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Frau Bovary

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Zehntes Kapitel

Allmählich machten Rudolfs Befürchtungen auf Emma Eindruck. Zuerst hatte die Liebe sie berauscht, und so hatte sie an nichts andres gedacht. Jetzt aber, da ihr diese Liebe zu einer Lebensbedingung geworden war, erwachte die Furcht in ihr, es könne ihr etwas davon verloren gehen oder man könne sie ihr gar stören. Wenn sie von dem Geliebten wieder heimging, hielt sie mit rastlosen Blicken Umschau; sie spähte nach allem, was sich im Gesichtskreise regte, sie suchte die Häuser des Ortes bis hinauf in die Dachluken ab, ob jemand sie beobachte. Sie lauschte auf jedes Geräusch, jeden Tritt, jedes Rädergeknarr. Manchmal blieb sie stehen, blasser und zittriger als das Laub der Pappeln, die sich über ihrem Haupte wiegten.

Eines Morgens, auf dem Heimwege, erblickte sie mit einem Male den Lauf eines Gewehrs auf sich gerichtet. Es ragte schräg über den oberen Rand einer Tonne hervor, die zur Hälfte in einem Graben stand und vom Gebüsch verdeckt wurde. Vor Schreck halb ohnmächtig ging Emma dennoch weiter. Da tauchte ein Mann aus der Tonne wie ein Springteufel aus seinem Kasten. Er trug Wickelgamaschen bis an die Knie, und die Mütze hatte er tief ins Gesicht hereingezogen, so daß man nur eine rote Nase und bebende Lippen sah. Es war der Feuerwehrhauptmann Binet, der auf dem Anstand lag, um Wildenten zu schießen.

„Sie hätten schon von weitem rufen sollen!“ schrie er ihr zu. „Wenn man ein Gewehr sieht, muß man sich bemerkbar machen!“

Der Steuereinnehmer suchte durch seine Grobheit seine eigene Angst zu bemänteln. Es bestand nämlich eine landrätliche Verordnung, nach der man die Jagd auf Wildenten nur vom Kahne aus betreiben durfte. Bei allem Respekt vor den Gesetzen machte sich also Binet einer Übertretung schuldig. Deshalb schwebte er in steter Furcht, der Landgendarm könne ihn erwischen, und doch fügte die Aufregung seinem Vergnügen einen Reiz mehr zu. Wenn er so einsam in seiner Tonne saß, war er stolz auf sein Jagdglück und seine Schlauheit.

Als er erkannte, daß es Frau Bovary war, fiel ihm ein großer Stein vom Herzen. Er begann sofort ein Gespräch mit ihr.

„Es ist kalt heute! Ordentlich kalt!“

Emma gab keine Antwort. Er fuhr fort:

„Sie sind heute schon zeitig auf den Beinen?“

„Jawohl!“ stotterte sie. „Ich war bei den Leuten, wo mein Kind ist…“

„So so! Na ja! Und ich! So wie Sie mich sehen, sitze ich schon seit Morgengrauen hier. Aber das Wetter ist so ruppig, daß man auch nicht einen Schwanz vor die Flinte kriegt …“

„Adieu, Herr Binet!“ unterbrach sie ihn und wandte sich kurz von ihm ab.

„Ihr Diener, Frau Bovary!“ sagte er trocken und kroch wieder in seine Tonne.

Emma bereute es, den Steuereinnehmer so unfreundlich stehen gelassen zu haben. Zweifellos hegte er allerlei ihr nachteilige Vermutungen. Auf eine dümmere Ausrede hätte sie auch wirklich nicht verfallen können, denn in ganz Yonville wußte man, daß das Kind schon seit einem Jahre wieder bei den Eltern war. Und sonst wohnte in dieser Richtung kein Mensch. Der Weg führte einzig und allein nach der Hüchette. Somit mußte Binet erraten, wo Emma gewesen war. Sicherlich würde er nicht schweigen, sondern es ausklatschen! Bis zum Abend marterte sie sich ab, alle möglichen Lügen zu ersinnen. Immer stand ihr dieser Idiot mit seiner Jagdtasche vor Augen.

Als Karl nach dem Essen merkte, daß Emma bekümmert war, schlug er ihr vor, zur Zerstreuung mit zu „Apothekers“ zu gehen.

Die erste Person, die sie schon von draußen in der Apotheke im roten Lichte erblickte, war – ausgerechnet – der Steuereinnehmer. Er stand an der Ladentafel und sagte gerade:

„Ich möchte ein Lot Vitriol.“

„Justin,“ schrie der Apotheker, „bring mir mal die Schwefelsäure her!“ Dann wandte er sich zu Frau Bovary, die die Treppe zum Zimmer von Frau Homais hinaufgehen wollte.

