Durch die Hölle in die Freiheit

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Der Verlust des Passes

Als ich mich die Lehre der Pfingstler aneignete, befand ich mich zugleich in der Welt der Gegensätze. Ich wohnte im Zentrum Stuttgarts an Olgastraße und wurde daher einer großen Versuchung ausgesetzt. Gerade hier blühte das Nachtleben bis auf die Puppen. Die Prostituierten liefen herum und der Alkohol floss in Strömen. Ich konnte auch nicht immer dem Prinzip der Züchtigkeit treu bleiben, weil das Gesetz der Natur mitunter mächtiger war, als meine Willensstärke.

Ich konnte meine Einsamkeit kaum ertragen. Daher setzte ich mich immer wieder auf die Bänke zu den Polen, die keine feste Wohnadresse in Deutschland hatten. In den Neunzigern gab es in Deutschland unglaublich viele Polen ohne festen Wohnsitz. Sie waren jedem Einheimischen ein Gräuel. Die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens funktionierten für sie gar nicht. Klauen war das einzige Ziel, das sie verfolgten. Ihre Landsleute, die in Deutschland wohnten, und die sich nach dem Gespräch mit anderen Polen sehnten wurden zu ihrer beliebten Beute. Deshalb haben sie solche Gespräche gerne geführt. Um solch eine Unterhaltung zu führen brauchte man aber den Alkohol. Der gesprächshungrige Pole war bereit, für die Spirituosen zu bezahlen. Somit hat er sich für die Gesellschaft seiner angeblich gut meinenden Landsleute geöffnet. Das war also das kriminelle Element, das aber einen guten Eindruck gemacht hat. Ein Pole, der das Gespräch in seiner Muttersprache so vermisst hat, hatte gar keine Ahnung davon, dass seine Gesprächspartner ihn einfach beklauen wollen. Dass er von seinen Landsleuten so ausgetrickst werden kann, lag ihm völlig fern. Die Straßenräuber aus Polen waren aber skrupellos und haben mit uns keine großen Umstände gemacht. Wir haben am eigenen Leib den Kontakt mit den „Touristen aus Polen“ peinlich erfahren. Mein Fall war nicht vereinzelt. Es schien mir in Ordnung zu sein, sich zu ihnen zu setzten, etwas Alkohol zu spendieren und nach einem Bruderherz zu suchen. Daraufhin wurde ich von ihnen immer wieder beklaut und war nicht in der Lage, eine Lektion daraus zu lernen und vorsichtiger zu sein, weil mich die Lust auf Alkohol blind und leichtsinnig machte.

Als ich eines Tages, nach einem gemeinsamen Umtrunk mit unbekannten Polen aufwachte, war ich ganz leer bei Kasse. Sie haben mir den Pass, Wohnungsschlüssel, Geld und Kreditkarte gestohlen und mein Konto geräumt. Ich konnte meine eigene Wohnung nicht betreten, weil die Firma, die die Tür aufmachen konnte, für diesen Service 100 DM verlangt hat. Ich war mittellos und konnte sogar meine Verzweiflung im Alkohol nicht ertränken. Ich rief die Polizei an und sagte, dass ich mit meinem Leben Schluss machen wollte, weil ich ansonsten keinen Sinn sehe, weiter zu machen. Mir gelinge nichts und ich scheitere an allen Fronten. Als ich mich schon über mein klägliches Schicksal beschwert habe, habe ich noch verlegen gefragt, ob es noch vielleicht die Rettung für mich gäbe. Der Polizist am anderen Ende der Leitung forderte mich auf, dort zu bleiben, wo ich mich gerade befinde, um auf den Krankenwagen zu warten. Im Augenblick war das Krankenauto vor Ort. Sie brachten mich ins Krankenhaus und verabreichten mir die Beruhigungsmittel. Nun konnte ich über meine Lage in Ruhe nachdenken. Ich überlegte, wie ich aus dieser Notsituation herauskommen kann. Ich ging nämlich nicht in die Arbeit. Deshalb konnte ich meinen Job verlieren. Glücklicherweise hat mich die Arztbescheinigung vor diesem Unglück geschont. Ich unternahm alle möglichen Schritte um meine Situation wiedergutzumachen. Von meiner Bankversicherung bekam ich genauso viel Geld ausgezahlt, wie von meinem Konto abgehoben wurde. Dadurch hatte ich schon ausreichend viel Erspartes, um mich einen neuen Pass fertigen zu lassen. Es war im Sommer 1995. Zum ersten Mal habe ich mich so schonungslos beklauen lassen.

