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«1906». Der Zusammenbruch der alten Welt

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Jetzt lenkte die „Deutschland“, in den Toppen die Flagge des Reiches, durch die Lücke in der äußeren Minensperre und in Kiellinie folgten ihr die fünf Schiffe der „Braunschweig“ – Klasse, diesen wieder zwei Küstenverteidiger. Es waren die einzigen Streitkräfte, über die man in Kiel verfügte. Denn die von Cuxhaven herbeigerufenen Linienschiffe der „Kaiser“ – und „Wittelsbach“ – Klasse konnten erst nach Stunden durch den Kanal eintreffen. Jetzt maskierte die „Deutschland“ das Feuer der Forts und langsam verstummte ein Geschütz nach dem anderen hinter den deutschen Bastionen. Eine furchtbare Stille trat auf Minuten ein und nur von rechts her klapperte taktmäßig das Infanteriefeuer weiter. Nun dröhnten die Geschütze der deutschen Schiffe und alles verschwand hinter dem grauen Regenschleier des Aprilmorgens. Es war vom Lande aus unmöglich dem Gange des Gefechtes zu folgen, unablässig brüllte der Donner von der See her, und in den Lärm der schweren Geschütze mischte sich das hellklingende, bellende Schnarren der Maschinengeschütze.

Die Ufer der Kieler Föhrde waren von den Einwohnern der Stadt in schwarzen Massen umsäumt. Aller Augen starrten nach der Seeseite, wo die Entscheidung über das Schicksal von Kiel fallen sollte. Langsam sanken die Flammen der brennenden Werft in sich zusammen. Hier war die Gefahr gedämpft, aber die aus den Dörfern der Probstei von der Front im Hauptquartier des IX. Armeekorps einlaufenden telegraphischen und telephonischen Meldungen, wußten noch von keinen durchschlagenden Erfolgen. Im Gegenteil, es schien, als ob der Kampf nach anfänglichen Vorteilen auf deutscher Seite zum Stehen gekommen war, und als ob die Stärke der englischen Truppen von Viertelstunde zu Viertelstunde wuchs. Um 11 Uhr ließ der Regen nach, zuweilen brach die Sonne durch und nur vor der Hafenmündung lagerte eine dicke Dunstwolke. Jetzt löste sich von diesem grauen Hintergrund ein hellerer breiter Schiffskörper, an der Mastspitze flatterte träge die Flagge mit dem schwarzen Kreuz. Also ein deutsches Schiff, noch kein Engländer.

Es war der Küstenpanzer „Odin“, zu einem fast unkenntlichen Wrack zerschossen, das aus den Stümpfen der über Bord gegangenen Schornsteine Rauch und Flammen spie. Beim Friedrichsorter Leuchtturm wurde der „Odin“ von einem Seeschlepper ins Tau genommen und durch die Lücke in der Minensperre hineinbugsiert. Als es diese passierte erschien an dem vorderen, den einzigen noch stehenden Mast ein Signal; schnell entziffert, enthielt es die Meldung: „Angriff des Feindes abgeschlagen“. Weiter nichts. Draußen auf der See erfolgten jetzt ein paar krachende Explosionen, dann setzte wieder das regelmäßige Gebrüll der schweren Geschütze ein, das aber jetzt größere Pausen zu machen begann. Einhalb 12 Uhr kroch aus dem wallenden Nebelmassen draußen wiederum ein zerschossenes Wrack hervor, ohne Masten und Schornstein, es war schwer, in ihm das einst so stolze Flaggschiff „Deutschland“ zu erkennen. Ihm folgten, mit Schlagseite nach Backbord, der Panzer „Elsaß“ und die verhältnismäßig intakte „Braunschweig“, die drei anderen „Lothringen“, „Preußen“ und „Hessen“, sowie der Küstenpanzer „Aegir“ waren vom Feinde vernichtet worden. Man erwartete mit Bestimmtheit einen neuen Vorstoß der feindlichen Flotte, doch man wartete vergebens. Als gegen ½1 Uhr der Dunst sich verzog und die Luft wieder sichtig wurde, lag das britische Geschwader weit draußen. Es hatte durch das deutsche Feuer so sehr gelitten, daß es darauf verzichtete, das Bombardement zu erneuern, da auch inzwischen Fort Korügen von den Deutschen zurückerobert worden war.

