Durch die Hölle in die Freiheit

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Die Fantasien des älteren Bruders

Edward, mein älterer Bruder, hatte eine lebhafte Vorstellungskraft. Ich möchte nun zwei Geschichten erzählen, die einen großen Eindruck auf mich machten und meine kindliche Vorstellungskraft tief berührten.

Eines Tages ging ich mit Edward spazieren. Wie früher erwähnt, war unser Dorf von staatlichen und privaten Wäldern umringt. Das war nämlich meine erste Exkursion in die benachbarten Wälder, die zum Teil zu unserer Familie gehörten. Ich war wie ein Erforscher dieser majestätischen Natur. Die unheimlichen Geschichten, die mir mein Bruder in dem Wald erzählte, weckten meine Vorstellungskraft enorm. Ich war wie ein Zwerg, der zwischen den Farnen am Waldrand entlanglief. Alles rund um mich war erstaunlich, wunderbar und fabelhaft. Ich schaute mich mit großer Neugier in alle Richtungen um. Ich konnte die geheimnisvollen Geräusche des Waldes vernehmen. Ich hörte die Vögel zwitschern. Das Echo antwortete ihnen, und ich war entzückt. Mich begeisterte besonders ein Vogel, der sich an den Baum festhielt und mit seinem Schnabel wuchtig klopfte. Als ich stehen blieb, um ihn genauer anzuschauen, guckte er mich achtlos an, etwas verwundert, dass ich ihn beobachte, und nahm seine Arbeit wieder auf. Als Edward meine Begeisterung sah, sagte er, dass dieser Vogel Specht heißt – ein Arzt der Bäume. Der ganze Wald rauschte, sang und machte viele Geräusche, als ob er mich hätte begrüßen wollen, weil ich hier zum ersten Mal eintraf. Hier und da sprang ein verstörter Hase heraus, der unter dem Baum schlummerte, als wir vorbeikamen. Er floh so erschrocken, dass die Blätter hinter ihm stoben.

Als wir am Waldrand ankamen, sah ich ein Feld, das mit gut gewachsenen Pflanzen bewachsen war. Die Pflanzen hatten rote Früchte. Die Zwergsträucher waren im Halbkreis vom Wald umgeben, sozusagen umarmt. An seinem Rand befand sich eine Plantage von prächtigen Erdbeeren, die mein Bruder Welterdbeeren nannte. Als wir vorhatten, das Feld zu betreten, bat mich Edward darum, alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, da der Acker zu dem Bauern aus dem benachbarten Dorf gehörte, der hier ein Grundstück hat. Ich konnte mich dann nicht erinnern, in meiner Kindheit etwas so Leckeres gegessen zu haben. Ich konnte mich danach weder an den Hin- noch an den Rückweg aus diesem Wald erinnern, weil ich damals noch sehr klein war. Die Zeit, die ich in dem schönen Wald verbrachte, wo ich mich mit den prächtigen Welterdbeeren zur Genüge satt aß, blieb mir sehr wach in Erinnerung. Alles in diesem Wald fand ich schön, geheimnisvoll und fabelhaft. Das war eines der ersten Erlebnisse, die mir dauerhaft in Erinnerung geblieben sind.

Eine andere Erfahrung, die ich wegen der Fantasien meines älteren Bruders gemacht habe, war durchaus negativ. Diesmal übertrieb er mit seiner Vorstellungskraft und trieb mich dadurch in volle Panik: Als wir auf dem Feld waren, fing er an, Geschichten über den Krieg zu erzählen. Er zeigte mir zugleich verschiedene Zeichen auf dem Himmel, die seine Worte glaubwürdig machen sollten. Er hatte ein leichtes Spiel, weil die polnischen Schulflugzeuge „Iskra“ auf dem Militärflugplatz in Radom gerade abhoben und verschiedene Flugfiguren in dem Himmel ausführten. In schwebenden Wolken zeigte er mir die furchtbaren Krieger auf dämonischen Pferden, die den Figuren aus der Apokalypse des Johannes ähnlich waren. Ich wusste damals nicht genau, was unter dem Wort „Krieg“ zu verstehen ist, aber ich ahnte, dass das etwas sehr Schlimmes war. Mein Bruder setzte mit seiner Geschichte leichtsinnig fort und jagte mir letztendlich einen richtigen Schrecken ein. Ich war von der Angst restlos beherrscht. Auch wenn er dann alles zurücknahm, was er früher sagte, half es kaum. Auch meine Mutter konnte mich nicht zur Ruhe bringen. Zu diesem Zeitpunkt brach die Welt für mich zusammen. Etwas Geheimnisvolles und Unheimliches besaß mich total und wollte mich nicht loslassen. Mein Tag war für mich vorbei, weil ich mich lange nicht beruhigen konnte. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich endlich zu mir kam.

