Limoncellolügen

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»Und dein Vater sieht jetzt schon lauter Erbschleicher um sich herum, bevor noch irgendetwas entschieden ist? Ich glaub’s nicht!«, reg ich mich auf. Scheißgeld! Na ja, nicht immer so richtig scheiße …

Adriano hebt vage die Hände. »Ach, keine Ahnung. Aber …«

»Was, aber?«, frag ich.

»Niente.«

»Nee, nee, mein Lieber, so leicht lass ich mich nicht abwimmeln. Sag’s lieber gleich, ich krieg’s sowieso raus.«

Adriano runzelt die Stirn. »Greta hat mich gewarnt.«

»So, hat sie das?« Ich heb leicht eine Augenbraue.

Er grinst. Ich auch.

»Okay«, kapituliert er und überlegt einen Moment.

Jetzt grins ich zufrieden.

»Ich mein, es ist schon ein seltsamer Zufall, dass Niveo ausgerechnet zu der Zeit auftaucht, als es um riesige Summen für meine Familie geht. Vielleicht hat jemand nicht dichtgehalten … ein Spitzel im Büro, was weiß ich? Mia wäre eine richtig gute Partie.«

»Also, das glaub ich jetzt nicht! So schnell änderst du deine Meinung? Vorhin hast du Niveo noch verteidigt.«

»Ich sag ja nur, es wäre immerhin möglich.« Er fährt sich durch die Haare.

»Egal, suchen wir die beiden.«

»Würde ich auch vorschlagen. Bevor wir uns über Erbschleicher um ein Erbe aufregen, das es noch gar nicht gibt.«

Adriano drückt das Tor auf.

»Es ist offen«, bemerke ich wenig geistreich.

»Es ist nie abgesperrt«, erwidert Adriano.

»Mia«, ruft er, »ich bin’s, Adriano!«

Wir gehen zum Haus. Gut, dass die Fensterläden geschlossen sind, so sind wir wenigstens nicht ohne Deckung. – So ein Quatsch! Wir sind nicht in geheimer Mission hier. Außerdem hat sich Adriano lautstark bemerkbar gemacht. Trotzdem sind meine Muskeln angespannt wie die Stahlseile der Golden Gate Bridge. Ich gehöre nicht zur Familie. Bin nur die Freundin von Greta. Und die hat ihre eigenen Probleme. Aber genau deswegen bin ich ja hier, rechtfertige ich mich innerlich. »Zuerst in sämtliche Fettnäpfchen springen und dann auf schüchtern tun«, würde Vinc mich jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit veräppeln. Aber dieses Mal kann ich nix dafür, nehm ich mich selber in Schutz und halt mich dicht hinter Adriano.

Drinnen ist es düster und kühl. Das Zirpen der Zikaden verstummt mit dem Einschnappen des Türschlosses. Kein Laut. Die Atmosphäre hier gefällt mir nicht, ich klebe Adriano fast am Rücken.

»Du hast gesagt, hier wohnt ein Hausmeister«, flüstere ich.

»Na ja, Hausmeister trifft es nicht so ganz. Der alte Jacopo Olmo wohnt hier sporadisch. Mit seinem Esel. Im hinteren Anbau. Er hätte im Herrenhaus nichts zu suchen, sagt er.« Adriano hält es anscheinend nicht für notwendig, zu flüstern – was mich etwas entspannt.

»Herrenhaus?«, frag ich und lass meine Blicke skeptisch über die kahlen Böden und Wände gleiten. »Na, da muss man echt nicht absperren.«

»Jacopo ist eigentlich Olivenbauer, was aber zu wenig zum Leben abwirft. Er hat hier schon immer nebenbei mit Hand angelegt, und so ist es geblieben. Unausgesprochene Abmachung. Win-Win-Situation. Außerdem kann er sich jederzeit hierher zurückziehen, wenn’s ihm zu eng wird im gemeinsamen Haus mit seiner Schwester – oder wenn sie ihn mal wieder rausschmeißt. Er hat Platz für seinen Esel, und wir brauchen uns nicht um das Haus zu kümmern«, erklärt Adriano und zieht mich weiter.

