Za darmo

«1906». Der Zusammenbruch der alten Welt

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Das Ultimatum in Italien

Die Nachricht von dem Gefecht auf der Reede von Apia war, ebenso wie in Berlin, am Nachmittag des 18. März in Rom eingetroffen und hatte dort große Erregung hervorgerufen. Handelte es sich doch, wenn es zu dem anscheinend unvermeidlichen Kriege zwischen England und Deutschland kam, um die Frage, welche Stellung Italien zu seinem Dreibundsgenossen einnehmen würde. Der erste Eindruck war lediglich der einer gewaltigen Bestürzung, und der Schrecken vor dem nahenden Unglück eines Krieges übte einen lähmenden Druck aus. Dazu kam, daß man dank des englischen Kabelmonopoles ja nicht einmal die volle Wahrheit kannte, man mußte also nach den vorliegenden Nachrichten Deutschland für den Staat halten, der durch seine schroffe Haltung den Zwischenfall von Samoa provoziert hatte. Daraus ergab sich auch, daß irgendwelche Begeisterung nicht aufkommen konnte; man fühlte sich wider seinen Willen von dem Verbündeten im Norden in eine Krisis hineingezerrt, deren Ausgang nicht abzusehen war.



Ebenso wie in Berlin, war die Nachricht aus Samoa während der Sitzung des Parlaments bekannt geworden. Der Ministerpräsident hatte schleunigst die Sitzung verlassen und war ins Königliche Palais gefahren. Als die Sitzung vorzeitig schloß, verließen die sozialdemokratischen Abgeordneten den Saal unter Hochrufen auf Frankreich. Da keine formulierten Abmachungen vorlagen über Italiens Verhältnis zu England, man sich aber an die Versprechungen, gelegentlich des Besuchs Eduards VII. im Quirinal bezüglich der Erwerbung von Tripolis erinnerte, so waren die Sympathien für beide in dem Drama von Samoa beteiligten Mächte geteilt. Man wußte, daß, sobald das Bündnis wirksam würde, das englische Mittelmeergeschwader mit dem Angriff auf italienische Häfen keinen Tag zögern würde.



Auf den Straßen wogten dichte Menschenmassen hin und her, und in den Kaffeehäusern wurde die politische Lage eifrig diskutiert. Erst spät ward der Platz vor dem Quirinal leer. Der Ministerpräsident, der abends um 8 Uhr vom König zurückkehrte, wurde auf der Straße Gegenstand lebhafter Ovationen, in die Hochrufe auf Deutschland mischten sich aber auch solche auf England und das dem Volksempfinden doch immerhin näher stehende Frankreich.



Auch der 19. März verlief ohne eine Entscheidung zu bringen. Man erfuhr nun allerdings aus Paris die ganze Wahrheit über das Gefecht vor Apia und über den schließlichen Sieg der deutschen Schiffe. Außerdem trafen Meldungen ein, die von einer Mobilisierung der englischen und französischen Flotte wissen wollten. Während man in London alle wichtigen Depeschen zurückhielt, hatte man eine wohl absichtlich passieren lassen, nämlich die Meldung der „Times“, daß guten Informationen zufolge, die englische Regierung es nicht dulden werde, daß Deutschland auf Bündnisverträge aus früherer Zeit zurückgreife, da es vor Apia nicht der Angegriffene, sondern der Angreifer gewesen sei. Das konnte nur als eine Warnung an Österreich und Italien aufgefaßt werden.



So verging der 19. März unter allgemeiner Unruhe. Der Ministerpräsident hatte erklärt, er sei vorläufig nicht in der Lage eine Interpellation in der Kammer zu beantworten, bevor nicht die Regierung nähere Nachrichten über die Vorgeschichte der Krisis erhalten habe. Ein anscheinend offiziös inspirierter Artikel der „Tribuna“ aber erklärte, daß ein Konflikt mit irgend einer Macht Italiens Heer und Flotte vollauf gerüstet finden würde. Aus Spezzia und aus Neapel, wo das zweite Geschwader der Manöverflotte im Hafen lag, erfuhren die Zeitungen, daß dort alle Vorbereitungen getroffen würden, um eine schleunige Mobilisierung der Flotte vorzubereiten. Wo sich Truppenabteilungen auf der Straße zeigten, wurden sie von der Menge mit begeisterten Ovationen empfangen, und besonders die Marineoffiziere wurden in den Cafés als politische Orakelspender eifrig umlagert und ausgeforscht.



