Einsichts-Dialog

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Dieses Gefühl der Getrenntheit bildet die Grundlage von Vorstellungen der Unterschiedlichkeit. Gibt es erst einmal ein Gefühl von dir und mir, fängt das Vergleichen und Konkurrieren an – und jetzt legt das zwischenmenschliche Konstruktionsteam erst richtig los! Wenn wir einmal unsere Getrenntheit von anderen „be-griffen“ haben, legen wir Wert auf Unterschiede bei Geschlecht, Alter, Hautfarbe und schließlich Reichtum, Nationalität, Macht und Status. Auf der Basis der Unterschiedlichkeit bildet sich eine Identität. Aus Gefühlen der Gleichheit wird leicht Geborgenheit in und Identifikation mit einer größeren Gruppe, wie man am Beispiel von Auswanderer-Gemeinden auf der ganzen Welt sehen kann. Auf der Grundlage der Unterschiedlichkeit suchen wir die sozialen Belohnungen von Lob und Anerkennung. Dies zeigt sich in der Form von Hierarchie- und Statusdenken mit seiner stillschweigenden Unterscheidung des „besser als“. Solche Belohnungen verfeinern das Gefühl dafür, „wer man ist“, und stärken durch Identifikation mit Mitgliedern unserer Gruppe gute Selbstgefühle. Zum Beispiel bekommt man zu hören: „Als Mitglied dieser Kirchengemeinde fühle ich mich zufrieden und geborgen; hier sind lauter gute Menschen.“ Die Kehrseite der Sache ist, dass wir soziale Fehlschläge oder Bestrafungen meiden. Vorwürfe und Ablehnung kommen auf, indem wir Menschen außerhalb unserer Gruppe als noch weit mehr „anders“ einstufen, als weit verschiedener von uns, als sie den Sinnen tatsächlich erscheinen. Feinde werden dämonisiert, ihre „Andersartigkeit“ wird über das tatsächliche Maß hinaus übertrieben, wodurch ihr Status zementiert und gleichzeitig die eigene Gemeinschaft gefestigt wird.

Das Selbst, das aus diesen Vergleichen und Abstimmungsprozessen hervorgeht, fühlt sich unterlegen, überlegen, mit Verbündeten alliiert, gegen Feinde gewappnet und in einen Strudel von Vorlieben und Abneigungen hineingezogen. Meinungen, Rollen, soziale Segmentierung, Wünsche, Ängste und Verwirrung wuchern. All diese Gefühle und Standpunkte verursachen körperliche Spannungen und emotionales Unwohlsein. Die Anspannung steigt und die eingerastete Identität wird krampfhaft festgehalten; schließlich muss „ich“ mich ja schützen, muss „ich“ die Sicherheit für „mich“ und „die Meinen“ gewährleisten, habe „ich“ ja recht und daher auch das Recht, alles zu tun, um diese Sicherheit aufrechtzuerhalten. Aus gespeicherten Ideen über körperliche Merkmale („Ich bin klein“) und beziehungshaften Dynamiken („Ich bin verletzlich“) im Lauf der Zeit automatisch aufgebaut, bilden die Konstrukte der Getrenntheit und Unterschiedlichkeit die Basis einer Weltsicht, die jeden Aspekt unseres Lebens beeinflusst. Das Selbst, separat und verschieden, ist das, was hungert und wehtut.

Stellen Sie fest, wie Sie sich selbst in Bezug auf andere Menschen oder Gruppen anderer Menschen als ähnlich oder verschieden definieren. Welche Elemente spielen dabei mit? Geschlecht? Rasse? Sexuelle Vorlieben? Politischer Standpunkt? Beruf? Einkommen? Alter? Fitness? Stellen Sie fest, ob Sie die jeweilige Unterscheidung gewohnheitsmäßig mit einem Überlegenheitsgefühl verbinden.

Wie definieren Sie sich selbst in Bezug auf Ihre Eltern, Kinder oder Geschwister?

Beobachten Sie eine Zeit lang unauffällig fremde Menschen. Achten Sie auf jedes Gefühl der Getrenntheit, das aufkommt. Finden Sie Momente, in denen Sie einfach nur sehen, oder ist da immer dieses Gefühl von „ich“ und „sie“ und der Kluft dazwischen?

