Der Himmel Von Nadira

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Kapitel 7

Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Als Idris schließlich das ṣalāt des Sonnenuntergangs beendete, konnte er sehen, dass Apollonia, entgegen dem Verbot, ihren Bruder umarmte. Ohne dass das Mädchen es bemerkt hatte, zog er plötzlich an ihrem Schleier, entblößte ihr Haar, und zog sie dann am losen Haar auf dem Boden zurück, während sie sich mit ihren Beinen wehrte. Idris hatte genug von ihrer Anwesenheit, die seine bereits unangenehme Aufgabe noch verschlimmerte und deshalb wollte er ihr ein für alle Mal eine Lektion erteilen und entschied, dass er sie mit dem Seil in der Art und Weise schlagen würde, wie er es am Tag zuvor mit Corrado getan hatte. Er schlug blind auf sie ein, wobei er vor allem auf ihr Gesicht zielte. Apollonia versuchte sich zunächst schreiend mit ihren Armen zu schützen.

Weiter weg zitterte Corrado, öffnete leicht seine Augen, um sie wieder vor Fieberschmerz zusammen zu kneifen. Plötzlich sah er das Bild eines Mannes… ein erwachsener Mann, der von Kopf bis Fuß an einem Fahnenmast gefesselt war. Dieser Mann schrie jedoch nicht bei den Schlägen, die sein Folterer ihm verpasste, sondern er ertrug sie stolz mit geballten Fäusten.

“Roul, was tun sie diesem Mann an?” fragte Corrado niemandem.

Die Szene, die sich vor seinen Augen abspielte, wurde durch ein Kindheitstrauma wieder erweckt. Doch wenn Corrado bei Bewusstsein gewesen wäre, hätte er sicherlich versucht, den Pfahl, an dem er gefesselt war, auszureißen, um es demjenigen heimzuzahlen, der sich im Moment an seiner Schwester ausließ.

Zufällig war es Umar, der ihm Einhalt gebot, gerade in dem Moment, in dem dieser auf die Terrasse gehen wollte.

Apollonia, die jetzt die Erlaubnis hatte, sich in einer Ecke aufzuhalten, kauerte sich mit den Schultern zur Wand und weinte ihre Tränen zwischen ihre Knie.

Als Umar die Zeit für die Freilassung des Gefangenen festsetzte, weinte Apollonia noch lauter und fühlte Erleichterung für etwas, das anscheinend kein Ende mehr finden wollte.

Später übernahm Idris die Pferde der drei Gäste und führte sie in die Stallungen zum Haus.

“Ich will nicht bereuen, dass ich aufgehört habe, als Umar mich vorhin darum gebeten hat,” warnte die Wache und starrte Apollonia an.

Das Mädchen konnte nicht riskieren, ein weiteres Mal gegen das Verbot zu verstoßen. Nicht aus Angst, ein weiteres Mal geschlagen zu werden, sondern aus Angst, dass es gezwungen wäre, nach Hause zurückzukehren.

“Bruder, Bruder! Ich bin hier, ich werde nicht gehen.”

Dann näherte sie sich doch noch ein wenig und zog sich mit Beinen und Händen auf dem Boden lang; immerhin war sie noch mindestens vier Schritte entfernt.

“Corrado, mein Atem und mein Leben, du musst nur noch ein wenig ausharren. Bruder, antworte mit, lass mich sehen, dass deine Seele noch immer in deiner Brust schlägt.”

Dann näherte sie sich einen halben Schritt weiter und sagte:

“Ich weiß, dass deine Eifersucht auf mich die eines Bruders für eine Schwester ist… aber dasselbe kann ich nicht über meine Hingabe für dich sagen…”

Obwohl der Geist des anderen vernebelt und sein Verständnis der Dinge fast nicht existent war, war es schwer für Apollonia, zu sagen, was sie seit Jahren im Herzen verborgen hielt. Jenes Gefühl, für das sie sich vor der Ikone der Jungfrau immer wieder schämte.

“Beurteile mich nicht als treue Schwester, denn für Michele hätte ich vielleicht nicht dieses Opfer gebracht und wäre hier geblieben… beurteile diese Taten überhaupt nicht, Corrado, denn was du entdecken würdest, könnte dich von mir entfernen… und für mich wäre das schlimmer als dich sterben zu sehen.”