* *

*

Ein herrlicher Frühlingstag ging in Neapel zu Ende. Glutrot verschwand die Sonne hinter dem Kimm des tiefblauen Meeres, mit ihrem Glanz alle Vorgebirge und Bergspitzen vergoldend und das weiße Häusermeer der Stadt mit ihren letzten Strahlen überschüttend. Die leichte Rauchwolke über dem Vesuv begann sich bereits an der inneren Glut des Berges rötlich zu färben. Wer dieses einzig schöne Schauspiel oben von der Höhe des Castel St. Elmo genoß, dem ward es schwer, sich angesichts dieses Bildes tiefsten Friedens in den Gedanken zu versetzen, daß vielleicht innerhalb weniger Tage die Fluten des Krieges wiederum gegen diese sonnigen Gestade heranbranden könnten. Von unten her aus der Stadt drang das Geräusch der Volksmenge, die auf den Straßen hin und her zog. Ab und zu verdichtete sich das leise Brausen zu explosiv wirkendem Geschrei, wenn hier und da sich dichtere Gruppen um einen Redner zusammenschlossen, der wie ein hüpfender Punkt über der dunklen Masse der Köpfe schwamm. Unten am Hafen wo die vier schweren Panzer still auf der blauen Flut lagen, und vor den Kasernen am Castel Nuovo sah man die Menschenmenge sich stauen.



Während der Abend herabsank auf die bella Napoli wurden drüben in der Meerenge, wo Capri in einem blauen Meere von Dunst und Sonnengold schwamm, einige Rauchwolken sichtbar und beim letzten Schimmer des Tages sah man am Horizonte eine Reihe massiver Schiffskörper auftauchen. Drunten in der Stadt konnte man sie nicht mehr bemerken, dort lag bereits alles im Dunkel. Es fiel allerdings auf, daß man am Hafen die Ankunft des fälligen Dampfers aus Messina vergebens erwartete. Dieser, der Postdampfer „Calabria“, war nämlich von einem Teil des englischen Mittelmeergeschwaders unterwegs angehalten worden, welches in der Stille der Nacht langsam bis auf die halbe Entfernung zwischen Capri und Neapel herandampfte.



Gegen 11 Uhr abends legte in Neapel am äußersten Molo eine kleine pustende Dampfpinasse des englischen Kreuzers „Dido“ an. Ein Leutnant stieg an Land, meldete im Auftrage seines Kommandanten auf dem Hafenamte das Eintreffen des englischen Kreuzers auf der Reede und begab sich hierauf von der Menge, die englische und italienische Marineuniformen nicht unterscheidet, unbeachtet auf das Telegraphenamt. Hier gab er nach Rom an die Adresse des englischen Botschaftssekretärs Hopkins folgende Depesche auf:



„Bin um 5 Uhr 58 Neapel eingetroffen und hoffe morgen mittag 12 Uhr Bescheid, wann meine Braut in Rom eintrifft“.



Der Telegraphenbeamte beförderte diese Depesche unbeanstandet, ohne zu wissen, daß Admiral Beresford damit dem englischen Botschafter am Quirinal mitteilte, daß er mit dem Geschwader von fünf Panzern, fünf Kreuzern und acht Zerstörern auf der Reede liege und bis zum 20. März mittags 12 Uhr Bescheid darüber erwartete, ob er gegen die italienischen Schiffe die Feindseligkeiten beginnen sollte. Noch bevor auf dem Hafenamte eine Ordonnanz aus dem Marinekommando eingetroffen war um den Führer der englischen Pinasse dorthin zu bitten, war diese bereits wieder lautlos im Dunkel der Nacht verschwunden.



Trotzdem die Ankunft des englischen Kreuzers, wie sie ihm das Hafenamt gemeldet hatte, den kommandierenden Admiral der zweiten Division des Manövergeschwaders stutzig gemacht hatte, nahm er, im Vertrauen darauf, daß ein einzelnes Schiff, gegenüber einer so starken Verteidigungsflotte, dem Hafen keine Gefahr bringen konnte, an dem Festmahl im Marinekasino teil, welches bis tief in die Nacht hinein dauerte, weil die widerstreitenden Ansichten der Offiziere über den Ausgang der politischen Krisis dem Gespräch immer neue Nahrung gaben.



