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Frau Bovary

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In dieser Weise fuhr er fort, sich über seine Ansichten im allgemeinen und seinen persönlichen Geschmack im besondern auszulassen, bis Justin kam und ihn zur Bereitung einer bestellten Arznei holte.

„Man hat aber auch keinen Augenblick seine Ruhe!“ schimpfte er. „Immer liegt man an der Kette! Keine Minute kann man fort. Ein Arbeitstier bin ich, das Blut schwitzen muß. Das ist ein Hundedasein!“

In der Tür sagte er noch:

„Übrigens, wissen Sie schon das Neueste?“

„Was denn?“

Homais zog die Brauen hoch und machte eine hochwichtige Miene.

„Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Versammlung der Landwirte unsers Departements heuer in Yonville stattfindet. Man munkelt wenigstens. In der heutigen Zeitung steht auch schon eine Andeutung. Das wäre für die hiesige Gegend von großer Bedeutung! Aber darüber reden wir noch einmal! Danke, ich sehe schon. Justin hat die Laterne mit …“

Siebentes Kapitel

Der nächste Tag war für Emma ein Tag der Betrübnis. Alles um sie herum erschien ihr wie von lichtlosem Nebel umflort, verschwommen, zerrissen. Der Schmerz strich durch ihre Seele mit leisen Klagen wie der Winterwind um ein einsames Schloß. Sie verfiel in die Träumerei, die den Menschen umspinnt, wenn er etwas auf immerdar verloren hat. Sie empfand die Müdigkeit, die ihn der vollendeten Tatsache gegenüber übermannt, den Schmerz, der ihn überkommt, wenn eine ihm zur Gewohnheit gewordne Bewegung plötzlich stockt, wenn Schwingungen jäh aufhören, die lange in ihm vibriert haben.

Wie damals nach der Rückkehr vom Schlosse Vaubyessard, als die wirbelnden Walzermelodien ihr nicht aus dem Sinne wollten, war sie voll düsterer Schwermut, in dumpfer Lebensunlust. Leo stand vor ihrer Phantasie immer größer, schöner, verführerischer. Wie ein Ideal. Wenn er auch fern von ihr war, so hatte er sie doch nicht verlassen. Er war da, und an den Wänden ihres Hauses schien sein Schatten noch zu haften. Immer wieder schaute sie auf den Teppich, über den er so oft gegangen, auf die leeren Stühle, wo er gesessen. Draußen kroch das Flüßlein noch immer vorbei mit seinen niedlichen Wellen, zwischen den schlammigen Ufern hin. An seinem Gestade waren sie so oft gewandelt, bei dem Rauschen der Fluten um die moosigen Steine. Wie warm hatte da die Sonne geschienen! Wie traulich waren die Nachmittage gewesen, wenn sie hinten im schattigen Garten allein gesessen hatten! Er hatte laut vorgelesen, bloßen Kopfes, in einem Korbstuhl sitzend. Der frische Wind, der drüben von den Wiesen her wehte, hatte die Blätter des Buches bewegt und die violetten Blüten der Glycinen an der Laube … Ach, nun war er fort, die einzige Freude ihres Daseins, die einzige Hoffnung, daß sich ihr das erträumte Glück noch erfülle! Warum hatte sie dieses Glück nicht mit beiden Händen festgehalten, in den Schoß genommen, es nicht in die Ferne gelassen? Sie verwünschte sich, Leos Geliebte nicht geworden zu sein. Sie dürstete nach seinen Lippen. Am liebsten wäre sie ihm nachgelaufen, hätte sich in seine Arme geworfen und ihm gesagt: „Hier bin ich! Nimm mich!“ Aber vor den Hindernissen, die sich der Verwirklichung dieses Dranges entgegengestellt hätten, verzagte Emma von vornherein, und der Schmerz darüber schürte ihre Sehnsucht zu noch heißerer Glut.

Fortan war die Erinnerung an Leo der Kristallisationspunkt ihrer Bitternisse. Sie flackerte verlockender als ein einsames Lagerfeuer, das Wanderer in einer sibirischen Steppe inmitten des Schnees angezündet haben. Zu diesem Feuer flüchtete sie, kauerte sich daneben nieder und fachte es sorgfältig wieder an, wenn es zu verlöschen drohte. Im Umkreise um sich herum suchte sie alles mögliche herbei, um diese Flammen zu nähren. Die fernsten Erinnerungen und die frischesten Ereignisse, Erlebtes und Erträumtes, die wuchernden Phantastereien ihrer Sinnlichkeit, ihre Sehnsucht nach Sonne, geknickt wie trocknes Gezweig im Wind, ihre nutzlose Tugend, ihre getäuschten Illusionen, die Armseligkeit ihres Hauswesens, alles das sammelte sie, raffte es zusammen und warf es in die Glut, um ihre Trübsal daran zu wärmen.