Als Idris in den Hof zurückkehrte, hörte sie auf zu gestehen, da es dazu geführt hätte, dass sie aus dem Dorf verbannt worden wäre. Dies wäre eine noch größere Schande gewesen, als die eine Christin zu sein.

Bei absoluter Dunkelheit rief der Muezzin zum adhān der Nacht. Idris setzte sich daraufhin auf die Mauer, weit genug entfernt, um das Mädchen nicht zu hören, aber nahe genug, um einzugreifen, wenn sie sich wie zuvor näherte.

“Noch ein paar Stunden und dann bringe ich dich nach Hause.” sagte Apollonia lächelnd.

Dann wurde sie wieder ernst, als sie bemerkte, dass sie ihre Zehen nicht mehr fühlte und als sie sich die noch schlimmere Wirkung vorstellte, die diese Kälte bei ihrem Bruder auslösen könnte. Sie fing an vor Kälte zu zittern und versuchte sich die Hände zu wärmen, indem sie in die Fäuste atmete.

“Mädchen, geh nach Hause! Siehst du nicht, dass du zitterst?” ermutigte Idris sie, als er Ihren Zustand sah.

“Ich werde nicht gehen… es dauert ja nicht mehr lange.” antwortete sie mehr an Corrado gerichtet.

Ihre Haselnussaugen schauten nach oben, auf das Gesicht ihres Bruders, während die Tränen gerade so unter den Augenlidern hervortraten, da sie wegen der fehlenden Neigung nicht herunterlaufen konnten.

“Wie sehr es dir jetzt nützen würde, wenn du etwas an Gott glauben würdest…”, fragte sich Apollonia in Bezug auf Corrado, da sie seine Apathie in religiösen Fragen kannte.

“Ich weiß, mein Bruder, dass du nicht daran glauben willst, dass es einen Gott gibt, der fähig ist, alles Böse zu erlauben, das dir zugestoßen ist. Ich weiß, dass Christus und alle Heiligen dich schon einmal enttäuscht haben, als deine Gebete nicht erhört wurden, während du auf die Rückkehr deines Vaters hofftest.»

„Rabel de Rougeville.” murmelte Corrado.

Apollonia verstummte plötzlich; ihr Bruder war immer noch bei Bewusstsein. Wenn er nun ihre Liebeserklärung vor Kurzem gehört hatte…?

“Corrado, Bruder, du bist am Leben!”

“Rabel de Rougeville!” wiederholte er etwas lauter und in einem Atemzug, fast weinend und fast schreiend.

“Erinnere dich an den Heiligen, der deinen Vater beschützt, wende dich an ihn!” lud ihn Apollonia ein, um ihn wach und beschäftigt zu halten.

„Sant’Andrea…“

“‘Agjaou Andréas39.” wiederholte Apollonia auf Griechisch, das heißt in der Sprache der christlichen Liturgie in Sizilien.

In der Familie Apollonias sprach man in einer Art lateinischer Sprache und dasselbe taten sowohl die Christen von Qasr Yanna als auch die vielen Einheimischen, die sich zum Islamismus bekehrt hatten. Wenn es jedoch darum ging, zu beten, wurde die alte griechische Sprache benutzt… Die aber nicht ganz verstanden wurde. Im Gegensatz dazu sprachen Apollonia und die Familie im Rabad

, der ein enger und überwiegend von Beschnittenen bewohnter Ort war, Arabisch; diese Sprache wurde in Sizilien, im Vergleich zur Sprache des Propheten, inzwischen vorwiegend gesprochen. Manchmal benutzten sie auch einige Berber-Wörter, die sie bei den Frauen am Brunnen und den Männern auf dem Feld mit dieser Abstammung gelernt hatten.

Apollonia schloss ihre Augen und begann mit gefalteten Händen ihre Gebete zu rezitieren, wobei sie Maria die Mutter Gottes, die Jungfrau, zugunsten von Corrado anrief. Offensichtlich betete dieser leise, denn einem Ungläubigen war es nicht erlaubt seine Gebete laut zu spreche, damit sie den Gläubigen nicht zu Ohren kamen… und Idris hielt sich auch viel zu nahe auf.

“Mariám Theotókos, ‘und Parthénos40…” begann sie.

Corrado hörte die Stimme Apollonias genauso, wie er in diesem Moment die Stimme seiner Erinnerungen hörte, die von diesem Bild der Madonna und der Heiligen, an die sich seine Schwester wandte, wieder erweckt wurde.