Der Hunger nach Lustgewinn und der Drang, Schmerz zu vermeiden

Wir haben das reziproke Verhältnis von Lustgewinn und Schmerz bereits betrachtet: Wir suchen den Lustgewinn nicht nur wegen seines anregenden Effekts, sondern auch, um Schmerz zu vermeiden. Wir finden das Ende eines Vergnügens schmerzhaft und fürchten uns deshalb davor; wir erleben den Drang, unseren Lustgewinn zu bewahren und auszudehnen. Das Ende eines Schmerzes finden wir angenehm. Wenn wir den Hunger nach Lustgewinn in zwischenmenschlichen Begriffen verstehen wollen, müssen wir verstehen, was mit zwischenmenschlichem Lustgewinn gemeint ist. Entscheidend ist auch, den dominanten zwischenmenschlichen Schmerz zu identifizieren, vor dem wir fliehen. Wenn wir diese einfachen Fakten verstehen, wird es leicht zu sehen, wie der Hunger nach Lustgewinn in unserem Leben wirksam ist; diese Einsicht macht den Weg frei zum Aufhören dieser Hungergefühle und dem Aufdämmern von Gelassenheit und Mitgefühl.

Zwischenmenschlicher Lustgewinn sind die angenehmen Emotionen und Empfindungen, die aus zwischenmenschlichem Kontakt entstehen. Ich finde es hilfreich, dieses Vergnügen in zwei Klassen einzuteilen: altruistisch und egoistisch. Egoistischer Lustgewinn: Mir ist langweilig, also besuche ich dich, weil ich weiß, ich werde viel Spaß und Ablenkung haben; es geht hauptsächlich um mich. Altruistischer Lustgewinn: Du bist verletzt, und es macht mir Freude, dich zu pflegen; es geht hauptsächlich um Mitgefühl und Großzügigkeit. In beiden Fällen gibt es das Gefühl eines Selbst und eine Motivation zu handeln. Wir werden altruistischen Lustgewinn etwas eingehender untersuchen, wenn wir über das Aufhören dieser Hungergefühle sprechen. Zuerst untersuchen wir egoistischen Lustgewinn.

Egoistischer Lustgewinn funktioniert so, wie der Name sagt: Wir suchen Kontakt, um unseren Hunger nach vergnüglicher Anregung zu befriedigen. Diese Anregung dient zwei Zielen. Sie unterhält und begeistert uns, erfüllt uns mit Leben, Schwung, vertreibt Langeweile. Sie lenkt auch von dem Schmerz unerfüllter Sehnsüchte ab. Genauso wie der physiologische Organismus sucht auch der soziale Organismus Stimulation, und zahllose Formen zwischenmenschlichen Entertainments bezeugen dies, von Partys bis zu Chatrooms im Internet, vom Fußball bis zum Büroklatsch. Hier wirkt der normale soziale Antrieb.

Um zu verstehen, warum egoistischer zwischenmenschlicher Lustgewinn beim Vermeiden zwischenmenschlichen Schmerzes so wichtig ist, müssen wir diesen Schmerz genauer verstehen. Einsamkeit ist die zwischenmenschliche Manifestation der Angst vor der Leere, welche wiederum eine Manifestation der Angst vor dem Tod ist. Aus diesem Schmerz heraus und der Angst vor diesem Schmerz erleben wir Eifersucht, Verrat und viele Formen des Hasses und der Wut. Einsamkeit beruht auf der Perspektive des Getrenntseins, wird von Vorstellungen über Unterschiedlichkeiten verschärft und wurzelt im Hunger nach Lustgewinn. Allein zu sein gehört zu den fundamentalen menschlichen Erfahrungen; Einsamkeit nicht. Ich bin allein in diesem Körper, du in jenem – das sind Aldous Huxleys „Inseln“, von denen „jede ein Weltall für sich bildet“.16 Wir erleben Myriaden von emotionalen und energetischen Wechselbeziehungen, aber wir fühlen uns einsam, wenn wir an der Idee eines isolierten Selbst festhalten, das bis in die Kindheit und darüber hinaus zurückreicht, eines Selbst, das in Wirklichkeit jeden Moment neu aufgebaut wird. Der Hunger nach Lustgewinn wird im Kontakt mit anderen vielleicht gestillt, aber wenn das vorbei ist, kommen Einsamkeit und Traurigkeit zurück. Wann immer wir nach Lustgewinn hungern und der Hunger nicht befriedigt wird oder die Befriedigung endet, kommt Schmerz auf.

