Coaching und Selbstcoaching mit Transaktionsanalyse

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Integrierte Personalität

Aus der Erkenntnis der Selbststeuerung jedes lebenden Systems gilt, dass Coaching effektiv ist, wenn es dem Coachee ein Mehr an integrierter Personalität gibt.

Achtsamkeit ist das Gewahrsein dessen, was aktuell passiert. Es betrifft die wesentlichen Aspekte, die zurzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Dies beinhaltet auch die Bewusstheit über den Kontext. Nur mit Bewusstheit sind viele Lernprozesse möglich. Zur Achtsamkeit zählt auch die Selbst-Bewusstheit in dem Sinne, dass man sein eigenes »Persönlichkeitskostüm«, d.h. die eigenen Gewohnheitsmuster, für normale Situationen wie auch für Stresssituationen, kennt. Achtsamkeit bedeutet nicht verklärtes Selbstbewusstsein. Dies bedeutet Abstand zu den eigenen Mustern. So tendiert man im Zweifelsfall auch eher zur bescheideneren Variante des Sich-selbst-Sehens.

Flexibilität bedeutet, dass der Mensch auf nicht nur eine Weise des Verhaltens oder einen Ausgang der Situation festgelegt ist. Es gibt eine Art Wahlmöglichkeit, die der Tatsache Rechnung trägt, dass es manchmal anders kommt, als man erwartet und dass es nicht immer nur der eine Weg sein muss. Die Realität lebender Humansysteme, ob einzelner Menschen, Gruppen oder Organisationen, ist immer auch die nicht endgültige Überschaubarkeit der relevanten Einflussfaktoren und Szenarien. Darauf ist Flexibilität die Antwort. Zur Flexibilität tragen beispielsweise auch verarbeitete Erfahrungen des Scheiterns bei.


Abb. 1: Persönlicher Nutzen integrierter Personalität

Integrierte Personalität ist durch Achtsamkeit, Flexibilität, Beziehungsfähigkeit und deren Integration charakterisiert.

Beziehungsfähigkeit ist die Fähigkeit, mit anderen Menschen und mit Themen in eine der Situation angemessene Beziehung zu treten. Dies enthält Kontaktfähigkeit, das heißt, die Lust mit Menschen in Kontakt zu treten und die Fähigkeit für beide Seiten erfüllende Beziehungen herzustellen. Vielfach liegt im Organisationskontext eine Beziehungskonstellation aus mehreren Menschen und Themen vor. Dies erfordert die Kompetenz zu balancierten Beziehungen.

Integration ist die vierte Disziplin. Erst wenn Achtsamkeit, Flexibilität und Beziehungsfähigkeit zusammenwirken, ist ein tatsächlich schöpferischer Prozess möglich. Dann kann man von einem Professionalisierungsfortschritt sprechen, der wenig mit vorgestanzten Lösungen gemein hat.

Ein Teil der integrierten Personalität ist Autonomie, Freisein von Einschränkungen, die für die aktuelle Situation nicht angemessen sind. Dies hat Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse, als Ziel formuliert (Berne, 1972). Ein anderer Teil besteht im Sich-Entwickeln. Die Coaches Bernd Schmid und Joachim Hipp sprechen hier von »professioneller Individuation« (Schmid und Hipp, 1999) Sie übernehmen damit den von Carl Gustav Jung geprägten Begriffder Individuation, der beschreibt, wie das Individuum zunehmend zu seinen eigenen Möglichkeiten findet.

Begreift man Coaching als Begleitung bei beruflichen Entwick lungsprozessen, so geht es um das Vorankommen in den drei Einzeldisziplinen und deren Integration. Alle weiteren Ziele wie Leistungssteigerung, mehr Zufriedenheit oder das Aufgeben hinderlicher und störender Verhaltensweisen werden über zunehmend integrierte Professionalität erzielt.

