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Während die Knaben im Wechsel von städtischer Zucht und ländlicher Freiheit heranwuchsen, beobachteten die Eltern mit stets neuer Verwunderung, wie verschieden das Wesen derselben sich entwickelte. Fritz, der älteste, war ein stiller Knabe, welcher seinen Ball nach dem Spiele sorgfältig in die Schublade legte, und wenn er aus dem Straßenstaub in die Stube kam, Strumpf und Höslein gutwillig bürstete. Er lernte fleißig; freute sich, sooft er neben dem Vater ausging, wenn dieser ihn an die Hand nahm, und wandelte geradlinig und ehrbar an seiner Seite. August aber war ein wildes Kind, welches am liebsten sprang und hüpfte und unaufhörlich der Nadel seiner Mutter zu tun gab. Oft zog er sich durch ein heftiges Auffahren Schelte zu, aber er war auch aufgeweckt und gesprächig, blieb schon als kleiner Kerl dem Fragenden selten eine Antwort schuldig und wußte gegen den Bruder und die Gespielen seinen Willen durchzusetzen, indem er trotzte oder schmeichelte. Leider waren seine Unternehmungen nicht immer löblich, und wenn er mit einer kleinen Bande zu den Frühäpfeln des Nachbars über den Zaun geklettert war, oder wenn er einem trunkliebenden Magister Eselsohren aus Papier auf den Rücken gesteckt hatte, so gab es für ihn trübe Stunden. Auch für seinen Bruder, denn obgleich dieser nur widerwillig dem Eifer des jüngeren folgte oder wohl gar seine Beihilfe zu einem gewagten Unternehmen versagte, so erhielt er doch seinen Anteil an der Strafe, weil er als der älteste nicht zurückgehalten oder weil er eine Missetat nicht angezeigt hatte. Trotz kleiner Niederlagen galt August in der Familie für ein glückliches Kind, dem alles wohl gelang, in der Regel deshalb, weil er der Großmama oder der Mutter bittend die Wange strich, was er zeitig gelernt hatte. Aber er wußte auch höhere Autoritäten für sich anzurufen, denn als ihm die Mutter einst an seinem Geburtstage die Lieblingsnäscherei verweigert hatte, faßte er beim Mittagsbrot den Löffel mit beiden Händen und flehte recht herzlich, daß ihm der liebe Gott nach Tische getrocknete Pflaumen schenken möge. Die Eltern lächelten; als aber die Mutter am Nachmittage sein rosiges Kindergesicht mit dem gekräuselten Haar inmitten der Gespielen betrachtete, wurde ihre Zärtlichkeit so übermächtig, daß sie einen Teller des geschätzten Naschwerks vor den Kindern aufstellte. Seitdem entdeckte die Kindermuhme, daß fromme Bitten dieses Knaben in merkwürdiger Weise Erhörung fanden. Als es zum Beispiel am Morgen vor einer langersehnten Ausfahrt zweifelhaft wurde, ob bei dem trüben Wetter die Reise zu wagen sei, da erhob August wieder nach der Morgenandacht des Vaters sein Stimmchen und bat den Himmel um Sonnenschein. Unterdes war sein Bruder beobachtend zu einer Torricellischen Röhre gelaufen, welche mit Quecksilber gefüllt am Fenster hing und durch die weisen Einrichtungen einer gütigen Vorsehung in den Stand gesetzt war, den Menschen bisweilen die kommende Witterung anzuzeigen. Nachdem August gebetet hatte, brach die Sonne durch das Gewölk, und es wurde ein schöner Reisetag. Da nun aber die Frauen den Knaben seiner wirksamen Bitten wegen rühmten, benutzte der Vater die gemeinsame Abendandacht zu einer Warnung und flehte in hohem Ernst, der liebe Gott möge ein Kinderherz davor behüten, daß es nicht in Eitelkeit verfalle und sich besonderer Gnade rühme, und ebenso auch helfen, daß die Liebe der Angehörigen stets vorsichtig sei und nicht aus dem Zufall ein Verdienst des Kindes mache. – Dadurch dämpfte der Hausherr die Reden des Frauenzimmers, doch konnte er nicht verhüten, daß dem Sohne die Zuversicht blieb, seine Wünsche durchzusetzen.

