserer Sonne, daß sie Euch die weiße Haut bräune.«

Die Verhüllte berührte schmeichelnd die Wange der Herrin Else. »Deinem rosigen Antlitz sieht man nicht an, daß die Maiensonne ihm sein Weiß und Rot gemindert hat. Nur wir Verschleierten tragen den Schaden, denn Nase und Wänglein verbrennen doch, und wenn wir einmal das Schleiertuch lüften, so sind wir in der Mitte des Antlitzes rot gemalt. Das aber ist die Wappenfarbe, die unsere Hausherren an uns am liebsten sehen, obwohl jeder Blick auf den Spiegel uns weinen macht.« Sie löste die Enden des Schleiers, schlug sie über den weißen Nacken zurück und wies ihr edles Angesicht, an dem von Sonnenbrand freilich nichts zu merken war. Als sie so neben der Landgräfin stand in voller gereifter Schönheit und mit ihrem Arm die Hausfrau umschlang, da freuten sich die Herren über den Anblick, und unwillkürlich erklang ein lauter Heilruf von den Lippen der Hofleute; selbst die Augen des Herrn Ivo zuckten, aber er bezwang sich, und der Landgraf rief: »Wahrlich, das ist Frühlingswonne, und wir wollen den Tag in einer Tafelrunde feiern. Den Hofhalt des Königs Artus spielen wir heut, und Ihr, edler Ivo, sollt Ritter Iwein sein oder ein anderer Held, der Euch am besten gefällt. Breitet die Teppiche, rüstet das Mahl, und ihr, edle Frauen, windet Kränze für euch und uns.«

Die Frauen flogen summend wie Bienen durch Garten und Anger. Doch waren der Blumen nur wenige außer Veilchen und Himmelsschlüsseln, und die zarten Hände mußten zum Schlehdorn und Weißdorn hinauflangen, deren Blüten noch die kalte Farbe des Schnees trugen. Dagegen verteilte Frau Else bunte Bänder aus einem Korbe, den eine ihrer Frauen vom Rüstwagen zutrug, und lachend mühten sich die Sammelnden um die Wette, Blumen und Bänder auf biegsame Ruten zu binden und diese in runde Kronen zusammenzufügen. Frau Else bot selbst dem Gaste den Kranz, und die Fremde drückte den ihren auf das Haupt des Landgrafen.

