Der blinde Spiegel

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Er kam wieder auf den Platz und steuerte auf das Kaffeehaus zu. Im Schatten einiger Bäume standen kleine Holztische vor dem ein wenig schiefen Haus. Drei alte, verhutzelte Männer saßen mit dem Rücken zur Hausmauer nebeneinander. Sie schienen alle Zeit der Welt zu haben und durch nichts in ihrer Ruhe gestört werden zu können. Meyendorff grüßte mit einem Kopfnicken, die Männer erwiderten den Gruß. Er nahm den vordersten Tisch, nicht nur, um den Männern nicht zu nahe zu rücken, sondern auch, um den Platz gut überblicken zu können. Mühsam erhob sich einer der drei, warf sich ein nicht ganz frisches weißes Tuch über den Arm und schlurfte heran. Meyendorff war in seinem Leben häufig in Konstantinopel gewesen, auch in Smyrna und anderen türkischen Luftflottenstützpunkten, aber bis auf ein paar Brocken hatte er die türkische Sprache nicht erlernt. Nicht erlernen können. Nie hatte sich die Möglichkeit eines intensiven Sprachstudiums ergeben. Dabei hielt er sich selbst für talentiert. Schon im Volksschulalter hatte er Ungarisch gelernt und später auf der Kadettenschule perfektioniert. Weiters hatte er in Grundzügen auch Französisch und Kroatisch erlernt. Immerhin reichte sein Türkisch aus, um in Kaffeehäusern Bestellungen abzugeben. Meyendorff wusste, dass viele Türken nicht sehr glücklich darüber waren, dass sich österreichische, ungarische und deutsche Soldaten in ihrem Land aufhielten, denn mit ihnen ging der Krieg weiter, andererseits konnte man als Offizier die Herzen der Leute im Sturm erobern, wenn man sich bemühte, ihre Sprache zu sprechen, ihre Angewohnheiten zu respektieren und ihre Umgangsformen zu pflegen.

Meyendorff bestellte Apfeltee. Der alte Wirt verneigte sich und verschwand im Haus. Meyendorff versuchte nicht in das Innere des Hauses zu schauen, besser war, er vergegenwärtigte sich den hygienischen Zustand der Küche des Kaffeehauses nicht. Langsam entnahm er seiner Rocktasche das Zigarettenetui, fischte nach einer Zigarette und entflammte sie. Die Luft stand, dennoch war die Hitze erträglich. Es war erst Frühling, der Hochsommer würde schon noch die Gluthitze bringen.

Die Zeit lief. Meyendorff trank den süßen Apfeltee ohne jede Hast. Er passte seinen Atemrhythmus an den der drei alten Männer an. Die Zeit war nichts, der Tag unendlich, das Leben viel zu kurz und doch ewig in allen seinen Augenblicken. Er hatte die stoische Ruhe der Türken stets bewundert.

Später trank er eine zweite Tasse Apfeltee und rauchte noch eine Zigarette.

Eine Horde Kinder jagte mit Geschrei über den Platz und verschwand wieder.

Dann vernahm Meyendorff Motorenlärm. Er drehte den Kopf. Die Lastwagen kehrten zurück. Vor dem Barackenlager marschierten die Landsturmmänner und Frauen des Wachdienstes herüber. Meyendorff nickte dem Wirt zu und legte einige Münzen auf den Tisch. Er gab immer großzügig Trinkgeld.

Lärmend rollten die Laster über den Platz. Die Ladebordwände fielen krachend auf und Dutzende Frauen stiegen ab. Wieder war der Platz von durcheinanderwirbelnden Stimmen erfüllt. Meyendorff saß da und suchte in der Menge. Er war zwar recht weit entfernt, aber seine Augen waren ausgezeichnet. Für Piloten war es außerordentlich hilfreich, gute Augen zu haben. Er war nervös. War sie wieder nicht dabei? Sollte er jeden Tag hierherkommen? Machte er sich bei den Wachen nicht lächerlich, wenn er vor dem Mädchenpensionat wie ein streunender Kater herumschlich?