Genaueres über die englischen Verluste erfuhr man erst später aus dänischer Quelle. Zwei englische Panzerschiffe waren gesunken, ferner war die schwer beschädigte „Remarquable“ unweit des Bülker Leuchtturms auf den Strand gesetzt, um die Überlebenden der Besatzung zu retten. Die Beschädigungen an anderen Schiffen waren außerdem derart, daß der englische Admiral es nicht wagte, mit ihnen die Kieler Hafeneinfahrt zu forzieren, zumal die Zerstörung der Kieler Werft leider zu gut gelungen und weitere Aufgaben entscheidender Art für die englische Flotte in Kiel nicht vorhanden waren, die gelöst werden konnten, bevor weitere deutsche Verstärkungen durch den Kanal eintreffen mußten.

Die englischen Kreuzer, die auf der Höhe der Colberger Heide die englische Landung beschützt hatten, erhielten nunmehr, nachdem Fort Korügen wieder in deutschem Besitz war, und es ein Wahnsinn gewesen wäre, gegen die rapid anwachsenden deutschen Truppenmassen die schwachen Landpositionen und die paar Dörfer zu halten, die Anweisung, die Wiedereinschiffung der Truppen zu decken. Doch auch das gelang nicht vollständig. Von den gelandeten 7000 Engländern lagen 1500 auf dem Felde vor Fort Korügen. Weitere 2000 waren in den Gefechten am Selenter See, bei Lütjenburg und in dem erbitterten Straßenkampfe in Probsteierhagen gefallen, so daß – da alle Verwundeten selbstverständlich zurückgelassen werden mußten – nur 3500 Engländer ihre Transportschiffe wieder hätten erreichen können. Doch machte ein Vorstoß der deutschen Truppen von Labö aus an der Küste entlang auch dieses Unternehmern illusorisch. Mitten unter die englischen Boote und Transportflöße pfefferte plötzlich die deutsche Artillerie von den Strandhöhen bei Schönberg hinein, so daß nur etwa 1000 Engländer an Bord ihrer Transportschiffe, von denen zwei noch durch die Granaten einer deutschen Haubitzbatterie zum Sinken gebracht wurden, gelangten. 1000 Briten gerieten in deutsche Gefangenschaft.

Das war das Ergebnis, als am Abend des 4. April die Sonne sank, und sich die hellgrauen Leiber der fünf Schiffe der „Kaiser“ – Klasse, die am Nachmittag durch den Kanal auf der Kieler Föhrde eingetroffen waren, bei Friedrichsort in der grünen Meeresflut spiegelten.

Der Angriff auf Kiel war abgeschlagen und nur die Silhouetten von sechs englischen Panzerkreuzern zeigten draußen weit auf der Reede, daß der Feind die Blockade aufrecht erhielt. Mit ungeheueren Opfern war der Erfolg auf deutscher Seite erkauft worden. Die englische Landung und die teilweise Zerstörung der Kieler Werftanlagen bewies aber schlagend, wie recht diejenigen gehabt hatten, die immer eine Befestigung des Kieler Hafens nach der Landseite für eine unumgänglich notwendige Forderung gehalten hatten. Unter der Hypnose, der Feind werde auch stets dort angreifen, wo man zur Verteidigung gerüstet sei, hatte man geglaubt, die Küste sei durch Signalstationen und schwache Truppenabteilungen genügend geschützt. Die Konzentrierung größerer Streitkräfte, die man glaubte schnell nach einem bedrohten Punkte hinwerfen zu können, erwies sich als nicht ausreichend gegenüber einem feindlichen Handstreich, wie er jetzt erfolgt war. Die Durchführung dieser englischen Unternehmung verdiente volle Anerkennung, wenn sie andererseits auch nur das bewiesen hatte, daß eine Landung und ein rückwärtiger Angriff auf die ungeschützte Landseite der Kieler Forts nur dann sein Ziel wirklich vollständig erreicht haben würde, wenn man auf englischer Seite einen ununterbrochenen Strom von Truppen in die gewonnenen Positionen hätte lenken können. Dazu reichte aber die Stärke des englischen Landungskorps nicht aus. Auch haperte es bald mit dem Munitionsersatz.

Nur die unerhörte Tapferkeit auf deutscher Seite und die Entschlossenheit, selbst unter gänzlicher Aufopferung der eigenen Flotte die Wucht des feindlichen Angriffes zu brechen, hatte die englische Offensive rechtzeitig zum Stehen gebracht. Wie man später erfuhr, war die Offensive des deutschen Panzergeschwaders nur um eine Viertelstunde einer allgemeinen Angriffsbewegung der Blockadeflotte zuvorgekommen.

Bekanntlich wurden nachher die Versäumnisse in der Verteidigung des Kieler Hafens sehr bald nachgeholt, und heute ist die gesamte Halbinsel der Probstei mit in die Befestigung hineinbezogen worden. Die Höhen bei Schönberg werden jetzt von den grünen Bastionen eines deutschen Forts gekrönt, das zum Andenken an den braven Verteidiger des Ortes den Namen Fort Gerstenhauer trägt.

