Limoncellolügen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Ich streife die Flipflops ab und streck mich auf dem Bett aus. Die Fahrt steckt mir noch in den Knochen. Ist zwar echt keine Weltreise von München an den Gardasee, aber dann noch die Aufregung vom Morgen … Ein alter Hausschlappen ist ein fitter Turnschuh gegen mich! Ich fummel mein Handy aus der Hosentasche, dabei spür ich den Knubbel in der kleinen Seitentasche. Ach, Mensch, den Knopf hab ich ganz vergessen, den bring ich später noch zu Forti.

Ich drücke Vinc’ Nummer, aber er geht nicht ran. Die Hände im Nacken verschränkt, döse ich vor mich hin. Muss kurz eingeschlafen sein, jedenfalls höre ich jetzt jemanden sprechen. Männlich. Italiener. Spricht schnell und mit Dialekt. Klingt irgendwie … interessant. »Was interessiert dich eigentlich nicht?«, würde Vinc dazu mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sticheln. Vinc … Ich drücke die Wahlwiederholung. Wieder nix. Schade. Na ja, probier ich’s später noch mal. Muss langsam in die Küche, Abendessen vorbereiten, ist schließlich kein Urlaub hier. Mein Akku ist wieder aufgeladen, trotzdem, zwei Minuten gönn ich mir noch. Ich mach die Augen zu und freu mich auf Vinc. Träume von unseren Motorradtouren … Die Stimme von drüben wird lauter. Der Typ ist jetzt anscheinend auf dem Balkon. Aha. Muss ich mir merken. Wichtige Dinge nicht draußen besprechen. Ich grins vor mich hin, steh auf und stell mich an die Balkontüre. Ich hab keinerlei Skrupel zu lauschen, außerdem versteh ich eh nur ein paar Brocken, mein Rudimentäritalienisch ist absolut überfordert. Was ich raushöre, sind lediglich ein paar Worte. »Mama« und »Unfall«, er könne nichts für den Tod … und dass er in Sicherheit sei. Bin mir nicht sicher, der Stimme nach könnte es Niveo sein. Greta fragen, wer das Zimmer neben mir hat, notier ich für mich. Okay, er telefoniert also mit seiner Mutter, er kann nichts für den Tod und – er hat Angst. Letzteres kann ich an seiner Stimme hören. Wovor, frag ich mich. Da kann ich nur Vermutungen anstellen, aber darin bin ich ja Meisterin – würde Vinc zumindest behaupten. Hmm, ein Toter, ein seltsames Telefongespräch, meine Antennen sind auf Empfang! Was hat Niveo mit dem Tod von Julian Weigel zu tun? Und wovor hat er Angst? Kein Mensch hat irgendeinen Verdacht gegen ihn geäußert. Ich hab ihn gefragt, ob er versucht hat, den Mann wiederzubeleben … Das war kein Vorwurf, ich wollte nur den Ablauf ein wenig strukturieren. Und der Streit, auf den ihn Mia angesprochen hat … Ich mein, selbst wenn er mit dem Mann eine Auseinandersetzung gehabt hätte, hätte das noch lange nichts mit dem Tod von Julian Weigel zu tun. Außerdem hat er das ja mit dem Fahrradunfall erklärt. Ja gut, erzählen kann er viel! Hat er ein schlechtes Gewissen, weil er nicht sofort Erste Hilfe geleistet hat? Oder hat er vielleicht das Reinigungsmittel am Pool liegen lassen? War die Stelle glitschig? Mir ist nichts aufgefallen, als ich den Beckenrand in der Früh überprüft habe. Außerdem war Julian Weigel heute Morgen ja vor Niveo am Pool. Muss ich mir noch mal anschauen. Ein Blick auf mein Handy … 14.45 Uhr auf dem Display. 15 Uhr, hat Niveo gesagt. Eine Viertelstunde … okay, das passt. Noch schnell ins Bad, wo mir ein Blick in den Spiegel zeigt, dass sich meine hellbraune Naturkrause in einen Wischmopp verwandelt hat. Ich wähle das Zehnfingerprogramm und stürme aus dem Zimmer, Treppen runter, durch den Garten Richtung Pool. Einige Liegen auf der Wiese sind belegt, Schirme spenden Schatten, selige Ruhe. Genauso im Poolbereich. Gut, dann werd ich nicht angequatscht. Weil – blöde Fragen stellen darf nämlich nur ich!