Auf sonniger Anhöhe stand ein mächtiger Ahorn, niedrig gewachsen, aber mit breitem Wipfel. Daß seine Laubknospen noch wenig Schatten gaben, war keinem unlieb, denn zartes Gewölk wehrte die Strahlen der Sonne ab und barg das Antlitz der milden Herrin, so daß man nur in dämmrigem Licht und mattem Schatten ihre Gegenwart merkte. Unter den Ahorn wurde die Tafelrunde gesetzt, genau so, wie der junge Lutz geargwöhnt hatte, die edlen Gäste auf niedrige Sessel, die Frauen auf kleine Schemel und nur die Helden auf einen Teppich, der über den Rasen gebreitet war; denn die Landgräfin sah ungern, wenn ihre Frauen sich neben den Männern auf den Boden lagerten, obwohl dies sonst Brauch war. Rudolf Schenk hatte heute den Dienst, die Paare zu gesellen, nicht gerade wie es jedem der Gäste am liebsten gewesen wäre, sondern mit bedächtiger Rücksicht auf die Ehren, welche jeder zu fordern hatte: zwischen den Hofherrn und Frau Else die fremde Gräfin, und auf die andere Seite des Landgrafen den Herrn Ivo, neben die Landgräfin aber seinen eigenen Vater, den alten Herrn Walter von Vargula, welcher der würdigste Ritter des Landgrafen war, ein Hüter der Frau Else und zugleich ihr ergebener Freund. Auch die aus Ingersleben erkannten, daß sie durch ihre Sitze vom Landgrafen geehrt wurden. Denn der Kämmerer Godwin saß, allem Frauendienst enthoben, neben dem Herrn Walter, und die beiden freundlichen Herren mit dem weißen Haupthaar tauschten gute Gedanken aus über die Abrichtung der Falken, welche in den Höfen ihrer Herren auf der Stange saßen. Herr Henner aber erhielt die alte Frau Wendelmuth zu seiner Kranzgenossin und Herr Lutz die junge Berta, die Tochter des Kämmerers von Fahnern, welche für die schönste Magd am Hofe galt. Und Herr Henner drückte den Kranz, den ihm Frau Wendelmuth mit steifem Arm reichte, recht zart in das grauliche Haar, indem er sprach: Belle graze, nahm ihre Fingerspitzen in die seinen und führte sie zu dem niedrigen Tische. Er dachte wohl daran, daß er sie vor vierzig Jahren zu Mainz am Hofe des alten Kaisers Friedrich Rotbart gesehen hatte, aber er hütete sich das zu sagen, um ihr nicht durch sein gutes Gedächtnis verleidet zu werden. Doch begann er von alter Zeit zu sprechen, spielte sich mit gewandter Rede nach Mainz auf das größte Kaiserfest, welches jemals in deutschen Landen gefeiert worden war, und erzählte, wie er damals als Knappe einer Magd des Hofes, die von einem Ritter gerade zum Tanz aufgeführt wurde, den Mantel vom Boden gehoben hatte, als ihr dieser im Gedränge durch einen ungefügen Helden abgestoßen war; und der Schlaue setzte hinzu: »Ach und weh! Sie erschien mir als die schönste Magd von allen, und ich gedenke noch, von roter Seide war der Mantel.« Da trat Frau Wendelmuth in die Falle, welche er ihr stellte, denn als eine scharfe und gewissenhafte Frau versetzte sie nicht unfreundlich, doch noch säuerlich: »Wenn Ihr Euch der Magd so wohl erinnert, wie Ihr sagt, so müßtet Ihr auch wissen, daß der Mantel goldgelb war«, worauf Herr Henner siegesfroh ausrief: »Nie hätte ich gewagt, Euch an den armen Knappen zu erinnern, der Euch die Hülle aufhob. Da Ihr aber selbst des gelben Mantels gedenkt, so darf ich Euch sagen, daß ich heut beim ersten Blick Euch wiedererkannte, so wie Ihr damals waret, und daß ich Euch in meinen Gedanken mit derselben goldenen Hülle vor mir sehe.« Durch diese Rede machte er die stolze Frau vertraulich, und sie sprachen seitdem wie alte Bekannte von den ruhmvollen Tagen des Kaisers Barbarossa und von vielem Ärgerlichen, das sie später erlebt.

Dazwischen aber blickte Herr Henner sorgenvoll über den Tisch, ob sein junger Geselle sich auch bescheiden auf dem Teppich lagere, und wie er sich gegen seine Nachbarin gebärde. Ihn freute, daß beide leise miteinander redeten, aber er sah mit Entsetzen, daß Herr Lutz plötzlich die Beine unter das Gesäß zog, weil ihn der Erdboden zu sehr kühlte; und er hustete leise. Seine Nachbarin, welche mit spähendem Blick das Ereignis in der Tafelrunde beobachtete, erkannte sogleich den Grund seines Hustens; und da sie alle Not bei Hofe verstand, so tat sie für ihn selbst, was noch niemals ein Fremder von ihr genossen hatte: sie faßte hinter sich nach einer Decke, die zusammengebunden im Bereich ihres Armes lag, schob sie leise an den Sitz des Herrn Henner und winkte ihm, daß er sie unterlege. Und der Marschalk, der die Wohltat zu würdigen wußte, half mit der Hand ganz unmerklich nach und warf ihr einen dankbaren Blick zu, während ihm die welken Schlüsselblumen über die Augen hingen.