1.3 Der wirtschaftliche Nutzen

Coaching minimiert Transaktionskosten

Unter welchen Bedingungen kann sich Coaching längerfristig als Angebot und Kulturimpuls in Organisationen etablieren? Es reicht nicht, wenn ein Verfahren interessant ist (»nice to have«). In marktwirtschaft lichen Ökonomien gilt: Institutionen entwickeln sich, wenn sie helfen Transaktionskosten zu sparen. Transaktionskosten sind Kosten, die um die Transaktionen in Geschäftsprozessen herum als Reibungsverluste, Risikokosten oder Qualitätsverluste entstehen. Institutionen halten sich so lange, wie sie einen Mehrwert erzeugen, indem sie beispielsweise diese Transaktionskosten minimieren. Auf diesem Hintergrund muss eine neue Institution, wie sie auch das Coaching noch ist, einen Return on Investment versprechen. Sie muss andere Transaktionskosten entscheidend vermindern. Das tut professionelles Coaching, wenn es präventiv Schaden verhindert, langfristig wirklich anwendbare Kompetenz schafft und in Akutsituationen konstruktive Lösungen ermöglicht.


Abb. 2: Wirtschaftlicher Nutzen

Coaching bringt Qualitätszuwachs

Als weiteres leistet Coaching einen Qualitätszuwachs in Berufsbereichen. Dazu zählt auch die Reduzierung von Risiken, wie sie heute nach den Basel-II-Anforderungen immer mehr in Firmen beachtet werden müssen. Durch Coaching schaut noch mal einer drüber, der einen »läuternden« Blick hat oder besser haben sollte. Beispielsweise in der Dienstleistung ›Führung von Mitarbeitern‹ stellt sich die Herausforderung der Qualität heute zunehmend, da die Anforderungen an Führung größer geworden sind. Zur Qualität trägt aber auch die Aufmerksamkeit und das Befinden der in den Berufen Tätigen entscheidend bei. Diese Ergänzung des Qualitätsbegriffs wird heute in Wirtschaft sunternehmen zunehmend gesehen, da die Spielräume auf der technischen und Hard-Fact-Ebene oft ausgereizt sind oder zumindest nicht ohne Fortschritte im organisationskulturellen Bereich zu realisieren sind. Gerade in Umstrukturierungszeiten sind die Transaktionskosten hoch. Coaching bringt dabei die notwendige Kultur der flexiblen und situationsbezogenen Problemlösung in ein Unternehmen ein.

Coaching entwickelt eine neue Lernkultur

Ein weiterer Aspekt ist die Ergänzung zu Veränderungen im Managementinstrumentarium. Fortschritte im Controlling, die die EDV möglich machen, haben zeitweise zu einer neuen Distanz im Führen geführt. Der Vorgesetzte kann in Distanz zum Mitarbeiter gehen und wie ein Jury-Mitglied über dessen Zielerfüllung urteilen. Management lässt sich aber nicht auf das Zahlenabfragen reduzieren. Der Weg, den eine Führungskraft mit Mitarbeitern von einem Ist-Zustand zu einem Soll-Zustand zu leisten hat, wird durch Coaching begleitet. Diese Wegbegleitung ist dabei gleichzeitig das Modell für die Aufgabe der Führungskraft . Dies wirkt als ein so genannter positiver Parallelprozess. Es bedeutet: Das, was die Führungskraft ihren Mitabeitern gegenüber in der Beziehung zeigen soll, erlebt sie selbst modellhaft in der Beziehung zum Coach. In einem ganzen Unternehmen praktiziert, unterstützt Coaching gesamtunternehmerische Veränderungsprozesse (Höher, 2007).

Alles Lernen geschieht in Beziehung. Wir lernen nie alleine. Selbst wenn wir am Computer einen neuen Inhalt lernen, stehen internalisierte Lernpartner Pate. Lernen und sich Entwickeln hat beim Menschen immer eine persönliche Beziehungsgeschichte. Schon die ersten Lernprozesse (gehen, essen, sprechen lernen) passieren im Beziehungskontakt. Dies führt dazu, dass die besondere Art und die Haltung der Bezugspersonen auch verinnerlicht werden. Der Kontext und das »Wie« sind bei den frühen Lernprozessen wichtiger als das »Was«. Die »frühen« Beziehungserfahrungen aus den ersten Lebensjahren eines Menschen sind außerordentlich prägend. Sie werden zu den wesentlichen Rahmen- und Begleitbedingungen jedes späteren Lernprozesses, ob innerpsychologisch oder durch die Wahl der Lernpartner.