„Ach, bleiben Sie nur gleich unten! Meine Frau kommt jeden Augenblick herunter. Wärmen Sie sich inzwischen am Ofen … Entschuldigen Sie!“ Und zu Bovary sagte er: „Guten Abend, Doktor!“ Der Apotheker pflegte nämlich diesen Titel mit einer gewissen Vorliebe in den Mund zu nehmen, als ob der Glanz, der darauf ruhte, auch auf ihn ein paar Strahlen würfe. „Justin, nimm dich aber in acht und wirf mir die Mörser nicht um! So! Und nun holst du ein paar Stühle aus dem kleinen Zimmer! Aber nicht etwa die Fauteuils aus dem Salon! Verstanden?“

Homais wollte selber zu seinen Fauteuils stürzen, aber Binet bat noch um ein Lot Zuckersäure.

„Zuckersäure?“ fragte der Apotheker eingebildet. „Kenne ich nicht! Gibt es nicht! Sie meinen wahrscheinlich Oxalsäure? Also Oxalsäure, nicht wahr?“

Der Steuereinnehmer setzte ihm auseinander, daß er nach einem selbsterfundenen Rezepte ein Putzwasser herstellen wollte, zur Reinigung von verrostetem Jagdgerät.

Bei dem Wort „Jagd“ schrak Emma zusammen.

Der Apotheker versetzte:

„Gewiß! Bei solch schlechtem Wetter braucht man das!“

„Es gibt aber doch Leute, die es nicht anficht!“ meinte Binet bissig.

Emma bekam keine Luft.

„Und dann möcht ich noch …“

„Will er denn ewig hier bleiben!“ seufzte sie bei sich.

„… je ein Lot Kolophonium und Terpentin, acht Lot gelbes Wachs und sieben Lot Knochenkohle, bitte! Zum Polieren meines Lederzeugs.“

Der Apotheker wollte gerade das Wachs abschneiden, als seine Frau erschien, die kleine Irma im Arme, Napoleon zur Seite, und Athalia hinterdrein. Sie setzte sich auf die mit Plüsch überzogene Fensterbank. Der Junge lümmelte sich auf einen niedrigen Sessel, während sich seine ältere Schwester am Kasten mit den Malzbonbons zu schaffen machte, in nächster Nähe von „Papachen“, der mit dem Trichter hantierte, die Fläschchen verkorkte, Etiketten darauf klebte und dann alles zu einem Paket verpackte. Um ihn herrschte Schweigen. Man hörte nichts, als von Zeit zu Zeit das Klappern der Gewichte auf der Wage und ein paar leise anordnende Worte, die der Apotheker dem Lehrling erteilte.

„Wie gehts Ihrem Töchterchen?“ fragte plötzlich Frau Homais.

„Ruhe!“ rief ihr Gatte, der den Betrag in das Geschäftsbuch eintrug.

„Warum haben Sies nicht mitgebracht?“ fragte sie weiter.

„Sst! Sst!“ machte Emma und wies mit dem Daumen nach dem Apotheker.

Binet, der in die erhaltene Nota ganz vertieft war, schien nicht darauf gehört zu haben. Endlich ging er. Erleichtert stieß Emma einen lauten Seufzer aus.

„Bißchen asthmatisch?“ bemerkte Frau Homais.

„Ach nein, es ist nur recht heiß hier!“ entgegnete Frau Bovary.

Alles das hatte zur Folge, daß die Liebenden tags darauf beschlossen, ihre Zusammenkünfte anders einzurichten. Emma schlug vor, ihr Hausmädchen ins Vertrauen zu ziehen und durch ein Geschenk mundtot zu machen. Rudolf aber hielt es für besser, in Yonville irgendein stilles Winkelchen ausfindig zu machen. Er versprach, sich darnach umzusehen.

Den ganzen Winter über kam er drei- oder viermal in der Woche bei Anbruch der Nacht in den Garten. Emma hatte ihm den Schlüssel zur Hinterpforte gegeben, während Karl glaubte, er sei verloren gegangen. Zum Zeichen, daß er da war, warf Rudolf jedesmal eine Handvoll Sand gegen die Jalousien. Emma erhob sich daraufhin, aber oft mußte sie noch warten, denn Karl hatte die Angewohnheit, am Kamine zu sitzen und ins Endlose hinein zu plaudern. Emma verging beinahe vor Ungeduld und wünschte ihren Mann wer weiß wohin. Schließlich begann sie ihre Nachttoilette zu machen; dann nahm sie ein Buch zur Hand und tat so, als sei das Buch über alle Maßen fesselnd. Karl ging indessen zu Bett und rief ihr zu, sie solle auch schlafen gehn.

