Das Abenteuer einer Transformation

Tekst
Autor:
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Mutter Indien

Bombay, 7. März 72. Die Ankunft hier in Bombay ist zu viel. Ich würde am liebsten davonlaufen. Die miserablen Baracken neben dem Flughafen, die erdrückende Hitze, die wimmelnden Menschenmassen, der Schmutz im Hotel, die Hippies von Goa, Verrückte, Verzauberte. In der Straße unterhalb des Hotels Bettler, Aussätzige, die Kinder, die mich auslachten und mir "Hippy" nachriefen. Hare Krishna, Hare Ram. Ich fühle mich schrecklich plump mit meinen Röcken, meinen unordentlichen Haaren. Es ist wirklich eine andere Welt, ein unglaublicher, immenser Basar, ich habe Angst. Vor dem Hoteleingang ist ein Hippy mit blondem Bart, in schmutziges Weiß gekleidet. Auch vor ihm habe ich Angst. Ich fürchte, er könnte sich meines Geistes bemächtigen. Automatisch wiederhole ich das Mantra, das ich von Piero gelernt habe: "Hari sharanam, Shiva sharanam, Ram sharanam, Prabhu Krishna sharanam", ich nehme Zuflucht bei Shiva, Ram, Krishna...

Ich bemühe mich durchzuhalten. Es ist heiß. Alle rauchen Haschisch im Zimmer, stopfen sich mit heißem Tee, mit Milch und fetten Süßigkeiten voll, mir ist übel. Die Nahrung hier mag ich überhaupt nicht, Frittiertes, fettig, schwer, und die Restaurants sind schmutzig. Nur die großen Gläser mit Fruchtsaft stärken mich ein wenig, aber die Bettler dort nebenan, mit ausgestreckten Händen, machen dies wieder zunichte. Ich fürchte mich, allein auf die Straße zu gehen, Piero und Claudio nehmen mich mit. Gianni ist schon im Opium- und Morphiumrausch versunken.

Dieser Tage sah ich einen Schlangenbeschwörer. Was mich am meisten beeindruckt, sind die Augen der Armen und der Bettler, ironisch, wie Glückselige, fast alle mit einem Lächeln im Gesicht. Als wüssten die Leute hier, dass alles relativ ist und die Wirklichkeit eine Art Taschenspielertrick. Ich erinnere mich an die angespannten, harten und bleichen Gesichter der Menschen in Mailand, morgens in der Straßenbahn, ihre Traurigkeit und Kälte.

11. März 72. Heute habe ich eine Gruppe von wunderschönen Menschen kennengelernt. Junge Leute aus Kalifornien mit langen Haaren und Bärten, weiß gekleidet. Sie sind in Indien zu Hause. Selbstsicher. Ich treffe auch Lillo, eine Italienerin, eine kleine, magische Elfe, die mich lehrt, meine Gewohnheiten zu ändern und mich auch in Weiß zu kleiden. Ich begegne den "Rainbow Gipsys", den Regenbogen-Zigeunern. Sie kommen aus allen Ecken der Welt, ziehen auf gut Glück durch die Straßen, mit wenig Geld. Sie reisen herum, tanzend, lachend, sind wunderschön und finden immer irgendwen, der sie als Gast aufnimmt und ihnen hilft. Sie sind in Magie gehüllt und sie verzaubern mich.

Rosa, ein italienisches Mädchen, läuft mit nacktem Busen umher, mit einem Äffchen im Arm, das an ihrer Brust saugt - es geschieht ihr nichts. Von Daniel und Sitaram, den beiden Amerikanern, fühle ich mich angezogen und ich spüre, dass sie es seit langem wissen. Ich würde gerne wie sie werden, mutig, selbstsicher. Ich würde gerne das Wissen erreichen, von dem ich glaube, dass sie es haben. Ich entscheide, meine Haare mit Henna rot zu färben und mich auf einer Hand tätowieren zu lassen. Es scheint mir eine erste Geste von Mut zu sein.