Aber die Herrschaft am oberen Tische saß unterdes sehr feierlich, nur der Landgraf sprach einiges zu seinen Gästen, bis er endlich zufrieden von dem ausruhte, was der Koch für das Fest bereitet hatte. Da erhob er die Stimme: »Und alle will ich mahnen, daß wir den jungen Sommer begrüßen, wie es einer frohen Tafelrunde gebührt. Bringt das Saitenspiel und legt es in die Hände des Gastes. Gefällt es Euch, Herr Ivo, so laßt unsere Frauen, denen Ihr nicht zulachen dürft, doch Euren Gesang vernehmen.«

Ivo hatte bis dahin in stolzer Zurückhaltung vor sich niedergesehen und nur auf die Fragen des Landgrafen geantwortet, so daß die Landgräfin heimlich zu Frau Hedwig sagte: »Sieh, gleicht er nicht unter den Sorglosen einem Leidtragenden, der sein geheimes Weh mit Mühe bändigt?«

»Oder einem Gefangenen, der widerwillig beim Mahle des Siegers sitzt«, versetzte die Fremde.

Jetzt antwortete Ivo, wie sich‘s gebührte: »Die Bitte des erlauchten Wirtes ist dem Gaste Gebot; übt Nachsicht, denn meine Stimme ist rauh und meine Weise nicht so kunstreich wie andere, die ihr zu vernehmen gewöhnt seid.« Er griff kräftig in die Saiten, spielte ein wenig und sang, was damals aus seinem Munde den Zuhörern weit lieblicher klang als jetzt aus dem Buche:

»Bote, geh und künde meiner Fraue:

All mein Hoffen hat der Reif zerstört;

Da die Blumen lachten auf der Aue,

Harrt‘ ich, ob sie noch mein Flehn erhört.

Trostlos find‘ ich, wenn der Morgen tagt,

Vereist die Heide,

In Sehnsucht und Leide

Vergangen die Freude, das sei vor ihr geklagt.«

Er hielt inne. Die Herren murmelten ihr Lob deutlich, die Frauen leise, aber nicht weniger ehrlich, und der Landgraf rief: »Wohlgesungen! Wir hörten die Klage; ist niemand unter den Frauen, der ihm Antwort gibt? Base Hedwig, vielleicht beliebt es Euch, dem edlen Gast das Widerspiel zu halten.«

Hedwig rückte das Saitenspiel zu sich, mit nachlässiger Handbewegung fuhr sie über die Saiten und sang eine Antwort, indem sie die fremde Weise, welche sie eben erst gehört hatte, wiederholte und zierlich wandelte:

»Weh, des Mannes Sehnsucht schuf mir Sorgen,

Sprach die Frau, verschlossen bleibt der Mund,

Meine Liebe trag‘ ich still verborgen,

Wie das Meer die Perle birgt im Grund.

Trost noch findet, wer sein Lieben klagt;

Die sich sehnt und leidet

Und Rede meidet,

Der Armen ist ihr letzter Trost versagt.«

Als sie geendet hatte, summten alle warmes Lob, auch Herr Ivo lächelte, und der Hofherr sprach: »Gern wird unser Gast Euch den Preis geben, Base, denn Ihr habt seinen Sang geehrt, indem Ihr ihn zur Stelle nachahmtet.«

Und Ivo versetzte: »Auch ich danke meiner Siegerin, obgleich ihr Lied den Trost nicht verheißt, um den ich flehte. Ich merke, daß sie der Kunst des Saitenspiels mächtig ist wie wenige. Vielleicht, wenn Ihr, erlauchter Herr, und Euer Gemahl die Dame bitten, versagt sie uns nicht die Freude, ihr Spiel zu hören.«

Die Gräfin nickte gleichgültig und faßte sogleich nach der kleinen Harfe, die sie vor sich niedergesetzt hatte. Und sie spielte in Wahrheit mit solcher Kunst, wie die meisten aus der Gesellschaft noch niemals gehört hatten.