„Komm doch, Emma!“ rief er. „Es ist schon spät!“

„Gleich! Gleich!“ erwiderte sie.

Das Kerzenlicht blendete ihn. Er drehte sich gegen die Wand und schlief ein. Sie schlüpfte hinaus, mit verhaltenem Atem, lächelnd, zitternd, halbnackt.

Rudolf hüllte sie ganz mit hinein in seinen weiten Mantel, schlang die Arme um sie und zog sie wortlos hinter in den Garten, in die Laube, auf die morsche Holzbank, auf der sie dereinst so oft mit Leo gesessen hatte. Das war an Sommerabenden gewesen. Wie verliebt hatten seine Augen geschimmert! Aber jetzt dachte Emma nicht mehr an ihn.

Durch die kahlen Zweige der Jasminbüsche funkelten die Sterne. Hinter dem Paare rauschte der Bach, und hin und wieder knackte am Ufer das vertrocknete hohe Schilf. Manchmal formte es sich im Dunkel zu einem massigen Schatten, der mit einem Male Leben bekam, sich emporrichtete und wieder neigte und wie ein schwarzes Ungetüm auf die beiden zuzukommen schien, um sie zu erdrücken.

In der Kälte der Nacht wurden ihre Umarmungen um so inniger und ihr Liebesgestammel um so inbrünstiger. Ihre Augen, die sie gegenseitig kaum erkennen konnten, erschienen ihnen größer, und in der Stille ringsum bekamen ihre ganz leise geflüsterten Worte einen kristallenen Klang, drangen tief in die Seelen und zitterten in ihnen tausendfach wider.

Wenn die Nacht regnerisch war, flüchteten sie in Karls Sprechzimmer, das zwischen dem Wagenschuppen und dem Pferdestall gelegen war. Emma zündete eine Küchenlampe an, die sie hinter den Büchern bereitgestellt hatte. Rudolf machte sichs bequem, als sei er zu Hause. Der Anblick der „Bibliothek“, des Schreibtisches, der ganzen Einrichtung erregte seine Heiterkeit. Er konnte nicht umhin, über Karl allerhand Witze zu machen, was Emma ungern hörte. Sie hätte ihn viel lieber ernst sehen mögen, ihretwegen theatralischer, wie er es einmal gewesen war, als sie in der Pappelallee das Geräusch von näherkommenden Tritten hinter sich zu vernehmen wähnten.

„Es kommt jemand!“ sagte sie einmal.

Er blies das Licht aus.

„Hast du eine Pistole bei dir?“

„Wozu?“

„Damit du … dich … verteidigen kannst!“

„Gegen deinen Mann? Der arme Junge!“ Dazu machte er eine Gebärde, die etwa sagen sollte: „Der mag mir nur kommen!“

Dieser Mut entzückte sie, wenngleich sie die Unzartheit und urwüchsige Roheit heraushörte und darüber entsetzt war.

 

Rudolf dachte viel über diese kleine Szene nach.

„Wenn das ihr Ernst war,“ sagte er sich, „so war das recht lächerlich, sogar häßlich.“ Er hatte doch wahrlich keinen Anlaß, ihren gutmütigen Mann zu hassen. Sozusagen „von Eifersucht verzehrt“, das war er nicht. Überdies hatte ihm Emma ihre körperliche Treue mit einem feierlichen Eid beteuert, der ihm ziemlich abgeschmackt erschienen war. Überhaupt fing sie an, recht sentimental zu werden. Er hatte Miniaturbildnisse mit ihr tauschen müssen, und sie hatten sich alle beide eine ganze Handvoll Haare für einander abgeschnitten, und jetzt wünschte sie sich sogar einen wirklichen Ehering von ihm, zum Zeichen ewiger Zusammengehörigkeit. Häufig schwärmte sie ihm von den Abendglocken vor oder von den Stimmen der Natur. Oder sie erzählte von ihrer seligen Mutter und wollte von der seinigen etwas wissen. Rudolfs Mutter war schon zwanzig Jahre tot. Trotzdem tröstete ihn Emma mit allerlei Koseworten der Klein-Kindersprache, als ob es gölte, ein Wickelkind zu beruhigen. Mehr als einmal hatte sie, zu den Sternen aufblickend, ausgerufen:

„Ich glaube fest, da droben, unsre beiden Mütter segnen unsre Liebe!“

Aber sie war so hübsch! Und eine so unverdorbene Frau hatte er noch nie besessen. Solch eine Liebschaft ohne Unzüchtigkeiten war ihm, der das Verdorbenste kannte, etwas ganz Neues, das seinen Mannesstolz und seine Sinnlichkeit verführerisch umschmeichelte. Selbst Emmas Überschwenglichkeiten, so zuwider sie einem Naturmenschen wie ihm waren, fand er bei näherer Betrachtung reizend, da sie doch ihm galten. Aber weil er so sicher war, daß er geliebt wurde, ließ er sich gehen, und allmählich änderte sich sein Benehmen.