Das war meine erste Erfahrung mit der Heterosuggestion, die mein älterer Bruder mit seinem „harmlosen“ Spiel herbeiführte. Obwohl mir dieses Erlebnis zutiefst peinlich war, bekam ich keine Nebenwirkungen davon zu spüren. In den nächsten Tagen dachte ich nicht daran und konnte mich daran gar nicht erinnern, weil meine Aufmerksamkeit immer von neuen Dingen gefesselt wurde.

Erfahrungen mit den Tieren

Von klein auf wurden die Kinder auf dem Lande daran gewöhnt, mit den Tieren umzugehen, die oft viel größer und schlauer als die kleinen menschlichen Wesen waren und sie daher geringschätzten. Eltern und ältere Geschwister waren nicht in der Lage, sich pausenlos um den kleinen Nachwuchs zu kümmern, weil sie in dem Bauernhof schon allzu viel zu tun hatten. Daher mussten die Kleinen mit ihren eigenen Problemen alleine klarkommen und versuchten, die Situation auf dem Gehöft auf eigene Faust in den Griff zu kriegen. Nur die etwas älteren und selbständigeren Kinder konnten den aggressiven Tieren etwas Widerstand leisten. Die Kleinkinder konnte man hingegen nicht außer Acht lassen, weil man dann bestenfalls mit einer bösen Überraschung rechnen musste. Um etwas mehr über die Tiere zu erfahren, brauchte ich einen Lehrer. Nicht nur mein Vater, sondern auch Edward, mein ältester Bruder, brachten mir bei, wie man sich vor dem aggressiven und aufdringlichen Verhalten der Haustiere, die sich auf unserem Hof herumtrieben, schützen konnte.

Ich kann mich an einen bestimmten Vorfall erinnern. Eines Tages kam die Kuh unbegleitet aus dem Feld zurück und stieß mit den Hörnern meinen jüngsten Bruder, der ihr gerade im Weg zur Wassertränke stand. Gerade als Janusz von der Kuh angegriffen wurde, stand eine Milchkanne hinter ihm. Er flog darüber und fiel ins Gras. Glücklicherweise kam er unglimpflich davon. Er war nur sehr erschrocken und weinte viel. Die Kuh ging ruhig vorbei, als ob nichts passiert wäre und stillte ihren Durst.

Dieselbe Kuh kam aus der Weide zurück, ohne zu warten, bis sie getrieben wurde, wie es die anderen Tiere taten, die geduldig in der Mittagssonne warteten. Das war eine alte aber sehr kluge Kuh mit dem Namen Granicha. Sie gab viel Milch. Sie wusste ihre hohe Stelle unter anderen Tieren zu schätzen. Sie war sehr schlau aber auch stolz und hochmutig. Sie betrachtete die Welt um sich mit solch einem Blick, als ob sie die ganze Weisheit mit den Löffeln gefressen hätte. Sie führte die Herde. Trotz allen unbestreitbaren Vorteilen hatte sie eine Schwäche: Sie konnte die Kleinkinder nicht ertragen. Befanden sie sich in ihrer Reichweite, so verjagte sie sie mit aller Brutalität. Man muss aber zugeben, dass sie niemanden verletzte. Vielleicht lag es nicht in ihrer Natur, den anderen ein Leid anzutun. Sowieso war es allgemein bekannt, was für ein Früchtchen sie war.

Manchmal überlegte ich, ob in dieser Kuh nicht irgendeine verirrte Seele innewohnte. In ihren Augen konnte man viel Lebenserfahrung, Weisheit und Intelligenz sehen, die den menschlichen Mächten kaum nachstand. Aber ihr Blick war auch gemein, durchdringend, kalt und hielt den Menschen immer im Ungewissen darüber, was sie gerade vorhatte. Sie hatte einfach ganz viele Farben in den Augen – von dem Blau des heiteren Himmels bis zu einer aufgewühlten See – je nach ihrer Lust und Laune.