Fast jede(r) ist auf der Jagd nach der Befriedigung seines oder ihres Hungers; als Reaktion auf diese Art Fressgier bilden Menschen ein interaktives System von Anregung und Ablenkung. Dieser gegenseitige Kitzel steckt hinter vielen sozialen Normen. Wegen dieses Beziehungs-Kitzels treffen sich Leute am Brunnen oder am Wasserspender. Wenn wir die leere Wohnung betreten und uns einsam fühlen, greifen wir vielleicht zum Telefon und rufen einen Freund an: ein Versuch, den Geist beschäftigt und die Angst vor der Leere klein zu halten.

Wir füllen auch die leeren Räume, wenn wir uns in großen Gruppen versammeln, was uns noch viel mehr Anregung bringt. Ich erinnere mich, wie mir das eines Abends auffiel, als meine Frau und ich mit zwei anderen Paaren essen gingen. Während wir aßen, erstreckte sich unsere Unterhaltung von den Nachteilen unserer Häuser bis hin zu Geschichten aus dem Berufsleben. Wir sprachen über Wirtschaft und Filme, Politik und das Internet. Jedes Treffen dieser Art entfaltet sich auf vielen Ebenen. Wir vertraten unsere Wertvorstellungen, machten unserem Ärger Luft, tauschten praktische Informationen aus und schenkten einander durch unser Zuhören eine Art uneigennütziger Freundlichkeit. Allerdings war auch klar, dass wir uns rein aus dem Bedürfnis nach Anregung und Ablenkung gegenseitig amüsierten. Geistreiche Witze, interessante Anekdoten und wissende Blicke sorgten für eine kleine Glückswelle nach der anderen. Das ist Smalltalk als Mittel der Ablenkung, als Puffer gegen den Schmerz der Einsamkeit. Daran ist nichts Unmoralisches, aber es ist nützlich, diesen Drang nach Anregung zu bemerken – im Hinblick darauf, dass auch Beziehungen möglich sind, die auf mehr Gelassenheit, Mitgefühl und Weisheit beruhen.

Und dann ist da noch der Sex, der Urahn jeden Beziehungs-Kitzels, der als Gipfel jeglicher Stimulation gilt. Für viele Menschen ist Sex eine wichtige Form der Unterhaltung. Er ist ein überaus mächtiger Treffpunkt persönlichen und zwischenmenschlichen Lustgewinns. Die Hungergefühle des Körpers und die Hungergefühle des Herzens treffen sich und können einen Moment lang in einem einzigen Akt gestillt werden. Der persönliche Lustgewinn wird angetrieben von der immensen Kraft grundlegender hormoneller Reize. Der zwischenmenschliche Lustgewinn wird genährt von der unschlagbaren physischen Intimität einer Berührung mit dem ganzen Körper und des Geschlechtsverkehrs. Sex und Liebe sind natürlich nicht dasselbe, und es ist möglich, dass der Hunger nach Lustgewinn gestillt wird, eine Einladung zu echter Zuwendung aber ausbleibt. Hier hat Sex den Charakter von Ablenkung, Sucht oder Befriedigung eines egoistischen Dranges. Bindung, Fürsorge und Großzügigkeit fehlen leider oft völlig.

 

Beim Versuch, diese Hungergefühle zu verstehen, geht es nicht bloß um Freude und Schmerz des Einzelnen allein. Unsere Güte und Empfänglichkeit für andere stehen ebenfalls auf dem Prüfstand. Warum? Wenn wir hungrig sind, sehen wir andere Menschen primär als potentielle Nahrung, nicht als die Menschen, die sie an und für sich sind. Und wenn wir einen beziehungshaften Lustgewinn erleben, haben wir vielleicht Angst, ihn wieder zu verlieren und beschützen deshalb in egoistischer Weise, was „uns gehört“. Wenn wir den Lustgewinn, den wir wollen, nicht bekommen, sind wir zuerst verletzt und dann wütend. Aggression ist die übliche Antwort auf die Frustration unserer Wünsche. Wenn jemand dem Menschen, mit dem wir gerne zusammen wären, näher kommt und wir ausgeschlossen werden, spüren wir eifersüchtigen Hass und handeln vielleicht diesem Hass entsprechend. Wenn eine dominierende ethnische Gruppe uns an der Verwirklichung unserer Träume hindert, spüren wir Wut gegenüber den Mitgliedern dieser ethnischen Gruppe. Wir sind verletzt und wütend, wenn uns jemand verlässt, den wir für unser soziales Entertainment oder die Beschwichtigung unserer Ängste brauchen.