Die Seeschlacht von Helgoland

Seit dem Bombardement von Cuxhaven beschränkte sich die Tätigkeit der beiden Flotten in der Nordsee auf ein gegenseitiges Beobachten. Hin und wieder kam es zu kleinen, ziemlich harmlosen Schießereien zwischen den auf Vorposten befindlichen Kreuzern, aber etwas Ernstliches schien der Feind nicht zu beabsichtigen, bis die Hauptmacht der französischen Panzerflotte und der größte Teil ihrer Panzerkreuzer in der Nordsee sich mit dem übrigen Geschwader vereinigt hatte. Dieser Zeitpunkt wurde aber immer weiter hinausgeschoben, da die Werften und Arsenale in Brest und Cherbourg zu der Ausrüstung der dort liegenden Schiffe sehr viel mehr Zeit gebrauchten, als man ursprünglich in dem gemeinsamen Angriffsplan vorgesehen hatte. So mußte die Nordseeflotte darauf verzichten, gleichzeitig mit dem Angriff auf den Kieler Hafen gegen die Elbmündung und gegen Wilhelmshaven eine kraftvolle Offensive zu entwickeln, und beschränkte sich daher auf einen Scheinangriff, der von deutscher Seite energisch abgewiesen wurde. Das nur zwei Stunden dauernde Feuergefecht kostete den Franzosen einen größeren Panzerkreuzer. Ein früher unternommener nächtlicher Versuch, à la Port Arthur, die Elbmündung durch Versenkung mehrerer mit Zement beladener alter ausrangierter englischer Panzerschiffe zu sperren, scheiterte an der Wachsamkeit der deutschen Kreuzer, die den schwerfälligen Transport der Sperrschiffe in flaches Wasser trieben, wo sie dann strandeten.

Da es auf der Hand lag, daß die englische Flotte nur auf die Ankunft der französischen Panzer des Nordseegeschwaders wartete, mußte man auf deutscher Seite diese Frist benutzen, um dem feindlichen Angriff zuvorzukommen. Am 15. April abends bei Dunkelwerden verließ die „Kaiser“ – Klasse den Kieler Hafen und ging vom Feinde unbemerkt durch den Kanal nach Brunsbüttel. Das Fehlen dieser Panzer im Kieler Hafen blieb am anderen Morgen dem Feinde verborgen. Von der Beobachtungsstation im Fesselballon, der ständig über der englischen Blockadeflotte schwebte, konnte man keine Veränderung auf der Föhrde feststellen, da an der Stelle, wo die fünf Schiffe der „Kaiser“ – Klasse gelegen hatten, die beiden beim Brande der Werft arg beschädigten Küstenpanzer „Hagen“ und „Siegfried“ sowie drei Kreuzer der „Gazelle“ – Klasse an den Bojen festgemacht hatten. Auf so große Entfernung war der Unterschied kaum festzustellen.

 

In Wilhelmshaven, Bremerhaven, wo zwei Küstenpanzer „Beowulf“ und „Fritjof“, bei den Weserforts stationiert waren, und in Cuxhaven, wo am 16. früh die „Kaiser“ – Klasse eintraf, war man über die Absicht instruiert, womöglich am 16. April – Ostermontag – den Feind in ein Vorpostengefecht vor Cuxhaven zu verwickeln, worauf dann ein konzentrischer Angriff aus den anderen Häfen erfolgen sollte. Diese Disposition beruhte auf den Beobachtungen der letzten Wochen. Jedesmal wenn das in der Elbmündung liegende Panzergeschwader, die vier Schiffe der „Wittelsbach“ – Klasse und „Kaiser Wilhelm II.“ (die „Kaiser“ – Klasse lag in Reserve bei Brunsbüttel) ausgelaufen war, um in die Schießereien zwischen den Vorpostenschiffen einzugreifen, waren die feindlichen Kreuzer auf das Gros der Blockadeflotte zurückgefallen und sobald die deutschen Granaten diese erreichten, wich der Feind elastisch zurück und hielt die deutschen Schlachtschiffe außerhalb des Feuerbereichs seiner schweren Artillerie. Wollte sich das deutsche Geschwader der feindlichen Übermacht nicht einfach ausliefern, so blieb ihm nichts weiter übrig, als stets unverrichteter Dinge in die Elbmündung wieder einzulaufen. Dieses Spiel hatte sich mehrere Male erneuert, und auf deutscher Seite machte sich bereits eine dumpfe Wut darüber geltend, daß man den Feind nicht vor die Klinge bekommen konnte.

