Der Himmel Von Nadira

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Kapitel 9

Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna und Umgebung

Umar befahl allen Frauen des Hauses, sich in ihre eigenen Zimmer zurückzuziehen. Er drückte Ghadda sanft an den Schultern damit sie in sein Zimmer gehen würde, und streichelte liebevoll das Gesicht von Jala.

Nur Nadira stand noch am Eingang und sehnte sich nach Erklärungen.

“Umar, sag mir, wer war dieser Mann.”

“Nur ein reicher Händler auf der Durchreise, der mich provozieren wollte.”

“Kommt es dir nicht seltsam vor, dass er sich gerade zu dieser Stunde von Qasr Yanna auf die Reise gemacht hat und dass er die Nacht nicht dort verbracht hat?”

“Offensichtlich kann man nicht bis Sonnenaufgang warten, um “den Himmel von Nadira” zu sehen.” antwortete Umar sarkastisch und voller Eifersucht.

„Du würdest gut daran tun, den Qā’id bei Sonnenaufgang zu informieren! Ich hatte den Eindruck, als ob er etwas gegen meinen Herrn Ali hätte.“

Umar sah sie überheblich an und sagte ihr:

„Jetzt mischst du dich auch noch in Sicherheitsangelegenheiten des Rabad

ein. Das adhān der Nacht ist schon seit einer Weile vorbei… geh in dein Zimmer, Schwester!»

An diesem Punkt starrte Nadira, während der andere genervt wegging, auf den gebrannten Lehm der Fliesen.

Langsam wurden jedes Kohlebecken und jede Kerze im Haus gelöscht, wodurch dieser lange Tag endete.

Corrado, der immer noch an den Pfahl gefesselt war, hatte schon seit einiger Zeit keine Lebenszeichen mehr von sich gegeben und Apollonia, die auf die Knie gesunken war, war eingedöst; sie hatte sogar noch weniger geschlafen als ihr Bruder.

Idris, weiter entfernt, betrachtete den Sternenhimmel und wartete auf den Moment, in dem er den Gefangenen befreien und nach Hause zurückkehren konnte.

Eine Art Knall ertönte im Hof; das Knistern von, was wie ein Feuer schien, folgte dem ersten Geräusch. Apollonia öffnete ihre Augen und sah in den Ställen ein ungewöhnliches Leuchten. Idris begann zu schreien und sich wie ein Verrückter aufzuführen, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen. Mezyan rannte Hals über Kopf die Terrassentreppe herunter und verkündete dem Diener unten:

„Die Ställe haben Feuer gefangen!“

„Ruf Umar!“

„Ruf die anderen!“

Mezyan schlug wie außer sich an die Tür, während Idris weglief, um die Männer zu rufen, die am Eingang des Dorfes Wache standen; es war tatsächlich der Qā’id gewesen, der Umar geraten hatte, die Wachen an den strategischen Punkten des Rabad

aufzustellen.

Apollonia stand auf und wie in der Ruhe vor dem Sturm schaute sie sich um, während Mezyan an der Tür hämmerte. Dunkle Schatten, wie die Dämonen des Averno bewegten sich um das Haus und auf den Straßen des Dorfes. Sie schaute genauer hin, um sicher zu gehen, dass es sich um die Bewohner des Rabad handelte, die für den Notfall herbeigeeilt waren, kam jedoch zu dem Schluss, dass die Dorfbewohner nicht so still und vorsichtig sein würden, um sich zu nähern. Sie schmiegte sich daher an Corrado und er, der die Berührung auf seiner Haut spürte, öffnete seine Augen.

Umar ging zu diesem Zeitpunkt auf den Hof, noch rechtzeitig, um die zweite Explosion zu beobachten, die durch das plötzliche Ausströmen einer brennbaren Substanz verursacht wurde. Die Flammen stiegen noch schneller aus dem Dach des Kornlagers. Unterdessen begannen die Menschen, aus ihren eigenen Häusern zu kommen.