»Ein bisschen kümmern tät aber nicht schaden, würde ich sagen.«

»Na ja, früher hat es hier anders ausgesehen, aber wir haben einfach keine Zeit dafür … Mia?«, ruft er dann, »Mia! Bist du da?«

Wir lauschen. Seine Stimme verklingt, und wieder hängt diese leere Stille in der Luft.

»Da ist keiner«, unke ich.

Adriano achtet nicht auf mich. Er schaut in alle Zimmer, bis wir in der Küche stehen. Der riesige vernarbte Holztisch füllt die Raummitte, einige Töpfe zeugen vom früheren Zweck des Raumes. Irgendwas hat sich verändert … Adriano merkt es offensichtlich auch, was ich an den Muskeln seines Armes spür, an den ich mich immer noch kralle.

Ich seh ihn zuerst … hinter der Tür, die sich leise knarrend wieder schließt … den Schuh … am Fuß einer Person, die am Boden liegt … reglos. Nein! Nicht Mia! Ich schlucke und zerr an Adrianos Arm.

»Adriano«, krächz ich.

Er dreht sich langsam um. Wie jemand, der nicht sehen will, was unvermeidlich auf ihn zurollt.

»Mia!«, schreit er und stürzt zu seiner Schwester.

Vorsichtig nimmt er ihr Gesicht in seine Hände.

»Mia, wach auf«, beschwört er sie.

»Lass mich mal«, sag ich und schieb ihn zur Seite.

Ich taste nach ihrem Puls. »Ihr Herz schlägt«, geb ich Entwarnung, als ich das leichte Klopfen an meinen Fingern spüre.

Adriano atmet auf. »Aber was ist mit ihr?«

»Keine Ahnung«, sag ich ratlos, als Mia plötzlich die Augen aufschlägt.

»Mia«, rufen wir gleichzeitig, Adrianos Stimme bricht vor Erleichterung weg. Und das Felsmassiv, das mir von der Seele fällt, würde nicht nur die Parkgarage von Campione unter sich begraben.

Mias Augen füllen sich mit Tränen. »Wo ist Niveo?«, fragt sie leise.

Wie bitte? Ich hör wohl nicht recht! »Wo Niveo ist? Na, du bist gut, das wollen wir von dir wissen, Mia …«, rutscht es mir ziemlich laut heraus.

Adriano schaut mich strafend an. War ich wohl ein bisschen zu heftig.

»Mia«, sagt er dann sanft zu seiner Schwester, »was ist passiert? Warum liegst du hier? Du warst bewusstlos! Wo ist Niveo? Oder bist du alleine hier hochgegangen?«

Mia schluckt, schaut kurz zu mir, dann zurück zu Adriano. Feine Schweißperlen stehen ihr auf der Stirn – obwohl’s hier drinnen relativ kühl ist. Ihre Gesichtsfarbe glänzt ungesund fahl.

»Nein, wir waren zusammen«, flüstert sie und schlägt die Hände vors Gesicht.

Da stimmt was nicht. Definitiv. Ich geh neben Adriano in die Hocke und nehm Mias Hände. Sie sind eiskalt. Passt nicht zur Stirn.

»Mia, was ist los? Tut dir was weh? Oder ist dir schlecht?« Letzteres fällt mir ein, weil ich weiß, was ihr Bruder nicht weiß, nämlich, dass er Onkel wird.

Mia wird knallrot. Natürlich oute ich sie nicht, damit würde ich ja selber als Spannerin dastehen. Wäre peinlich und außerdem wenig vertrauensfördernd für die Zukunft, es sollen schließlich nicht alle verstummen, wenn ich in die Nähe komme. Aber abgesehen von meinen kleinen Befindlichkeiten geht es um Mia, und sie muss entscheiden, wann sie wem was sagt.

Mia setzt sich auf. »Madonna!« Sie atmet scharf aus. »Mein Fuß … fa male«, stöhnt sie gequält. Und so, wie ihr rechter Knöchel aussieht, wundert mich das nicht. Er ist doppelt so dick wie der linke.

»Verstaucht. Ich bin auf dem Weg umgeknickt.«

Kann ich mir vorstellen. Der Weg ist ziemlich steinig. Und es war dunkel … und Eselsscheiße … Okay, das ist wohl nicht der Grund und schon gar nicht der passende Zeitpunkt für blöde Witze, nicht mal in Gedanken.