Am 16. April lagen zwei französische Panzerkreuzer „Victor Hugo“ und „Amiral Aube“ als Wachtschiffe hinter der äußeren Postenkette, halbwegs zwischen Helgoland und Cuxhaven. Um 5 Uhr morgens lief von Cuxhaven unser Kreuzer „York“ aus, dem Feinde entgegen. Vor ihm wichen die kleinen englischen Kreuzer und Zerstörer koulissenartig nach beiden Seiten zurück. Dadurch kam man unbewußt den Absichten des „York“ entgegen, der Befehl hatte, mit den beiden Panzerkreuzern anzubinden. Die Granaten aus den deutschen 21 cm-Geschützen schlugen bereits zwischen den beiden Franzosen ein, und diese begannen unter mächtiger Rauchentwicklung schon ihren Rückzug in der üblichen Weise, als plötzlich der „Amiral Aube“ mittschiffs weiße Dampfwolken ausstoßend seine Fahrt verlangsamte und dann unbeweglich liegen blieb, mit den Heckgeschützen das Feuer des „York“ hastig aber ohne Erfolg erwidernd.

Es war ein sonniger Frühlingstag, ein frischer Nordwind strich über die blaugrünen Wellen der Nordsee hin und jagte weiße Schaumstreifen über die breite Dünung. Endlos dehnte sich die weite wogende Seefläche, auf der von der Elbmündung aus in der Richtung auf Helgoland nur die beiden langgestreckten französischen Kreuzer sichtbar waren, mit ihren vier, paarweise vorne und hinten an den Signalmasten zusammengedrängten niedrigen Schloten. In der Ferne verrieten noch einige graubraun gestrichene kleinere englische Kreuzer die Anwesenheit des Feindes in diesen sonst völlig verödeten Küstengewässern. Ganz hinten an der Horizontlinie waren die Silhouetten zahlreicher hoher Schiffskörper mit ihren starren Masten zu erkennen. Über ihnen stiegen jetzt dicke schwarze Rauchmassen auf; offenbar machte diese Flottenabteilung Dampf auf. Auf etwa 6000 m hatte der „York“ das Gefecht begonnen und von Cuxhaven aus konnte man erkennen, wie mehrere deutsche Granaten auf den langen Decks der Franzosen aufschlugen und dort krepierten.

Und schon ging die „Kaiserin Augusta“, mit ihrem scharfen Bug breite rauschende Schaumkämme aufwühlend, seewärts, um zusammen mit der ihr vorauseilenden „Vineta“ sich auf den Feind zu stürzen, der offenbar durch eine Maschinenhavarie hilflos und unbeweglich geworden war. Jetzt zogen sich auch die vor dem „York“ nord- und südwärts zurückgewichenen englischen Kreuzer wieder heran und eilten dem bedrängten Kameraden zur Hilfe. Ebenso verlangsamte der bereits 2000 m vom „Am. Aube“ entfernte „Victor Hugo“ seine Fahrt, wendete und brachte seine zwölf vorderen Geschütze ins Feuer. Nunmehr waren sämtliche großen Kreuzer im gegenseitigen Feuerbereich; die „Vineta“ litt schwer darunter, daß ihre hohen Aufbauten dem Feinde eine bequeme Zielfläche boten. Ein Schornstein sah aus wie eine zerfetzte Papierrolle, von der große Lappen herabhingen. Man hatte jedoch den Feind zum Stehen gebracht. Wollte er den havarierten „Am. Aube“ nicht im Stich lassen, so mußte er das Vorpostengefecht weiterführen und sich stärker engagieren, als man es bisher gewohnt war. Gegen ½7 Uhr waren beide Parteien sich auf ungefähr 3000 m nahe. Es war wie bei Wörth; aus einem kleinen Vorpostengefecht entwickelte sich gleichsam mechanisch eine Schlacht, indem von beiden Seiten immer mehr Streitkräfte ins Feuer geführt wurden. Um 7 Uhr gingen die fünf Schiffe der „Wittelsbach“ – Klasse in Kiellinie hintereinander dampfend aus der Elbmündung heraus und griffen ½8 Uhr mit ihren schweren Geschützen in den Kampf ein, was gleich anfangs den Erfolg hatte, daß eine explodierende Granate das Heck des „Victor Hugo“ wegriß und seinen Rudermechanismus unklar machte. Somit befand sich auch der „Victor Hugo“ in derselben hilflosen Lage, wie sein bereits jämmerlich zerfetzter Kamerad „Am. Aube“, der nur noch einen Schornstein und einen Signalmast hatte und jedenfalls auch in der Wasserlinie beschädigt war. Er drehte, jetzt quer zur Fahrtrichtung des „York“, steckte die Steuerbordsreeling tief ins Wasser und verschwand dann langsam in den Wogen. Auch ein anderer kleiner Kreuzer, der von Norden herandampfte, ging etwa 1000 m vom „Am. Aube“ unter. Die beiden französischen Panzerkreuzer hatten schleunigst um Hilfe signalisiert, wie sich das aus den Störungen auf der Funkspruchsstation Neuwerk und auf dem deutschen Geschwader kurz nach Beginn des Feuergefechtes ergab. Das Gros der Blockadeflotte, die Linienschiffe, dampften heran und um ½8 Uhr war vom Lande aus gesehen, der ganze Horizont von zahllosen starren Masten und schmutzigen Rauchwolken umsäumt.