Unter die nächsten Bekannten des Hauses gehörte eine adlige Wittfrau, die Majorin von Borsdorf. Ihr Mann hatte in sächsischem Dienst gestanden, sie selbst war eine entfernte Verwandte der Madame König; sie lebte in beschränkten Verhältnissen, war aber mit den ersten Familien der Umgegend befreundet und wußte sich und ihr kleines Hauswesen vornehm zu halten. Ein Sohn war als Fähnrich in kursächsischem Dienst untergebracht; die Tochter, Dorothea, fast in gleichem Alter mit August, wurde von ihr erzogen. Dorchen war niedlich, aber, wie Madame König richtig erkannte, durch allzu große Liebe verwöhnt. Auch die Knaben konnten der Kleinen kühle Anerkennung nicht versagen, wenn sie in ihren Hackenschuhen zierlich über die Straße schritt, die Schultern gerade und das Köpfchen steif, wie einem Fräulein von Stande gebührte, oder wenn sie vor Frau König zu einem Knicks hinabtauchte, dabei die Augen niederschlug und anmutig lächelte, wie es eine Große nicht schicklicher hätte vollbringen können. Öfter aber wurde der Zwang lästig, welchen ihre Gegenwart den Spielen der Knaben auflegte; sie hielt ihr Schnupftüchlein nicht in der Tasche wie andere Kinder, sondern schwenkte es in der Hand, weil es mit einer Spitze umsäumt war, und sie wollte durch solche Bewegungen den Knaben befehlen, ihr zu bringen, was sie gerade begehrte. Widerwärtig war sie auch, wenn die Knaben ihretwegen in kleinen braunen Tonschüsseln und Töpfen kochen mußten; sie litt nicht, daß die Jungen Nüsse schnitten wegen zweifelhafter Sauberkeit der Finger, und war beleidigt, wenn die Könige zuletzt das kalt Gekochte, welches sie ihnen vorsetzte, nicht aufessen wollten, was wirklich eine Anmaßung war, denn das Verzehren fremder Kocherei galt damals unter den Kindern für weniger anmutig als das eigene Kochen. Da war nun auffallend, und Frau König lachte zuweilen darüber, daß ihre Söhne sich ungleich gegen die Ansprüche des Mädchens verhielten, denn Fritz, der sonst gefällig war, gab dem Dorchen keineswegs nach, sondern sagte schonungslos seine Meinung, während August sich der kleinen Dame williger fügte als irgendeiner anderen; und wenn er sich auch mit ihr stritt, doch durch ihr Nasenrümpfen und Abwenden des Kopfes genötigt wurde, seinen Widerstand aufzugeben. Vollends in größerer Gesellschaft war August ihr treuer Gefährte, und sooft die Kinder »Polnisch betteln« spielten, was gerade damals in Sachsen aufkam, gingen August und Dorchen als Bettelleute am liebsten miteinander im Kreise umher und erbaten abwechselnd Brot für sich selbst und einen Kuß für das andere. Dabei bemerkten die Mütter, daß Dorchen niemals Neigung hatte, sich von Fritzen küssen zu lassen, sondern ihrem Bettelmännchen leise vorschrieb, zu welchem Knaben er sie führen solle, damit sie das Unvermeidliche dulde.

Dies Verhältnis erhielt sich auch, als die Kinder heranwuchsen. Dorchen wurde konfirmiert, und die Knaben saßen in den oberen Klassen der lateinischen Schule. Da bedachten diese, jeder für sich, welches Geschenk sie der Gespielin machen wollten. Friedrich kaufte aus seinen gesparten Groschen ein kleines Kreuz von schwarzem Glase, das an seidener Schnur um den Hals zu tragen war, und August bat die Mutter um eine Beisteuer für ein rotes Glasherz mit goldenen Sternen, welches ebenfalls als Halsschmuck dienen sollte. Das Fräulein empfing beide Geschenke mit artiger Danksagung, aber sie hing das rote Herz sogleich um den Hals und behielt das Kreuz in der Hand. August lachte vergnügt, aber Friedrich ging schweigend zu seinen Büchern zurück. Auch als Dorchen beim nächsten Besuch, um nicht unhöflich zu sein, das Kreuzchen am Halse trug, machte ihr zwar August darüber Vorwürfe, aber Friedrich gab durch kein Wort zu verstehen, daß ihn diese Aufmerksamkeit freue.

