Durch die Hölle in die Freiheit

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Im Laufe des Aufenthalts in der Klinik wünschte ich mir die Begleitung eines Geistlichen, damit ich mich mit jemandem über Gott unterhalten konnte. Da kam unerwartet ein katholischer Priester. Ich hoffte aber, mit einem evangelischen Pastor zu sprechen, weil mich der katholische Glaube in jener Zeit nicht besonders anging. Die erste Frage, die ich ihm stellte war: „Ist die Mutter Gottes auch Gott?“ Der deutsche Geistliche berührte mich mit dem Finger und erwiderte mit der Frage: „Ist es wirklich so wichtig für Sie?“ Nach einigem Nachdenken antwortete ich: „Es gibt tatsächlich wichtigere Dinge.“ Der Priester sagte dazu ruhig: „Gott sei Dank. Sonst müssten wir uns unnötig streiten.“

Er war eine interessante Persönlichkeit. Ich versuchte in einen Religionskrieg gegen ihn einzutreten. Diesen Versuch vereitelte er mit einer Gegenfrage. Er erwarb sich dadurch meine Gunst, weil ich in ihm einen intelligenten Menschen und einen guten Diplomaten erkannte. Nach vielen Gesprächen mit diesem deutschen Priester wurde mir klar, dass ich den Glauben nicht wechseln musste, um Gott zu finden. Der Katholizismus ist doch für alle. Zu meinem Erstaunen merkte ich, dass ich mit diesem Priester über weitaus mehr Themen und Glaubenssätze einig war als mit den Pfingstlern. Darüber hinaus lehnte sich mein Gewissen immer öfter gegen die Lehren der Pfingstbewegung auf. Wenn ich mit dem katholischen Geistlichen sprach, war mein Gewissen ganz ruhig und sogar glücklich.

Nach dem Unfall erhielt ich keinen Schadenersatz von der Deutschen Bahn, weil ihr Anwalt während der Gerichtsverhandlung feststellte, dass ich Selbstmord begehen wollte. Ich schien also Pech zu haben, weil ich bei einem Suizidversuch scheiterte. Ich war sehr enttäuscht, konnte aber kaum etwas dagegen tun. Mein Anwalt war so hoffnungslos, dass er nicht wusste, was er im Laufe der Verhandlung sagen sollte. Die Dienstleistungen von diesem Anwalt nahm ich in Anspruch auf Empfehlung von Waldemar – einer Persönlichkeit, die den Polen in Stuttgart gut bekannt war. Auch Herr Waldemar selbst übernahm meinen Fall. Ich vertraute ihm, weil er mich unter Druck setzte, indem er versprach, dass er mir umfassend helfen konnte. Leider versagte er auf der ganzen Linie, und ich bekam überhaupt kein Geld. Ich konnte sogar 100.000 DM kriegen, inklusive Stuttgarter Unfallversicherung, die ich privat bezahlte. Ich ließ mich von Herrn Waldemar nicht nur deshalb beraten, weil ich mich in diesen Angelegenheiten gar nicht auskannte. Ich sprach nicht ausreichend fließend Deutsch. Daher brauchte ich eine fachliche Unterstützung. Er beharrte darauf, dass ich ihm meine Sachen anvertraute. Ich vertraute ihm, weil er sehr viel Überzeugungsarbeit leistete. Das war mein großer Fehler.

Ich fühlte mich von allen betrogen und fing an, alles Notwendige zu lernen, um die Widrigkeiten des Schicksals trotz meiner Alkoholsucht erfolgreich zu besiegen. Ich vergeudete die Zeit nicht, weil ich mir in der Vergangenheit eine gewisse würdige finanzielle Unabhängigkeit und Freiheit erkämpft hatte. Ich hatte keinen Herren über mich außer Gott. Ich konnte mich davon überzeugen, dass es keine Gerechtigkeit auf dieser Welt gab, und dass man um sein eigenes Überleben selbst ringen muss. Ich lernte auch, dass nur Gott vertrauenswürdig war. Bisher stieß ich auf viele ungeeignete Berater, die alles andere als verantwortlich waren, von Professionalismus ganz zu schweigen.

