Das Nadelöhr

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„Bist du Vegetarier?“

„Seit sieben Jahren.“

Mona verzog anerkennend ihre Miene.

„Find ich cool. Ich esse seit zwei Jahren kein Fleisch mehr. Wie machst du es mit deinem Kater?“

„Hab’s mit Tofu probiert. Ging nicht. Wir haben zwei Monate pausenlos Streit gehabt, Wladiwostok hat gewonnen. Er ist eine Katze, also kriegt er Fleisch.“

Konrad langte herzhaft zu und bestrich eine dicke Scheibe dunklen Roggenbrots mit Butter und griff nach den Tomaten.

„Die Menschen meiner Generation verstehen nicht“, erläuterte Konrad kauend, „warum so viele junge Leute dem Vegetarismus huldigen, und selbst wenn ich als Einzelgänger herzlich wenig mit meinen Zeit- und Altersgenossen gemeinsam habe, so doch die Vorliebe, in Wurst verarbeitete Schlachtabfälle zu verspeisen. Ich liebe Burenwurst am Würstelstand.“

„Iiih, voll ekelhaft, ich gehe immer tausend Kilometer um Würstelstände herum, damit ich den Leichengeruch nicht in die Nase kriege“, sagte Mona.

„Mache ich auch so“, stimmte Luis Mona heftig nickend zu.

„Aber zur Dönerbude gehst du schon“, stellte Mona fest.

Luis verschluckte sich beinahe.

„Na ja, manchmal, wenn ich nichts zuhause habe, hole ich mir Dürüm mit Falafel. Ist aber eher die Ausnahme“, versuchte er zu beschwichtigen.

Konrad stopfte unbeirrt frisches Brot in sich hinein, aß mit sichtlichem Appetit ein großes Stück Emmentaler und einen Apfel.

„Aber für einen Vegetarier, entschuldige, wenn ich das so sage, mein lieber Freund, siehst du eigentlich recht füllig ernährt aus“, meinte Konrad.

Luis kämpfte dagegen an, aber wie immer verlor er diesen Kampf, er spürte, wie die aufgestiegene Hitze sich an seinen rotglühenden Wangen zu kühlen versuchte. Mona kicherte.

„Dafür habe ich keine steinharte Leber“, konterte Luis muffig.

Konrad winkte gestenreich ab.

„Verzeihung, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Schwamm drüber, ich habe gar nichts gesagt.“

Für eine Weile aßen die drei still. Luis fiel auf, wie zaghaft Mona kaute. Er hob die Augenbrauen.

„Noch Probleme mit dem Gebiss?“

Sie nickte mit leidender Miene.

„Tut schon noch ordentlich weh.“

„Willst du eine Schmerztablette?“

„Nein, ich werfe keine Pillen ein. Ich werde das schon durchstehen.“

„Tapfere Mona“, schaltete sich Konrad ein. „Aber auch trotz deiner Kühnheit im Schmerz muss ich darauf hinweisen, dass für eine so junge Frau wie dich eine Zahnlücke im Lauf der Jahre zu einem Problem werden wird. Das ganze Gebiss wird durch die Lücke in langsame, aber unaufhaltsame Bewegung geraten. Ich rate dir unbedingt an, zu einem Zahnarzt zu gehen, der eine Prothese setzt.“

„Würde ich auch machen“, bestätigte Luis.

Mona spülte mit einem Schluck Tee das Müsli hinunter. Sie wiegte den Kopf.

„Habe ich mir schon durch den Kopf gehen lassen. Aber so eine Brücke kostet ein Schweinegeld. Ich habe ja nichts.“

Konrad stützte seine Ellbogen auf den Tisch.

„Ich bin völlig mittellos, sonst hätte ich dir das Geld gegeben. Was ist mit deinen Eltern? Können sie dir nicht unter die Arme greifen?“

Mona verdrehte die Augen.

„Meine Eltern frage ich höchstens um Geld, wenn mir ein Entführer eine Kalaschnikow an die Stirn hält. Die können mich mal.“ Es war wie ein Blitz. Eine Eingebung. Eine Erleuchtung. Luis klatschte in die Hände.

„Das ist es!“

Die beiden schauten Luis überrascht an.

„Was ist es?“

„Na das! Ich weiß was wir machen!“

„Was machen wir?“

Luis sprang hoch und lief in der Küche auf und ab. Er dachte schnell, fast fieberhaft, ein klares Bild zeichnete sich vor seinem geistigen Auge ab.

