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«1906». Der Zusammenbruch der alten Welt

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Kiautschou

Unsere in den chinesischen Gewässern stationierten Kriegsschiffe hatten im vollsten Maße ihre Schuldigkeit getan. Dutzende von Schiffswracks an der chinesisch-japanischen Küste zeugten von der Tätigkeit unserer Kreuzer. Den Ausbruch des Krieges hatte unser Geschwader durch den sibirischen Telegraphen erfahren und gleichzeitig den Befehl erhalten, dem feindlichen Handel soviel Schaden wie irgend möglich zuzufügen und so die Zeit auszunützen bis zu dem Erscheinen feindlicher Streitkräfte vor Tsingtau. Alle deutschen Handelsschiffe wurden durch die Konsuln angewiesen neutrale Häfen aufzusuchen. Einige auf hoher See befindliche Passagierdampfer konnten durch Funkspruch der Kriegsschiffe vor Beginn der Feindseligkeiten benachrichtigt werden, andere wurden durch diesen oder jenen Kreuzer in neutrale Häfen geleitet.

Gleichzeitig stürzten sich unsere Kreuzer, immer ihre Operationsbasis Kiautschou im Auge behaltend, auf die englischen und französischen Handelsschiffe. Traf man solche in der Nähe der Küste, so ließ man die Mannschaft ihre Boote besteigen, womit sie ziemlich sicher den nächsten Hafen erreichen konnten, und brachte an Bord des fremden Dampfers eine Mine am Schiffsboden an, die bei der Explosion diesen aufriß, so daß das Fahrzeug auf der Stelle sank. Lange konnte dieses Zerstörungswerk von deutscher Seite natürlich nicht betrieben werden.

Nachdem sich die englischen und französischen Geschwaderchefs über einen gemeinsamen Plan verständigt hatten, fand ein konzentrisches Vorgehen mit überlegenen Streitkräften auf Kiautschou statt. Am 9. April erschienen drei feindliche Panzerkreuzer (die englischen „Hogue“ und „Sutley“ und der französische „Gueydon“) mit sechs kleineren Kreuzern, auf der Reede von Tsingtau. Trotzdem gleich anfangs der „Sutley“ auf eine deutsche Mine lief, die ihn augenblicklich zerriß, und zwei kleine Franzosen vernichtet wurden, erlag das schwache deutsche Geschwader doch nach einstündigem Gefecht der feindlichen Übermacht. Ja wenn wir Unterseeboote zur Verteidigung gehabt hätten! Die Batterien in Tsingtau und auf den die Stadt umgebenden Hügeln konnten während des Gefechtes nur wenig ausrichten, da die feindlichen Schiffe für ihre Granaten meist unerreichbar waren. Nach der Vernichtung der deutschen Schiffe genügte dann ein Bombardement von etwa zwei Stunden, um die deutsche Artillerie zum Schweigen zu bringen. Fast die gesamte Besatzung der Batterien fand dabei ihren Tod. Der Rest der Garnison von Tsingtau, kaum 200 gefechtsfähige Mannschaften, ging nach der Besetzung der Stadt durch den Feind in die Gefangenschaft. Zu spät bedauerte man, Tsingtau nicht rechtzeitig d. h. gleich nach der Besetzung und vor dem russisch-japanischen Kriege zu einem Waffenplatz umgeschaffen zu haben, dessen Befestigungen eine längere Verteidigung ermöglichten.

Von allen diesen Ereignissen, mit Ausnahme der Einnahme von Tsingtau, die durch den sibirischen Telegraphen über Tokio, Wladiwostok nach der Heimat gemeldet wurde, erfuhr man zu Hause nichts. Über das Schicksal der afrikanischen Kolonien war man bis in den Sommer völlig im Ungewissen, erst dann sickerten langsam die Nachrichten, die man in London nach Möglichkeit geheim hielt, durch und berichteten in Deutschland von Kämpfen, in denen ein unerhörter Heldenmut an eine aussichtslose Aufgabe verschwendet wurde. In stummer Pflichterfüllung waren die Söhne des Vaterlandes, die auf den fernen Außenposten treue Fahnenwacht gehalten, in den Tod gegangen, ein glänzendes Beispiel deutscher Tapferkeit.

