Durch die Hölle in die Freiheit

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Ein Tramper

Kurz nach Weihnachten fuhr ich, wie viele meine Mitbürger, im Suff. Ich ließ einen Tramper mitfahren. Mein Fahrbegleiter war ein gutaussehender Mann im mittleren Alter. Es war frostig, die Straße war glatt, und ich raste schnell, ganz unbekümmert. Der Anhalter wies mich darauf hin, dass es keinen Grund gab, so schnell zu fahren. Er bat mich, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, damit es für uns beiden sicherer ginge. Er geriet in Panik, und ich kam auf die Idee, mich über seine Angst zu belustigen. Ich versetzte mich schauspielerisch in die Rolle eines Verrückten, der sein eigenes Leben, aber auch das Leben anderer geringschätzt. Seine Bemerkungen hielt ich für fehl am Platz. Auf diesem schmalen Weg drückte ich noch mehr auf die Tube, und wir fuhren ca. 100 km pro Stunde. Als der Tramper angefangen hatte, vor Entsetzen zu heulen, brüllte ich wie ein Stier, dass ich noch beschleunigen würde, wenn er nicht aufhört.

Die Panik, die ich bei meinem Mitreisenden erzeugte, machte mir viel Spaß, und zum Dank fuhr ich den Kerl fast direkt vor die Haustür. Ich musste ihm jedoch beim Aussteigen helfen, denn der Mann, der noch vor kurzem so munter und agil war, wirkte jetzt, als ob er plötzlich zwanzig Jahre älter sein würde. Er zitterte wie ein knackiger Opa.

Mehrmals unterhielt ich mich auf Kosten von anderen und riskierte mein Leben. War ich mir meiner Dummheit nicht bewusst, die mich zunehmend beherrschte? Warum konnte ich dieser Leichtsinnigkeit keinen Halt gebieten? Vielleicht hielt ich es nur für ein harmloses Spiel, das keine ernsthaften Folgen mit sich bringen konnte? Für viele endeten solche Verrücktheiten ganz tragisch. Warum sah ich es nicht ein? Vielleicht deshalb sollte es in Kürze mit meinen Autorennen vorbei sein – nicht tragisch, aber peinlich. Das, was auf mich zukam, rettete mich zweifellos vor dem schrecklichen Ende. Das war tatsächlich die bestmögliche Sache, die mir zu diesem Zeitpunkt meines Lebens geschehen konnte. Ich war nicht würdig den Führerschein zu besitzen, weil der Alkohol mich zu einem unverantwortlichen Mann machte.

Verlust des Führerscheins

Im Februar 1991 verbrachte ich ein ganzes Wochenende in Nürnberg. Es gab eine regelrechte Sauferei. Am Sonntagabend kehrte ich per Anhalter nach Stuttgart zurück. Ich wusste, dass ich am Montag zur Arbeit gehen sollte. Trotzdem wollte ich noch etwas feiern. Ohne viel nachzudenken, stieg ich in mein Auto ein und fuhr los um mich noch ein Stück zu besaufen. Ich hatte natürlich nicht im Kopf, was mich am nächsten Tag erwartete. Ich achtete auch nicht darauf, dass ich mich unter Alkoholeinfluss ans Steuer setzte, als ob meine Angetrunkenheit gar keine Rolle gespielt hätte. Ich musste es doch nicht tun. Wenn ich trinken wollte, konnte ich zu Fuß in die Kneipe gehen. Die Bars waren nicht so weit entfernt. In jener Zeit hatte die Vernunft in meinem Leben kaum etwas zu sagen.

In der Kneipe begegnete ich einem Typ, der mir ganz ähnlich war – gleich sorglos und leichtsinnig. Er passte mir als Mittrinker, weil er sich in einen Alkoholrausch flüchten wollte. Nachdem wir ein paar Gläser Wein intus hatten, entschlossen wir uns dazu in die Disco zu fahren. Als ich fuhr, gerieten wir zweimal heftig ins Schleudern. Mein frisch getroffener Kollege schlug vor das Auto zu fahren, weil er nicht so betrunken war. Ich stimmte zu. Ich hatte gar keine Ahnung, wen ich ans Steuer gelassen hatte. Es stellte sich nämlich heraus, dass er keinen Führerschein hatte und obendrein gar nicht wusste, wie man ein Auto fuhr! Er fuhr in Schlangenlinien wie eine Viper. Ich wurde plötzlich nüchtern vor Entsetzen. Ich schrie ihn an, dass er anhalten sollte. Er reagierte aber nicht, als ob er hypnotisiert gewesen wäre oder nicht gewusst hätte, wie man das Auto zum Halten bringt. Unsere Lage wurde dramatisch. Glücklicherweise wurden wir von der deutschen Polizei angehalten. Die Polizisten führten eine Razzia durch.

