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«1906». Der Zusammenbruch der alten Welt

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An den Hängen der Basutoberge

Bei ihrem Rückzug nach Süden ins Kapland hatten die englischen Truppen die Eisenbahnen hinter sich zerstört, und der Bahnkörper war durch Dynamitsprengungen überall so zerrissen, daß seine Wiederherstellung mit den geringen Beständen an Schienenmaterial Wochen und Monate in Anspruch nahm. Und auch dann konnte man nur die Linie, die von Bloemfontein über Colesberg nach Süden führte, allein wieder notdürftig in stand setzen, so daß sie für Truppentransporte genügte. Mitte Oktober sollte die allgemeine Vorwärtsbewegung nach Süden beginnen, doch sollte es dazu nicht mehr kommen.

Man hatte bekanntlich zu Anfang des Krieges mit einem allgemeinen Kaffernaufstand gerechnet. Es hatten damals auch mehrere Volksversammlungen stattgefunden, die von den Führern der äthiopischen Kirche geleitet wurden. Da es aber nach einigen Plünderungen von Farmen und vereinzelten Mordtaten bald wieder überall ruhig wurde, hatte man sich der Hoffnung hingegeben, daß man die Offensivkraft der äthiopischen Propaganda doch überschätzt habe, und daß es auf der Seite der Eingeborenen noch an der nötigen Organisation fehle. Diese Auffassung behauptete sich während des Sommers und es schien in der Tat so, als ob das Prestige der europäischen Waffen doch noch so groß sei, daß die Kaffern sich nicht zu einem wirklichen Aufstand entschließen konnten. Allerdings blieben Gehorsamsverweigerungen der schwarzen Arbeiter auf den Farmen an der Tagesordnung und auch die mongolischen Minenarbeiter zeigten sich so aufsässig, daß man genötigt war, sie in einem Stadtviertel von Johannesburg zu internieren und dieses militärisch bewachen zu lassen.

Wenn sich in der Erdrinde vulkanische Eruptionen und Erdbebenkatastrophen vorbereiten, so kündigen sie sich dadurch vorher an, daß die Quellen ausbleiben, und in alten Geschichten ist zu lesen, wie jähes Entsetzen die Menschheit erfaßt, wenn das Quellwasser versiegt und die Lebensadern der Erde plötzlich in blutroter Farbe wieder erscheinen.

Anfang Oktober wurde aus dem gesamten Gebiete, welches die deutschen Truppen und die Burenmiliz besetzt hielten, gemeldet, daß im Zeitraume einer Woche fast sämtliche Kaffern nicht nur aus den Farmen verschwunden seien, sondern daß auch die Viehtreiber und die im Transportdienst beschäftigten Eingeborenen plötzlich davon gelaufen seien. Es war nur in den seltensten Fällen möglich gewesen der Flüchtlinge wieder habhaft zu werden. Es war, als habe der Erdboden die schwarzen Kerle aufgesogen. Der Offensivstoß ins Kapland wurde dadurch vereitelt, daß man sich nunmehr ganz anders einrichten und von der Feldarmee größere Kommandos an den Transportdienst abgeben mußte. Nur ungern entschloß man sich auch einige Hundert von den chinesischen Minenarbeitern einzustellen, aber die harte Notwendigkeit und der absolute Mangel an Arbeitskräften zwang zu dieser Maßnahme. Dann trafen die ersten Nachrichten von größeren Raubzügen bewaffneter Kaffernbanden im Osten der Oranjeriver-Kolonie ein, Geschichten von der scheußlichen Abschlachtung einzelner Farmen und ganzer Dörfer gingen von Mund zu Mund, und verbreiteten einen jähen Schrecken. Diese neue Gefahr bestimmte die deutsche Armeeleitung ein Bataillon, dem sich zwei größere Burenkommandos unter General Delarey anschlossen, östlich der Bahnlinie Bloemfontein-Colesberg zu detachieren und nach Maseru, am Fuße der Basutoberge, vorzuschieben.