Mezyan und ein weiteres Dutzend Männer bildeten bereits eine Reihe zwischen dem nächsten Brunnen und den Ställen. Nun begannen sie, einige Schreie zu hören, während von anderen Seiten, sogar aus einigen Häusern, weitere Flammen aufstiegen; der ganze Rabad

brannte. Das eindeutige Geräusch von Eisen machte auch deutlich, was los war: Sie griffen das Dorf an.

Apollonia ergriff die Hüften von Corrado und sammelte alle Kräfte, um ihn anzuheben, so dass das Seil an seinen Handgelenken über die Verzweigung rutschte, an die er gefesselt war. Sie schrie wegen der intensiven Anstrengung und landete dann durch das Gewicht ihres Bruders auf dem Boden. Sie löste ihm die Fesseln und half ihm sich zu setzen, indem sie seinen Rücken an den Pfosten anlehnte. Dann schlang sie einen Arm um seinen Nacken und versuchte ihn aufzurichten… aber er konnte nicht laufen und fiel wie eine tote Last. Corrado schrie auf, da er starke Schmerzen in den Armen und Knien verspürte. Apollonia fühlte sich so hilflos; sie wollte ihn auf ihren Schultern tragen, aber sie, klein und zerbrechlich, konnte das nicht. Sie nahm schließlich sein Gesicht zwischen ihre Hände und versprach ihm unter Tränen:

“Ich lasse dich nicht hier.”

„Geh und versteck dich!“ antwortete Corrado keuchend.

“Ich rufe Michele; er wird dich nach Hause bringen!”

Apollonia rannte so schnell wie es ihr Schuhwerk erlaubte und verschwand in den engen Gassen des Rabad.

Corrado, blieb allein, mit dem Rücken an den Pfahl gelehnt und schaute zu seiner Linken zum Haus von Umar. Eine Vielzahl von Menschen lief zu diesem Zeitpunkt über den Hof, und das Geräusch von Eisen, das kurz vorher aus der Richtung der ersten Häuser des Dorfes kam, schien zu verschwinden. Corrado dachte daran, was seine Schwester während dieses Angriffs auf der Straße riskieren würde… und hatte Angst, dass sie nicht zurückkehren würde.

Umar, der sich in diesem Augenblick verwirrt, hilflos und unbewaffnet in der Nähe des Stalls aufhielt, kehrte in den Hof zurück, als er die Bedrohung erkannte. Doch ein plötzlicher Schlag auf den Kopf betäubte ihn, so dass er zu Boden sackte. Jetzt wurden die Schreie der Frauen im Haus, vielleicht die der Dienerschaft, vielleicht die der Herrinnen, lauter und nach kurzer Zeit stieg auch aus Umars Wohnung schwarzer Rauch auf. Corrado schaute sich in Panik um und bemerkte, dass sich auf den Straßen kein einziger Mann des Rabad

aufhielt.

Als die Angreifer aus dem Haus kamen, zogen zwei von ihnen Nadira an den Armen mit sich. Corrado, der die Schreie hörte, erkannte sie noch bevor er sie sah.

In der Dunkelheit, die vom Feuer erhellt wurde, näherten sich die unbekannten Feinde jetzt dem Gefangenen, der mit dem Nacken am Pfahl gelehnt im Fieber und vor Angst keuchte. Corrado stellte sich vor, dass sie ihn jetzt töten würden, genauso wie sie es mit Umar und so vielen anderen im Dorf getan hatten.

„Hey, Ungläubiger, steh auf!“ befahl einer dieser Männer, der sich den Streifen seines Turbans abnahm, der sein Gesicht verbarg.

Nadira riss die Augen auf: Dieser Kerl war der reiche Händler, der kurz zuvor ihr Haus besucht hatte.

„Ich kann nicht, tötet mich im Sitzen!“ bat Corrado entmutigt.

Dieser Mann packte stattdessen Nadira am Nacken und zwang sie, vor Corrado in die Knie zu gehen.