Nach Kringeltanz und Pfänderspiel wurde den beiden Messieurs König noch Größeres im Verkehr mit halbwüchsigen Demoisellen zugemutet. In mehreren ansehnlichen Familien fanden die Eltern notwendig, ihren Kindern die eckigen Bewegungen und das allzu natürliche Wesen durch einen französischen Tanzlehrer abzugewöhnen, der eigens der Stadt zugereist war, um solche Guttat zu erweisen. Während dieser Stunden wurde der harte Knabensinn ein wenig erweicht, und Frau König beachtete mit inniger Freude, daß auch ihre Söhne beflissen waren, in Kavaliersweise den Mädchen die geziemende Ehre zu geben. Doch freilich stand die neue Kunst nicht einem Sohne so gut wie dem anderen. Fritz war in das Wachsen gekommen, er drohte sehr groß zu werden und wußte bei seiner schnell erworbenen Länge, welcher die Majestät fehlte, die hageren Glieder nicht gebührlich zu verwenden; August dagegen hatte den zierlichen Fuß und die kleine Hand der Mutter und in allen Bewegungen ein natürliches Geschick, welches ihm bald die Lobeserhebungen des Tanzmeisters eintrug. Wenn so die junge männliche Kraft auf auswärts gekehrten Fußspitzen wandelte, dazu mit angepreßten Ellenbogen den Hut hielt und dabei noch die Hände mit dem heuchlerischen Schein anmutiger Empfindungen zu bewegen suchte, da machte sich‘s fast immer, daß das junge Fräulein den Brüdern gegenüberstand und sie in ihrer Weise anlachte. Als vollends nach beendeter Tanzstunde beschlossen wurde, daß bei einem vornehmen Familienfeste acht Kinderpaare als Schäfer und Schäferinnen erscheinen sollten, alle gepudert, alle in Rosa und Weiß mit bebänderten Schäferstäben, da geschah es wieder, daß August und Dorchen miteinander zum Menuett in den Saal zogen. Dem ältesten Sohn hatte die Mutter angedeutet, daß er für das bukolische Kostüm bereits zu hoch aufgeschossen sei, doch wider alles Erwarten bestand Fritz eifrig darauf, an dem Aufzuge teilzunehmen. Aber der wackere Junge sah sehr auffällig aus. Er wurde mit der Tochter des Oberpfarrers, die ebenfalls in das Schießen gekommen war, zusammengesellt; sie stellte eine hagere Schäferin dar, welcher man die gute Weide nicht ansah, in der ihr Vater seine Herde hütete, und Fritz glich einem jungen schlenkrigen Giganten, der Jacke und Hosen des Thyrsis auf dem Felde gefunden hat. Da war nicht zu vermeiden, daß die Mädchen untereinander spöttische Bemerkungen über das Paar machten, und Fritz erkannte, daß Dorchen sich lebhafter als andere an dem Mokieren beteiligte.

Doch im Sommer darauf wurde Fritz über seine Länge ein wenig getröstet. Die Brüder waren mit den Eltern zum Besuch auf ein benachbartes Gut gefahren und dort mit Dorchen, die zu der Freundschaft des Gutsherrn gehörte, zusammengetroffen. Die drei jungen Leute schwärmten durch den Garten ins Freie und zogen den Bach entlang bis zu einer Mühle, dort freuten sie sich über das Klappern und über die kleinen Schaumwellen, in welche der Strom sich löste, wenn er aus der Holzrinne schoß. Das junge Fräulein ließ sich vom Müller eine lange Rute aus dem Weidengebüsch schneiden, schälte mit ihren Fingern zierlich die Rinde ab und wippte, während sie neben ihren Begleitern am Bache dahinzog, neckend ins Wasser, um durch aufspritzende Tropfen die Frisur und Sonntagskleider der jungen Herren zu gefährden.

 