„Genau, so machen wir es!“

Mona und Konrad schauten einander verwundert an, letzterer zuckte mit den Schultern.

„Willst du nicht ein bisschen deutlicher werden?“

Luis stürzte an den Tisch und warf sich auf seinen Stuhl. Seine Augen leuchteten. Gebannt starrten die beiden ihren Gastgeber an.

„Passt mal auf. Ich habe gerade folgende Idee gehabt.“

„Gib Gas, Junge! Was für Idee?“

Luis richtete sich auf und zeigte ein siegesgewisses Lächeln.

„Du hast ja den Zahn wegen der Auseinandersetzung mit einem Polizisten verloren. Den Polizisten zu belangen, ist eher eine aussichtslose Sache, weil die Behörden lassen die Sache garantiert im Paragrafendschungel versinken.“

„Haben sie ja schon gemacht. Ich habe sogar so einen Scheißzettel unterschreiben müssen, dass ich mich bei einem Sturz verletzt habe.“

„Na bitte, da geht garantiert nichts. Außerdem waren die Polizisten ja nur die Helfershelfer der Leute, die das besetzte Haus haben räumen lassen.“

Die Mienen von Mona und Konrad hellten sich ein wenig auf.

„Also waren ja eigentlich die Leute, denen das Haus gehört, für diese polizeiliche Räumung verantwortlich. Letztlich sind diese Leute in der vorliegenden Kausalkette verantwortlich, dass ein Polizist, mit dem du die Schlägerei hattest, dir mit einem Fausthieb einen Zahn ausgeschlagen hat. Also so wie ich das sehe, tragen die Hausbesitzer die Verantwortung für deine Zahnprobleme, demgemäß finde ich es nur recht und billig, wenn die Leute auch für eine Zahnbehandlung aufkommen sollen. Leute, die sich Häuser im siebten Bezirk leisten können, haben sicher massig Geld, die Zahnarztkosten werden sie garantiert tragen können. Ist zumindest meine Meinung.“

Konrad gestikulierte.

„Hört, hört, lieber Luis, deine gedankliche Ableitung ist von makelloser Prägnanz, die Idee von einem herzergreifenden Gerechtigkeitssinn getragen!“

Mona wiegte skeptisch den Kopf.

„Klingt ja schön und gut, aber ich weiß nicht so recht. Ich habe keine Ahnung, wem das Scheißhaus gehört und wer uns da rausgeschmissen hat.“

Luis sprang energisch hoch.

„Für so etwas gibt’s Computer und das Internet. Jede Wette, dass ich das rauskriege!“

/ / /

Mit einem Ohr lauschte Luis der lebhaften Diskussion hinter sich. Er schaute wieder auf die Zeitanzeige. Seit zwei Stunden schwatzten die beiden über Literatur, über Bücher, Autoren und Autorinnen, sie kicherten, ereiferten sich, schimpften und lobten. Luis war wirklich erstaunt, wie viele Bücher Mona schon gelesen hatte, von denen er nur im verhassten Deutschunterricht im Gymnasium gehört hatte. Er hatte seine Deutschlehrerin nicht ausstehen können, so eine überspannte Person, die sich eingebildet hatte, nur Jugendliche, die Thomas Manns Zauberberg frei aus dem Gedächtnis aufsagen konnten, hätten das Recht, bei ihr eine gute Note zu kriegen. Luis hörte unmissverständlich, wie Konrad durch die Diskussion mit Mona richtig auflebte, so, als ob eine Rose von Jericho nach Jahrzehnten der Dürre endlich wieder Regenwasser spürte. Und Mona genoss es offenbar, mit jemandem über die Bücher, in die sie seit den Kindestagen mit Vorliebe ihre Nase steckte, sprechen zu können, mit jemandem, der sie nicht gleich als abnorm oder versponnen betrachtete. Luis vernahm auch, dass Mona in ihrer Schulzeit darunter gelitten hatte, von ihrer Umwelt immerzu als Sonderling oder gar als Psycho abqualifiziert worden zu sein, nur weil sie lieber in Büchern las und nicht im Internet chattete, weil sie lieber in Buchhandlungen abhing und nicht in Diskos und weil sie, um Wolfram von Eschenbach im Original zu lesen, sich Grundkenntnisse des Mittelhochdeutschen angeeignet hatte, anstatt sich im Kino von einem männlichen Teenager mit Popcorn und feuchten Küssen überschütten zu lassen. Einzig, wie Mona bereitwillig zugab, bei Meister Wolfram sei sie gescheitert, dessen tiefgründige Dichtkunst im Originalton zu lesen sei mit nur schlichten Grundkenntnissen des Mittelhochdeutschen nicht zu bewerkstelligen gewesen, weswegen sie sich doch an die Übersetzung ins Neuhochdeutsche gehalten habe. Woraufhin Konrad und Mona eine geschlagene halbe Stunde über Wolframs Parzival debattiert hatten.