Da war sie!

Kurz hatte er ihr Gesicht gesehen. Sein Puls raste. Er erhob sich und ging entlang der Häuserzeile rund um den Platz. Die Frauen trotteten langsam in Richtung Barackenlager. Meyendorff suchte nach ihr, fand sie aber vorerst nicht. Hatte er sich getäuscht? Einige der Frauen bemerkten ihn und schauten neugierig herüber. Clarissas Augen waren dabei. Innerlich jauchzte Meyendorff vor Freude. Ihre Blicke trafen sich. Er blieb stehen und sah ihr nach, wie sie in der Menge vorwärtsschritt. Ihre Blicke trennten sich erst, als sich ein Haus zwischen sie schob. Wie schön sie war. Unbeschreiblich schön. Eine Prinzessin. Die Menschenmenge verflüchtigte sich, die Laster fuhren ab. Einige ältere Frauen standen noch tratschend bei den spärlich bestückten Warenkörben des Gemüsehändlers. Zwei Frauen des Wachdienstes waren unter ihnen.

Was sollte er tun? Wie würde er Clarissa jemals ansprechen können? Immer waren da neugierige Augen und Ohren. Wie würde er je mit ihr ins Gespräch kommen können?

Er wollte sich eben eine Zigarette anstecken, da huschte eine zierliche Gestalt um die Ecke und flog mit leichten Schritten an ihm vorbei. Clarissas vorwitziger Blick warf ihn beinahe um. Sie war gekommen!

Vor dem kleinen Fenster der Bäckerei blieb sie stehen und schien über das Angebot nachzudenken. Sollte sie ein großes oder zwei kleine Brote kaufen? Aber Meyendorff wusste genau, dass sie nicht wegen der Brote zurückgekommen war. Er trat an sie heran.

„Guten Tag, mein Fräulein. Ich habe die Ehre, Sie zu kennen. Erlauben Sie, dass ich Ihnen meine Aufwartung mache.“

Sie drehte den Kopf und lächelte ihn an.

„Guten Tag, Herr Oberleutnant.“

Sie reichte ihm ihre Hand. Meyendorff ergriff und küsste sie galant.

„Wenn Sie gestatten, es wäre mir ein Vergnügen, Sie beim Brotkauf zu begleiten. Oder darf ich es wagen, Ihnen einen kleinen Spaziergang vorzuschlagen?“

„Der Bäcker hat bis spät nachts offen. Ich muss das Brot nicht sofort kaufen. Aber in spätestens zwanzig Minuten muss ich durch die Sperre gegangen sein.“

Kurz schaute sie zu den älteren Frauen hinüber. Diese hatten sich offensichtlich zu einem Kauf entschlossen und waren im Begriff, ins Barackenlager zurückzugehen. Sie alle hatten den Oberleutnant und das Fräulein vor der Bäckerei gesehen.

„Die Hyänen werden uns bestimmt nicht aus den Augen lassen“, flüsterte sie.

Meyendorff konnte sehen, wie sich eine der zwei Wachfrauen von der Gruppe löste und sich in den Schatten eines Baumes stellte.

„Wir dürfen uns nicht vom Platz entfernen. Sonst rennt sie uns nach. Das machen sie immer so.“

Meyendorff räusperte sich.

„Ich will Ihnen keinerlei Schwierigkeiten bereiten, also schlage ich vor, wir spazieren hier ein wenig über den Platz. So ist allem Anstand doch hoffentlich Genüge getan.“

Er konnte nicht anders, er lächelte, wie er gewiss noch nie gelächelt hatte. War er jemals so voller Freude gewesen? Mit langsamen Schritten gingen sie über den Platz.

„Haben Sie gewusst, wann ich komme?“, fragte Clarissa.

„Nein, ich habe einfach gewartet.“

„Und mussten Sie lange warten?“

„Eigentlich nicht. Hier, in diesem Kaffeehaus, habe ich etwas Apfeltee getrunken. Eine Stunde. Ich hatte Glück.“

Er nickte unmerklich. Oh ja, er hatte wirklich Glück gehabt, unglaubliches Glück.