Meine Alkoholsucht bekam nun einen treuen Verbündeten und zwar die sektiererische Gehirnwäsche. In meinem Fall war dieser Zusammenschluss wie ein Sprengstoff. Die Alkoholabhängigkeit und der Einfluss einer religiösen Gruppierung sorgten dafür, dass ich immer neuen Schicksalsschlägen ausgesetzt war. Ich wurde immer leichtgläubiger und griff zu so gut wie keinen Vorsichtsmaßnahmen mehr. Immer wenn ich etwas intus hatte, habe ich den Kontakt mit der Realität um mich herum verloren, was mich freilich zu einer leichten Beute für die Diebe gemacht hat.

Ich versuchte mich von dem Einfluss der, von der Sekte geprägten Geschwister zu befreien. Mir war schon ganz klar, dass gerade sie für die Störung meines psychologischen Gleichgewichts verantwortlich sind. Ich hatte jedoch nicht genügend Kraft, um sich von ihnen zu trennen. Sie strahlten eine geheimnisvolle Anziehungskraft. Sie beteten eifrig über mich, vertrieben verschiedene Dämonen und zerstörten in mir die Festungen Satans. Sie waren froh und bedankten sich bei ihrem Herrn, dass der Teufel nicht in der Lage sei, mich von ihren Armen zu entreißen. Ihre brüderlichen Arme waren für mich schlimmer als der Teufel selbst. Plötzlich war von meiner Lebensfreude keine Spur mehr zu finden. Ich war nicht mehr dazu fähig, mit meinen eigenen Problemen selbst klarzukommen. Ich wurde zum Versuchsfeld für den Kampf verschiedener spiritueller Kräfte. Ich wurde anfällig für die Unglücksfälle aller Art, die sich nun vor mir gereiht haben, ohne auf die Einladung zu warten.

Den Dieben auf der Spur

In demselben Halbjahr zweimal den Pass zu verlieren ist schon eine tragische Erfahrung. Das zweite Mal war für mich mit Abstand schlimmer, weil es außerhalb Deutschlands passierte. Daher konnte ich in die Arbeit nicht zurückkehren und demzufolge meinen Job verlieren. Dieses traurige Abenteuer wiederfuhr mich im Dezember 1995 in Polen und zwar in meiner Heimatsstadt Zwoleń. Ich habe mich in einer Kneipe ordentlich besoffen. Nachdem ich das Lokal verlassen habe, wurde ich angegriffen, brutal verprügelt und beraubt. Der Verlust von dem Pass war mir besonders peinlich, weil er mich den Rückweg nach Deutschland verbaut hat.

1996 sollte ich das Recht auf Daueraufenthalt in Deutschland gewährt bekommen. Die Voraussetzung war aber, dass ich die Bescheinigung von meinem Arbeitgeber hole, dass ich mindestens ein Jahr lang in diesem Unternehmen tätig bin, und dass die Perspektive meiner weiteren Beschäftigung in diesem Betrieb auf keinem Fall bedroht bzw. eingeschränkt ist. Hätte ich die Arbeit direkt nach dem Urlaub nicht aufgenommen, hätte ich nicht nur die erforderliche Bescheinigung nicht erhalten (was meine Pläne vereiteln würde), sondern ich würde schlichtweg entlassen. Daraufhin entschied ich mich dafür, den Pass um jeden Preis zurück zu bekommen. Die Suche begann im großen Stil – sowohl mit der Unterstützung der Polizei, als auch mit etwas ungewöhnlichen Methoden. Die mit Fertigung eines neuen Passes verbundenen Formalitäten hätten allzu lange gedauert – und die Zeit war knapp.