Der Hunger, der zwischenmenschlichen Lustgewinn erreichen und zwischenmenschlichen Schmerz vermeiden möchte, bildet die Basis für namenlose Traurigkeit, Zwanghaftigkeit und Gewalttaten. Er perpetuiert Gewohnheiten des materiellen Konsums, da wir das Loch der Einsamkeit mit Essen, Drogen, Konsumverhalten und Arbeit zu füllen versuchen. Dieser Hunger nach Lustgewinn durchdringt unser Leben mit einem Gefühl des Mangels, der Unzufriedenheit und Unvollständigkeit. Es liegt in der Natur dieses Hungers, dass er nur zeitweilig befriedigt, aber nie dauerhaft gestillt werden kann.

Wenn Sie das nächste Mal Freunde kontaktieren, achten Sie auf das Gefühl freudiger Erwartung. Während Sie mit Ihnen interagieren, achten Sie darauf, ob Sie an diesem Angeregtsein festhalten oder sich vielleicht sicher fühlen vor Einsamkeit. Diese Dinge sind natürlich, also üben Sie Nachsicht.

Achten Sie auf alle Strategien, die Sie in einer schwierigen Beziehung anwenden, um den Schmerz zu besänftigen: sinnliche Vergnügungen wie Essen und Trinken, Ablenkung durch Unterhaltung oder indem Sie in einer anderen Beziehung Trost suchen.

Der Hunger nach Dasein und die Angst vor dem Nicht-Sein

Das zweite der drei tiefverwurzelten Hungergefühle in Buddhas Lehre ist der Hunger nach Dasein, nach Existenz. Der Drang nach körperlichem Überleben erzeugt einen Hunger nach Sicherheit und als Gegenstück eine Angst vor dem Tod. Der Wunsch nach psychologischem Überleben erzeugt einen Hunger nach Ego-Sicherheit und eine existentielle Angst vor der Leere. An der Wurzel ist das ein Hunger, das Leben zu erfahren, zu werden, in jedem Moment. Der zwischenmenschliche Hunger nach Dasein ist der Hunger, gesehen zu werden. Es ist der Wunsch, in den Augen der anderen zu existieren, und die Angst, unsichtbar zu sein. Das ist relationales Überleben. Es ist die Sehnsucht des Selbst, erkannt, anerkannt, gewürdigt und geliebt zu werden. Es ist auch die Grundlage der Angst, die Anerkennung zu verlieren, die wir momentan genießen. Es ist alles von „Mama, guck mal“, während das Kind durch die Küche tanzt, bis zum Imponiergehabe des Diktators im Rampenlicht vor den Augen einer ganzen Nation. Dieser Hunger speist sich aus Ängsten, dass man uns nicht sieht, dass wir es nicht wert sind, gesehen zu werden, es sei denn, unsere Vorführungen sind erfolgreich. Wenn wir nicht gesehen werden, leben wir nicht.

Um die Macht dieses Hungers nach Gesehen-Werden – und seines Begleiters, der Angst vor der Unsichtbarkeit – richtig zu verstehen, ist es entscheidend, seinen Zusammenhang mit unserer elementaren Angst vor dem Tod und existentieller Leere zu verstehen. Diese Urangst und dieser Ur-Hunger sind, zusammen mit den begleitenden, psychologisch konditionierten Hungergefühlen und Ängsten, zutiefst miteinander verbunden. Wenn wir das verstehen, sind wir besser darauf vorbereitet, uns wirklich auf den Augenblick einzulassen. Vielleicht urteilen wir etwas milder über soziale Sehnsüchte – unsere eigenen und die von anderen –, die wir sonst als trivial abtun. Und vielleicht ahnen wir auch, wie psychologische und spirituelle Freiheit zusammenhängen.

Der Wunsch nach emotionalem Überleben beginnt ganz einfach mit dem physischen Überleben. Vom Säuglingsalter an liegt dieses physische Überleben in den Händen anderer, vor allem der Mutter. Als hilfloses Baby im Stich gelassen zu werden bedeutet den Tod. Die Angst vor dem Tod ist eine Urangst. Nicht zu bekommen, wonach wir hungern – Wärme, Berührung, Milch –, ist ebenfalls physisch schmerzhaft. Im Säuglingsalter hängt nicht nur unsere sensorische Befriedigung von einem anderen Menschen ab, sondern unsere Existenz überhaupt. Hier sind der Hunger nach Lustgewinn und der Hunger nach Überleben völlig miteinander verwoben. Und gleichfalls gründlich miteinander verwoben sind persönlicher körperlicher Schmerz und der zwischenmenschliche Schmerz des Wollens und Brauchens. Die Assoziation zwischen der Aufmerksamkeit der anderen und dem Überleben prägt sich uns körperlich und geistig ein. Vom Hunger und seinem Schatten, der Angst, durchs Leben getrieben, sucht das Selbst Befriedigung, Bestätigung und die Linderung seiner Urängste. Unsere Angst vor dem Tod hat eine Angst vor der Leere erzeugt, und die gefürchtete Leere füllen wir mit anderen Menschen. Wir fangen an, die Boten dieser Leere zu fürchten, Ruhe und Stille. Der Durst danach, gesehen zu werden, wird subtiler, während wir heranreifen. Er steckt hinter der Bestätigung der Gleichaltrigen für den Teenager und der Bestätigung für das Leben und die Arbeit des Erwachsenen. In seinen feineren Verästelungen beinhaltet er Seitenblicke, Umarmungen, Händeschütteln, Worte, mit denen wir unsere gegenseitigen Selbstbilder bestätigen.

