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Salambo: Ein Roman aus Alt-Karthago

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Hamilkar verstand ihn: die Söldner hielten die Ebene besetzt. Mit einem dumpfen Seufzer lehnte er sich auf den andern Ellbogen. Der Verwalter der Landgüter hatte nunmehr solche Furcht zu reden, daß er trotz seiner breiten Schultern und seiner dicken roten Augen entsetzlich zitterte. Sein Gesicht war stumpfnasig wie das einer Dogge. Auf dem Kopfe trug er ein Netz aus Rindenfasern, um die Hüften einen Gurt aus Leopardenfell, in dem zwei furchtbare Messer blinkten.

Sobald sich Hamilkar abwandte, begann er schreiend alle Götter anzurufen. Es wäre nicht seine Schuld! Er könne nichts dafür! Er hätte die Witterung, den Boden und die Sterne beobachtet, hätte die Anpflanzungen zur Zeit der Wintersonnenwende, die Ausholzungen bei abnehmendem Monde vorgenommen, die Sklaven beaufsichtigt, ihre Kleider geschont …

Seine Geschwätzigkeit ärgerte Hamilkar. Er schnalzte mit der Zunge, aber der Mann mit den Messern fuhr hastig fort:

»Ach, Herr, sie haben alles geplündert! Alles durcheinandergeworfen! Alles zerstört! In Maschala sind dreitausend Fuß Bäume niedergeschlagen, in Ubada die Speicher zertrümmert und die Zisternen verschüttet. In Tedes haben sie achthundert Metzen Mehl fortgeschleppt, in Marazzana alle Hirten getötet, die Herden verzehrt und dein Haus eingeäschert, dein schönes Haus aus Zedernholz, wo du im Sommer zu verweilen pflegtest! Die Sklaven von Teburba, die Gerste schnitten, sind in die Berge geflohen, und die Esel, die Maulesel und Maultiere, die Rinder von Taormina und die oringischen Pferde, – nicht eins ist mehr da, alle sind geraubt! Es ist ein Fluch! Ich überlebe das nicht!« Weinend fuhr er fort: »Ach, wüßtest du, wie die Keller gefüllt waren, wie die Pflüge glänzten! Und ach, die schönen Widder! Ach, die schönen Stiere!«

Hamilkar erstickte fast vor Zorn. Dann wetterte er los:

»Schweig! Bin ich denn ein Bettler? Keine Lügen! Sprecht die Wahrheit! Ich will alles wissen, was ich verloren habe, alles bis auf Heller und Pfennig, bis auf Zentner und Scheffel! Abdalonim, bring mir die Rechnungen über die Schiffe, über die Karawanen, die Landgüter und den Haushalt! Und wenn euer Gewissen nicht rein ist, wehe euern Häuptern! – Geht!«

Alle Verwalter gingen rücklings hinaus, tief gebeugt, so daß ihre Hände den Boden berührten.

Abdalonim nahm aus dem Mittelfache eines Schrankes, der in die Mauer eingebaut war, mit Knoten bedeckte Schnüre, Leinen- und Papyrosrollen und Schulterblätter von Schafen, die mit feiner Schrift bekritzelt waren. Er legte sie Hamilkar zu Füßen, gab ihm einen Holzrahmen in die Hand mit drei eingespannten Fäden, auf denen Kugeln von Gold, Silber und Horn aufgereiht waren. Sodann begann er:

»Hundertzweiundneunzig Häuser in der Straße der Mappalier, an Neukarthager zu einem Talent monatlich vermietet.«

»Die Miete ist zu hoch! Schone die Armen! Auch sollst du mir die Namen derer aufschreiben, die dir am kühnsten erscheinen, und zu ermitteln trachten, ob sie der Republik treu gesinnt sind. Weiter!«

Abdalonim zauderte. Solche Großmut überraschte ihn.

Hamilkar riß ihm die Leinwandrollen aus der Hand.