Praktisch heißt das: Wenn wir später am Computer quasi alleine lernen, sind wir dennoch nicht alleine. Internalisierte Stimmen unserer früh erlebten »Lernbegleiter« sind unbewusst mit dabei und lassen sich auf Befragen auch sehr schnell identifizieren. Nach heutigen Erkenntnissen sind die inneren Lernbegleiter ausschlaggebend für den Erfolg des Lernprozesses bei Erwachsenen. Der innere Dialog mit dem Lernbegleiter erleichtert oder erschwert das Lernen, macht es manchmal gar unmöglich. In der Entwicklung, Veränderung und Korrektur dieses internalisierten Lernkontextes liegt die wesentliche Herausforderung im Coaching. Dies ist nur in einer entsprechend professionell gestalteten Beziehung möglich.

Coaching erzeugt Kompetenzmehrwert

Führungskräft e haben eine gesellschaft liche Funktion. Manager werden heute vielfach als gestaltende Faktoren nicht nur der Wirtschaft , sondern auch der Gesellschaft angesehen. Zudem müssen sie gesellschaftliche Veränderungen in die Wirtschaft übersetzen. Sie bekommen andererseits sehr schnell die Dynamik wirtschaftlicher Veränderungen zu spüren. Ihre Aufgabe ist es, darauf angemessen zu reagieren. Die aktuellen Veränderungen betreffen vor allem den Prozessaspekt, die Art, wie sich Entwicklungen heute vollziehen. Die Geschwindigkeit von Entwicklungen in Gesellschaft und Wirtschaft hat sich beschleunigt. Früher unvereinbare Elemente treten heute gleichzeitig auf wie wirtschaftliche Aufschwungdynamik bei zunehmender Gefährdung der Arbeitsplätze. Zusätzlich bleiben Begrenzungen wirtschaftlicher Aktivität durch die Belastung der ökologischen Systeme. Dies ergibt unklarere Zukunft sszenarien. Überhaupt lassen sich Trends weniger gut fortschreiben. Szenarien, deren Auftreten relativ gesichert erscheint, gibt es nur noch für kurze Zeiträume. Persönliche Erfahrungen aus früheren Situationen erscheinen weniger anwendbar. Altbewährtes Denken und Verhalten verliert seine Rolle als tragfähiges Konzept für eine gesunde Entwicklung. War es über einige Generationen günstig, Führungsqualität als Aufb au eines stabilen Bezugsrahmens mit festen Grundsätzen für relativ konstante Umfeldbedingungen zu verstehen, ist heute Flexibilität, ständige Gefasstheit auf Veränderungen für Manager gefordert. Insgesamt sind stetige Veränderungsprozesse immer mehr die Regel als die Ausnahme. Gleichzeitig Kontinuität herzustellen ist die Herausforderung der heutigen Zeit. Diese Umkehrung von Basisprozess und Zusatz wird gerade für Manager in Branchen zum Problem, deren Produkte durch Konstanz und Kontinuität ihren Wert bekamen (Öffentliche Verwaltung, Banken etc.). Vor diesem Hintergrund wird die ganzheitliche methodische und persönliche Kompetenz des Umgangs mit den heutigen wirtschaftlichen und gesellschaft lichen Veränderungen zum Markenzeichen guter Führungskräfte. Komplexitätsmanagement wäre hier ein Stichwort. Lösungen sollen einerseits systemangemessen, andererseits für den einzelnen wesensgemäß sein. Effizienz setzt hier einen längeren kontinuierlichen, persönlichen Entwicklungsprozess voraus. Dazu wird die Begleitung durch Coaching als eine gute Unterstützung und damit passende Dienstleistung erlebt.

 