„Kennst du dieses Mädchen?“

Er schaute sie aufmerksam an; sie war nicht einmal drei Handflächen von seinem Gesicht entfernt. Er wusste sehr gut, wer sie war, Nadiras Augen waren unverwechselbar, aber er hatte ihr ganzes Gesicht und ihr unbedecktes Haar nicht mehr gesehen, seit sie als junges Mädchen sorglos durch den Rabad

streifte. Darüber hinaus hatte Corrado die Schwester des Mannes des Qā’id noch nie in diesem Zustand gesehen: Nadira, nur mit der Kleidung für die Nacht angezogen, war eine Maske von Tränen.

Corrado nickte. Dann sagte der Mann, der sich als Salim vorgestellt hatte:

“Geh zu deinem Qā’id und sage ihm, dass er, wenn er sein neuestes Juwel wiedersehen will, mir meine Frau zurückgeben muss!”

Nadira erkannte nun sofort die wahre Identität des reichen Kaufmanns… es war Mohammed Ibn al-Thumna, Qā’id von Catania und Syrakus, der zum mächtigsten Emir von ganz Sizilien aufgestiegen war, als die Qā’id Jahre zuvor, ohne zentrale Macht, miteinander kämpften. Sie erkannte sofort, wie weit dieser Mann gehen würde: Sie stellte sich ihre eigenen aufgeschlitzten Handgelenke vor, so wie er die von Maimuna aufschlitzen ließ.

Der Qā’id packte Nadira noch immer am Nacken, zwang sie wieder aufzustehen und übergab sie seinen Männern. Dann zwang er Corrado seinen Kopf zu heben, indem er ihm die Klinge seines Krummsäbels unter das Kinn hielt.

„Wenn du dich an denjenigen rächen möchtest, die dich so behandelt haben, dann komm und such mich, wenn es dir besser geht… du und deine unbeschnittenen Freunde.“

Danach verließ Mohammed Ibn al-Thumna den Hof und den Rabad

, wissend, dass die Brände im Dorf zu diesem Zeitpunkt bereits die Wächter in Qasr Yanna alarmiert hatten und dass sein Schwager bald eingreifen würde.

Nadira waren inzwischen die Hände mit einem langen Seil gefesselt worden und am anderen Ende desselben zogen sie sie wie ein Maultier die Straße entlang, die vom Plateau herabführte. Der Qā’id und seine Gefolgsleute erleuchteten den Weg mit ein paar Fackeln und Nadiras nackte Füße wurden von Steinen und Dornen verletzt. Als sie dann unter dem Rabad

den Bachlauf erreichten, genau unter einer der großen Norien, befahl Mohammed, die Fesseln des Mädchens zu lösen, gab ihr ein feines Frauengewand und bat sie, sich selbst zu bedecken, wie es für Frauen angemessen ist. Als er dann die vielen Männer seines Gefolges ansah, sagte er:

„Wenn jemand es wagt, das Mädchen nicht zu respektieren, bekommt er es mit mir zu tun… es handelt sich immer noch um die Versprochene eines Qā’id, und als solche muss sie behandelt werden!“

Dann stiegen sie alle auf ihre Pferde und ritten nach Osten. Nadira musste sich an Jamals Hüften klammern, dem Mann mit dem großen Medaillon.

Überwiegend schwarze Pferde galoppierten alle in die gleiche Richtung. Es waren etwa fünfzig Reiter, alle mit einem schwarzen Burnus44 und mit Hosen der gleichen Farbe gekleidet. Sie hatten düstere Gesichter und sprachen die Sprache, die unter den Mauren Afrikas am geläufigsten war. Nadira kannte diese Sprache, da sie oft in der Familie gesprochen wurde, aber sie hatte sie nie so fließend und mit diesem typischen Akzent gehört.

 

Die Reiter bremsten sanft ihre Rosse und diese rückten langsam vor, in einer langen Prozession unter dem Mond.

“Herr, wer sind diese Männer? Und wo bringt ihr mich hin?» fragte Nadira zur Rechten des Qā’id, sobald sich ihr Schluchzen beruhigt hatte.

„Sie sind die Halsabschneider aus Afrika von Ibn al-Menkūt. Sie haben ihren eigenen Qā’id verraten, um einem Besseren zu dienen. Ihr jetziger Herr ist ein Freund meines Herrn und er hat ihm seine Söldner gegeben, damit er sich ihrer dieser Tage bedient.” antwortete Jamaal.