In meinen entschlossenen Bemühungen kam mir überraschenderweise ein Mann zur Hilfe, der ich nachfolgend Walter nenne. Er war mit der Unterwelt von Zwoleń gut vertraut. Sowohl die Kriminellen als auch selbst die Polizei hatten Respekt vor ihm. Ich zeigte ihm die Kneipe, wo ich feierte und beschrieb die Leute, die dabei waren und mitgetrunken haben. Er hat plötzlich seine Hilfsbereitschaft bei der Recherche erklärt und konkrete Schritte unternommen, um die Diebe zu finden. Dass gerade Walter – eine Legende dieser Stadt – mich unterstützt hat, hat einen dunklen Schatten auf Zwoleń geworfen. Walter war nämlich bekannt für seine außergewöhnlichen und effektiven Fahndungsmethoden. Seine Mitwirkung hat die lokalen Strafverfolgungsbehörden motiviert und in Bereitschaft versetzt. Die Polizei sah sich nun gezwungen, meine Ermittlungsmaßnahmen zu unterstützen. Sie hatten nämlich Angst vor dem unnötigen Blutbad, zu dem es kommen könnte, wenn sie nicht mitmachen würden. Mein trauriges Abenteuer wurde allgemein bekannt. Hier und da konnte man erfahren, dass ein Tourist aus Deutschland angegriffen, brutal verprügelt und beklaut wurde. Die Polizei hat sich nach besten Kräften bemüht, die Täter zu ergreifen. Auch die lokale Staatsanwaltschaft wurde darauf aufmerksam, weil ich zu ihrem Büro eingeladen wurde. Die Beamten haben versprochen, mich bei der Suche nach den Dieben zu helfen.

Ab dem Zeitpunkt, wenn ich diese räuberische Gewalttat bei der Polizei gemeldet habe, waren schon ein paar Tage her. Auf dem Busbahnhof traf ich zwei Polizisten, die mit dem Fall vertraut waren. Sie fragten danach, wie die Ermittlungen verlaufen. Da ich schon einige Flaschen Bier intus hatte, überzeugte mich ihre Frage noch mehr davon, dass ich endlich an meinen Pass kommen muss und zwar um jeden Preis. Ich antwortete den Funktionären, dass ich zwei deutsche Panzer-Divisionen von Waffen-SS hole und die Stadt dem Erdboden gleichmachen lasse, falls sich mein Pass nicht findet. Die Polizeibeamten standen wie angewurzelt und wurden blass vor Entsetzen. Eine, danebenstehende alte Frau, versuchte meine Wut zu lindern und sagte: „Lieber Herr, aber wir sind nicht verantwortlich für diese Gewalttat. Das haben die Banditen begangen“.

Was ich gesagt habe war eine riesige Entgleisung. Ich überlegte gar nicht, was ich eigentlich sage. Während des II Weltkriegs wurde Zwoleń nämlich von Luftwaffe heftig bombardiert. Wehrmacht hat dann viele unschuldige Einwohner erschossen. Wahrscheinlich hat meine Aussage der alten Frau die Kriegszeiten in Erinnerung gebracht, und deshalb nahm sie meine Äußerung ernst. Vielleicht auch die Polizisten selbst waren dieser Meinung, weil sie sich dann bei meinem Bruder Janusz beklagt haben, dass ich ein sehr gefährlicher Typ bin. Die Funktionäre waren mit ihm gut vertraut, weil er ihre Frauen als Schneiderinnen in seinem Betrieb beschäftigt hat. Direkt nach der Auseinandersetzung mit den Gesetzeshütern auf dem Bahnhof wurde ich zum Polizeirevier eingeladen und aufgefordert, keine „Verheerung“ bei den eigenständigen Ermittlungen einzurichten. Sie merkten, dass ich sehr entschlossen und für alles bereit war.