»Was ist das? Drei Paläste am Khamonplatze zu zwölf Kesitah den Monat? Setze zwanzig! Von Reichen laß ich mich nicht ausbeuten!«

Der Haushofmeister verneigte sich tief, dann fuhr er fort:

»An Tigillas bis Ende der Schiffahrtszeit ausgeliehen: zwei Talente zu dreiunddreißig ein drittel Prozent. Überseegeschäft! An Barmalkarth fünfzehnhundert Sekel gegen ein Pfand von dreißig Sklaven. Zwölf davon sind allerdings in den Salzteichen eingegangen …«

»Weil sie überhaupt schon kaputt waren!« lachte der Suffet. »Einerlei! Wenn er Geld braucht, soll er welches haben! Das Geld muß immer arbeiten, zu verschiedenem Zins, je nach dem Reichtum der Abnehmer.«

Der Diener las weiterhin rasch alle Einnahmen vor: aus den Eisenminen in Annaba, den Korallenfischereien, den Purpurfabriken, aus der Pacht der den ansässigen Griechen auferlegten Steuern, aus der Silberausfuhr nach Arabien, wo es zehnfachen Goldwert hatte, aus gekaperten Schiffen, – abzüglich des Zehnten für den Tempel der Göttin.

»Ich habe jedesmal ein Viertel weniger angegeben, Herr!«

Hamilkar rechnete mit den Kugeln der Rechenmaschine nach, die unter seinen Fingern klapperten.

»Genug! Was hast du in bar gezahlt?«

»An Stratonikles in Korinth und an drei Kaufleute in Alexandrien auf diese Wechsel hier – sie sind am Fälligkeitstage vorgezeigt worden – zehntausend athenische Drachmen und zwölf syrische Goldtalente. Verpflegung der Schiffsmannschaften, zwanzig Minen monatlich für jede Triere …«

»Ich weiß! Haben wir Verluste gehabt?«

»Die Rechnung darüber steht auf diesen Bleitafeln!« vermeldete der Beamte. »Was die mit andern Gesellschaftern gemeinsam befrachteten Schiffe anbetrifft, so mußte man mehrfach Ladungen über Bord werfen. Der Verlust ist auf alle Teilhaber verteilt worden. Für Tauwerk, das aus den Arsenalen geliehen wurde und nicht zurückerstattet werden konnte, haben die Syssitien vor dem Zuge nach Utika achthundert Kesitah gefordert …«

»Immer wieder die!« murmelte Hamilkar mit gesenktem Haupte. Eine Weile saß er wie niedergedrückt von dem großen Haß, den er auf sich lasten fühlte. »Aber ich finde die Ausgaben für Megara nicht!«

Abdalonim erbleichte und holte aus einem andern Schranke Tafeln von Sykomorenholz, die bündelweise auf Lederschnuren gereiht waren.

Hamilkar hörte neugierig auf die Einzelheiten des Haushaltsberichts. Die Eintönigkeit der Stimme, die ihm die Ziffern vorlas, beruhigte ihn allmählich. Dann las Abdalonim langsamer. Plötzlich ließ er die Holztafeln fallen und warf sich selbst mit ausgestreckten Armen lang auf den Boden, wie ein Verurteilter. Hamilkar hob die Tafeln mit gleichgültiger Miene auf. Doch seine Lippen öffneten sich, und seine Augen erweiterten sich, wie er unter den Ausgaben eines einzigen Tages einen ungeheuren Verbrauch an Fleisch, Fischen, Geflügel, Wein und Gewürz, dazu eine Aufzählung von zerbrochenen Gefäßen, getöteten Sklaven und verdorbenen Teppichen fand.

Abdalonim, noch immer am Boden liegend, berichtete ihm nun von dem Festschmause der Söldner. Er hätte sich dem Befehl der Alten nicht entziehen können; dazu habe Salambo gewünscht, daß die Soldaten auf das beste bewirtet werden sollten.

Beim Namen seiner Tochter fuhr Hamilkar mit einem Satz in die Höhe. Dann sank er auf die Kissen zurück. Er biß sich auf die Lippen, zerrte mit den Nägeln an den Fransen eines Kissens und atmete schwer. Sein Blick war starr.

»Steh auf!« gebot er und stieg herab.

Abdalonim folgte ihm mit schlotternden Knien. Dann aber griff er nach einer Eisenstange und machte sich daran, wie ein Rasender die Steinfliesen auszuheben. Eine Holzscheibe sprang hoch, und alsbald klappten in der Flucht des Ganges noch mehrere solcher großen Deckel auf: die Verschlüsse von Kellern zur Aufbewahrung von Getreide.

»Du siehst, Liebling der Götter,« sprach der Diener zitternd, »sie haben nicht alles genommen! Diese Keller sind tief, jeder fünfzig Ellen, und bis zum Rande gefüllt! Während deiner Reise habe ich sie anlegen lassen, auch welche in den Arsenalen, in den Gärten, überall! Dein Haus ist voll Korn, wie dein Herz voller Weisheit!«

Ein Lächeln überflog Hamilkars Antlitz.