August wollte sich das nicht gefallen lassen und lief auf sie zu, um ihr die Gerte zu entwinden, sie aber flüchtete auf einen Steg, der über den Bach führte, und verteidigte durch ihre Waffe den schmalen Zugang. Dabei glitt sie mit den Hackenschuhen aus und fiel ins Wasser. Es war unterhalb der Schwemme, das Bett des Baches war breit und hatte tiefe Stellen, sie aber schwamm, da ihr gesteifter Rock sich blähte, wie eine Wasserblume mit gehobenen Armen klagend abwärts. August sprang im Augenblick auf den Steg und in den Bach; doch er fand an der Stelle keinen Grund, und da der Aufenthalt im freien und kalten Wasser damals nicht zu den Ergötzlichkeiten eines wohlerzogenen Jünglings gehörte, so vermochte er durchaus nicht zu schwimmen. Durch den Schwung, den er sich beim Absprung gegeben, kam er der Gespielin nahe, so daß er sie mit der Hand erreichen konnte, aber er verbesserte ihre Lage nicht, denn er zog sie zu sich herunter. Friedrich dagegen war vom Ufer aus in den Bach gestiegen und watete zu den beiden Ringenden. Auch ihm ging das Wasser bis an das Kinn, bevor er sie erreichen konnte. Es gelang ihm, jedes an einem Arme zu packen und mit Anspannung aller Kraft an sich heranzuziehen; keuchend rief er dem Fräulein zu: »Umfassen Sie meinen Hals.« Sie hatte noch die Besinnung, zu gehorchen, und er hielt sie mit dem einen Arme fest, während er mit dem anderen den Bruder am Rocke ergriff. Aber obgleich Fritz ungewöhnlich stark war, wurde ihm die Last doch zu schwer, das Wasser stieg ihm bis an den Mund, seine Kraft schwand, und er wankte. Da vernahm er einen Zuruf, der Kahn des Müllers schoß heran, August wurde nicht ohne neue Gefahr in das Fahrzeug geschwenkt, und Fritz watete, die freie Hand am Kahn, in das Seichte zurück und erreichte mit dem Fräulein glücklich das Ufer. Als er ihre Hände, die seinen Hals krampfhaft umfaßt hielten, von sich löste, verlor sie die Besinnung. Die Müllerin lief mit einem Stuhle herzu, Dorchen wurde durch ein Tuch daran festgebunden und in die Stube getragen, wo die Müllerin, nachdem sie die Männer hinausgetrieben, ihr die Schnürbrust öffnete und die Erschöpfte durch Reiben und freundliches Zureden so weit herstellte, daß sie ihre nassen Kleider mit einem Anzuge der Frau vertauschen konnte. Den Jünglingen, die bleich und matt auf der Bank unter den Kornsäcken saßen, half der Müller mit seinem Knappen bei ähnlichem Kleiderwechsel. Als der Wagen mit den Müttern vom Schlosse kam, um die Geretteten abzuholen, lachten sie während der Rückfahrt einander wegen des Abenteuers und der Vermummung aus. Beide Jünglinge erhielten ihr Lob, welches allerdings mit Vorwürfen über die jugendliche Unbesonnenheit versetzt war; den Frauen hatte am meisten gefallen, daß August zur Stelle nachgesprungen war, und er empfing von ihnen mütterliche Liebkosungen; Herr König klopfte seinem Sohne Fritz zufrieden auf die Schulter und fragte laut: »Wer aber war der Retter?« Da antwortete Fritz ehrlich: »Der Müller!« – Als Dorchen kurz vor dem Aufbruche wieder in die Familienstube kam, immer noch schwach und verblichen, ging sie auf Fritz zu, sah ihn schweigend an und bot ihm die Hand. Gleich darauf eilte sie zu August, machte ihm einen tiefen Knicks und fragte: »Wie war es im Wasser, Sie dummes Gustchen?« Beim Abendgebet gab es in allen beteiligten Familien außergewöhnliche Danksagung und in der Nacht für die jungen Leute einen festen Schlaf.

Die Erlernung des Menuetts, wodurch in Haltung und Gemüt des Menschen vieles geändert wird, hatte auch das Verhältnis der Brüder zueinander gewandelt. Bis dahin waren sie wie untrennbar zusammen gewesen, jetzt saß Fritz oft allein über seinen Büchern, und der jüngere fand lustiger, mit Kameraden umherzustreifen, die ihm bequem geworden waren. Das ging eine Weile ohne Ärgernis, bis einst in der Dämmerung der Vater mit schnellem Schritt nach Hause kam und, ohne den Schlafrock anzuziehen, in die Arbeitsstube der Söhne trat.

»Weißt du, wo dein Bruder sich aufhält?« fragte er streng den Ältesten.

»Nein, Herr Vater.«

»Der Apotheker hat mir zugetragen, daß August mit lockeren Gesellen in der Hinterstube einer gemeinen Schenke tabagiert. Ist dir etwas davon bewußt?«

»Nein, Herr Vater.«

»Du ziehst dich sogleich an und kommst mit!«

Friedrich fuhr in seinen Rock, ergriff den Hut und begleitete den Vater, dem es heute schwer wurde, auf der Straße den ruhigen Schritt zu behaupten.