Es war kein Zweifel mehr, die Absicht der deutschen Flottenleitung war erreicht; die feindlichen Geschwader kamen endlich einmal auf Schußweite heran. Der „Wittelsbach“ – Klasse waren die fünf Panzer der „Kaiser“ – Klasse, geführt von dem Flottenflaggschiff „Kaiser Wilhelm II.“ bereits gefolgt. Mit anderen Worten: alles was an wirklich modernen Linienschiffen von der deutschen Flotte noch auf dem Wasser schwamm, ging jetzt in der Richtung auf Helgoland aus der Elbe heraus.

* *
*

Von Viertelstunde zu Viertelstunde hatten die Funkspruchsstationen entlang der Küste die Meldungen über den Fortgang des Vorpostengefechtes bei Neuwerk nach Bremerhaven, Wilhelmshaven und Emden gemeldet. Es galt von deutscher Seite jetzt alle Kräfte ins Gefecht zu führen, um die Entscheidung nach der Richtung zu beeinflussen, daß in dem Riesenkampfe um die Seeherrschaft auf dem deutschen Meere möglichst viel feindliche Schiffe zum Sinken gebracht wurden. An einen wirklichen Sieg konnte man nicht denken, es galt nur die Verluste des Feindes so zu gestalten, daß seine Kräfte nach der Schlacht nicht mehr imstande sein konnten, die deutschen Flußmündungen zu forzieren. Dann hatte die deutsche Flotte ihre Aufgabe gelöst.

Während die zehn deutschen Panzer aus der Elbmündung der englischen Flotte entgegendampften um sie zum Kampfe zu stellen, der dann in dem Dreieck zwischen Helgoland, Scharhörn und Wangeroog stattfand, verließen in Wilhelmshaven die vier Schiffe der „Brandenburg“ – Klasse um ½8 Uhr die Mole, gefolgt von den vier Veteranen der „Sachsen“ – Klasse und der „Oldenburg“. Gleichzeitig gingen die beiden Küstenpanzer „Beowulf“ und „Fritjof“ von Bremerhaven aus in See, um zusammen mit den Divisionen von Wilhelmshaven die feindliche rechte Flanke, die von den französischen Panzerschiffen gebildet wurde, anzugreifen. Alles, was auf deutscher Seite noch irgendwie als Schlachtschiffen in Betracht kommen konnte, war hier aufgeboten, selbst die „Sachsen“ – Klasse glaubte man noch einsetzen zu dürfen. Nur die kleinen Kreuzer in Cuxhaven und Wilhelmshaven blieben dort, mit den völlig veralteten und kaum noch für die Hafenverteidigung in Betracht kommenden Panzerkanonenbooten zurück. Da man es mit einer zweifachen Übermacht zu tun hatte, stand der Ausgang von vornherein nicht in Frage.

Im Torpedoraum

Um 7 Uhr wurde in Wilhelmshaven „Klarschiff“ geschlagen. Alle Mann standen an ihren Posten, gewärtig des Signals, das des Reiches stählerne Schutzwehren dem Feinde entgegenwerfen sollte. An den Geschoßaufzügen, in den Türmen und in den Kasematten standen die Posten die Hand an der Radwelle des Paternosterwerkes, das aus schwarzer Tiefe heraus, aus den Granat- und Munitionskammern die gewichtigen Projektile nach oben befördern sollte. Jeder Mechanismus glänzte blank geputzt und war zu der todbringenden Arbeit gerüstet. Aus dem Maschinenraum dröhnte dumpfes Stampfen und Zischen herauf, und die gewaltigen Schiffsleiber zerrten und rüttelten an ihren Stahltrossen, wenn die Schrauben versuchsweise einige Umdrehungen machten.