Mit der Zeit verglomm das Feuer aber doch, sei es, weil ihm die Nahrung fehlte, sei es, weil die Überfülle von Brennstoff es erstickte. In der Abwesenheit des Geliebten verkam allmählich ihre Liebe. Das Ineinemfort tötete den Schmerz, und am Himmel ihrer Gefühle verblaßte der erst grellrote Feuerschein und wich nach und nach schwarzem Dunkel. Während ihres phantastischen Zustandes hatte sich ihr Widerwille gegen den Gatten in Schwärmerei für den Geliebten verwandelt, und die Glut ihres Hasses hatte ihre zärtliche Sehnsucht gewärmt. Aber nunmehr, da ihre stürmische unbefriedigte Leidenschaft zu Asche gebrannt war, das keine Hilfe kam und keine neue Sonne aufging, ward tiefe Nacht um sie herum. In eisiger Kälte stand sie einsam da und erstarrte.

Die schrecklichen Tage von Tostes wiederholten sich nun. Nur bildete sie sich ein, noch unglücklicher denn damals zu sein, weil sie jetzt ein wirkliches Herzeleid trug und genau wußte, daß es nie anders werden könne.

Eine Frau, die so viel geopfert, sei – so sagte sie sich – wohlberechtigt, sich ein paar harmlose Liebhabereien zu gönnen. Sie schaffte sich einen gotischen Betstuhl an und verbrauchte in vier Wochen für vierzehn Franken Zitronen zur Pflege ihrer Hände. Sie schrieb nach Rouen und bestellte sich ein blaues Kaschmirkleid. Bei Lheureux suchte sie sich den schönsten Schal aus und trug ihn über ihrem Hauskleid. Sie schloß die Läden, nahm ein Buch zur Hand und blieb so stundenlang auf dem Sofa liegen.

Häufig änderte sie ihre Haartracht. Bald trug sie eine hohe Frisur, bald lose Locken, bald einen Kranz von Zöpfen, bald einen Scheitel.

Sie geriet auf den Einfall, Italienisch lernen zu wollen, und so kaufte sie sich ein Wörterbuch, eine Grammatik und eine Menge Schreibpapier. Dann versuchte sie es mit ernsthafter Lektüre, las Geschichtswerke und philosophische Schriften.

Nachts fuhr Karl mitunter in die Höhe, im Glauben, man hole ihn zu einem Kranken. Noch halb im Schlafe rief er:

„Ich bin gleich fertig!“

Aber es war nur das Knistern des Streichholzes gewesen, mit dem sich Emma die Lampe angezündet hatte. Sie wollte lesen. Aber es ging ihr wie mit ihren Stickereien, von denen ein ganzer Stoß angefangen im Schranke lag. Sie pflegte sie anzufangen, dann liegen zu lassen und eine andre zu beginnen.

Sie hatte launenhafte Stimmungen, in denen man sie leicht zu dem Unglaublichsten verleiten konnte. Einmal behauptete sie ihrem Manne gegenüber, sie könne ein Weinglas voll Schnaps mit einem Zuge leeren, und da Karl so töricht war, es zu bezweifeln, tat sie es wirklich.

Bei allen ihren „Extravaganzen“ (die Spießbürger von Yonville nannten das so!) sah Emma keineswegs unternehmungslustig aus. Im Gegenteil. Um ihre Mundwinkel lagerten sich jene gewissen starren Falten, die alte Jungfern und verbissene Streber zu haben pflegen. Sie war völlig blaß, weiß wie Leinwand; die Haut ihrer Nase bildete nach den Flügeln zu Fältchen, und ihre Augen blickten wie ins Leere. Seitdem sie an den Schläfen ein paar graue Haare entdeckt hatte, nannte sie sich gesprächsweise eine alte Frau.

Oft hatte sie Schwindelanfälle, und eines Tages spuckte sie sogar Blut. Aber als sich Karl eifrig um sie bemühte und seine Besorgnis verriet, meinte sie:

„Laß mich! Es ist mir alles gleich!“

Karl zog sich in sein Sprechzimmer zurück. Er sank in seinen Schreibsessel, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und weinte – unter dem phrenologischen Schädel.

Nach einer Weile setzte er einen Brief an seine Mutter auf und bat sie zu kommen. Es fand zwischen beiden eine lange Konferenz Emmas wegen statt. Welche Maßnahmen sollten getroffen werden? Was sollte geschehen? Wo sie jedwede ärztliche Behandlung ablehnte!