Es war kurz nach Sonnenaufgang, als Major Findeisen zusammen mit General Delarey die Vorpostenlinie abritt. In der Nacht hatte sich unter dem Schutze der Dunkelheit eine Kaffernbande an die äußersten Posten herangeschlichen, und es bedurfte bei Tagesgrauen eines energischen Vorstoßes, um den zwischen den Termitenhügeln und dem niedrigen Buschwerk der Steppe versteckten Feind zurückzuwerfen. Auf dem Schauplatze dieses nächtlichen Kampfes hielt Major Findeisen neben Delarey, und beide blickten nach dem im Morgenlichte daliegenden dunklen Höhen des Basutolandes hinüber. Mit seinem Glase suchte der Major die Felsabhänge der Berge ab, da drängte er mit einem Ruck sein Pferd zu Delarey hinüber und reichte ihm das Glas, welches dieser jedoch zurückwies. Delareys scharfe Augen hafteten auch bereits an dem Felsplateau in halber Höhe der Berge, das von einer unermeßlichen Menge Kaffern wimmelte; auch die dahinterliegende Schutthalde war schwarz von Menschen. In der klaren Luft konnte man bemerken, daß den Mittelpunkt dieser Tausende von Kaffern ein einzelner Mann auf einem Felsblock bildete, der anscheinend eine Ansprache hielt. Die ganze Versammlung schien in wilder Bewegung zu sein. Man konnte an dem matten Blinken von Metall erkennen, wie die dunklen Gestalten ihre Gewehre über den Köpfen schwangen.

Petrus Mapanda

Alle Hänge, die breite Fläche des Bergplateaus, alle Klippen und Felstrümmer waren überflutet von einer unendlichen Menge von Kaffern, zwischen denen die hohen Gestalten der Basutoneger um Haupteslänge hervorragten. Alle horchten den Worten des Mannes dort auf dem breiten Felsblock, dem einzigen ruhenden Punkt in dem Gewimmel wolliger Negerschädel. Petrus Mapanda predigte den Vernichtungskrieg gegen den weißen Mann. In seinen Händen hielt der Führer dieses Kaffernaufstandes ein holländisches Bibelbuch und mit weithin schallender Stimme kündete er seinen Hörern die uralte Geschichte, daß Jehovah sein Volk hinausführen wolle aus der Knechtschaft. Wie er allen, die seinen Namen bekennen und seine Gebote halten, das gelobte Land untertan machen wolle, das Land, aus dem ein räuberischer Feind, der auf seinen Schiffen über das Weltmeer gekommen, sie einst vertrieben. Petrus Mapanda erzählte, wie er in der Stille der Bergwüste auf den Gipfeln der Basutoberge einsame Zwiesprache gehalten habe mit Jehovah, der ihm das Schwert in die Hand gedrückt habe. Und der Messias der schwarzen Rasse, vor dem sich alle willig beugten, der gestern noch ein namenloser Kaffer, heute das Haupt der äthiopischen Kirche war, ergriff das Bibelbuch und las:

„Also zogen sie aus von Succoth und lagerten sich in Etham, vorn an der Wüste. Und der Herr zog vor ihnen her, des Tages in einer Wolkensäule, daß er sie den rechten Weg führete, und des Nachts in einer Feuersäule, daß er ihnen leuchtete zu reisen Tag und Nacht.“