Nicht mehr wie einst hatte er für sie jene süßen Worte, die Emma zu Tränen rührten, nicht mehr die stürmischen Liebkosungen, die sie toll gemacht hatten. Und so kam es ihr vor, als ob der Strom ihrer eignen großen Liebe, in der sie völlig untergetaucht war, niedriger würde; sie sah gleichsam auf den schlammigen Grund. Vor dieser Erkenntnis schauderte sie, und darum verdoppelte sie ihre Zärtlichkeiten. Rudolf indessen verriet seine Gleichgültigkeit immer mehr.

Emma war sich selber nicht klar darüber, ob sie es bereuen müsse, sich ihm geschenkt zu haben, oder ob es nicht besser für sie sei, wenn sie ihn noch viel mehr liebte. Dann aber begann sie ihre Schwachheit als Schmach zu empfinden, und der Groll darüber beeinträchtigte ihr den sinnlichen Genuß. Sie gab sich ihm nicht mehr hin, sie ließ sich jedesmal von neuem verführen. Aber er meisterte sie, und sie fürchtete sich beinahe vor ihm.

Ihre Beziehungen zueinander gewannen nach außen ein harmloses Gepräge wie nie zuvor. Das war so recht nach Rudolfs Wunsch. So war ihm der Ehebruch recht. Nach einem halben Jahre, als der Frühling ins Land kam, waren sie fast wie zwei Eheleute zueinander, die ihre Liebesopfer an der gemütlichen Flamme des häuslichen Herdes bringen.

Um diese Zeit schickte Vater Rouault wie alljährlich eine Truthenne zur Erinnerung an das geheilte Bein. Mit der Gabe kam, wie immer, ein Brief. Emma zerschnitt den Bindfaden, mit dem er an den Korb gebunden war, und las die folgenden Zeilen:

„Meine liben Kinder, hofentlig trift euch di hir gesund und wol und is si so gut wi di früeren. Mir komt sie nämlig ein bissel zarter vor sozusagen nich so kombakt, das nächste mal schik ich euch zur abwekslung mal einen Han oder wolt ür liber ein par junge un schikt mir den Korb zerük, bite un auch di vorgen, ich hab Unglük mit der römise gehabt der ihr Dach ist mir neulig nachts bei dem grosen Sturm in die Bäume geflogen, die ernte ist diesmal nich besonders berümt. Kurz und gut ich weis nicht wan ich zu euch zu besuch kome, das ist jez so ne Sache, ich kan schwer vom Hofe weg seit ich allein bin meine arme Emma.“

Hier war ein großer Absatz, als ob der gute Mann seine Feder hingelegt hatte, um dazwischen eine Weile zu träumen.

„Was mich anbelangt so gehts mir leidlig bis auf den Schnuppen den ich mir neulig auf der messe in Yvetot geholt hab wo ich war, einen neuen Schäfer zu mieten. Den alten hab ich nämlig nausgeschmisen wegen seiner Grosen klape. Es is wirklig schrecklig mit diesen Gesindel, mausen tat er übrigens auch.

„Von nem Hausierer der vergangnen Winter durch eure Gegend gekomen is und sich bei euch nen Zan hat zihn lasen, hab ich vernomen das Karl imer feste ze tun hat. Das wundert mich kar nich und den Zan hat er mir gezeigt. Ich hab in zu ner tase Kafee dabehalten. Ich fragt in ob er dich auch gesehen hat, da sagte er Nein aber im Stale häte er zwei Gäule stehn sehn woraus ich schlise das der kurkenhandel bei euch gut geht. Das freut mich sehr meine liben Kinder der libe got mög euch ales möglige Glük schenken. Es tut mir sör leid das ich mein libes Enkelkind Berta Bovary noch imer nich kene. Ich habe für si unter deiner Stube ein Flaumenbäumgen geflanzt. Das sol nich angerürt werden auser später um die Flaumen für Berta einzumagen. Di werde ich dan im schrank aufheben und wen si komt krigt si imer welge. Adiö libe Kinder. Ig küse dich libe Emma un auch dich liber Schwigerson und di kleine auf ale beide Baken un verbleibe mit tausen Grüsen euer euch libender vater