Augenblick für Augenblick erschaffen wir neu das Gefühl, dass da ein separates Selbst zu sehen sein muss, und das ist die Basis für den Hunger nach Sein. Wenn man uns beigebracht hat, dass wir etwas leisten müssen, um geliebt zu werden, werden wir diese Leistung immer wieder erbringen. Das ist der Weg des Perfektionisten und Harmoniesüchtigen, des braven Jungen oder Mädchens, der oder das brav bleiben muss, um von anderen gemocht zu werden. Anerkennung für die eigenen Leistungen wird zum Liebes-Ersatz. Gelobt zu werden bedeutet zu existieren. Das ist keine Bagatelle; es geht wirklich ums Überleben. Die Emotionen sagen: „Wenn du mich nicht erkennst und anerkennst (oder meine Arbeit, mein Aussehen, meine Klasse und so weiter), dann existiere ich nicht.“ Das ist ein Vorgeschmack auf den Tod; es flößt uns Grauen ein, und wir tun alles, um es zu vermeiden.

Ich erinnere mich da an meine eigene Kindheit. Auf die Rippen meines grundlegenden Lechzens nach Dasein wurde jede Menge psychologisches Fleisch aufgepackt. Meine Eltern liebten mich sehr, aber die Kombination aus ihren Schwierigkeiten und Sorgen mit den konditionierten Tendenzen, die ich in diese Welt mitbrachte, bewirkten ein Aufblühen dieses grundlegenden Hungers nach Sein. Als ich aufwuchs, wurde das Gesehen-werden-Wollen ein dominierendes Thema meines Lebens. Deshalb wollte ich gelobt werden, wenn ich meine Suppe aufgegessen oder meine Kameraden in der vierten Klasse zum Lachen gebracht hatte. Als ich älter war, war ich aktiver Musiker und dabei immer hin- und hergerissen zwischen der Freude an der Musik selbst und dem Drang, gesehen und gemocht zu werden, weil ich ja etwas machte, um andere zu unterhalten oder zu erfreuen. Zu einem großen Teil stand ich auf der Bühne, um gesehen zu werden. Ich stand auch auf einer Bühne, wenn ich clever wirkte und auf dieser Welt etwas erreichte. Aber der Hunger nahm kein Ende; egal, wie viel ich erreichte, es war nicht genug. Als ich wissenschaftlich oder musikalisch aktiv war, hatte ich das Gefühl, zu diesem Bereich etwas Signifikantes beitragen zu müssen. Als Meditationslehrer sehnte ich mich nach persönlichem Respekt. Aber wie viel Erfolg ich auch hatte, das Loch ließ sich nicht füllen. Anerkennung ist nicht Liebe. Der Hunger ließ sich nicht stillen. Meine Sehnsüchte blieben unverändert, weil ich meinte, ihnen Futter zu geben bringe Glück. Es brachte aber nur eine private Grandiosität, die mein Leiden überdeckte. Was ich für Glück hielt – zum Beispiel der kurze Anflug von Stolz, wenn ich ein Kompliment bekam –, war im Grunde Anspannung. Hunger war die Wurzel meines Leidens.

Dieser Hunger nach Dasein manifestiert sich auf tausend verschiedene Arten. In meinem Leben nahm er die Form des Stolzes an, aber auch andere Formen sind weit verbreitet. Ein Praktizierender bezeichnete sich als „Herr Hase“, weil seine Verbitterung und seine Probleme mit dem Thema Anerkennung wie der Hase im Wettrennen mit dem Igel einfach nicht zur Ruhe kommen wollten. Als er diese Probleme als Hunger nach Dasein begriff, konnte er sich entspannen und fühlte sich etwas freier. Einen solchen Drang erst einmal zu erkennen ist oft der Anfang einer Einsicht in seine ganze Haltlosigkeit. Die Dynamik des zwischenmenschlichen Hungers nach Gesehen-Werden ist in der ruhigen und gesammelten Umgebung eines Retreats leichter zu entdecken, aber sie wirkt auch im alltäglichen Austausch. Wenn wir während eines alltäglichen Gesprächs mit ruhigem Blick nach innen schauen können, werden wir ihn dort ebenfalls entdecken.