Wie ein neuer Moses stand Petrus Mapanda auf dem Felsblock, inmitten der lautlos horchenden schwarzen Menge, die jetzt, als das Bibelwort verklungen, mit lautem Geheul ihre Gewehre in die Luft schwang und dem Propheten, der sie in das gelobte Land hinabzuführen versprach, in wilder Begeisterung zujauchzte. Weit sah man von dem hohen Bergplateau hinab in das flache Steppenland. Die in der klaren Luft deutlich erkennbaren kleinen deutschen Abteilungen, die nach Maseru hineinmarschierten, erschienen von hier oben wie Bleisoldaten aus der Spielschachtel. Vor der Postenkette hielten zwei Reiter, einer in der grau-gelben deutschen Uniform, der andere in dunklerer Kleidung. Man sah, wie mehrere Patrouillen jetzt in der Richtung auf die Berge vorgingen. Auge in Auge stand man sich vor der entscheidenden Stunde gegenüber. Wenn jetzt der schwarze Bergstrom hinunterdonnerte ins Tal, wenn unablässig von oben neue Massen nachfolgten, so mußte ein solcher Wasserschwall die kleine Schar des Feindes erdrücken und ersäufen, mußte das Land überschwemmen und die dunkle Woge weit hinaustragen, mußte alles Leben vor sich vernichten, mußte die Städte niederbrechen und zerstören, was der Fleiß eines Jahrhunderts gebaut. Und Petrus Mapanda begann von neuem, er erzählte, wie der gelbe Mann im fernen Osten ein Riesenreich zu Boden geworfen, wie der Japaner den Russen geschlagen, weil Jehovah von diesem, der seine Gesetze mißachtet und in den Staub getreten, alle Kraft genommen hatte. Jetzt habe Jehovah den Sinn der Feinde der schwarzen Rasse verwirrt, daß sie ihre Waffen im Kriege gegeneinander kehrten. „Die Weißen haben ihr Herz verhärtet gegen die Leiden des schwarzen Mannes, sie haben Gottes Gebote vergessen, haben Gottes Ebenbilder in die Kette der Sklaverei geschmiedet. Wie eine Feuersäule wird der Herr vor uns herziehen während der Nacht und wie eine Wolkensäule während des Tages.“ Der sich an seinen eigenen Worten berauschende Prophet deutete jetzt mit erhobenen Händen hinauf zu dem Gipfel des Berges, den eine Nebelwolke verhüllt hatte. „Seht ihr, dort ist Jehovah, dort ist unser Hort und unsere Hilfe! Seht, er sandte uns ein Zeichen, die Wolkensäule wird vor uns hergehen, wenn wir heute hinabsteigen in die Gefilde, da er die letzten Streitkräfte der Weißen vor uns niederwerfen wird wie Gras, welches in der Sonne verwelkt.“ Und die ragende Gebirgswelt hallte wider von dem begeisterten Schrei der Tausende und Abertausende die Petrus Mapanda jetzt hinabführte nach Etham-Maseru, am Rande der Wüste.

Der schwarze Schrecken

Die Heeressäulen von mehr als hunderttausend Kaffern und Basutos, die über Nacht herabstiegen von den Basutobergen, stießen mit furchtbarem Aufprall auf das Häuflein der Weißen. Mitten im Kaffernheere schritt, eine schwarze Fahne mit goldenem Kreuz in der Rechten tragend, Petrus Mapanda, der gefeit schien gegen alle ihn umsausenden Kugeln. Der Tag von Maseru endete mit der Vernichtung des deutschen Bataillons und der Burentruppen und schnell drangen die schwarzen Fluten bis nach Bloemfontein vor. Dorthin zog der deutsche Höchstkommandierende alle Truppen zusammen. Schnell wurden die kleinen Forts vor der Stadt mit den Geschützen der Feldartillerie armiert und die bereits nach Süden vorgeschobenen Truppen kehrten auf der Bahn zurück. Bloemfonteins schwächste Seite blieb die Verpflegungsfrage, da ein Teil der von Norden herandampfenden Proviantzüge dem Feinde in die Hände fiel. Am 10. November war die Stadt, deren Verteidiger, die Zivilbevölkerung eingerechnet, kaum 22000 Mann zählte, von annähernd 150000 Kaffern eingeschlossen, zu denen sich dann auch die chinesischen Minenarbeiter aus Johannesburg gesellten. Die Lage war überaus ernst. Die letzten Nachrichten, die der Telegraph noch übermittelte, berichteten, daß Pretoria und viele andere Städte der ehemaligen Burenrepubliken in den Händen des Feindes waren. Nur in einzelnen Orten verteidigten sich noch Buren und Deutsche in hoffnungslosem Widerstand. Die schwarze Woge hatte das gesamte flache Land überschwemmt, war weit hinein in das Gebiet des Kaplandes hinübergeflutet überall mordend und brennend. Furchtbar waren die Leiden der armen Gefangenen. Hilflose Frauen fielen unter der Hand blutgieriger Neger, mit dem Gewehre ihres Gatten ihre Kinder und die eigene Ehre verteidigend.