An der Unfallstelle geh ich in die Hocke und rastere das Umfeld ab. Hmm, nichts. Absolut nichts, über das man stolpern könnte, nichts ist schmierig.

»Hast du was verloren?«

Ich bin mit den Gedanken bei Julian Weigel und nehme das Kind mit der piepsigen Stimme eher unbewusst wahr.

»Äh …«, ist alles, was mir einfällt. Was die Kleine aber nicht stört, sie hockt sich neben mich und lässt die Füße ins Wasser baumeln. Die Mutter blinzelt träge rüber, ein Auge auf ihr Engelchen, das sicher noch nicht schwimmen kann.

»Wie heißt du?«, fragt das Engelchen und wackelt mit den Zehen im Wasser.

»Doro. Und du?«

»Ich bin Frida. Da drüben ist meine Mama.« Sie zeigt mit dem ausgestreckten Finger und bestätigt damit meine Vermutung.

»Papa holt ein Bier«, informiert sie mich dann noch.

Ich unterdrücke mühsam ein Grinsen.

»Ich hab Schwimmflügel. Gehst du mit mir ins Wasser?«, beendet Frida die Vorstellungsrunde.

»Nee du, ich muss in die Küche, damit du heute Abend etwas in dein Bäuchlein kriegst«, sag ich und klopf ihr lachend auf dasselbige.

Interessiert schaut sie mich an. »Kann ich mitkommen?«

Oje, hab, glaub ich, nen Fan gewonnen. Paps sammelt die mondänen Damen der High Society und ich kleine Knirpse am Pool!

»Nee, Schätzchen, in der Küche ist’s viel zu gefährlich, weißt du. Die heißen Töpfe, Messer und lauter solche Dinge. Du gehst planschen, ich geh kochen, okay? Aber pass auf, dass du nicht ausrutschst. Wenn der Boden nass ist, wird’s glatt.« Womit ich wieder beim Thema bin.

»Ich laufe immer hier am Rand, der ist nicht glatt«, ruft Frau Naseweis, steht auf und hüpft davon.

Eben. Sag ich doch. Und der Tote war ein sportlicher junger Mann, nur auf der Durchreise für ein paar Tage, unterwegs mit dem Rennrad und unbestimmtem Ziel. Im Hinterkopf schwimmt – nicht greifbar – eine Erinnerung … irgendetwas. Ich seufze. Zeit, in die Küche zu gehen.

Niveo ist noch nicht da. Egal. Ich fang schon mal an. Soßen vorbereiten, köcheln lassen. Salat putzen. Tomaten aus dem Kühlschrank nehmen. Weißbrot checken. Zunächst die Soßen für den ersten Gang. Tomatensoße und Ragout Bolognese. Mit Spaghetti. Nicht sehr einfallsreich, aber die Speisepläne stehen, da werd ich nichts machen können. Wär vielleicht auch übertrieben. Aber am Salatbüfett lässt sich definitiv was ändern. Niveo hat mir heute früh eine kleine Einführung gegeben. Zutaten fürs Salatbüfett kommen direkt aus dem Kühlraum, das geht gar nicht. Tomaten müssen auf jeden Fall vorher raus. Und die Auswahl ist mir zu knapp. Mais, Bohnen, Rote Bete notier ich für mich. Alternativ zu den Pastagerichten noch Nudelsuppe mit Gemüsestreifen. Okay, das geht schnell. Bin fast fertig mit den Soßen, als Niveo hektisch in die Küche stürmt und sich überschwänglich entschuldigt. Rache ist süß, denk ich, und verdonnere ihn zum Kartoffelschälen und Gemüseschneiden. Beilagen für den zweiten Gang. Salzkartoffel und gegartes Gemüse. Zu Saltimbocca alla Romana oder Lachsfilet gegrillt. Pilze putzen fürs vegetarische Omelett. Wir sind schnell fertig.

»Müssen wir für die Nachspeise noch was vorbereiten?«, überleg ich laut.

Niveo schüttelt den Kopf. »Alles fertig«, sagt er und zeigt zum Kühlschrank. »Tiramisu hab ich gestern gemacht, ohne Ei.«

»Und zum Eis?« Eis gibt’s immer, hab ich mir sagen lassen.

»Sahne, wer will.« Niveo schaut mich fragend an.

»Wir legen ein paar Früchte dazu«, schlag ich vor und mach mich auf die Suche. Na bitte! Wunderbar reife Pfirsiche. Ich stell die Schüssel vor Niveo hin.

»Muss das sein?«, motzt der prompt.