* *

*

Während ein fahles Dämmerlicht den heranbrechenden Morgen in der römischen Hauptstadt ankündigte, fuhr ein schlichter Wagen vor dem Ministerium des Auswärtigen in Rom vor. Der englische Botschafter ließ den italienischen Minister um eine dringende Unterredung im Auftrage seiner Regierung ersuchen. Eine Viertelstunde später standen sich beide Männer gegenüber. Der Engländer griff kurz zurück auf die Vorgänge in Samoa und erinnerte daran, daß der deutsche Kreuzer die englischen Schiffe angegriffen habe. „Es ist uns bekannt,“ fuhr er fort, „daß gewisse Bündnisverträge aus früherer Zeit bestehen, die Italien verpflichten könnten, Deutschland seinen militärischen Beistand zu leihen. Soweit wir diese Verträge kennen, kommt der Bündnisfall jetzt nicht in Frage, da Deutschland der Angreifer gewesen ist. Da um diese Stunde aber vielleicht (I suppose) die Feindseligkeiten in der Nordsee schon ausgebrochen sind, ist es für uns von Wert, zu wissen, welche Haltung die italienische Regierung einzunehmen beliebt. Wir können leider (I regret sincerely) nicht darauf warten, ob sich Italien auf die eine oder die andere Seite schlagen, oder neutral bleiben wird. Wir müssen daher darauf bestehen, eine klare Antwort zu erhalten und zwar bis heute mittag um 12 Uhr, da bereits die nächsten Stunden schwere Entscheidungen für uns enthalten können. Ich bin daher beauftragt von meiner Regierung,“ der Botschafter erhob sich und stützte die rechte Hand auf den Schreibtisch des Ministers, „dem italienischen Ministerium des Auswärtigen folgendes zu unterbreiten:



In der verflossenen Nacht hat unser Mittelmeergeschwader Aufstellung genommen auf der Reede von Neapel und vor dem Kriegshafen von Tarent; gleichzeitig wird ein Teil der mit uns verbündeten französischen Flotte vor Spezzia erscheinen und ist beauftragt, Maddalena zu observieren. Wir sind gezwungen, diese Maßregeln zu ergreifen, um zu verhüten, daß die italienische Regierung, von Berlin aus beeinflußt, eine feindselige Haltung gegen uns einnimmt. Ich bin beauftragt, folgende Forderungen zu stellen: Die italienische Regierung erklärt, daß sie in dem jetzt ausgebrochenen Kriege völlig neutral bleiben will. Als Pfand für diese Versicherung fordern wir, daß uns für die Dauer des Krieges die Benutzung des Kriegshafens von Venedig als einer eventuellen Operationsbasis für unsere Flotte gegen die österreichischen Kriegshäfen von Pola und Triest eingeräumt wird. Diese Benutzung hat nur soweit zu gehen, als unseren Schiffen erlaubt wird, in Venedig Kohlen zu nehmen und kleinere Reparaturen auszuführen. Ich bin beauftragt, die zustimmende Antwort der italienischen Regierung bis 12 Uhr mittags entgegenzunehmen, anderenfalls würden wir gezwungen sein, unsererseits mit dem Angriff auf Neapel und andere Küstenpunkte zu beginnen, während gleichzeitig die französische Flotte gegen Spezzia und Maddalena vorgeht. Ich bitte zu bedenken, daß nach den Mitteilungen, die sich in unserem Besitz befinden, die italienische Flotte dem gegen sie detachierten Teil unserer Marine, sowie dem französischen Geschwader vor Spezzia nicht gewachsen ist. Die Abweisung unserer Bedingungen würde im Laufe des heutigen Tages demzufolge

die Vernichtung der italienischen Marine

 bedeuten und uns wahrscheinlich in Besitz der betreffenden Kriegshäfen setzen.“

 



Tiefes Schweigen herrschte in dem dämmerigen Gemach. Auf den Zügen des italienischen Ministers malte sich eine schlecht verhohlene Bestürzung. Der Engländer stand, die rechte Hand auf der Lehne des Stuhles, wie eine aus Erz gegossene Statue mitten im Zimmer. Der summende Schlag einer Uhr teilte die lastende Stille in kleine Stücke, es war 7 Uhr. Draußen auf der Straße hörte man den hallenden Schrei eines Ausrufers. Der Minister erhob sich und verabschiedete sich von dem Engländer mit den Worten: „Ich werde Sr. Majestät dem König die Vorschläge Eurer Exzellenz übermitteln und bedaure, daß das englische Kabinett uns in die Zwangslage versetzt, unsere Stellung in dem ausgebrochenen Konflikte so schnell zu wählen.“



Mit dem Bemerken: „Die Ereignisse sind stärker als wir“, verabschiedete sich der englische Botschafter.