 

Ich musste etwas unternehmen. Ich hatte keine Zeit, auf die Wunder zu warten. Ich und Walter gingen ohne Ankündigung in die Kneipe, wo ich an jedem unglücklichen Abend gefeiert habe. Ich saß ruhig am Tisch und trank Bier während Walter, mein Privatdetektiv den Kneipenbesitzen verhörte und erkundigte sich danach, wer hinter dieser Tat stehen konnte. Anscheinend wollte das Gespräch nicht recht in Fluss kommen, weil mein Mitstreiter seinen Gesprächspartner mit seiner linken Hand plötzlich nach oben hob, wobei seine rechte Hand schlagbereit blieb. Endlich stellte er ein das letzte, aber endgültige Ultimatum: „Findet sich, sagen wir nur ein Pass binnen drei Tage nicht, so lasse ich die ukrainische Maffia deine Frau, Kinder und dich selbst vergewaltigen!“

Das Gesicht des Kneipenbesitzers wurde so blas, dass sie sich nun von der hellen Wand im Hintergrund kaum unterschied. Seine Pupillen, die sich plötzlich stark erweitert haben, erstarrten nun im tödlichen Entsetzen. Niemand in dem Lokal wagte, diese dramatische Szene von der Nähe zu betrachten. Er war gefährlich wie eine Peitsche – wie vielleicht niemand in Zwoleń. Er war der erste hier – schlicht ein gut gebildeter Haufen Fleisch. Alle Gäste schauten nur auf ihre Tische, wo sie tranken. Die in Zivil gekleideten Polizisten aus Radom waren auch dabei. Sie hingegen saßen voll beschäftigt an den Spielautomaten. Sie wollten nichts hören oder wissen, weil sie schon meinen Privatdetektiv allzu gut kannten. Ihre Berufskollegen aus Zwoleń haben schon einmal an eigenen Leib erfahren, über was für eine Macht dieser Kerl verfügt. In seiner Auseinandersetzung mit der Polizei flatterten ihre Mützen wie Schwalben und flogen ihre Kurzwellenfunkgeräte. Obwohl sie zu dritt waren, konnten sie gegen alleinstehenden Walter kaum etwas anfangen. Eine Tracht Prügel, die die einheimischen Funktionäre von ihm bekommen haben ist nicht in Vergessenheit geraten, sondern hat die ganze Umgebung in Schrecken versetzt. Die Erzählungen über ihn wurden zu einer lokalen Legende.

Als ich noch jung war, sah ich ihn manchmal im Einsatz auf den Dorfpartys. Er kämpfte wie ein Ritter, um den rüpelhaften Schlauköpfen anständiges Benehmen beizubringen. Für mich und viele andere, galt er damals als ein willkommener Gesetzeshüter. Nun, durch die Gnade Gottes, trat er als mein Verteidiger vor. Walter wirkte Wunder und erreichte mehr als die ganze lokale Polizei und Staatsanwaltschaft. Keine drei Tage sind verstrichen und der Pass hat sich gefunden. Ich war heilfroh, weil ich nun rechtzeitig nach Deutschland zurückkehren konnte um dort das Recht auf Daueraufenthalt zu erhalten. Ich lobte Gott und segnete Walter, weil ich fest davon überzeugt war, dass er das Werkzeug des Schöpfers war. Irgendwann in der Zukunft werde ich mich bei Walter bedanken – sobald ich ihn treffe. Bisher bot sich nämlich keine solche Gelegenheit. Ich habe ihn seitdem nie gesehen. Eine harte und sachliche Herangehensweise von Walter gegenüber dem Kneipenbesitzer war erfolgreich. Drei Tage lang war sein Lokal zu und er war damit völlig beschäftigt, nach meinem Pass zu suchen. Anscheinend waren für ihn die sexuellen Belustigungen mit der ukrainischen Mafia keine erfreuliche Perspektive.