Die Millionenschlacht

Vier Tage lag das dritte Bataillon bereits auf diesem Acker eingegraben. In vier Tagen war die lange, dünne Schützenlinie nur um 400 m vorgerückt. Ein Bataillon, ein Steinchen nur in der riesigen Frontmauer von beinahe einer halben Million Menschen, die bis jetzt vergebens versuchten, dem fast um die Hälfte stärkeren Feinde Schritt für Schritt Boden abzugewinnen. Den etwa 400000 Streitern der ersten und zweiten deutschen Armee standen in den Stellungen, die sich von Arras bis Châlons hinzogen, über 600000 Franzosen gegenüber. Vier Tage hatte der Kampf gedauert, der mit dem Donnergebrüll seiner Geschütze Himmel und Erde erschütterte. Auf beiden Seiten machte sich allmählich ein störender Munitionsmangel fühlbar. Besonders auf französischer Seite, wo man zumal am ersten Tage der Schlacht die Geschosse in geradezu unsinniger Weise vergeudet hatte, so daß alle Fahrzeuge, die man irgendwie nur auftreiben konnte, herangezogen werden mußten, um aus den Riesendepots von Reims und Laon die schwindenden Bestände in der Front zu ergänzen.

Von den Beobachtungsballons auf deutscher Seite konnte man diese Munitionstransporte genau verfolgen und daraus erkennen, wo in der feindlichen Linie schwache Punkte entstanden waren, die einem gewaltsamen Offensivvorstoß Aussicht auf Gelingen bieten konnten. Und doch hielt man noch zurück, um den von Süden her stündlich erwarteten Flankenangriff auf den rechten französischen Flügel erst mit voller Kraft wirken zu lassen.

Das dritte Bataillon hatte sich am ersten Tage am Waldrande im Ackerfelde eingenistet. Es hatte, da hier im Zentrum der deutschen Stellung nordöstlich von Rethel zunächst nur ein hinhaltendes Feuergefecht beabsichtigt war, die Infanteriepositionen des Feindes auf dem jenseitigen Hügelgelände unter Feuer gehalten, und zwar wie der Fesselballon meldete, mit gutem Erfolge. Da der Feind die Stellung des Bataillons offenbar gut erkundet hatte, lenkte er am ersten Tage ein sehr heftiges Schrapnellfeuer auf die dunkle Waldlinie hinter den Schützengräben, welches so viele Opfer forderte, daß der Bataillonsführer alsbald die Schützenlinie nach vorn abbauen und unter Verzicht auf die sonst gewohnten Sprünge 300 m vorrücken ließ, dadurch wurden die Verluste wesentlich vermindert.

Dann war die Nacht gekommen. Die Mannschaften schliefen in den Schützengräben, und als der Morgen dämmerte, ward das Feuergefecht mit ausgeruhten Kräften wieder aufgenommen. Und wieder prasselte der Bleihagel der Schrapnells hernieder, und die einschlagenden Infanteriegeschosse erzeugten auf dem Erdboden beim Einschlagen kleine puffende Staubwölkchen. So verging auch dieser Tag, ein glühend heißer Sommertag. Die Feldflaschen waren geleert und nur der Brotbeutel wies noch seine eisernen Gefechtsrationen für drei Tage auf. In braunrotem Dunst versank die Sonne hinter den Hügeln im Westen. Tagsüber machte die Feuerzone der feindlichen Artillerie eine rückwärtige Verbindung unmöglich. Erst der Einbruch der Dunkelheit, als die Treffsicherheit des auch während der Nacht fortdauernden Schrapnellfeuers allmählich nachließ, brachte Erleichterung. Aus dem Wald hervor tauchten die Mannschaften der Proviantkolonnen, die die ledernen Wassersäcke bis in die Schützenlinien schleppten, wo die Feldflaschen rasch gefüllt wurden. Die Infanterie war ohne Tornister, nur mit dem Brotbeutel, der den Proviant und Patronen in ausreichender Zahl barg, ausgerüstet ins Gefecht gegangen.