 

Ein Blutgeruch von Brand und Mord lagerte über dem ganzen Lande. In Bloemfontein erschöpften sich die deutschen Truppen unablässig in Ausfällen und Offensivstößen über der Linie der Forts und Feldbefestigungen hinaus. Kam nicht bald Entsatz, so war auch dieses letzte Bollwerk verloren. Man war sich in der Stadt der ganzen Größe der Gefahr bewußt. Als die letzten deutschen Truppen, die von Colesberg schleunigst zurückbeordert waren, diesen Ort verließen, hatte sich auf der Bahnlinie eine Lokomotive unter der Parlamentärsflagge dem deutschen Posten genähert. Ein englischer Offizier überbrachte eine Mitteilung der Kapregierung. Aus ihr ergab sich, daß die Rebellion unter den chinesischen Minenarbeitern in Johannesburg nicht nur parallel ging mit der von Petrus Mapanda geleiteten äthiopischen Bewegung. Vielmehr sei sie von Ostasien her entfacht worden, wo eine neue fremdenfeindliche Bewegung sich rasch ausbreite. Der englische Offizier hatte den Auftrag, der deutschen Heeresleitung mitzuteilen, daß in Bordeaux bereits über eine Einstellung der Feindseligkeiten auf dem europäischen Kriegsschauplatze verhandelt werde, damit die europäischen Staaten nunmehr gemeinsam die in Afrika und Asien plötzlich entstandene Gefahr bekämpfen könnten.

Durch den englischen Offizier hörte man auch zuerst von dem Araberaufstande an der nordafrikanischen Küste und von der Vertreibung der Engländer aus Ägypten, Nachrichten, die im Kaffernheere längst bekannt waren und dessen Offensivkraft zu wilder Wut aufstachelten. Der englische Offizier sollte auf Grund dieser Mitteilung um eine Waffenruhe von zunächst vier Wochen ansuchen. Ein Kafferneinfall ins Kapland habe bereits ganz Natal ergriffen und lege die Notwendigkeit nahe, den Kampf zwischen den europäischen Mächten einstweilen zu vertagen, um gemeinsam mit der Niederwerfung des Kaffernaufstandes zu beginnen. Alle diese Mitteilungen hatten praktisch nur noch einen historischen Wert, Bloemfontein war eingeschlossen und war am Tage darauf von jeder Verbindung nach außen abgeschnitten.