“Und werden diese Fremden auch mir die Kehle durchschneiden?” fragte das Mädchen mit der typischen Unschuld derer, die die Welt nicht kennen und bei allem, was neu ist, zittern.

Jamal lächelte und antwortete:

“Fürchte dich nicht, mein Herr braucht dich lebend.”

Es verging nicht viel Zeit, bis sie in die Nähe eines Weilers an der Grenze zwischen den von Ibn al-Ḥawwās kontrollierten und den von Ibn al-Thumna dominierten Ländern anhielten. Andere hässliche Gestalten waren bereits in der Nähe des Dorfes stationiert. Es gab eine Gruppe von Häusern, die denen des Rabad

von Qasr Yannas sehr ähnlich sahen. Diese anderen, Halsabschneider derselben Sorte wie die die den Rabad verwüstet hatten, zollten Mohammed ihre Ehrerbietung, indem sie sich verbeugten als er vom Pferd abstieg.

“Übergib das Mädchen den Frauen des Dorfes und schicke sie wieder zu mir, wenn die Frauen sie wieder in Ordnung gebracht haben.” befahl der Qā’id Jamal, und dieser antwortete mit einer leichten Verbeugung.

Nadira wurde im Licht der Fackeln in ein bescheidenes Haus geführt, und hier kümmerten sich Frauen mit traurigen Gesichtern um sie. Sie wuschen ihre Füße, kämmten ihr Haar und gaben ihr zu essen. Nadira fragte, wer sie waren, und eine davon antwortete, dass die Halsabschneider von Ibn al-Menkūt vor drei Tagen das Dorf gefangen genommen hatten, alle Männer töteten und jede Frau in einem Initiationsritus vergewaltigt worden war, um sie ihrem neuen Schicksal in der Sklaverei zuzuführen.

Schließlich wurde Nadira vor den Qā’id geführt, der sich in einem prächtigen, seitlich der Moschee aufgebautem Zelt aufhielt.

Die Ankunft des Mädchens wurde durch den Klang der zahlreichen Armbänder, Fußkettchen und Glöckchen angekündigt, die man ihr angelegt hatte. Die Augen waren auch mit dem Kajal45 gefärbt worden, aber als sie vor Mohammed erschien, verblasste dieser bereits durch den Kontakt mit den Tränen und rann ihr schwarz die Wangenknochen bis zum Kinn herunter.

„Komm Nadira, komm näher! In meinem Zelt ist es wärmer und bequemer. Die Winternächte können sehr lang sein, wenn man nicht schlafen kann.» lud Mohammed sie ein, der mit gekreuzten Beinen auf den Kissen saß.

Nadira trat in das luxuriöse Zelt ein und als sie sich dem Feuer des Kohlebeckens näherte, begann sie:

„Ich weiß, wer Ihr seid.“

„Daher überrascht es mich nicht, dass mein Schwager sich in dich verliebt hat… Es wäre seltsam gewesen, wenn er eine dumme Frau zu seiner Frau erwählt hätte!”

„Ihr könnt mich nicht in Eure Familienangelegenheiten hineinziehen.“

„Du meinst wohl in “unsere” Familienangelegenheiten… Schwägerin! Weißt du, was dein Qā’id mir angetan hat?»

„Eure Frau fürchtet Euch… nach dem, was Ihr ihr angetan hast.“

“Liegen das Leben und der Tod meines Hauses und meiner Untertanen nicht in meiner Hand?”

“Das Leben eines jeden liegt in der Hand Allahs, nicht in Eurer”.

“Aber Allah hat seine Pläne, und diese können nicht verändert werden. Wenn mit Maimuna passiert ist, was passiert ist, ist das dann vielleicht nicht auch sein Wille?»

“Also ist auch die Tatsache, dass sie nicht zu Euch zurückkehren will, sein Wille…, akzeptiert es und lasst mich gehen.”