Und zum zweiten Male ging die Sonne auf und noch lag man auf demselben Acker. Unablässig waren die Hügelzüge, über die sich die französische Artilleriestellung unabsehbar von Südost nach Nordwest hinzog, wieder von einer fast lückenlosen Linie gelber, runder Feuerblitze umsäumt. Bis jetzt hatte das Bataillon etwa 100 Mann verloren. Von den annähernd 60 Verwundeten waren die meisten während der letzten Nacht hinter die Feuerlinie befördert worden. Nur die Toten mußte man liegen lassen, hatte aber dafür gesorgt, daß die Leichen sofort eingegraben wurden. Und wie richtig man dabei gehandelt, zeigte sich, als die stechende Sonne des schwülen Sommertages glühend auf den Ackerboden niederbrannte, und trotzdem machte sich der entsetzliche Verwesungsgeruch schon bemerkbar.

Mittags 11 Uhr fiel der Major Brandstetter und Hauptmann von Unruh übernahm die Führung des Bataillons. Gegen 2 Uhr steigerte sich die furchtbare Hitze zur Unerträglichkeit. Matt wie die Fliegen lagen die Leute in den Schützengräben, ein sparsames Feuer auf die jenseitigen Stellungen weiter führend. Die Luft war von braunen Staubmassen erfüllt, in die sich der blaugraue Rauch über den Artilleriestellungen mischte. Alles lechzte nach Kühlung, aber man hätte unnütz Menschenleben verschwendet, wollte man von den Wasserplätzen hinter der Front die Truppen neu versorgen. Gegen 3 Uhr zuckte der erste Blitzstrahl zur Erde und ein furchtbares Gewitter ging hernieder. Eine graue Regenwand hüllte die riesenhafte Front ein, so daß beide Gegner sich aus den Augen verloren. Während die Blitze unablässig herunterknatterten und das Gebrüll des Donners auch den Schlachtenlärm übertönte, wurde dieser günstige Moment von der deutschen Heeresleitung geschickt ausgenützt. In rasendem Galopp ging die Artillerie vor und nahm die Stellungen, die man eigentlich erst in der darauffolgenden Nacht zu besetzen gehofft hatte. Als eine halbe Stunde darauf der Regen langsamer zu fallen begann, der Himmel sich aufklärte und nur dumpfe Donnerschläge sich noch in das Getöse der Völkerschlacht mischten, waren die deutschen Infanteriestellungen teilweise bis zu 1500 m weiter vorgeschoben. So verging auch dieser Tag. Der Verwesungsgeruch wurde infolge der nach dem Gewitter wieder einsetzenden Schwüle jetzt so furchtbar, daß jedes Bataillon froh war, wenn es Befehl erhielt die alten Positionen zu verlassen und vorwärts neue Schützengräben aufzuwerfen.

