Das gefälschte Testament und andere Mordfälle aus Mitteldeutschland

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Erich von Liebermann

Otto Trettin

Das Mörderpaar Koppius

Ein Bestseller,

der nie geschrieben wurde

Bücher haben ihre Schicksale, heißt es. Es mag unvorstellbar sein, dass ein Autor einen Verleger durch Morddrohungen erpresst, ein Manuskript zu veröffentlichen. In der Buchstadt Leipzig ereignete sich jedoch im Jahr 1908 genau solch ein Fall.

Am Heiligabend ging bei der Firma J.J. Weber, die die »Illustrirte Zeitung« herausgab, ein Brief ohne Absender ein, der im großen Stapel der Weihnachtspost keine Beachtung mehr fand. Am Vormittag des ersten Weihnachtstages las der Verlagsbuchhändler Siegfried Weber diesen Brief. Ein Mann namens Argus verlangte von ihm, er solle am Heiligabend bis 18 Uhr im Zeitungskiosk am Alten Theater 5000 Mark in Gold hinterlegen. Und das als Vorschuss. Sobald ein bestimmtes Buch fertig sei, müssten dann noch einmal 5000 Mark gezahlt werden.

»Schreiber dieses bietet Ihnen ein Werk an, wie es die Welt bisher noch nicht gesehen«, las Weber, »ein Werk von eminenter aktueller Bedeutung!« Argus bot Weber seine »Memoiren« zum Druck an, einen Bericht über dreißig eigenhändig ausgeführte Morde. Einen davon, gewissermaßen als Eignungstest für den Druck des Buches, schilderte er gratis bis in die Einzelheiten. Es war der Doppelmord an einem Ehepaar im östlichen Stadtgebiet Leipzigs. Nun wäre das bis hierher ein ganz origineller Einfall gewesen, wenn – ja, wenn sich dieser Doppelmord nicht tatsächlich zugetragen hätte …

Am 2. November 1908 suchte der Geldbriefträger das Haus Windmühlenstraße 21 auf, um eine Postanweisung über 8,25 Mark an Paul Schlegel auszuzahlen, der vier Treppen hoch bei dem Ehepaar Friedrich wohnte. Er braucht gar nicht zu klingeln, denn in der Tür steht ein Kollege, der für einen anderen Logisherren der Friedrichs eine Nachnahme zu überbringen hat. Da der Empfänger nicht anwesend ist, wäre das Geschäft des Briefträgers erledigt. Aber er hat es nicht eilig und wartet, bis sein Kollege dem jungen Mann, der sich als Paul Schlegel meldet – offenbar ein neuer Untermieter der Friedrichs –, den kleinen Betrag ausgezahlt hat. Gemeinsam steigen die Postbeamten, gemächlich plaudernd, die Treppe hinunter.

Wäre dieser Briefträger ein mürrischer Mann gewesen, der seiner Wege gegangen wäre, so würde der Geldbriefträger in einem Zimmer der Friedrichschen Wohnung erschlagen am Boden gelegen haben. Die Postanweisung an Paul Schlegel war zu dem Zweck aufgegeben worden, den Geldbriefträger, in dessen Taschen die beiden Anstifter dieses Komplotts eine größere Menge Geld vermuteten, in die Wohnung zu locken, in der alles für seine Ermordung vorbereitet war. Der teuflische Plan schlug fehl, weil der erste Briefträger ein umgänglicher Mensch war, der auf seinen Kollegen wartete, um noch ein bisschen mit ihm erzählen zu können.