»Das ist gut so, Abdalonim!« Und flüsternd sagte er ihm, sich neigend, ins Ohr: »Du wirst noch mehr kommen lassen, aus Etrurien, aus Bruttium, woher du willst und zu welchem Preise es auch sei! Häuf es an und bewahr es! Ich muß alleiniger Besitzer alles Getreides in Karthago sein!«

Dann, am Ende des Ganges, öffnete Abdalonim mit einem der Schlüssel, die an seinem Gürtel hingen, ein großes viereckiges Gemach, das in der Mitte durch Pfeiler von Zedernholz geteilt war. Goldne, silberne und eherne Münzen, auf Tischen aufgebaut oder in den Nischen hochgetürmt, häuften sich an allen vier Wänden bis zu den Dachbalken empor.

Ungeheure Koffer aus Flußpferdhaut standen in den Ecken und bargen ganze Reihen von kleineren Säcken. Haufen von Scheidemünzen wölbten sich auf dem Fußboden. Hier und dort war ein zu hoher Berg eingestürzt und glich nun einer zertrümmerten Säule. Die großen karthagischen Münzen mit dem Bilde der Tanit und eines Rosses unter einem Palmbaum mischten sich mit den Geldstücken der Kolonien, auf denen ein Stier, ein Stern, eine Kugel oder ein Halbmond zu sehen war. Weiterhin erblickte man, zu ungleichen Haufen geschichtet, Münzen von jedem Werte, jeder Form, jedem Zeitalter: von den alten assyrischen Münzen, dünn wie Fingernägel, bis zu den alten faustdicken Geldstücken Latiums, von dem knopfförmigen Geld Äginas bis zu den Tafeln der Baktrier und den kurzen Barren des alten Sparta. Manche waren mit Rost bedeckt, beschmutzt, im Wasser grünspanig geworden oder vom Feuer geschwärzt; man hatte sie mit Netzen aufgefischt oder nach Belagerungen in den Trümmern der Städte gefunden. Der Suffet hatte rasch überschlagen, ob die vorhandenen Summen mit den Einnahmen und Verlusten, die ihm Abdalonim verlesen, übereinstimmten, und er wollte schon hinausschreiten, als er drei große, bis auf den Grund leere eherne Krüge sah. Abdalonim wandte vor Entsetzen das Haupt ab, aber Hamilkar schwieg resigniert.

Sie durchschritten andre Gänge und Räume und kamen schließlich vor eine Tür, vor der zur besseren Bewachung an einer langen, um seinen Leib und an die Mauer geschmiedeten Kette ein Mann lag. (Das war eine römische Sitte, noch nicht lange in Karthago eingeführt.) Bart und Fingernägel des Angeketteten waren übermäßig lang, und er wiegte sich fortwährend nach rechts und nach links wie ein gefangenes Tier. Sobald er Hamilkar erkannte, stürzte er ihm entgegen und rief:

»Gnade! Liebling der Götter! Erbarmen! Töte mich! Zehn Jahre sind es nun, daß ich die Sonne nicht gesehen! Im Namen deines Vaters, Gnade!«

Ohne ihm zu antworten, klatschte Hamilkar in die Hände. Drei Männer erschienen, und alle vier zogen mit einem gleichzeitigen starken Ruck die riesige Eisenstange, die das Tor verschloß, aus ihren Ringen. Hamilkar ergriff eine Fackel und verschwand im Dunkeln.

 

Man hielt diesen Raum lediglich für die Familiengruft, doch hätte man hier höchstens einen weiten Schacht gefunden, angelegt, um die Diebe irrezuführen, doch ohne Inhalt. Hamilkar ging daran vorüber, dann bückte er sich, drehte einen schweren Mühlstein auf seinen Walzen und trat durch die so entstandene Öffnung in ein kegelförmiges Gemach.

Eherne Schuppen bedeckten die Wände. In der Mitte, auf einem Sockel aus Granit, erhob sich das Standbild eines der Kabiren, namens Aletes, das heißt des ewigen Pilgers, des Entdeckers der Silberbergwerke in Spanien. Am Boden standen, dicht um den Sockel herum und kreuzförmig angeordnet, breite goldne Schilde und riesige silberne Gefäße mit verschlossenem Halse und von wunderlicher Form, die zu nichts dienen konnten. Es war nämlich Brauch, Metallmassen derart einzuschmelzen, um ihre Verminderung oder gar ihre Entwendung fast unmöglich zu machen.