Ende November war die Lage die folgende: Das englische Hauptquartier befand sich in Kapstadt und größere Detachements lagen in den Küstenstädten. In den Städten hatten die Einwohner, durch die vom Lande geflüchteten Farmer verstärkt, überall eine lokale Verteidigung organisiert, hatten Feldschanzen aufgeworfen und die Straßen verbarrikadiert, so daß die Kaffern sich nicht heranwagten, zumal sie über keine Artillerie verfügten – abgesehen von den wenigen Geschützen, die ihnen in Pretoria und Johannesburg in den Depots in die Hände gefallen waren, mit denen sie aber nicht viel anzufangen wußten. In allen vom Feinde belagerten und hin und wieder besonders nachts angegriffenen Städten des Kaplandes begann die Frage der Verproviantierung allmählich schon brennend zu werden, da es nur selten gelungen war, die Viehherden aus den Farmen in die Städte zu retten. Es galt aber auszuhalten bis auf den letzten Mann und die letzten Patronen für sich und für Weib und Kind aufzubewahren, damit niemand lebend in die Hände eines zu bestialischer Mordlust aufgestachelten Feindes fiel. Denn welches Los der Weißen dann harrte, zeigte das gräßliche Schicksal der Verteidiger von Graafreinet. Dort hatten sich nach der Einnahme der Stadt Szenen abgespielt, wie sie sich nur eine wüste Phantasie hätte ersinnen können. Die erbarmungslose Abschlachtung aller gefangenen Weißen und blutige Szenen von der Schändung von Frauen und Kindern, die mit Entsetzen von Mund zu Mund weiter erzählt wurden, und die Zukunft in einem düsteren, hoffnungslosen Lichte erscheinen ließen, stählten die Widerstandskraft der treuen Männer auf den Schanzen bis auf das Äußerste. Die Not war eine unerbittliche Lehrmeisterin. Diese halbverhungerten Europäer, die, das Gewehr im Arme, Tag und Nacht in den Schützengräben Wache hielten, waren im Laufe weniger Wochen zu Meistern des Buschkrieges geworden und leisteten in der sinnreichen Anlage von Schanzen und Barrikaden geradezu erstaunliches. Jedes Leben, jede Patrone war kostbar und es galt damit zu sparen, da vorläufig kein Ersatz möglich war und man vergebens nach einem Ton horchte, der von draußen eine Kunde herübertrug. Man lebte abgeschnitten von aller Welt, wie auf einer einsamen Insel im weiten Weltmeer. Nur auf dem dort oben, der die Geschicke der Völker lenkt, nur auf den wenigen Patronenrahmen für das treue Gewehr und auf dem mageren Inhalt des Proviantbeutels beruhte die letzte Hoffnung, die diese eisernen Helden von einem grauenvollen, blutigen Schauspiele der Vernichtung trennte. Wollten die Mächte Europas Südafrika nicht hoffnungslos den Kaffernhorden ausliefern, in deren Kriegführung der Einschlag religiöser Begeisterung sehr bald verschwunden war und die nur blutrünstige Mord- und Raubgier beseelte, so war es jetzt allerhöchste Zeit einzugreifen.

Waffenstillstand und Frieden

Die Entwicklung der Ereignisse in Afrika bestimmte England die deutschen Bedingungen für Bewilligung einer Waffenruhe anzunehmen; und wollte Frankreich sich nicht der Gefahr aussetzen, unter einer konzentrischen Offensivbewegung, deren Ring sich vom Mittelmeer bis zum Ozean um das letzte Drittel französischen Bodens immer enger zusammenschloß, zermalmt zu werden, so blieb ihm ebenfalls keine andere Wahl. Die Verhandlungen in Bordeaux nahmen daher einen raschen Fortgang. Zwar waren die deutschen Bedingungen hart und schlugen der gallischen Eitelkeit tiefe Wunden. Doch der Verlauf des Krieges, die steten Niederlagen hatten Frankreich zu der Einsicht geführt, daß es als Schauplatz dieses Riesenkampfes unter seinen Folgen bei weitem am meisten zu leiden gehabt hatte. Die Franzosen waren kriegsmüde und die Erbitterung gegen eine Regierung, die das Land an den Abgrund der völligen Auflösung geführt hatte, ließ die Kabinettskrisis zu einer dauernden Erscheinung werden. Glücklicherweise war der süße Pöbel der Hauptstadt, der immer noch auf die Unbezwingbarkeit der Riesenfestung Paris pochte, durch die deutsche Zernierung der Millionenstadt isoliert und von jedem Einfluß auf die Verhandlungen in Bordeaux abgeschnitten. Er demonstrierte zwar gegen den Abschluß des Waffenstillstandes durch Straßenexzesse, fand sich aber schließlich mit der vollzogenen Tatsache ab. Die Magenfrage siegte über alle Regungen nationaler Eitelkeit. Spanien und Portugal waren finanziell ruiniert und sagten willenlos zu allem Ja und Amen. So folgte der Waffenruhe von 14 Tagen der Waffenstillstand, der im Vertrage von Bordeaux unter folgenden Bedingungen abgeschlossen wurde.

England tritt an Deutschland ab: die Walfischbai und Sansibar.

Deutschland erhält ferner die portugiesischen Besitzungen Angola und Benguela und das zentralafrikanische Gebiet nördlich der bisherigen Grenze von Deutsch-Südwestafrika und des Laufes des Sambesi, der fortan die Grenze zwischen dem deutschen und englischen Besitz bildet. Demzufolge fällt Portugiesisch-Ostafrika südlich des Sambesi an England. Außerdem erhält Deutschland das westliche Drittel und Frankreich das östliche Drittel Marokkos als Interessensphäre. In Mogador oder einem andern Hafen der Westküste darf Deutschland eine befestigte Kohlenstation errichten.