Theodor Rouault.“

Ein paar Minuten hielt sie das Stück grobes Papier noch nach dem Lesen in den Händen. Die Verstöße gegen die Rechtschreibung jagten sich in den väterlichen Zeilen nur so, aber Emma ging einzig und allein dem lieben Geist darin nach, der wie eine Henne aus einer dicken Dornenhecke allenthalben hervorgackerte. Rouault hatte die noch nassen Schriftzüge offenbar mit Herdasche getrocknet, denn aus dem Briefe rieselte eine Menge grauen Staubes auf das Kleid der Leserin. Sie glaubte, den Vater geradezu leibhaftig vor sich zu sehen, wie er sich nach dem Aschekasten bückte. Ach, wie lange war es schon her, daß sie nicht mehr bei ihm war! Im Geiste sah sie sich wieder auf der Bank am Herde sitzen, wie sie das Ende eines Steckens an der großen Flamme des Funken sprühenden Ginsterreisigs anbrennen ließ. Und dann dachte sie zurück an gewisse sonnendurchglühte Sommerabende, wo die Füllen so hell aufwieherten, wenn man in ihre Nähe kam, und dann weggaloppierten. Diese drolligen Galoppsprünge! Im Vaterhause, unter ihrem Fenster, da stand ein Bienenkorb, und manchmal waren die Bienen, wenn sie in der Sonne ausschwärmten, gegen die Scheiben geflogen wie fliegende Goldkugeln. Das war doch eigentlich eine glückliche Zeit gewesen! Voller Freiheit! Voller Erwartung und voller Illusionen! Nun waren sie alle zerronnen! Bei dem, was sie erlebt, hatte sie ihre Seele verbraucht, in allen den verschiedenen Abschnitten ihres Daseins, als junges Mädchen, dann als Gattin, zuletzt als Geliebte. Sie hatte von ihrer Seele verloren in einem fort, wie jemand, der auf einer Reise in jedem Gasthause immer ein Stück von seinen Habseligkeiten liegen läßt.

Aber warum war sie denn so unglücklich? Was war Bedeutsames geschehen, daß sie mit einem Male aus allen Himmeln gestürzt war? Sie erhob sich und blickte um sich, gleichsam als suche sie den Anlaß ihres Herzeleids.

Ein Strahl der Aprilsonne glitzerte auf dem Porzellan des Wandbrettes. Im Kamin war Feuer. Durch ihre Hausschuhe hindurch spürte sie den weichen Teppich. Es war ein heller Frühlingstag, und die Luft war lau.

Da hörte sie, wie ihr Kind draußen laut aufjauchzte.

Die kleine Berta rutschte im Grase herum. Das Kindermädchen wollte sie am Kleide wieder in die Höhe ziehen. Lestiboudois war dabei, den Rasen zu scheren. Jedesmal, wenn er in die Nähe des Kindes kam, streckte es ihm beide Ärmchen entgegen.

„Bring sie mir mal herein!“ rief sie dem Mädchen zu und riß ihr Töchterchen hastig an sich, um es zu küssen. „Wie ich dich liebe, mein armes Kind! Wie ich dich liebe!“

Als sie bemerkte, daß es am Ohre etwas schmutzig war, klingelte sie rasch und ließ sich warmes Wasser bringen. Sie wusch die Kleine, zog ihr frische Wäsche und reine Strümpfe an. Dabei tat sie tausend Fragen, wie es mit der Gesundheit der Kleinen stehe, just als sei sie von einer Reise zurückgekehrt. Schließlich küßte sie sie noch einmal und gab sie tränenden Auges dem Mädchen wieder. Felicie war ganz verdutzt über diesen Zärtlichkeitsanfall der Mutter.

Am Abend fand Rudolf, Emma sei nachdenklicher denn sonst.

„Eine vorübergehende Laune!“ tröstete er sich.

Dreimal hintereinander versäumte er das Stelldichein. Als er wieder erschien, behandelte sie ihn kühl, fast geringschätzig.

„Schade um die Zeit, mein Liebchen!“ meinte er. Und er tat so, als merke er weder ihre sentimentalen Seufzer noch das Taschentuch, das sie herauszog.

Jetzt kam wirklich die Reue über sie. Sie fragte sich, aus welchem Grunde sie eigentlich ihren Mann hasse und ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie ihm treu hätte bleiben können. Aber Karl bot ihr keine besondere Gelegenheit, ihm ihren Gefühlswandel zu offenbaren. Wenn der Apotheker nicht zufällig eine solche heraufbeschworen hätte, wäre alle ihre hingebungsvolle Anwandlung tatenlos geblieben.