Als Rom erwachte und seine Bewohner voll Erwartung nach den Zeitungen griffen, um aus ihnen zu erfahren, welche Entscheidung die letzten Stunden gebracht haben könnten, ahnte niemand, daß diese nicht draußen auf dem nordischen Meer, sondern im Königlichen Palais, wo eine ernste Beratung des Monarchen mit dem Gesamtministerium stattfand, bis um die Mittagsstunde fallen mußte. Erst um 10 Uhr wurde in Rom die Nachricht durch Extrablätter bekannt, daß auf der Reede von Neapel am Abend vorher ein englischer Kreuzer eingetroffen sei, und eine Stunde später erfuhr man, daß fünf große englische Panzerschiffe und eine Anzahl kleinerer Fahrzeuge auf der Reede Aufstellung genommen hatten.



* *

*

Um 9 Uhr machte auf der Reede von Neapel der Schiffsleutnant Hamilton dem Kommandanten des englischen Linienschiffes „London“ die Meldung, daß soeben der italienische Panzer „Lepanto“ an der Mole vor dem Arsenal festgemacht habe und daß ein Karrentransport aus dem Arsenale nach dem Schiffe stattfände, woraus zu schließen sei, daß man auf italienischer Seite seine Munitionsbestände ergänze. Aus den Schloten der Italiener quollen schwarze Rauchwolken, man machte Dampf auf. Durch scharfe Gläser konnten die Engländer erkennen, wie die Schutzkappen von den Geschützen entfernt wurden und wie die Mannschaften die Rohre reinigten und putzten. Es herrschte ein emsiges Leben an Bord der vier Panzer: „Lepanto“, „Italia“, „Dandolo“ und „Duilio“, sowie der beiden Kreuzer „Etruria“ und „Lombardia“. Ein schwarzes Torpedoboot verließ in schneller Fahrt den Hafen, dicke Rauchschwaden über den blauen, fast unbewegten Meeresspiegel hinter sich herschleppend. Es nahm den Kurs ums Kap Miseno in der Richtung nach Gaeta. Sonst herrschte eine tiefe, friedliche Stille, und nichts verriet, welche Gefahr von draußen her drohte, nur erschienen die Küstengewässer etwas verödet. Während sonst die Reede von zahllosen Fischerbooten und kleineren Fahrzeugen belebt war, und größere Dampfer und ferne Segler von der See her grüßten, schien jetzt alles Leben auf der Wasserfläche erstorben, nur die wuchtigen, langgestreckten Kriegsmaschinen stießen schwere Packen Rauchs aus, die die leichte Brise langsam in einen hellbraunen Rauchschleier auflöste.



An Bord der Engländer verfolgte man die Vorgänge am Hafen mit größter Aufmerksamkeit. Während bis gegen 9 Uhr auf den Hafenkais und in den anstoßenden Straßen dichte Menschenmassen beobachtet wurden, sah man sie in der klaren, sichtigen Luft plötzlich von einer flimmernden Linie umsäumt, die sich aus den grauen Mauern des Castel Nuovo fadenartig herauszog. Das blitzende Band umschlang die dunkle Masse, schwankte hin und her, schob sich vorwärts und zurück und rückte langsam nach dem Hintergrund des Platzes vor, hinter sich die hellen Flächen des Straßenpflasters leer lassend und allmählich die dunkle Welle in die Straßeneingänge zurückschiebend: Militär mit aufgepflanztem Bajonett räumte die Plätze und Straßen am Hafen.



Gegen 11 Uhr kam von Norden her ein weißer, schlanker Dampfer in Sicht; er schien dem Hafen zuzusteuern und schwebte einsam wie eine weiße Linie über der tiefblauen Meeresfläche. Kurz darauf erschien hinter dem Kap Miseno wieder das Torpedoboot, welches vorhin dort verschwunden war, änderte sofort den Kurs und steuerte auf den weißen Dampfer zu, an dessen Deck man mit scharfen Gläsern die