Italien erhält Tripolis bis zur ägyptischen Grenze und als Entschädigung für seine Ansprüche auf Albanien die Insel Kreta.

Frankreich tritt Nizza an Italien ab.

Der Kongostaat wird unter Deutschland, England und Frankreich zu gleichen Teilen aufgeteilt.

Die portugiesischen Besitzungen in der Sundasee fallen an England, Deutschland erhält dafür ganz Neuguinea.

Mit dem Königreich der Niederlande wird der nördliche Teil des ehemaligen Belgiens nach Maßgabe der Sprachgrenze vereinigt. Der südliche Teil fällt an Frankreich. Luxemburg wird deutsch. Die Niederlande treten in ein näheres staatsrechtliches Verhältnis zum deutschen Reiche.

Die portugiesischen Besitzungen in Vorderindien fallen an England.

Für den Verlust Ungarns wird Österreich durch Macedonien entschädigt. Die Struma bildet die Grenze gegen den Rest des türkischen Gebietes. Saloniki wird somit österreichisch.

Die Befestigungen der Dardanellen und des Bosporus werden geschleift. Das Schwarze Meer ist fremden Kriegsschiffen verschlossen. Russische Kriegsschiffe dürfen die Meerenge passieren. Die Türkei räumt Palästina. Das Land wird unter österreichischen Schutz gestellt.

Alle genaueren Bestimmungen bleiben dem Berliner Kongreß vorbehalten.

Alle gekaperten Schiffe werden – so weit sie nicht zerstört sind – den Eigentümern zurückgegeben. Die Bestimmungen über Kaperei und Seerecht werden auf dem Berliner Kongreß neu geregelt.

England und Frankreich zahlen eine Kriegsentschädigung von je 5 Milliarden Mark. England garantiert die Zahlung der auf Frankreich entfallenden Raten. Nach den eingehenden Raten räumen die Truppen der verbündeten Mächte den französischen Boden, ebenso werden die Kriegsgefangenen ausgewechselt.

Am 7. November 1906, an demselben Tage, da vor hundert Jahren General Blücher in dem kleinen Pfarrhaus von Ratekau die Kapitulation seines Heeres mit den Worten unterschrieb: „Ich kapituliere, weil ich kein Geld, keine Munition und keine Patronen mehr habe,“ wurde die Ratifizierung des Waffenstillstandes auf beiden Seiten ausgetauscht und die Waffen ruhten.

Durch den Waffenstillstand, der den Frieden bereits in sich schloß, war die englische Mittelmeerflotte in den Stand gesetzt, sofort mit ihren Operationen vor Alexandrien und Port Said zu beginnen. Das Bombardement von Alexandrien am 16. November und die gleichzeitige Beschießung von Port Said vertrieb die ägyptischen Heeresabteilungen und mit der Landung dreier Regimenter, die von Malta herangezogen wurden, faßte England wieder festen Fuß auf afrikanischem Boden. Nun begann der unendlich mühselige und opferreiche Feldzug, in dem das englische Heer langsam das Niltal aufwärts rückte.

Am 7. November dröhnten vor Wilhelmshaven, vor Cuxhaven und vor der Kieler Föhrde von neuem die Geschütze der englischen Flotte und weckten ein Echo in den deutschen Küstenbatterien. Aber den Schüssen folgten nicht wieder die gewohnten hochaufspritzenden Wassersäulen draußen auf der weiten Meeresfläche und die schwarzen Rauchwolken vor den Schanzen am Strande. Der Kanonendonner grüßte einen seltenen Gast, der auf deutscher Erde fast fremd geworden war, er grüßte den Frieden.