Für viele ist es typisch, nach etwas Geistreichem Ausschau zu halten, was sie zu einem Gespräch beisteuern könnten. Wenn uns dann etwas Schlaues einfällt, identifizieren wir uns sofort damit. Wir denken irgend etwas in der Art: „Das ist ein schlauer Gedanke, mir ist er eingefallen, er wird den Leuten gefallen, und dann werden sie mich mögen.“ Wir unterscheiden nicht zwischen dem schlauen Gedanken und unserem Selbst-Entwurf. Wenn wir genau hinschauen, können wir den Stress spüren, die Unausgeglichenheit und Unzufriedenheit hinter diesem kleinen Anflug von Sehnsucht nach Sichtbarkeit. Aus konditionierten Gewohnheiten heraus fixieren wir uns auf alles, was uns irgendwie verspricht, auf die Rippen des verhungernden Selbst ein bisschen Fleisch zu zaubern. Der Hunger nach positivem Feedback kann so groß werden, dass er unser Anstandsgefühl außer Kraft setzt; wir machen zum Beispiel eine Bemerkung auf Kosten von jemand anderem, nur um einen Lacher zu kriegen oder als geistreich zu gelten.

Derselbe Drang, gesehen zu werden, bringt uns vielleicht dazu, Geschichten zu erfinden oder zu übertreiben, so dass wir Gehör finden. Eine Frau namens Della beschrieb einmal, wie dieser Drang in der Kindheit zum Vorschein kam: „Ich erinnere mich, wie Mama mich fragte: ‚Hast du nichts zu sagen?‘, und ich lernte, für sie eine Geschichte zu machen. Das habe ich mein ganzes weiteres Leben gemacht und dabei mein Lügen vor mir selber versteckt.“ Sogar eine liebevolle Situation – ein Kind sagt: „Mama, hör mal zu“ – ist gefärbt und durchdrungen von diesem Hunger, gesehen und geliebt zu werden. Die schick angezogene Frau, deren ganzes Verhalten sagt: „Seht meine Figur, mein Gesicht, meinen guten Geschmack, meinen Reichtum“, verhält sich gemäß ihrem Hunger nach Dasein. Die ganze Modeindustrie beruht auf diesem Hunger. Oder denken wir an den Achtzehnjährigen mit dem schnellen Auto. Er identifiziert sich damit. Es ist klasse, also ist er klasse. Das Vergnügen, schnell zu fahren, mag ein sinnliches Vergnügen sein, aber im Mittelpunkt zu stehen ist ein zwischenmenschliches, emotionales Vergnügen. Die Modebewusste und der Autofreak werden auch von der Angst vor dem Verlust dieser Aufmerksamkeit getrieben. „Sehe ich heute gut aus?“ „Ob ich noch gut aussehe, wenn ich älter bin?“ „Ist mein Auto vor Beschädigung oder Diebstahl sicher?“ Alle diese Fragen laufen auf eine einzige hinaus: „Werde ich auch weiterhin sichtbar sein, weiter existieren?“ Solch einfaches Verhalten hat tiefe Wurzeln.

Der Hunger nach Dasein plagt uns jeden Tag mit tausend Fragen und Sorgen. Ständig fragen wir auf die eine oder andere Art: „Werde ich in den Augen der anderen existieren?“ Wir strecken unsere Fühler nach Lob aus; wir fragen uns: „Habe ich etwas Kluges und Hilfreiches gesagt?“ „Ist mein Beitrag bei den Leuten angekommen?“ Wenn wir nicht die Rückmeldung bekommen, die wir wünschen und erwarten, sind wir oft enttäuscht, gar wütend. Wir lassen uns entmutigen und melden uns nicht mehr freiwillig in der Suppenküche oder strengen uns in der Schule oder bei der Arbeit nicht mehr an, weil es uns nicht die Liebe einbringt, die wir suchen. Jede Aufgabe, die nur im Hinblick auf Anerkennung und Erfolg unternommen wird, steht auf tönernen Füßen. Wenn sich die Gelegenheit bietet, enthüllt sich der Hunger, der uns antreibt. Unsere Fragen gehen schmerzhaft hin und her: „Schaut man zu mir auf, hört man mir zu?“ „Werde ich missachtet, ignoriert?“