„Weißt du, was deiner Frau fehlt?“ meinte Frau Bovary schließlich. „Eine ordentliche Beschäftigung! Körperliche Arbeit! Wenn sie wie so manch andre ihr tägliches Brot selber verdienen müßte, dann hätte sie keine Nerven und Launen. Die kommen bloß von den überspannten Ideen, die sie sich aus purer Langweile in den Kopf setzt.“

„Beschäftigung hat sie doch aber!“ erwiderte Karl.

„So! Sie hat Beschäftigung? Was für welche denn? Romane schmökert sie, schlechte Bücher, Schriften gegen die Religion, in denen die Geistlichen verhöhnt werden mit Redensarten aus dem Voltaire! Armer Junge, das führt zu nichts Gutem, und wer kein guter Christ ist, mit dem nimmt es mal ein schlechtes Ende!“

Also ward beschlossen, Emma am Romanlesen zu hindern. Das schien nicht so einfach, aber Mutter Bovary nahm die Sache auf sich. Auf ihrer Heimreise wollte sie in Rouen persönlich zum Leihbibliothekar gehen und Emmas Abonnement abbestellen. Wenn der Mann trotzdem sein Vergiftungswerk fortsetzte, sollte man da nicht das Recht haben, sich an die Polizei zu wenden?

Der Abschied zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter war steif. In den drei Wochen ihres Beisammenseins hatten sie, abgesehen von den häuslichen Anordnungen und den höflichen Formeln bei Tisch und abends vor dem Zubettgehen, keine drei Worte gewechselt.

Die alte Frau Bovary reiste ab an einem Mittwoch, dem Markttage von Yonville. Vom frühen Morgen ab war an diesem Tage auf dem Marktplatz, gleichlaufend mit den Häusern von der Kirche bis zum Goldnen Löwen, eine lange Reihe von Leiterwagen aufgefahren, Fahrzeug an Fahrzeug, alle mit hochgespießten Deichseln. Auf der andern Seite des Platzes standen Zeltbuden, in denen Baumwollenwaren, Decken und Strümpfe feilgeboten wurden, daneben Pferdegeschirre und Haufen von bunten Bändern, deren Enden im Winde flatterten. Zwischen Eierpyramiden und Käsekörben, aus denen klebriges Stroh herausragte, lagen allerhand Eisenwaren auf dem Pflaster ausgebreitet. Neben Ackergerät gackerten Hühner in flachen Körben und steckten ihre Hälse durch die Luftlöcher. Die Menge schob sich, ohne zu weichen, gerade nach den Stellen, wo das Gedränge schon am dichtesten war. So geriet bisweilen das Schaufenster der Apotheke wirklich in Gefahr. An den Markttagen ward diese nie leer. Es standen immer eine Menge Leute darin, weniger um Arzneien zu kaufen als vielmehr um den Apotheker zu konsultieren. Herr Homais war in den benachbarten Ortschaften ein berühmter Mann. Seine rücksichtslose Sicherheit fing die Bauern. Sie hielten ihn für einen besseren Arzt als alle Doktoren im ganzen Lande.

 

Emma saß an ihrem Fenster, wie so oft. Das Fenster ersetzt in der Kleinstadt das Theater und den Korso. Sie belustigte sich über das wimmelnde Landvolk; da bemerkte sie einen Herrn in einem Rock von grünem Samt, mit gelben Handschuhen; sonderbarerweise trug er dazu derbe Gamaschen. Ein Bauersknecht mit gesenktem Kopf und recht trübseliger Miene folgte ihm. Beide gingen auf das Bovarysche Haus zu.

„Ist der Herr Doktor zu sprechen?“ fragte der Herr den Apothekergehilfen, der an der Haustüre mit Felicie plauderte. Er hielt ihn für den Diener des Arztes. „Melden Sie Herrn Rudolf Boulanger von der Hüchette.“

Es war keineswegs Eitelkeit, daß der Ankömmling sein Gut zu seinem Namen fügte. Er wollte nur genau angeben, wer er war. Die Hüchette war nämlich ein Rittergut in der Nähe von Yonville, das er samt zwei Meiereien unlängst gekauft hatte. Er bewirtschaftete es selber, jedoch ohne sich allzusehr dabei anzustrengen. Er war Junggeselle und hatte „so mindestens seine fünfzehntausend Franken“ im Jahr zu verzehren.

Karl begab sich in sein Sprechzimmer hinunter. Boulanger überwies ihm seinen Knecht, der einen Aderlaß wünsche, weil er am ganzen Körper ein Kribbeln wie von Ameisen habe.