Elftes Kapitel

Homais hatte letzthin die Lobpreisung einer neuen Methode, Klumpfüße zu heilen, gelesen, und als Fortschrittler, der er war, verfiel er sofort auf die partikularistische Idee, auch in Yonville müsse es strephopodische Operationen geben, damit es auf der Höhe der Kultur bleibe.

„Was ist denn dabei zu riskieren?“ fragte er Frau Bovary. Er zählte ihr die Vorteile eines solchen Versuches an den Fingern auf. Erfolg so gut wie sicher. Wiederherstellung des Kranken. Befreiung von einem Schönheitsfehler. Bedeutende Reklame für den Operateur. „Warum soll Ihr Herr Gemahl nicht beispielsweise den armen Hippolyt vom Goldnen Löwen kurieren? Bedenken Sie, daß er seine Heilung allen Reisenden erzählen würde. Und dann …“ Der Apotheker begann zu flüstern und blickte scheu um sich, „… was sollte mich daran hindern, eine kleine Notiz darüber in die Zeitung zu bringen? Du mein Gott! So ein Artikel wird überall gelesen … man spricht davon … schließlich weiß es die ganze Welt. Aus Schneeflocken werden am Ende Lawinen! Und wer weiß? Wer weiß?“

Warum nicht? Bovary konnte in der Tat Erfolg haben. Emma hatte gar keinen Anlaß, Karls chirurgische Geschicklichkeit zu bezweifeln, und was für eine Befriedigung wäre es für sie, die geistige Urheberin eines Entschlusses zu sein, der sein Ansehen und seine Einnahmen steigern mußte. Sie verlangte mehr als bloß die Liebe dieses Mannes.

Vom Apotheker und von seiner Frau bestürmt, ließ sich Karl überreden. Er bestellte sich in Rouen das Werk des Doktors Düval, und nun vertiefte er sich jeden Abend, den Kopf zwischen den Händen, in diese Lektüre. Während er sich über Pferdefußbildungen, Varus und Valgus, Strephocatopodie, Strephendopodie, Strephexopodie (d.h. über die verschiedenartigen inneren und äußerlichen Verkrüppelungen des menschlichen Fußes), Strephypopodie und Strephanopodie (das sind Fußleiden, die oberhalb oder unterhalb der Verkrüppelung um sich greifen) unterrichtete, suchte Homais den Hausknecht vom Goldnen Löwen mit allen Mitteln der Überredungskunst zur Operation zu bewegen.

„Du wirst höchstens einen ganz leichten Schmerz spüren“, sagte er zu ihm. „Es ist nichts weiter als ein Einstich wie beim Aderlassen, nicht schlimmer, als wenn du dir ein Hühnerauge schneiden läßt.“

Hippolyts blöde Augen blickten unschlüssig um sich.

„Im übrigen“, fuhr der Apotheker fort, „kann mirs natürlich ganz egal sein. Dein Nutzen ist es. Ich rate dirs nur aus purer Nächstenliebe. Mein lieber Freund, ich möchte dich gar zu gern von deinem scheußlichen Hinkfuß befreit sehen, von diesem ewigen Hin- und Herwackeln mit den Hüften. Du kannst dagegen sagen, was du willst: es stört dich in der Ausübung deines Berufs doch erheblich!“

Nun schilderte ihm Homais, wie frei und flott er sich nach einer Operation werde bewegen können. Auch gab er ihm zu verstehen, daß er dann mehr Glück bei den Weibern haben würde, worüber der Bursche albern grinste.

„Schockschwerebrett! Du bist doch auch ein Mann! Du hättest doch auch nicht kneifen können, wenn man dich zu den Soldaten ausgehoben und in den Krieg geschickt hätte! Also Hippolyt!“

Homais wandte sich von ihm ab und meinte, so ein Dickkopf sei ihm noch nicht vorgekommen. Er begreife nicht, wie man sich den Wohltaten der Wissenschaft derartig störrisch entziehen könne.

Endlich gab der arme Schlucker nach. Das war ja die reine Verschwörung gegen ihn! Binet, der sich sonst niemals um die Angelegenheiten anderer kümmerte, die Löwenwirtin, Artemisia, die Nachbarn und selbst der Bürgermeister, alle drangen sie in ihn, redeten ihm zu und machten ihn lächerlich. Und was vollends den Ausschlag gab: die Operation sollte ihm keinen roten Heller kosten. Bovary versprach sogar, Material und Medikamente umsonst zu liefern. Emma war die Anstifterin dieser Generosität. Karl pflichtete ihr bei und sagte sich im stillen: „Meine Frau ist doch wirklich ein Engel!“

 

Beraten vom Apotheker, ließ Karl nach drei fehlgeschlagenen Versuchen durch den Tischler unter Beihilfe des Schlossers eine Art Gehäuse anfertigen. Es wog beinahe acht Pfund, und an Holz, Eisen, Blech, Leder, Schrauben usw. war nicht gespart worden.