Unsere verrückte Fahrt bekamen viele Leute zu sehen, auch wenn es schon gut nach Mitternacht war. Jemand rief die Polizei. Die Gesetzeshüter fanden uns ziemlich schnell und versperrten uns den Weg. Als mein Kollege, der Ostdeutsche, sie sah, hielt er das Auto an, schnallte sich ab und setzte sich auf meinen Schoß. Vielleicht wollte er ihnen vorgaukeln, dass er nicht am Steuer saß. Die Polizisten aber ließen sich nicht betrügen. Ich schubste ihn zurück in den Fahrersitz und überhäufte ihn mit schweren Beschimpfungen auf Deutsch. Wir wurden aus dem Auto gebracht. Die Polizeibeamten konfiszierten den Autoschlüssel und meinen Führerschein, weil mein Begleiter ein solches Dokument natürlich nicht besaß. Uns wurden hinten Handschellen angelegt, wie man es mit Verbrechern tut. Wir wurden zum Streifenwagen gepackt. Die anderen Polizisten kümmerten sich um mein Auto und stellten es auf einem Parkplatz in der Nähe meiner Wohnung ab. Der Arzt ließ mit der Blutabnahme unseren Alkoholpegel messen. Ich hatte 3 Promille im Blut. Der in der Kneipe getroffene Kollege hatte nur die Hälfte – 1,5 Promille.

Später fand eine Gerichtsverhandlung statt. Ich wurde mit einem Bußgeld in Höhe von 2000 DM bestraft. Mir wurde der Führerschein entzogen. Es gab keine Entschuldigung für mich. Ich ließ eine Person mein Auto fahren, die einerseits betrunken war und andererseits keine Fahrberechtigung hatte. Darüber hinaus saß ich neben dem Fahrer, obwohl ich unter Alkoholeinfluss war, und schon damit verletzte ich das deutsche Recht. Zu allem Überfluss versuchte der Kollege seine eigene Haut zu retten und gab zu, dass ich selbst vorher am Steuer saß. Ich war schon erledigt und hatte keine Chancen ungeschoren davonzukommen.

Dass mich der Kollege auffliegen ließ, half ihm selbst kaum. Ihm wurde für drei Jahre verboten den Führerschein zu machen. Mir erging es viel schlimmer. Später stellte es sich heraus, dass meine Strafe viel höher war als das Urteil besagte. Zu jenem Zeitpunkt war es mir aber noch nicht klar.

Noch vor der Gerichtsverhandlung verabreichte ich meinem Begleiter von der Trunkenheitsfahrt eine tüchtige Tracht Prügel. Es ging nicht darum, dass er dazu beitrug, dass ich mich von meinem Führerschein verabschieden musste. Er klaute die Brieftasche von meinem Bruder Janusz, der zu dieser Zeit bei mir zu Gast war. Obwohl er mir dazu verhalf, meinen Lappen loszuwerden, war mir nicht klar, dass ein frecher Bengel war. Ich lud ihn einmal in meine Wohnung ein und schuf ihm somit die Gelegenheit zum Klau. Vor dem Gerichtsverhör bat er mich darum, dies nicht zu erwähnen. Ich hatte keinen Grund das preiszugeben, weil ich den Kerl schon früher dazu zwang, die gestohlenen Sachen zurückzugeben. Ich tat es aber so brutal, dass sich selbst mein Bruder Janusz für ihn aus Mitleid einsetzte. Sonst hätte ich ihn vielleicht erschlagen. Ich kann Diebe nicht ertragen!