Mohammed lachte und erklärte:

„Es gibt verschiedene Arten von Menschen auf der Welt: Es gibt Menschen, die ihr Schicksal ertragen und es gibt Menschen, die vom Schicksal dazu benutzt werden, die Zeiten, Jahreszeiten und Völker zu verändern. Ich wurde als Adliger geboren und konnte in meinem Syrakus aufwachsen und dann die Hälfte von Sizilien einnehmen. Ich tue Allah und seinem unergründlichen Schicksal einen Dienst, indem ich auf der Welt bin, um Zeiten, Jahreszeiten und Völker zu verändern. Es gibt kein Übel… es existiert nichts Gutes, sondern nur der Wille Allahs.»

Nadira fiel auf ihre Knie und mit ihrem Gesicht am Boden flehte sie ihn an:

“Bitte, mein Herr, meine Mutter schrie, als Ihr mich aus ihren Armen gerissen habt und das Haus vom Rauch durchdrungen war… lasst mich gehen, um mich ihrer Gesundheit zu versichern und dann werde ich zu euch zurückkehren.”

„Ob du deine Mutter wieder siehst, hängt nur von Ali ab, deinem Qā’id.“

Nadira hob den Blick, kniete jedoch immer noch vor ihm.

„Bitte haltet mich nicht hier fest; die Männer, von denen Ihr umgeben seid, sind heimtückische Verbrecher… sie haben den Menschen, die in diesem Dorf leben, sehr weh getan.“

„Sie werden dir kein Leid antun, keine Angst. Das Schicksal einer illustren Braut kann nicht mit dem der gewöhnlichen Dorfbewohner verglichen werden, die für den Trost der Soldaten gegeben werden.“

“Aber Ihr macht sogar aus unseren Schwestern Sklaven und diese Soldaten haben alle Männer massakriert!”

“Nicht alle… Ich ließ die christlichen Bauern am Leben. Sich mit Ungläubigen zu umgeben ist sehr lohnend, da sie meine Taschen mit der Jizya Besteuerung füllen. Die östlichen Iqlīm, voll von Unbeschnittenen und Juden, sind eine Goldmine für die Taschen jener, die sie befehlen.”

„Und zahlt Ihr mit dem Geld der Jizya diese Armee von Söldnern?“ fragte Nadira mit der gleichen Respektlosigkeit, die sie bei Umar zeigte. Jetzt hatte sie verstanden, dass das Flehen im felsigen Herzen Mohammeds nicht aufgenommen werden konnte.

Aufmerksam und ernst starrte er sie an und antwortete:

“Wenn es nicht für den Zweck wäre, für den ich dich bewahre, wenn es nicht um deine Augen und deine Schönheit ginge, meine liebe Nadira, würde ich dir auch die Handgelenke aufschlitzen lassen… und noch schlimmer, ich würde dir deine unverschämte Zunge abschneiden lassen. Du bist meine Gefangene, erinnere dich daran! Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, dessen Leben so gebrochen werden kann wie deines… wie ein vom Feuer angesengter Baumwollfaden, der sich bei der Berührung mit meiner Hand auflöst.» sagte und demonstrierte Mohammed, indem er Zeigefinger und Daumen aneinander rieb.

“Du wirst dich immer vor mir und zum Vergnügen meiner Augen von deiner besten Seite zeigen. Ich erlaube dir nicht zu weinen, wenn du so dein Gesicht ruinierst. Ich erlaube dir nicht, zu fasten, wenn du dadurch deine Formen schmälerst. Ob du den Jilbāb46 in meiner Gegenwart tragen wirst oder nicht, unterliegt nur meinem Willen. Aber fürchte dich nicht, ich werde deine Ehre vor mir und jedem anderen schützen, damit Ali dich nicht verachtet und ablehnt, weil du keine Jungfrau mehr bist. Dein Qā’id ist ein Bettler, ein Sklave, der sich mit Schmeichelei und den Versprechungen seinen Weg gebahnt hat, aber er könnte auf seine Verlobte verzichten, wenn sie ihm das, was er hofft sich in der ersten Nacht zu nehmen, nicht geben könnte. Du und deine Jungfräulichkeit sind als Gegenleistung mehr wert als meine Frau. Aber wenn Ali sich weigert, dann werde ich die Mächte der Hölle gegen ihn richten, sein Land verwüsten, seine Untertanen töten, die Frauen aus seinen Städten wegbringen und versklaven, und vor allem werde ich mit euch das tun, was mir gefällt. Der Angriff auf dein Dorf war für viele Menschen schmerzlos, denn er war schnell und hatte nur den einzigen Zweck, das Mädchen mit den Saphir-Augen zu entführen. Aber wenn Ali mir nicht zuhören wird, dann werden viele leiden und müssen vor ihrem neuen Qā’id knien…, wenn sie weiterleben wollen.»