12. März 72. Heute früh waren wir alle im Zimmer gesessen, da läutete es und Carlo kam herein. Sie nennen ihn heute Shanti. Sechs Jahre sind es, die ich ihn nicht mehr gesehen habe, und fast hätte ich ihn nicht wiedererkannt. Er hat immer noch sein kindliches Lächeln, aber jetzt hat es sich mit etwas Altem, Weisem vermischt; er ist indisch gekleidet und das beeindruckt mich sehr. Er war einer der ersten, die vor einigen Jahren von Mailand weggingen, um Indien für sich zu entdecken. Damals war er 16 Jahre alt und hatte den Mut gehabt, praktisch ohne Geld, per Anhalter, zu Fuß, über Afghanistan und Pakistan aufzubrechen. Viele machten es so, und ich frage mich jetzt wieder, wie sie es schafften, zu überleben, bewundere ihr Vertrauen. Ich habe gehört, dass Shanti in diesen sechs Jahren mit vielen indischen Gurus zusammen gewesen sein soll und jetzt selbst Guru geworden sei. Er spricht in einer seltsamen Art, langsam und friedfertig.

Ich klammere mich sofort an ihn und fühle, dass er mich irgendwo hinführen wird.

1966 hatten wir zusammen gelebt, die erste Kommune-Erfahrung in Mailand gemacht, in einem alten und frostigen Dachboden im historischen Teil der Stadt. Er und die anderen Freunde waren unter den ersten "langhaarigen Hippies" jener Zeit, verspottet, beschimpft von den Leuten auf der Straße: "Bärtiger - geh' arbeiten!"

Ich hatte die ersten "Gedrehten" geraucht und die ersten Träume vom mystischen Orient geträumt, hatte ihn und Gianni in einem Restaurant von Brera getroffen und sie zum Abendessen eingeladen. Ab da begann ich mich mit ihnen zu treffen. Alles probierten wir aus, happenings mitten auf der Straße und in einer Kulturstätte, wir wurden auch eingesperrt. Gianni landete für eineinhalb Jahre im S. Vittore-Gefängnis, weil man ihn mit ein bisschen Haschisch erwischt hatte. Carlo ist per Anhalter nach Indien aufgebrochen. Auch ich löste mich von ihnen, begann mein Studium an der Universität und wendete mich 1968 der Politik zu.

Einige Jahre vergaß ich den indischen Traum, und jetzt ist es wohl gerade Shanti, vor dem ich mich schier unvermeidlich wiederfinde, und der mich neu daran glauben lässt. Er begann sofort, mich zu necken, weil ich mit zwei Buddhisten unterwegs bin, mit Claudio und Piero. Er polemisiert und sagt, dass der Hinduismus von großer, zeitloser Überlegenheit ist, aber ich würde das zur Zeit nicht begreifen. Ich spüre nur, dass Shanti für mich ein Rettungsanker ist. Piero und Claudio sind von ihrer Sache überzeugt, sie gehen darin auf, und ich erkenne, dass sie nicht dazu berufen sind, mich in ihren Bann zu ziehen. Noch habe ich kein Englisch gelernt und ich fühle mich richtig verloren. Dennoch entschließe ich mich aber, mit Piero und Claudio im Zentrum von Bombay an einem Meditationskurs teilzunehmen. Es handelt sich, erklären sie mir, um einen Vipassana Meditationskurs, der von dem Begründer selbst geleitet wird, von Goenka, einem großen, renommierten Meister. Auch Gianni entschließt sich, mit dem Morphium aufzuhören und teilzunehmen.

15. März 72. Heute beginnt der Kurs. Es ist das erste Mal, dass ich eine solche Erfahrung mache, und ich bin aufgeregt. Alles ist sehr ordentlich, gut organisiert, sauber. Es ist eine Mischung von Menschen aus dem Westen und Indern; die Inder hier sind eigen, haben eine sehr gute Ausstrahlung, sind vorwiegend weiß gekleidet und sehr auf Disziplin bedacht.

Mir wird bewusst, dass sie jede Geste des täglichen Lebens wie ein Ritual vollziehen, vom Essen bis hin zum Baden. Es erschreckt mich auch ein bisschen, zum ersten Mal begegne ich einem Meister, einem Guru.

17. März 72. Seit zwei Tagen bin ich hier und gebe mir viel Mühe, es ist heiß. Wir stehen um fünf Uhr morgens auf, ich dusche mich und wir beginnen in der Stille zu meditieren. Wir müssen uns nur auf das Atmen konzentrieren, für mich ein schier unmögliches Unterfangen, auf dem Boden sitzen zu bleiben, mit verschränkten Beinen, aufzuhören zu denken. Trotzdem versuche ich es. Zu einem bestimmten Zeitpunkt morgens und nachmittags versammeln sich alle in einer großen Aula vor dem Meister.