Für die Gerichtsverhandlung bekam ich zwar einen Anwalt, aber seine Unterstützung war rein theoretisch, weil man im Voraus wusste, dass die Sache verloren war. Er war nur in der Lage, die Höhe des Bußgeldes zu reduzieren – von 3000 DM auf 2000 DM. Das bekam ich aber gar nicht zu spüren, weil der andere Tausender in die Tasche des Anwalts floss. Nach einem Jahr konnte ich mich um die Rückgabe des Führerscheins bemühen. Die Voraussetzung war aber, dass ich bei der Medizinisch Psychologischen Untersuchung (MPU) gut abschneide. Die Tests sollten meine Abstinenz und somit die Fähigkeit bestätigen am Straßenverkehr teilzunehmen ohne ein Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer darzustellen. Ich sollte also mit dem Trinken aufhören, um die Sicherheit von anderen Straßennutzern nicht zu gefährden. Man stellte mich vor eine Unmögliches Aufgabe: das Trinken aufzugeben.

Sicherlich bewahrten mich die deutschen Behörden vor einer unvermeidlichen Tragödie, indem sie mir den Führerschein entzogen. Meine zunehmende Alkoholabhängigkeit sorgte dafür, dass ich etliche Hinweise des gesunden Menschenverstandes ignorierte. Ich war nicht in der Lage, der Sucht zu widerstehen. In meinem Leben brach eine lange, dunkle Nacht heran. Im Laufe dieser Nacht tauchten zwar einige Hoffnungsschimmer auf, aber sie waren nur kurzfristig, weil ich mich nicht geistig darauf einließ. Ich musste noch viel lernen um meinem eigenen Verfall Einhalt zu gebieten. Meine Selbstvernichtung schritt unabwendbar fort. Um mich zu retten, musste ich zunächst meinem Problem auf den Grund gehen. Das war nicht einfach, weil ich ständig in der Lüge lebte. Die Nacht meines Lebens dauerte sehr lange an – mit kurzen Unterbrechungen hielt sie bis 21. Mai 2007. Dann verging die Finsternis plötzlich, und es folgten die hellsten Tage. Es war ein unglaubliches Phänomen und ein richtiges Wunder, dass ich der Falle der Alkoholsucht entkam.

Gottlosigkeit und Trunksucht

Als ich im Laufe der Gerichtsverhandlung sagte, dass ich in Deutschland bisher keine Probleme hatte, reagierte der Richter überhaupt nicht darauf. Für ihn hatte es gar keine Bedeutung. Im Mittelpunkt war die Tat, die ich begangen hatte. Er erwiderte nämlich: „Aber jetzt bekommen Sie Probleme, und zwar große“. Ich wusste nicht, was der Richter damit sagen wollte. Ich glaubte, dass die Bußstrafe und der Entzug des Führerscheins, welchen ich in einem Jahr wiederbekommen konnte, noch keine Katastrophe für mich waren. Wie sollte ich also seine Worte verstehen? Was meinte er damit?

Nach einem Jahr unterzog ich mich zum ersten Mal dem Idiotentest, der überprüfen sollte, ob ich ein vertrauenswürdiger Abstinent war, und ob man mich wieder zum Autoverkehr zulassen konnte. Auf die Untersuchungen war ich aber gar nicht vorbereitet, und es bestand kein Grund mir den Führerschein zurückzugeben. Ich hatte einen Dolmetscher, weil ich die schwierigen Tests mit meinem Sprachniveau kaum bewältigen konnte. Komischerweise bemühte ich mich darum, zu den Tests zugelassen zu werden, obwohl ich gar nicht mit dem Trinken aufgehört hatte. Daraufhin fiel ich bei den Tests durch und verlor nur umsonst Zeit und Geld.

 

Die Wiedererlangung des wegen der Trinkereifahrt entzogenen Führerscheins ist in Deutschland viel kostspieliger als die Ausstellung eines neuen Dokuments. Ich sollte mich in einen ordentlichen Menschen verwandeln und die Wiedererlangung des Lappens beantragen. Leichter gesagt als getan. Ich fing an zu begreifen, was der Richter meinte. Die Probleme, die er ansprach, waren die schrecklichen Kämpfe mit mir selbst auf Leben und Tod. Um einen würdigen Platz auf der Erde zu genießen, musste eine Person wie ich diesen Kampf führen. Zu jener Zeit hatte ich keinen blassen Schimmer von den Problemen, die mich erwarteten. Ich wusste noch gar nicht, dass mich der Verlust des Führerscheins zu einer grausamen Konfrontation mit meinen eigenen Trinkgewohnheiten führen würde. Wie sich später herausstellte, hatte ich gar keine Chancen diese Auseinandersetzung zu gewinnen. Ich hegte lediglich eine trügerische Hoffnung. Ich bemühte mich nicht allzu sehr darum, das Problem in mir loszuwerden, weil ich einfach meinen Führerschein zurückhaben und gleichzeitig Alkohol im großen Stil genießen wollte.