»Niveo hat mich den Rest des Weges mehr oder weniger hochgetragen.« Ihre Augen schimmern feucht. »Und Jacopo war da. Er hat mir eine Salbe zum Einreiben gegeben und ist dann zu seiner Schwester, hoch nach Prabione. Wollte uns nicht stören. Kennst ihn ja.«

Adriano nickt. »Typisch für ihn.«

»Er wollte am Morgen wiederkommen und uns etwas zu essen bringen.«

»Und wo ist Niveo?«, dräng ich ungeduldig.

»Ich weiß es nicht«, jammert Mia. »Er ist heute früh rausgegangen, es war noch dunkel, er hat gesagt, er hätte Jacopo gehört …«

»Und? War es Jacopo?« Mann, geht das zäh! Aber ich seh ihr an, dass sie fix und fertig ist. Also reiß ich mich zusammen und tätschel ihr beruhigend die Hand. Adriano ist auch nicht gerade ne Stütze. Der sagt einfach nix. Super.

Mia schüttelt langsam den Kopf. »Keine Ahnung … Niveo ist raus, dann habe ich Stimmen gehört, Niveo hat geschrien … Ich bin vor die Tür gehumpelt und hab ihn gerufen und da habe ich ihn liegen sehen … ein Stück entfernt, im Gras. Er hat sich nicht gerührt. Ich … ich wollte zu ihm … aber da bin ich wohl gestürzt und hab mir so dumm den Kopf angeschlagen, dass ich ohnmächtig geworden bin. Ich … Keine Ahnung.« Sie fährt geistesabwesend mit der Hand über den Steinboden.

»Kommt das vom Sturz?«, frag ich und berühre leicht einen provisorischen Verband an ihrem Scheitel.

»Ich weiß nicht …« Sie berührt die Stelle mit der Hand.

Ich weiß nicht, ich weiß nicht … Das nervt allmählich! Mann, ihr Freund verschwindet und sie sitzt hier und dreht Däumchen? Ich mein, gut, sie war ohnmächtig, und ihr Fuß … aber ich schwör, wenn Vinc verschwinden würde, würde ich einbeinig losrennen! Ich würde … Wie sie dasitzt – ein Häufchen Elend, da hab ich gleich wieder Mitleid. Okay. So schnell geb ich nicht auf. Irgendwas muss sie gesehen oder gehört haben. Vinc … Bin froh, wenn er endlich da ist, ich brauch dringend jemanden zum Reden. Jemanden, den ich einschätzen kann. Meine bekannte Größe im persönlichen Dorochaos. Innerlich und äußerlich.

»Entschuldige, was hast du gesagt?«, frag ich. Hab grade vor lauter Vinc nicht zugehört.

»Jacopo hat mich gefunden. Es war schon hell … und Niveo war weg. Jacopo hat gesagt, dass es nicht er war, den Niveo gehört hat. Er wäre gerade eben erst gekommen, hätte mich gefunden und habe von Niveo nichts gesehen und gehört.« Mia starrt in die Luft, als würde ein Film vor ihr ablaufen, dann schaut sie mich an. »Aber … ich weiß nicht … da ist nichts mehr …« Sie seufzt und lehnt sich an Adrianos Schulter. »Und jetzt tut der Fuß noch mehr weh … und mir ist übel.«

»Hmm …«, ich überlege. »Als Niveo rausgegangen ist, was hast du da gehört? Was hat Niveo gerufen? Du hast gesagt, er hat geschrien, ich mein, Niveo ist raus, weil er dachte, dass der alte Olmo zurückgekommen ist. Der kam aber erst später. Dann muss es jemand anders gewesen sein. Hast du jemanden gesehen?«

 

Adriano und ich schauen Mia erwartungsvoll an, aber die schüttelt den Kopf.

»Scusa«, sagt sie leise. »Ich hätte sofort mit rausgehen sollen, aber … Wieso ist er weg? Ich versteh das nicht. Und warum ist er da gelegen?«

Adriano reibt sich nachdenklich am stoppeligen Kinn.

»Jetzt müssen wir dich erst mal runter zum Auto bringen. Aber mit dem Fuß …«, er zieht skeptisch die Stirn in Falten.

»Jacopo kommt mit seinem Esel«, sagt Mia.

»Wie … Ich dachte …«, Adriano schaut seine Schwester irritiert an.