Jetzt ein Druck auf den Hebel, dort oben im Kommandoturm, der den Führer mit einem stählernen Wall gegen feindliches Feuer schützt. Die Trossen werden losgeworfen, ein schrillender Glockenschlag in der Maschine, das stille Wasser des Hafenbeckens wirbelt mit schmutzigem Schaum am Heck in wallenden Strudeln empor. Vorn am Bug erhebt sich eine schwache Welle, sie teilt sich, rauscht an beiden Seiten zurück in breiten Streifen, und hinaus lenkt das Panzerschiff aus dem Hafenbecken. Während die Blicke der am Ufer Zurückbleibenden an der Flagge des Reiches, die stolz von allen Masten flattert, hängen, und tausend Hände den treuen Männern einen letzten Gruß zuwinken, tönte vom Lande noch einmal die begeisternde Weise des Flaggenliedes und donnernde Hurras erschüttern die Luft. Hinaus geht’s mit wehenden Flaggen, hinaus auf die freie deutsche See, deren grüne Wasser und weißes Schaumgeriesel an den hellgrauen Panzerwänden der Schiffe klatschend emporlecken.

Ja, wer von dort oben an den Geschützen dem Feinde ins Auge blicken, wer sich als Herrscher fühlen konnte über die weite See. Das war ein ander Los, auch für den, der mit seinem letzten Blick noch des Himmels Blau und den kräftigen Salzhauch der See in sich trinken konnte; hier starb’s sich anders, als dort unten im Dunkel, eingepfercht zwischen Stahlmauern und unablässig sich drehenden und stampfenden Stahlblöcken, dort unten, wo man nichts von dem sah, was draußen vorging, wo, wenn das Schiff sank, alles im Wasserstrudel erstickt wurde.

Der Leutnant Andersen kommandierte in der Steuerbordstorpedokammer des Panzers „Wörth“. Schweigend standen die kräftigen halbnackten Männer in dem niedrigen, dunstigen nur von zwei elektrischen Lampen erhellten Raume. Nur flüsternd unterhielten sich die Leute miteinander und achteten sorgsam auf jedes Geräusch, gegenwärtig des Augenblickes, der ihnen das Telegraphenkommando übermittelte, das dem blanken Torpedo in der Ladekammer den Lauf in die Meeresflut freigeben sollte. Von hinten aus der Tiefe des Schiffsraumes her tönte das wuchtige Arbeiten und Hämmern der Maschinen, die mit voller Kraft der Dampfspannung das Schiff durch die Wogen trieben. In dem Lärm der rhythmisch auf- und niederarbeitenden Kolbenstangen, des taktmäßig sich hebenden und senkenden stählernen Gestänges, des zischenden Blasens an den Ventilen ging die Menschenstimme fast unter.

Öffnete sich die schmale eiserne Tür zum Heizraum, so sah man dort wie in einen Krater, in dem die nackten vom Kohlenstaub geschwärzten Arme der Heizer mit scharrenden Schaufeln große Kohlenblöcke in die weiße Glut der Feuerung hineinwarfen. Es war ein seltsam schauriges Bild, diese von dem Feuerschein grell beleuchteten Gestalten zwischen den roten Schlünden der Feuerungen und den schwarzen glänzenden Kohlenhaufen unermüdlich schaffen zu sehen. In den Ventilatoren rauschte und brauste der frische Luftstrom, der nach unten geführt, wenigstens einen Zug Lebensluft in diese Gluthölle hineintrieb.

Noch war man in dem ruhigeren Fahrwasser der Jade, aber jetzt ging’s hinaus. Leutnant Andersen zog seine Uhr: „Wenn wir mit 15 Seemeilen laufen, so müssen wir jetzt ungefähr am Roten Sand-Leuchtturm sein“. Und wie eine Antwort auf seine Bemerkung klang jetzt der durchdringende Ton des Maschinentelegraphen. „Also Volldampf“ flüsterte der Leutnant und wieder standen die schweigenden Männer in dem dumpfen, niedrigen Raum und horchten auf jeden Ton, der von außen durch die dicken Stahlplatten zu ihnen hereindrang. Schwerfällig begann das Schiff zu stampfen, man war auf freier See. Die Wogen warfen ihre Wassermassen rauschend und polternd gegen die Schiffswand.