2. Ein kompaktes Modell – Coaching mit integrativer Transaktionsanalyse

Mit Fanita English, der großen alten Dame der Transaktionsanalyse, saß ich einmal in einer Besprechungspause einer langen Sitzung zusammen. Wir besprachen sehr diffizile Einzelthemen, die wir beide damals als Mitglieder des Board of Trustees der Internationalen transaktionsanalytischen Gesellschaft (ITAA) zu erarbeiten hatten. Ich musste mit meinem Englisch manchmal nach Formulierungen suchen. Nach einer ganzen Weile fragte sie mich sehr höflich, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn wir die Konversation deutsch fortsetzten. Ich war zunächst etwas irritiert, willigte aber ein. Wie sollte ich ihr das auch abschlagen, wenn sie mir das als amerikanische Delegierte vorschlug. Es stellte sich heraus: Ihr Deutsch war weit präziser als mein Englisch. Ihre große Lebenserfahrung, die ihr das fließende Sprechen von sechs Sprachen eingebracht hatte, zeigte sich. Aber sie machte mit mir auch etwas, das transaktionsanalytisches Arbeiten immer auszeichnet: einen Vertrag. Mit ihrer immer den anderen wertschätzenden und gleichermaßen präzisen Verhandlungsweise fanden wir dann schnell gute gemeinsame Vorschläge, die für Amerikaner und Europäer tragbar waren. Noch ein anderer Punkt faszinierte mich hier an der gelebten TA der Fanita Englisch: Wenn viele um 17.00 Uhr nachmittags das Ende der Board-Sitzung herbeisehnten, war Fanita mit ihrer Energie immer noch voll da und sorgte für Präzision und sorgfältige Arbeit. Sie war zu dem Zeitpunkt 89 Jahre alt. TA hält fit und jung, lernte ich daraus.

Coaching benötigt ein kompaktes Modell, wie menschliches Verhalten, Denken und Fühlen funktioniert. Ein ideales Grundkonzept ist dazu die Transaktionsanalyse, weil hier Verhalten, Denken und Gefühl, genauso wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftserwartungen im Beratungsansatz kombiniert sind. Die TA hat mittlerweile 50 Jahre ständige Erprobung, Auswertung und Weiterentwicklung vorzuweisen, so dass diese Methode mit Recht als eine der wesentlichen methodischen Eckpfeiler des Coaching dienen kann. Integrative Transaktionsanalyse bedeutet zusätzlich Offenheit für das methodische Ankoppeln von anderen Grundkonzepten. Beispielhaft seien hier die systemische Theorie (vgl. auch Kap. 4) und die hypnosystemischen Konzepte (Kap. 5) genannt.

2.1 Integrierte Professionalität als Grundlage für Coaching

Integrierte Professionalität ist der Zustand in der Berufsausübung, der durch eine Einheit aus Denken, Fühlen und Verhalten mit entsprechender Beziehungsgestaltung geprägt ist. Das Handeln aus der integrierten Professionalität heraus verlangt Aufmerksamkeit und professionelles Handeln auf mehreren Ebenen:

• Menschenbild und Organisationsverständnis

• Persönlichkeit und Unterschiedlichkeit

• Beziehung und Kommunikation

• Entwicklung und Veränderung

• Kontext- und Systembezug

• typische Professionsmethoden


Abb. 3: Handlungsebenen der integrierten Professionalität

Für die sechs Dimensionen braucht jeder Profipassende Antworten, ob er als Führungskraft im Unternehmen, als Dachdeckermeister mit seinem Kleinbetrieb, als freiberuflicher Rechtsanwalt oder als Kardinal einer Erzdiözese arbeitet.

2.2 Menschenbild und Organisationsverständnis
Menschenbild

Zunächst erfordert integrierte Professionalität in der Arbeit mit Menschen eine Menschenkenntnis, die tragfähig für den betreffenden Kontext ist. Kenntnis meint hier nicht nur Wissen, sondern verinnerlichtes Wissen, das man in Erleben und Verhalten umsetzen kann. Der Profi braucht ein Menschenbild, das ihm in seinem Leben und insbesondere im Berufsleben wirklich nützt. Es muss die Realität der Welt abbilden und es muss Fortschritte ermöglichen. Sonst taugt es nichts. Zum Menschenbild gehört eine langfristig tragfähige Haltung zu sich und anderen. Ein Profi macht sich nicht selber klein, er stellt sich aber auch nicht über andere. Beides sind Sackgassen. Der Profi geht den Weg der Mitte. Wie er dies tun kann, wird in den folgenden Kapiteln dargestellt.

Die Transaktionsaktionsanalyse ist entwicklungsoptimistisch, realistisch und systemisch.