Luis kopierte wieder eine Adresse von einer Website in die Textdatei. Die Sache war zäher, als er geglaubt hatte, aber jetzt war er am Ziel. Er zauste sein Haar. Das musste es sein. Ein wohliges Brummen entstieg seiner Kehle.

„Hast du mich gehört?“

Luis schreckte hoch und schaute über seine Schulter. Konrad und Mona standen direkt hinter ihm und gafften mal auf die Bildschirme, mal auf den Mann davor.

„Äh, hast du was gesagt?“, fragte Luis.

„Das habe ich“, antwortete Konrad.

„Sorry, ich war gerade in die Arbeit vertieft. Was hast du gesagt?“

„Ich habe dich gefragt, werter Luis, wo in deiner vorzüglich geräumigen Wohnung die Bibliothek ist.“

Luis warf Wladiwostok von seinem Schoß und wandte sich auf seinem Drehstuhl den beiden zu. Er zeigte auf das Regal an der Wand.

„Da ist sie.“

„Das ist deine Bibliothek?“, fragte Konrad verwundert. „Das ist doch bestenfalls das Regalbrett für den Handapparat. Wo sind deine Bücher?“

„Da sind sie doch. Das sind meine Bücher.“

Mona und Konrad wechselten enttäuschte Blicke.

„Aber, lieber Luis“, hob Konrad an, „wie kannst du mit einer so geringen Anzahl von Büchern in unserer von Irrsinn bedrohten Welt überleben? Wo sind Werke der Weltliteratur? Wo sind die düsteren Schauerromane? Wo sind die romantischen oder erotischen Liebesgeschichten? Die spannenden Krimis? Und wo hast du ein brauchbares Universallexikon?“

Mona rempelte Konrad an.

„Luis ist kein Büchermensch, er hat da drei Computer stehen. Gedruckte Universallexika sind sowas von out, es gibt ja Internet.“

Konrad stemmte seine Hände in die Hüften.

„Und was passiert, wenn der Strom ausfällt? Tritt dann der akute Fall von geistiger Umnachtung durch fehlendes Internet ein? Ich behaupte, dass es eine gravierende Form von Verblödung ist, an den Informationsgehalt des Internets zu glauben. Nein, also an dieses neumodische Zeug werde ich mich nie gewöhnen, ich brauche die Haptik des Buches, um meinem Unglück die richtigen Namen zu geben. Und was sollen wir jetzt tun? Wie sollen wir unsere Unwissenheit beenden, ohne in einem Lexikon nachzuschlagen, liebe Mona?“

 

„Ich kann mal in Wikipedia nachlesen“, sagte Mona.

Luis machte keinerlei Anstalten, sich aus seinem Stuhl zu erheben und Mona an die Tastatur zu lassen.

„Vergesst eure Diskussion für Bücherwürmer. Ich bin fündig geworden.“

Die beiden schauten Luis mit großen Augen an, der sich lässig dem Bildschirm zuwandte und die Textdatei an den Drucker schickte. Er nahm die zehnseitige Dokumentation seiner Recherche an sich. „Setzt euch und sperrt die Ohren auf.“

Sie taten, wie ihnen geheißen.