Ein paar Stunden später kam ein Untermieter, der schon länger bei den Friedrichs wohnte, nach Hause und fand das Ehepaar tot, mit zertrümmerten Schädeln, in der Wohnung auf. Die Mörder hatten die alten Eheleute – den sechzigjährigen Schriftsetzer Georg Friedrich und seine Frau Marie – aus dem Weg geräumt, um ihren Anschlag auf den Geldbriefträger ungestört und ohne mögliche Tatzeugen begehen zu können. Der vermeintliche Untermieter Schlegel hatte am Mordtage einen zweiten jungen Mann zu sich eingelassen. Diese beiden Männer waren ohne Zweifel die Mörder, und die Polizei besaß dank der Postboten nun eine gute Personenbeschreibung von ihnen.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von dem Mord in der Stadt.

Im Brief an den Verlagsbuchhändler war der Doppelmord präzis beschrieben. Und damit kein Zweifel darüber bestehen könne, dass Argus wirklich der Mörder der Eheleute sei, teilte er mit, wo er die geraubten Taschenuhren versetzt habe und dass die Schlüssel zu der Friedrichschen Wohnung in einem Gully in der Karl-Tauchnitz-Straße lägen. Beide Mitteilungen erwiesen sich als wahr.

Und noch etwas stellte Argus unmissverständlich gegenüber Weber klar: »Sollten Sie vielleicht glauben, dies der Polizei zu übergeben, um mich unschädlich zu machen, so sind Sie von einem großen Wahn befangen. Ihr Todesurteil würden Sie sprechen. Ihre ganze Familie würde ich zerfleischen.«

Nach dem verpassten Übergabetermin am Heiligabend setzte Argus seine schauerliche Korrespondenz mit dem Verlagsbuchhändler fort. Am Ende waren es zwölf Briefe. Weber übergab jeden Brief der Polizei und war zu jedem Versuch bereit, durch hinterlegte Antwortbriefe den Mörder zu fangen. Durch ein Zeitungsinserat versuchte er selbst, Kontakt zu Argus aufzunehmen. Darin ließ er wissen, dass ein Brief mit 500 Mark an einem Zeitungskiosk zur Abholung bereit läge und drohte seinerseits: »Lassen Sie meine Familie und mich in Ruhe.«

Argus holte den Brief nicht ab. Es bewegten sich um diese Zeit zu viele Straßenarbeiter in der Nähe des Kioskes, obwohl es kaum etwas für die Straße zu tun gab. Der Erpresser war gewarnt.

Am 8. Januar 1909 erhielt Weber ein weiteres, diesmal mit Blutflecken verziertes Schreiben. Argus verlangte die Hinterlegung von 1000 Mark in einer bestimmten Bäckerei als Vorschuss für das kommende weltberühmte Buch. Weber legte nur 100 Mark ins Kuvert und tat, wie geheißen.Am vorgesehenen Übergabetag holte ein Eilbotenjunge das Geld ab – und eilte schneller als die Polizei.

Im Februar meldete sich Argus erneut bei Weber. Diesmal erhöhte er die Honorarforderung für sein künftiges Meisterwerk auf 30000 Mark. Außerdem schilderte er sehr genau andere von ihm begangene Untaten. Er erinnerte daran, dass am 15. Oktober 1907 eine Frau im Haus in der Gottschedstraße 15 überfallen worden sei und schilderte Einzelheiten, an die sich selbst das Opfer nicht mehr erinnern konnte, und brüstete sich mit einem Raubüberfall auf einen Geldbriefträger, der vom Vorgehen her dem aus der Windmühlenstraße sehr ähnelte. Auch kündigte er neue Mordtaten an und pries darüber hinaus sein ominöses Werk in höchsten Tönen: »So mancher Staatsanwalt und Polizeirat-Kommissar, so mancher Kriminalbeamter und Detektiv, aber auch so mancher Rechtswissenschaft-Studierender wird mir Dank wissen, obgleich man dies auf keinen Fall zugeben wird und sich möglichst den Anschein gibt, als wäre man auf diesem Gebiet schon wunder wie gescheit und gelehrt.«

Als man den Briefeschreiber nicht ergreifen konnte, versuchte die Staatsanwaltschaft mit Hilfe von Schriftsachverständigen und Psychologen, Rückschlüsse auf die Person des Schreibers zu ziehen. Die Polizei fertigte nach den Aussagen verschiedener Zeugen ein Phantombild des vermutlichen Täters an. Mit Hilfe der Presse wurde jeder Schluss bekanntgemacht. Ausführlicher war die Öffentlichkeit selten über einen Kriminalfall unterrichtet, und eindringlicher auch nicht zur Mithilfe ermahnt worden.