Ich schaute mich selbst genauer an und entdeckte spirituelle Kräfte, die sich nach ihren eigenen Gesetzten richteten. Ich konnte sie zwar mit meinem Verstand noch nicht nachvollziehen, aber ich wollte sie zu meinem Wohl entfalten. Mir war gar nicht klar, dass das eine reine spirituelle Manipulation war. Für dieses Unwissen und unbewusste Verhalten wurde ich hart und peinlich bestraft, weil ich mit diesen Kräften in einen ernsthaften Konflikt geriet. Ich las zwar ganz viel darüber, wusste aber auch nicht, dass sich die Gesetze des spirituellen Lebens nicht einfach erlernen lassen, damit man sie begreift und zum eigenen Wohl in die Tat umsetzt. Darüber hinaus wurden mir die Bücher von den Pfingstlern zur Verfügung gestellt. Auch wenn sie also von reinem Herzen und aus selbstloser Bereitschaft jemandem zu helfen verfasst wurden, ohne jemanden zu manipulieren, wurden selbst die Autoren verführt und schrieben nicht infolge einer Eingebung. Diese Literatur war also ein fataler Hinweis auf dem Weg zur göttlichen Wahrheit. Obwohl ich versuchte mit besten Kräften aus dieser immer dunkleren Sackgasse herauszukommen, wusste ich das Wichtigste nicht: Nur Gott selbst kann uns beibringen, wie man diese Kräfte in Anspruch nehmen sollte. Zunächst müssen wir uns mit den Gesetzen von Gott vertraut machen und einen starken Willen zeigen entsprechen diesen Regeln zu leben. Diese Fähigkeit ist aber auch sein Geschenk.

Die Pfingstler

Eliza war als erste dran. Sie war die Schwester meines Schwagers Krzysztof und kam 1994 nach Stuttgart zu Besuch. Sie wurde von einem missionarischen Eifer ergriffen die heilsame Lehre zu verbreiten. Sie war jene, die den Wind der neuen christlichen Prägung in unserer Familie wehen ließ, die unsere Familie teilte und mir spürbar zusetzte. Ihre ersten Schritte in den christlichen Bewegungen gingen sie viel früher. Noch in Polen schlossen sie sich der katholischen Jugendbewegung „Oase“, offiziell bekannt als „Licht-und-Leben-Bewegung“ an. Wenn Krzysztof nach Deutschland fuhr, ließ sich Eliza von den freikirchlichen evangelikalen Gemeinschaften begeistern. Im Klartext ging es vor allem um die Pfingstbewegung. Sie stellten ihr Denken grundsätzlich auf den Kopf und trichterten ihr eine feindselige Einstellung gegenüber der katholischen Kirche ein, der sie noch vor kurzem so eifrig folgte. Die Pfingstler behaupteten die Wahrheit Gottes viel besser zu verstehen als die katholische Kirche. Sie waren der Meinung, dass die Katholiken die biblische Lehre verzerrten und dadurch zu einer „großen Hure“ bzw. „Babylon“ wurden.

Mein Schwager wusste gar nicht, was seiner Schwester widerfahren war und hielt sich fest an die Ideale des katholischen Glaubens, die sie beide in der Oasenbewegung eingeimpft bekamen. Seine Schwester gab diese Ideale schon längst auf. Nun wurde sie von einem anderen Geist erfüllt, der mit der Vergangenheit nichts zu tun hatte. Krzysztof ahnte gar nicht, dass die Person, die zu ihm zu Besuch kam, nur äußerlich wie seine Schwester Eliza aussah. In ihr wohnte jetzt ein doktrinäres Ungeheuer inne. Schwager Krzysztof und meine Schwester Barbara sollten diesem in Kürze zum Opfer fallen. Ich war als Nächster dran. Glücklicherweise war ich in viel geringerem Ausmaß betroffen. Ich hatte mehr Glück als meine Familie, weil ich mich von Eliza nicht indoktrinieren ließ. Die neuen Ideale, die in den Seelen von Krzysztof und Barbara einen fruchtbaren Boden gefunden hatten, richteten ihnen daraufhin viele Schäden an und schädigten auch die Leute, die die beiden zur Erlösung bringen wollten. Sie verbreiteten den neuen Glauben in alle Richtungen – mit verheerenden Folgen.