„Ibn al-Ḥawwās wird mich aus Euren Händen befreien, da bin ich sicher. Und mein Bruder…”

„Dein Bruder ist tot! Ich sah ihn selbst fallen. Er hat bekommen, was er verdient hatte, dieser Fußlecker!»

Nadira warf sich auf die Kissen und weinte noch lauter.

„Umar… Umar!“ rief sie verzweifelt, voller Schmerz und Trauer, weil sie einen ganzen Tag mit ihm gestritten hatte, ohne ihm jemals sagen zu können, wie sehr sie ihn liebte.

“Dein Bruder war ein guter Mann. Ich bin mir sicher, dass er im Paradies wie ein Märtyrer behandelt wird. Aber weine nicht, Nadira.» ermunterte sie Mohammed zynisch.

“Weine nicht!” schrie er dann und zeigte somit, dass es ihm nur darum ging, dass Sie aufhörte zu wimmern.

“Ich dulde dieses Gewimmere nicht in meiner Anwesenheit.” schloss er.

„Ihr kümmert Euch um mich und ladet mich in Euer Zelt ein. Aber wie könnt Ihr verlangen, dass ich ruhig bleiben soll, wenn ich diese Worte höre? Ihr bittet mich sogar, nicht zu weinen…“

„Ich will deine Gelassenheit nicht, ich erwarte nur, dass du in meiner Gegenwart so tust. Das nächste Mal, wenn ich dich rufe, lächelst du. Das ist ein Befehl! Geh jetzt. Du wirst bei den Frauen bleiben, aber Jamal wird dich im Auge behalten.“

Nadira wurde von den Frauen begleitet, die sie zuvor geschminkt hatten, und diese, die wie sie in diesen vier Wänden eingeschlossen waren, begannen sie zu hassen, da sie glaubten, sie wäre der Grund für diesen Krieg und ihr Unglück.

Kapitel 10

Herbst 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Als Ali Ibn al-Ḥawwās den Rabad verließ, um nach Qasr Yanna zurückzukehren, wollte Nadira keine Gabe für sich, obwohl ihr der Qā’id den Mond versprochen hatte. Schließlich forderte Nadira nach tausend Beharrungen, ihr eine Kopie des Textes des Dichters Mus’ab zu geben, da er mehr zu ihr gehörte als zu den anderen. Baschir, der Wesir, schrieb dann eilig diese Worte auf ein Blatt von edlem Papier, das aus den Fabriken von Balarm kam.

Nadira hatte nicht viel Übung im Schreiben und musste sich an den Imam47 des Rabad wenden, der das ungeduldige Mädchen nach drei Tagen Lesen und Wiederlesen der Poesie, wegjagte. Sie hatte in der Zwischenzeit alle diese Verse auswendig gelernt, und infolgedessen erlernte auch die Dienerschaft bald viele der Worte, die ihre Herrin in ihrer Gegenwart rezitierte. “Kennst du, oh mein Herr, den Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen?”, das war der Vers an den man sich am häufigsten erinnerte.

Wie man sich vorstellen konnte, verstreuten sich die Nachrichten über die bevorstehende Hochzeit zwischen Nadira und dem Qā’id mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit auch außerhalb Umars Haus. Unter den Menschen im Rabad entstand darüber eine so große Begeisterung, dass das Mädchen nicht selten mit der Verlegenheit konfrontiert war, den Verneigungen und Unterwerfungen von Menschen, mit denen sie sogar aufgewachsen war, beizuwohnen. Und schließlich erreichte die Nachricht vom “Himmel von Nadira” und der Hochzeit des Mädchens mit dem Qā’id auch das Haus, in dem die Christen des Rabad lebten.