Inzwischen hatte die Staatsanwaltschaft zu seiner Ergreifung 5000 Mark Belohnung ausgeschrieben. Die Polizei ging über 500 Anzeigen und Verdächtigungen nach, setzte ihre Spione in Verbrecherkreisen auf die Spur, die Zeitungen unterstützten die Nachforschungen der Behörden – alles vergeblich.

Was Weber und seine Familie in jener Zeit durchmachten, lässt sich erahnen. Die nervliche Belastung zog sich nun schon fast zwei Jahre hin. Aber Weber war kein ängstlicher Mensch. Am 16. Juli 1910 erhielt er erneut eine Zuschrift.

Der Verleger wollte gerade zu einem Jagdausflug aufbrechen, als es an der Tür klingelte. Ein Junge brachte einen Brief, den Weber an seiner Aufmachung gleich erkannte. Er war entschlossen, auf jede Gefahr hin die Sache in die eigenen Hände zu nehmen. Er gab dem Jungen eine eilig geschriebene Antwort und hastete die Treppe hinab, wo der Fahrer für den Jagdausflug bereits vor dem Haus im Auto wartete. Vorsichtig folgten sie dem Jungen über eine längere Strecke. Nach etwa einer Viertelstunde sah Weber, wie der Junge plötzlich auf zwei Männer zuging. Er stieg aus und näherte sich der Gruppe. Doch noch ehe er die Männer erreichen konnte, stürmten sie auf die andere Straßenseite und flohen in Richtung Innenstadt. Weber rannte zum Auto zurück, und weiter ging die Verfolgungsjagd. Der Fahrer kannte sich gut aus in der Stadt. Als sich die beiden Verfolgten trennten, gelang es ihm, einem von ihnen den Weg zu verstellen. Weber sprang heraus und griff energisch zu. Den Rest erledigte dann die von Passanten herbeigerufene Polizei.

Der Verhaftete hieß Karl Koppius, und in seiner umgehend von der Polizei besetzten Wohnung wurde am anderen Morgen auch sein jüngerer Bruder Fritz festgenommen. In ihnen hatte man das seit zwei Jahren gesuchte Mörderpaar endlich ergriffen. Weber hatte seine Familie von einem Alptraum befreit. Ob er die ausgeschriebene Belohnung erhielt, ist nicht bekannt.

Im Leipziger Schwurgericht begann am 5. Oktober 1910 die Verhandlung über die Verbrechen der Brüder Koppius. Andere als die Leipziger Bluttaten sind ihnen nicht nachgewiesen und wohl auch kaum begangen worden. Der neunundzwanzigjährige Karl, der Bestimmende von beiden, hatte erst als Flaschenspüler, Hausdiener, dann als Kellner gearbeitet und wollte ein Restaurant kaufen. Rennwetten, die ihm mühelosen Gewinn bringen sollten, endeten als Fehlschläge. Aber Spiel und Spekulation hatten in ihm die Sucht geweckt, auf irgendeine Art rasch reich zu werden. Ein Zufall brachte ihn auf den Gedanken, einen Geldbriefträger zu überfallen. Das Beutegeld war alsbald verprasst. So musste er erneut auf Raubzug gehen, und der unheilvolle Weg, gemeinsam mit seinem Bruder, begann. Die Taten zu leugnen hatte angesichts der sogar schriftlich niedergelegten Geständnisse in den Briefen an Weber keinen Sinn mehr.