deutsche Flagge

 erkennen konnte. Gleichzeitig löste sich aus der Masse des englischen Geschwaders ein Torpedoboot los, welches mit voller Fahrt, weiße Schaumberge mit seinem Bug aufwühlend, ebenfalls auf das weiße Schiff zufuhr. Es war ein seltsam aufregendes Schauspiel, dieses Wettrennen der beiden flinken schwarzen Boote um den weißen Dampfer zu verfolgen. Gleichzeitig fast erreichten sie ihn, und fast gleichzeitig blitzte an Bord beider Torpedoboote an dem vorderen Geschütz ein Funke auf, worauf der Deutsche die Maschine zu stoppen schien, denn er ward schwerfällig pendelnd von den Wogen gewiegt. Man schien zu verhandeln. Dann umspielte den vorderen niederen Schlot des englischen Torpedos eine leichte Dampfwolke und sekundenlang später dröhnte der scharfe, bellende Ton einer Sirene zum Lande hinüber. Man sah, wie der Deutsche den Kurs änderte und gefolgt von dem Torpedoboot auf das englische Geschwader zusteuerte, langsam die blauen Wogen zerteilend. Das italienische Torpedoboot fiel allmählich nach hinten ab, folgte zunächst eine halbe Seemeile, machte mürrisch Kehrt und nahm dann unter voller Maschinenkraft Kurs auf den Hafen, wo es nach einer Viertelstunde längsseits des Admiralschiffes „Dandolo“ festmachte, worauf ein Offizier, kenntlich an seinem Säbel, über den er beim Verlassen des Decks stolperte, das Fallreep zum „Dandolo“ hinaufstieg.



Erst später erfuhr man, daß jenes weiße Schiff der Hamburger Vergnügungsdampfer „

Meteor

“ gewesen war, der von Genua kommend hier vor dem Hafen von Neapel von den Engländern abgefangen wurde.



* *

*

Um 11 Uhr wurde in Rom durch Maueranschläge und Extrablätter bekannt gemacht, daß der König in Übereinstimmung mit dem Ministerium die englischen Forderungen

abgelehnt

 habe. Sie wurden im Wortlaut mitgeteilt, mit der angefügten Erklärung:



Aus der Übermittlung des englischen Ultimatums habe sich klar ergeben, daß England entschlossen sei, die Neutralität Italiens in

keinem

 Falle zu achten. Für den Verrat am Dreibund in der Stunde der Gefahr verlange die englische Regierung obendrein noch die Einräumung des Kriegshafens von Venedig, eine Forderung, die ein ehrliebendes Volk mit alten ruhmreichen Traditionen niemals akzeptieren könne. Die königliche Regierung habe sich deshalb entschlossen, die englischen Forderungen abzulehnen und an die Entscheidung der Waffen zu appellieren, zumal das englische Geschwader vor Neapel bereits eine drohende Haltung angenommen habe. Man habe eine Erklärung nach Berlin gesandt, daß Italien auch ohne Rücksicht auf Österreichs Haltung fest entschlossen sei, sein Geschick mit dem des Deutschen Reiches zu verbinden. Der König glaube, aus dem Herzen seines treuen Volkes zu sprechen, wenn er solche Entscheidung getroffen habe, zumal es sich inzwischen, wie man aus Berlin authentisch erfahren, herausgestellt habe, daß der Zwischenfall von Samoa lediglich durch das provokatorische Verhalten der Engländer herbeigeführt sei. Es handelt sich also in Samoa, wie jetzt in den europäischen Gewässern, ganz ohne Frage um einen hinterlistigen Überfall auf Deutschland, den England längst geplant und bereits seit Wochen vorbereitet habe. Eine Drohung, wie sie der englische Botschafter heute morgen dem Minister des Auswärtigen übermittelt habe, mache es der italienischen Regierung unmöglich, weiter den Weg der Verhandlungen zu beschreiten. Man habe daher die Flotte in Neapel und Spezzia, sowie den anderen Punkten, wo ein Angriff drohe, angewiesen, diesen mit den Geschützen zurückzuweisen.



Volksstimmungen sind Augenblicksstimmungen. Das auf der Schwäche der einige Jahre lang stark vernachlässigten italienischen Marine basierende und die Empfindlichkeit eines fremden Volkes so wenig berücksichtigende Vorgehen Englands hatte eine leidenschaftliche Erregung erzeugt, die das Erscheinen der englischen Flotte vor Neapel als eine unerträgliche Beleidigung des italienischen Ehrgefühls empfand.