An einem Sonntagnachmittag brachte ich dieses Tier unter Aufsicht meines Vaters endlich zum Gehorsam. Früher ließ mich Granicha nicht auf sich zukommen. Jeder Versuch von mir, die Kuh ohne Unterstützung der Erwachsenen zu zähmen, scheiterte. Vielleicht lag es daran, dass ich eine falsche Strategie verwendete. Ich wollte sie nämlich mit einem Bündel saftigem Gras mit der Gänsedistel „bestechen“, weil die Kühe dieses Futter besonders gerne essen. Das Tier ließ sich aber nicht betrügen, weil sie allzu gut wusste, was ich vorhatte. Sie war sich dessen bewusst, dass sie sich selbst verleugnen musste. Wenn sie mein Angebot genommen hätte, hätte sie auch meine Anwesenheit erdulden müssen. Das wollte sie jedoch um jeden Preis vermeiden, weil ihr die Gesellschaft eines kleinen Mannes gar nicht gefiel. Darüber hinaus hatte sie die saftigen Gräser und Gänsedisteln zuhauf. Daraufhin war das, was ich ihr anbot, kein verlockendes Angebot.

Mein Vater wies mich darauf hin, dass ich von ihr nur mit Gewalt Gehorsam erzwingen konnte und dass ich mich bei ihr nicht einschmeicheln musste. Sie sollte mir einfach gehorchen, weil ich ihr Herr war. Ohne viel Federlesen setzte ich seine Vorschläge in die Tat um.

Mit einem Stock in der Hand kam ich auf die immer gefährliche aber nichts erwartende Kuh zu. Sie zupfte das Gras unbekümmert und mit Genuss. Mit ihrer langen und dünnen Zunge schaufelte sie die Gänsedisteln von dem Boden und pflückte dann säuberlich das Gras, Halm für Halm. Wenn sie fertig war, ging sie zu einem neuen Platz. Wenn sie den Geschmack der Gänsedisteln genoss, kniff sie vor Vergnügen die Augen zu, so lecker fand sie die Blumen. Wenn sie aber gemächlich das Gras kaute, machte sie die Augen auf, um die begehrten Gänsedisteln zu finden. Sie konnte zwar alles der Reihe nach fressen, wie es die anderen Kühe taten. Aber Granicha fühlte, dass sie eine bestimmte Würde hatte. Es ging ihr nicht erstrangig ums Essen, sondern um die Esskunst. Sie war doch eine adlige Kuh und wollte den anderen überlegen sein.

Als ich auf sie zukam, war sie mit dem Schlucken einer saftigen Gänsedistel beschäftigt. Sobald sie erneut die Augen öffnete, um an die nächste Gänsedistel zu kommen, erstarrte sie, weil sie mich sah. Als sie meinen Wagemut spürte, erhob sie ihren bösartigen und hochmutigen Kopf, um mich schnell von ihrem Terrain zu vertreiben. Bei jedem Versuch dieser Art bekam sie Prügel, bis sie endlich ihre bösartigen Absichten aufgab. Letztlich kapitulierte sie und ließ sich streichen, wenn auch etwas widerwillig. Sie strahlte nicht vor Freude. Sie starrte mich mit unfassbarer Wut und Unlust an. Wegen ihrer ursprünglichen Unbeherrschtheit erhoben sich regelmäßig ihre Seiten, weil sie schnell atmen musste und viel Luft verbrauchte. Den warmen Dampf, welcher aus ihren weit geöffneten Nüstern hinausging, spürte ich an meinen nackten Beinen. Die Kuh stand unter Druck. In der hilflosen und abgestumpften Kuh ließen die Hassgefühle allmählich nach und gaben Gleichgültigkeit und Trübsinn Vorrang, weil Granicha wusste, dass sie nun keine Alternative mehr hatte und sich meiner Macht unterwerfen musste. Sie musste die Oberhand eines kleinen Mannes anerkennen, was für sie noch vor kurzem ausgeschlossen war. Ihre feindselige Einstellung mir gegenüber ließ mich auch die anderen Kühe nicht alleine treiben, was wiederum mein Vater sehr bedauerte. Dass ich den Widerstand der Kuh brach, war ihm sehr nützlich, weil ich von nun an Vieh hüten und meinen Vater somit etwas entlasten konnte. Die Kuh gab endgültig nach, erkannte meine Überlegenheit über sie und akzeptierte mich als ihren Herrn. Das erfreute mich unglaublich. Seitdem hatte ich mit dieser Kuh gar keine Probleme. Sie war mir stets gehorsam und versuchte nie, ihre Unabhängigkeit wieder zu erlangen. Sie gewann mich sogar lieb, weil ich sie unter anderen Tieren favorisierte, und auf derartige Auszeichnungen war sie besonders erpicht. Die anderen Kühe guckten sie eifersüchtig an, was ihr natürlich nicht entging.