Hamilkar zündete mit seiner Fackel ein Lämpchen an, das an der Mütze des Götterbildes befestigt war, und plötzlich erstrahlte der Raum in grünen, gelben, blauen, violetten, weinfarbenen und blutroten Lichtern. Er war voller Edelsteine, in goldne Schalen gefüllt, die wie Lampenbecken an metallenen Trägern hingen. Andre standen, noch im Muttergestein, an der Mauer. Da funkelten Türkise, durch Schleuderwürfe von den Bergen abgesprengt; Karfunkel, aus dem Urin der Luchse entstanden; Glossopetren, vom Monde gefallen; Tyane, Diamanten, Sandaster, Berylle, Rubine aller drei Arten, Saphire aller vier Arten und Smaragde aller zwölf Arten. Sie schimmerten wie Milchtropfen, wie blaue Eiszapfen, wie Silberstaub, und sprühten ihr Licht in breiten Fluten, in feinen Strahlen und glühenden Sternen. Meteore, die der Donner erzeugt, blinkten neben Chalzedonen, die Vergiftungen heilen. Man sah Topase vom Berg Zabarka, die vor Erschrecken schützen; Opale aus Baktrien, die Fehlgeburten verhindern; Ammonshörner, die man unter das Bett legt, wenn man Träume haben will.

Die Lichter der Steine und der Lampenschein spiegelten sich in den großen goldnen Schilden. Hamilkar stand mit verschränkten Armen da und lächelte. Er ergötzte sich weniger am Anblick als am Bewußtsein seiner Reichtümer. Seine Schätze waren unerreichbar, unerschöpflich, unendlich. Seine Ahnen, die hier unter seinen Füßen schliefen, sandten seinem Herzen etwas von ihrer Unsterblichkeit. Er fühlte sich den unterirdischen Geistern nahe. Er empfand gleichsam die Freude eines Erdgeistes, und die langen leuchtenden Strahlen, die über sein Gesicht liefen, dünkten ihn wie die Maschen eines unsichtbaren Netzes, das ihn über Abgründe hin mit dem Mittelpunkt der Welt verknüpfte.

Da fiel ihm etwas ein, und er erbebte. Er begab sich hinter das Götterbild und schritt geradeaus auf die Wand zu. Nachdenklich betrachtete er eine Tätowierung auf seinem rechten Arm: eine wagerechte Linie in Verbindung mit zwei senkrechten: die kanaanitische Ziffer dreizehn. Nun zählte er bis zur dreizehnten Erzplatte, schlug nochmals seinen weiten Ärmel zurück, streckte die rechte Hand aus und las auf einer andern Stelle seines Arms andre verwickeltere Zeichen, während er seine Finger bewegte wie ein Lautenspieler. Endlich klopfte er mit seinem Daumen siebenmal auf. Ein ganzer Teil der Mauer drehte sich wie aus einem Stück.

Das war der geheime Zugang zu einem Keller, in dem sich geheimnisvolle Dinge befanden, die keinen Namen hatten, aber von unberechenbarem Werte waren. Hamilkar stieg die drei Stufen hinab, nahm aus einem Silberbecken ein Antilopenfell, das auf einer schwarzen Flüssigkeit schwamm, und stieg dann wieder hinauf.

Abdalonim begann wieder vor ihm herzuschreiten. Er stieß mit seinem langen Stabe, der am Knopf mit Schellen besetzt war, auf die Steinfliesen und rief vor jedem Gemache den Namen Hamilkars in einem Schwalle von Lobpreisungen und Segenswünschen.

In dem runden Saale, in den alle Gänge mündeten, waren längs der Mauern Alguminstangen, Säcke voll Henna, Kuchen aus lemnischer Erde und Schildkrötenschalen voller Perlen aufgestapelt. Der Suffet streifte alles das im Vorbeigehen mit seinem Gewande, ohne auch nur die riesigen Bernsteinstücke, diesen fast göttlichen, von den Sonnenstrahlen gebildeten Stoff, zu beachten.

Eine Wolke wohlriechenden Dampfes quoll ihnen entgegen.

»Öffne!«

Sie traten ein.