»Ja, Jacopo war heute Morgen da. Mit dem Essen. Wie er versprochen hat. Ich lag draußen und war noch nicht ganz bei mir. Er hat mich ins Haus gebracht und meine Wunde am Kopf versorgt. Dann wollte er mich zum Arzt bringen, aber ich habe ihn überredet, zuerst nach Niveo zu suchen. Ich war ja in Sicherheit und vorerst versorgt, aber Niveo … Ich habe zu Jacopo gesagt, dass ich erst hier weggehe, wenn er Niveo gefunden hat.«

»Es war also nicht der alte Olmo, den Niveo gehört hat«, überlege ich laut. »Wer war es dann? Und der Alte kommt wieder? Mit dem Esel?«, frag ich, weil das natürlich super wäre, dann hätte sich das Transportproblem gelöst. Allerdings haben wir noch ein Zeitproblem. Um fünf müssen wir zurück sein, und jetzt ist es schon halb drei.

Mia nickt. »Hat er gesagt. Er müsste bald da sein …«

Ich schau auf die Uhr. Das wird auf jeden Fall knapp.

»Hmm … Am besten, ich spring runter zum Auto und fahr gleich zum Hotel. Ihr könnt hier auf den Esel warten und kommt dann nach. Ihr nehmt Adrianos Auto, ich deines, Mia, okay? Kannst du mir den Schlüssel geben?«

»Keine schlechte Idee, Doro«, mischt sich jetzt Adriano ein, »aber ich glaube, es ist besser, wenn ich runtergehe. Ich bin schneller und kann den Wagen hierherholen. Das mit dem Esel ist sowieso eine Schnapsidee. Allein schon durch den Tunnel … Der ist viel zu niedrig.«

»Ach so, man kann hier mit dem Auto rauf. Und warum sind wir dann gelaufen?« Ich mein – also ehrlich, hetzt mich hier rauf, Wanderschuhe und so …

»Erstens steht Mias Wagen unten in Campione, das heißt, sie sind raufgelaufen. Hätte ja sein können, dass wir unterwegs auf was stoßen.«

»Sind wir ja auch. Auf nen Haufen Eselsbollen und eine abgesprengte Felsplatte, die mal schnell mit ein paar Ketten angenäht worden ist und die uns beinahe erschlagen hätte«, murmle ich zynisch.

Adriano ignoriert meinen unsachlichen Einwurf. »Und zweitens ist man mit dem Wagen nicht viel schneller. Du musst ein paar Kilometer an der Straße Richtung Süden, dann hoch nach Tignale, dann nach Prabione, durch den Ort und von da führt ein holpriger Wanderweg zur Villa, und mein Wagen ist dafür viel zu groß und völlig ungeeignet. Mit Mias Fiat ist das was anderes, das geht. Haben wir früher oft gemacht.«

»Wieso seid ihr dann nicht mit dem Auto hoch?«, frag ich Mia.

»Weil ich meine Wut rauslaufen musste! Und weil es zu dunkel war. Ich glaube, ich hätte gar nicht hergefunden. Mit den Eltern früher sind wir hochgefahren, ich bin später aber meistens gelaufen. Und bis ich die Straße außenrum genommen habe, bin ich zu Fuß fast schon oben. Außerdem wäre das Auto hier auch mehr aufgefallen.«

Hallo! Die tun grad so, als wär’s ein kleiner Spaziergang hier hoch. Also, ich lauf echt gern, aber in so nem Fall … Find ich jetzt leicht bescheuert.

»Du tust ja so, als wäre das eine Riesenwanderung! Die Arbeiter früher sind den Weg jeden Tag runter zur Fabrik und am Abend wieder zurück«, spöttelt Adriano.

Okay, er findet meine Einwände lächerlich – das nennt man wohl unterschiedliche Sicht der Dinge.

»Ist ja auch egal«, lenk ich ein, »machen wir es so, wie du vorgeschlagen hast.«

Adriano ist schon an der Tür. Mias Autoschlüssel hat er eingesteckt. »Ich beeil mich«, verspricht er und ist raus.

»Wieso warst du eigentlich ohnmächtig, als wir gekommen sind? Ich dachte, Jacopo hat dich versorgt?«, frag ich, als wir allein sind. Immerhin ungewöhnlich.