 

Ein echtes Problem bereiteten mir aber die Gänseriche, die mit ihrem Mut und ihrer Tapferkeit vor den Weibchen glänzen wollten. Um das zu erreichen verabreichten sie mir vielmals eine ordentliche Tracht Prügel. Eines Tages, als ich das Haus verließ, sprang der Gänserich überraschend und mit viel Geschrei auf mich, als ob ich ihm etwas angetan hätte. Er griff mich sehr brutal an. Er schlug mich mit seinem schweren Flügel so kräftig, dass ich an die Wand des Hauses rutschte. Ich war wie berauscht. Ich sah die Sterne vor den Augen und prallte mit dem Hinterkopf an die Wand. Ich wurde fast ohnmächtig. Anscheinend stellte ihn dieser Zustand schon zufrieden, weil er mich glücklicherweise nicht mehr angriff und mich zurück ins Haus kriechen ließ.

Die Gänse machten es sich zur Aufgabe, Aufsicht über den Hof zu halten. Der Hund musste nur eine Nachtschicht erledigen. Am Tag erholte er sich, weil er wusste, dass seine Helfer ihren Job perfekt ausübten. Ihm war klar, dass er sich auf die Gänse verlassen konnte. Sonst wäre er nicht so lässig eingestellt gewesen. Das entsprach ihm ganz gut, weil er sich unbeschwert in der Bude ausruhen und die Welt rund um sich beobachten konnte. Was draußen geschah, ging ihn nicht an. Er ließ eine Bande von Schurken für sich arbeiten, weil er wusste, dass sie die ganze Drecksarbeit umsonst verrichteten. Gegen die Schutzarbeit der Gänse konnte man viel einwenden; sie wirkten in einem großen Chaos. Man hatte aber viel mehr Respekt vor den Gänsen als vor dem Hund. Es war nie der Fall, dass jemand von der Gänsewache unseren Hof unbemerkt betrat. Kein Fremder wurde reingelassen. Sobald ein Unbekannter im Tor stand, schlugen die Tiere Alarm und griffen sofort gemeinsam ein. Sie verjagten den Gast zurück auf den Weg oder verabschiedeten ihm solch eine Tracht Prügel, dass der arme Kerl nie mehr wagte, unseren Hof unbegleitet zu betreten. Dem Gast musste man immer Schutz gewähren und ihn ins Haus unter der Eskorte führen. War der Besuch vorbei, musste der Gast zum Ausfahrtstor begleitet werden. Wegen ihrer streitfreudigen Natur griffen die Gänse ab und zu sowohl die Fremde als auch die Familienmitglieder an. Sie waren frech und unberechenbar, erregten viel Angst und Panik. Ein Chaos zu verursachen war ihr Lieblingsspiel. Ich wurde zu ihrem besten Sündenbock, und daher bekam ich viele Probleme. Ich war genauso hilflos wie die Gäste.

Komischerweise beschwerte ich mich bei den Eltern gar nicht. Ich schämte mich, meinen Eltern zu sagen, dass mich die Vögel schlugen. Sie waren uns wichtig als Federquelle, und daher ging ich davon aus, dass ich auf taube Ohren stoßen würde. Darüber hinaus war ich der Meinung, dass ich die Rechnung mit diesen gemeinen Tieren alleine begleichen musste, und ich wollte die Dritten nicht in meine privaten Kriege einweihen. Ich vertraute dieses Geheimnis nur meinem älteren Bruder Edward an. Er gab mir Ratschläge, wie ich mich gegen diese aggressiven Tiere wehren kann. Eine Gelegenheit dazu kam überraschend schnell.