Im Ballon

Die Leere des Schlachtfeldes, diese charakteristische Erscheinung moderner Massenkämpfe, verlor sich, sobald man die beiderseitigen Stellungen vom Ballon aus beobachtete. Leutnant Wegemann befand sich im Fesselballon des 8. Korps. Die Gondel war vollgepfropft mit Instrumenten. Die Drähte zweier Telephonleitungen lagen in dem Drahtseil, welches den Ballon mit der Erde verband. Es war ein eigenartiges Gefühl mit dem Auge der geschwungenen Kurve der Stahltrosse zu folgen, die bereits in einer Entfernung von hundert Meter nur noch die Dicke eines Fadens zu haben schien und schließlich mitten in ein Fahrzeug endete, das sich von hier oben fast wie ein Gerätewagen von der Feuerwehr ausnahm. Man konnte die Stellungen des Feindes und die eigenen an den dunklen Schützenlinien, den dampfenden Erdwällen der Batterien und den kompakteren Massen der Reserven wie auf der Landkarte ablesen. Wie auf der Karte des Kriegsspieles daheim im Kasino schoben sich die Bataillone und Batterien hin und her, und während unten das Ohr betäubt wurde von dem wüsten, gellenden Gebrüll der Feldschlacht, klang hier der Donner der Kanonen nur wie ein grollendes Gewitter. Drüben zwischen den Geschützen einer französischen Batterie flammten jetzt gelbe Blitze auf, schwarze Erdschollen sausten in die Luft, und am Rande der Rauchwolken explodierender Granaten sah man die dunklen Gestalten der Kanoniere sich platt auf den Boden legen. „Eingeschlagen“, murmelte Leutnant Wegemann, und dann zu der Ordonnanz neben ihm: „Müller, geben Sie hinunter: Mehrere Volltreffer der Feldhaubitzabteilung des 23. Regiments, in französische Batterien rechts der Chaussee nach Suippes. Die rechtsanschließenden Batterien durch indirektes Feuer mit derselben Elevation erreichbar.“ Die Ordonnanz wiederholte es mit hier in der dünneren Luft seltsam hart klingender Stimme in die Schallöffnung des Telephons hinein. Man sah, wie unten neben dem breiten, schweren Ballonfahrzeug ein winziger Offizier die Meldung aufschrieb und ein Radfahrer auf der Chaussee sie bis zur Batterie hintrug. Wenige Minuten darnach verschwanden die beiden durch die Ballonmeldung bezeichneten französischen Batterien in einer durch die massenweis einschlagenden deutschen Granaten erzeugten Rauchwolke, in die dann im rasenden Galopp mehrere Protzen mit ihren Gespannen hineinsausten. Dann ein wüster Knäuel, und als sich der Qualm verzog, war der Boden bedeckt von dunklen Körpern und zappelnden Pferdeleibern zwischen den zerschossenen Geschützen. Nur zwei Gespanne jagten in wilder Eile zurück über das Feld mit den beiden geretteten Kanonen.

 

Vergeblich spähte der Leutnant im Ballon mit seinem scharfen Trieder-Binocle nach Südosten aus. Von dort mußte ja die Entscheidung kommen, noch ließ sie auf sich warten, aber sie kam.

Die Gefechtsleitung

Anders wie im 70er Feldzuge sah es an der Stelle aus, von wo die unsehbaren Heeresmassen gegen einander dirigiert wurden. Nicht hoch zu Roß auf einem Hügel hielt der Heerführer, mit scharfem Auge die Front abspähend und mit seinen Befehlen die Ordonnanzen in die Feuerlinie hetzend. Diese Szene, so malerisch auf Schlachtenbildern, war anders geworden im Laufe von 36 Jahren. An der Chaussee, die nördlich von Rethel gerade auf ein kleines Dorf weit hinter der Feuerlinie führte, lag ein großer Gutshof, über dessen schloßartigen Hauptgebäude die Fahne des Armeekommandos flatterte. Über den grauen Dächern der meisten Häuser wiegte sich in der ruhigen Luft der kleine Fesselballon der Funkentelegraphie, dessen elektrische Drähte einmündeten in einen Schuppen, vor dem die gewichtigen Fahrzeuge der Funkspruchabteilung standen. Unablässig zischte und knatterte der Apparat, eine Meldung nach der anderen aus den Lüften empfangend. Fortwährend wanderten die weißen Zettel mit den Meldungen hinüber in den großen Gartensaal des Herrenhauses, in dem eine Reihe Tische zusammengeschoben und mit einer Karte im großen Maßstäbe belegt worden war. Auf ihr waren die beiderseitigen Stellungen durch Fähnchen und kleine Klötze markiert. Ein genaues Abbild dessen, was man vom Fesselballon aus sehen konnte. Hier verfolgte der Kommandierende, in tiefem Nachdenken vor den Tischen auf- und abgehend und die ihm zugestellten Meldungen mit einander vergleichend, den Gang der Schlacht.

Neben dem Gartensaal hatte sich die Feldtelegraphie eingerichtet, die überallhin ihre Drähte abgerollt und teilweise unter Benutzung der französischen Telegraphen an der Landstraße sie nach allen Truppenabteilungen, bis in die Schützenlinien hinein, verzweigt hatte. Dazu Telephonapparate in unendlicher Menge; ganze Drahtbündel zogen sich nach dem Gutshof hin. An ihnen lenkte, wie an den Drähten eines Marionettentheaters, der Höchstkommandierende die Bewegungen jedes einzelnen Bataillons. Hier waren die Entscheidungen zusammengedrängt auf den Raum eines Zimmers, und diese ungeheure Verantwortung machte sich geltend in einer ernsten Stimmung, die alle erfüllte, die sich ihrer Wichtigkeit bei der Steuerung der Heeresmaschine bewußt waren.