Ich glaubte nicht mehr an Gott und spottete über die heiligen Werte. Um die Kirchen machte ich einen großen Bogen. Stattdessen prügelte ich mich in den Kneipen mit den größten Schlägertypen und Raufbolden und manchmal auch mit ihren Bandenführern. Ich war ein Stammbesucher von Spelunken und den anrüchigsten Saufbuden. Es machte mir Spaß, wenn dort etwas los war und ich im Mittelpunkt der Schlägerei sein konnte. Ich konnte mir kaum vorstellen, den Alkohol in Ruhe zu trinken.

In jener Zeit hatte ich noch eine komische Gewohnheit. Nachts verließ ich meine Wohnung und ging um Mitternacht auf dem Friedhof spazieren. Insbesondere genoss ich das im Vollmond, aber die dunkle Nacht gefiel mir auch gut. Es ging mir wahrscheinlich darum, meinen Geist abzuhärten.

Eines Tages hätte ich beinahe einen größeren und stärkeren Mann umgebracht. Hätten die anderen nicht eingegriffen, hätte ich ihn jetzt auf dem Gewissen. Meine Schwester und mein Schwager kennen diese Geschichte allzu gut, weil sie in der Osterzeit stattfand. Der Mann meiner Schwester, Krzysztof, rettete ihm das Leben, indem er ihn zum Arzt begleitete. Eine ähnliche Situation widerfuhr mir in Katowice noch vor der Auswanderung. Die beiden Kerle hatten eines zusammen, und zwar eine große Lust daran, mich zu verprügeln. Beide kamen aus der Hauptstadt Oberschlesiens. Ich glaube, dass sie mich nie vergessen werden, und nicht nur sie. Dreimal bekam ich selbst Prügel, aber ich war dann so betrunken, dass ich einfach keinen Widerstand leisten konnte. Ich machte mir darum sowieso keine Sorgen. Ich wusste, dass ich in einer Welt lebte, in welcher das Faustrecht galt.

In dieser schlimmen Zeit hatte ich ein taubes Ohr für diejenigen, die zu mir von Gott sprachen. Ich machte mich lustig über sie. Manchmal im Suff scherzte ich sogar über Gott, was selbst die degeneriertesten Schurken zum Entsetzen brachte. Ich konnte nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden. Mir war es schon egal, was auf mich zukommen würde. Es ging mich nichts an, dass ich meine Zeit und mein Geld verschwendete, weil ich in meiner verlogenen Welt viel Spaß hatte. Mir ging es bislang doch nicht so schlecht. Der Verfall meiner Persönlichkeit schritt fort. Allerdings wurde der Kern von mir nicht berührt. Ich war nämlich immer ein ehrlicher Mann, und diese Tugend ließ sich mir nicht entziehen.

Die Verkündiger „der Wahrheit“

Mit der Agitation der Zeugen Jehovas hatte ich zum ersten Mal noch in Polen, vor der Auswanderung, zu tun. Eines Sonntagnachmittags kamen sie zu meinem Haus und fingen an, eine „frohe Botschaft“ zu verkünden. Ich überlegte, ob ich sie nicht verjagen sollte, wie es Onkel Władek tat. Sie machten jedoch einen sehr guten Eindruck auf mich, und aus Höflichkeit ließ ich sie sprechen. Ich lud sie nach Hause ein. Ich ließ mich von ihnen zu einem ersten Gespräch überzeugen. Genau das war der gleiche Fehler, den diejenigen machen, die in die Fänge der Sekten geraten. Das kann man auch mit der ersten Heroinspritze vergleichen. Schon dieser Schritt kann bedeuten, dass man sich von seinem bisherigen Leben trennen muss.

Was mich angeht, war ich immun gegen diese Sekte. Diesen Abtrünnigen Widerstand zu leisten gehörte nämlich zur Tradition meiner Familie. Ich wusste aber nicht, dass man den Feind nicht unter das eigene Dach einladen darf. Ehrlich gesagt, waren mir viele Sachen nicht klar, und ich musste viel lernen. Es gibt trotzdem Regeln in unserem Leben, die man nicht verletzen soll, weil man weiß, dass es niemandem zugutekommt. Man verletzt sie aber manchmal bewusst aus purer Neugier. Und neugierige Katzen verbrennen sich die Tatzen.