„Ist das Wetter hier nicht fabelhaft? Ich bin seit zwei Monaten hier und das Wetter gefällt mir mit jedem Tag besser. Die Sonne, das helle Licht, die Wärme.“

„Der Frühling am Bosporus ist tatsächlich für uns aus dem Norden ein kleines Wunder.“

„Bei uns zu Hause in Lemberg regnet es den ganzen Frühling über. Oder zumindest fast. Verglichen mit dem Winter in Galizien ist der Frühling hier wie ein Traum.“

Meyendorff verliebte sich in die feenhafte Leichtigkeit, mit der sie sprach, melodiös und anmutig. Und ihre Hände gestikulierten lebendig, tanzten zierliche Pirouetten in die Luft. Jetzt wusste er auch, woher sie kam. Aus Lemberg, aus dem Osten des Reiches. Ob sie Jüdin war?

„Ich liebe dieses Land, obwohl ich bislang kaum noch etwas davon gesehen habe.“

Ein Hauch von Traurigkeit huschte über ihr Gesicht.

„Immerzu wird man hier kontrolliert, nie darf man etwas unternehmen, immer nur Dienst und Disziplin. Dieser Platz ist ganz nett, aber gehen Sie einmal ein paar Schritte durch das Viertel hier. Deprimierend graue Häuser, fahle Wände, schmutzige Gassen. Und in der Dienstzeit immer das künstliche Licht im Bunker anstatt der fröhlichen Sonne.“

Clarissa lächelte wieder.

„Aber einmal durften wir einen Ausflug an den Strand unternehmen. Es war wunderbar. Früher habe ich immer von einem Sommerurlaub an der Adria geträumt. Ich wollte schwimmen, segeln, nach bunten Fischen tauchen. Jeden Sommer war ich wieder enttäuscht, nicht hinfahren zu können. Mein Vater hat mir jeden Sommer wieder erklärt, die Adria ist vermint, von Kriegsschiffen durchkreuzt und in der Reichweite italienischer Flugzeuge. Ich habe damals nicht begreifen können, was das mit meinem Badeurlaub zu tun hatte. Und jetzt war ich endlich zum Baden am Meer. Meine Kameradinnen und ich sind herumgetollt wie kleine Kinder.“

Clarissa hüpfte vergnügt neben Meyendorff und klatschte in die Hände.

„Die Hyänen haben uns fast nicht mehr aus dem Wasser gebracht. Es war wunderschön.“

Clarissa fasste sich wieder und ging ruhig weiter.

„Entschuldigen Sie bitte, dass ich Hyänen sage, aber das ist so der Sprachgebrauch in den Baracken.“

Meyendorff war entzückt. Was für eine kindlich reine Seele in ihr wohnte.

„Sie können sich wahrscheinlich denken, dass man als Pilot meistens nicht auf die Landschaft achten kann. Zumindest nicht in einem ästhetischen Sinn“, führte Meyendorff aus. „Man sieht die Küste und das Meer, also hat man noch eine Stunde nördlich, südlich, östlich oder westlich zu fliegen. Man achtet auf die Landschaft nur als Navigationshilfe. Doch manchmal, in seltenen Momenten, gelingt es einem, aus siebentausend Metern Höhe in Ruhe und kurzer Freude die Erde zu beobachten. Ich wünschte, Sie könnten das einmal erleben, hoch im Himmel zu schweben, schwerelos über das Meer zu gleiten. Und unten liegen die ägäischen Inseln, kleine Landkonturen, braune oder grüne Küstenlinien und Berge im ewigen Wasser. Bedächtig neigt sich die Sonne gegen den Horizont im Westen und man sieht die Schatten der Wolken auf dem Wasser.“

 

Meyendorff war erstaunt, mit welcher Leichtigkeit ihn die Rührung ergriffen hatte. Ansonsten behielt er Gedanken und Gefühle wie diese für sich. In einer Welt der männlichen Disziplin und militärischen Hierarchie hatten schwärmerische Naturbetrachtungen keinen Platz. Aber hier hatte er den richtigen Ton getroffen, Clarissas Augen leuchteten neugierig, ja, vielleicht sogar fasziniert.