Eines Tages rief das Familienoberhaupt Alfeo, ein armer Mann, der zwanzig Jahre älter aussah als er war, alle seine Kinder an den Tisch. Es war Mittagspause und an diesem Tag waren auch Apollonia und ihre Mutter Katharina den Männern in den Gemüsegarten gefolgt, um zu helfen und um mit der Familie zu essen, ohne auf den Abend warten zu müssen. Alfeo und Michele waren gerade damit fertig, den Gemüsegarten mit den Brokkoli zu bewässern. Beim Schließen der Schotte des Saqija48, das durch das Land ging, legten sie die Hacke beiseite, um zu essen. Michele pfiff Corrado zu, der seit dem Morgen im Shaduf49 war, um Wasser aus dem Gabiya50 zu schöpfen; um die kleinen Kanäle und Gemüsegärten zu versorgen.

Katharina kochte Ziegenmilch in einem großen Topf und Apollonia warf Holz in das Feuer, als Alfeo alle zusammenrief und bat sich an den Tisch unter dem Dach des ländlichen Treffpunkts zu setzen. Zahlreich und oft nicht weit voneinander entfernt, waren die über die Bezirke der Insel verstreuten Bauernhöfe und die einfachen Unterkünfte für die Bauern, da die Sarazenen von Anfang an den intensiven Anbau von den Kleinbauern gefordert hatten.

 

Jetzt hatte er sie alle vor sich, Corrado, Michele und Apollonia, während seine Frau noch mit der Zubereitung des Essens beschäftigt war. Alfeo hatte erst vor einem Tag die Neuigkeit über Nadira erfahren. Er hatte gehört, wie seine Jungen darüber sprachen und dass Apollonia das blauäugige Mädchen bewunderte. Deshalb konnte er als Vater nicht anders, als darüber nachzudenken, wie die Zukunft seiner drei Kinder aussehen würde.

“Umars Schwester wurde dem Qā’id als Frau versprochen.” er zögerte und überbrachte ihnen die Nachricht, die sie alle schon kannten.

“Vater, man spricht überall darüber!” antwortete Corrado.

“Der Himmel von Nadira, die Grenzen ihrer Augen.”” fügte Apollonia hinzu, während sie ihre Hände rieb, um den Schmutz der Kohle zu entfernen, der sich auch in ihrem Gesicht befand. Es war noch schwärzer, ohne dass sie es gemerkt hatte.

„Tochter, es müsste auch einen Qā’id für dich geben.“

“Vater, was sagt Ihr da?” fragte Apollonia verwirrt, verlegen und überrascht.

“Einen christlichen Qā’id natürlich.” setzte Alfeo seine Überlegungen fort.

“Es gibt keinen christlichen Qā’id.” sagte Katharina, die so viel von ihrem Aussehen und ihrem Charakter an die Tochter vererbt hatte, nun aber leider deutlich von Alter und Armut gezeichnet war.

“Natürlich keinen Qā’id, aber ich möchte trotzdem eine gute Partie für Apollonia finden.”

“Vater, für mich ist es in Ordnung, so wie es ist!” erklärte das Mädchen und sah einen Moment Corrado an.

Die Angst, sich von der Familie und damit von ihrem Bruder trennen zu müssen, quälte sie seit Jahren. Doch nun, da sich diese Vorstellung im Willen ihres Vaters zeigte, fühlte sie sich unfähig, sich selbst zu verteidigen. Ihre einzige Waffe wäre es gewesen, ihre Gefühle zu Corrado zu offenbaren… eine Möglichkeit, vor der sie noch mehr Angst hatte.

„Rede keinen Unsinn! Für niemanden ist es in deinem Alter “so in Ordnung”. Corrado und Michele werden für dich einen Ehemann finden… einer, der auf dem Markt verfügbar ist, natürlich… keinen Qā’id…, sondern den Besten von denen, die Sie finden. Ich habe eine einzige Tochter, und ich möchte das Beste aus dieser Situation herausholen.“

“Aber Vater, was denkt Ihr, wie könntet Ihr Euch das leisten? Habt Ihr bemerkt, welche Kleidung wir tragen?” sagte Michele polemisch, während er sich erhob und die Risse und Flicken auf seiner Tunica zeigte.