Kapitel 8

Anfang Sommer 1040 (431 seit Hegirae), Täler östlich von Tragina

Die Fahnen wehten unbezähmbar im Wind; ein unsicherer Wind an diesem Tag, vielleicht wusste auch Gott nicht, auf welcher Seite er stehen sollte… und Gott war verwirrt darüber, wer vor dem Gericht der ungläubigen Nachwelt in diesem Kampf unterstützt werden sollte. Auf der einen Seite der Schrei “Allahu Akbar41”, die Sarazenen von Sizilien und Afrika, die zur Unterstützung der ersten gekommen sind, bereit, die Eindringlinge zu vertreiben. Auf der anderen Seite, die Lobpreisung “Christus gewinnt”, die Menschen im Sold von Konstantinopel, für die die Invasoren die anderen waren.

Aufgefordert von ihrem Befehlshaber, im Schutz zwischen dem Jebel42 und den Karonien, wandten sich die Männer von Abd-Allah nach Mekka und unfreiwillig in Richtung der feindlichen Armee. Im Gebet versammelt waren aber auch die anderen, nicht in einem einzigen harmonischen Gebet, sondern die einen auf Latein und die anderen auf Griechisch.

Das Lager war etwa 20 Meilen vom Berg entfernt, auf dem die Stadt Tragina43 thronte, aufgeschlagen worden. Hier, zwischen den Zelten, hatte Conrad nur wenige Stunden vorher beobachtet, wie der Vater mit der ganzen Armee wegging.

Abgesehen von einem bescheidenen Dorf von Kaufleuten und Bauern, war es ein weit abgelegenes Gebiet von den bewohnten Zentren, reich an Wäldern auf der einen Seite, auf den Hängen der höchsten Berge und an begrasten Hügeln, geeignet als Weideland auf der anderen Seite. Ein Fluss floss am tiefsten Punkt des Tals und von diesem war trotz des Sommers noch ein Rinnsal vorhanden, das den Soldaten die Wasserversorgung sicherte.

Nun starrte Conrad auf den Punkt unten auf der Straße, an dem er seinen Vater zum letzten Mal gesehen hatte. Am Morgen hatte er ihm geholfen, über die lange weiße Tunika das schwere Kettenhemd anzulegen, das auf seiner Brust ein rotes Kreuz zeigte. Es war bereits in den ersten Stunden nach Sonnenaufgang heiß, so dass er den Helm vor der Sonne geschützt hatte, damit er etwas kühler war, wenn Vater ihn aufsetzen würde. Als letzte Geste hatte Rabel, bevor er auf den Rücken seines Pferdes stieg, das Haar seines Sohnes gestreift und Conrad hatte ihm die Standarte und den Helm übergeben. Dann ein Blick und schon war er weg, untergetaucht in einer menschlichen Flut aus Soldaten, die zum Sammelpunkt außerhalb des Lagers gingen; hier hatte Giorgio Maniace seine Truppen versammelt. Conrad war auf den Hocker gestiegen, der gerade von einem segnenden Prediger verlassen worden war und hatte versucht Rabel unter den Männern zu finden, die dort unten versammelt waren. Er sah Roul, Kopf und Schultern aufrecht über den anderen und stellte sich vor, dass sein Vater in seiner Nähe war.

 

Sie wussten alle, dass dies der wichtigste Kampf des gesamten sizilianischen Krieges sein würde. Doch Rabel hatte versucht seine Anspannung darüber zu verbergen. Er wollte nicht, dass sie die Zeit trübte, die er an diesem Tag mit seinem Sohn verbrachte.

“Sind die anderen sehr viele?” hatte Conrad gefragt.

“Die Späher sprechen in erster Linie von Infanterie. Wir haben ein Pferd!”

“Darf ich dieses Mal dabei sein…“

“Conrad, mein Sohn, ich habe es dir jetzt schon hundertmal gesagt: Du bleibst hier bei den Frauen, der Dienerschaft und den Mönchen…“ kommentierte Rabel, und fuhr fort:

“Aber wenn wir die ersten Kämpfe nicht für uns entscheiden können, fliehe auf die Hügel und verstecke dich.“

“Ist das denn möglich? Tancred und Roul sagen, dass die Dinge so laufen werden wie bisher… wir werden gewinnen und werden reichen Lohn nach Hause bringen.”