Brausender Jubel erscholl in den menschengefüllten Straßen; nur ein starkes Aufgebot der Munizipalgarde vermochte die tobende Menge daran zu hindern, in der englischen Botschaft die Fenster zu demolieren. Ausgelöscht, wenigstens in der augenblicklichen Begeisterung, waren auch die alten Sympathien für den französischen Nachbar, seitdem man wußte, daß er gemeinsame Sache mit dem brutalen Angreifer machte. Aber wenn selbst das klerikale Element auf den Straßen teils aus ehrlichem Empfinden, teils in kluger Berücksichtigung der momentanen Volksstimmung, sich an den patriotischen Kundgebungen beteiligte, drüben jenseits der Tiber, dort wo der Papst-König grollend über den Trümmern seiner weltlichen Herrschaft thronte, wo er auch die Leitung der Geister langsam aus seinen Händen gleiten sah, dort blieb alles stumm, dort faßte man diesen Waffengang auch nur als eine historische Episode in dem Weltendrama auf, in dem die Streiter der römischen Hierarchie mit den Kindern der Welt um die letzte Entscheidung ringen.



Die Seeschlacht vor Neapel

Wieder wie vor Jahrhunderten klopfte der Normanne mit eisernem Handschuh an Italiens Pforte, hinter der der Moloch Capua schon so viele Hekatomben blondhaariger Barbaren verschlungen hatte.



Gegen ½12 Uhr sah man die kompakte Masse des englischen Geschwaders sich in eine lange Dwarslinie auflösen und eine halbkreisförmige Stellung auf der Reede von Neapel einnehmen. Die schweren englischen Panzer wandten der Stadt ihre Vorderseite mit den riesigen Turmgeschützen zu, so die denkbar geringste Zielfläche bildend. Während die Torpedoboote bei den Linienschiffen zurückblieben und sich hinter deren schweren Stahlleibern deckten, vom Lande aus somit unsichtbar werdend, dampften die englischen Kreuzer seewärts und zogen sich aus dem Feuerbereich zurück. Zwei Panzerkreuzer an den drei Schornsteinen als Schiffe der „Kent“ – Klasse erkennbar (es waren „Suffolk“ und „Lancaster“) gingen zwischen Ischia und der Küste unter Volldampf nach Nordwesten offenbar um, begleitet von vier kleineren Schiffen und einigen Hochseebooten, gegen etwa von Spezzia heranrückende italienische Streitkräfte zu sichern. Gleichzeitig verließ der italienische Kreuzer „Etruria“, der neben seinem Schwesterschiffe „Lombardia“ lag, seine Boje und fuhr auf das englische Geschwader zu.



Die „Etruria“ hatte den Auftrag dem englischen Geschwaderchef die Aufforderung zu überbringen, mit seinen Schiffen die Reede von Neapel zu verlassen, andernfalls werde man sein Bleiben als eine herausfordernde Handlung ansehen und die nötigen Konsequenzen daraus ziehen. Während aller Augen am Lande und auf dem Geschwader der „Etruria“ folgten und in banger Erwartung der Entscheidung harrten, die die kleine Dampfpinasse des italienischen Kreuzers, die jetzt am Fallreep der „London“ lag, zurückbringen werde, wollten drei französische und vier englische Dampfer diesen letzten Moment benutzen, um den Handelshafen zu verlassen. Noch hatte jedoch das erste Schiff nicht die Mole passiert, als ein Torpedoboot heransauste und die fremden Kapitäne aufforderte, sofort in den Hafen zurückzukehren, worauf der erste Dampfer, ein französischer, alsbald stoppte, Contredampf gab und rückwärts wieder in den Hafen hineinfuhr. Draußen hatte inzwischen die „Etruria“ ihre Pinasse wieder an Bord genommen und steuerte in fliegender Fahrt auf den Kriegshafen zu. An ihrer Seite legte alsbald ein Marineboot an, nahm einen Offizier an Bord und ging hinüber zum „Dandolo“. Die nächsten Minuten mußten entweder den Rückzug der Engländer oder den Beginn des Kampfes bringen. Draußen auf der Reede machte sich keine Bewegung bemerkbar; die bleigrauen englischen Panzerschiffe blieben auf ihren Plätzen liegen, von den Meereswogen sanft hin und her gewiegt.

 



An allen englischen Geschützen standen die Artilleristen, die Ärmel an den sehnigen Armen emporgestreift, bereit dem Feind die todbringende Ladung aus allen Rohren hinüberzusenden. 5 Minuten nach ½1 Uhr ging am vorderen Maste des „Dandolo“ ein Signal hoch, welches sofort von den anderen Schiffen beantwortet wurde; die Schornsteine warfen dicke Ballen Rauch aus, den ganzen Hafen in einen braunen Dunst verhüllend. Die Schrauben gingen an und das italienische Geschwader nahm den Kurs seewärts dem Feinde entgegen. „Etruria“ und „Lombardia“ blieben vor dem Eingang des Kriegshafens zurück. Auf englischer Seite wurden diese Manöver mit größter Aufmerksamkeit verfolgt.