„Also, war jetzt gar nicht einfach, das alles wasserdicht zu recherchieren, aber ich bin ans Ziel gekommen. Am leichtesten wäre natürlich gewesen, im Grundbuch den Besitzer der Immobilie zu erfragen, aber dazu müssten wir ins Bezirksgericht latschen und einen Auszug aus dem Grundbuch beantragen. Was jetzt nicht so cool wäre, wer will sich schon mit den Ämtern abgeben, außerdem dauert das viel zu lange. Daher musste ich eine alternative Strategie anwenden. Im öffentlichen Amtsblatt habe ich nach ein bisschen Stöbern gefunden, dass eine Rechtsanwaltskanzlei namens Schmölzer & Partner GmbH die Räumungsklage bei Gericht eingebracht hat. Also habe ich mir die Website dieser Kanzlei genauer angesehen. Das ist scheinbar so eine Innenstadtbude mit völlig überbezahlten Brandstiftern, die im Auftrag von reichen Säcken jede nur erdenkliche juristische Schweinerei durchführen. Darauf sind die sogar stolz und verdienen garantiert ein Riesengeld damit. In jedem Fall arbeiten die für zwei Dutzend Großkunden, deren Logos sie auf ihrer Referenzenübersicht präsentieren. Ich bin also methodisch vorgegangen und habe mir der Reihe nach diese Großkunden angesehen. Immobilienhaie, Investmentgangster, Finanzberatungsbetrüger, das ist die Klientel dieser Anwaltskanzlei, alles üble Sorte, viel Macht und noch viel mehr Geld. War jetzt gar nicht so einfach aus diesem Firmendschungel die richtige herauszufinden, auf den Websites habe ich nichts Passendes gefunden. Also habe ich an alle Firmen, die im Immobiliengeschäft tätig sind, per E-Mail eine Kaufanfrage für die Liegenschaft in Wien 7, Lindengasse, also unser Abbruchhaus, geschickt. Drei Firmen haben bis jetzt nicht geantwortet, drei haben gleich mal mitgeteilt, dass sie von dieser Immobilie gar nichts wissen, aber, und jetzt kommt es, eine Firma hat mir freundlich, aber unmissverständlich mitgeteilt, dass die besagte Liegenschaft nicht zum Verkauf steht.“

„He, cool!“, rief Mona.

Konrad zauste seinen Bart.

„Sieh an, du bist ja höchst kreativ, lieber Luis.“

Luis winkte geschmeichelt ab.

„Ach was, kreativ, das war doch nur eine Kleinigkeit.“

„Und was ist das für eine Firma?“

Luis’ Miene verfinsterte sich, er wiegte bedeutungsschwer den Kopf.

„Das ist eine ganz spezielle Firma. Eine sehr sehr spezielle Firma.“

Die beiden warteten gespannt auf eine nähere Auskunft.

„Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!“, rief Mona.

„Was ich so weiß, ist das ein großer Brocken, ein richtig großer Brocken. Eigentlich eine Investmentbank, die aber, und das habe ich auf deren Website nachgelesen, als Immobilienfirma begonnen hat und damit groß geworden ist, dann aber das Geschäftsfeld auf Aktienhandel, Fondsmanagement und weiß der Teufel ausgedehnt hat, die aber nach wie vor ein bisschen Immobilienhandel betreibt. Quasi als historische Reminiszenz im Nebengeschäft. Der eingetragene Firmenname ist, würde ich so sagen, ein bisschen hochtrabend, aber wahrscheinlich kommt das in der Branche voll gut. Friedhelm Roessner Investment and Banking Corporation Cash Q AG.“

Konrad runzelte die Stirn.

„Keschkuh? Was soll denn das bedeuten?“

„Blödian!“, warf Mona ein. „Das ist doch Englisch! Das heißt cash cow.“

„Streitet euch nicht, das heißt weder Keschkuh noch cash cow, sondern Cash Q. Q steht für quality. Das ist so ein Slogan, der die Firmenphilosophie wiedergibt, soll so viel wie qualitätsvolle Geldbeschaffung bedeuten. So irgendwie steht das zumindest auf der Website.“

„Schön und gut, aber was weiter?“, hakte Mona nach.

Luis setzte eine ernste Miene auf.

„Ich kenne den Inhaber der Firma.“

Stille.

„Ohne Schmäh?“

„Ohne. Friedhelm Rössner war der Gründer der Firma, der hat in der Zeit des Wirtschaftswunders mit Immobilienhandel ein grundsolides Unternehmen aufgebaut. Sein Sohn Johannes hat die Firma in den Siebziger- bis Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts wohlhabend gemacht und dessen Sohn Siegfried Rössner ist jetzt der Chef, und der hat aus dem erfolgreichen Immobilienhandel eine schweineteure Investmentbank gemacht.“

„Und den kennst du? Einen schweineteuren Investmentbanker?“

Luis gestikulierte.

„Na ja, kennen ist jetzt vielleicht ein bisschen übertrieben, ich habe dem Mann einmal die Hand geschüttelt. Er war bei der Beerdigung meines Vaters, äh … Stiefvaters, dabei, hat einen Kranz gebracht und der Familie kondoliert.“

„War dein Vater ein Investmentbanker?“

„Stiefvater. Meinen biologischen Vater habe ich niemals kennengelernt.“

„Also Stiefvater. Der war Investmentbanker?“

„Nein, er war Kaufmann, halt ein ziemlich großer. Ich kenne die Hintergründe auch nicht, wie und warum mein Stiefvater und Siegfried Rössner sich kannten. War halt so.“

„Das heißt“, resümierte Konrad, „dieser Siegfried Rössner wird, als Besitzer der Immobilie in der Lindengasse, Mona eine Zahnbehandlung bezahlen, korrekt?“

Die Frage hing lange in der Luft.