Um nun zu bestimmen, welche Sehne zu durchschneiden sei, mußte zunächst festgestellt werden, welche besondere Art von Klumpfuß hier vorlag. Hippolyts Fuß setzte sich an sein Schienbein nahezu geradlinig an. Dazu war er noch nach innen zu verdreht. Es war also Pferdefuß, verbunden mit etwas Varus oder, anders ausgedrückt, ein Fall leichten Varus mit starker Neigung zu einem Pferdefuß.

Trotz dieses Klumpfußes, der in der Tat plump wie ein Pferdehuf war und runzelige Haut, ausgedörrte Sehnen und dicke Zehen mit schwarzen wie eisern aussehenden Nägeln hatte, war der Krüppel von früh bis abend munter wie ein Wiesel. Man sah ihn unaufhörlich im Hofe um die Wagen herumhumpeln. Es hatte sogar den Anschein, als sei sein mißratenes Bein kräftiger denn das gesunde. Offenbar hatte sich Hippolyt, von Jugend auf im schweren Dienst, sehr viel Geduld und Ausdauer zu eigen gemacht.

An einem Pferdefuß muß zunächst die Achillessehne durchschnitten werden, dann die vordere Schienbeinmuskel. Eher kann der Varus nicht beseitigt werden. Karl wagte es kaum, beide Schnitte auf einmal zu machen. Auch hatte er große Angst, einen wichtigen Teil zu verletzen. Seine anatomischen Kenntnisse waren mangelhaft.

Ambrosius Paré, der fünfzehn Jahrhunderte nach Celsus die erste unmittelbare Unterbindung einer Arterie wagte, Düpuytren, der es unternahm, einen Abszeß am Gehirn zu öffnen, Gensoul, der als erster eine Oberkiefer-Abtragung ausführte, – allen diesen hat sicherlich nicht so das Herz geklopft und die Hand gezittert, und sie waren gewiß nicht so aufgeregt wie Bovary, als er Hippolyt unter sein Messer nahm.

Im Stübchen des Hausknechts sah es aus wie in einem Lazarett. Auf dem Tische lagen Haufen von Scharpie, gewichste Fäden, Binden, alles was in der Apotheke an Verbandszeug vorrätig gewesen war. Homais hatte das alles eigenhändig vorbereitet, sowohl um die Leute zu verblüffen als auch um sich selbst etwas vorzumachen.

Karl führte den Einschnitt aus. Ein platzendes Geräusch. Die Sehne war zerschnitten, die Operation beendet.

Hippolyt war vor Erstaunen außer aller Fassung. Er nahm Bovarys Hände und bedeckte sie mit Küssen.

„Erst mal Ruhe!“ gebot der Apotheker. „Die Dankbarkeit für deinen Wohltäter kannst du ja später bezeigen!“

Er ging hinunter, um das Ereignis den fünf oder sechs Neugierigen mitzuteilen, die im Hofe herumstanden und sich eingebildet hatten, Hippolyt werde erscheinen und mit einem Male laufen wie jeder andere. Karl schnallte seinem Patienten das Gehäuse an und begab sich sodann nach Haus, wo ihn Emma angstvoll an der Türe erwartete. Sie fiel ihm um den Hals.

Sie setzten sich zu Tisch. Er aß viel und verlangte zum Nachtisch sogar eine Tasse Kaffee; diesen Luxus erlaubte er sich sonst nur Sonntags, wenn ein Gast da war.

Der Abend verlief in heiterer Stimmung unter Gesprächen und gemeinsamem Pläneschmieden. Sie plauderten vom kommenden Glücke, von der Hebung ihres Hausstandes. Er sah seinen ärztlichen Ruf wachsen, seinen Wohlstand gedeihen und die Liebe seiner Frau immerdar währen. Und sie, sie fühlte sich beglückt und verjüngt, gesünder und besser in ihrer wiedererstandenen leisen Zuneigung für diesen armen Mann, der sie so sehr liebte. Flüchtig schoß ihr der Gedanke an Rudolf durch den Kopf, aber ihre Augen ruhten alsbald wieder auf Karl, und dabei bemerkte sie erstaunt, daß seine Zähne eigentlich gar nicht häßlich waren.

Sie waren bereits zu Bett, als Homais trotz der Abwehr des Mädchens plötzlich ins Zimmer trat, in der Hand ein frisch beschriebenes Stück Papier. Es war der Reklame-Aufsatz, den er für den „Leuchtturm von Rouen“ verfaßt hatte. Er brachte ihn, um ihn dem Arzte zum Lesen zu geben.