„Aber diese Momente sind so rar. Ich verstehe Sie gut, dass Ihnen der Ausflug großes Vergnügen bereitet hat.“

Er blieb mitten im Schritt stehen. Das war eine großartige Idee. Clarissa stoppte ebenfalls und konnte sich gar nicht von seinen Augen lösen.

„Mein Fräulein, darf ich Clarissa zu Ihnen sagen?“

Er nahm ihre Hand. Sie hauchte mehr, als dass sie sprach.

„Ja.“

Er küsste ihre Hand.

„Dann bitte ich Sie, mich Hermann zu nennen.“

Clarissa nickte. Er ließ ihre Hand nicht los.

„Darf ich darüber hinaus anbieten, Sie bei nächster Gelegenheit zu einem Ausflug in das Hinterland zu fahren? Es ist für mich keine Schwierigkeit, jederzeit ein Fahrzeug zu besorgen. Wir könnten eine Tagestour unternehmen und nach einem schönen Ort zur Rast suchen.“

Clarissas Stimme zitterte beinahe.

„Das wäre wunderbar. Ich würde mich außerordentlich freuen, aber ob das die Lagerleitung zulassen wird? Hier herrschen sehr strenge Regeln.“

Er küsste wieder ihre Hand und geleitete sie in Richtung Barackenlager.

„Liebe Clarissa, ich bin zwar nur Oberleutnant, aber unterschätzen Sie nicht meinen Einfluss. Wann ist Ihr nächster freier Tag?“

„Sonntag nächste Woche.“

„Also in zehn Tagen. Gut, dann Sonntag nächste Woche. Ich hole Sie ab. Sie werden sehen, man wird Ihnen diesen Urlaubstag nicht verwehren können.“

Er fixierte die Uhr. Mit geradezu impertinenter Langsamkeit kreiste der Minutenzeiger. Er durfte den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen, der General hatte feste Gewohnheiten, und wer etwas von ihm wollte, hatte sich diesen Gewohnheiten anzupassen.

Noch zehn Minuten.

Meyendorff war beileibe kein Freund des Generals, im Gegenteil, er fand den operettenhaften Hofstaat, in den er das Fliegerquartier verwandelt hatte, lächerlich. Meyendorff war von Adel, aber dieses Getue wie am Hofe König Ludwigs XIV. ärgerte ihn. Damit untergrub man die Moral der einfachen Leute, der Soldaten, der Arbeiter in den Werkstätten. Aber in diesem speziellen Fall gedachte Meyendorff sich Kirnbauers Faible für Empfänge zunutze zu machen.

Noch acht Minuten bis der General zum Mittagstisch ging. Pünktlich um zwölf Uhr fünfzehn.

Es war ihm in fast einer Woche Untergrundarbeit nicht gelungen, an besagtem Sonntag eine Ausgangserlaubnis für Clarissa zu erwirken. Keiner seiner Vorstöße hatte Erfolg gehabt, schlicht und einfach, weil eine böse alte Hexe die oberste administrative Leitung der Quartiere für weibliche Militärangehörige und Luftflotten-Dienstkräfte innehatte. Diese Ausgeburt des Satans, oder vielleicht war sie doch eine direkte Delegierte des Papstes, mit fahlen Lippen, hochgeschlossenem Kragen und einem ständig unter den Arm geklemmten Gebetsbuch, verfügte rigoros über ledige Frauen, die ihr einundzwanzigstes Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Auf diesem Weg hatte Meyendorff Clarissas Alter erfahren, sie war genau zwanzig Jahre und sieben Monate alt, also fehlten ärgerliche fünf Monate zur Volljährigkeit. Es war völlig ausgeschlossen, dass ein minderjähriges Fräulein im Dienst der k. u. k. Luftflotte alleine mit einem Offizier ausging. Das hatte Meyendorff schließlich zur Kenntnis nehmen müssen. Er hatte nicht eine Schlacht, sondern bisher alle Schlachten verloren, aber die letzte Schlacht war noch nicht geschlagen. Er hatte noch eine Waffe in der Hand, eine gefährliche Waffe.