„Wir sollten ihn mal fragen.“

/ / /

„Das, junger Mann, steht nicht zur Diskussion!“

Sebastian Rössner legte das Besteck auf den Teller und wischte sich mit der Serviette den Mund ab. Er schaute seinen Vater streitbar an. „Und warum, bitte sehr? Ich finde das einen berechtigten Diskussionspunkt.“

Nun legte auch Siegfried das Besteck nieder, tupfte mit der Serviette die Lippen ab und schob den Teller ein kleines Stückchen zur Seite. Er blickte über die Speisetafel zu Katharina hinüber und nickte ihr wohlwollend zu.

„Der Tafelspitz war wieder einmal ganz köstlich. Vielen Dank, dass du ihn für uns zubereitet hast.“

Katharina Rössner lächelte ihrem Ehegatten zu. In jungen Jahren war sie ausgesprochen hübsch gewesen, und auch seinen erotischen Ansprüchen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Es war eine schöne Zeit, sie waren jung, verliebt, immer gut gelaunt und neugierig auf den nächsten Tag gewesen. Er hatte sehr schnell erkannt, dass von den vielen jungen Frauen, die er im Laufe seines Studiums kennengelernt hatte, sie die beste Wahl für die Ehe war. Es war ihre Ader für Romantik, für stabile Beziehungen, ihre liebevolle Art, wie sie mit den Kindern ihrer älteren Schwester umgegangen war. Vor allem letzteres hatte Siegfried dazu bewogen, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Sie würde eine gute Mutter werden, hatte er spekuliert und wie immer in seinem Leben auf das richtige Pferd gesetzt. Als Sebastian und Antonia geboren waren, hatte sich schnell abgezeichnet, dass Katharina am Ziel ihrer Träume war. Ein liebevoll sorgender Mann, zwei entzückende Kinder, ein luxuriöses Haus, ein Leben fernab irgendwelcher Probleme. Und Siegfried verstand sehr gut, alle Probleme von Katharina fernzuhalten, sie in ihrer sauberen und geordneten, von Luxus durchwirkten Welt des Glückes zu versorgen. Ihre angeborene Häuslichkeit war diesbezüglich ausgesprochen hilfreich. Und natürlich waren das auch die Therapiestunden und die wohldosiert verabreichten Antidepressiva. In einem war Katharina in jedem Fall unschlagbar, traditionelle Gerichte der Wiener Küche kochte sie nicht, sie zauberte sie.

„Über die Berechtigung solcher Diskussionen entscheide nach wie vor ich“, beharrte Siegfried seinem Sohn gegenüber.

Der junge Mann zerknüllte die Serviette und warf sie auf den Teller. „Aber du musst dich ihr stellen, Papa.“

Siegfried konnte sich ein Schmunzeln gerade noch verkneifen, seine Miene blieb ernst und standhaft. Sebastian entwickelte sich gut, er interessierte sich für die Firma, er interessierte sich für Geld, er suchte trotz seiner erst zweiundzwanzig Jahre nach Erfolg und Einfluss. In Wahrheit war er stolz auf seinen Erstgeborenen. Die paar jugendlichen Flausen, die schnellen Autos, die wilden Partys, die leichten Mädchen, würde Siegfried seinem Sohn schon noch austreiben. Nicht zuletzt arbeitete ein mächtiger Verbündeter für Siegfried, nämlich die Zeit. Junge Männer, denen es bestimmt war, zu führen, Entscheidungen zu treffen, Risiken einzugehen, in Stürmen zu bestehen, mussten sich die Hörner abstoßen.

„Ich frage mich vielmehr, wieso du darüber Bescheid weißt.“

„Ich weiß es eben.“

„Lieber Sebastian, ich sehe mit einer gewissen Freude, dass du dich engagierst, aber du bist noch nicht so weit, um das Heft in der Hand zu halten.“

„Warum nicht? Ich bin kein kleines Kind mehr. Warum hast du Magda diese Macht eingeräumt?“

Vielleicht, dachte Siegfried, das Gefühl einer aufziehenden Verstimmung bemerkend, vielleicht war es jetzt an der Zeit, die Arbeit an den abzustoßenden Hörnern zu beginnen. Sein Tonfall wurde kategorisch. „Magda Bernhardt ist die erste Wahl für diese Aufgabe. Niemand kennt die Interna der Firma so gut wie sie, niemand arbeitet so ernst und gewissenhaft wie sie, keiner meiner hochbezahlten Manager kann sich in Fragen des Stils, des Berufsethos und des praktischen Sachverstandes mit ihr messen. Daher habe ich sie zu meiner Nachfolgerin als Geschäftsführerin bestimmt. Ich bleibe bei meinem Entschluss.“

Sebastian Rössner verschränkte trotzig seine Arme.