Im Laufe des Gesprächs merkte ich, dass die Verkünder der „frohen Botschaft“ gute psychologische Kenntnisse hatten. Sie wussten genau, wie man einen Menschen moralisch aufrichten konnte. Die Zeugen Jehovas waren höflich, nett und herzlich. Sie benutzten keine umgangssprachlichen bzw. vulgären Ausdrücke. Ihre Sprache war ausgewogen. Wenn man sich mit solchen Menschen unterhält, erscheint die Welt plötzlich etwas schöner. Es taucht die Hoffnung auf, dass alles von nun an ziemlich gut laufen könne. Ihrerseits gibt es nur eine Voraussetzung: Man darf sich nur mit den Gleichdenkenden umgeben und muss sich von jedem distanzieren, der eine abweichende Meinung vertritt. Man kann sich schon ganz gut vorstellen, was sich dahinter verbirgt. Es geht nämlich darum, den Kandidaten für die „Erlösung“ zu isolieren, damit er ausschließlich unter der Kontrolle der Sekte steht. Es reicht aus, ein einziges Gespräch mit ihnen zu führen, und man gibt ihnen damit einen Spielraum dafür, ein wenig Zweifel in den Menschen entstehen zu lassen. Dass man genau weiß, wer sie sind, und dass man sie nicht ernst nimmt, kann manchmal nicht ausreichen. Auch diejenigen, die gegen jegliche Ideologie besonders widerstandfähig sind, sind sich manchmal nicht bewusst, was für eine Geheimwaffe die Zeugen Jehovas zur Verfügung haben. Man kann mit dieser Sekte in Konflikt geraten, der allmählich zu einer hoffnungslosen Falle wird. Viele tappen gerade in diese ausweglose Falle und locken andere hinein. Vielleicht wussten die Opfer einst, wer die Zeugen Jehovas sind, und dass man auf sie aufpassen soll, aber eines Tages überschätzten sie ihre Kräfte. Sie kamen mit ihnen ins Gespräch, vielleicht um sie einfach zu verspotten. Und es passierte etwas, was sie nicht erwarteten. Sehr schnell sind sie schon so gut wie erledigt, weil sie sich zu einem Glauben überreden ließen, der weder mit der Wahrheit Gottes noch mit einem sinnvollen Alltagsleben etwas zu tun hat.

In Deutschland trat mein Kollege Waldek den Zeugen Jehovas über Nacht bei, weil die Sekte ihm im Gegenzug eine schöne Frau versprach. Aus diesem Grund verkaufte er seine Seele. Ich besuchte mit ihm ein paar Mal die Versammlungen dieser Sekte in dem sogenannten Königreichssaal. Ich machte eine gute Miene zum bösen Spiel. Die Verkünder des Armageddon außerhalb der Erlösung baten mir eine Reihe von schönen Frauen an, damit ich eine von ihnen zu meiner Frau machte. Die Mädels schauten mich mit den vergeblich mit der Nächstenliebe erfüllten großen Augen an. Als ich sie mir anguckte, spürte ich etwas Unbeschreibliches, etwas wie ein Verlangen, irdische Leidenschaften und weibliche Gelüste loszuwerden. Die stets verdrängten Gefühle suchten einen Ausweg. Sie sehnten sich immer nach einem mutigen, großherzigen Ritter, der eine biblische Wahrheit leben und sie von der Gefangenschaft der Seele befreien würde. Ich schaute mir diese Sklavinnen der Ideologie nie genauer an, und war mir nicht sicher, was genau sie dort suchten. Vielleicht würden sich viele Frauen gerne von dieser Sekte befreien, ihnen fehlte aber der Mut die Flucht zu wagen. Ihre schönen Augen konnten ebenso täuschen und eine Falle für Männer wie mich darstellen.