Es war Zeit. Meyendorff erhob sich, schaute an sich herab, befand sich perfekt adjustiert und verließ sein winziges Büro. Durch das Gedärm des Bunkers schlängelten sich unzählige Verzweigungen. Er lief einige Gänge entlang. Überall wurde gearbeitet, obwohl der oberste Befehlshaber des FlQ-Süd ein Traumtänzer war. Die Notwendigkeit, den gigantischen Verwaltungsaufwand des Krieges zu erledigen, bestimmte hier den Arbeitsrhythmus.

Meyendorff blickte in den Gang, in dem er dem General auflauern wollte. Kirnbauer verspätete sich, normalerweise müsste er genau jetzt mit seinem Adjutantenstab hier entlangmarschieren. Nach Kirnbauer konnte man, wenn er ins Offizierskasino zum Mittagstisch ging, die Uhr stellen. Meyendorff wartete hinter einer Ecke. Ein schmalbrüstiger älterer Beamter trug ein Bündel Akten an ihm vorbei und lächelte. Er kannte diese Szene offenbar schon, ein jüngerer Offizier, der dem General auflauerte.

Da kam er. General Kirnbauer. In Begleitung von zwei Ordonnanzoffizieren.

Meyendorff trat schwungvoll hinter der Ecke hervor, direkt in das Blickfeld des Generals, überrascht hielt dieser inne, Meyendorff knallte vorschriftsmäßig mit den Hacken und salutierte stramm. Natürlich hatte er für diesen Auftritt seine goldene Medaille nicht vergessen. Prunkvoll glänzte sie auf seiner Brust. Der General salutierte lässig.

„Sieh an, sieh an, Herr Oberleutnant. Bekommt man Sie endlich wieder zu Gesicht?“

Der goldene Schein der Tapferkeitsmedaille bewirkte, dass der General stehen blieb und Meyendorff wohlwollend musterte.

„Na, wie geht’s Ihnen so? Die Verletzungen kuriert?“

Meyendorff roch die Fahne des Generals. Schon vor dem Mittagessen hatte er getrunken.

„Danke der Nachfrage, Herr General. Ich bin wieder heil.“

„Na, das wird aber auch Zeit. Sagen Sie mal, Herr Oberleutnant, wo haben Sie sich versteckt?“, fragte er und wandte sich seinem Adjutanten zu. „Da hat man nun einen echten Helden im Haus und kann sich gar nicht an seinem Glanz erfreuen, weil er sich im Mausloch versteckt.“

Der General und seine Begleiter lachten.

„Herr General, ich bitte Sie aufrichtig um Nachsicht. Tatsächlich hat mich meine Verwundung viel Substanz gekostet, und für mich als Frontoffizier war die Umstellung auf den Etappendienst nicht leicht.“

Meyendorff ging forsch ins Gefecht, die alte Rivalität zwischen Front- und Etappenoffizieren war stets Anlass zu feurigem Disput. Der General spitzte seine Lippen und fixierte den vorlauten Oberleutnant.

„Umso mehr freut es mich, Herr General, wenn ich Ihnen mitteilen darf, dass ich mich an meinem neuen Dienstposten Seiner Majestät Luftflotte eingewöhnt habe und mit großem Engagement meine Arbeit leiste.“

Touché. Der General lächelte und klopfte Meyendorff auf die Schulter.

„Bestens, Herr Oberleutnant, bestens. Wollten Sie ins Kasino? Begleiten Sie mich doch. Man sitzt gern mit einen feschen Helden an einem Tisch.“

„Herr General, ich danke vorzüglich für die Ehre und schließe mich Ihnen gerne an.“

Sie marschierten los.