„Apollonia ist eine schöne Frau und es gibt nichts, worum sie Umars Schwester beneiden müsste. Wenn es nicht um die Fetzen ginge, die wir uns leisten können, hätte sie auch einen Qā’id gefunden.” endete Alfeo zornig.

“Ihr sprecht mit dem Herzen eines Vaters, aber alles, was ich für mich wünsche, liegt wirklich zwischen diesen vier Wänden.” erklärte Apollonia, streichelte die Hand ihres Vaters und veranlasste ihn, sich zu beruhigen.

Dann versuchte sie, Corrado nicht anzusehen, aus Furcht, er könnte verstehen, auf was und wen sich ihr letzter Satz bezog.

“Okay, Vater, sagt uns, wenn Ihr jemanden im Kopf habt, und ich und Michele werden das schon schaukeln.”

Diese Worte aus Corrados Mund zu hören, war für Apollonia ein Stich ins Herz. Sie hatte jahrelang gehofft, dass ihr Bruder für sie etwas empfinden könnte, das über die in zwanzig Jahren des Zusammenlebens gewachsene Zuneigung hinausgeht. Sie hatte gehofft, dass er sie verstehen würde, ohne dass sie sich ihm offenbaren müsste. Sie hatte sich ein Traumbild geschaffen und jetzt stürzte das ganze Schloss in sich zusammen. Von nun an verlor sich ihr Blick ins Leere und sie starrte auf einen unbestimmten Punkt an der Tür.

“Ich habe unter den Christen von Qasr Yanna niemanden gefunden, der unsere Situation durch die Hochzeit mit Apollonia verbessern könnte.“

“Alessandro! Ich habe selbst gesehen, wie er sie umwarb.» schlug Michele vor.

“Er ist ein Frauenheld.”, erklärte Corrado.

“Und was interessiert uns das?” fragte Michele.

“Das ist wichtig, weil Laster teuer sind.“

“Gut gesagt, Corrado. Und dann hat er bereits dreimal versucht, mich auf dem Markt zu betrügen. Nein, keiner aus Qasr Yanna. Ich möchte, dass ihr nach dem Christoúgenna51, wenn die Erde nicht bearbeitet wird, in den Iqlīm von Demona geht, wo die Menschen immer noch Griechisch kennen und in den meisten Fällen Christen sind. Geht dorthin und findet einen Mann für Eure Schwester… und denkt dann auch an Euch.”

Corrado und Michele sahen sich an und lachten einen Moment später bei dem Gedanken, sich eine Frau suchen zu müssen.

“Corrado, du warst schon mal dort; was weißt du über die Mädchen?“ fragte Michele enthusiastisch.

“Ich war erst neun Jahre alt.”

“Aber du wirst dich doch an die Frauen erinnern…”

“Ich erinnere mich an die Bewohner von Rametta52… helle Haut und Haselnuss-Augen!”

“Genug!” schalt Alfeo und sagte:

„Wie oft habe ich euch gesagt, dass ihr nicht über diese Jahre sprechen sollt? Corrado ist es, als wäre er in diesem Haus geboren worden!”

Dann tauschten die beiden Jungen einen wissenden Blick aus: Auf Michelles Geste, die auf seine Brust zeigte, antwortete Corrado, indem er mit beiden Händen gestikulierte, um darauf hinzuweisen, dass die Brüste der Mädchen des Iqlīm von Demona üppig waren. Apollonia hatte es bemerkt; es war zu viel! Sie lief ohne Erklärungen und in Tränen aufgelöst hinaus. Sie versteckte sich hinter den Gemüsegärten auf einer Sumach Plantage. An diesem Tag aß sie nicht und als Corrado nahe an ihr vorbei ging, weil er sie suchte, duckte sie sich vorsichtig, um nicht entdeckt zu werden.