In einer Seitengasse, unweit dem Schenkhaus, hielt der Vater an. »Ich will dem Unglücklichen keine Demütigung vor den Bürgern bereiten. Geh hinein und führe ihn hierher.«

Friedrich trat mit trüben Ahnungen in die Tabagie. Schon vor der Haustür vernahm er Gesang, auch eine weibliche Stimme darunter, und als er in die Hinterstube drang, übersah er das ganze Unglück. Ein halbes Dutzend von Söhnen vornehmer Eltern saß in der kleinen, verräucherten Stube; jeder hatte eine große Stange dunkles Bier vor sich, und jeder hielt eine Tonpfeife in der Hand; aber was das Schlimmste war, Lene, ein dralles Mädchen, die Tochter des Schenkwirts, saß in bedenklicher Nähe des Bruders, der seinen Arm um ihren Hals gelegt hatte; und alle zusammen, August, Kameraden und Jungfer Lene, sangen recht herzlich, und zwar das wilde lateinische Lied: cerevisiam bibunt homines, ceter‘ animalia fontes, welches ein Dichter des deutschen Helikons also übertragen hat:

Nur die Menschen trinken Biere,

Wasser alle andren Tiere.

Friedrich brach erschrocken in die Orgie ein, neigte sich zum Ohr des erstaunten Bruders hinab und sagte leise: »Der Vater steht an der Ecke, ich soll dich herausholen.« August schnellte in die Höhe, hatte aber noch die Dreistigkeit, laut zu lügen: »Ich komme wieder«, und im Hausflur den Bruder zu bitten: »Verrate die Lene nicht.« Fritz führte den Schuldigen, nicht weniger heiß im Gesicht als dieser, dem Vater zu.

Herr König gönnte dem Sohne nur einen finsteren Blick und schritt voran dem Hause zu. Dort begann das Verhör und es kam alles ans Licht, denn die Beweise fehlten nicht, die geröteten Wangen verrieten geistiges Getränk und der Geruch in Haar und Kleidern den Kanaster. Auch die weibliche Stimme war auf der Straße vernommen worden, Fritz mußte zögernd bekennen, daß sie der Wirtstochter angehört hatte, und hielt für ein Glück, daß der Vater in seinem Zorne nicht nach dem räumlichen Abstand fragte, welcher zwischen dem dreisten Mädchen und dem Bruder gewesen war.

Es wurde für die Hausgenossen ein schmerzlicher Abend. Die Mutter weinte, der Vater, tief gekränkt durch die Ungebühr, verfügte drei Tage Stubenarrest, mit Ausnahme der Schulstunden, und August saß als Verurteilter über seinen Büchern, ohne hineinzusehen, denn er wußte, daß ihm noch das Schwerste bevorstand, die öffentliche Ermahnung bei der Abendandacht. Feierlicher als sonst traten die Dienstboten herein. August fühlte, daß ihre neugierigen Blicke auf ihm ruhten, er merkte die verweinten Augen der Mutter, aber er wagte gar nicht den Vater anzusehen, als dieser die Stimme erhob und dem Himmel die Ausgelassenheit des Sohnes noch einmal klagte, obwohl er überzeugt sein mußte, daß man dort oben über die ganze Angelegenheit bereits genügend unterrichtet sei. Als er zuletzt bat: »Wenn ich als Vater schuldig bin, weil ich ihn durch zu große Liebe und Nachsicht verwöhnt habe, so räche mein Vergehen nicht an seinem Leben«, da wurde auch August weich. Und als der Vater ihm winkte, näher zu treten und über seinem Haupte flehte, daß der Herr ihm Taten und Gedanken behüten möge, und als August die Tränen des Vaters auf seiner Stirn fühlte, da begann auch er zu schluchzen, obschon er ein Jüngling war, und küßte zerknirscht den Eltern die Hände. – Als nun alle weich, aber in gehobener Stimmung zu Bett gingen, mahnte Friedrich den Bruder in der Kammer: »Der Vater hat nicht alles gewußt.«