„Außerdem“, führte Siegfried im Tonfall kulant aus, „ist das alles ein theoretischer Zusammenhang. Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt, Herr Sohnemann, und werde noch so manches Jahr die Firma leiten. Letztlich habe ich meine Nachfolgerin nur aus Sicherheitsgründen bestimmt. Für den Fall, dass ein Flugzeug über dem Atlantik oder der arabischen Wüste abstürzt.“

Siegfried griff zum kleinen Tischglöckchen. Wieselflink eilte das Hausmädchen Jelena herein und räumte den Tisch ab. „Wie gehen übrigens deine Studien voran?“, drehte nun Siegfried den Spieß um und stellte bohrende Fragen.

„Ach, das Studium“, brummte Sebastian und machte eine wegwerfende Handbewegung.

Siegfried nickte bedeutungsschwer, holte tief Luft und schaute seinen Sohn unverwandt an.

„Wenn du schon von ernsten Dingen sprechen willst, Sebastian, denn können wir das gerne tun. Vielleicht solltest du dich weniger deinem Freizeitvergnügen widmen und dich besser auf deine Aufgaben vorbereiten. Du bist doch bei dieser einen Prüfung durchgefallen, nicht wahr?“ Sebastian hob erstaunt die Augenbrauen und schaute seinen Vater an. „Nein, nicht durchgefallen, ich bin nicht angetreten. Aber woher weißt du das?“

Siegfried lehnte sich nun doch schmunzelnd zurück.

„Ich weiß es eben. Waren das nicht genau deine Worte?“

Sebastian erhob sich, grüßte und stapfte davon.

„Müsst ihr euch immer streiten?“, fragte Katharina in wehleidigem Ton.

Siegfried winkte ab.

„Wir streiten nicht, meine Gute, wir arbeiten an seiner Ausbildung. Er muss noch viel lernen. Wo ist eigentlich Antonia?“

„Sie ist mit einer Freundin beim Tennisspielen. Sie kommt in etwa zwei Stunden.“

Eine vertikale Falte legte sich auf Siegfrieds Stirn. Auffällig, wie oft seine Tochter zuletzt zum Tennisspiel außer Haus war. Plante sie eine Karriere als Sportlerin, wozu sie durchaus Talent hatte, oder gab es da einen unverschämten Tennislehrer mit starken Armen und markantem Kinn, der den Reizen eines siebzehnjährigen Mädchens etwas abgewinnen konnte? Er würde das umgehend prüfen müssen.

/ / /

„Und das ist dein Auto?“, fragte Mona mit ungläubiger Miene.

„Ja, sicher.“

„Was für ein schönes Stück skandinavischen Fahrzeugbaus!“, rief Konrad aus.

„Finde ich auch.“

Mona pfiff durch die Zähne.

„Die Kiste ist sicher so alt wie meine Oma. Regnet es da hinein?“

Luis schüttelte missbilligend den Kopf, ging um den Wagen herum und öffnete die Fahrertür. Er mochte seinen dunkelgrauen Volvo Kombi, auch wenn er schon ein paar Jahre auf dem Buckel hatte. In seinen guten Jahren ist der Typ ein Marktrenner der gehobenen Fahrzeugklasse gewesen. Luis’ Stiefvater hatte ihn seinerzeit für Luis’ Mutter gekauft, die den Wagen auch zwei, drei Jahre benutzt, sich aber bald ein sportlicheres Gefährt zugelegt und den Volvo in der Garage verstauben lassen hatte. Irgendwann war das Auto an Luis gefallen. Technisch war der Wagen gut in Schuss, geräumig, schwer, unverwüstlich, bloß der Spritverbrauch war kritisch. Da Luis rundweg zum Typus Stubenhocker zu zählen und in der Stadt, wenn überhaupt, vorzugsweise mit der Straßenbahn oder U-Bahn unterwegs war, stand der alte Volvo die meiste Zeit herum. Solange der Wagen nicht vollständig verrostet war und er sich den Erhalt noch leisten konnte, würde er ihn behalten.