Eliza wusste allzu gut, dass sie bei der Evangelisierung nicht zu aufdringlich wirken sollte, damit die potenziellen Schafe nicht voreingenommen waren. Der erste Schritt ihrer seelsorgerischen Arbeit war sehr umsichtig. Sie musste für sich eine Ausgangsbasis entwickeln, um die „erlösende Lehre“ weiter verbreiten zu können. Die Schwester und der Schwager stellten eine gute Gelegenheit dafür dar. Sie hielt sie und alle anderen Katholiken für Heiden, die eine Rettung brauchten, um das ewige Leben in der zukünftigen Welt zu erlangen. Gerade darum war sie eifrig bemüht. Eliza behauptete, dass diese Welt nur ein Pilgerweg zu einer neuen, versprochenen Realität war. Man sollte, so Eliza, dieser Welt nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken, weil diese sowieso bald vernichtet werden würde. Sie wollte von ganzem Herzen alle Leute bekehren und sie dadurch vor der Rache des Herrn schützen, der in Kürze auf den Wolken auftauchen und alles Sündige vernichten würde. Eliza war absolut davon überzeugt, dass die Apokalypse und totale Vernichtung der Welt binnen kurzem die Realität werden würden.

Ihre frommen Freundinnen meldeten sich eines Tages bei mir. Obwohl ich unter Alkoholeinfluss stand, merkte ich sofort, dass ich es mit Vertreterinnen von irgendeiner religiösen Gruppierung zu tun hatte. In dem Gespräch mit mir balancierten sie an der Grenze zwischen Phantasie und paranoider Psychose. Mit derart verblendeten Menschen hatte ich zum ersten Mal zu tun. Ich dachte mir: „Was ist hier los? Ich trinke Alkohol, und sie sind im Rausch?“ Meine Gesprächspartnerinnen waren zwar gut ausgebildet, aber der Geist, der sich ihrer bemächtigte, verdrängte ihr Wissen an den Rand des Bewusstseins und stand entgegen jeglicher Logik. Ich überlegte mir, was für ein Glauben sie so ununterbrochen glücklich machte.

Nach einiger Zeit nahmen Eliza, Krzysztof und Barbara Kontakt mit der Pfingstgemeinde in Stuttgart auf. Das war eine ziemlich große Kirchengemeinde. Ihre Mitglieder nahmen die Neubekehrten herzlich auf und kümmerten sich um die kleinen Schafe – meine Schwester und meinen Schwager. Eliza führte ihre Mission erfolgreich durch und konnte leichten Herzens nach Polen zurückkehren, weil Krzysztof und Barbara ihre ersten Schritte in dem neuen „erlösenden Glauben“ gingen. Was aber am wichtigsten war – Sie hatten geistliche Begleiter – die Pfingstler.