Admiral Lord Beresford hatte die Anweisung, das italienische Geschwader auf die Reede hinauszulocken und dort den Kampf auszufechten, um, soweit es die Rücksicht auf die eigenen Schiffe zuließ, die Stadt Neapel zu schonen. Zehn Minuten nachdem das italienische Geschwader seinen Liegeplatz verlassen hatte, blitzte es aus allen vier Turmgeschützen des „Dandolo“ auf. Heulend sausten die Geschosse heran, das erste ungefähr 400 m vor dem Admiralsschiff auf die Wasserfläche schlagend, einen Moment unter ihr verschwindend und dann dreimal rikoschettierend zwischen der „London“ und der ihr zunächst liegenden „Formidable“ durchfahrend. Eine zweite Granate, ein Zufallstreffer, nahm von der englischen „Venerable“ den ersten Mast und den vorderen Schornstein mit über Bord, auch noch den zweiten zerfetzend. In diesem Moment erging auf allen englischen Schiffen der Befehl zum Feuern, und mit Donnergetöse entsandten die englischen Turmgeschütze ihre Ladungen. Furchtbar war die Wirkung am Lande, wo diese erste meist zu hoch gehende und über die italienischen Panzer hinwegfegende Lage einschlug. Zwei Granaten trafen den dicken Turm der Kaserne des Castel Nuovo, mehrere platzten vor dem Munizipalgebäude, dessen Frontmauer zertrümmernd. Wenige Minuten darauf brannte es im Hafenviertel an verschiedenen Stellen. Die vor dem Hafeneingang liegende „Etruria“ erhielt einen Treffer mittschiffs in der ungeschützten Wasserlinie, worauf der Kreuzer von einem heraneilenden Torpedoboot langsam in den Hafen bugsiert wurde, wo er nach einer Stunde sank.



Die einschlagenden Granaten erzeugten am Land eine furchtbare Panik. Glücklicherweise waren die vom Hafen führenden Straßen bereits vorher durch Militär geräumt, so daß der Verlust an Menschenleben nur gering war. Auch das trotzige Castel dell’Ovo wurde von englischen Granaten schwer heimgesucht. Die wuchtigen Mauern sanken im Rauche explodierender Projektile in sich zusammen, ganze Steinlawinen stürzten ins Meer. In dem brennenden Hafenquartier und oben in der Stadt lärmten und bimmelten die Feuerglocken.



Auf der „Formidable“ waren beide Schornsteine und Masten über Bord gegangen, aber hinter den Panzerwänden arbeiteten die Geschützbedienungen unerschütterlich weiter, ungeachtet, daß der Rumpf des Schiffes für das Laienauge nur noch einem Wrack glich, aus dessen Mitte die Flammen der Feuerungen emporschlugen. Nur widerstrebend entschloß man sich endlich dazu, die „Formidable“ aus der Feuerlinie schleppen zu lassen, denn Maschinen und Artillerie waren fast völlig unversehrt, und aus der grauen Stahlmasse des Panzer lohten unaufhörlich die Blitze der Kanonen. Die englischen Schiffe litten anfangs sehr unter den panzerbrechenden Geschossen der Italiener, so erhielt der „Bulwark“ beim Überholen des Schiffes im Seegange einen schweren Treffer in der Wasserlinie, der ihn nötigte, durch Einnehmen von Wasserballast auf der Backbordseite, die durch den Treffer verursachte Schlagseite nach Steuerbord wieder auszugleichen. Sehr viel schlimmer sah es aber an Bord der Italiener aus. Hier durchbrachen die englischen Granaten ohne weiteren Widerstand die ungepanzerten Bordwände, gingen teilweise glatt hindurch. Und sobald bei der geringer werdenden Entfernung zwischen beiden Flotten die englische Mittelartillerie, der die Italiener so gut wie nichts entgegensetzen konnten, in den Kampf eingriff, wurden die Verluste auf italienischer Seite so groß, daß sie fast alle Viertelstunden eine völlige Neubesetzung der Geschütze nötig machten. Es erforderte starke Nerven für die italienischen Kanoniere sich erst durch förmliche Leichenhügel und die auseinander gerissenen Körper ihrer Kameraden einen Weg an die Ladevorrichtungen bahnen zu müssen. In dem engen Raume der ungedeckten Barbettetürme, wo die riesigen 43 cm-Kanonen standen, watete man tatsächlich in Blut, stand auf zermalmten Leichen und fand in dem Brei menschlicher Gliedmaßen oft nur mit Mühe noch einen festen Standpunkt auf den Ladepodesten. Die Geschoßaufzüge waren durch Blut und verspritzte Körperteile verschmiert, und oft fanden die rastlos laufenden Ketten der Munitionsaufzüge einen Widerstand an Knochenstücken, die in sie hineingesprengt waren.