„Das wird mich erleichtern“, wiederholte der Bursche auf alle Einwände. Bovary ließ sich nunmehr eine Leinwandbinde und eine Schüssel bringen. Er bat Justin, behilflich zu sein.

Dann wandte er sich an den Knecht, der schon ganz blaß geworden war.

„Nur keine Angst, mein Lieber!“

„Ach nee, Herr Doktor, machen Sie nur los!“ erwiderte er.

Dabei hielt er mit prahlerischer Gebärde seinen dicken Arm hin. Unter dem Stich der Lanzette sprang das Blut hervor und spritzte bis zum Spiegel hin.

„Die Schüssel!“ rief Karl.

„Donnerwetter!“ meinte der Knecht. „Das ist ja der reine Springbrunnen! Und wie rot das Blut ist! Das ist ein gutes Zeichen, nicht wahr?“

Bei diesen Worten sank der Mann mit einem Ruck in den Sessel zurück, daß die Lehne krachte.

„Das hab ich mir gleich gedacht!“ bemerkte Bovary, indem er mit den Fingern die angestochne Ader zudrückte. „Erst gehts ganz gut, dann kommt die Ohnmacht, gerade bei solchen robusten Kerlen wie dem da!“

Die Schüssel in Justins Händen geriet ins Schwanken. Die Knie schlotterten ihm; er wurde leichenfahl.

„Emma! Emma!“ rief der Arzt.

Mit einem Satze war sie die Treppe hinunter.

„Essig!“ rief ihr Karl zu. „Ach du mein Gott! Gleich zweie auf einmal!“

In seiner Aufregung konnte er kaum den Verband anlegen.

„'s ist weiter nichts!“ meinte Boulanger gelassen, der Justin aufgefangen hatte. Er setzte ihn auf die Tischplatte und lehnte ihn mit dem Rücken gegen die Wand.

Frau Bovary machte sich daran, dem Ohnmächtigen das Halstuch aufzuknüpfen. Der Knoten wollte sich nicht gleich lösen, und so berührte sie ein paar Minuten lang leise mit ihren Fingern den Hals des jungen Burschen. Dann goß sie Essig auf ihr Batisttaschentuch, betupfte ihm ein paarmal behutsam die Schläfen und blies dann ein wenig darauf.

Der Knecht war bereits wieder munter, aber Justins Ohnmacht dauerte an. Seine Augäpfel verschwammen in ihrem bleichen Gallert wie blaue Blumen in Milch.

„Er darf das da nicht sehen!“ ordnete Karl an.

Frau Bovary ergriff die Schüssel und setzte sie unter den Tisch. Bei diesem Sichbücken bauschte sich ihr Rock (ein weiter gelber Rock mit vier Falbeln) um sie herum und stand wie steif auf der Diele, und je nach der Bewegung Emmas, die sich neigte, die Arme ausstreckte und sich dabei in den Hüften ein wenig hin und her drehte, wogte der Stoff auf und nieder. Dann nahm sie eine Wasserflasche und löste ein paar Stück Zucker in einem Glase.

In diesem Augenblicke trat der Apotheker ein. Das Mädchen hatte ihn vor Schreck herbeigeholt. Als er seinen Gehilfen wieder bei Bewußtsein sah, atmete er auf. Dann ging er um ihn herum und betrachtete sich ihn von oben bis unten.

„Dummkopf!“ brummte er. „Ein Dummkopf, wie er im Buche steht! Als obs wer weiß was wäre! Ein bißchen Aderlaß! Weiter nichts! Und das will ein forscher Kerl sein! Ja, wenn es gilt, von den höchsten Bäumen die Nüsse herunterzuholen, da klettert er wie ein Eichhörnchen … Na, tu deinen Mund auf und zeig dich mal in deiner Gloria! Das sind ja nette Eigenschaften für einen, der mal Apotheker werden will! Ich sage dir: als Apotheker kommt man in die schwierigsten Lagen. So zum Beispiel vor Gericht als Sachverständiger. Da heißt es kaltblütig sein, hübsch ruhig überlegen und ein ganzer Mann sein! Sonst gilt man als Schwachmatikus …“

Justin sagte kein Wort. Der Apotheker fuhr fort:

„Wer hat dir denn übrigens gesagt, daß du hierher gehen sollst? In einem fort belästigst du Herrn und Frau Doktor! Noch dazu an den Markttagen, wo du drüben so notwendig gebraucht wirst! Es warten zurzeit zwanzig Kunden im Laden. Deinetwegen habe ich alles stehn und liegen lassen. Marsch! Hinüber! Trab! Gib auf die Arzneien acht! Ich komme gleich nach!“

Als Justin seine Kleidung wieder in Ordnung gebracht hatte und fort war, plauderte man noch ein wenig über Ohnmachtanfälle. Frau Bovary sagte, sie hätte noch nie einen gehabt.