Ein Jahr später geriet ich in das ernsthafte Interesse der Sekte. Zuerst mussten sie die Schwester und den Schwager in ihren Überzeugungen festigen. Die Pfingstler unterzogen sie einer Gehirnwäsche. Am Anfang war ich mich der Gefahr nicht bewusst. Nach einem Jahr waren die von dem neuen Glauben infizierten Personen, der Schwager und die Schwester, nicht mehr dieselben Menschen wie früher. Sie gehörten quasi nicht mehr zu unserer Familie, weil nur die Gleichgesinnten für sie zählten. Da ich sie trotzdem weiter für meine Familie hielt, ließ ich mich allmählich mit ihrer religiösen Erkrankung anstecken. Jeder, der auch nur erste Schritte in die Pfingstgemeinde wagte, konnte sich nicht zurückziehen, weil ihn eine teuflische Kraft drinnen hielt. Ich glaube, dass ich meine Schwester und meinen Schwager zu diesem Zeitpunkt unwiederbringlich verloren habe. In der Zukunft sollte sich auch mein Bruder Janusz der Gruppe anschließen. Auch für ihn wurde ein Platz vorbereitet. Meine Familie geriet Stück für Stück in die Finsternis der „Erlösung“. Ich sollte mich bald in die Fänge dieser spirituellen Gefangenschaft werfen. Das erste Buch, das ich von den Pfingstlern erhielt, trug den Titel „Der unsichtbare Gegner“. In dem Buch ist von Satan die Rede. Die Lektüre, die sie mir empfahlen um meinen Geist wecken zu lassen, erregten in mir lediglich eine unterbewusste Angst. Meine bisherige Welt brach plötzlich zusammen. Ich fing an meine angeborenen Kräfte zu bezweifeln und verlor meine Energie und inneren Schutz. Ich versuchte an den sektiererischen Unsinn zu glauben, der mich wahrscheinlich in die Hoffnung brachte, dass ich dadurch geheilt werden würde. Meine Alkoholsucht verließ mich aber nicht. Im Gegenteil. Sie quälte mich mit einer Wucht, die ich noch nie zuvor erlebt hatte.

 

Ein verrückter Vermieter

Im Frühling 1995 musste ich mir eine neue Wohnung suchen, weil mein bisheriger Vermieter mir den Mietvertrag kündigte. Diese Situation verdankte ich dem Bruder meiner Freundin. Ich half ihm sich in Deutschland einzurichten. Daher wohnte er eine Zeitlang bei mir. Hinter meinem Rücken hofierte er den Hausbesitzer. Er unterwarf sich ihm und erwarb sich seine Gunst. Um mich aus der Wohnung rauszuekeln, trickste er mich gemein aus. Obwohl ich den Bruder meiner Freundin viel unterstützte, war er mit seinem hinterlistigen Verhalten keine Ausnahme. Fast alle, die von mir Unterstützung erhielten, revanchierten sich bei mir gleichartig, und zwar zu meinem Nachteil. Ich musste diese Geschwister zurechtweisen und noch vor meinem Auszug aus der Wohnung verweisen, weil ich weder mit meiner Freundin noch mit ihrem Bruder mehr etwas zu tun haben wollte, da sie mich immer wieder schädigten.

Ich konnte diese komischen Situationen noch lange nicht begreifen, und bis dato verstehe ich sie nicht ganz. Ich half anderen, weil ich glaubte, dass man das so tun sollte. Ich hoffte etwas Dankbarkeit von ihnen zu erfahren, weil man eine solche Unterstützung einfach nicht vergisst. Ich verrechnete mich gewaltig in diesen Menschen. Trotz schwieriger Erfahrungen machte ich immer die gleichen Fehler, als ob ich nicht begriffen hätte, auf was für einer Welt ich lebte.

Einige Zeit nach meinem Auszug zog der Bruder meiner Freundin in diese Wohnung ein. Der Hausbesitzer bat mich darum, dass ich an dem neuen Mieter keine Rache nehmen sollte. Ich möchte gar nicht wissen welche Seilschaften und Geheimnisse den intelligenten, gut ausgebildeten Deutschen mittleren Alters mit dem jungen, unterwürfigen, nicht ausgebildeten aber rücksichtslosen Polen verbinden konnten.