Als ich schon zurück in Deutschland war, erfuhr ich, dass die Polizei in Zwoleń die Täter gefunden hat. Es waren die jugendlichen Banditen unter der Aufsicht des Pflegers. Ich konnte das Geld für die gestohlenen Sachen in Anspruch nehmen, aber dazu hätte ich zurück nach Polen fahren müssen, was sich für mich nicht lohnen würde, weil selbst die Reisekosten viel höher wären. Ich überlegte nur, wie ich die Räuber bestrafen konnte, aber letztendlich habe ich diese Absicht aufgegeben, weil die christliche Haltung, die in mir keimte, es nicht erlaubte, die Rache zu üben.

Ein Schimmer der Neugeburt im Geist

Im April 1996 habe ich mich einen Film über einen bekannten amerikanischen Heilpraktiker angeschaut. Der Film inspirierte mich dazu, sich mehr für die geistlichen Themen zu interessieren. Zwischen mich und meinen Geschwistern aus der Pfingstgemeinde blühte nun eine große Freundschaft, die weder früher noch später so schön aussah. An ihrer christlichen Haltung wollte ich nur das Gute sehen und versuchte, ihre Schattenseiten außer Acht zu lassen. Ich wurde darin sogar erfolgreich. Meine Neigungen zum Alkohol waren plötzlich weg. Ich trank gar nicht. Ich spürte die Erleichterung der Freiheit. Ich glaubte sogar daran, dass mich die Alkoholsucht in Ruhe gelassen hat. Mein Gesicht strahlte vor Licht und zog die Gleichgesinnten an, die nun das Gespräch mit mir suchten. Ich habe so viel Segen erfahren, dass alles, was ich mich vornahm, das gelang.

In jener Zeit habe ich mehrmals am Tag die Bibel gelesen und über die Liebe Gottes nachgesinnt. Ich habe dem Schöpfer für die Wunder gepriesen, die er in meinem Leben gewirkt hat. Ich habe regelmäßig an den Versammlungen von Christen in BGG teilgenommen. Meine Geschwister freuten sich sehr über meine Bekehrung, weil ich in meiner spirituellen Entwicklung einen Quantensprung gemacht habe. Ich habe sie sogar überholt. Ich habe mich von dem irdischen Leben fast komplett ausgeschaltet. Mein Alltag war fast ausschließlich durch Glauben und christliches Leben geprägt. Mein spirituelles Wachstum war beeindruckend. Ich muss zugeben, dass ich mich damals richtig wohl fühlte. Viele Leute, auch die Atheisten, haben meine geistliche Wandlung zu sehen bekommen. Der Geist Gottes wirkte in mich und lehrte mich. Ich war mit ihm auf derselben Wellenlänge, was mich noch mehr aufgemuntert hat.

Leider hat meine rapide spirituelle Entwicklung nicht allen „Brüdern und Schwestern im Herrn“ gefallen. Deshalb waren manche bemüht, mich daran zu hindern. Und sie haben es geschafft. Trotzdem ist es mir durch ihr Treiben wie Schuppen von den Augen gefallen. Die Sekte selbst sorgte dafür, dass ich von der Lethargie der Verführung eigenmächtig erwacht habe. Jan hat meine Bewerbung zur Bibelschule abgelehnt. Er führte die Hausgruppe und ich war ihm direkt unterstellt. Ich fand seine Entscheidung seltsam. Vielleicht hatte er Angst vor mir? Da er meine schnellen Fortschritte sah, konnte er vielleicht fürchten, dass ich für ihn die Gefahr darstellen konnte und gegen ihn um die Macht über den polnischen Schafen in Stuttgart kämpfen wollte? Ich hatte jedoch keine solche Absicht. Zumal habe ich ihm geholfen, Krzyś - seinen unheimlich abgehobenen Konkurrent im Kampf um die Führungsposition zu besiegen.