Fünf Tage nach dem Verhandlungsauftakt wurde Karl Koppius zweimal zum Tode verurteilt. Hinzu kamen fünfzehn Jahre Zuchthaus und dauernder Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Bruder Fritz Koppius erhielt zwar nur sieben Jahre Zuchthaus, ansonsten aber dasselbe Strafmaß. Bei ihm änderte allerdings der sächsische König das Todesurteil in lebenslänglich.

 

Karl Koppius musste angesichts seiner umgehend erfolgenden Hinrichtung dem Verleger Weber das angepriesene Manuskript, »ein Werk von eminenter aktueller Bedeutung …«, schuldig bleiben. So grausig sein Ende, so beruhigend diese Pointe.

Henner Kotte

Totgelacht

»Wenn das Weib die Verbrecherinitative ergreift …«

»Unn nu saachn de Leude, dass de Hoffmann immer so – frschdehsde? – so – se mungkldn ähm und mungkldn – Unn dähr eene von die Herrens, dähr gahm ähm öffdrsch – dähr gahm de Woche zwee-dreimal gahm dähr – nuh saachn de Leude, er währ ä bissjn vermeejlich gewähsn – ä Haus haddr dir gehabbd – unn das Haus haddr frglobbd – unn an dähm Daache, wohr gassierd hadde und hadde de ganze Bennunze bei sich – da issr widdr nein bei de Hoffmann. Unn – wie nuh solche Waiwr sinn – die riechn das – die märgkn das gleich, wenn eenr Marrih hadd – unn nuh saachd de Hoffmann, dähr Härre hädde in dr guhdn Schduuwe bei ihr hädde dähr aufn Gahnabee gesässn – unn wie dähr Härre so da gesässn hadd – saachd de Hoffmann – da fälldm midd ehm Mal dr Schraubschdogk uffn Gobb. Unn de Hoffmann schdärrzd uffn zu unn hehbd dähn Schraubschdogk widdr uff – unn dähr rudschdr awwr widdr aus – unn da wahrer dood.«

Ein sprachliches Kabinettstückchen, eine kabarettreife Nummer, das sich da zwei in der Straßenbahn erzählen. »Die Hoffmannsche« ist in der Tat einer der fest verorteten Sketche der Leipziger »Retorte«, der angesagten Bühne von Hans Reimann. Aber es war »eine ernste, ja grausige Geschichte«, und sie beruhte auf der Wahrheit.

Am 7. März 1922 hatte man vermeldet: »Mordtat in Leipzig – Montag Nachmittag, den 2. März 1922, 6.30 Uhr hat eine etwa fünfzigjährige Frau vor dem Hauptbahnhof, preußische Seite, zwei Dienstmänner beauftragt, einen Reisekorb aus Weidengeflecht zum Zug 7.14 Uhr nach Halle zu bringen. Sie teilte ihnen mit, dass sie sich selbst noch eine Fahrkarte lösen wolle und die Dienstmänner dann am Zuge wieder treffen wolle. Als sie indes bei Abgang des Zuges nicht kam, nahm ein Dienstmann den Korb wieder aus dem Zug heraus und brachte ihn, da ihm die Sache verdächtig vorkam, zu der Kriminalhauptstelle im Hauptbahnhof. Hier öffnete man den Koffer und fand unter blutigem Papier einen schwarzen Herrenmantel mit Samtkragen. Darauf lag eine goldene Uhr mit Kette. Dann kam unter nochmaligem Papier die Leiche eines Mannes ohne Kopf zum Vorschein und zwar auf dem Bauche liegend.«