Auf dem Hofe standen mehrere Automobile und Fahrräder, jeden Augenblick bereit, die Ordonnanzen bis in die Feuerlinie zu führen. Daneben wieder die Rosse der Meldereiter, die querfeldein im Galopp herangejagt waren und nun die neuen Befehle für die Truppenkörper erwarteten. Jetzt sprengte ein Gefreiter der Jäger zu Pferde, den Chausseegraben in elegantem Sprunge nehmend, mit seinem Pferd auf den Hof, warf die Zügel einem Trainsoldaten zu und übergab einem Stabsoffizier eine Meldung. Ein freudiges Aufleuchten zuckte über das Gesicht des Höchstkommandierenden, als er den Meldezettel überflog: „Also endlich!“, sagte er, ging an die Karte und markierte im Südosten der deutschen Front eine neue Verschiebung im Gelände. Und nun rasselten die Klingeln der Apparate, knatterte und sauste der Mechanismus der Funkentelegraphie und neue Befehle flatterten nach allen Seiten. Die Automobile keuchten und tuteten auf der Landstraße und mit einem Schlag kam ein frischer Zug in das Ganze.

Da nahte von einer Husarenabteilung eskortiert eine Equipage und machte vor dem Gutshofe Halt. Mit strammen Gruß machten die Soldaten und Offiziere einem jugendfrischen Manne in Generalsuniform Platz, der rasch das Gedränge durchschritt und jetzt mit leichtem Gruß beim Höchstkommandierenden eintrat. Der empfing ihn mit freudigem Zuruf: „Majestät, die Entscheidung ist da, soeben erhalten wir den Funkspruch, daß die Umgehung des Feindes von Süden her durch die drei Korps über Vitry auf Châlons wirksam begonnen hat. Nach zwei Stunden darf unser entscheidender Gewaltstoß einsetzen, und wenn die Sonne sinkt, hoffe ich, daß unsere Kapellen den Choral von Leuthen spielen dürfen.“

Die Entscheidung

Unablässig rollte das Kleingewehrfeuer, ohne Aufhören lärmte der Donner der Geschütze, und noch war kein Wanken, keine Bewegung nach vorwärts oder rückwärts in den eisernen Fronten beider Heere zu bemerken. Die Erde war von Geschossen durchwühlt und Zehntausende lagen mit zerschmetterten Gliedern auf den so heiß umstrittenen Kampfplatze. Man fühlte überall instinktiv: jetzt nahte der gewaltige Augenblick, da die Hunderttausende der Volksheere plötzlich herauswuchsen aus den Höhlen und Gräben der Erde, da sie gegen einander prallen würden, um mit blanker Waffe die Siegespalme zu heischen. Ein Funkspruch vom Fesselballon des IV. Korps hatte gemeldet, daß Teile der spärlichen feindlichen Reserven nach Südwest abmarschiert waren, um auf der Innenlinie den rechten Flügel bei Châlons zu verstärken. Der Feind mußte die Gefahr erkannt haben, wenn er eine solche Truppenverschiebung angesichts der deutschen Ballonposten unternahm und dadurch noch die Front schwächte. Zu gleicher Zeit meldeten mehrere Funksprüche, daß große Munitionskolonnen zwischen den Forts von Reims in rascher Fahrt auf die französischen Artilleriestellungen dirigiert würden, woraus zu schließen, daß dort Munitionsmangel herrschte. Und nach dem hitzigen Schnellfeuer während des ganzen Tages war das nicht zu verwundern.

Tatsächlich mußten sich große Truppenteile fast verschossen haben, denn der Geschützkampf wurde um 4 Uhr nur noch schleppend weitergeführt. Die Ungeduld der deutschen Bataillone war kaum noch zu zügeln. Und jetzt begann man kompagnieweise die Schützenlinien langsam nach vorwärts abzubauen. An einigen Stellen gingen unsere Soldaten in großen Sprüngen bis zu 200 m vor, und zwar ohne große Verluste zu leiden. Denn das erwartete Schnellfeuer blieb aus. Nur vereinzelt pfiffen den vorstürmenden Truppen die feindlichen Kugeln um die Ohren. Jetzt galt es.