Es war einmal bei dem Haustreffen, dass ich Krzyś unabsichtlich provoziert habe, als er seine Predigt gehalten hat. Er brach in Wut aus. Eine Stunde lang hat er an uns seinen Unmut brüllend ausgelassen. Somit erregte er viel Schrecken und Anstoß. Er hat uns Gottlosigkeit vorgeworfen. Er meinte, wir seien halsstarrig wie die Israeliten, da wir seine erlösende Lehre nicht beherzigen wollen. Ich verhielt mich wie ein Held, weil ich am Anfang im Schweigen den Beschuss des Bösen mich treffen lassen. Als Krzyś seine Rede hielt, kämpfte ich innerlich mit mir selbst. Ich müsste mich richtig zügeln, um mit diesem Pastorkandidaten die Wand nicht zu tapezieren. Ich hatte richtig Lust daran. Ich schenkte mir das nur zum Wohl der Gemeinde und wegen der flehentlichen Blicke meiner Schwester Barbara. Sie zwinkerte mich vielsagend an, damit ich mit dem selbsternannten Guru keinen Krach mache. Das war schon ein Ende für Krzyś. Er blamierte sich gewaltig, weil er wie verrückt gebrüllt hat. Er hat sich mit allen entzweit und ist mit seiner Frau nach Berlin ausgewandert. Jan wurde dann zu einem unbestrittenen Leader. Allerdings waren auch seine Tage gerechnet, weil mein Schweiger schon dann von einer absoluten Macht träumte.

Der Mann meiner Schwester glaubte an seine eigenen Führungsfähigkeiten. Er war sehr ehrgeizig, auch wenn nicht besonders begabt. Er hatte jedoch eine Eigenschaft, die seine Mängel an Beredsamkeit ausgeglichen hat. Er behielt einen „zahnlosen“ Trumpf im Ärmel und zwar er was sehr aktiv und unterwürfig gegenüber seinen neuen geistlichen Vorgesetzten aus der BGG-Gemeinde. Man kann sogar feststellen, dass er der größte Lakai in der polnischen Religionsgemeinschaft war. Und gerade dieses Kriterium war nahezu ausschlaggebend bei den Rangeleien um die Macht über die polnische Sparte der Sekte. Die Führungsspitze der ganzen Gemeinde – das sogenannte Gospel Forum, hatte das Sagen darüber, wer an den Schalthebeln sitzt. Die außergewöhnlich Intelligenten waren an der Spitze nicht besonders gut gesehen. Deshalb war mein Schweiger für diese Funktion sehr gut geeignet. Noch bevor er an die Macht kam, war er in der polnischen Gruppe sehr aktiv. Er und meine Schwester zeigten sehr viel Engagement. Die angeblich professionellen Ratschläge, die sie gegeben haben brachten vielmehr verheerende als positive Folgen. Durch derartige „Unterstützung“, die die pfingstlichen Fachberater erteilt haben, haben sich die ganzen polnischen Familien in Stuttgart und der Umgebung zersplittert. Die von ihnen eifrig geübte „Familienberatung“ war wahrscheinlich der dunkelste Teil ihrer Evangelisation. Sie haben ihre Kompetenzen in psychologischer und spiritueller Hinsicht maßlos überschätzt. Bei ihrer missionarischen Seelsorge kam der Stolz zum Ausdruck, vor dem sie platzten, weil sie davon überzeugt waren, dass sie zu dieser Aufgabe von der Vorsehung Gottes berufen worden sind. Man konnte immer deutlicher spüren, wie sie die Gruppe gesteuert haben. Sie fühlten sich immer selbstbewusster in ihrer Rolle der „Auserwählten“.