 

„Na los, steigt ein!“, rief Luis den beiden zu und ließ sich auf den Fahrersitz plumpsen.

Mona fasste zielgerichtet nach der rechten Hintertür.

„Ich sitze nicht vorne. Vorne wird mir immer schlecht.“

„Ich ziehe ebenfalls einen Sitzplatz in der zweiten Reihe vor.“

Mona und Konrad setzten sich in den Fond des Wagens. Luis schaute über seine Schulter nach hinten.

„Bin ich heute euer Taxichauffeur, oder was?“

„Du wolltest ja unbedingt mit dem Auto fahren und ich sitze niemals auf den billigen Plätzen“, sagte Mona.

„Meine letzte Autofahrt ist wohl gut und gerne fünf Jahre her“, erklärte Konrad. „Ich habe keine guten Erinnerungen daran. Eigentlich aber auch keine schlechten. In Wahrheit kann ich mich gar nicht mehr daran erinnern, ich war sturzbetrunken, bin über eine Stiege gefallen und wurde von einem Krankenwagen in ein Hospital transportiert. Ich weiß davon nur, weil mir die Krankenschwester am nächsten Tag des schmerzhaften Erwachens aus dem Delirium davon berichtet hat.“ Luis verdrehte die Augen und startete den Wagen.

„Na los, spring an. Mach schon!“

Nach dem dritten Startversuch knatterte der alte Dieselmotor, nicht ohne eine finstere Abgaswolke in der Gasse zu hinterlassen. Langsam rollte der Wagen durch die Gassen des Karmeliterviertels. Nach einer Weile stellte Luis das Fahrzeug auf dem weitläufigen Parkplatz eines Einkaufszentrums am Stadtrand ab. Die drei sammelten sich vor der Kühlerhaube. Luis fasste Mona und Konrad noch einmal ins Auge. Deren Kleidung war zwar vom nächtlichen Waschgang in seiner Waschmaschine gereinigt, aber die beiden sahen dennoch völlig zerlumpt aus.

„Kommt, gehen wir rein.“

„Bist du dir sicher?“

„Absolut. In dem Aufzug können wir niemandem unter die Augen treten.“

„Und wenn ich niemandem unter die Augen, sondern nur in den Arsch treten will?“

„Wir haben das doch besprochen.“

„Ich will nicht in so einen Scheißtempel des Konsumfaschismus.“

„Aber du willst doch, dass dein Gebiss repariert wird, oder nicht?“

„Ja, aber warum soll ich mir deshalb neue Klamotten kaufen? Meine Klamotten sind doch eh voll in Ordnung. Oder passt dir daran irgendetwas nicht?“

„Liebe Freunde“, mischte sich Konrad ein, „zankt euch doch nicht. Ich für meinen Teil werde mich jetzt mit wohliger Hingabe den Händen einer kundigen Friseuse überantworten, ganz so wie Luis es vorgeschlagen hat. Und gegen ein neues Beinkleid hätte ich auch nichts auszusetzen. In der Altkleidersammlung finden sich nämlich nicht immer passende und praktische Kleidungsstücke. Wichtig wäre allerdings Schuhwerk, welches dem nahenden Winter zu trotzen im Stande ist.“

Luis überschlug im Kopf die zu erwartenden Kosten. Er zuckte mit den Achseln. Wozu hatte er geerbt?

„Folgt mir unauffällig, wenn das überhaupt möglich ist.“

/ / /

Luis stöberte von einem Artikel zum anderen, ließ sich ohne genaues Ziel, ohne Plan, ohne Erkenntnisabsicht einfach durch das Buch treiben, blätterte mal da hinein, mal dort. Im großen Konversationslexikon in der Bibliothek seines Stiefvaters hatte er als junger Gymnasiast auch stundenlang schmökern können. Irgendwann war er dann auf den Computer und das Internet umgestiegen und hatte das Vergnügen, von da nach dort springen zu können, so richtig ausleben können. Die alte Faszination, die von Lexika ausging, hatte zwar lange Zeit in ihm brach gelegen, verschwunden war sie nicht. Wie er sich gerade eben davon überzeugen konnte. Luis klappte die broschierten Buchdeckel zu und wog das Buch in der Hand. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Ja! Wenn er heute schon mal Geld ausgeben wollte, dann richtig. Er steckte den sechzehnten Band des vierundzwanzigbändigen Taschenlexikons zurück in den breiten Schuber.

„Kaufst du das jetzt?“

Er wandte sich Mona zu, die von hinten an ihn herangetreten war.