„Aber dass Sie sich überhaupt nicht haben blicken lassen, Herr von Meyendorff, hätte Ihrem Onkel, Gott hab ihn selig, gewiss Verdruss bereitet“, tadelte der General.

„Tatsächlich ist mir mein Versäumnis peinlich bewusst, darum möchte ich in aller Bescheidenheit fragen, ob die Einladung zu Ihrer Sonntagsmatinee noch Gültigkeit hat?“

Der General lachte jovial.

„Na, was glauben Sie, mein Guter! Meine Frau macht mir seit Wochen die Hölle heiß, weil ich ihr unseren Helden noch nicht vorgestellt habe. Also, ich erwarte Sie um zehn Uhr. Und diesmal keine Ausreden. So, jetzt erzählen Sie mir einmal ganz genau, wie Sie durch die feindlichen Linien gekommen sind.“

„Herr General, mit dem allergrößten Vergnügen, darf ich aber noch ein kleines Anliegen vorbringen?“

Der General schaute ein wenig scheel. Ein geübter Blick, den er im Laufe seiner Karriere wohl Tausenden Bittstellern zugeworfen hatte.

„Es wäre mir eine Ehre, nicht alleine zur Matinee erscheinen zu dürfen. Ich habe ein Fräulein kennengelernt, welches mir Ihnen vorzustellen eine Ehre wäre.“

Der scheele Blick des Generals verflog, er lächelte süßlich. Das waren genau die Geschichten nach seinem Geschmack.

„Darum will ich bitten, Herr Oberleutnant.“

Jetzt hatte Meyendorff Kirnbauer so weit, jetzt hieß es, die Schlacht im Sturmlauf zu entscheiden.

„Das junge Fräulein wohnt im Barackenlager Nord, und vielleicht ist Ihnen schon zu Ohren gekommen, dass dort sehr strenge Sitten herrschen. Ich fürchte, ich kann Ihnen das Fräulein nicht vorstellen, wenn Sie nicht Ihr gewichtiges Wort erheben.“

General Kirnbauer nickte heftig.

„Oh ja, Herr Oberleutnant, solche Klagen höre ich immer wieder, aber solange die Gräfin Almassy dort das Sagen hat, wird sich nichts ändern. Also, wie heißt das Fräulein?“

„Clarissa Roth, Herr General.“

Sie blieben stehen. Kirnbauer wandte sich an seinen Adjutanten.

„Gruber, notieren Sie. Fräulein Clarissa Roth kriegt eine schriftliche Einladung für die Matinee am nächsten Sonntag. Und wenn die bocken, werde ich denen die Leviten lesen.“

Er wandte sich an Meyendorff.

„Sagten Sie Clarissa Roth? Ist das nicht die Tochter von Wenzel Roth, dem Industriellen? Herrgott, jetzt fällt’s mir wieder ein, der Herr Papa hat mir doch vor Wochen einen Brief geschrieben und das Kommen seiner Tochter angekündigt. So ein Schlamassel, die kleine Roth ist mir völlig entfallen.“

Ernsthaft besorgt blickte er Hauptmann Gruber an.

„Jud oder nicht Jud, der Roth ist ein treuer Diener des Kaisers. Gruber, da müssen wir uns eine brauchbare Ausrede einfallen lassen.“

Streng fasste der General Meyendorff ins Auge und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Herr Oberleutnant, Sie sind mir persönlich dafür verantwortlich, dass Fräulein Roth pünktlich um zehn Uhr zur Matinee erscheint.“

Sie gingen weiter.

„So, aber jetzt erzählen Sie schon, wie Sie durch die feindlichen Linien gekommen sind.“

„Im Prinzip ganz einfach, Herr General. Meine Männer und ich haben uns tagsüber versteckt und nachts sind wir marschiert. Und wenn uns ein feindlicher Soldat entdeckt hat, haben wir ihn getötet.“

Der General lachte lauthals.

„Famos, Herr Oberleutnant, ganz famos! Das müssen Sie mir detailliert schildern.“