Shri Goenka ist ein Mann um die 50, untersetzt, kräftig, mit einem Buddha-Bauch. Von ihm strömt eine ruhige Energie aus, friedlich, gut, stark. Die Leute singen zusammen ein Lied mit einer sehr schönen Melodie. Zum Ende der Sitzung hört man die Stimme des Meisters, der in Englisch spricht: "Liebe, unendliche Liebe für alle Wesen", Liebe, Liebe, endlos, für alles Sein: das ist seine Belehrung, jeden Tag. Und dann gibt er jedem einige Minuten Zeit, still vor ihm zu sitzen, allein mit ihm zu sein. Es ist ein Moment der direkten Begegnung, telepathisch. Wieder einmal packt mich die Angst. Ich setze mich vor ihn und habe Angst um meinen Geist, fürchte mich, negative, aggressive Gedanken zu haben und dass er sie erkennt. Ich fühle mich wie vor einem Spiegel. Mir wird klar, dass es so vieles in mir zu reinigen gibt.

24. März 72. Heute ist der Kurs zu Ende und ich bin froh, ihn gemacht zu haben. Wir sind im Hotel zurück und müssen entscheiden, ob wir weiterreisen. Ich treffe Shanti wieder, und aus dem Stegreif frage ich ihn, ob ich bei ihm bleiben kann. Piero und Claudio wollen weiter nach Nepal, aber ich spüre, dass ich in Indien bleiben und viele Dinge lernen muss.

Ich sage zu Shanti, dass ich gerne einen Guru treffen würde, und er lädt mich ein, mit ihm nach Almora zu fahren, wo er zusammen mit seinen Freunden, mit den Regenbogen-Zigeunern, ein Haus gemietet hat. Er sagt, dass viele der Meister und Heiligen in jener Gegend lebten, in den indischen Bergen. Ich bin glücklich, dass ich mit ihm gehen kann.

25. März 72. Wir gehen im Basar von Bombay umher, er ist überfüllt von Menschen, von Farben, von Menschsein. Ein großes, vitales Pulsieren und eine Energie von Liebe und Wärme. Die Frauen sind wunderschön, ich werde nicht müde, sie anzusehen. Sie sind das vollkommene Ebenbild der Weiblichkeit, voller Harmonie, Grazie, aber in einer Weise, die ich als schillernd, keusch wahrnehme. Die bunten Saris sind eine Pracht. Indien beginnt mich einzunehmen und anzuziehen. Jetzt entscheide ich mich, dem Abenteuer zu folgen.

Heute reise ich mit Gianni und Shanti nach Rajasthan. Bevor wir nach Almora gehen, werden wir bei einem von Shantis Gurus vorbeischauen, der in der Nähe von Jaipur wohnt, bei Hari Puri.

Neu Delhi, 27. März 72. Mit dem Flugzeug sind wir in Delhi angekommen. Es ist weniger heiß als in Bombay und es scheint hier etwas zivilisierter zu sein. Wir sind in einem angenehmen Gästehaus und stärken uns an der Straße mit tropischen Früchten, die mit Eiswürfeln serviert werden. Es sei gefährlich, sagt man mir, so unterwegs zu essen, aber ich fühle, dass es eine Kraft gibt, die mich schützt, und dass ich nicht zu zimperlich sein darf. Ich muss mich in diese Geschichte stürzen, ohne Vorbehalte, bis in die Tiefe.

 

Jaipur, 29. März 72. Hier sind wir also, angekommen in Jaipur in Rajasthan, mit dem Zug. Die Züge sind überfüllt, sehr langsam, schmutzig, staubig, mit Abteilen und Sitzbänken aus Holz. Zum Glück habe ich durch die Reisen in Marokko schon ein bisschen Erfahrung damit.

Mit einer Riksha fahren wir in den Dschungel zu Shantis Meister.

Es ist ein Ort mitten in der Wildnis, voller Sadhus, gleichfalls wild. Sie haben sehr lange Haare, geknotet, die sie nicht kämmen, Körper wie die von Waldkatzen. Die ganze Zeit über rauchen sie Haschisch. Sie erzählen mir ihre Geschichten, etwa wie sie Tiger mit ihren bloßen Händen erlegt haben und dergleichen mehr. Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagen, aber sie fahren fort, mit mir zu sprechen, ganz unbefangen. Ich lege mich neben Gianni hin, um auszuruhen, und einer von ihnen hebt meinen Rock hoch, um zu sehen, ob ich eine Unterhose anhabe. Sie geben mir Haschisch zu rauchen und betäuben mich.