Die erste Klassifizierung des Entwicklungsoptimistischen bedeutet, dass die grundsätzliche Orientierung des Coachings darauf gerichtet ist, dass ein Mensch sich entwickeln kann, denken kann, Neues entscheiden und psychisch wachsen kann. Realistisch meint in dem Zusammenhang, dass das Leben in seiner ganzen Breite angenommen wird. Es gibt keinen pauschalen positivierenden Blick. Betrachtet wird auch negativ wirkendes Verhalten, sei es beispielsweise kriminelles oder auch schädigendes Verhalten unter Kollegen, wie es leider auch in Wirtschaft und Organisationen immer wieder vorkommt. Dies wird gesehen, thematisiert und konfrontiert. Dennoch gibt es in dem Zusammenhang die Grundidee – und dies führt zum dritten, dem systemischen Aspekt – dass Menschen vernetzt sind miteinander und gleichzeitig aufgrund ihrer jeweiligen Lebenserfahrung mit einem eigenen Erfahrungshintergrund antreten. Allein schon diese gegenseitige Vernetzung macht auf der Grundebene der persönlichen Begegnung eine gegenseitige positive Haltung erforderlich.

Hierhin gehört auch, dass Profis eine nützliche Vorstellung von Organisationen, ein Organisationsverständnis, brauchen. Wofür sind Unternehmen und andere Organisationen überhaupt da? Was ist der einzelne im Unternehmen? Je weniger die Vorstellung hier verträumt ist, umso mehr wird eine gute Anpassung an die Realitäten gelingen. Ebenso falsch ist es, Organisationen negativ anzusehen, weil sie eine nützliche Funktion haben. Eine Organisation entsteht immer dann, wenn Leute sich zusammenschließen, um ein größeres Ziel zu erreichen, als sie es alleine erreichen können. Dies muss kein höheres Ziel sein. Es kann ganz profan sein. Aber Menschen haben die Fähigkeit, sich zu Gemeinschaften zusammenschließen, um etwas Größeres zu erreichen. Welchen »Geist« diese organisierte Gemeinschaft, sprich das Unternehmen dann hat, hängt sehr vom Organisationsbild der Entscheider ab.

Evolution und Revolution

Eric Berne, der den Begriffder Transaktionsanalyse prägte und die ersten Konzepte entwickelte, stand damit in den 50er und 60er Jahren unter dem Einfluss der aufsteigenden humanistischen Psychologie. Modelle wie Abraham Maslows Bedürfnispyramide und die neue Kybernetik Norbert Wieners waren ihm nicht fremd. Berne initiierte zwei revolutionäre Ideen in der Beratungslandschaft:

• Kurzzeitberatung: Die Maxime lautete »Erziele einen signifikanten Fortschritt in der ersten Sitzung, und wenn das nicht gelingt, in der zweiten, usw…«. Dies bedeutete, den Beratenen nicht zum Objekt zu machen wie es vorher häufig der Fall gewesen war.

• Transparenz: Der Klient kann dabei sein, wenn die Profis über ihn reden. Dies bedeutete nicht mehr den Beratenen zum Objekt zu machen wie es bisher häufig der Fall gewesen war. Außerdem verlangte dies eine Sprache, die auch ein Beratungsklient verstehen kann.

Berne starb leider sehr früh mit 60 Jahren. Die transaktionsanalytische Methode wurde jedoch von seinen Schülern sehr intensiv weiterentwickelt. Es gibt mittlerweile in vielen Ländern TA-Gesellschaften. Darüber hinaus gibt es länderübergreifende und auch eine internationale TA-Gesellschaft (ITAA), die insbesondere die Entwicklung der TA und die Qualität der Weiterbildung fördern. Vor allem fünf Impulse haben die TA in den letzten Jahren beflügelt: der systemische Ansatz (z.B. Allen, 2003; Schmid, 2004), die Verknüpfung der TA mit psychoanalytischen Konzepten (Novellino, 2003) sowie die beziehungsorientierte Richtung (Cornell und Hargarden, 2005) und die entwicklungsorientierte TA (Hay, 2006) und die organisationale TA (Mohr und Steinert 2006). Die Transaktionsanalyse wird heute in vier beruflichen Feldern angewendet:

Vier Anwendungsfelder der TA:

• Pädagogische Arbeit

• Organisationsentwicklung und Coaching

• Beratung zu Lebensbereichen und -themen (Erziehung, Partnerschaft, Sucht, Krisen …)