 

Mit den Schiffsbewegungen begann jetzt alles, was lose war, langsam hin und her zu pendeln, und unwillkürlich machte jeder diese wiegenden schwebenden Schwingungen mit, auf und nieder. Unter dem Druck dieser dumpfen Stimmung, von den Schwankungen in gedankenloses Hindämmern gewiegt, bildete man sinnlose Worte nach dem scharfen Taktschlag der Maschinen und wiederholte sie immer wieder von neuem nach dem Rhythmus der Kolbenschläge. Aller Augen hingen schließlich wie an einem Rettungsanker an einem von der Decke herniederbammelnden Stückchen Tau, welches mit den Schiffsbewegungen langsam hin und her schwebte. Da erschütterte ein furchtbarer Krach den ganzen Bau des Schiffes, das schwingende Tau machte auf halbem Wege Halt und wußte anscheinend nicht mehr, welchem Rhythmus es sich nun wieder anpassen sollte. „Gott sei Dank, sagte Leutnant Andersen, wir haben das Feuer eröffnet. Martens nehmen Sie doch das Tau herunter, das macht einen ja ganz nervös“.

Jetzt dachte jeder daran, wie wohl das Tau dahin gekommen sein mochte. Ein paar Sekunden wieder nur das dumpfe taktmäßige Stampfen der Maschinen, und dann brach es oben los wie ein Gewitter, der Geschützkampf hatte begonnen. Einer der Leute, der zunächst an der Außenwand des Torpedoraumes stand, prallte plötzlich von ihr zurück, seinen Nebenmann fast umreißend. Ein krachender Donnerschlag gellte in den Ohren, die Erschütterung ließ die elektrischen Lampen aufzucken. Jeder suchte sofort an der weißgestrichenen Wandfläche, ob nicht irgendwo ein Wasserstrudel hereinbrauste, sie alle wie Mäuse in der Falle ersäufend.

Nichts erfolgte, oben raste nur der tosende Orkan weiter, und die Wogen polterten gegen die Schiffswand.

„Herr Leutnant, sagte einer der Mannschaften, dort kommt Wasser“. Und richtig, durch einen fast unmerklichen Riß oben in der Außenwand perlte und quoll tropfenweise ein schwaches Gerinnsel in den Torpedoraum hinein. Eine feindliche Brisanzgranate war vor der „Wörth“ ins Wasser schlagend krepiert. Der Druck der Explosion hatte ein Stück der stählernen Außenhaut unterhalb des Panzergürtels zwischen einzelnen Spanten weggedrückt und hatte auch den Doppelboden an einigen Stellen eingerissen. Das war die Detonation von vorhin gewesen.

Unaufhörlich erbebten die Stahlmassen des Panzers unter den Stößen des Geschützfeuers und wurden dazwischen von krachend einschlagenden feindlichen Geschossen erschüttert. Während bisher die Bewegungen des Schiffes nur ein regelmäßiges Stampfen auf den Wogen gewesen waren, ward der Schiffskörper jetzt im Gefechte regellos hin und her geworfen und schleuderte in der Maschine und in dem Torpedoraum die Mannschaften oft heftig gegen einander. Dann wieder fühlte man sich wie in einem Wirbel um sich selber gedreht, wenn das Schiff nach links oder rechts eine rasche Wendung machte.

Stumm standen die Mannschaften im Torpedoraume an dem mattglänzenden Rohre. Da erschien in Flammenschrift vor ihnen an der Außenwand das Kommando: Achtung. Ein Seufzer der Erleichterung ringsum. Endlich also. Die Hand am Hebel, den zweiten Torpedo bereit, daß er sofort dem ersten in das Lanzierrohr nachgeschoben werden konnte; so vergingen die Sekunden tropfenweise. Man mußte dicht am Feind sein. „Los!“ lautlos erschien in glühenden Lettern der Befehl auf der Glasscheibe des Signalapparates. Den Hebel herumgerissen; ein leises metallenes Klappen und Schnappen im Rohre, ein Gurgeln und Schluchzen von Wasser, das in die leere Kammerschleuse des Lanzierrohres hineinflutete. Das Geschoß war fort … Traf es? … Kräftige Arme ergriffen den zweiten Torpedo, er glitt in die dunkle Öffnung des Rohres, und nach ein paar Sekunden sah alles aus wie vorher. Hatte der Schuß getroffen? Hier nach unten drang kein Ton, nur oben raste das Donnergetöse weiter und von hinten her dröhnte das Stöhnen und Stampfen der rastlos arbeitenden Maschinen, von außen krachten wuchtige Schläge gegen die Schiffswand.

Da ließ ein schmetterndes Krachen alle Pulse stocken, ein markerschütternder Schrei aus der Maschine, ein nervenbetäubendes Gepolter zerreißenden Metalls, als ob ungeheuere Eisenblöcke gegeneinander geschleudert würden; doch das taktmäßige Stampfen und Schlagen der Maschinen dauert fort.