Sie ließen mich den Meister treffen: er ist krank, sehr mager, klein, glatt rasiert, sitzt auf einem Bett. Er hat schwache Augen, die aber eine unglaubliche Liebe ausströmen. Ich würde ihm gerne ein Geschenk machen. Mein silbernes Armband gebe ich ihm, das einzige ein bisschen Wertvolle, das ich habe. Auch mit ihm können wir über nichts Bedeutendes sprechen. Es gibt nur den Austausch dieser Wellen der Liebe. Wahrscheinlich wird er bald sterben, sie schaffen es nicht, ihn zu heilen.

2. April 72. Wir waren auf dem Basar, um Stoffe zu kaufen. Die Geschäfte hier sind Plätze, an denen man verweilt, sich hinsetzt, Tee trinkt, ein bisschen plaudert, sich die Geschichten vom wirklichen Leben erzählt. Und dann ziehen sie dich nach draußen, zeigen dir quasi den ganzen Markt, und vielleicht kauft man auch etwas. Die Männer (Frauen sind nicht in den Geschäften) sitzen im Schneidersitz oder ausgestreckt auf großen weißen Betten, als sei die Zeit stehengeblieben und als seien sie nicht etwa dort, um Kunden zu erwarten, sondern nur einfach um zu leben, quasi zu meditieren.

Dann gehen wir in ein luxuriöses Restaurant zum Essen, alter Maharaja-Stil. Wir werden wie große Herren bedient. Die Menschlichkeit der indischen Bedienung ist unglaublich, sie identifizieren sich vollständig mit dem Servieren. Es ist beschämend, bei all den Privilegien fühlt man sich wie ein alter Kolonialist. Ich spüre sofort, dass ich es vorziehe, bei den armen Indern und ihren Plätzen zu sein.


Die Begegnung mit Babaji

Almora, 3. April 72. Heute früh sind wir nach einer endlos langen Reise in Almora angekommen. Es ist ein Bergstädtchen auf 1.800 m Höhe, aber es ist nicht so kalt wie bei uns in den Bergen. Der Basar ist schmutzig, das Hotel baufällig, ich ziehe es vor, unterwegs in kleinen Restaurants zu trinken und zu essen. Ich hätte nicht erwartet, derart ärmliche Häuser zu sehen, aus morschem Holz. Das Hotel ist voller Läuse - schrecklich. Morgens ist es kalt, das Duschwasser eisig. Ich bin überrascht, denn das Dorf wurde mir als ein idyllischer Ort beschrieben.

5. April 72. Wir sind in dem Landhaus, mitten im Tal, das Shanti und die Rainbow-Gipsy Gruppe gemietet haben. Es ist schön hier und man fühlt sich wohler.

Alles ist aber sehr unbequem. Es gibt keine Toiletten, elektrisches Licht fehlt und eine Wasserleitung. Ich übernehme es, zu kochen, Töpfe und Geschirr zu spülen. Ich fühle, dass mir das guttut. Ich gebe mir viel Mühe, alle Dinge kuschend zu tun, bewundere die Inder, denen es gelingt, alles in dieser Weise zu machen. Sie haben sehr bewegliche, geschmeidige Körper. Ich komme mir plump, unbeholfen vor dagegen, aber ich fühle, dass ich eine Arbeit tun muss, die den anderen dient.

In der Gruppe gibt es sehr schöne Menschen. Die beiden Kalifornier aus Bombay sind mit ihren Frauen da, auch Rosa, das italienische Mädchen: geschmeidig führt sie morgens wunderschöne Yoga-Stellungen aus. Wir essen alle zusammen, auf dem Boden sitzend, von großen Platten mit Reis und Gemüse.

Shanti hilft mir: er übersetzt für mich, mit viel Geduld erklärt er mir die Dinge, auch die indischen Traditionen. Er führt mich herum. Auch er, so fühle ich, ist jetzt ein Meister für mich. Die jungen Leute singen zur Gitarre wunderschöne Lieder. Vor allem das Lied, das Daniel singt, berührt mich: "We are one for a universe of love", (Wir sind eins für ein Universum der Liebe).