„Lesen Sie ihn vor!“ bat Bovary.

Der Apotheker tat es:

„Ungeachtet der Vorurteile, in die ein Teil der Europäer noch immer verstrickt ist wie in ein Netz, beginnt es in unserer Gegend doch zu tagen. Am Dienstag war unser Städtchen Yonville der Schauplatz einer chirurgischen Tat, die zugleich ein Beispiel edelster Menschenliebe ist. Herr Karl Bovary, einer unserer angesehensten praktischen Ärzte, …“

„Ach, das ist zu viel! Das ist zu viel!“ unterbrach ihn Karl, vor Erregung tief atmend.

„Aber durchaus nicht! Wieso denn?“

Er las weiter:

„… hat den verkrüppelten Fuß …“

Er unterbrach sich selbst:

„Ich habe hier absichtlich den terminus technicus vermieden, wissen Sie! In einer Tageszeitung muß alles gemeinverständlich sein … die große Masse …“

„Sehr richtig!“ meinte Bovary. „Bitte fahren Sie fort!“

„Ich wiederhole:

Herr Karl Bovary, einer unserer angesehensten praktischen Ärzte, hat den verkrüppelten Fuß eines gewissen Hippolyt Tautain operiert, des langjährigen Hausknechts im Hotel zum Goldnen Löwen der verwitweten Frau Franz am Markt. Das aktuelle Ereignis und das allgemeine Interesse an der Operation hatten eine derartig große Volksmenge angezogen, daß der Zugang zu dem Etablissement gesperrt werden mußte. Die Operation selbst vollzog sich wunderbar schnell. Bluterguß trat so gut wie nicht ein. Kaum ein paar Blutstropfen verrieten, daß ein hartnäckiges Leiden endlich der Macht der Wissenschaft wich. Der Kranke verspürte dabei erstaunlicherweise – wie der Berichterstatter als Augenzeuge versichern darf – nicht den geringsten Schmerz, und sein Zustand läßt bis jetzt nichts zu wünschen übrig. Allem Dafürhalten nach wird die vollständige Heilung rasch erfolgen, und wer weiß, ob der brave Hippolyt nicht bei der kommenden Kirmes mit den flotten Urlaubern um die Wette tanzen und seine Wiederherstellung durch muntere Sprünge feiern wird? Ehre aber den hochherzigen Gelehrten, Ehre den unermüdlichen Geistern, die ihre Nächte der Menschheit zum Heile opfern! Ehre, dreimal Ehre ihnen!

Der Tag wird noch kommen, wo verkündet werden wird, daß die Blinden sehen, die Tauben hören und die Lahmen gehen! Was der kirchliche Aberglaube ehedem nur den Auserwählten versprach, schenkt die Wissenschaft mehr und mehr allen Menschen. Wir werden unsere verehrten Leser über den weiteren Verlauf dieser so ungemein merkwürdigen Kur auf dem laufenden erhalten.“

Trotz alledem kam fünf Tage darauf die Löwenwirtin ganz verstört gelaufen und rief:

„Zu Hilfe! Er stirbt! Ich weiß nicht, was ich machen soll!“

Karl rannte Hals über Kopf nach dem Goldnen Löwen, und der Apotheker, der den Arzt so über den Markt stürmen sah, verließ sofort im bloßen Kopfe seinen Laden. Atemlos, aufgeregt und mit rotem Gesichte erreichte er den Gasthof und fragte jeden, dem er auf der Treppe begegnete:

„Na, was macht denn unser interessanter Strephopode?“

Der Strephopode wand sich in schrecklichen Zuckungen, so daß das Gehäuse, in das sein Bein eingezwängt war, gegen die Wand geschlagen ward und entzwei zu gehen drohte.

Mit vieler Vorsicht, um ja dabei die Lage des Fußes nicht zu verschieben, entfernte man das Holzgehäuse. Und nun bot sich ein gräßlicher Anblick dar. Die Form des Fußes war unter einer derartigen Schwellung verschwunden, daß es aussah, als platze demnächst die ganze Haut. Diese war blutunterlaufen und von Druckflecken bedeckt, die das famose Gehäuse verursacht hatte. Hippolyt hatte von Anfang an über Schmerzen geklagt, aber man hatte ihn nicht angehört. Nachdem man nunmehr einsah, daß er im Rechte gewesen war, gönnte man ihm ein paar Stunden Befreiung. Aber sowie die Schwellung ein wenig zurückgegangen war, hielten es die beiden Heilkünstler für angebracht, das Bein wieder einzuschienen und es noch fester einzupressen, um dadurch die Wiederherstellung zu beschleunigen.