“Und sie haben Recht… es gibt nichts, worüber man sich Sorgen machen muss. Unser Handwerk ist schwierig, das stimmt, aber wir wissen, was wir tun. Und dann wehe, wenn die Soldaten entmutigt werden!”

Auf diese Weise ermutigte Rabel seinen Sohn.

Es war bereits Mittag und im Lager spürte man förmlich die Besorgnis wegen dieser nervenaufreibenden Wartezeit. Immer wieder kam jemand aus dem Feld, um über den Verlauf des Kampfes zu berichten. Eine unter den Mädchen der Dienerschaft weinte, mit Sicherheit aus Zuneigung zu einem Soldaten, mit dem es eine Liebschaft hatte. Dann kam ein Feldprediger zu Conrad, der noch immer auf dem Hocker unter der Sonne saß und sagte:

“Sohn, dein Vater wird nicht früher zurückkehren, wenn du hierbleibst und das Ende der Straße anstarrst.“

Conrad sah ihn von unten nach oben an.

“Hier, ein Stück Brot!“ endete der Prediger.

Der Junge nahm es und biss hinein.

“Wenn du etwas brauchst, um nicht nur deinen Bauch, sondern auch deinen Kopf zu beschäftigen, dann komm mit mir.“

Er brachte ihn auf einen kahlen Hügel mit goldenen Farbtönen, da die Vegetation von der Sonne verbrannt worden war. Auf dem Gipfel gab es keine Erde und ein großer zerklüfteter Schieferfelsen ragte hervor. Ein Olivenbaum, der einzig vorhandene, seitlich der Felsformation verwurzelt, war von einer kleinen Herde von Ziegen und einem alten Hirten besetzt, dessen Gesicht aussah, als hätte er mehr Falten als Jahre auf dem Buckel. Der Priester drehte sich um und fädelte sich durch einen Spalt im Felsen. Conrad war verblüfft, dass das Innere des Spaltes groß genug war, um die Anwesenheit von mindestens zwanzig Männern zu ermöglichen. Er war vollständig mit leuchtenden Farben bemalt, wobei auf allen Wänden Bilder von biblischen Geschichten und das Leben von Heiligen gezeigt wurden; Der Stil war typisch für die heiligen Bildnisse des Orients. Ein kleiner Knieschoner am Ende und ein Kreuz an der Wand zeigten den Ort, an dem man sich verbeugte.

“Vater, ihr seid ein Fremder, der der Armee gefolgt ist. Woher kennt ihr diesen Ort?”

“Die Brüder des griechischen Ritus treffen sich hier seit Jahrhunderten, um zu beten. Sie waren es, die es mir erzählten. Aber jetzt bete zum Herrn und der Jungfrau, damit dein Vater gesund und heil zurückkehrt.» beendete der Prediger, bevor er ihn allein ließ.

Auf diese Weise fand sich Conrad allein, auf Knien, mit geschlossenen Augen, das Kreuz an seiner Brust umklammert, um zu beten, dass Gott seinen Vater zurückbringen würde.

Als er zum Lager zurückkam, war es schon Abend. Er lief, sobald er sah, dass einige Männer zu Pferd aus der Schlacht zurückgekehrt waren. Er rannte schneller, als er bemerkte, dass einer von ihnen der große Raul war; das Blut auf seiner dänischen Axt und seinem Kettenhemd war noch frisch.

“Junge, wo warst du?” fragte der Krieger, sobald Conrad bei ihnen war.

“Ein Priester hat mich auf den Hügel geführt…” erklärte er, aber er wollte nicht verraten, was er dort getan hatte, aus Angst, dass seine Intimität verspottet würde.

Dann verzog er das Gesicht…, wenn sein Vater unverletzt zurückgekommen wäre, wäre er in der ersten Reihe unter diesen Männern gewesen. Plötzlich erschien ihm das Gesicht von Roul traurig, als ob seine Wut durch ein schändliches Ereignis gedemütigt worden wäre. Erst jetzt begann er zu erkennen, was sich hinter dieser menschlichen Decke von Soldaten aus dem Norden verbarg, von denen Roul der Anführer war.

“Wo ist mein Vater?” fragte er, während er sich die Antwort bereits vorstellte.