Als ich mit meiner Mutter durch das benachbarte Dorf ging, sah ich eine Herde Gänse, die am Weg saßen. Das war tatsächlich die Tierart, die ich am meisten hasste. Plötzlich trennte sich eine männliche Gans von der Gruppe und stürmte nicht auf meine Mutter, sondern auf mich zu. Solche Vorfälle widerfuhren mir ganz oft und brachten mir viel Ärger. Jetzt hatte ich aber keine Angst mehr. Ich nahm den Fehdehandschuh meines beflügelten Feindes auf. Entscheiden sich die männlichen Gänse für den Angriff, so richten sie sich nach einem möglichst kleinen Objekt – vielleicht um einen blitzschnellen Sieg zu erreichen und kein großes Risiko einzugehen. Da meine Mutter mit einem großen Abstand nach vorne lief, musste sich die Gans keine Sorgen darüber machen, dass sie plötzlich zwei Gegner auf einmal zu bekämpfen hatte. Der Gänserich wusste, dass er nach einem blitzschnellen Sieg über mich noch genug Zeit hätte zu entkommen, ehe meine Mutter mir zu Hilfe eilte. Nach solch einer beachtlichen Leistung würde er bei den Weibchen das Ansehen eines großen Kriegers erlangen.

Ich hatte keine Zeit mehr zum Nachdenken. Ich nahm eine für mich zum Kampf günstige Haltung ein: Ich streckte die Beine breit auseinander und lehnte mich in die Richtung des Gegners. Ich ließ mich ganz auf die neue Kampfstrategie ein und hoffte, dass ich dadurch meinen bisher gefährlichsten Gegner problemlos besiegen würde. Sobald sich der Schnabel des Angreifers in meiner Griffweite befand, griff ich nach dem Hals der schreienden Gans – direkt hinter dem Kopf – damit sie mich nicht hacken könnte. Dann passierte etwas Unglaubliches. Dieser große Held geriet in eine schwierige Lage und konnte kaum etwas tun. Ich musste nun den zweiten Trick anwenden, und zwar das Tier kräftig um seine eigene Achse drehen lassen und es dann so weit wie möglich beiseite werfen. Leider gelang mir dieser Vorgang schon deshalb nicht so gut, weil die Gans fast so viel wie ich wog und für mich viel zu schwer war, um sie einfach zu werfen. Als ich es versuchte, verlor ich das Gleichgewicht und stürzte. Glücklicherweise hielt ich den Hals des Angreifers fest. Sie bewegte sich kämpferisch und verzweifelt und versuchte, sich von dem eisernen Griff meiner Hand zu befreien – und sie schaffte es. Erstaunlicherweise hörte sie mit dem Sturm auf und trippelte zu ihrer Herde zurück. Sie ging jetzt deutlich schneller als zu dem Zeitpunkt, als sie sich auf mich warf. Das war also mein erster Sieg über diese beflügelten und sehr gefährlichen Gegner.

Nach diesem Vorfall hatte ich schon keine Probleme mehr mit den Gänsen und war nicht mehr bemüht, ihnen zu entkommen. Wo immer ich war, wagte schon keine Gans mehr, mich offen anzugreifen. Jetzt schnatterten diese kampflustigen Vögel nur noch etwas kämpferisch zu mir. Vielleicht spürten sie, dass sie mit mir kein leichtes Spiel haben würden. Wenn schon, auf welche Art und Weise verbreitete sich diese Botschaft über den Sieg? Vielleicht sahen sie das einfach in meinen Augen?

Die Talente meines Vaters

Pferde waren die Leidenschaft meines Vaters. Er hatte sie ganz lieb und verachtete die Bauern, die diese Tiere schlecht behandelten. Manchmal lieh er sein „Ross“ anderen Bauern, die kein Pferd hatten. Das war doch kein billiges Tier, und nicht jeder Landwirt konnte sich solche Ausgabe leisten, besonders wenn er nur einen kleinen Acker besaß. Wenn mein Vater schon sein Pferd zur Feldarbeit lieh, so musste er sich sicher sein, dass es nicht ausgebeutet wurde. Er konnte sich dessen jedoch nie hundertprozentig sicher sein, weil er den Bauern nicht auf die Hände schaute. Daraufhin fiel das arme Tier oft dem „Ausborgen“ zum Opfer. Es wurde von Hand zu Hand verliehen. Niemand schonte ihn dann. Es passierte einmal, dass Tadeusz, der Nachbar, das Pferd ausborgte und es entgegen früheren Vereinbarungen zu hart arbeiten ließ. Der Vater erteilte ihm einen scharfen Tadel, und das Pferd lieh er ihm schon nie mehr aus. Das Tier schäumte kräftig und brauchte eine lange Zeit, um überhaupt zu sich zu kommen nach der Knochenarbeit, die es ausführen musste. Nach einigen Erfahrungen dieser Art entschloss sich mein Vater, das Pferd nie mehr auszuborgen. Wenn jemand ihn darum bat, antwortete er, dass die Frau und das Pferd nicht zum Ausleihen sind. So ließ er die Bittenden mit leeren Händen abziehen.