„Ja. Konrad hat Recht, so ein gutes altes Lexikon aus Papier und Druckertinte gehört einfach in jede Wohnung.“

„Na hallo, geschenkt kriegst du es aber nicht. Ist ja voll teuer.“

„Egal, ich will das Lexikon einfach haben.“

Mona starrte mit einem Mal gebannt zum Eingang der Buchhandlung. Luis folgte ihrem Blick. Konrad trat in den Laden, suchte nach ihnen, sah Mona winken und eilte lächelnd auf sie zu. Luis pfiff durch die Zähne.

„Na, meine Lieben, was haltet ihr davon?“

Konrad präsentierte sich gestenreich, drehte sich im Kreise und wartete auf den stürmischen Beifall für seine kleine schauspielerische Darbietung.

„Nicht schlecht“, sagte Luis. „Ein neuer Mann.“

Konrad strich über den Stoff seines neuen Jacketts.

„Dieses Sakko ist vorzüglich! Meisterhaft genähte reine Baumwolle, von geschickten Kindern in Südindien oder Nordpakistan gefertigt, die nicht einmal die unvermeidlichen Blutspuren ihrer wunden Hände zum Lohne des weltweiten Kapitalismus’ auf dem schmucken Stoff hinterlassen haben. Fesch, nicht wahr? Seht euch diese Hose an! Elegant, zeitlos, robust, ideal für einen älteren Herren ohne steten Lebenswandel. Und für die Schuhe, lieber Luis, werde ich dir in den nächsten Jahren Tag um Tag dankbar sein. Was sagt ihr zu meinem Haarkleid?“ Luis nickte zustimmend mit dem Kopf.

„Guter Schnitt, auch der gestutzte Bart schaut sehr gut aus. Super!“

Mona rammte verdrießlich ihre Hände in die Taschen ihrer zerlumpten Jacke.

„Konrad“ sagte sie mit säuerlicher Miene, „du schaust scheiße aus.“

„Wie das?“, fragte Konrad verunsichert. „Ich dachte, ich würde durch diese Rundumerneuerung …“

„Vergiss es“, schnitt ihm Mona das Wort ab. „Ist nur meine Meinung.“

Konrad stemmte seine Fäuste in die Hüften.

„Jetzt musst du dich aber genauer erklären.“

Mona wiegte den Kopf.

„Du schaust aus, wie ein zwangspensionierter Hauptschullehrer, der seine sadistischen Neigungen nicht mehr an seinen Schülern ausleben kann und deswegen Zahnausfall gekriegt hat. Außerdem stinkst du nach Alkohol.“

„Allerdings“, stimmte Luis zu. „Deine Fahne ist nicht ohne.“

„Jetzt nörgelt nicht an mir herum, sonst gehe ich wieder in meine Isolation unter der Brücke. Und ich habe nur einen einzigen Tropfen zur Aufrechterhaltung der guten Stimmung zu mir genommen, anderenfalls hätte ich die vielen Leute in diesem Einkaufszentrum nicht länger ertragen. Seht es also als einen Dienst an unserer erhabenen Mission und ein Zeichen größter Opferbereitschaft meinerseits.“

„Passt schon“, sagte Mona. „Nur beim nächsten Mal, wenn ihr mich in so einen Dekadenztempel schleppt, gehe ich mit dir einen heben. Brauche ich nämlich auch dringend.“

„Das ist ein Wort!“, rief Konrad wieder lächelnd.

Luis hob den Schuber mit den vierundzwanzig Bänden des Taschenlexikons hoch, hielt aber noch kurz vor dem Weg zur Kassa inne und schaute Mona tief in die Augen.

„Und du willst wirklich nicht?“

Mona verschränkte ihre Arme.

„Wirklich nicht!“

„Es wäre absolut kein Problem, du brauchst dich zu nichts verpflichtet zu fühlen, du brauchst nicht einmal Danke zu sagen.“

„Ende der Diskussion!“

Mona hatte sich zuvor, mitten im Stangensortiment eines Bekleidungsladens stehend, beharrlich geweigert, sich von Luis irgendwelche Kleidungsstücke ihrer Wahl bezahlen zu lassen. Der anschließende Besuch in einer schicken Boutique hätte beinahe in einem Schreianfall Monas geendet. Luis hatte gerade noch geschafft, sie in die Buchhandlung zu schleppen, wo sie sich nach und nach beruhigt hatte. Die hochtrabende Wut war verraucht, doch ihre Stimmung war noch immer mies.

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