“Wir haben gewonnen, Kind.” sagte Tancred, ein anderer, der Rabel am nächsten stand, vielleicht um das Unbehagen des kleinen Jungen auszugleichen; dieser trug noch immer seinen langen Speer und seinen roten Mantel.

“Ja, die, die übrig geblieben sind, haben wir in die Flucht geschlagen.” mischte sich ein anderer ein.

“Es war ein großer Sieg!” rief jemand in der Gruppe.

“Auch der Wind war uns heute wohl gesonnen… aber den schlimmsten Wind haben wieder einmal wir von der normannischen Kompanie gemacht.” fügte Tancred hinzu.

Doch Conrad, noch während der letzte sprach, öffnete sich einen Weg durch die Männer.

Rabel lag ausgestreckt auf dem Boden. Seine Kehle war von einem großen Blutfleck gekennzeichnet, vermutlich dort, wo ihn der tödliche Schlag getroffen hatte; ein Schlag, der mit unglaublicher Kraft durchgeführt worden war, da er das Kettenhemd durchbohrt hatte. Die blonde Mähne war entblößt, da ihn offenbar jemand von seinem Helm und der Kapuze befreit hatte.

Conrad starrte ihn unbeweglich an, ohne den Mut zu haben, sich ihm zu nähern. Sein Verstand hatte nie daran gedacht, dass all dies wirklich passieren könnte.

An diesem Punkt legte ihm Roul eine Hand auf seine Schulter und sagte zu ihm:

“Die Armee verfolgt sie… andere von uns sind auf dem Feld gefallen und warten darauf, dass wir sie holen… aber wir… wir, mein lieber Conrad, konnten uns nicht den Plünderungen hingeben oder uns über die anderen Toten Gedanken machen, wenn der Sohn von einem von uns ängstlich auf seinen Vater wartet.”

“Ihr hättet ihn nicht so schnell gebracht, wenn sein Atem auf dem Schlachtfeld bereits ausgesetzt hätte.” sagte Conrad, während die ersten beiden Tränen seine Wangen zeichneten.

Roul kniete sich zu ihm hin und versuchte ihn zu trösten.

“Nein, Conrad, nein… dein Vater ist wirklich im Kampf gefallen!”

Er log, damit sich das Kind keine Schuld geben würde, aber Conrad war nicht so dumm, ihm zu glauben. Rabel hatte den letzten Atemzug dort im Lager ausgeatmet, in der Hoffnung, das Gesicht seines Jungen zum letzten Mal zu sehen; das mit Blut getränkte Tuch am Hals wies darauf hin, dass sie versucht hatten, seine Qual zu verlängern, bis Conrad wieder zurückkommen würde.

“Es liegt an dir, seine Augen zu schließen.” sagte Roul und schob ihn an der Schulter vor.

In die blauen Augen schauend konnte Conrad seine Verzweiflung nicht mehr zurückhalten. Unterdessen bildeten die Frauen, die Mönche und die Reserve, die Lager und Dienerschaft verteidigte, einen Kreis um die Szene. Conrad sah eine Art Enttäuschung in den Augen seines Vaters, aber offensichtlich war es nur die Stimme in seinem Kopf, die ihm sein Schuldgefühl vorgab, dass er nicht da gewesen war.

“Vater!” schrie er, bevor er sich an dessen Brust warf.

“Es gibt nichts zu sehen!“ schrie Roul noch lauter und wandte sich der Menge zu.

„Verdammte Griechen!“ sagte er dann leise.

Mit diesem Satz betonte Roul seine ganze Verachtung für die Menschen des Ortes, offensichtlich die Christen, die wegen der Religion des Orientalischen Ritus für “Griechen” gehalten wurden. Doch mit dieser Aussage der Intoleranz waren auch Giorgio Maniace und die regulären Truppen in seinem Gefolge, wegen dem schlechten Verhältnis des Generals mit den Männern der Hilfskontingente gemeint.

Die Menschen fürchteten sich vor Rouls Reaktion. Conrad lief stattdessen weg, um den Priester zu finden, der ihn von seinem hoffnungsvollen Warten abgehalten hatte.

Roul folgte dem Jungen, während dieser wie ein Verrückter den Prediger zwischen den Zelten suchte.

„Mein Sohn, bleib stehen! Wen zum Teufel suchst du denn?“

“Den Priester, der mich davon überzeugt hat, auf die Hügel zu steigen.“

“Wer ist das?”

“Er sprach unsere Sprache.”