 

Sogar in Beziehungen, in denen wir geliebt und geachtet werden, reicht der Hunger nach Gesehen-Werden tief. Der Hunger nach Gesehen-Werden ist eine weit verbreitete Ursache für familiäre Reibereien. Vielleicht bestehen wir auf einer Form von Aufmerksamkeit, die zu erwarten oder vorzuziehen wir gelernt haben; die Liebe, die uns tatsächlich angeboten wird, wehren oder lehnen wir vielleicht ab, weil sie in einer anderen Form erscheint. Eine Praktizierende schilderte einmal, wie sie die freundliche Aufmerksamkeit ihres Partners zurückwies, weil er vergessen hatte, dass es ihr Geburtstag war. Trotz seiner liebevollen Gegenwart ließ sie sich selber elend und einsam sein.

Diese Hungergefühle filtern unsere Wahrnehmung in nahezu unglaublichem Ausmaß und machen alles Gute unsichtbar. Von den subtilen Spannungen einer Liebesbeziehung bis zu der rasenden Egozentrik durchgeknallter Promis peinigt uns der Hunger nach Gesehen-Werden. Wir sitzen in der Falle egoistischer Anliegen, sind isoliert in einem Maße, dass unsere Versuche, die Liebe der anderen zu gewinnen, nicht über den alten Witz hinauskommen: „Genug über mich geredet, reden wir von dir. Was hältst du von mir?“

Achten Sie darauf, wie Sie entscheiden, etwas zu einem Gespräch beizutragen. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie etwas sagen und niemand reagiert? Beeinträchtigt der Wunsch, beachtet zu werden, Ihre Offenheit gegenüber anderen?

Untersuchen Sie die Energie hinter Ihrem Drang, in der Welt erfolgreich zu sein, und hinter dem materiellen Besitz, den Sie angesammelt haben. Ist Hunger ein Teil der Motivation? Können Sie im Zusammenhang mit Erfolg Stress feststellen? Angst vor Verlust oder Versagen?

Achten Sie darauf, wie Leute Aufmerksamkeit auf sich ziehen – Kleidung, Witze, Erfolge – und denken Sie über den Hunger nach Dasein nach. Welche Strategien wenden Sie meist an, um Aufmerksamkeit zu gewinnen? Denken Sie an die weit zurückliegenden Anfänge all dessen und lassen Sie in Ihrem Herzen Mitgefühl erwachen.

Der Hunger, das Dasein zu vermeiden, und die Angst vor dem Gesehen-Werden

Der Hunger nach dem, was der Buddha „Vernichtung“ nannte, ist der Drang zu fliehen. Es ist der Wunsch, aus einer bestimmten Situation herauszukommen, etwas abzulehnen oder, wie es der buddhistische Lehrer Ajahn Sumehdo nennt, „loszuwerden“. Es ist ein fundamentales Zurückschrecken vor dem Schmerz des Lebens. Genauso wie Verlangen und Aversion binär sind, sozusagen das „null oder eins“ der Reaktion auf eine Empfindung, so sind der Hunger nach Dasein und der Hunger nach Vernichtung oder Nicht-Sein die grundlegenden, nahezu uranfänglichen Triebfedern des Selbst. Wenn alles gut läuft, wollen wir „drin“ sein in der Situation; das Selbst möchte sein unaufhörliches Werden fortsetzen. Wenn es schlecht läuft, wollen wir fliehen; auf so eine Art und Weise möchte das Selbst nicht existieren. Und so wie der zwischenmenschliche Hunger nach Dasein der Drang ist, gesehen zu werden, ist der zwischenmenschliche Hunger nach Nicht-Sein der Drang, nicht gesehen zu werden, unsichtbar zu sein, zu fliehen, sich dem zwischenmenschlichen Kontakt und seinem möglichen Schmerz zu entziehen. Der Hunger nach Flucht nimmt auch die Form einer Angst vor dem Verlust unserer momentanen Sicherheit an.