Die Meldungen aus den deutschen Fesselballons berichteten, daß mehrfach drüben ein Stocken in den Munitionstransporten eintrat. Man sah hinter den feindlichen Batterien Ordonnanzen hastig nach rückwärts reiten, den Munitionskolonnen entgegen. Zwar wurde der Artilleriekampf weitergeführt, aber mit geringem Erfolge. Gerade die dem IV. Korps gegenüberstehenden Batterien fügten den Schützenlinien kaum noch Verluste zu. Mehrere Telephonleitungen meldeten gleichzeitig: „Feindliche Artillerie schießt nur noch mit Kartuschen.“ Eine nach Nordosten führende Chaussee durchschnitt, der Talsenkung eines kleines Baches folgend, ein welliges Hügelgelände; der Straßenkörper war in der Tiefe den Blicken des Freundes und des Feindes auf eine Strecke von annähernd zwei Kilometern entzogen. Jenseits auf der flachen Hügelkette lagen nur noch einige deutsche Kompagnien in einer kleinen Bodenwelle eingegraben, dazwischen große Lücken freien Feldes.

Da erscholl von fern das klappernde Geräusch tausender von Pferdehufen, die hart auf den Chausseekörper aufschlugen und hineinschwenkte in den breiten Hohlweg ein Kavallerieregiment nach dem anderen. Der Anmarsch der Reiter wurde den Blicken des Feindes – den gegenüberstehenden Fesselballon hatte ein Schrapnell kurz vorher heruntergeholt – durch ein Gehölz entzogen und unablässig ergoß sich der Strom der glänzenden Reitergeschwader in das Tal. Acht Kavallerieregimenter hielten hier gedeckt, in abwartender Stellung.

Auf Ansbach-Bayreuth!

 
Auf Ansbach-Bayreuth!
Auf Ansbach-Bayreuth!
Schnall um deinen Degen und rüste dich zum Streit!
Prinz Heinrich ist erschienen auf Striegaus sonn’gen Höhn,
Die preußischen Truppen in Parade zu sehn.
Schon tönt von den Höhen ein Morgengruß,
Der jeden Preußen begeistern muß,
Drum Brüder seid mutig, seid schnell und bereit,
Wenn’s Vorwärts heißt!
Auf Ansbach-Bayreuth!
 
(Alter Text des Hohenfriedbergers.)

Noch einmal wütete der Geschützdonner los. Die Erde zitterte unter den Erschütterungen und die Luft war erfüllt von todbringenden Geschossen. Dazwischen das Klappern und Knattern des Infanteriefeuers und der helle Klang der Maschinengewehre. Es war, als sei die Hölle losgelassen. Da schmetterten scharf und schneidend Trompetensignale in den Gewittersturm der Völkerschlacht. Durch Hunderttausend zuckte es. Und während nun die acht Regimentskapellen gewaltig einsetzten und die machtvoll begeisternde Weise des Hohenfriedbergers über das weite dampfende Schlachtgefilde dahinbrauste, schlug die dunkle Woge von Menschen- und Pferdeleibern an dem Abhang des Hohlweges empor. Im Nu war der grüne Hang erklommen und jetzt jagten die blinkenden, rasselnden Reitergeschwader dahin über die sanft nach vorn abfallende Ebene, im breiten Strome alles mit sich fortschwemmend. Ein herrlicher, herzerfrischender Anblick für das Soldatenherz, nachdem man fünf Tage in Erdlöchern versteckt, wie ein Maulwurf geduckt hinter den Rand des Schützengrabens rastlos nur immer auf die rauchenden Hügel und die schießenden Ackerfurchen drüben abgedrückt hatte.