Der Landgraf war voller Bewunderung, ergriff seinen goldenen Becher und rief: »Hebt euch von den Sitzen, ihr stolzen Helden; nie sah ich und nie hörte ich die Finger einer Frau so behend durch die Saiten greifen, denn schnell wie der Blitz bewegtet Ihr die kleine Hand, Base, und ich vermochte mit den Augen kaum dem Spiele zu folgen. Darum trinken wir Heil der Herrin, welche so seltener Kunst mächtig ist.« Als der Beifallssturm sich gelegt hatte, fuhr der Wirt fort: »Gern vernähmen wir noch mehr von Euch, und unser Ohr würde nicht müde vom Zuhören. Laßt singend oder sagend Eure Stimme noch weiter tönen, denn am Hofe unseres Herrn, des Kaisers, habt Ihr, wie ich weiß, jedes Werk der Sänger geübt, so daß auch die Welschen über Euch staunen.«

Hedwig lachte. »Ihr wollt‘s, nehmt vorlieb. Und da wir hier unter Blumen und Klee im Baumschatten sitzen, so hört ein kleines Abenteuer, es heißt wie dieser Baum, der Ahorn.« Und sie hob die Hand nach der Höhe. Darauf begann sie mit klangvoller Stimme eine Geschichte in Reimen, welche folgendes verkündete: »Ein König im Lande Spanien hatte eine Tochter, welche so stolz war, daß sie sich selbst in den Arm zwickte, wenn sie einmal einen Mann gegrüßt hatte. Sie ritt am liebsten allein auf ihrem Rößlein durch Anger und Wald. Im Holze stand ein alter Ahorn, ein kaltes Brünnlein quoll an seinem Fuß und blaue Glockenblumen blühten darum. Als die Magd einst an einem heißen Tage dort anhielt, löste sie die Spangen ihres Gewandes und kühlte Wangen und Brust am klaren Quell. Da hörte sie ein leises Atmen, sie glitt um den Stamm und sah auf der andern Seite desselben einen Jüngling, der sich am Brunnen gekühlt hatte und mit offenem Gewande unter den Blumen entschlafen war. Sie konnte die Augen nicht von ihm abwenden, bis er aufwachte und sie ansah. Da sprach das Königskind: ›Du siehst das Mal an meiner Brust, wie ich das deine sah; küsse mich oder ich küsse dich.‹ Von diesem Tage trafen die beiden einander oft unter dem Baume, und sie wurden eins dem andern lieb vor allem auf der Welt. Unterdes überzog ein wilder Mohrenfürst den Vater des Königskindes mit Krieg, so daß dieser ihm einen Teil seines Reiches und die Tochter zur Gemahlin verhieß. Die beiden Trauten saßen sorgenvoll unter dem Baume, das Herz wollte ihnen vor Gram zerspringen, und ihre Tränen flossen in den Quell. Da erhob sich vor ihnen die Wasserfrau, welche in dem Brunnen wohnte, aus der Flut: ›Salzig wird mein süßer Quell durch eure Not‹, und sie bot jedem von ihnen einen hölzernen Armring, in welchen ein Zauberdorn geflochten war. ›Legt ihr den Ring um, so vermag er euch Seele und Leib zu scheiden, so lange ihr es begehrt, und als Dämmervögel fliegt ihr ins Freie über Berg und Tal zu meinem Baume; doch hütet euch, daß der Rückweg euch nicht gesperrt werde.‹ Da besprachen die beiden Traurigen, daß sie einander am Baum wiedersehen wollten in jeder Sommerzeit, bei jedem vollen Mond. Der Mohr aber schloß die Königstochter auf seiner Feste ein, die er sich auf steilem Felsen erbaut hatte, und sie durfte niemanden sehen und sprechen, nur eine treue Magd, welche ihr gefolgt war. Als nun der volle Mond in ihre Schlafkammer schien, da sprach sie zu ihrer Genossin: ›Schließe die Tür und öffne das Fenster. Wache und sorge nicht um mich, ich weiß eine, die mit dem Mondenstrahl fliegt, wenn die Leibeshülle leblos liegt.‹ Und sie legte den Armring an. Da sank sie sogleich auf ihr Lager zurück und aus ihrem Munde flog ein winziges Vöglein und verschwand durch das offene Fenster in der Dämmerung. Die Dienerin wachte in Sorgen, denn ihre Herrin lag wie tot, das Herz schlug nicht und sie atmete nicht. Als aber die Tagesdämmerung am Himmel aufstieg, schwebte wieder ein kleiner Schatten durch das Fenster, und das Königskind richtete sich von dem Lager auf und sprach: ›Am Astloch saß der Geselle mein, ihm troff der Tau vom Flügelein.‹ So trieb sie es den ganzen Sommer. Doch als die Nächte lang wurden und weißes Gespinst um die dürren Halme glänzte, da wurde der Dienerin mühsam, im Vollmond den Schlaf von ihren Augen fernzuhalten; und als die Königstochter sich aufrichtete, sprach sie: ›Ein Bahrtuch sah ich weben über Flur und Hain, meinem Gesellen hing die Flocke am Bein.‹ Und wieder schien der Vollmond in langer banger Nacht, der kalte Sturmwind fuhr durch das Land, er heulte um die Burg und schlug das geöffnete Fenster zu. Die Dienerin aber hatte ihr Haupt verhüllt und war entschlummert, der Morgen kam und sie merkte es nicht, und als sie erwachte, schien die bleiche Wintersonne in das Gemach. An die geschlossene Tür schlug der Mohrenfürst, bis sie aufsprang, und er sah das Königskind leblos liegen, den Zauberring am Arme. Da riß er ihr zornig den Ring ab und befahl, den Leib in einem steinernen Sarg zu bergen, wo nicht Mond, nicht Sonne ihn beschien. Und als die Kunde durch das Land lief, daß die Königstochter gestorben war, da fanden die Knappen des Ritters am nächsten Morgen ihren Herrn regungslos auf dem Lager, sein Herz schlug nicht und er atmete nicht. Wer aber am Vollmond zu dem Quell kam, der sah um den Baumeswipfel einen kleinen Schatten schweben, und sie sagen, es war der treue Geselle, welcher sich sehnte und harrte.«