Nackte Männer kneteten teigige Massen, zerrieben Kräuter, schütteten Kohlen, gossen Öl in Krüge, öffneten und schlossen die kleinen eiförmigen Zellen, die rings in die Mauern führten und so zahlreich waren, daß der Raum dem Innern eines Bienenstockes glich. Myrobalan, Odellium, Safran und Veilchen quollen daraus hervor. Überall waren Harze, Pulver, Wurzeln, Glasflaschen, Filipendelzweige und Rosenblätter verstreut. Man erstickte schier in Gerüchen, trotz der Rauchwirbel des Storaxharzes, das in der Mitte auf einem ehernen Dreifuß knisternd kochte.

Der Verwalter der Parfümerienfabrik, lang und bleich wie eine Wachskerze, kam an Hamilkar heran, um in dessen Hand eine Rolle Metopion zu zerdrücken, während zwei andre Leute ihm die Fersen mit Bakkarisblättern einrieben. Der Suffet stieß sie zurück. Es waren Leute von verrufenen Sitten, die man jedoch wegen ihrer geheimen Kenntnisse schätzte.

Um seine Ergebenheit zu bezeugen, bot der Verwalter dem Suffeten auf einem Bernsteinlöffel etwas Malobathron als Probe dar. Dann durchstieß er mit einer Ahle drei indische Bezoarsteine. Hamilkar, der alle Kunstkniffe kannte, nahm ein Horn voll der Essenz, hielt es an die glühenden Kohlen und schüttete einen Tropfen auf sein Gewand. Ein brauner Fleck erschien darauf: die Tinktur war nicht echt! Er blickte den Verwalter scharf an und warf ihm, ohne ein Wort zu sagen, das Gazellenhorn ins Gesicht.

So aufgebracht er indes auch über die zu seinem Schaden begangene Fälschung war, so ordnete er doch bei der Besichtigung der Nardenvorräte, die man für überseeische Länder verpackte, interessiert an, Antimon darunter zu mischen, um die Ware schwerer zu machen.

Dann fragte er, wo sich die drei Kisten Psagas befänden, die zu seinem persönlichen Gebrauche bestimmt waren.

Der Aufseher gestand, daß er nicht wisse, wohin sie gekommen seien. Söldner mit Messern wären brüllend hereingestürzt, und er hätte ihnen die Kisten öffnen müssen.

»So fürchtest du sie mehr als mich!« schrie der Suffet, und seine Augen blitzten durch den Dampf wie Fackeln über den großen bleichen Mann hin, der zu begreifen begann. »Abdalonim! Vor Sonnenuntergang wirst du ihn Spießruten laufen lassen! Zerfleddere ihn!«

Dieser Verlust, geringer als die andern, hatte ihn erbittert, denn trotz seines Bemühens, die Barbaren aus seinen Gedanken zu verbannen, stieß er überall von neuem auf ihre Spuren. Ihre Ausschreitungen verschmolzen gleichsam mit der Schande seiner Tochter, und er zürnte dem ganzen Hause, daß es darum wisse und ihm doch nichts sage. Aber etwas trieb ihn, sich immer tiefer in sein Unglück zu verlieren, und von einer Art Spürwut ergriffen, besichtigte er in den Schuppen hinter dem Verwaltungshause die Vorräte an Erdpech, Holz, Ankern und Tauwerk, an Honig und Wachs, sodann die Bekleidungskammern, die Vorratsmagazine, das Marmorlager und den Silphiumspeicher.

Darauf besuchte er auf der andern Seite der Gärten die Hütten der Handwerker, deren Erzeugnisse verkauft wurden. Schneider stickten Mäntel. Andre flochten Netze, bemalten Kissen, schnitten Sandalen. Arbeiter aus Ägypten glätteten mit Muschelschalen Papyrus. Die Weberschiffchen schwirrten, die Ambosse der Waffenschmiede dröhnten.

Hamilkar sagte zu den letzteren:

»Schmiedet Schwerter! Schmiedet immerfort! Ich werde sie brauchen!«

Dabei zog er aus seinem Busen das giftgebeizte Antilopenfell, damit man ihm einen Harnisch daraus schnitte, fester denn aus Erz, einen, dem Feuer und Eisen nichts anhaben könnten.

Als er zu den Handwerkern trat, suchte ihn Abdalonim, in der Absicht, seinen Zorn von sich abzuwenden, gegen diese Leute aufzubringen, indem er ihre Arbeiten mürrisch tadelte:

»Was für eine Arbeit! Es ist eine Schande! Wahrhaftig, der Herr ist zu gut!«

Hamilkar ging weiter, ohne auf ihn zu hören.