»Ich weiß nicht, ich habe was gehört. Adriano … Ich war so froh, seine Stimme zu hören. Ich bin aufgesprungen und wollte rausrennen … Ich glaube, es waren die Schmerzen.«

Hmm, möglich. Wäre jetzt die Gelegenheit, Mia auf die Schwangerschaft anzusprechen, andererseits will ich nicht erklären, unter welchen Umständen ich Zeugin dieses Gesprächs geworden bin. Egal, ist nicht so wichtig.

»Willst du dich nicht auf den Stuhl setzen? Oder hier, leg dich auf die Bank«, schlag ich Mia vor, die noch immer auf dem Boden hockt.

Sie schüttelt den Kopf. »Ich bewege mich lieber nicht, der Fuß tut wirklich höllisch weh.«

Okay, ist ein Argument. Zum Schluss kippt sie mir wieder um, das brauch ich jetzt nicht. Über der Lehne eines der Holzstühle hängt eine alte Decke. »Hier, nimm die«, sag ich und breite die Wolldecke neben ihr aus, »der Boden ist kalt.«

»Grazie« Sie hievt sich mit meiner Hilfe auf die Unterlage.

Wir warten schweigend. Vielleicht taucht ja Niveo auf, denk ich so vor mich hin. Mia hockt zusammengesunken da.

Das Geräusch, das dann von draußen hereindringt, ist allerdings eindeutig nicht Niveo. Das rostige »Iah« … Der alte Olmo mit seinem Esel?

»Bleib sitzen, ich schau nach«, sag ich zu Mia.

Vor dem Haus bindet ein kleiner, ausgemergelter Mann einen Esel an dem Feigenbusch fest, der sich hier im Fünfmeterradius ausgebreitet hat. Neugierig mustert er mich. Und ich ihn. Das ist also Jacopo Olmo. Hab mir nen kräftigen, gedungenen, kernigen Kerl vorgestellt. So wie Valdo, unseren Koch.

»Mia ist drinnen.« Ich zeig Richtung Haus.

Er nickt. Nicht sehr gesprächig, der Gute.

»Ich bin Doro, eine Freundin von Mia«, stell ich mich vor.

Nicken.

»Und Sie sind Signor Olmo?«

Nicken. Mit einem minimalen Anflug von Lächeln.

Na also, geht doch!

Ich geh voraus. »Es ist Signor Olmo«, schrei ich ins Haus. »Er hat den Esel dabei.«

Olmo bleibt im Türrahmen stehen.

»Come stai, mia piccola principessa?«, fragt er besorgt.

»Tut weh, aber geht schon. Jacopo, hast du Niveo gefunden?«

Der Alte schüttelt den Kopf. Mia schaut ihn verzweifelt an.

»Adriano ist gekommen, mit Doro. Er holt das Auto hierher. Aber ich kann doch nicht weg, solange ich nicht weiß, was mit Niveo geschehen ist … Er würde mich nicht einfach alleine lassen.«

Jetzt laufen ihr Tränen über die Wangen. »Ihm ist etwas passiert!«

Ich kann es kaum ertragen, wie trostlos sie klingt. Und Jacopo natürlich auch nicht. »Mia piccola principessa« hat er sie genannt, da ist eine Familienbindung da. Eindeutig. Aber das hat Adriano ja schon erwähnt. Apropos Adriano … Wo bleibt der nur? Ich schau auf die Uhr. Wird allmählich Zeit.

»Und wenn der Weg durch nen Steinschlag blockiert ist?«, fällt mir ein. Wäre ja immerhin möglich, da hätten die beiden eigentlich selber dran denken können. Der Alte müsste das wissen. Ich schau ihn fragend an. Ah, er hat mich wahrscheinlich gar nicht verstanden, vermute ich und will’s grade auf Italienisch wiederholen, als er den Kopf schüttelt.

»Der Weg ist offen«, beruhigt er uns knapp.

Versteht Deutsch, spricht Italienisch. Auch gut, mach ich es umgekehrt.

Ich zieh mein Handy aus der Tasche. »Ich ruf Adriano an, wo er ist«, verkünde ich. Ha! Von wegen! Immer noch kein Netz. So ein Mist!

»Wenn du ganz da hinter gehst, auf die Wiese, bis zum Abhang, da geht’s manchmal …«, gibt mir der Alte nen Tipp.