„Ja, bei Damen kommt so was sehr selten vor!“ behauptete Boulanger. „Es gibt aber auch Leute, die allzu zimperlich sind. Da hab ich gelegentlich eines Duells erlebt, daß ein Zeuge ohnmächtig wurde, als die Pistolen beim Laden knackten.“

„Was mich anbelangt,“ erklärte der Apotheker, „mich stört der Anblick fremden Blutes ganz und gar nicht. Aber der bloße Gedanke, ich selber könne bluten, der macht mich schwindlig, wenn ich nicht schnell an was andres denke.“

Inzwischen hatte Boulanger seinen Knecht fortgeschickt, nachdem er ihn ermahnt, sich nun zu beruhigen.

„Nun ists aber alle mit der Einbildung!“ sagte er ihm. „Die hat mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft verschafft“, fügte er hinzu. Bei dieser Phrase blickte er Emma an. Dann legte er einen Taler auf die Tischecke, grüßte flüchtig und verschwand.

Bald darauf erschien er drüben auf dem andern Ufer des Baches. Das war sein Weg nach der Hüchette. Emma sah ihm von einem der Hinterfenster nach, wie er über die Wiesen ging, die Pappeln entlang, langsam wie einer, der über etwas nachdenkt.

„Allerliebst!“ sagte er bei sich. „Wirklich allerliebst, diese Doktorsfrau. Schöne Zähne, schwarze Augen, niedliche Füße und schick wie eine Pariserin! Zum Teufel, wo mag sie her sein? Wo mag sie dieser Schlot nur aufgegabelt haben?“

Rudolf Boulanger war vierunddreißig Jahre alt von roher Gemütsart und scharfem Verstand. Er hatte sich viel mit Weibern abgegeben und war Kenner auf diesem Gebiete. Die da gefiel ihm. Somit beschäftigte sie ihn in Gedanken, ebenso ihr Mann.

„Ich glaube, er ist mordsblöde. Sie hat ihn satt, zweifelsohne. Er hat dreckige Fingernägel und rasiert sich nur aller drei Tage. Wenn er seine Patienten abzurennen hat, sitzt sie daheim und stopft Strümpfe. Und langweilt sich. Sehnt sich nach der großen Stadt und möchte am liebsten alle Abende auf den Ball. Arme kleine Frau! So was schnappt nach Liebe wie ein Karpfen auf dem Küchentisch nach Wasser! Drei nette Worte, und sie ist futsch! Sicherlich! Das wär was fürs Herze! Scharmant! Aber wie kriegt man sie hinterher wieder los?“

Diese Einschränkung des in der Ferne stehenden Genusses erinnerte ihn – zum Kontrast – an seine Geliebte, eine Schauspielerin in Rouen, die er aushielt. Er vergegenwärtigte sich ihren Körper, dessen er sogar in der Vorstellung überdrüssig war.

„Ja, diese Frau Bovary,“ dachte er bei sich, „die ist viel hübscher, vor allem frischer. Virginie wird entschieden zu fett. Sie zu haben, ist langweilig. Dazu ihre alberne Leidenschaft für Krebse!“

Die Fluren waren menschenleer. Rudolf hörte nichts als das taktmäßige Rascheln der Halme, die er beim Gehen streifte, und das ferne Gezirpe der Grillen im Hafer. Er schaute Emma vor sich, in ihrer Umgebung, angezogen, wie er sie gesehen hatte. Und in der Phantasie entkleidete er sie.

„Oh, ich werde sie haben!“ rief er aus und zerschlug mit einem Schlage seines Spazierstockes eine Erdscholle, die im Wege lag.

Sodann überlegte er sich den taktischen Teil der Unternehmung. Er fragte sich:

„Wie kann ich mit ihr zusammenkommen? Wie bring ich das zustande? Sie wird egal ihr Baby im Arme haben. Und dann das Dienstmädel, die Nachbarn, der Mann und der unvermeidliche Klatsch! Ach was! Unnütze Zeitvergeudung!“

Nach einer Weile begann er von neuem:

„Sie hat Augen, die einem wie Bohrer in das Herz dringen! Und wie blaß sie ist … Blasse Frauen sind meine Schwärmerei!“

Auf der Höhe von Argueil war sein Kriegsplan fertig.