Er verlangsamte seine Schritte, denn große, von oben bis unten verkohlte Bäume, wie man sie in den Wäldern findet, wo Hirten gelagert haben, versperrten den Weg. Die Zäune waren niedergerissen, das Wasser in den Gräben eingetrocknet, Glasscherben und Affenknochen lagen in großen Schlammpfützen umher. Hier und dort hingen Zeugfetzen an den Büschen. Unter den Limonenbäumen hatten sich verfaulte Blumen zu einem gelben häßlichen Haufen getürmt. Offenbar hatte sich die Dienerschaft um nichts gekümmert, im Glauben, der Herr käme nicht wieder heim.

Auf Schritt und Tritt entdeckte er immer neues Unheil, neue Beweise für das, was zu erforschen er sich untersagt hatte. Jetzt besudelte er sogar seine Purpurstiefel, indem er in Unrat trat. Warum hatte er die ganze Soldateska nicht im Schußfeld eines Geschützes, um sie kurz und klein zu schießen! Er fühlte sich gedemütigt, weil er ihre Partei genommen. Narretei! Verrat! Da er aber weder an den Söldnern, noch an den Alten, noch an Salambo oder an sonst jemandem Rache nehmen konnte und sein Zorn ein Ziel haben mußte, so verurteilte er in Bausch und Bogen sämtliche Gartensklaven zur Arbeit in den Bergwerken.

Abdalonim zitterte jedesmal, wenn er ihn die Richtung nach dem Tierparke zu nehmen sah. Aber Hamilkar schlug den Weg nach der Mühle ein, aus der ihm schwermütiger Gesang entgegenscholl.

Von Staub umhüllt drehten sich die schweren Mühlsteine, das heißt zwei übereinanderliegende Porphyrkegel, deren oberer einen Trichter trug und durch starke Stangen auf dem unteren bewegt wurde. Sklaven schoben sie mit Brust und Armen, während andere an Riemen zogen. Das Scheuern des Lederzeugs hatte an ihren Achseln eiternde Krusten gebildet, wie man sie auf dem Widerrist der Esel sieht; und der schwarze schlaffe Schurz, der ihre Hüften bedeckte, mit den herabhängenden Zipfeln, die wie lange Schwänze aussahen, schlug ihnen gegen die Kniekehlen. Ihre Augen waren gerötet, ihre Fußketten klirrten, ihre Lungen keuchten im Takte. Vor dem Munde trugen sie, an zwei Erzketten befestigt, Maulkörbe, so daß sie nicht von dem Mehl essen konnten. Ihre Hände steckten in Fausthandschuhen, damit sie auch nichts davon nahmen. Beim Eintritt des Herrn knarrten die hölzernen Stangen stärker. Das Korn knirschte beim Mahlen. Ein paar Arbeiter strauchelten und fielen. Die andern mühten sich weiter und schritten über sie hinweg.

Er fragte nach Giddenem, dem Sklavenaufseher. Er erschien. Seine Würde verriet sich im Reichtum seiner Kleidung. Seine an den Seiten geschlitzte Tunika war von feinem Purpur. Schwere Ohrringe zogen seine Ohren herab, und seine Wickelgamaschen hielt eine goldene Schnur fest, die sich von den Knöcheln zu den Hüften hinaufringelte, wie die Schlange um einen Baum. In seinen mit Ringen bedeckten Fingern hielt er eine Kette aus Gagatkugeln, ein Mittel, die an der Fallsucht Leidenden zu erkennen.

Hamilkar winkte ihm, die Maulkörbe abnehmen zu lassen. Da stürzten alle Sklaven mit einem Geschrei wie ausgehungerte Tiere über das Mehl her und verschlangen es, wobei sich ihre Gesichter in den Haufen vergruben.

»Du verlangst zu viel von ihnen!« versetzte der Suffet.

Giddenem antwortete, dies sei möglich, sonst wären sie aber nicht zu bändigen.