Aha, ist ja up to date, der Gute, denk ich und schüttle gleichzeitig über mich selber den Kopf. Als ob mittlerweile nicht jeder ein Handy besitzt.

»Wieso habt ihr dann keine Hilfe geholt?«, frag ich Mia. Ich kapier’s nicht, das hätte doch nahegelegen, in der Situation, Streit hin oder her!

»Der Akku ist leer«, seufzt Mia. »Und außerdem … Niveo hätte niemals meine Familie angerufen. Du hast ja gehört, was mein Vater zu ihm gesagt hat.«

Okay, hätte ich an seiner Stelle wohl auch nicht, gesteh ich mir ein.

»Egal … noch fünf Minuten, dann ruf ich Adriano an, wann er endlich kommt. Notfalls soll er das Auto stehen lassen und Signor Olmo bringt dich doch mit dem Esel zurück. Den Weg hat er ja schon markiert.« Ich zwinkere dem Alten zu. Der grinst breit. »Signor Olmo« hört er wahrscheinlich höchstselten! Scheint ihm aber zu gefallen.

»Ah, Signore, eine Frage …«

»Si?«

»Heute ganz in der Früh, bevor Sie gekommen sind, hat Niveo etwas gehört. Haben Sie jemanden gesehen? Oder ist Ihnen irgendwas aufgefallen?«

Der Alte schüttelt den Kopf.

»Das habe ich ihn auch schon gefragt«, wirft Mia ein.

»Ja, klar«, sag ich, »aber manchmal fallen einem Details erst im Nachhinein ein. Vielleicht unter ›nicht relevant‹ im Gehirn gespeichert und wenn dann eine bestimmte Saite angezupft wird, klingelt es plötzlich.«

Mia lächelt. »Greta hat schon gesagt, dass du ein bisschen anders bist.«

Sie betont das ›anders‹ so merkwürdig.

»Du meinst, ein bisschen verrückt?«, bohr ich nach.

»No, no, no!«, wehrt sie vehement ab – ihre veränderte Gesichtsfarbe spricht allerdings eine andere Sprache.

Ich winke ab. »Keine Panik, das höre ich öfter mal.« Ich lache und denke an Paps. Und an Vinc.

Von draußen nähert sich Motorengebrumm.

Puh, Gott sei Dank, wir sitzen im Auto! Die ersten Meter sind holperig – gelinde ausgedrückt, aber wenigstens kein Abgrund neben uns. Ich zieh das Handy aus der Hosentasche. Ja! Wieder Empfang. Vinc hat schon einige Whats­App-Nachrichten geschickt. »Bin da und warte auf dich«, schreibt er. Normale Welt, du hast mich wieder. Wobei – normal? Das »Magdalena«? Wo tote Gäste im Pool schwimmen? Nee, normal wäre meine Dachterrasse in München, meine Arbeit im »Macis«, Diskussionen mit Paps über Gott und die Welt, ein verfressener Kater, der um meine Beine streicht … Okay, Doro, träum weiter.

«Wir sind in einer Viertelstunde da«, tipp ich ne Nachricht für Vinc und lehn mich zurück. Mia sitzt starr auf dem Rücksitz, direkt neben mir, für alle Fälle. Ich drück ihre Hand.

Es ist dann halb sechs, als wir endlich am Hotel sind.

Großes Empfangskomitee.

»Vinc!« Ich fall ihm um den Hals.

»Hallo, Schatz«, murmelt er mir ins Ohr, drückt mich fest, dann wird er praktisch. »Wir müssen …«, drängt er und zieht mich Richtung Küche.

»Wow! Ihr habt ja super vorgearbeitet«, ruf ich begeistert.

Die Gläser für den Aperitif stehen bereit, mit nem Fingerbreit Granatapfelsirup drin, hat Irmela heute nach meinem Rezept zubereitet. Ich probier ein Schlückchen … heb den Daumen. Perfekt.

Irmela strahlt mich an. »Die Granatapfelkerne sind im Kühlschrank.«

»Super«, lobe ich sie, »wir brauchen dann noch ein paar Thymianzweige.«

»Aspetta, hol ich sofort«, sagt Irmela und rennt in den Garten.

Vinc’ Mundwinkel zucken kaum merklich.