Ich muss trotzdem zugeben, dass mir diese Mädels sehr gut gefielen. Jede von ihnen war sofort greifbar, und ich hätte theoretisch eine schöne, nette, gottesfürchtige und treue Frau heiraten können. Auf diese Art und Weise hätte ich mein streitlustiges Leben etwas stabilisieren können. In dieser Entscheidung sah ich fast nur Vorteile. Ich konnte mir aber auch vorstellen, was für einen riesigen Preis ich dafür bezahlen müsste, und zwar zu Kosten meiner Freiheit. Und meine Freiheit würde ich mir um keinen Preis nehmen lassen. Man kann seine Freiheit nur dann bewusst verkaufen, wenn man auch in der Lage ist, eigene Seele zu verkaufen. Ich war es nicht. Mir war es lieber, überhaupt nicht zu glauben, als ein Heuchler zu sein.

Diese Gesellschaft folgte mir sehr viele Jahre. Ich beschwerte mich aber nicht darüber. Immer wenn ich nichts zu tun hatte, konnte ich auf sie zählen. Während der Gespräche mit den Zeugen Jehovas leerte ich vor ihren Augen unzählige Alkoholflaschen. Sie tranken nie mit und begleiteten mich nur in meiner Sucht. Manchmal bekam ich den Alkohol von ihnen geschenkt. Sie wussten allzu gut, dass er mein Tröster war. Sie hofften stets, dass ich ihrer Gemeinschaft beitrete. Wenn sie endlich mitbekamen, dass ich sie lediglich verführte, gaben sie auf. Einige von ihnen waren aber regelrecht beleidigt, dass sie mit mir so viel Zeit vergeudet hatten.

„Du wirst noch vor Ihm knien“

Als ich Polen im Jahre 1993 besuchte, war ich auf dem Markt in Bolesławiec. Meine Aufmerksamkeit lenkte sich auf einen Tisch mit den Broschüren über Jesus Christus. Ich guckte sie kurz an und schaute auf das Gesicht eines Jungen, der am Tisch saß. Ich weiß nicht, ob er diese Broschüren verkaufte oder aushändigte. Das war mir ohnehin nicht sehr wichtig. Ich machte mich lustig über die Bücher und sagte: „Ich sehe, dass du auch einige Bänder über Jesus hast?“ Seine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Er erhob sich aus dem Stuhl, zeigte mit dem Finger auf mich und sagte mutig: „Du wirst noch vor Ihm knien!“

Ich wusste nicht genau, was er meinte. Ich war zu dem Zeitpunkt fast ein Atheist und hatte keine Ahnung, wieso ich vor etwas knien sollte. Daher wollte ich ihm rundheraus sagen, was ich von seiner Aussage hielt. Ich wollte ihn ordentlich zurechtweisen und mit dem Tisch rütteln, damit er mich nicht vergaß. Leider konnte ich nichts tun. Ich war wie angewurzelt. Ich konnte auch nichts mehr sagen. Ich sah sein ernsthaftes und selbstsicheres Gesicht ohne das geringste Zeichen einer Unsicherheit. Ich wiederum bekam Angst, weil ich den Eindruck hatte, dass ich mit irgendeiner riesigen Kraft zu tun hatte, die ich mit meinem Verstand nicht nachvollziehen konnte. Ich verstand gar nicht, was gerade geschah und ging weiter ohne etwas zu sagen.

Noch am selben Tag dachte ich über diesen Vorfall nach und analysierte alle Details. Ich wusste damals genau, was für ein Mensch ich war. Ich ließ mich weder von den Worten eines Jungen noch von ihm selbst erschrecken. Er war doch kein Arnold Schwarzenegger. In der Regel war ich es, der über jemanden spottete, um sich gut zu amüsieren und hatte vor keinem Krach Angst. Vielleicht sprach ich ihn an um ihm etwas Peinliches zu sagen. Hätte er gekontert, so hätte ich es definitiv nicht verschwiegen und diesen Ort nicht so ruhig verlassen. Wenn ich ihn nicht verprügelte und den Tisch nicht rüttelte, sollte ich ihm zumindest irgendwie pampig antworten, um den Schein zu retten. Er drohte mir doch mit Jesus, und ich erwiderte nicht. Ich fragte gar nicht, was es heißen würde vor Jesus zu knien. Ich konnte nichts tun, weil ich fühlte, als ob irgendeine Hand auf meiner Brust gelegen hätte, um mich davon abzubringen, etwas Schlechtes zu sagen oder zu tun. Mir kamen dann die Jahre meiner Jugend in Erinnerung, wenn ich in die Kirche ging und den Religionsunterricht besuchte. Vielleicht gab mir der von mir abgelehnte Jesus selbst zu verstehen, dass Er tatsächlich existierte und immer noch auf mich wartete?