»Dann war es also umsonst, daß ich dich nach Syrakus in die Sklavenschule geschickt habe! Laß die andern kommen!«

Und die Köche, die Küfer, die Stallknechte, die Läufer, die Sänftenträger, die Badediener und die Weiber mit ihren Kindern, alle stellten sich im Garten in einer langen Reihe auf, die vom Verwaltungshause bis zu den Gehegen der wilden Tiere reichte. Sie hielten den Atem an. Ungeheure Stille durchdrang Megara. Die Sonne stand schräg über der Lagune unter der Totenstadt. Pfauen schrien. Hamilkar schritt ganz langsam die Front ab. »Was soll ich mit diesen Greisen?« fragte er. »Verkaufe sie! Zu viel Gallier! Das sind Trunkenbolde! Und zu viel Kreter! Das sind Lügner! Kaufe mir Kappadozier, Asiaten und Neger.«

Er wunderte sich über die geringe Zahl der Kinder. »Jedes Haus muß alljährlich Nachwuchs haben, Giddenem! Laß alle Nächte die Hütten offen, damit die Leute nach Belieben miteinander verkehren können!«

Dann ließ er sich die Diebe, die Trägen und die Widerspenstigen zeigen. Er erteilte Strafen und machte Giddenem Vorwürfe. Der senkte wie ein Stier seine niedrige Stirn, auf der die breiten Brauen zusammenstießen.

»Hier, Gottbegnadeter!« sagte er, auf einen kräftigen Libyer deutend. »Den da hat man mit einem Strick um den Hals ertappt!«

 

»So, du möchtest also sterben?« fragte ihn der Suffet verächtlich.

Der Sklave entgegnete in unerschrockenem Tone: »Ja!«

Der Fall bot ein Beispiel und war ein materieller Verlust. Aber unbekümmert darum gebot Hamilkar den Knechten:

»Führt ihn ab!«

Vielleicht hegte er insgeheim die Absicht, ein Opfer zu bringen. Er legte sich diesen Verlust auf, um schlimmerem vorzubeugen.

Giddenem hatte die Verstümmelten hinter den andern versteckt. Hamilkar bemerkte sie.

»Wer hat dir den Arm abgeschlagen?«

»Die Söldner, Gottbegnadeter!«

Dann fragte er einen Samniter, der schwankend dastand wie ein verwunderter Reiher.

»Und du, wer hat dir das angetan?«

Der Aufseher hatte ihm mit einer Eisenstange das Bein zerschmettert.

Diese sinnlose Grausamkeit empörte den Suffeten. Er rieß Giddenem die Gagatkette aus den Händen und schrie:

»Fluch dem Hunde, der seine Herde verletzt! Sklaven verstümmeln! Gütige Tanit! Ha, du richtest deinen Herrn zugrunde! Man ersticke ihn im Mist! – Und nun fehlen noch eine Menge! Wo sind sie? Hast du sie gemeinsam mit den Söldnern ermordet?«

Sein Gesichtsausdruck war so schrecklich, daß alle Weiber entflohen.

Die Sklaven verließen ihre Aufstellung und bildeten einen weiten Kreis um beide. Giddenem küßte wie wahnsinnig die Sandalen Hamilkars, der noch immer mit geballten Fäusten vor ihm stand.

In seinem selbst in der wildesten Schlacht klaren Geiste erinnerte er sich jetzt tausend häßlicher und schmählicher Dinge, an die er bisher nicht gedacht hatte. Im Licht seines Zornes hatte er jetzt wie im Wetterschein mit einem Schlage all sein Mißgeschick vor Augen. Die Verwalter der Landgüter waren entflohen, aus Furcht vor den Söldnern, vielleicht im Einverständnis mit ihnen. Alle betrogen ihn. Ach, schon zu lange bezwang er sich!

»Man führe sie her!« schrie er. »Und brandmarke sie auf der Stirn mit glühendem Eisen als Feiglinge!«

Man brachte Stricke herbei, Halseisen, Messer, Ketten, für die zur Bergwerksarbeit Verurteilten; Fußfesseln, um die Beine zusammenzupressen; Numellen, über die Schultern zu legen; ferner Skorpione, dreisträhnige Peitschen mit eisernen Haken an den Enden der Riemen. All dieses Folterzeug wurde in der Mitte des Gartens niedergelegt.

Dann wurden die Verurteilten mit dem Gesicht gegen die Sonne, gegen Moloch den Verzehrer, auf den Bauch oder Rücken hingestreckt, die mit Geißelung Bestraften aber aufrecht an Bäume gebunden und neben ihnen je zwei Männer aufgestellt, einer, der die Schläge zählte, und einer, der zuschlug.