»Ja«, sag ich gnadenlos und frohlocke innerlich, weil Niveo mit finsterer Miene zu schälen und schnippeln anfängt, meine Rolle als Chefin aber akzeptiert. Und das als italienischer Macho, schieb ich ihn ohne Skrupel in meine Vorurteilsschublade für südländische Männer. Ich rühre eine leichte Soße aus karamellisiertem Puderzucker, Orangensaft, Stärke, Vanillemark, einer Zimtstange, einer Prise Muskatblüte, Ingwer und einem kräftigen Schuss Limoncello an. Davon halte ich Niveo ein Löffelchen voll zum Probieren vor die Nase. Er schnuppert, lässt sich dann die Kostprobe in den Mund schieben. Er testet ausgiebig, ohne eine Miene zu verziehen.

»Gut«, sagt er und schnippelt weiter.

Die Soße schmeckt mehr als gut, das weiß ich. Braucht halt noch ein bisschen, mein kleiner Italiener.

»Das Ganze dann in den Kühlraum, okay? Und vergiss nicht, etwas Zitronensaft über die Schnitze zu träufeln, damit sie nicht braun werden«, geb ich freundlich noch ne Anweisung.

Niveo nickt grantig.

Halb sechs. »Ich verzieh mich ein halbes Stündchen auf’s Zimmer«, verkünde ich und hänge die weiße Schürze an den Haken an der Tür. Vielleicht erreiche ich Vinc, hoffe ich, und reiß schwungvoll die Tür auf.

»Attenzione!«, bellt es mir scharf entgegen.

Ups! Fast hätte ich den Gipsarm des Alten gerammt.

»Valdo!« Niveos Miene hellt sich sichtbar auf.

»Salve, Niveo.« Der Alte nickt zu Niveo rüber, ohne mich aus den Augen zu lassen.

Okay, Ruhepause gestrichen. Valdo Carlotti, der capo della cucina, inspiziert sein Revier. Jetzt mein Revier. Zwei italienische Machos, fass ich zusammen, und stell mich der Herausforderung.

»Hallo, Signor Carlotti«, begrüße ich den Alten und strecke ihm die Hand entgegen. »Ich bin Doro Ritter, Ihre Vertretung.« Jetzt ist er am Zug.

»Salve, signorina Doro. Ritter. Der berühmte papà, habe ich schon gehört«, kommt es stimmgewaltig auf Deutsch mit charmantem italienischem Akzent. So wie’s die Deutschen lieben. Italien, aber bitte auf Deutsch.

Was war das? Ein schelmisches Blitzen in den Augen? Bin mir nicht sicher. Valdo zieht sich einen Stuhl aus der Ecke und lässt sich nieder. Was wird das? Will der hier einziehen?

»Äh …«, mehr fällt mir nicht ein. Nicht mein Tag heute. Hmm …

»Wollen Sie uns helfen?«, frag ich scheinheilig.

Der Alte hebt leicht seinen linken Arm mit dem Gips in die Höhe und schüttelt den Kopf. »Darf nix machen, sagt der Dottore.«

»Leisten Sie uns ein bisschen Gesellschaft?« Carlotti ist zäh, lässt sich jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.

 

Valdos Stirn umwölkt sich.

Niveo steht mit verschränkten Armen da, beobachtet uns, unverschämt zufrieden, möcht ich mal sagen. Ich muss lachen. Ich mein, was soll’s. Dem Alten ist wahrscheinlich langweilig oder seine Frau hat ihn rausgeschmissen, weil er daheim nervt, und diese Küche hier ist seine Welt. Seit Jahrzehnten. Seit das Hotel besteht eigentlich. Hat Greta erzählt.

»Na dann, willkommen zurück«, sag ich fröhlich, »ab und zu einen guten Ratschlag kann schließlich jeder brauchen. Sogar eine Signorina Doro. Ritter.«

Die Miene des lädierten Küchenchefs glättet sich. Wir verstehen uns.

»Bin kurz draußen«, melde ich mich bei Niveo und Valdo ab. Vielleicht ist Vinc jetzt erreichbar. Das Handy am Ohr, spring ich Richtung Eingangslobby, auf der Suche nach Greta. Vinc geht immer noch nicht ran. Im Büro sitzt Vittorio Rinaldi mit Forti. Das passt mir gut, ich renn auf mein Zimmer, schnapp mir den Knopf, das spart mir den Weg zur Carabinieri-Station.

Forti nickt, als ich ins Büro stürme, Rinaldi verzieht säuerlich das Gesicht.