„Martens, schließen Sie die Tür!“ schrie der Leutnant, und knallend fiel die Tür in ihren stählernen Rahmen. Auf dem Gange draußen verklang das Wimmern und Schreien sterbender Menschen.

Eine feindliche Granate war in den Kesselraum der „Wörth“ gefahren und hatte zwei Kessel zerschlagen. Der ausströmende Dampf verbrühte die in der Nähe befindlichen Heizer sofort und drang auch in andere Schiffsräume, deren Schotttüren nicht geschlossen waren, auch hier noch mehrere Leute tötend. Die vom Torpedoraum nach dem Gange führende Eisentür, die eben noch rechtzeitig geschlossen wurde, war in einem Moment darauf ebenso wie die ganze Wand glühend heiß. Als Martens die Tür zuwarf, blieben an ihrem Griff bereits Hautfetzen von ihm kleben. „Herr Leutnant“, sagte er, seine Rechte hinhaltend, „das war hohe Zeit“. Ohne Aufhören dröhnte das Gebrüll der Schlacht.

Da erloschen plötzlich die Lichter im Torpedoraum, das elektrische Kabel mußte irgendwo verletzt sein, und nur die beiden Öllampen erhellten den schwülen, dunstigen Raum mit ihrem rötlichen Lichte. Noch einmal kam das Kommando, noch ein Torpedo verließ das Rohr, dann warf ein Stoß die Mannschaft in einem wilden Knäuel durcheinander. In sinnlosem Entsetzen glaubte jeder jetzt das Wasser hereinbrechen zu sehen, denn das konnte nur ein Rammstoß gewesen sein. Empfing man ihn, oder rammte man selber? Die Schwankungen des Schiffes ließen nach … Keine Schlagseite … Die „Wörth“ schien unverletzt. Dann wieder eine kreiselnde Bewegung. „Wir gehen zurück“, sagte der Leutnant, indem er seinen kleinen Taschenkompaß beobachtete, „natürlich, wir gehen zurück. Voigt, gehen Sie nach oben und bringen Sie sofort Bescheid, wie die Schlacht steht“. Nur mit Mühe konnte der Mann die Tür des Torpedoraumes aufstoßen, er mußte mit ihr einen schweren Körper beiseite schieben, erkannte in dem schwachen Lichte auf dem Wallgang einen seiner Kameraden, der von dem siedenden Dampfe verbrüht im letzten Moment noch gehofft hatte, sich in die Torpedokammer retten zu können. Jetzt lag er, eine Masse gequollenen Fleisches, draußen an der Tür, die Hand noch an deren Griff. Als Voigt die Tür wieder schloß, löste sich der Arm des Toten vom Körper. Fünf Minuten später, stand Voigt wieder vor seinem Leutnant und meldete, während dicke Tränen über die Wangen des braven Burschen rollten: „Herr Leutnant, S. M. S. ‚Wörth‘ geht auf Wilhelmshaven zurück. Herr Kapitänleutnant Wehrmann läßt Herrn Leutnant sagen, wir wären vom Geschwader das letzte Schiff, welches noch auf der Südfront kämpft. Das Geschwader auf der Elbe ist anscheinend vollkommen vernichtet. Wir werden vom Feinde hart verfolgt“.

Tiefes Schweigen herrschte in dem kleinen Raum. In das Gefühl, doch noch heil davon zukommen, mischte sich der quälende Schmerz über diesen Ausgang und eine sinnverwirrende die Kehle dörrende Wut, dem Feinde ohnmächtig gegenüber zu stehen.

Doch kein Raum zu solchen Gedanken. Eine Ordonnanz erschien: Alle Mann aus den Torpedoräumen an die Geschütze. Leutnant Andersen führte seine Leute durch Gänge, auf deren Boden stöhnende Verwundete lagen, über zerschmetterte Treppen, über blutbeschmierte Planken hinauf in den hinteren Geschützturm. Sowie die Mannschaften an die frische Luft kamen, taumelten sie, von einer plötzlichen Schwäche erfaßt, die furchtbaren Stunden dort unten in dem stickigen Dunst hatten die Nerven auch dieser frischen Naturmenschen bis zur Erschöpfung gebracht. Aber keine Zeit zur Schwäche; der Leutnant übernahm das Kommando im hinteren Turm an dem einzigen noch intakten Geschütz und rasch packten die sehnigen Arme der Torpedomannschaften die auf der Ladeschale liegende Granate, schoben sie ins Rohr und entnahmen den Armen eines toten Kanoniers die Kartusche.