„Ich brauche bloß noch günstige Gelegenheiten. Gut! Ich werde ein paarmal gelegentlich mit hingehen, ihnen Wildbret schicken und Geflügel. Nötigenfalls lasse ich mich ein bißchen schröpfen. Wir müssen gute Freunde werden. Dann lade ich die beiden zu mir ein … Teufel noch mal, nächstens ist doch der Landwirtschaftliche Tag! Da wird sie hinkommen, da werde ich sie sehen! Dann heißts: Attacke! Und feste drauf! Das ist immer das Beste.“

Achtes Kapitel

Endlich war sie da, die berühmte Jahresversammlung der Landwirte! Vom frühen Morgen an standen alle Einwohner von Yonville an ihren Haustüren und sprachen von den Dingen, die da kommen sollten. Die Stirnseite des Rathauses war mit Efeugirlanden geschmückt. Drüben auf einer Wiese war ein großes Zelt für das Festmahl aufgeschlagen worden, und mitten auf dem Markte vor der Kirche stand ein Böller, der die Ankunft des Landrats und die Preiskrönung donnernd verkünden sollte. Die Bürgergarde von Büchy – in Yonville gab es keine – war anmarschiert und hatte sich mit der heimischen Feuerwehr, deren Hauptmann Herr Binet war, zu einem Korps vereinigt. Selbiger trug an diesem Tage einen noch höheren Kragen als gewöhnlich. In die Litewka eingezwängt, war sein Oberkörper so steif und starr, daß es aussah, als sei alles Leben in ihm in seine beiden Beine gerutscht, die sich parademarschmäßig bewegten. Da der Oberst der Bürgergarde und der Hauptmann der Feuerwehr eifersüchtig aufeinander waren, wollte jeder den andern ausstechen, und so exerzierten beide ihre Mannschaft für sich. Abwechselnd sah man die roten Epauletten und die schwarzen Schutzleder vorbeimarschieren und wieder abschwenken. Das ging immer wieder von neuem an und nahm schier kein Ende!

Noch nie hatte man in Yonville derartige Pracht und Herrlichkeit gesehen. Verschiedene Bürger hatten tags zuvor ihre Häuser abwaschen lassen. Weiß-rot-blaue Fahnen hingen aus den halboffnen Fenstern herab, alle Kneipen waren voll; und da schönes Wetter war, sahen die gestärkten Häubchen weißer wie Schnee aus, die Orden und Medaillen blitzten in der Sonne wie eitel Gold, und die bunten Tücher leuchteten buntscheckig aus dem tristen Einerlei der schwarzen Röcke und blauen Blusen hervor. Die Pächtersfrauen kamen aus den umliegenden Dörfern geritten; beim Absitzen zogen sie die langen Nadeln heraus, mit denen sie ihre Röcke hochgesteckt hatten, damit sie unterwegs nicht schmutzig werden sollten. Die Männer andrerseits hatten zum Schutze ihrer Hüte die Sacktücher darüber gezogen, deren Zipfel sie mit den Zähnen festhielten.

Die Menge strömte von beiden Enden des Orts auf der Landstraße heran und ergoß sich in alle Gassen, Alleen und Häuser. Überall klingelten die Türen, um die Bürgerinnen herauszulassen, die in Zwirnhandschuhen nach dem Festplatze wallten.

Zwei mit Lampions behängte hohe Taxusbäume, zu beiden Seiten der vor dem Rathause errichteten Estrade für die Ehrengäste, erregten ganz besonders die allgemeine Bewunderung. Übrigens hatte man an den vier Säulen am Rathause so etwas wie vier Stangen aufgepflanzt; jede trug eine Art Standarte aus grüner Leinwand. Auf der einen las man: HANDEL, auf der zweiten: ACKERBAU, der dritten: INDUSTRIE, der vierten: KUNST UND WISSENSCHAFT.

Die Freudensonne, die auf allen Gesichtern zu leuchten begann, warf auch ihren Schatten und zwar auf das Antlitz der Frau Franz, der Löwenwirtin. Auf der kleinen Vortreppe ihres Gasthofes stehend, räsonierte sie vor sich hin:

„So eine Torheit! So eine Eselei, eine Leinwandbude aufzubaun! Glaubt diese Bagage wirklich, daß der Herr Landrat besonders ergötzt sein wird, wenn er unter einem Zeltdache dinieren soll, wie ein Seiltänzer? Dabei soll der ganze Rummel der hiesigen Gegend zugute kommen! War es wirklich der Mühe wert, extra einen Koch aus Neufchâtel herkommen zu lassen? Für wen übrigens? Für Kuhjungen und Lumpenpack!“

 

Der Apotheker ging vorüber in schwarzem Rock, gelben Buxen, Lackschuhen und – ausnahmsweise (statt des gewohnten Käppchens) – einem Hut von niedriger Form.