Stachu, der in unserem Dorf wohnte, war oft betrunken, und in diesem Zustand quälte er sein Pferd gnadenlos, und das Tier wollte sich ihm total unterwerfen. Wenn er besoffen war, dressierte und folterte er das Tier mit verschiedenen Übungen. Kein Wunder, dass sich ihm das Pferd in solchen Fällen oft entriss und ins Dorf floh, um Rettung für sich zu suchen. Wenn man den schweren, gleichmäßigen Hufschlag und die schrecklichen Schreie der Mutter hörte, die ihre Kinder aus dem Weg in Sicherheit brachte, wusste man, dass Stachu wieder „voll“ war, und dass es sein Ross war, das hart geschlagen und heftig erschrocken wie eine Rakete über die Dorfstraße raste. Er suchte verzweifelt nach dem Schutz vor seinem Folterer – und er fand ihn fast immer auf unserem Hof, bei meinem Vater, der wie ein Retter und Heilsbringer aller Pferde war. In seinen Armen konnte das Tier eine Zuflucht finden und sich über sein bedauerliches Schicksal beschweren. Mein Vater streichelte ihn, tröstete mit saftigen Worten und beruhigte das gequälte und noch zitternde Geschöpf. Plötzlich kam der wütende Stachu, um seinen Besitz zurückzuholen. Der Vater tadelte ihn scharf, nannte ihn ein Metzger und verbot kategorisch das Tier so zu quälen. Stachu schwor sich, das Pferd fortan immer gut zu behandeln. Und es gelang ihm – aber natürlich nur bis zum nächsten Mal, wenn er besoffen war. Mein Vater wusste allzu gut, dass er keine Macht hatte, die Welt zu verändern und die Not des gefolterten Pferdes zu lindern. Er beklagte aber ein Schicksal der Pferde, die zu ihrem Unglück in die Hände von herzlosen Menschen gerieten.

In der Frühlingszeit spielten sich auf dem Feld folgende Szenen ab: Ein Pferd mit wutentbranntem Kopf stand auf zwei Beinen. Um das Pferd herum lief ein hilfloser Bauer, der das Tier mit vielen schrecklichen Beschimpfungen überhäufte. Er versuchte, das Tier lange mit Zuckerbrot und Peitsche zum Gehorsam bei der Feldarbeit zu bringen. Der Landwirt schlug sich mit dem Tier herum. Es sah so aus, als ob sie einen Volkstanz geübt hätten. Jedoch starrte das Tier seinen Besitzer mit seinen großen, hervorstehenden Sehern hasserfüllt an, und jegliche Kompromissversuche des Bauers waren zum Scheitern verurteilt.

Ich fragte den Vater, warum es so aussah. Er erklärte, dass die Pferde im Winter nichts zu tun haben. Sie faulenzen, nehmen zu und werden immer kräftiger. Sie empfinden es daher als ein großes Unrecht, wenn der Bauer plötzlich von ihnen verlangt, dass sie ihr Hinterteil bewegen und einsatzbereit stehen. Im Herbst, wenn sie schon ans Joch gewöhnt sind, laufen sie so zahm wie ein Lamm, und kein Pferd wagt es, sich aufzulehnen.