Ich lache. »Sie weiß, wer Paps ist.«

Okay, weiter im Text. Die Lasagne. Steht in zwei riesigen Formen im Warmhaltefach. Ich nehme eine Gabel voll. Hmmh … Francescas Lasagne alla nonna schmeckt fast nen Tick besser als die von Paps, finde ich. Ich koste ein weiteres Mal. Der Speck? Mal sehen, ob Francesca mir ihr Geheimnis verrät.

»Schatz, probier mal«, ruf ich zu Vinc, der gerade das Weißbrot aufschneidet. Ich geh rüber zu ihm und halt ihm die Gabel unter die Nase.

»Doro! Dafür haben wir keine Zeit! Um sieben kommen die Gäste.«

»Entspann dich, mein Süßer. Schaffen wir locker. Und Adriano kommt auch gleich. Jetzt probier …«

Vinc gibt sich geschlagen und schiebt die Lasagneprobe in den Mund. Ich schau ihm erwartungsvoll zu. Den Genießerblick kenn ich. Dann sind seine Sinne auf Geschmack und Geruch fokussiert. Besonders seit unserer Dauerwette – die er trotzdem meistens verliert.

»Schmeckt irgendwie ursprünglicher … etwas feiner. Ich kann’s nicht genau definieren, ich glaube, die Specknote kommt besser zur Geltung. Nicht aufdringlich, aber …«

»Jetzt ist mal gut!«, brems ich ihn lachend. »Du hast recht, ich seh’s genauso, und avanti, schenk den Prosecco ein, ich glaub, die ersten Gäste sammeln sich auf der Terrasse.«

Angeregte Unterhaltung dringt bis zu uns herein, das Überraschungsmenü ist immer besonders spannend. Hat Greta erzählt. Und die Rinaldis geben sich echt Mühe. Schön dekorierte Tische, Stoffservietten, Kerzen. Festliches Ambiente. Gefällt mir. Und ein bisschen Stress würzt die Arbeit auf angenehme Weise. Mit Vinc an meiner Seite und ohne Paps … Hat was, da kann ich mich mal wieder beweisen.

 

»Was schaust du so selbstzufrieden?«

Natürlich! Vinc hat mich beobachtet. Und durchschaut mich viel zu gut.

»Zum Glück hab ich kein Verhältnis«, bemerk ich lapidar, während ich das Thermometer im Huhn kontrolliere.

»Wieso?« Vinc grinst. Er weiß genau, was ich meine.

Ich bau mich vor ihm auf. »Eins ist klar: Ich muss entschieden an meiner weiblichen Raffinesse arbeiten.«

»Bloß nicht, Schatz. Ich finde es so süß, wenn du versuchst, undurchschaubar zu sein – und meilenweit davon entfernt bist!«

»Haha, sehr witzig«, tu ich empört. »Außerdem sagst du immer, dass ich unberechenbar bin …«

»Stimmt. Allerdings nur, wenn es um deine Neugier geht – und dein Talent, dich in unangenehme Situationen zu bringen.«

»Okay. Die Lachsfilets sind im Kühlraum. Hast du das Schwertfischcarpaccio schon geschnitten?«, lenk ich ab, der Boden wird mir zu heiß. Zumal ich Vinc noch ein paar Sachen erzählen muss. Ach ja, und Mia wollte ich auch noch was fragen.

Vinc zieht die Augenbrauen hoch. »Ist das mein Job?«

»Schatz! Soll es Valdo mit dem Gipsarm flach klopfen?«

Irmela kommt mit dem Thymian herein und kichert.

Vinc schüttelt den Kopf. »Wäre mal was anderes. Aber im Ernst. Wo ist Adriano?«

»Stimmt, der sollte langsam hier auftauchen. Und das Carpaccio …«

»Hab ich längst vorbereitet. Vielleicht schaust du noch über die Tellerdeko, ich denke, es passt.«

»Mein Allroundgenie«, lob ich ihn und drück ihm ein Küsschen auf die glatt rasierte Wange. »Vielleicht sollten wir doch ein eigenes Restaurant aufmachen, wir wären ein Superteam.«

Dazu sagt Vinc jetzt nichts. Er schenkt den Prosecco in die Gläser, garniert mit Granatapfelkernen und Thymian.