„Ihr Diener!“ sagte er. „Ich habs eilig!“

Als die dicke Witwe ihn fragte, wohin er ginge, erwiderte er:

„Es kommt Ihnen komisch vor, nicht wahr? Ich, der ich sonst den ganzen Tag in meinem Laboratorium stecke wie eine Made im Käse …“

„In was für Käse?“ unterbrach ihn die Wirtin.

„Nein, nein. Das ist nur bildlich gemeint“, entgegnete Homais. „Ich wollte damit nur sagen, Frau Franz, daß es im allgemeinen meine Gewohnheit ist, zu Hause zu hocken. Heute freilich muß ich in Anbetracht …“

„Ah! Sie gehen auch hin?“ fragte sie in geringschätzigem Tone.

„Gewiß gehe ich hin!“ sagte der Apotheker erstaunt. „Ich gehöre ja zu den Preisrichtern!“

Die Löwenwirtin sah ihn ein paar Sekunden an, schließlich meinte sie lächelnd:

„Das ist was anders! Aber was geht Sie eigentlich die Landwirtschaft an? Verstehen Sie denn was davon?“

„Selbstverständlich verstehe ich etwas davon! Ich bin doch Pharmazeut, also Chemiker. Und die Chemie, Frau Franz, beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen und den Molekularverhältnissen aller Körper, die in der Natur vorkommen. Folglich gehört auch die Landwirtschaft in das Gebiet meiner Wissenschaft. In der Tat, die Zusammensetzung der Düngemittel, die Gärungen der Säfte, die Analyse der Gase und die Wirkung der Miasmen … ich bitte Sie, was ist das weiter als pure bare Chemie?“

Die Löwenwirtin erwiderte nichts, und Homais fuhr fort:

„Glauben Sie denn: um Agronom zu sein, müsse man selber in der Erde gebuddelt oder Gänse genudelt haben? Keine Spur! Aber die Beschaffenheit der Substanzen, mit denen der Landwirt zu tun hat, die muß man unbedingt studiert haben, die geologischen Gruppierungen, die atmosphärischen Vorkommnisse, die Beschaffenheit des Erdbodens, des Gesteins, des Wassers, die Dichtigkeit der verschiedenen Körper und ihre Kapillarität! Und tausend andre Dinge! Dazu muß man mit den Grundsätzen der Hygiene völlig vertraut sein, um den Bau von Gebäuden, die Unterhaltung der Haus- und Arbeitstiere und die Ernährung der Dienstboten leiten und kontrollieren zu können. Fernerhin, Frau Franz, muß man die Botanik intus haben. Man muß die Pflanzen unterscheiden können, verstehen Sie, die nützlichen von den schädlichen, die nutzlosen und die nahrhaften, welche Arten man vertilgen und welche man pflegen, welche man hier wegnehmen und dort anpflanzen muß. Kurz und gut, man muß sich in der Wissenschaft auf dem Laufenden halten, indem man die Broschüren und die öffentlichen Bekanntmachungen liest, und immer auf dem Damme sein, um mit dem Fortschritte zu gehen …“

Die Wirtin ließ unterdessen den Eingang des Café Français nicht aus den Augen. Der Apotheker redete weiter:

„Wollte Gott, unsre Agrarier wären zugleich Chemiker, oder sie hörten wenigstens besser auf die Ratschläge der Wissenschaft! Da habe ich kürzlich selbst eine große Abhandlung verfaßt, eine Denkschrift von mehr als 72 Seiten, betitelt: „Der Apfelwein. Seine Herstellung und seine Wirkung. Nebst einigen neuen Betrachtungen hierüber.“ Ich habe sie der „Rouener Agronomischen Gesellschaft“ übersandt, die mich daraufhin unter ihre Ehrenmitglieder (Sektion Landwirtschaft, Abteilung für Pomologie) aufgenommen hat. Ja, wenn so ein Werk gedruckt erschiene …“

Der Apotheker hielt ein. Er merkte, daß Frau Franz von etwas ganz andrem in Anspruch genommen war.

„Sehr richtig!“ unterbrach er sich selber. „Eine unglaubliche Spelunke!“

Die Löwenwirtin zuckte so heftig die Achseln, daß sich die Maschen ihrer Trikottaille weit auseinanderzogen. Mit beiden Händen deutete sie auf das Konkurrenzlokal, aus dem wüster Gesang herüberhallte.