• Psychotherapie

Wertschätzung gegenüber sich selbst und anderen

Der wichtigste Kernsatz der TA lautet: »Ich bin o.k., du bist o.k.« Obwohl diese Formulierung sehr amerikanisch und für mache Europäer etwas oberflächlich klingt, steckt darin ein sehr weitreichendes und folgenreiches Postulat: Jeder Mensch ist im Kern in Ordnung. Gleichgültig wie er sich verhält, hat er einen Teil in sich, der liebenswert ist und der wachsen kann. Das erinnert auch an christliche oder buddhistische Wertvorstellungen. Für Berne kommt der Mensch mit bestimmten Anlagen auf die Welt, die er unter günstigen Umständen entwickeln wird. Viele der späteren Potenziale eines Menschen werden in der Kindheit angelegt. Der »kleine Mensch« will, wenn er auf die Welt kommt:

leben (dürfen),

sein (dürfen), was und wie er ist (z.B. ein Junge, der nicht allzu groß, aber kräft ig gebaut ist),

Säugling, Kleinkind, Schulkind sein (dürfen), also so alt sein und sich verhalten, wie er ist,

anderen Menschen körperlich und gefühlsmäßig nah sein (dürfen),

all seine Gefühle fühlen und äußern (dürfen),

seinen Verstand benutzen (dürfen),

Erfolg haben (dürfen) – auch als Säugling,

physisch und psychisch gesund sein (dürfen) (Petersen, 1980).

Wie die angeborenen Anlagen eines Menschen konkret aussehen, dazu wird in der TA nichts Näheres ausgesagt. Die Betonung liegt auf den Lernprozessen und den Auswirkungen der Umfeldbedingungen des Menschen in seinen prägenden Jahren. Der Ansatz erinnert in dieser Frage auch sehr an Erik Eriksons »Urvertrauen«, das es zu entwickeln gilt.

Gerade heute ist Vertrauensmanagement wieder durch Reinhold Sprenger (2003) zu einem der Eckpfeiler guten Managements erklärt worden. Aus dem Menschenbild der TA leitet sich auch ein bestimmtes Organisationsverständnis ab. Organisationen sind lebendige Humansysteme (Mohr, 2000), bei denen es darum geht, die Aufgabenorientierung mit der Menschenorientierung zu verbinden. Jede Organisation entwickelt eine eigene Charakteristik. Diese ist in zehn Systemdynamiken beschreibbar:

Organisationsverständnis

Organisational denken heißt für jede Herausforderung die angemessene Organisationsform zu finden. Um die Komplexität und die Dynamik eines Systems zu erfassen und zu beeinflussen, ist eine Klassifizierung hilfreich. Vier Kategorien von Betrachtungsperspektiven helfen bei Systemen wie Unternehmen und Institutionen (Mohr, 2006):

die Systemstruktur

die Systemprozesse

die Systembalancen

die Systempulsation

 

Abb. 4: Betrachtungsperspektiven von Systemen

Wie die vier Felder durch einzelne Dimensionen beschrieben werden, wird in Kapitel 4 behandelt. Organisationen reagieren als sich selbst erhaltende Systeme. Sie verhalten sich dabei manchmal komplett anders, als es der einzelne sich vielleicht wünscht. Dies wird beispielsweise daran deutlich, wie Organisationen Dank zeigen. Erfüllt eine Führungskraft in einer Organisation ihre Aufgabe sehr gut und entwickelt ihre Mitarbeiter angemessen, so zeigt manche Organisation ihren Dank, indem sie dem Rollenträger eine noch größere Aufgabe auflädt oder ihm die guten Mitarbeiter wegnimmt und neue, noch zu entwickelnde anvertraut. Organisationen reagieren nach ihrer eigenen Logik.

2.3 Persönlichkeit und Unterschiedlichkeit

Der zweite Bereich professioneller Kenntnisse betrifft Persönlichkeit und Unterschiedlichkeit. Was macht Persönlichkeit aus und was sind die Unterscheidungskriterien? Denn dies gibt Hinweise, was zu entwickeln ist. Einer der größten Irrtümer besteht darin anzunehmen, dass der andere, wenn er doch vernünftig ist und denken kann, zu genau dem Ergebnis kommen muss, das man selbst hat. Das ist falsch. Menschen sind unterschiedlich. Der Profi braucht ein Wissen darüber, wie und warum Menschen unterschiedlich sind. Es zeigt auch, welche Wirkung ich auf andere habe und wer zu mir passt. Persönlichkeit hat auch nichts mit Hierarchie zu tun. Hierarchie ist nur eine vertikale Arbeitsteilung, obwohl sich viele da ganz anders benehmen. Dies trifft übrigens für die »unten« mindestens so stark wie für die »oben« zu. Denn gerade das Hoch-Schauen und mangelnde Zivilcourage ermöglichen skurrile Hierarchiesysteme.