»Irmela, du kannst den Speisesaal öffnen. Und schau doch mal, wo Adriano bleibt. Ihr zwei kümmert euch dann bitte um die Getränke und helft Greta beim Servieren. Und wer Zeit hat, bitte abräumen helfen. Vinc, dich brauch ich heute in der Küche, ab morgen probier ich’s mit Irmela. Wenn Mia wieder fit ist, sehen wir weiter. Und Valdo haben wir ja auch noch.«

Die alten Rinaldis hüten die Rezeption und die Hotelbar. Ich reibe zufrieden die Hände. Läuft doch alles. Trotz Totalausfällen. Apropos …

»Wie geht’s eigentlich Mia?«, frag ich Greta, die mittlerweile mein Team hier vervollständigt.

»Na ja, sie hat sich hingelegt. Und macht sich Sorgen wegen Niveo. Jacopo hat sich noch nicht gemeldet.«

»Okay, können wir?« Ich klatsche in die Hände, Start für den Aperitif, bevor sich die Perlage vom Prosecco verabschiedet.

Ich schau auf die Uhr. Punkt sieben. Na bitte!

Zum Glück fast alles unproblematische Gäste, keine Allergiker, keine Veganer. Zwei Vegetarier, für die gibt’s statt Lasagne Nudeln mit Tomaten-Kapernsoße, statt Focaccia mit Pancetta normales Weißbrot – PP würde ich sagen, persönliches Pech. Sonst alles paletti.

Granatapfelprosecco, geräuchertes Schwertfischcarpaccio, Nudelsüppchen mit Gemüsestreifen, Lasagne alla nonna, alle sind sehr zufrieden. Der Service klappt auch ohne Niveo und Mia. Die Hühner sind fertig und warten im Rohr, das Lachsfilet liegt im Warmhalteschrank, die Teller sind vorgewärmt. »Avanti, die Hauptspeise«, ruf ich Irmela gut gelaunt zu und kneif Vinc im Vorbeigehen in den Hintern.

Was sofort mit einem lüsternen »He!« quittiert wird. »Wir sind nicht alleine hier«, flüstert er mir leise ins Ohr. »Schade eigentlich.«

Kein Kommentar!

Irmela hat nichts mitgekriegt, zumindest tut sie so. Sie füllt hausgemachten Limoncello in kleine Likörgläschen, nach Käse und Dessert ein Abschluss aus der Küche.

Wir helfen zusammen, Adriano kümmert sich um den Betrieb auf der Terrasse, dann versammeln wir uns an unserem Tisch. Schwertfischcarpaccio, Lasagne und das Huhn mit Gemüse und Oliven, Pannacotta mit meiner Pfirsichsoße gibt’s auch noch genug. Kommt genauso gut an wie bei den Gästen. Ich lehne mich zufrieden zurück. War ein langer Tag.

»Wer mag?« Greta schwingt die Limoncelloflasche einladend in der Hand.

»Den macht ihr selber?«, fragt Vinc.

»Mein Schwiegervater. Ungespritzte Zitronen aus eigenem Anbau. Ist er ziemlich stolz drauf.«

Was man an der kurzfristig freundlicheren Miene des ansonsten heute grantigen Signor Vittorio Rinaldi ablesen kann.

»Schmeckt auch lecker«, bestätigt Vinc die allgemeine Meinung. »Wir könnten doch …«

»Scusate!« Adriano springt schon wieder auf. Spritz, Prosecco, Vino, Bier – der Betrieb auf der Terrasse nimmt Fahrt auf.

»Schaut mal«, ruf ich und zeig zu Adriano, der mit einem voll beladenen Tablett rauskommt. Alle drehen unisono den Kopf in die angedeutete Richtung. »Da sind tatsächlich ein paar Flaschen Wasser dabei!«

»Dorohumor«, kommentiert Vinc lakonisch.

»Weil wir grade beim Thema sind …« Ich steh auf. »Ich hol mir nen Prosecco … Soll ich gleich ein Fläschchen bringen? Oder will jemand etwas anderes?«

»Passt«, sagt Greta und alle nicken.

»Teilt ruhig schon aus, ich schau kurz nach Mia«, sagt Greta, als ich mit dem Tablett zurückkomme.

»Kann ich dich begleiten?«, will ich wissen. »Ich muss Mia noch was fragen.«

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