»Den Knopf hab ich am Pool gefunden. Direkt an der Unfallstelle. Ich dachte, das könnte Sie interessieren.«

Forti nimmt den Knopf, begutachtet ihn gründlich, hält ihn sich vor die Augen, als ging’s um Karat und nicht um Plastik. Nickt wieder. »Ich prüfe das«, sagt er, dann bin ich Luft für die beiden.

Aha. Bitte schön, gern geschehen! Oder verarscht der mich grade?

Mir jetzt egal, ich such Greta.

In der Küche läuft dann alles wie am Schnürchen, Valdo bleibt brav auf seinem Platz und schafft es tatsächlich, sich rauszuhalten – zumindest meistens.

Einmal hat er kurz gezuckt, als ich frisches Weißbrot zum Salatbüfett gestellt hab statt der alten Frühstückssemmeln … und eine Schüssel Mais und eine mit grünen Bohnen zusätzlich. Hat aber nichts gesagt.

Um halb zehn ist der Speisesaal leer, die Gäste sind runter in den Ort flaniert oder sitzen draußen auf der Terrasse mit Vino, Smartphone, Tablet oder bei einem Spiel mit den Kindern. Karten, Würfel, Brettspiele. Zum Teil aus dem Hotelfundus. Grüppchen haben sich gebildet, andere bleiben lieber separat. Adriano bedient heute Abend draußen, ich hab nen Eins-A-Beobachtungsposten vom Familientisch aus, gönn mir eine Zigarette und nippe nebenbei an einem Glas Prosecco. Mein Favorit im Sommer. Eindeutig. Und liegt durchaus im Trend, neben Spritz, Vino und Bier natürlich. Ein letzter Schluck, dann letzter Kücheneinsatz für heute. Hab mir einen schlichten Rührkuchen fürs Frühstücksbüfett vorgenommen, das schaffe ich locker, bis Niveo und Mia die Spülmaschine bestückt und die Küche gesäubert haben. Greta deckt fürs Frühstück und bereitet das Büfett vor. Danach gibt’s Essen für uns. Vom Ragout ist noch genügend da, Niveo schmeißt die Pasta ins Wasser.

»Was machen deine Eltern so den ganzen Tag?«, frag ich Mia.

»Meinst du im Hotel?«

»Ja. Sind die immer da und passen auf?«

Mia schüttelt den Kopf. »Nein, die wohnen oben in Tremosine. Da ist es kühler und sie haben ihre Ruhe. Aber in der Hauptsaison sind sie oft hier. Sie haben eine kleine Wohnung in unserem Privattrakt, gleich neben meinem Appartement. Hauptsächlich hüten sie die Rezeption und pflegen den Garten. Und papà macht den Limoncello.«

»Ach, der ist selbst gemacht?« So was interessiert mich immer.

»Ja, und sogar aus unseren eigenen Zitronen. Nach dem Essen musst du ein Glas probieren, Doro.«

Tja, Familienstolz. Geht mir mit Paps genauso.

»Gerne«, stimm ich begeistert zu und streiche die Teigmasse aufs Blech. Okay, das reicht. Die gekaufte Pampe muss schließlich auch noch weg. Ich nehm die Küchenuhr und verzieh mich nach draußen.

»Bin grade fertig«, ruft Greta durch die offene Terrassentür. »Ein Glas Weißwein zum Essen?«

»Ja, gerne«, ruf ich zurück.

»Ich bring’s gleich mit.« Sagt’s und verschwindet Richtung Rezeption und Theke.

Hoffentlich wird sie nicht von Gästen gekrallt, die immer schnell was brauchen, wenn jemand von der Familie vorbeikommt, denn die Lobby ist allgemeiner Knotenpunkt für Urlauber und Personal. Hier liegt das kleine Büro, gleich davor die Rezeption zum Ein- und Auschecken und ganz wichtig natürlich das Herzstück, die Bar, an der die kulinarische Flüssigversorgung stattfindet.

Mein Handy vibriert.