Langsam passe ich mich an den neuen Tagesrhythmus an, der sich nach einfachen, praktischen Dingen richtet: kochen, waschen, sauber machen, dasitzen und die majestätische Schönheit des Tals betrachten; das Grün der Berge und die schneebedeckten Gipfel des Himalaja in der Ferne. Nachts ist es kalt und wir schlafen alle nah beieinander, zusammengedrängt auf dem Fußboden in einem einzigen Raum. Shanti führt mich zu seinen Freunden in Almora und stellt mich empfehlend den indischen Familien vor; erklärt ihnen, dass ich in Philosophie promoviert habe und dass meine Mutter italienisches Parlamentsmitglied ist. Es scheint, als würden diese Dinge hier viel bedeuten.

Wenn ich die Bäuerinnen sehe, die die Straße entlang schreiten, mit ihren weiten, grünen Röcken und den Körben mit Kräutern auf dem Kopf, überkommt mich das Gefühl von etwas, das mir sehr familiär ist, bekannt, wie schon einmal erlebt.

10. April 72. Shanti hat mich heute mit Tara Devi bekannt gemacht, einer betagten amerikanischen Dame, die seit 20 Jahren in Almora lebt. Sie hat uns eingeladen, in die Stadt zu gehen, um einen indischen Heiligen zu sehen, Babaji, die Inkarnation, sagen sie, eines alten, berühmten Yogi, genannt Haidakhan Baba.

Sie erzählt uns, er habe seinen Körper verjüngt, ohne durch den Tod gegangen zu sein und erscheine jetzt als Zwanzigjähriger, obwohl er in Wirklichkeit 130 Jahre alt sei, der ohne Essen und ohne Schlaf lebe. Ob das wahr ist? Sie sagt uns auch, Babaji habe ihr aufgetragen, sie solle alle Westlichen, die sie in Almora kenne, einladen, denn er suche unter ihnen eine Person, seine Jüngerin aus früheren Leben.

Lachend sagte Shanti zu mir, dass, wer weiß, vielleicht ich das wäre. Gestern las er mir aus der Hand und meinte, ich hätte die Linien einer Yogini, von einer Person, die lange Zeit in Indien leben werde. Es sind sonderbarerweise die gleichen Linien, die auch er hat, drei vereinte Linien, was die Einheit des Geistes und des Herzens bedeute, sagt er.

15. April 72. Wir waren in der Stadt, in Almora, um Babaji zu sehen. Alle Menschen aus dem Westen, die hier in der Umgebung leben, waren da und auch wichtige Meister, wie Shunia Baba und Guru Lama, der Tibeter.

Kaum hatten wir den überfüllten Raum betreten, bemerkte ich sofort Babaji, erhöht saß er da, weiß gekleidet. Verzaubert habe ich ihn betrachtet. Er ist wunderschön, strahlend, wie ein Christus aus vergangenen Zeiten, sehr ernst, streng. Er hat ungeheuer kraftvolle und alles durchdringende dunkle Augen. Ich sah ihm lange in die Augen und habe Angst bekommen von seiner Macht, aber dann sah ich, wie sich sein Blick senkte und mit einer unglaublichen Wärme und Zärtlichkeit füllte. Ich war magnetisiert und habe ihn zwei oder drei Stunden lang betrachtet.

Die Menschen rundum fuhren ununterbrochen fort, zu singen und eine Reihe zu bilden, um sich direkt vor ihm zu verneigen. Jedes Mal, wenn sich einer vor ihm verbeugte, hob er die Hand, um ihn zu segnen und sah ihn mit einem seltsamen Blick voller Mitgefühl an. Mir war nicht danach, hinzugehen und mich zu verneigen, ich fuhr fort, ihn zu bewundern, fasziniert von seiner Schönheit und der Perfektion seiner Formen, einer Statue gleich. Es schien fast, als würde er nicht atmen, sich nicht bewegen, aber er sieht jedem in die Augen. Ich spüre mit einem unbehaglichen Gefühl, dass er meine Gedanken wahrnimmt, dass er in meinem Geist liest und dass es eine klare telepathische Verbindung zwischen ihm und mir gibt. Innerlich bat ich ihn: "Gib mir, ich bitte dich, die Wahrheit".

Etwas später stand Babaji auf, um in sein Zimmer zu gehen. Er bewegt sich auf eine zauberhafte Weise, geschmeidig, präzise, wie eine Katze, er hat braune, schlanke Beine und geht immer barfuß.