Später führten die radikalen Evangelisationsmaßnahmen meiner Geschwister zur Spaltung in der Gruppe. Die neuen Mitglieder – Andrzej und Lucyna, sowie Jędrzej und Iza waren mit Abstand schlauer. Sie ließen die geistliche Tyrannei über sich nicht herrschen, wenn die Machthaber in dieser Funktion total fehl am Platz waren. Zunächst wurde ihnen klar, was sich eigentlich hinter den Kulissen abspielt. Nach der Spaltung in der Pfingstgemeinde von Stuttgart passierte etwas noch viel Schlimmeres, was ein richtiger Schock für die Sekte war. Andrzej, der für Musik verantwortlich war, und der zugleich als der aufgeklärteste Kopf in der Gemeinde galt, hat diese ganze Gesellschaft unerwartet verlassen, ohne sich zu verabschieden – und kehrte nach Polen zurück. Dies führte zur Spaltung seiner Ehe, weil sich seine Frau inzwischen auf die Seite der Sekte anlocken ließ. Ich habe diese junge, christliche Familie sehr hochgeschätzt und zutiefst bedauert, dass die Sekte zum Zerfall ihrer Familie beigetragen hat. Aus allen Pfingstlern in Stuttgart war mir diese Familie besonders nah.

Noch vor diesen düsteren Ereignissen schien alles erfolgreich zu laufen. Die neuen, aufgeklärteren und mit Abstand klügeren Einsteiger haben die seelsorgerischen Maßnahmen meines Schweigers aus ganzem Herzen unterstützt. Er sollte ein Pionier sein und die Polnische Christliche Gesellschaft in Stuttgart gründen. Und das war allen, in Stuttgart wohnhaften, polnischen Pfingstlern sehr wichtig. Als mein Schweiger an die Macht kommen wollte, war er in der Lage, die Herzen von anderen Pfingstlern für sich zu gewinnen. Seine schlauen Machenschaften führten dazu, dass er letztendlich die Oberhand über Jan gewann, der bis dato als der unbestrittene Guru von polnischer Gruppe in Stuttgart galt. Mein Schweiger wusste diese Überlegenheit auszunutzen. Zu einem für ihn günstigen Zeitpunkt hat er einen perfekten Putsch durchgeführt und die ganze Macht lag nun in seinen „fettigen Pfoten“. Nicht allen polnischen Pfingstlern hat der neue Guru gefallen. Er entpuppte sich aber als ein vorausschauender Typ und noch im Vorfeld gewann er die Unterstützung und der Segen des leitenden deutschen Pastors der BGG-Gemeinde, deren Meinung niemand zu bestreiten wagte.

Um an der Macht zu bleiben, musste mein Schweiger ab und zu einem guten Beispiel geben. Da er nicht besonders beredt war, musste er auf die Maßnahmen etwas primitiverer Art zugreifen. Das hingegen gelang ihm problemlos, weil er ziemlich beleibt war. Seine Stärke war das Fasten – sowohl als Beispiel seiner Frömmigkeit, als auch ein Beweis für seine Strapazierfähigkeit. Mit diesen Praktiken versuchte er auch abzunehmen. Am Anfang war er daran sehr erfolgreich. Er war sogar in der Lage, 20 Tage lang nichts zu essen, und infolgedessen, 20 Kilo abzunehmen. Leider war dies nur ein Jo-Jo-Effekt. Als er wieder zu essen anfing, wog er nach einer Woche genauso viel, wie vor der Periode seiner angeblichen spirituellen Reinigung. Manchmal nahm er sogar noch etwas mehr zu. Einmal hat er sich dafür entschieden, einen, von Jesus auf der Judäischen Wüste gehaltenen Rekord im Fasten zu schlagen, d.h. über 40 Tage nichts zu essen. Als ich meine Befürchtungen äußerte und sagte, dass er doch eine Frau und Kinder habe, und dass sein Plan wahnsinnig und lebensgefährlich sei, antwortete er mir mit einem „geistlichen“ Lächeln, dass er weiß, was er tut, und dass ich mich keine Sorgen um ihn machen muss. Allerdings wurde ein neuer Rekord nicht geschlagen, weil sich dagegen seine Verwandten im Glauben, und insbesondere seine Frau eingesetzt haben. Sie wollte ihn nicht verlieren und waren freilich davon überzeugt, dass er diese Herausforderung nicht übersteht.