»Hallo, Vinc! Hab’s vorhin schon bei dir probiert …«

»Küsschen, Schatz. Ich war bis jetzt unterwegs und hab blöderweise mein Handy daheim liegen lassen. Zuerst war ich bei Fredi, Einweisung Motorrad, morgen hol ich es dann ab. Danach bin ich weiter zur Uni und hab mit meinem Chef geredet, wegen Urlaub und so … Geht klar, hat er gemeint. Er hilft mir morgen bei ein paar Änderungen an der Anlage, das war’s dann eh, bis das Semester wieder losgeht.«

»Super!« War ein Glücksfall, dass Vinc den Job an der Uni bekommen hat, obwohl er BWLer ist und kein Informatiker. Das externe Unternehmen ist zuständig für die digitale Versorgung der Uni und sucht immer Studenten für bestimmte Bereiche. Vinc’ Aufgabe ist die Kommunikation zwischen den Technikern und den Laien. Und das kann mein Schatz. Er ist geduldig, kommunikativ, diplomatisch und innovativ. Ich grinse. Alles Eigenschaften, die auch bei mir oft zum Einsatz kommen. Sozusagen Voraussetzung beim Management von Doro Ritter.

»Wann kannst du da sein?«, frag ich.

»Tja, ich will in der Früh losfahren, aber nicht Autobahn. Eher Reschenpass, mal sehen, wenn ich schon ein Motorrad habe …«

»Logisch, mach das. Ich freu mich auf unsere Touren hier. Und auf dich.«

»Und ich mich auf dich, meine Süße. Wirst du denn überhaupt Zeit haben? Immerhin bist du ja nicht zum Vergnügen bei den Rinaldis.«

»Stimmt. Aber das organisier ich, kein Problem. Du, Schatz, kann ich dich später zurückrufen? Ich muss dir einiges erzählen. Ah, Greta kommt mit einem Glas Weißwein. Und ich muss noch was für morgen notieren und dann gibt’s Pasta fürs Team …«

»Danke für die Info! Ich sitz hier einsam draußen, mit einer dicken Wolldecke, wenn ich das erwähnen darf! Vielleicht mach ich mir noch eine Tasse heißen Tee.« Vinc lacht leise.

»Übertreib mal nicht, du Spinner! Es gibt Internet und das sagt mir, dass es bei euch in München durchaus warm ist für die Jahreszeit. Aber trotzdem, eine Runde Mitleid! Und ab übermorgen südliche Sonne, Vino und natürlich das Sahnehäubchen …«

»Das da wäre?«

»Deine liebste Doro, was sonst?«

»Na, dann bis später, du Sahnehäubchen.«

»Bussi«, sag ich und schick ein Küsschen ins herbstliche München.

Niveo kommt, die Teller beladen mit dampfenden Tagliatelle und Ragout Bolognese, Adriano erscheint mit Eltern und Mia im Schlepptau.

»Buon appetito«, wünscht Vittorio Rinaldi als Familienoberhaupt.

»In Deutschland hat sich Bolognese praktisch untrennbar mit Spaghetti verbunden. Und ist zu tomatenlastig«, überlege ich laut.

»Wir haben heute extra für dich beim Menü Spaghetti verwendet, damit du kein Heimweh bekommst«, bemerkt Niveo.

»Also ich …«

Alle lachen. Sogar der alte Rinaldi. Ich hab zu spät gemerkt, dass Niveo mich auf den Arm nimmt. Die Rache fürs Pfirsichschnippeln. Natürlich ist allen klar, dass ich das italienische Originalrezept kenne und weiß, dass man unterschiedliche Nudeln für diese Soße verwendet, aber niemals Spaghetti.

»Ja, ja, alla tedesci, ich weiß«, mein ich augenzwinkernd. »Wisst ihr, mein Paps würde sich eher die Hand abhacken, bevor er dazu Spaghetti servieren würde. Einmal hat ein Gast gewagt, sich beim italienischen Büfett über die dazu gereichten Rigatoni zu beschweren. Ihr hättet sehen sollen, wie Paps’ Miene zum Eisblock mutierte. Seine Zornader an der Stirn hat pulsiert und ich kenn ihn. Das war Mount Ritter kurz vor dem Ausbruch.« Bei der Erinnerung daran muss ich so lachen, dass ich alle damit anstecke. Die Gäste schauen schon neugierig rüber.

»Apropos«, sag ich, wieder auf dem Boden der Tatsachen, »wieso bieten wir nicht mal nen original italienischen Abend? Ich denke, die meisten Gäste würden das lieben!« Die Begeisterung geht mit mir durch.