Die Ermittlungen im Fall der »Kofferleiche« vom Hauptbahnhof zeitigten alsbald Ergebnisse. »An Hand des Monogramms in der Wäsche, die E.C. gezeichnet war, und einer Zigarrenspitze, auf der der Name einer Gastwirtschaft aufgedruckt war, stellte es sich schließlich heraus, dass der Ermordete niemand anderes sein könne als der privatisierende Kürschnermeister Emil Conrad.« Und schnell war auch »die Spur des Verbrechers durch verschiedene Aussagen, Feststellungen und Erörterungen nach der Ewaldstraße 18, Volkmarsdorf, gelenkt worden. Dort wohnt die siebundvierzigjährige Witwe Berta Hoffmann, die den Ermordeten näher kannte und geschäftlich mit ihm zu tun hatte.« Ungewöhnlich hatte sie sich insofern verhalten, weil sie sich am vermuteten Tattag »einen vergnügten Abend im Café« machte und für ihre Kneipengäste eine Rechnung beglich, die sich auf mehr als 90 Mark belief.

Gleich nach ihrer Einlieferung in die Untersuchungshaft erkannten die beiden Dienstleute Nummer 40 und 38 »die Hoffmannsche« wieder. Die jedoch »leugnete, jemals mit den Dienstmännern gesprochen zu haben, aber einer der Dienstmänner hob hervor, die Frau an ihrem Augenfehler ganz bestimmt wiederzuerkennen«. Und dann meldete sich ein junger Mann, der bezeugte, den Reisekorb zum Bahnhof transportiert zu haben. Ansonsten wusste er von nichts. Aber »das Lügengewebe der Frau Hoffmann hatte durch diese Angaben einen großen Riss bekommen. Sie wurde dem jungen Mann gegenübergestellt, leugnete aber trotz alledem dreist weiter, mit der Mordtat irgendetwas zu tun zu haben. Mit einem Schwall von Worten suchte sie sich herauszureden und den sie vernehmenden Beamten zu überzeugen, dass hier möglicherweise ein andrer Korb in Frage käme. In die Enge getrieben und auf das Unglaubliche ihrer Aussagen hingewiesen, bequemte sich die Frau, die ganz mit Beharrlichkeit die größten Lügen aussprach und sich andauernd in Widersprüche verwickelte, zu einer längeren Darstellung, die jedoch mit äußerster Vorsicht aufzunehmen ist.

Nach ihrer Angabe hat sie mit dem ermordeten fünfundsechzigjährigen Emil Conrad einen Hauskauf abgeschlossen. Am Donnerstag- oder Freitagabend voriger Woche sei nun in ihrer Wohnung der Hauskauf perfekt geworden. Conrad sei mit einem ihr unbekannten Herrn erschienen, habe ihr eine Quittung über 33000 Mark ausgestellt und dann von ihr das Geld genommen. Die Herren hätten angeblich Lust gehabt, bei ihr den Abend zu bleiben, und sie sei deshalb aus der Wohnung gegangen, um für das Abendbrot einzukaufen. Als sie wiedergekommen, sei der Herr Conrad nicht mehr anwesend gewesen. Der Unbekannte sei allein gewesen und hätte gesagt, Herr Conrad käme bald wieder. Dann hätte der Unbekannte ihr mitgeteilt, dass er sich inzwischen ihren Reisekorb geborgt und etwas hineingepackt habe. Sie möge so freundlich sein, den Korb aus dem Hause zu bringen. Er habe ihr 5000 Mark für diese Besorgung gegeben, und sie habe den Korb zu ihren Bekannten nach Plagwitz gebracht. Als der unbekannte Mann ihr dann gesagt habe, sie solle den Korb nach Magdeburg bringen, habe sie den Korb mit dem jungen Mann nach dem Hauptbahnhofe geschafft.