Mein Vater war ein agiler und tüchtiger Typ, der mit vielen Begabungen gesegnet war. Wie vielen anderen Menschen seiner Art war es jedoch nicht wichtig, diese Talente zu entwickeln. Bestimmt war er der Meinung, dass harte Arbeit die einzige Tugend war, die den Menschen zu den erwünschten Zielen führen konnte. Er war ein einfacher, bodenständiger und sachlicher Mann. Manchmal war diese Bodenständigkeit auch etwas übertrieben. Er kannte sich mit den Pferden sehr gut aus. Wäre er in der Lage gewesen, seine innige Verbundenheit zum Boden aufzugeben, so hätte sein Leben, und auch das Leben unserer Familie einen ganz anderen Lauf nehmen können.

Einmal in den sechziger Jahren kaufte mein Vater ein Pferd. Auf dem ersten Blick sah es ganz mager und schwach aus. Nichts deutete darauf hin, dass er das Geld zurückbekommen würde, das er in das Tier investiert hatte. Nach zwei Wochen verkaufte er das besser gefütterte Tier und verdiente daran unter dem Strich 2000 Zloty (die polnische Währung). Wer konnte zu diesen Zeiten als ein Facharbeiter in einem staatlichen Betrieb oder auch privat in einem Monat solch ein Vermögen verdienen? Schon die Hälfte davon zu verdienen war eine beachtliche Leistung. Er schaffte das und zwar nur dafür, dass er das magere Pferd zwei Wochen lang fütterte.

 

Ein Tier, das am Anfang bis zum Gerippe abgemagert war, verwandelte sich über Nacht in ein prächtiges Pferd. Mein Vater musste das vorhersehen, weil er kein risikofreudgier Typ war. Ich ertappte ihn nie bei Glücksspielen. Wenn man solch ein Geschäft nur zweimal im Monat abwickelte, so konnte man sich zu diesen Zeiten richtig schonen, musste sich keine Sorgen darüber machen, ob man die Familie ernähren konnte. Man musste sich gar nicht bemühen über die Runden zu kommen. Das „Bauchgefühl“ für Pferde war die größte, aber nicht die einzige Begabung meines Vaters. Das Leben strafte ihn dafür, dass er dieses Talent nicht entwickelte. Unnötigerweise versuchte er, viele Tätigkeiten im Leben unter einen Hut zu bringen. Er setzte auf körperliche Arbeit und vernachlässigte somit seine echten Vorzüge – die Fähigkeit, logisch und analytisch zu denken. Daraufhin erkrankte er schwer und starb im Alter von 54 Jahren. Die Natur bestrafte ihn dafür, dass er die ihm von Gott geschenkten Gaben nicht zur Anwendung brachte. So etwas kann mit jedem Mensch passieren, der seine Talente vergräbt. Was hatte er davon, dass er seinen Prinzipien treu blieb, wenn er zugleich versäumte, die Talente, d. h. die Gaben Gottes so zu entwickeln, dass sie ihm zu einem wohlhabenden Leben verhelfen konnten. Er war sich einer der wichtigsten Sachen unter der Sonne nicht bewusst – und zwar, dass Gott die größte Freude erlebt, wenn sich der Mensch von Ihm beschenken lässt. Er war einer von Vielen, denen diese Weisheit nicht bekannt war, und die die Prinzipien, nach denen unser Geist und die Seele funktionieren, nicht kannten. Auch ich wusste es lange nicht. Kein Wunder also, dass mein Vater solche Fehler beging. Ähnliches gilt für die meisten Bewohner dieser Erde. Leider rächt sich die Natur gnadenlos dafür. Es mag noch eine Ursache geben, warum mein Vater kein großes Geschäft mit den Pferden entwickelte. Er lebte zu den düsteren Zeiten des Kommunismus in Polen. Hätte er seine Karriere in diesem Bereich entwickelt, so hätte er dadurch die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gelenkt und wäre als Kulak eingestuft worden (Als Kulaken wurden in den Ländern des Ostblocks die wohlhabenden Bauer bezeichnet, die nach Meinung der kommunistischen Behörden dem geltenden politischen System abgeneigt waren. Daraufhin wurden diese Menschen verschiedenen Repressalien ausgesetzt). Er wäre dadurch in eine schwierige Lage geraten. Allerdings verbesserte sich die Situation in den siebziger Jahren, und Edward Gierek, der regierende Erste Sekretär, gab den Menschen mehr Spielraum, derartige Tätigkeiten auszuführen, aber ich weiß nicht, ob mein Vater das überhaupt wusste. Daher ist es wichtig, sich stets weiterzubilden und mit den Grundlagen des Rechts vertraut zu sein.