Immer wieder, wenn ich jemanden unterstützte, schädigte ich gleichzeitig mich selbst, weil ich meine eigenen Interessen in den Hintergrund gerückt habe. Es schien so, als wenn ich die Gesetze der Natur verletzt hätte, indem ich einen Idealisten spielte, obwohl diese Welt keine edlen Werte kannte. Vielleicht betrachteten die meisten Leute aus meiner Umgebung meine edlen und selbstlosen Handlungen einfach als naiv. Vielleicht war ich in ihren Augen ein großer Trottel, der skrupellos ausgebeutet werden konnte. Oder vielleicht hatte ich Pech und verkehrte in Kreisen von Leuten, die mit Moral kaum etwas zu tun hatten.

Ich fand eine neue Wohnung im Norden von Stuttgart. Am Anfang sah das einstöckige Haus mit dem Garten ganz interessant aus. Ich sollte das Erdgeschoss zur Verfügung haben, und der Hausbesitzer sollte in der ersten Etage wohnen. Meine Freude trübte mein Schwager, der mir bei dem Umzug half, schnell. Schon seit einem Jahr gehörte er zur Pfingstgemeinde. Seitdem veränderte er sich radikal zum Besseren. Die Veränderungen zum Schlechteren standen zu jenem Zeitpunkt noch aus. Der Schwager schaute sich den Hausbesitzer genauer an, der in der Schweiz sein Kopf operiert worden war, und stellte fest, dass ich mit ihm definitiv nicht gut auskommen würde. Ich schaute Krzysztof an und merkte, dass er sich seiner Behauptung sicher war. Das beunruhigte mich ernsthaft. Ich weiß nicht, wieso er das ahnte. Noch zu diesem Zeitpunkt wurde er von einem relativ gutartigen Geist geführt. Seine Bemerkung wurde mir zu einer ungewollten Prophezeiung.

Meine Freundin, mit der ich noch in Kontakt blieb, weil sie sich stets um meine Gunst bemühte, trug am Ende des Tages indirekt dazu bei, dass ich zwei Wohnungen nacheinander verlor. In der Tat aber war mein Alkoholkonsum die Hauptursache für mein Missglück, weil wir zusammen tranken und zusammen Fehler begingen.

Eines Abends, als wir schon gut berauscht nach Hause kamen, ging meine Freundin nach oben zu dem schlafenden Hausbesitzer – aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht gerade deshalb wurde ich aus der Wohnung verwiesen. Oder vielleicht suchte der Eigentümer nur eine Ausrede, um mich aus der Wohnung zu werfen, da er Probleme mit seinem Kopf hatte. Anscheinend war seine Kopfoperation in der Schweiz nicht vollständig erfolgreich gewesen und löste nicht all seine Probleme. Ohnehin schränkte er meine Mieterreichte ein. Dass ich das ganze Erdgeschoss zur Verfügung hatte, stand nur theoretisch auf dem Papier. Er war ein Besessener, weil er mich auf Schritt und Tritt kontrollierte.

Eines Tages, als ich besoffen nach Hause zurückkam, konnte ich nicht ins Haus rein. Ich konnte die Tür nicht aufmachen und zwar nicht, weil ich den Schlüssel nicht ins Schloss stecken konnte, sondern weil der andere Schlüssel von innen steckte. Die Frau des verrückten Vermieters teilte mir mit, dass ich hier nicht mehr wohnen dürfte, und zwar ohne einen bestimmten Grund. In diesem Fall wurden also die Grundrechte des Mieters verletzt. Ich tat dem Hausbesitzer doch nie etwas Schlimmes an. Dass ich ab und zu Alkohol trank, war meine Privatsache bzw. mein Problem. Niemand war von meiner Alkoholsucht betroffen, es sei denn, dass er mir im Weg stand. Wenn jemand aus welchen Gründen auch immer eine Angst vor mir hatte, hatte es nichts mit mir zu tun, und das war sein eigenes Problem. Wenn sich aber sein Problem auf mich auswirkte, wurde es auch zu meinem Problem, mit dem ich klarkommen musste.