„Na! Lange wird die Herrlichkeit da drüben nicht mehr dauern!“ bemerkte sie. „In acht Tagen ist der Rummel alle!“

Homais trat erschrocken einen Schritt zurück. Die Wirtin kam die drei Stufen herunter und flüsterte ihm ins Ohr:

„Was? Das wissen Sie nicht? Noch in dieser Woche wird er ausgepfändet und festgesetzt. Lheureux hat ihm den Hals abgeschnitten. Mit Wechseln!“

„Eine fürchterliche Katastrophe!“ rief der Apotheker aus, der für alle möglichen Ereignisse immer das passende Begleitwort zur Hand hatte.

Die Löwenwirtin begann ihm nun die ganze Geschichte zu erzählen. Sie wußte sie von Theodor, dem Diener des Notars. Obgleich sie Tellier, den Besitzer des Café Français, nicht ausstehen konnte, mißbilligte sie doch das Vorgehen von Lheureux. Sie nannte ihn einen Gauner, einen Halsabschneider.

„Da! Sehen Sie!“ fügte sie hinzu. „Da geht er! Unter den Hallen! Jetzt begrüßt er Frau Bovary. Sie hat einen grünen Hut auf und geht am Arm von Herrn Boulanger.“

„Frau Bovary!“ echote Homais. „Ich muß ihr schnell guten Tag sagen. Vielleicht ist ihr ein reservierter Platz auf der Tribüne vor dem Rathause erwünscht.“

Ohne auf die Löwenwirtin zu hören, die ihm ihre lange Geschichte weitererzählen wollte, stolzierte der Apotheker davon. Mit lächelnder Miene grüßte er nach links und rechts, wobei ihn die langen Schöße seines schwarzen Rockes im Winde umflatterten, daß er wer weiß wieviel Raum einnahm.

Rudolf hatte ihn längst bemerkt. Er beschleunigte seine Schritte.

Da aber Emma außer Atem kam, ging er wieder langsamer. Lachend und in brutalem Tone sagte er zu ihr:

„Ich wollte nur dem Dicken entgehen, wissen Sie, dem Apotheker!“

Sie versetzte ihm eins mit dem Ellbogen.

„Was soll das heißen?“ fragte er sie. Dabei blinzelte er sie im Weitergehen von der Seite an.

Ihr Gesicht blieb unbeweglich; nichts darin verriet ihre Gedanken. Die Linie ihres Profils schnitt sich scharf in die lichte Luft, unter der Rundung ihres Kapotthutes, dessen blaßfarbene Bindebänder wie Schilfblätter aussahen. Ihre Augen blickten geradeaus unter ihren etwas nach oben gebogenen langen Wimpern. Obgleich sie völlig geöffnet waren, erschienen sie doch ein wenig zugedrückt durch den oberen Teil der Wangen, weil das Blut die feine Haut straffte. Durch die Nasenwand schimmerte Rosenrot, und zwischen den Lippen glänzte das Perlmutter ihrer spitzen Zähne. Den Kopf neigte sie zur einen Schulter.

„Mokiert sie sich über mich?“ fragte sich Rudolf.

In Wirklichkeit hatte der Ruck, den ihm Emma versetzt hatte, nur ein Zeichen sein sollen, daß Lheureux neben ihnen herlief. Von Zeit zu Zeit redete der Händler die beiden an, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

„Ein herrlicher Tag heute! – Alle Welt ist auf den Beinen! – Wir haben Ostwind!“

Frau Bovary wie Rudolf gaben kaum eine Antwort, während Lheureux bei der geringsten Bewegung, die eins der beiden machte, mit einem ewigen „Wie meinen?“ dazwischenfuhr, wobei er jedesmal den Hut lüftete.

Vor der Schmiede bog Rudolf mit einem Male von der Hauptstraße ab in einen Fußweg ein. Er zog Frau Bovary mit sich und rief laut:

„Leben Sie wohl, Herr Lheureux! Viel Vergnügen!“

„Den haben Sie aber fein abgeschüttelt!“ lachte Emma.

„Warum sollen wir uns von fremden Leuten belästigen lassen?“ meinte Rudolf. „Noch dazu heute, wo ich das Glück habe, mit Ihnen …“

Sie wurde rot. Er vollendete seine Phrase nicht und sprach vom schönen Wetter und wie hübsch es sei, so durch die Fluren spazieren zu gehen.

Ein paar Gänseblümchen standen am Raine.

„Die niedlichen Dinger da!“ sagte er. „Und so viele! Genug Orakel für die verliebten Mädels des ganzen Landes!“ Ein paar Augenblicke später setzte er hinzu: „Soll ich welche pflücken? Was denken Sie darüber?“

„Sind Sie denn verliebt?“ fragte Emma und hustete ein wenig.