Sie riefen Shanti und mich in sein Zimmer und zum ersten Mal, etwas widerstrebend, verneige ich mich vor ihm. Er fragt, aus welchem Land ich komme und schenkt mir ein strahlendes Lächeln. Ich nehme es wie einen elektrischen Schlag wahr und fühle mich überflutet von einer erleuchteten Welle. Eine Stimme sagt mir, dass ich ihn wiedersehen würde.

Sehr beeindruckt von der Begegnung, kehre ich mit Shanti nach Hause zurück. Auch Shanti, der schon viele Gurus gesehen hat, bemerkte die außerordentliche Schönheit und Reinheit dieses Wesens.

16. April 72. Heute Nacht habe ich geträumt. Da war ein dichter, dunkler Wald. Plötzlich erschien Babaji, von einem intensiven Licht umgeben, eingekreist von einigen Jüngern, auf einen Stab gestützt und sagte zu mir: "Ich bin der Guru deines Lebens."

"Was wirst du mich lehren?" fragte ich ihn und er antwortete: "Die Teller gut zu spülen." Sehr betroffen wache ich auf. Seine Botschaft an mich ist äußerst klar: Die Teller spülen bedeutet, akzeptieren, dass ich niedrige Dienste mache, die für die anderen nützlich sind. Wie oft in unseren Kommunen in Mailand sind wir mit diesem Problem aneinandergeraten, durch die Unfähigkeit, diese einfachen und grundlegenden Pflichten zu erfüllen, aus Faulheit, aus Stolz. Schon lange weiß ich, dass ich daran arbeiten muss.

Ich erzähle Shanti von meinem Traum. Auch er ist betroffen und sagt mir, dass wir wahrscheinlich zu ihm nach Haidakhan gehen werden, zu dem Tempel, dort, wo Babaji jetzt lebt. Er wird mit Tara Devi darüber sprechen.


Ich bin verzaubert von seinem Anblick, wunderschön,

strahlend wie ein Christus aus einer anderen Zeit...

23. April 72. Wir fragen Tara Devi, ob wir nach Haidakhan gehen können. Sie mustert mich von oben bis unten und sagt, ich müsse mich besser anziehen, nicht diese Hippy-Kleider... und fügt hinzu, sie wisse nicht einmal, ob Frauen bei Babaji überhaupt willkommen seien, denn er ist ein Brahmachari3,was die Keuschheit beinhaltet.

Über diesen Diskurs wundere ich mich, denn ernsthaft, Sex ist der letzte Gedanke, der mir in den Sinn kommt, hier, vor jemandem wie Babaji.

Haidakhan, 26. April 72. Wir sind in Haidakhan angekommen. Gestern, nach einem sehr langen Marsch. Ich bin müde. Zu fünft sind wir gestartet, Shanti und ich, ein Däne, ein Amerikaner und Tara Devi mit ihrem indischen Koch. Irgendwann bog die Straße ab, und dann ging es zu Fuß in den Wald. Ein endloser Weg, über sechs Stunden, barfuß, über heiße Steine, das Gepäck auf dem Kopf. Ich glaubte, es nicht zu schaffen. Mit meiner Angst vor der Kälte habe ich mir sogar noch eine Steppdecke auf den Kopf geladen.

Der Dschungel ist fabelhaft und das Wasser des Flusses rein und durchscheinend. Man kann es trinken. An einer bestimmten Stelle erblickt man einen kleinen weißen Tempel, an den Hügel geschmiegt. Haidakhan, es wirkt wie eine Märchenlandschaft. Als wir uns dem Tempel näherten, konnten wir Babaji sehen; in Weiß gekleidet kam er die Treppen herunter auf uns zu. Beschämt stellte ich fest, dass ich die erste in der Reihe war. Er ging voraus bis zum Tempel und ließ mich dann all die Glocken des Tempels zum Klingen bringen, während wir im Kreis umher gingen. Mir war, als würde ich ein längst vergessenes, altes Ritual wiederleben. Über Shanti, der den Dolmetscher spielte, fragte er mich, ob ich ein Hippy sei und Haschisch rauchte. Stolz antwortete ich mit ja. Er sagte mir, dass es hier verboten sei. Aber nach einer Weile ließ mich ein alter Baba, genannt Prem Baba, rauchen. Ich setzte mich auf die Mauer, um das Tal zu betrachten. Es ist ein herrlicher Platz, eine archaische, altertümliche Landschaft. Die Hügel sind in grünen, fruchtbaren Terrassen angelegt und die Berge sind an ihren Ausläufern mit Pinien bedeckt. Der Fluss unterhalb fließt in einem lieblichen, musikalischen Rhythmus. Ich bin wie verzaubert. Ein majestätischer Bodhi-Baum komplettiert das Landschaftsbild. Alle leben im Freien unter den Bäumen: es gibt nur den Tempel und eine kleine, nach allen Seiten offene Hütte mit einer Feuerstelle4 in der Mitte, wo Babaji lebt. Während ich noch auf der Ringmauer sitze, in meine Betrachtungen versunken, ist Babaji näher gekommen, hat sich neben mich gesetzt, einen Stein aufgehoben und damit Umrisse eines Tempels gezeichnet und dabei zu mir gesagt: "Gott". Er hat mich sehr verlegen gemacht. Es ist ein Konzept, das immer noch schwer für mich zu akzeptieren ist. Er rief mich später dann zu sich, ich sollte mich am Dhuni in seiner Hütte neben ihn setzen. Dort sagte er zu mir auf Englisch: "God is love"5. Er hat strahlende, leuchtende Augen. Er gab mir eine Orange und Trockenfrüchte. Abends bekamen wir etwas zu essen, eine Menge süßes Gebäck, Halwa.