 

Die Erzählerin hielt inne, über ihrem Haupte zwitscherte es in den Ästen. »Seht,« rief sie mit veränderter Stimme, »dort ist das Astloch und dort hebt ein Sänger den Fittich, vielleicht ist es eine der beiden liebenden Seelen, welche einander suchen. Sei tausendmal gegrüßt, du Armer, der du einsam dahinziehen mußt.«

Sie schwieg und alle lächelten über das Ende, welches anders war, als sie erwartet hatten. Doch zeigten sie auch, wie sich für Hofleute schickt, daß sie gerührt waren, und bedauerten das Schicksal der Liebenden. Frau Wendelmuth begann leise zu ihrem Kranzgenossen, indem jetzt sie die Falle stellte: »Auch zu Eurem Amt, Herr Marschalk, gehört, daß Ihr bisweilen einem Vogel das Fenster offen erhaltet. Fliegt Euer Vogel in weite Ferne und müßt Ihr lange harren, bis er zurückkehrt, so habt Ihr einen sorgenvollen Dienst.« Aber Herr Henner erkannte die forschende Neugier und antwortete bedeutsam: »Wir Thüringe hängen an der Heimat; ja selbst wenn wir ganz außer uns sind und wenn wir vor Liebe aus der Haut fahren, wir kommen in kurzer Zeit wieder zu uns selbst.« Da nickte Frau Wendelmuth und blickte nach der Landgräfin hinüber, denn in ihrem Ohr klangen noch die herrlichen Worte, mit denen Frau Else vor kurzem den Gast gelobt hatte.