Die Grundidee der Persönlichkeitspsychologie der Transaktionsanalyse

Zwei Grundideen prägen die Persönlichkeitsvorstellung der Transaktionsanalyse:

Die erste Grundidee ist, dass Menschen sehr unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten auf Situationen haben. Sie bestehen aus einem großen Schatz an so genannten Ich-Zuständen, die jeweils durch eine Einstellung, ein Gefühl, ein Verhalten und eine Körperempfindung gekennzeichnet sind.

Die zweite Grundidee ist: Menschen bilden sehr früh eine zusammenhängende, konsistente unbewusst wirksame Geschichte über sich selbst, die anderen und die Welt, genannt das Skript.

Zunächst zur ersten: Ich-Zustände entwickeln Menschen ständig.

Ein Ich-Zustand ist definiert als ein zusammenhängendes Muster aus Denken (Einstellung), Fühlen und Verhalten.

Die drei Komponenten Verhalten, Denken (Einstellungen) und Fühlen werden zu einer zusammenhängenden Gestalt, einem Muster gefügt, dem Ich-Zustand. Viele davon sind sicher nur kurz vorhanden und flüchtig. Oft allerdings werden sie hier zu »Gewohnheitstieren«, dass sie sich auf immer wieder bestimmte Ich-Zustände begrenzen. Eric Berne hatte allerdings auch schon mit dem Satz »Jeden Tag ein neuer Ich-Zustand« auf die stetige Entwicklung des Menschen hingewiesen. Wie man neue Ich-Zustände entwickelt, dazu mehr unter »Entwicklung und Veränderung«.


Abb. 5: Ein Muster des Ich-Zustands

Wie drückt sich die Persönlichkeit aus? – Das Funktionsmodell

Eine Perspektive der TA auf Persönlichkeit ist dann, die Ich-Zustände in Ich-Zustandssysteme, beispielsweise nach dem Kriterium ihrer sozialen Ausdrucksqualität, zu gruppieren.


Abb. 6: Ich-Zustandssysteme: Cluster von Ich-Zuständen

Dies ergibt persönliche Stile, die jeder zur Verfügung hat und die bedingen, wie sich eine Persönlichkeit nach außen ausdrückt (Ausdrucksanalyse). Aber bei manchen sind bestimmte einzelne Stile zu Gewohnheitsmustern geworden und werden nicht mehr der Situation entsprechend angemessen eingesetzt. Dies unterscheidet dann die positive (= angemessen bezüglich der Situation und der Form) und negative (= unangemessen, gewohnheitsmäßig, mit unpassender Form) Wertung.

Das Modell stellt sechs Persönlichkeitshaltungen dar, die wie ein inneres Team bei jedem Menschen vorhanden sind, wenn auch sehr unterschiedlich ausgeprägt. In Klammern sind die von Berne ursprünglich geprägten, manchmal etwas missverständlichen Bezeichnungen aus der Familienwelt aufgeführt:

• eine natürliche, spontane, gefühlsbetonte Haltung (das sog. freie Kind-Ich, fK),

• eine sich an Erwartungen anderer anpassende Haltung (das sog. angepasste Kind-Ich, aK)

• eine prinzipiell gegen Erwartungen gerichtete Haltung (das sog. rebellische Kind-Ich, rK), eine sich um andere kümmernde Haltung (das sog. fürsorgliche Eltern-Ich, fEl)

• eine andere einschränkende und orientierende Haltung (das kritische Eltern-Ich, KEl)

• die vernunft geprägte, sachliche Haltung (Erwachsenen-Ich, ER).

Diese sechs Ausprägungen können sowohl in positiver Wirkung als auch in negativer Wirkung auft reten. Nur das Erwachsenen-Ich als innerer Moderator und auf das ›Hier-und-Jetzt‹ bezogene Instanz ist quasi per definitionem positiv.