Das Dienstmädchen gab an, dass sie zusammen mit Frau Hoffmann den Korb nach Plagwitz gefahren habe. Frau Hoffmann habe außerdem ein kleines Paket in der Hand gehabt, das nach unten spitz, nach oben viereckig verlaufen ist. Das Mädchen hat den Eindruck gehabt, dass das Paket mit Ziegelsteinen beschwert war. Es besteht nun die Wahrscheinlichkeit, dass Frau Hoffmann das Paket, in dem sich sicherlich der Kopf des Ermordeten befunden hat, an der Heiligen Brücke oder Sachsenbrücke in das Wasser geworfen hat.«

Die Stadt spekuliert wie Reimanns Protagonisten. »Der mysteriöse Mord, der an dem siebenundsechzig Jahre alten Kürschnermeister Emil Conrad begangen wurde, hat in der Bevölkerung große Erregung hervorgerufen. Neben allergrößter Anteilnahme mit den schwer getroffenen Verwandten des auf so grausame Weise aus dem Leben Geschiedenen erweckt die Art der Ausführung der Tat in der Einwohnerschaft tiefste Abscheu vor der immer noch leugnenden Witwe Bertha Hoffmann. Obwohl sich der Ring der Beweise immer enger schließt, bleibt diese Frau doch bei ihrer ständigen Rede: ›Ich bin es nicht gewesen!‹ Die gründliche Durchsuchung der Hoffmannschen Wohnung ergab mit unzweifelhafter Sicherheit, dass Herr Conrad in einem fensterlosen Raum hinter dem Korridor ermordet worden ist. Es fanden sich zahlreiche Blutspritzer in einer Ecke an der Tür und an der Wand. Es müssen sich größere Blutlachen auf dem Fußboden befunden haben. Diese sind nach Möglichkeit durch Aufwischen beseitigt worden. Es wurde auch unter dem Gussstein ein Küchenmesser gefunden, an dessen Griff noch deutlich Blut zu erkennen war.« Den Mord leugnet Bertha Hoffmann weiterhin, so wenig glaubwürdig ihre Einlassungen zum »Großen Unbekannten« andern auch erscheinen mögen.

Nach Tagen strenger Verhöre bringt ein Beamter Bertha Hoffmann zurück zu ihrer Zelle. »Auf der halben Treppe vor der Tür 23 redete ich ihr nochmals in ihr Gewissen, worauf sie meine linke Hand an sich nahm und krampfhaft festhielt: In dem Paket war der Kopf des Conrad, ich schäme mich, aber ich kann es nicht sagen, er war verliebt, wir haben zusammen gekokelt – geliebt gemeint –, dabei fiel der Amboss herunter auf seinen Kopf. Vor Schreck und Angst raste ich auf ihn los, dann habe ich ihn mit dem Rasiermesser abgeschnitten und in das Paket getan … es war alles ein Unglück.«

Das Protokoll vermerkt: »Wieder vorgeführt berichtete sie erneut mit ihrer alten lächelnden Miene, sie wolle nun die volle Wahrheit sagen: Conrad habe, nachdem sie ihm 33000 Mark, teils in barem Gelde, teils in Wechseln, für das Haus in Lindenthal bezahlt habe und der Kaufvertrag von beiden Parteien unterschrieben war, ihrem Drängen, den Kauf mit einem Glas Grog zu beschließen, nachgegeben.« Nun habe Conrad zur Toilette gehen wollen und strauchelte, stieß an den Tisch und fiel. Und dabei sei ihm »plötzlich infolge des Unglücksfalls ein hochgelegener, schwerer eiserner Schraubstock auf den Kopf gefallen. Conrad sei sofort bewusstlos gewesen und habe sich nicht mehr gerührt. Aufs Höchste erschrocken, sei sie hinzugesprungen und habe den Schraubstock, der auf seinem Kopf liegengeblieben sein ›soll‹ aufgenommen. Er sei ihrer Hand abermals entglitten und sei zum zweiten Male auf den Kopf des Unglücklichen gefallen. Sie habe es danach in ihrer Verzweiflung und Bestürzung für das Beste gehalten, die Leiche heimlich zu beseitigen, und alle Schritte, die sie nun unternommen habe, sollen nun nicht dazu gedient haben, die Spuren des Verbrechens zu verwischen, sondern hätten nur den Zweck gehabt, zu verhüten, daß auf sie ein schlechtes Licht falle. Sie habe nunmehr die Weichteile des Halses mit dem Rasiermesser ihres Sohnes durchschnitten. Darauf habe sie den Kopf in die Küche getragen und mitsamt dem Rasiermesser in einen kleinen alten Blecheimer getan und den Kopf mit einem halben Ziegelstein beschwert. Alsdann habe sie den Eimer mit Inhalt in einen Jutesack gesteckt und diesen oben mit einem Bindfaden fest zugebunden. Alsdann habe sie das Zimmer vom Blut gereinigt.«