»Er ist streng genug gegen mich gewesen,« antwortete der Bestrafte, »ich bin immer froh, wenn die Nachtpredigt vorüber ist.« Doch Friedrich versetzte: »In dieser Stunde habe ich vor unserem Vater noch größere Ehrfurcht als sonst, und da ich kleiner war, ist er mir vorgekommen wie der Herrgott selbst und ich hätte vor ihm niederknien mögen. Aber heut wußte er das Ärgste nicht, mein Bruder, das mit der Lene.« August versuchte zu lachen, aber es gelang nicht recht, und Fritz fuhr fort: »Damit mein Schweigen kein großes Unrecht wird, und deiner Zukunft keinen Schaden bringt, so mußt du jetzt freiwillig dem himmlischen Vater versprechen, daß du niemals mehr mit ihr zusammenkommen willst.«

»Du bist noch kein Pfarrer,« versetzte der jüngere unwillig, »daß du mir so etwas zumuten darfst.«

»Ich bin dein Bruder und bin in Schuld gegen unseren Vater, weil ich verschwiegen habe, was ihn am meisten bekümmert hätte. Darum mußt du deinet- und meinetwegen freiwillig geloben, aber laut, damit ich es höre.« Und August mußte die Hände falten.

Das Ereignis warf finstere Schatten hinter sich. Obgleich Herr König vermieden hatte, selbst die Schenke zu betreten, so war das gewaltsame Herausziehen seines Sohnes doch mehrfach beobachtet worden, und ein mißgünstiger Momus versagte sich nicht, ein großes Skandalum daraus zu machen. Am zweiten Morgen nach der Orgie wurden öffentliche Anschläge gefunden, einer am Rathause, neben dem schwarzen Brett, einer sogar an der Kirchentür, in welchen die Geschichte gröblich und verleumderisch versifiziert dem Publikum erzählt ward. Zwar waren die Namen nicht genannt, doch deuteten Ausdrücke wie Rex und Regulus auf die Familie. In dem Libell war hämisch auf arrogante Leute gestichelt, welche für unanständig hielten, daß ihre Söhne Wirtshäuser besuchten, obwohl sie selbst in ihrem früheren Leben in schlechteren Herbergen verkehrt hätten, als die renommierte Schenke »Zur lustigen Wachtel« war. Um neun Uhr trug der Küster mit einer Empfehlung des Herrn Oberpfarrers das erste Exemplar in das Haus, um zehn Uhr brachte der Ratsdiener das zweite, um elf Uhr kam der Herr Bürgermeister selbst und nach ihm viele Bekannte. Alle bedauerten und verurteilten den Täter und alle verwunderten sich über das große Aufsehen, welches durch das Libell hervorgebracht wurde, alle hatten mit Wißbegierde gelesen und wiesen nach, daß noch mehr Abschriften existierten. Herr König empfand die Kränkung wie ein Mann in sauberem Kleide, welcher von einem Schornsteinfeger angestoßen wird, das Opus war witzlos, jämmerlich, durchaus verächtlich; auch blieb die Stadt nicht im Zweifel, von wem es herrührte. Da war ein heruntergekommener Magister Blasius, der allerdings angesehene Verwandte hatte, denn sein Bruder war doctor juris und kurfürstlicher Beamter; der Magister aber hatte sich auf Nichtstun und Völlerei gelegt, dazu eine Witfrau mit bitterbösem Gemüte geehelicht, und machte seitdem, wenn er zu Hause übel behandelt wurde, seinem Zorn durch satirische Ausfälle gegen die Menschheit Luft. Es wurde festgestellt, daß er an jenem Abende in der Vorderstube der Schenke gesessen hatte, und obwohl in dem Pasquill die Handschrift gut verstellt war, so blieb doch der Charakter des Poetasters kenntlich.

Was Herrn König die meiste Sorge bereitete, war der große Schmerz seiner Frau, welche weinend klagte, daß sie sich nicht mehr getraue, über die Straße zu gehen, weil jedermann spöttisch auf sie schaue. Wirklich wurde die Familie acht Tage lang durch teilnehmende Besuche und durch Gemurmel der Leute in Aufregung gehalten. Am schlimmsten war natürlich August daran, welcher von den Frauen bereits als verlorener Sohn betrachtet ward, auch Dorchens Mutter behandelte ihn eine Weile mit sichtlicher Kälte, nur Dorchen zeigte ihr gutes Herz, denn sie fragte ihn zwar neckend, wie ihm die Pfeife Tabak bekommen sei, aber sie lachte ihn dabei so freundlich an, daß er wohl merkte, sie sei ihm nicht böse.

Doch auch über dieses jammervolle Ereignis flutete der Zeitenstrom dahin, und nach einem Vierteljahr war die Reputation und das Wohlbehagen der Familie wieder auf die alte Höhe gebracht.