 

Manchmal war ich von ihm beeindruckt, weil er ganzen Haufen Essen auf einmal verdrücken konnte. Wenn er einen Wolfshunger bekam, konnte er sich nicht immer mäßigen. Ich kann mich noch erinnern, als er einmal zu viel Bigos gegessen hat (Traditionelles, polnisches Gericht. Ein Eintopf aus gedünstetem Sauerkraut mit verschiedenen Fleischsorten und anderen Zutaten), das Barbara zubereitet hat. Er lag auf den Rücken, zwischen zwei Betten, mit dem ausgezogenen Hals. Aus seinem Kopf, der zu keiner Bewegung fähig war, ragten die durchgeschwitzten, hervorstehenden Augen heraus. Nur seine Brust bewegte sich auf und ab, als er schwer atmete. Das sah wie die aufgewühlten Seewellen aus. Alle seine Körperorgane beanspruchten die ganze Energie von ihm. Um solche Unmengen an Essen zu verarbeiten, musste sein Körper eine riesengroße Leistung vollziehen. Wir haben uns um ihn große Sorgen gemacht, weil er gar keine Kraft dafür hatte, mit uns zu sprechen. Als wir schon bereit waren, den Krankenwagen zu holen, erhob er sich plötzlich, stellte auf die Beine und anfing, noch mehr Bigs zu verdrücken. Als Kazik (derselbe Kerl, der mit mir aus Polen kam, und dem ich in Hamburg geholfen und mitgenommen habe) das sah, äußerte sein Entsetzen mit folgenden Worten: „Wenn er nicht aufhört, so zu fressen, dann zerreißt eines Tages etwas in ihm“. Glücklicherweise blieb mein Schweiger gesund wie ein Fisch im Wasser. Und Kazik, der sich um ihn so fürsorglich gekümmert hat, ging inzwischen drauf, in Abrahams Schoß, weil er durch übermäßigen Alkoholkonsum seine Leber unwiederbringlich kaputt gemacht hat. Man konnte ihn schon nicht retten.

Während seiner regelmäßigen Fastenzeiten war mein Schweiger sogar in der Lage, einen Grill mit leckeren und verlockend riechenden Fleischsorten zu bedienen. Ihm lief kein Wasser im Mund zusammen. Er hat kein einziges Mal mit der Zunge geschnalzt. Er war ein richtig harter Typ. Diese unglaubliche Leistung von ihm verdient vielleicht, in das Guinness-Buch der Rekorde eingetragen zu werden. Er war dazu fähig, selbst seine eigene Natur zu verleugnen, den Versuchungen erfolgreich zu widerstehen und wusste seine Begierden unter schwierigsten Umständen zu zähmen. Solche Typen bekommt man richtig selten zu sehen. Er verfügte über ein riesiges Potential, das er leider nicht in die Richtung entwickelte, wo es nützlich in Anspruch genommen werden könnte. Schade, sonst hätte er viel Gutes für die Welt tun können. Stattdessen verschwendete er seine Ressourcen, indem er vergeblich versuchte, die Kariere in der Sekte zu machen. Und wer würde da sein Engagement erkennen?

Mir war aber nicht anderes so wichtig als die echte Wahrheit. Da ich dazu bestimmt war, war meine weitere spirituelle Entwicklung unter den Pfingstlern schon von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich konnte weder die Dummköpfe noch die Scharlatane unterstützen. Sonst hätte ich meinem Gewissen zuwidergehandelt. Deshalb wurde ich weniger aktiv. Die Meinungsunterschiede kamen immer wieder zum Vorschein. Dadurch habe ich mich von ihnen immer weiter distanziert. Bald sollte ich von der sektiererischen Lethargie erwachen, auf den Boden zurückkommen und zwar so drastisch, wie nie zuvor. Damals war ich geistlich so zersplittert, wie nie zuvor. 1996 fühlte ich mich unter den Pfingstlern fast wohl, aber dort auf Dauer zu bleiben konnte für mich katastrophale Folgen haben. Mein Scheitern auf ihren Entwicklungsweg war für mich in der Tat die Rettung.

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