Er bediente sich beider Arme. Die Riemen pfiffen und rissen die Rinde von den Platanen. Das Blut spritzte wie Regen auf die Blätter, und rote Fleischmassen wanden sich heulend am Fuße der Bäume. Die, denen Ketten angeschmiedet wurden, zerfetzten sich das Gesicht mit ihren Nägeln. Man hörte die Holzschrauben krachen. Dumpfe Schläge schallten. Bisweilen gellte ein schriller Schrei durch die Luft. In der Nähe der Küchen kauerten Männer zwischen zerfetzten Kleidungsstücken und abgerissenen Haaren und schürten mit Fächern die Kohlen. Geruch von verbranntem Fleische stieg empor. Die Gegeißelten brachen zusammen, doch die Stricke an ihren Armen hielten sie hoch. Sie schlossen die Augen und ließen die Köpfe von einer Schulter zur andern fallen. Die übrigen, die noch zusahen, begannen vor Entsetzen zu schreien, und die Löwen, die sich vielleicht des Festtages erinnerten, reckten sich gähnend hinauf zum Rand ihrer Gruben.

Da erblickte man Salambo oben auf ihrer Terrasse. Sie lief vor Entsetzen hin und her. Hamilkar bemerkte sie. Es schien ihm, als ob sie die Arme gegen ihn ausstreckte, um seine Gnade zu erbitten. Mit einer Gebärde des Abscheus wandte er sich nach dem Tierpark.

Die Elefanten waren der Stolz der vornehmen punischen Häuser. Sie hatten die Vorfahren getragen, in den Schlachten gesiegt, und man verehrte sie als Lieblinge der Sonne. Die von Megara waren die stärksten in Karthago. Vor seiner Abreise hatte Hamilkar Abdalonim schwören lassen, daß er sie auf das beste behüten wolle. Doch die meisten waren an ihren Verstümmelungen eingegangen, und nur drei lagen noch in der Mitte des Hofes im Sande vor ihren zertrümmerten Krippen.

Sie erkannten den Suffeten und kamen auf ihn zu.

Dem einen waren die Ohren fürchterlich zerschlitzt, der andre hatte am Knie eine breite Wunde, dem dritten war der Rüssel abgehauen. Die Tiere blickten ihren Herrn traurig wie denkende Wesen an, und der eine, der keinen Rüssel mehr hatte, versuchte, indem er die Knie beugte und seinen riesigen Kopf herabneigte, ihn mit dem Stumpf seines Rüssels zu streicheln.

Bei dieser Liebkosung des Tieres traten Hamilkar Tränen in die Augen. Er stürzte auf Abdalonim los.

»Ha! Elender! Ans Kreuz! Ans Kreuz!«

Ohnmächtig fiel Abdalonim nach rückwärts zu Boden.

Hinter der Purpurfabrik, aus der blauer Rauch langsam zum Himmel schmauchte, ertönte ein Schakalschrei. Hamilkar blieb stehen.

Der Gedanke an seinen Sohn hatte ihn plötzlich beruhigt, als ob ihn ein Gott berührt hätte. In ihm glaubte Hamilkar seine eignen Kräfte fortlebend, sein Ich ins Unbegrenzte weiterdauernd. Die Sklaven begriffen freilich nicht, warum er mit einem Male besänftigt war.

Auf dem Wege nach der Purpurfabrik kam er am Gefängnis vorüber, einem langen Gebäude aus schwarzen Steinen, das in einer großen viereckigen Grube erbaut war. Ringsum lief ein kleiner Steg mit Treppen an den vier Ecken.

Iddibal wartete offenbar die Nacht ab, ehe er das entscheidende Zeichen gab.

»Noch hab ich Zeit!« dachte Hamilkar und stieg in den Kerker hinab.

»Kehre um!« riefen ihm einige zu. Die Beherztesten folgten ihm.

Der Wind spielte mit der offenen Tür. Durch die engen Fenster lugte das Abendrot. Man sah im Innern zerbrochene Ketten an den Wänden hängen.

Das war von den Kriegsgefangenen übrig geblieben!

Da wurde Hamilkar totenbleich, und seine Begleiter, die sich von draußen über die Grube neigten, sahen, wie er sich mit der Hand an die Mauer stützte, um nicht umzufallen.

Der Schakal schrie dreimal hintereinander. Hamilkar blickte auf. Er sprach kein Wort, machte keine Gebärde.

Als die Sonne völlig untergegangen war, verschwand er hinter der Kaktushecke. Am Abend, in der Versammlung der Patrizier im Eschmuntempel, erklärte er beim Eintreten:

»Von den Göttern Erleuchtete! Ich nehme den Oberbefehl unsrer Armee gegen das Heer der Barbaren an!«