Was blieb mir übrig, wenn ich nicht in meine Wohnung hineingelassen wurde? Ich bummelte durch das Viertel, um etwas auszunüchtern. Es war schon spät in der Nacht. Dann rief ich die Polizei, damit sie mir half in meine Wohnung zu kommen, damit ich mir zumindest meine Kreditkarte holen konnte. Wie sich herausstellte, war der verrückte Vermieter ein ehemaliger Polizist, weil er seine Dienstnummer angab, als er nach seinem Namen gefragt wurde. Das verwirrte die Gesetzeshüter etwas, und sie wollten schon nachgeben, weil der Verrückte keine Absicht hatte die Polizisten ins Haus zu lassen. Erst als ich ihren Ambitionen etwas schmeichelte, setzten sie ihre Dienstmützen auf und verlangten kategorisch in die Wohnung hineingelassen zu werden. Als ich schon drinnen war, dämmerte es mir, dass ich mich bei der Polizei für die Zusammenarbeit bedanken und dann ruhig schlafen gehen konnte. Schade, dass ich das nicht getan habe: Ich hätte dadurch das Gesetz nicht verletzt, und der Hausbesitzer hätte mir nichts antun können. Zu jenem Zeitpunkt kannte ich mich in dem deutschen Recht jedoch nicht allzu gut aus, aber die weiteren Wechselfälle meines Lebens ließen mich dieses Wissen nachholen. Nachdem ich mein wichtigstes Hab und Gut mitgenommen hatte, verbrachte ich die restlichen Nachtstunden auf den Parkbänken.

Früh am Morgen besuchte ich meine Freunde. Wir überlegten zusammen, wie ich aus dieser Schieflage herauskommen konnte. Die Wohnungssperre band mir die Hände. Anka, meine ehemalige Freundin, wollte mir helfen. Zu jenem Zeitpunkt war sie die Kandidatin für die Frau von Dragan – einem kleinen deutschen Unternehmer. Wie sich später herausstellte, brillierte er lediglich in Machenschaften und Konkursen. Anka gab mir die Adresse von Herrn Waldemar, der in solchen Angelegenheiten vermittelte. Ich muss zugeben, dass er um mein Anliegen sehr bemüht war und mir ein ganzes Stück half. Er kam auf die Idee, mit mir als seinem Kollegen vor Gericht zu gehen, weil er sich im deutschen Recht ganz gut auskannte. Seine Unterstützung führte dazu, dass der übermutige Hausbesitzer ein gerichtliches Schreiben erhielt. Er wurde auf diesem Wege dazu aufgefordert, mich unverzüglich in die Wohnung reinzulassen, und zwar unter Androhung einer Geldbuße in Höhe von 500 000 DM und einer sechsmonatigen Haftstrafe. Der Verrückte geriet in eine große Panik und stellte mir die Wohnung zur Verfügung. In einer solchen Atmosphäre wollte ich aber nicht mehr wohnen.

Ich suchte mir eine neue Unterkunft und fand sie mitten im Standzentrum von Stuttgart, an der Olgastraße. Dort kam ich für vier Jahre mit einer recht düsteren und total demoralisierten Unterwelt in Berührung. Dieser Ort prägte meine Persönlichkeit, weil ich dort am eigenen Leib peinlich erlebte, was es hieß in einer Großstadt zu wohnen. Wenn der Abend anbrach, schossen die Prostituierten auf der Straße wie Pilze nach dem Regen und ließen kriminelle Elemente aus ihrem Versteck kriechen. Ich widmete mich der Alkoholsucht und rückte dadurch immer weiter in die Sackgasse. Und Gelegenheiten zu verkommen gab es bei jedem Schritt.