»Mal langsam, Mädchen«, stoppt Vittorio meinen Enthusiasmus. »Wir haben genug Arbeit, das wirst du schon noch merken. Da brauchen wir keine Extratouren. Außerdem sind wir original genug.«

Hab ich’s mir wieder versaut? Nee, glaub nicht, Vittorio lächelt mich milde an, wie ein Kind halt, das man in die Schranken weisen muss. Tja, das Los meines Alters, dazu eine Prise Genderproblematik eines italienischen Machos. Werd mich wohl ziemlich ins Zeug legen müssen, um den Alten von meinen Qualitäten zu überzeugen. Haha, packt mich da gerade der Ehrgeiz?

Die Küchenuhr rasselt.

»Scusa, ich muss den Kuchen aus dem Backrohr holen«, entschuldige ich mich, schieb die letzte Gabel Tagliatelle in den Mund und spring in die Küche.

Niveo folgt mir mit den leer gegessenen Tellern, begleitet von Mia.

»Pfirsiche an Soße Doro«, serviert er zwei Minuten später. »Müsst ihr probieren, schmeckt klasse.« Er schaut todernst.

Aha. Ich grinse. Er auch.

Meine Dessertsoße ruft allgemeine Begeisterung hervor.

»Wie wär’s jetzt mit einem Gläschen Ihres berühmten Limoncellos?«, frag ich Vittorio.

Ein geschmeicheltes Lächeln entkommt ihm.

»Mia, hol die Flasche und Gläser, per favore!«, schickt er seine Tochter los.

»Salute«. Ich schnuppere am Glas. Superzitronig. Der Limoncello fließt kalt, süß und sehr fruchtig die Kehle runter.

»Hmmh, echt lecker! Schmeckt viel besser als der, den ich in der Küche gefunden habe«, lobe ich begeistert und mein das auch so.

»Familienrezept.« Vittorio ist sichtlich stolz.

Na also, geht doch, denk ich zufrieden.

Ein schöner Abend, aber langsam werde ich müde und will meine Ruhe.

»Buona notte«, wünsch ich in die Runde und steh auf.

Adriano geht rüber zu den Gästen, die anderen bleiben noch sitzen.

Okay, war ein langer Tag. Hab mir eine Flasche Mineralwasser mit hochgenommen, die klemm ich mir unter den Arm und geh raus auf den Balkon. Aschenbecher steht auf dem kleinen weißen Plastiktisch, der Stuhl aus demselben Material war auch schon mal weißer, wie mir heute Nachmittag aufgefallen ist. Aber das schluckt jetzt die Nacht. Ich drück Vinc’ Kontakt. Da alle andern noch unten sind, gehe ich davon aus, ungestört telefonieren zu können. Kontrollblick zu den angrenzenden Zimmern, ist alles dunkel. Trotzdem rede ich sehr leise, als ich Vinc von den Ereignissen des Tages erzähle. Hauptthema ist der Unfall. Logisch. Beschäftigt mich sehr.

»Weißt du, die haben den Mann abtransportiert, Hauptsache, keiner kriegt was mit«, sag ich traurig.

»Doro, Schatz, klar ist das tragisch, aber so was passiert eben. Und dass die Polizei Rücksicht auf den Hotelbetrieb nimmt, finde ich nicht verkehrt.«

Ich seufze. »Das weiß ich ja, aber trotzdem, ich war vorhin noch kurz unten am Pool … Iieh, was ist das?«, ruf ich erschrocken und wedle abwehrend mit den Händen. Beinahe wär mir das Handy runtergefallen.

»Was ist los?«, fragt Vinc, klingt aber nicht sonderlich besorgt.

»Hallo! Ich werde hier von einer Armada Schwalben oder so angegriffen und du lachst?«, schimpf ich empört.

»Bestimmt ein paar Fledermäuslein«, spottet Vinc. »Die waren letztes Jahr doch auch da, mein kleiner Schisser, erinnerst du dich?«

»Echt? Fledermäuse? Meinst du?« Stimmt, ich erinnere mich … Weiß auch nicht, weswegen ich Gänsehaut kriege. Alte Gruselgeschichten aus der Kindheit wahrscheinlich. Wie sich Fledermäuse wie Kaugummi in den Haaren verfangen …

»Und wegen des Unfalls«, Vinc’ Stimme schiebt sich wieder in den Vordergrund, »Doro, du hörst das Gras wachsen. Lass es gut sein und wirbel keinen Staub auf, wo keiner ist.«

»Wird Zeit, dass du kommst, mein Held und Beschützer«, witzle ich liebevoll. »Ich freu mich auf dich. Bussi.«

»Bussi, bleib brav, bis übermorgen.« Ich hör sein leises Lachen, bevor er auflegt. Ein angenehmes Kribbeln breitet sich in mir aus.