Von allen Türmen läuteten die Glocken und man besann sich wieder darauf, daß der Mensch noch zu anderer Arbeit geschaffen war, als automatisch an den Zerstörungswerkzeugen des Krieges zu schaffen, daß das Ohr noch andere Töne in sich aufzunehmen im stande war, als den Donnerhall der Geschütze, dem man angstvoll dreiviertel Jahr lang gelauscht. Man fühlte sich wieder frei wie der Gefangene, der seine Ketten zerrissen vor sich am Boden sieht.

Am 7. November fiel der erste Schnee des Jahres, dicht und unablässig vom Morgen bis zum Abend. Auf den Straßen warfen sich spielende Kinder mit Schneebällen, ein allgemeines Freuen zog wieder ein in die Herzen, und selbst ernste Männer, die im hastigen Geschäftsschritt über das Pflaster eilten, sah man sich bücken und lustig einen Schneeballwurf erwidern. Es war ja Friede, und man konnte es sich schon einmal erlauben, in fröhlicher Lust am kindlichen Spiele teilzunehmen. Es war ja Friede! Unablässig rieselten die weißen Flocken herab und eine weiße Decke verhüllte alles Land, als wollte sie allen Jammer und alle Not der letzten Monate mitleidig dem Auge verhüllen. Nur die schwarzen Trauerkleider, die in allen Familien – es war ja keine verschont geblieben – das Alltagskleid geworden, mahnten noch an die Zeit des Schreckens und der unsäglichen Verluste.

Frohen Herzens begrüßte man in Cuxhaven das Herannahen eines großen Dampfers der Amerika-Linie, der am Kai des Hafens anlegte. Man glaubte es ja kaum, daß hier noch einmal ein friedlicher Handelsdampfer seine Trossen festmachen würde, und fast ungewohnt schien ein paar Arbeitern dieses Tun. Und doch war die „Patricia“ noch nicht zu friedlichem Werke erschienen. Sie sollte als erster deutscher Transportdampfer deutsche Truppen nach Südafrika bringen. Denn jetzt galt es schnell dafür zu sorgen, daß den in Bloemfontein eingeschlossenen Helden Entsatz gebracht wurde, und hinter der „Patricia“ lag – ein seltsames Zusammentreffen der Namen – die „Pretoria“. Sie lud Eisenbahnmaterial zur Wiederherstellung der zerstörten Bahnlinien.

 

Die englische Flotte vor Cuxhaven hatte am 8. November, nachdem sie den Abschiedssalut mit dem Fort Kugelbake getauscht, Dampf aufgemacht und war am Horizont verschwunden. Die See war frei, aber die See war leer. Die stählernen Geschwader, die einst sich im blutigen Kampfe mit dem Feinde gemessen, die stolzen Panzergeschwader Kaiser Wilhelms, sie lagen fast alle am Grunde des Meeres. Die See war leer, denn von ihr war durch den Feind die deutsche Flagge getilgt und Tausende ruhten unter den Wogen nach treuer Pflichterfüllung im ewigen Schlafe. Am 8. November ging der Lotsendampfer „Kapitän Karpfanger“ wieder hinaus und legte die Tonnen und Seezeichen, und ein Torpedoboot schleppte die Feuerschiffe wieder hinaus, die wie vergessene Dekorationsstücke bis dahin in einem Hafenwinkel gelegen, nun aber dem friedlichen Handelsverkehr seine Wege wieder weisen sollten. Langsam passierten die vier rotgestrichenen Schiffskörper, mit frohen Zurufen von der „Alten Liebe“ begrüßt, Cuxhaven und langsam entschwanden sie in der dicken Schneeluft dem Auge, westlich der Stelle, wo das riesenhohe Wrack des französischen Linienschiffes „Bouvet“ und weiter hinaus das des englischen Panzers „Ocean“ die drohenden Sandbänke verriet. Dicht und unablässig versanken die weißen Schneeflocken in der grauen Meerflut. Gegen Abend tönte von draußen her der brummende, langgezogene Ton einer Dampfpfeife; das erste Handelsschiff erschien und gegen 6 Uhr passierte der über die Toppen beflaggte norwegische Dampfer „Sigurd Jarl“ die Alte Liebe.