In Armen der brüderlichen Liebe

Schon ganz am Anfang merkte ich, dass die „erlösende“ Doktrin der Pfingstkirche mein Leben in keine gute Richtung führte. Im Gegenteil. Sie machte mein Leben noch schlimmer. Als mir das klar wurde, entschied ich mich dafür, mich radikal von dieser destruktiven Lehre zu trennen. Bevor ich das aber machte, ließ ich mich von meinen Geschwistern zum Gespräch überzeugen, da sie mir eine brüderliche Unterstützung bei der Bekämpfung meiner Alkoholsucht anboten. Ich wägte ihr Angebot ganz lange ab, da sie mir schon ein paar Mal ihr böses Gesicht gezeigt und mich in Mitleidenschaft gezogen hatten. Obwohl ich ihnen richtig viel half, akzeptierten sie mich nicht. Sie demütigten mich sogar, indem sie ihre Überlegenheit und Perfektion deutlich zum Ausdruck brachten. Sie wollten zeigen, dass sie besser waren als ich und dass sie die Oberhand über mich hatten. Anscheinend ging es ihnen darum, alles zu tun, damit ich nicht wieder auf die Beine kommen und stets auf ihre Hilfe angewiesen sein würde. Ich wusste zu jenem Zeitpunkt noch nicht, warum sie mir so sehr helfen wollten, und was eigentlich dahintersteckte. Ich begriff gar nicht, worum es ihnen ging und worauf Eifersucht und Missgunst mir gegenüber zurückzuführen war. Hätte ich sie nicht überzeugt, miteinander in eine Beziehung zu treten, indem ich betonte, dass sie zueinander passen würden, wären sie nicht zusammen gewesen. Ich hatte gar keine Ahnung, dass ich ihnen durch meine Unterstützung und auch dadurch, dass ich sie zusammenbrachte, einen Weg zu meiner Seele geöffnet hatte. Sie nutzten dann unsere Bekanntschaft zu ihrem Vorteil und führten mich in eine Lage, die im Widerspruch zu meinen Interessen stand. Ich wusste auch nicht, dass ich diese Leute durch mein Handeln zu meinen erbittertsten Feinden machen würde, die es sich zum Ziel machen würden, meine Identität und Individualität zu vernichten. Ich ahnte auch nicht, dass sie jeglichen Kontakt zu mir abbrechen würden, wenn sie an ihrem Vorhaben scheiterten.

Ich würde nicht die ganze Verantwortung für die Spaltungen, die in meiner Familie entstanden sind, der Sekte der Pfingstler zuweisen. Bestimmt gab es dafür auch andere Ursachen. Ich möchte trotzdem betonen, dass hauptsächlich diese Sekte die Beziehungen in meiner Familie verderben ließ. Ich kann es mir kaum vorstellen, wie man die eigene Familie, Heimat oder irgendjemanden auch für gutes Geld verraten kann. Es gibt keinen Preis, der dem Verrat wert wäre. Man kann andere Leute und auch sich selbst betrügen, aber das Gewissen lässt sich nicht irreführen! Es wird dir für diese schändliche Tat Vorwürfe machen, und dich das ganze Leben lang beunruhigen. Es macht dein Leben zur Hölle auf Erden. Anscheinend sind sich nicht alle dessen bewusst. Es gibt auch Menschen, die den Verrat auch ganz leichtsinnig und sogar umsonst begehen. Für sie gehört der Verrat einfach zum Alltag. Er ist in ihren Herzen verankert. Sie sind keine Marsmenschen oder Bewohner von einem anderen Planeten. Sie stammen aus unseren Familien. Sie haben ein Bewusstsein ganz anderer Art oder haben gar keines. Kein Wunder, dass es noch schlimmer ist, wenn sie von einer verführerischen Ideologie und einem Glauben gelockt wurden, der alle Taten rechtfertigen und das Gewissen verdrängen kann. Mit solchen Typen ist nur dann ein Gespräch möglich, wenn man mit Feuer und Schusspulver auf sie zugeht oder sie total ignoriert, weil sich keine Kompromisse mit ihnen schließen lassen. Wie kann man aber die eigene Familie wie Luft betrachten, auch wenn ihre Mitglieder feindselige Absichten uns gegenüber haben? Versucht man dann nicht mit besten Kräften die gesunden Beziehungen wiederherzustellen? Nach einer Zeit merkt man aber, dass es keinen gemeineren Feind gibt, als den, der dein Verwandter ist. Zumal man sich mit diesen Typen gar nicht einigen kann. Dann haben wir keinen anderen Ausweg. Man soll sich darüber im Klaren sein, dass die tiefsten spirituellen Verletzungen ihre Wurzeln überwiegend in dem engsten Familienkreis haben. Auch fast alle Verletzungen von mir verdanke ich meiner Familie. Es dauert manchmal lange, bis man diese Tatsache begreift, weil wir unser ganzes Leben lang lernen. Offensichtlich versuchten gerade die Pfingstler mein Herz durch meine Familie zu beherrschen.