Wie der Suizid der Selbst-Mord des Körpers ist, ist der soziale Suizid die Zerstörung des eigenen Daseins in der sozialen Welt, der Welt zwischenmenschlicher Kontakte. Im Hunger nach Flucht liegt eine Angst, bloßgestellt zu werden, was zu Anspannung und Schmerz führt. Die weit verbreitete Angst, vor Publikum zu sprechen, funktioniert auf diese Weise. Man erlebt dabei unter Umständen ein persönliches Drama von Anspannung, Verkrampfung, fast Lähmung, das zu der Situation und ihren Risiken in keinem Verhältnis mehr steht. Die Anspannung kommt von Gedanken, innerlichen Urteilen, Bildern und Mutmaßungen: Sie trennt uns vom guten Willen und der Energie von anderen. Vielleicht die am weitesten verbreitete Form des Hungers nach Unsichtbarkeit ist die Angst vor Nähe. Es gibt Seiten von uns, die wir einfach nicht enthüllt sehen wollen. Wir fürchten uns vor der unverhüllten Existenz, der Bloßstellung.

Ein Mangel an Selbst-Annahme, als Angst vor Ablehnung auf andere projiziert, bringt uns dazu, uns vor anderen zu verkriechen. Während der Hunger nach Gesehen-Werden ebenfalls auf einem Mangelgefühl beruht, ist dieses Gefühl der Minderwertigkeit die direkteste Manifestation dessen, was Tara Brach „die Trance der Minderwertigkeit“ nennt.17

Wenn ich mich minderwertig fühle, möchte ich nicht gesehen werden, nicht als wertlos entlarvt und deshalb abgelehnt werden. Ablehnung ist zwischenmenschlicher Tod. Also verkrieche ich mich, verstecke mich vor dir, damit du mich nicht entdeckst. In diesen Momenten ist das Selbst-Konzept sehr stark. Eine Praktizierende konnte bei einem Einsichts-Dialog die Gedanken und Bilder dieser Anspannung live in Aktion beobachten, als sie für sich dachte: „Ich kann das nicht. Ich bin unbrauchbar. Irgendwo steckt ein grundsätzlicher Fehler, der irreparabel ist.“ Sie schimpfte sogar mit sich wegen ihrer Nervosität und Ängstlichkeit, weil sie dachte, in einem Meditations-Retreat müsse ja jedem ganz friedlich zumute sein. Wenn wir innerlich schlecht über uns selbst sprechen, sind wir Täter und Opfer zugleich. Jede selbstkritische Bemerkung ist ein Pfeil, der das Herz schmerzhaft verkrampfen lässt. Vor dieser inneren Stimme der Minderwertigkeit sich unterwürfig zu verkriechen ist genau das, was verhindert, dass wir die Liebe, die uns befreien würde, empfangen und geben können. Der Hunger nach Nicht-Sein blockiert uns für die Medizin, die unser Herz am dringendsten braucht: vollständiges Annehmen in der Gegenwart. Wir stehen in einem Wolkenbruch in der Wüste und verdursten, während alles Wasser im Sand versickert. Wir müssen bloß die offenen Hände ausstrecken, um die Liebe zu empfangen, nach der wir so verzweifelt dürsten.

Allzu oft wählen wir auch einen wohlbekannten Schmerz statt einer unbekannten Freude. Wie ein anderer Meditierender bemerkte: „Ich habe vor der Unsichtbarkeit so viel Angst, aber wenn jemand sagt, ich solle aus ihr heraustreten, bleibe ich doch lieber in ihrer Vertrautheit.“ Die Angst vor Ablehnung liefert Baupläne, die wir zur Konstruktion komplexer persönlicher Gefängnisse benutzen. Als Kinder werden wir auf so vielfältige Weise verletzt. Oft werden wir nicht so geliebt, wie wir sind. Wir werden emotional, sexuell und physisch misshandelt. Eltern, die emotional nicht reich genug sind, um uns zu lieben, die in ihre eigenen Sorgen verstrickt sind, lassen uns vielleicht im Stich und verraten unser Vertrauen. Als Frauen werden wir zu Lustobjekten gemacht und mit idealisierten Hochglanz-Models verglichen. Vielleicht werden wir vergewaltigt oder anderweitig ausgenutzt und herabgesetzt. Als Männer sollen wir Emotionen herunterschlucken und den starken Mann markieren. Wir werden mit Bodybuildern, Heiligen und Wirtschaftsbossen verglichen – und ziehen immer den Kürzeren. Wir sind von Werbung für Kosmetika, Mode und Autos umgeben, die uns besser machen sollen. Unablässig trompeten uns Arbeitgeber, Eltern und Medien ins Ohr: „Du bist nicht gut genug. Du solltest besser sein.“ Verkrampftheit, Scham und Selbstzweifel heißen einige der dornigen Pflanzen, die auf diesem Boden gedeihen.