Es bleibt nicht ihre letzte Variante des Geschehens. Die Hoffmannsche sagt später, »bei Besprechung des Hauskaufs habe ihr Conrad nun zugesichert, dass sie in dem Lindenthaler Grundstück, in dem Conrad wohnen bleiben sollte, drei Zimmer und eine Küche als Wohnung für sich erhalten solle. Damit sei sie zufrieden gewesen, und es sei dann durch reichlichen Alkoholgenuss zu Zärtlichkeiten gekommen. Sie hätten in der Dunkelkammer den Beischlaf auf den Dielen vollzogen, da Conrad sich nicht habe in das Bett legen wollen. Aber nach dem Geschlechtsverkehr habe Conrad gesagt, dass seine Frau dagegen Einspruch erheben werde, wenn er ihr drei Zimmer und eine Küche ablasse, er könne ihr nur ein Zimmer geben, das genüge ja auch für sie. Gleichwohl habe er sie von neuem zum Beischlaf anregen wollen, habe sein Glied entblößt, sie nach der Dunkelkammer gezogen und sich wieder auf die Diele gelegt, während sie sich habe auf ihn legen und so den Beischlaf vollziehen sollen.«

Was Phantasie, was Wahrheit und bewusste Lüge lässt sich im Nachhinein nicht feststellen. Der Dresdner Landgerichtsdirektor Erich Wulffen, Verfasser von Schriften, die neue Erkenntnisse der Psychologie in die Kriminologie einführen, und Autor seinerzeit vieldiskutierter Bücher wie »Die Psychologie des Verbrechers« und »Die Psychologie des Hochstaplers«, meint: »Auch dieser Fall bietet einen Beitrag zum Studium der Verbrecherinitiative des Weibes. Dieselbe ist doch kriminell nicht so passiv, wie man anzunehmen gewohnt ist.« Wulffen präsentiert Bertha Hoffmann als eine der wenigen Mörderinnen, die aus sexuellen Motiven töteten.

Der kurze Prozess findet am 12. Juli 1922 statt. »Die Angeklagte wird wegen Mordes und schweren Raubes nach den §§211, 249, 251, 73, 32 StGB zum Tode und zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Sie hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.« Bertha Hoffmann wird zu lebenslanger Haft begnadigt, die sie im Zuchthaus Waldheim verbringt. Dort führt ihr Augenleiden zur Erblindung. Gnadengesuche werden abgelehnt. Am 3. April 1942 stirbt sie. Bertha Hoffmanns Grab auf dem Anstaltsgelände ist nicht mehr zu finden.

Der Kopf des Mordopfers wird just am Tage des Prozesses aus dem Elsterflutbett gezogen. »Der Fund wurde sofort dem Gericht übergeben.« Im rechtsmedizinischen Institut wurde er »eingeliefert früh 10h, stark gefault, jedoch überall unverletzt. So war dem Ermordeten doch kein Schraubstock auf den Kopf gefallen. Wurde ihm vielleicht im Zustand der Trunkenheit, nach einem sexuellen Exzess, des Schlafes, mit einem Rasiermesser ein tödlicher Halsschnitt beigebracht und der Kopf anschließend abgetrennt?«

Die Frage bleibt: Hatte Bertha Hoffmann tatsächlich denselben »Basic Instinct« wie einst Sharon Stone? Man mungkld ähm und mungkld.