Die Landgräfin aber war still geworden und sah mit geröteten Wangen vor sich nieder. Doch auch sie erhielt ihren Anteil von den Ehren des Mahles. Seitwärts der Tafel saß auf der Bank ein geistlicher Herr, dem sein Amt die Teilnahme an der bekränzten Gesellschaft verbot. Daß der Herr zum Hofe gehörte, verriet die tiefe Verneigung, welche die aufwartenden Diener nicht unterließen, sooft sie bei seinem Sitze vorübergingen. Er aber sah von seinem Buche häufig nach der Artustafel. Jetzt erhob er sich geräuschlos, ging nach dem Hofe, wo die Kinder des Landgrafen mit ihren Wärterinnen weilten, der vierjährige Sohn und die kleinere Tochter, gebot, die Kleine ihm nachzutragen, und faßte selbst den Knaben bei der Hand. Als dieser ungern folgte und schrie, wollte der Geistliche ihn heftig fortziehen, aber er bezwang sich, freundlich zu reden, gab ihm einen grünen Zweig in die Hand, hob ihn auf seine Arme und trug ihn einige Schritte. So trat er hinter den Landgrafen und begann mit gedämpfter Stimme, welche aus dem Munde des Priesters feierlich in das Ohr drang: »Auch die Kinder wagen im Mai ihren lieben Vater zu begrüßen und sie erbitten für sich die Liebe der Eltern.«

Der Landgraf wandte sich überrascht um, sein Gesicht verklärte sich, als er die Kleinen sah, er küßte den Sohn auf den Mund, nahm die Tochter in seine Arme, lachte ihr zu und rief über die Tafel: »Verzeiht, edle Brüderschaft des König Artus, wenn ich Ungehöriges vollbringe; hier aber sind Geschenke meiner Else und mir lieb vor allem«, und die Kinder der Wärterin zurückgebend, nickte er dem Geistlichen dankend zu, welcher noch leise sagte: »Auch Ihr werdet im heiligen Psalter begrüßt mit diesen Worten: Wohl dir, wenn du den Herrn fürchtest, dein Weib wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock und deine Kinder wie die Ölzweige um deinen Tisch her.« Als der Priester darauf den Knaben zur Mutter führte, grüßte Frau Else den klugen Mann mit inniger Dankbarkeit und sprach: »Ihr tut immer das Gute«; sie beugte sich tief auf seine Hand hinunter, daß er sie schnell wegzog und zurücktrat.

Die düstere Gestalt des Geistlichen und seine Schriftworte verdarben den Artusrittern die poetische Stimmung. Ivo starrte noch ernsthafter vor sich nieder als vorher, sogar die Nichte des Kaisers betrachtete erstaunt das große Gesicht mit geschwollenen Stirnadern und mit zwei tiefliegenden, mächtigen Augen, um welche Schwermut und geheime Trauer zuckten, und sie fragte den Landgrafen: »Wer ist dieser Unglücksvogel mit geschorener Krone?«

»Es ist Meister Konrad von Marburg, ein Richter des heiligen Vaters über Glaubenssachen und uns ein vertrauter Ratgeber.«

»Dann möge sein Rat Euch alles Glück bringen, das ihm selber fehlt; denn ihn anzusehen macht traurig.«

Der Wirt aber winkte dem Schenken Rudolf, welcher aufsprang und einen großen Becher herantrug. Der Landgraf erhob sich und zugleich mit ihm die Herren, und den Becher haltend begann er: »Altem Brauche zu Ehren sei dieser Wein Euch, edler Ivo, geboten, denn es ist ein Recht Eures Geschlechtes aus der Väter Zeit, daß der Landgraf selbst Euch einmal im Jahre, wenn der Kuckuck ruft, den Becher schwenke, ein Edler dem andern, damit er die Ehrbarkeit Eures Geschlechts vor seinen Mannen bestätige.« Und er reichte ihm den Becher.