Die Schützenlinien des Feindes stutzten. War dies ein Phantom, eine Täuschung der erregten Sinne? Es galt, die wenigen Minuten auszukaufen, bis die dichte Wand von flatternden Pferdemähnen, von blitzenden Reitersäbeln, das schreckliche Gatter von wirbelnden Lanzen, diese donnernde Staublawine, unter der die Erde von tausendfältigem Hufschlag erdröhnte, heran war. Man hatte auf deutscher Seite gut beobachtet, die französische Infanterie hatte sich bis auf wenige Patronen verschossen und die deutschen Geschütze hatten durch ein aus allen Kalibern ohne Pause fortgeführtes Schnellfeuer die feindlichen Munitionskolonnen, in denen Dutzende von Wagen aufflogen, von der Feuerlinie ferngehalten. Hinter den Positionen der Artillerie und den Schützenlinien hatten die deutschen Granaten, hatten die Schrapnells mit ihrem Bleiregen eine Feuerzone geschaffen, die kein lebendes Wesen passieren konnte.

Zwar rissen die letzten Granaten der französischen Batterien große Lücken in die deutschen Schwadronen, wohl sank Mann und Roß dahin im wüsten Knäuel der Vernichtung, aber der Gedanke an die leeren Patronentaschen erzeugte drüben angesichts der Reiterattacke einen lähmenden Schrecken. Und dieses Gefühl der Hilflosigkeit ließ in den Reihen der französischen Regimenter die durch die fünftägige Schlacht entnervt und in ihrer Widerstandskraft erschüttert waren, jetzt eine Panik entstehen. Ja, wenn die Artillerie jetzt Kartätschen gehabt hätte, ein einziger Munitionswagen konnte dem Verhängnis wehren! Bei der schnell sich verringernden Distanz hatte das planlose Schießen der französischen Schützenlinien nur geringe Wirkung. Jede Feuerleitung fehlte. Von der Angst vor dem herannahenden Furchtbaren jeder klaren Überlegung beraubt, verpulverte man die wenigen letzten Patronen sinnlos, zwecklos; die Befehle der laut schimpfenden, erregten Offiziere widersprachen sich fortwährend. Im instinktiven Selbsterhaltungstrieb ballten sich die Kompagnien zu einzelnen Massen zusammen, um bei dem Bajonett die Rettung zu suchen. Die verhängnisvolle Gefahr des Kleinkalibers, die Munitionsverschwendung, hatte sich hier schrecklich geltend gemacht.

 

Jetzt war die lange Linie der deutschen Kavallerie heran und brach in die feindlichen Reihen ein. Blinkende Säbel, wuchtige Hiebe, zertretene Menschen, hochaufsteigende Pferde, ein kurzer, aussichtsloser Kampf und schon waren die deutschen Reiter zwischen den französischen Batterien, alles vor sich niederwerfend. Lähmendes Entsetzen trug dieser durchschlagende Erfolg eines Kavallerieangriffes auch in die Reihen der französischen Reserven, die jetzt einfach ausrissen. Der schlecht geleitete und zaghaft durchgeführte Gegenstoß zweier französischer Bataillone versagte völlig. Im Nu waren die deutschen Reiter zwischen den flüchtenden Franzosen. Einzelne Carrés, die sich zusammenzuballen suchten, wurden niedergeritten. Schwere Pferdeleiber im Ansprunge die Bajonette niederdrückend und im Todeskampfe mit den Hufen die Infanteristen zerschlagend, rissen große Breschen in die Fronten, durch die die langsam dünner werdenden Linien der deutschen Regimenter immer weiter vorwärtsstürmten. Der Rest der Schwadronen jagte jetzt nach links und rechts abschwenkend, davon.