 

Da ich über den Verrat meiner Schwester und meines Schwagers nicht hinwegkam, nahm ich ihr nächstes Angebot der Unterstützung in Anspruch. Somit setzte ich mich anderen peinlichen Missverständnissen aus. Sie beteten sehr eifrig für mich. Ich vertraute ihnen, weil ich diesmal ihre bösen Absichten nicht merkte. Letztendlich war das meine Familie. Wieso sollte ich mich auf meine eigene Familie nicht verlassen? Sie erzählten mir von wundervollen Heilungen, insbesondere von der Alkoholkrankheit. Das sprach mich sehr gut an, weil ich endlich von meiner Sucht befreit werden wollte. Sie wussten allzu gut, was mich trübte, und wie sie mich erfolgreich ansprechen konnten. Als meine Familie kannten sie mich ganz gut. Ich entschied mich dafür an ihren Gebets- und Evangelisationskreisen teilzunehmen. Die Begegnungen fanden in Privathäusern statt. Ich versuchte dadurch mich noch einmal mit ihnen zu arrangieren. Sie waren sehr froh darüber und bedankten sich dafür aus ganzem Herzen bei Gott. Da ich mit der Bibel zu jener Zeit nicht allzu gut vertraut war, wollte ich mich genauer in die Heilige Schrift vertiefen.

Die polnischen Pfingstler scharten sich sonntags in dem riesigen Gotteshaus „BGG – Biblische Glaubens Gemeinde“ in Stuttgart. Außer Deutschen waren hier Menschen aus vielen anderen Ländern. Meine Schwester und mein Schwager gründeten eine polnische Gruppe von Christen. Meine Aufgabe war es, während der Versammlung Gitarre zu spielen. Es fand sich erst ein Leader und dann sogar zwei. Es gab also einen regelrechten Kampf darum, wer ein Guru werden sollte.

Der erste Kandidat hieß Krzysiek. Er lud mich ein und versuchte, meine Unterstützung mit Schnaps zu erkaufen, ganz ohne darauf zu achten, dass ich alkoholsüchtig war. Er hatte eine unglaubliche Vision, wie man die Welt verbessern konnte. Er wollte seine Ideen verwirklichen. Seine Frau, wie auch meine Schwester, unterstützten den Mann mit allen Kräften bei der Verkündigung frommer Botschaften, auch wenn sie kaum etwas über Gott wussten. Ich lernte viele interessante Visionäre kennen, die eines gemeinsam hatten, und zwar, dass sie immer wieder Wort für Wort Zitate aus der Bibel plapperten. Sie konnten überhaupt nicht begreifen, dass die Bibel viele Gleichnisse und Metaphern enthielt, die nicht buchstäblich genommen werden sollten. Wenn diese Prediger beim Reden in einen missionarischen Wahnsinn gerieten, wirkten sie so selbstbewusst und überzeugt von dem, was sie gerade verkündeten, dass sie eine richtig große und verführerische Kraft für die Trost suchenden Seelen darstellten. In der Tat jedoch waren die echten Geheimnisse der Bibel keinem von ihnen bekannt. Sie verstanden dieses Heilige Buch nicht richtig.