Abb. 7: Persönliche Stile des Verhaltens

Das ergibt die »elf Gänge«, die von einer Person eingesetzt werden können:

1. Das positiv fürsorgliche Eltern-Ich (+fEl), Funktion: Erlaubnis- Geben. »Ich mag Dich, wie du bist, egal, was du tust.«

2. Das negativ fürsorgliche Eltern-Ich (-fEl), Funktion: Retten. Jemand anderen kleiner machen als er ist, indem man ihm unnötige Hilfe aufdrängt.

3. Das positiv kritische Eltern-Ich (+kEl), Funktion: Schützen. »Pass auf dich auf, das kannst du!«

4. Das negativ kritische Eltern-Ich (-kEl), Funktion: Verfolgen. »Jetzt zeig ich dir mal, was du wieder alles falsch gemacht hast.«

5. Das Erwachsenen-Ich, das per definitionem positiv ist.

6. Das negativ freie Kind-Ich (-fK); hier sind sich die Autoren uneinig, ob es eine Negativ-Funktion des fK überhaupt gibt. Wenn ja, würde z.B. unbedachtes Schwimmen in gefährlichen Gewässern als exemplarisches Verhalten gelten.

7. Das positiv freie Kind-Ich (fK); ungehemmter Ausdruck von Gefühlen und Impulsen

8. Das negativ angepasste Kind-Ich (-aK): »Ich werde euch zwingen, euch mit mir zu beschäftigen!« Dies wäre der rebellische Aspekt des -aK. Der brave Aspekt des -aK wäre: »Was muss ich tun, um gemocht zu werden?« (»Eigentlich bin ich ja nicht liebenswert, aber vielleicht erbarmt sich ja jemand«)

9. Das positiv angepasste Kind (+aK) macht etwas, was von ihm erwartet wird, fühlt sich aber gut dabei: Zähne putzen, Aufräumen, Grüßen etc.

10. Das negativ rebellische Kind-Ich (-rk) ist prinzipiell gegen alles.

11.Das positiv rebellische Kind-Ich (+rK), das intuitiv an bestimmten Punkten merkt, dass etwas nicht gut läuft, und »Stopp« sagt, ohne eine klare Begründung zu haben.

Diese Aufteilung ist mit bestimmten Konzepten von Erziehungsstilen zu vergleichen.

Das Herkunftsmodell – Wo kommt ein Erlebens- und Verhaltensmuster her?

Die Transaktionsanalyse untersucht weiterhin die Struktur einer Persönlichkeit ausgehend von der Frage, wo ein bestimmtes persönliches Muster herkommt. Die Frage der Herkunft ist für eine mögliche Änderungsinitiative im Coaching oder Selbstcoaching von großer Bedeutung. Ferner betrachtet die TA, wie sich eine Persönlichkeit in bestimmten Stilen nach außen ausdrückt. In Bezug auf die erste Fragestellung, die nach der Herkunft der Persönlichkeit, lassen sich drei Musterkategorien für Ich-Zustände beschreiben:

• Eltern-Ich (»Exteropsyche«): ein System von Mustern aus Einstellungen, Gedanken, Verhaltensweisen und Gefühlen, die wir von unseren Eltern oder aus anderen signifikanten Quellen übernommen haben: Literatur, Lehrer usw.

• Kindheits-Ich (»Archeopsyche«): alle Muster, die ein Kind von Natur aus hat; die selbstentwickelten Aufzeichnungen seiner früheren Erfahrungen, seiner Reaktion darauf und die Grundanschauungen über sich und andere.

• Erwachsenen-Ich (»Neopsyche«): das aktuelle Neubestimmen, Musterbilden im Hier und Jetzt; das Intelligente, die aktuelle äußere und innerpsychische Realität.


Abb. 8: Die drei Musterkategorien für Ich-Zustände

Diese Abgrenzungen stehen in der Tradition der Psychoanalyse, sie ähneln der Freudschen Abgrenzung von Über-Ich, Ich und Es. Die Transaktionsanalyse sieht die Ich-Zustände allerdings als Teil des Ichs und als konkret wahrnehmbare Einheiten: Das Konzept der herkunft sanalytischen Ich-Zustände lässt sich gut mit den Ergebnissen der Gedächtnispsychologie vereinbaren.