Die Riesenaufgabe der tapferen Reiter war gelöst. Als sich die Coulissen der Kavallerieregimenter nach beiden Seiten auseinanderschoben, stürmten hinter ihnen im unwiderstehlichen Anlauf die deutschen Schützenlinien heran. Von allen Seiten klang das Angriffssignal: „Kartoffelsupp, Kartoffelsupp, den ganzen Tag Kartoffelsupp“ über das Feld, weckte den teutonischen Kampfeszorn und trug den Sturmlauf der deutschen Regimenter mitten in die durch den Kavallerieangriff gebrochene Lücke. Vier französische Schützengräben bis an den Rand mit zerstampften Menschenleibern gefüllt, vier zerschossene Batterien zwischen deren Geschützruinen sich kein Leben mehr regte, lagen bereits hinter der deutschen Angriffsfront, und immer mehr Bataillone fluteten hinein in diese nach beiden Seiten rasch weiter reißende Bresche mit der das französische Zentrum an einer schwachen Stelle durchbrochen war. Aber schon schob der Feind von beiden Seiten Truppen vor, um das Loch wieder zu stopfen. Doch umsonst. Die deutsche Artillerie war schon heran, nistete sich hinter einem Eisenbahndamme ein und bäng … bäng … bäng … knatterte das Feuer der Maschinengeschütze in die Reihen der französischen Kavallerieregimenter, sie in wenigen Minuten mit einem Sprühregen von Geschossen niedermähend. Es war eben ein Unterschied, ob eine Reiterattacke auf einen aus gedeckter Stellung feuernden, siegreichen Feind oder auf erschütterte Infanterie ansetzt die nur noch die letzte Patrone im Laufe hat. Auf dem Manöverfelde sieht beides für das Laienauge gleich aus und die Biertischstrategen, die sich über die „sinnlosen Kavallerieattacken“ so sehr empörten, sie hatten immer nur das eine vergessen, daß niedergekämpfte Infanterie nicht mehr schießt.

Hinter dem Eisenbahndamm stand die rasch vorrückende deutsche Artillerie sehr bald in Stärke von zwei Regimentern, die nun mit Schrapnells unter den flüchtenden französischen Bataillonen fürchterlich aufräumte. Und nun begann die regellose Flucht. Von Südosten her war der rechte französische Flügel umfaßt und aufgerollt worden. Das Zentrum war gegenüber Rethel durchstoßen und überall vor der französischen Front wuchsen jetzt aus der Erde die Massen der deutschen Bataillone empor. Es gab kein Halten mehr und vor allem fehlte jede Disposition des Rückzuges auf feindlicher Seite. Die französischen Korpsführer verloren die Leitung über ihre Truppen. Vergebens, daß sich die Offiziere mit dem Revolver in der Hand den Fliehenden in den Weg warfen; vergebens, daß sie diesen oder jenen niederschossen, die zurückflutende Woge riß auch sie mit sich fort, und wollten sie nicht unter den Stiefeln ihrer Leute enden, so mußten sie mit dem Strome schwimmen. Ähnlich war es auf dem linken Flügel, wo sich die englischen Bataillone länger hielten und durch die siegreichen Vorstöße der Deutschen isoliert, teilweise bis auf den letzten Mann ihre Positionen verteidigten. Die deutsche Artillerie, deren Geschosse zuweilen selbst in die eigenen Sturmkolonnen einschlugen, hielt jeden Versuch einer Gegenoffensive nieder. Die Schlacht war entschieden.

Auf dem Rückzuge der einzelnen französischen Korps fehlte jede einheitliche Führung. Nur einige gewannen die Straße nach Paris und nach Südosten, die meisten Regimenter trieb wahnsinnige Angst und die volle Deroute zwischen die Forts von Reims und Laon, wo sich die Hunderttausende nunmehr stauten, während die deutschen Granaten unablässig in die Scharen der Flüchtenden einschlugen. Es gab kein Halten mehr auf dieser Flucht. Die deutsche Kavallerie, deren ganze Kraft rücksichtslos eingesetzt wurde und bei der aus Mann und Roß der letzte Atemzug herausgeholt wurde, löste auf der Verfolgung jeden Truppenverband des Feindes auf und was sich nicht um Reims konzentrierte, – die Feldbefestigungen vor Laon fielen noch am Abend den Deutschen in die Hände, worauf die mit Menschen gefüllte Stadt, die unablässig bombardiert wurde, um Mitternacht kapitulierte – war keine Armee mehr, nur noch ein wüstes Gemenge erschöpfter, um ihr armes Leben sorgender Menschen, die keinen Widerstand mehr zu leisten im stande waren.

Die englische Armee, die auf dem linken Flügel gestanden hatte, war ebenfalls zersprengt, und zog sich in völliger Auflösung nach Südwesten zurück. Der größte Teil ihrer Artillerie und ihr schwerfälliger Troß fiel den Deutschen in die Hände.