Dreiviertel Stunde hatte der Kampf gedauert. Auf allen italienischen Panzern klafften breite Schußlöcher und die dunklen Bordseiten waren wie gefleckt durch den gelben pulverartigen Belag, dem Rückstand der englischen Lydittgranaten. Nur hier und da hatte ein italienischer Panzer noch einen Schornstein oder zeigte Reste des Brückendecks, die ein wüstes Gewirr verbogener Stahlbalken, siebartig durchlöcherter Eisenwände und wie Papier zusammengerollter Teile der Reeling darstellten. Dazwischen zerfetzte und zerschmetterte menschliche Körper, ein vom Leibe getrennter Kopf, der die noch intakten Mannschaften, die mechanisch die Ladevorrichtungen handhabten und eine Granate um die andere in den heißen Schlund der Stahlrohre schoben, mit gläsernen Augen anstarrte. Der Panzer „Lepanto“ hatte am Hinterschiffe mehrere schwere Treffer unter der Wasserlinie erhalten; schon leckten die Wellen zwischen den Lücken der Reeling hindurch auf die Decksplatten, sich in dem geronnenen Blut, das an allen Eisenteilen klebte, rotfärbend. Das Vorschiff ragte weit aus dem Wasser, den riesigen Rammsporn zeigend. Außerdem waren die Maschinen auf mehreren Italienern teilweise gebrauchsunfähig geworden.



Die „Lepanto“ lag seit einer Viertelstunde vollkommen still, von den Wellen hin und her getrieben und zwar so, daß sie dem Feinde die Breitseite zeigte. Da flog an dem einzigen Mast des britischen Admiralsschiffes ein Signal hoch. Die ganze Linie der Engländer bewegte sich vorwärts. In den Abständen zwischen den Panzerschiffen erschienen die Torpedoboote und stürzten sich wie eine heulende Meute mit heiserem Schrei ihrer Sirenen auf den todwunden Feind. Die Entscheidung nahte. Zwar versuchten die Italiener in diesen fürchterlichen Minuten, da die dichte Linie des Feindes herandampfte, um dem grausigen Spiel ein Ende zu machen, ihr Feuer zu verstärken, indem sie ihre letzten Reserven in die Barbettetürme schickten, aber zu Dutzenden sah man sie in den Rauchwolken platzender englischer Granaten dahinsinken. Und als die britischen Linien auf Torpedoschußweite heran waren, war es still geworden hinter den stählernen Brustwehren an Bord der Italiener. Auf dem „Duilio“, wo das eindringende Wasser bereits die Maschinen- und Kesselräume füllte – denn weiße Dampfstrahlen fuhren aus den Decksöffnungen und ein paar dumpfe Detonationen ließen erkennen, daß mehrere Kessel explodiert waren – erschien jetzt eine

weiße Flagge

. Das Schiff lag auf dem rechten Flügel und so konnte hier noch Hilfe gebracht werden, indem man durch Sirenensignale die heranstürmenden Torpedoboote zurückpfiff. Zwei Zerstörer legten sich längsseit des „Duilio“ und ein englischer Offizier sprang an Bord, auf dem Trümmerhaufen der zusammengeschossenen Kommandobrücke die englische Flagge aufpflanzend. Von dort sah er, während seine Leute sich mit Eifer an das Rettungswerk machten – denn die Minuten, da das Schiff noch über Wasser aushalten konnte, schienen gezählt – an der „Italia“ und am „Dandolo“ je zwei Torpedos explodieren. Hierauf verstummte auf beiden Schiffen das Geschützfeuer. Die „Italia“ sank zwei Minuten darauf wie ein Klotz mit dem Heck zuerst, im Momente des Sinkens das ganze Vorschiff senkrecht über Wasser in die Höhe richtend und dann in den Wellen verschwindend. „Dandolo“ zeigte kurz darauf die englische Flagge über der italienischen und nur „Lepanto“ kämpfte noch mit einem Geschütz. Da brauste das vom Vizeadmiral Lord Beresford selber geführte englische Admiralsschiff heran und grub seinen stählernen Sporn in die Steuerbordseite des wehrlosen Feindes. Ein Moment, und „L