 

An einem bestimmten Punkt taucht flüchtig ein kleiner weißer

Tempel auf dem Berg auf.

Gestern Nachmittag wollten einige Inder Tee zubereiten, aber er hat mit ihnen geschimpft und gesagt, Tee sei im Tempel nicht erlaubt. Dann, als wir an seinem Dhuni saßen, kamen alle Frauen des Dorfes, farbenprächtig, mit großen grünen Röcken, wie ich einen trage. Sie lachten bei meinem Anblick und Babaji sagte zu ihnen, ich hieße Lalli, was so viel wie kleines Mädchen bedeutet. Er fragt mich, wie alt ich sei und ich antworte: 26. Er sagt, ich würde wie fünfzehn wirken.

Von der Zeremonie im Tempel am Abend bin ich sehr beeindruckt. Babaji bleibt unbeweglich sitzen, weiß gekleidet, wie eine perfekte Statue. Ein Inder singt und fächelt eine Flamme zu seinem Gesicht hin, das dadurch einen mystischen Schein annimmt. Der Mann ist bewegt, beginnt zu weinen, während er betet. Ich spüre, dass er die Gegenwart des Göttlichen wahrnimmt. Ich sehe, dass auch Shanti ergriffen ist, obwohl er mir doch sagte, ich solle mich nicht zu sehr von all diesen Ritualen bezaubern lassen. Der alte Sadhu, Prem Baba, weist uns dann einen Platz an einem anderen Feuer an und lässt uns alle im Chor das Mantra Shivas singen: OM NAMAH SHIVAY. Shanti lacht, als er sieht, wie ich sofort dem Zauber verfalle. Frauen backen über einer improvisierten Feuerstelle Brot, Chapati. Alles ist so einfach und essentiell, rein. Abends legen wir uns im Freien zum Schlafen, unter den Tempelsäulen.

Um vier Uhr haben sie uns heute früh geweckt, praktisch mitten in der Nacht und ich bin zum Fluss hinunter geeilt, um mich zu waschen. Auf der Treppe bin ich Babaji begegnet, der schon von seinem Bad zurückkam.

Ich tauchte in das frische Wasser ein, unter den Sternen. Vertieft in einer Ecke denke ich darüber nach, wie gerne ich diese magische Geschichte fortsetzen und Babaji folgen möchte. Aber ich werde es wohl nicht wagen, ihn zu fragen. Einige Minuten später rief mich Babaji zu sich und fragte, ob ich ihn auf seiner Reise nach Vrindavan, einer Krishna-Stadt, begleiten wolle. Glücklich antworte ich mit ja, auch wenn es schrecklich ist, Shanti und die anderen Freunde zurückzulassen. Aber ich fühle, dass meine Reise weitergehen muss. Auch allein. Ich muss nur nach Almora zurück, um Geld und Pass zu holen: Shanti ist ein bisschen verwundert über meinen Enthusiasmus, aber Babaji zieht mich zu sehr an. Und wenn es also wahr wäre? Wenn er mein Guru ist?


Die Menschen sind bewegt und beginnen zu weinen, während sie beten. Ich spüre, dass sie die Gegenwart eines göttlichen Wesens wahrnehmen.