Dann dachte er, er würde ihn direkt in der Felsenkirche suchen und rannte den Hügel hinauf. Als er den Gipfel erreichte, hörte er das Meckern der Ziegen, sah aber den Hirten nicht… dann trat er ein. Da das Licht in der Dämmerung kurz davorstand, zu verschwinden, waren die lebendigen Farben, die ihn am Mittag beeindruckt hatten, verschwunden und in der Höhle konnte man kaum eine Art Schatten erkennen. Raul folgte ihm jedoch mit einer Fackel und als er seinen Fuß in die Höhle setzte, wurde alles erhellt. Conrad bewarf in diesem Moment das Gemälde von Christus und der Jungfrau mit Erdballen, da er nichts anderes hatte, mit dem er diese Steinmauern beleidigen konnte. Er weinte ununterbrochen und jetzt hatte der Zorn gegen die wohlgemeinte Geste des Priesters dem Zorn gegen Gott und den unerhörten Gebeten Platz gegeben.

Roul war ein brutaler Mann, sicherlich profan in seiner Art, aber als er Conrads Sakrileg sah, entweder aus wirklicher Angst oder aus Aberglauben, hielt er ihn von hinten fest, indem er ihn mit einem Arm anhob.

“Nein Conrad, sie haben damit gar nichts zu tun.“

“Sie haben mir nicht zugehört!” schrie der kleine Junge mit seinem ganzen Atem, aber die geschlossene Umgebung brach seine Stimme.

“Hast du Wunder erwartet?”

“Das hat mir dieser Priester gesagt!”

Daraufhin ließ er ihn los und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen.

„Hör mir jetzt zu, Kind… ich habe deinem Vater versprochen, dass ich für dich sorgen werde, und meine Ehre verbietet es mir, das Versprechen an einen sterbenden Freund nicht zu halten. “Bis ich dich zu deinen Verwandten nach Rougeville gebracht habe”… das musste ich ihm schwören.»

“Ich kenne meine Verwandten nicht.” antwortete Conrad, schluchzend und weinend, jetzt mit geschlossenen Augen, da der Rauch der Fackel in ihnen brannte.

“Das interessiert mich nicht. Ich werde diesen Eid nicht brechen und meine Ehre und das Blut deines Vaters nur deshalb veruntreuen, weil du etwas dagegen hast.”

“Was hat er euch sonst noch gesagt?”

“Dass du stark sein sollst, Sohn. Also gehst du jetzt ins Lager und wirst den Mut haben, ihm ins Gesicht zu sehen. Die Männer unserer Abstammung sind in der Regel ungezähmte Krieger, die den Tod nicht fürchten. Und wenn du wütend bist, ist das eine gute Sache… Dadurch wird deine Leidenschaft im Kampf brennender sein. Aber gib nicht den Heiligen die Schuld… räche dich an den Lebenden!»

„Deswegen habe ich diesen Priester gesucht.“

“Lass auch den Priester aus dem Spiel… Es sind diejenigen, die deinen Vater getötet haben, die du hassen musst und an diesen Bestien musst du deine Rache üben.”

„Wer?“

“Wir sind seit zwei Jahren in diesem Land und du fragst mich “Wer”? Hast du nicht die Augen dieser Menschen aus Afrika gesehen? Hast du nicht gesehen, wie ihr Blick dir Bosheit entgegenbringt? Sogar die Menschen in Akḥal, die sich mit uns verbündet haben, sehen uns mit Hass an. Sie haben gemordet, die Frauen der Menschen vergewaltigt, die vor ihnen da waren und sie gezwungen, sich ihrem Gott zu beugen. Sie beschmutzten das Blut dieser Leute und machten es verabscheuungswürdig, als sie diese Mädchen schwängerten. Sie, diese mohammedanischen Barbaren, haben deinen Vater getötet!”

„Ihr habt gesagt, dass ihr nur für die Entschädigung kämpft und dass euch die Gründe für diesen Krieg nicht interessieren.“

 

„Sohn, wenn du deinen Feind nicht hasst, kannst du im Kampf nicht überleben.“

“Bedeutet das, dass mein Vater nicht genug gehasst hat?”

“Dein Vater hatte die Seele eines Königs… es wäre richtig gewesen, dass er kommandierte und nicht, dass er in den Kampf zieht. Aber du, junger Conrad, dieser Hass, den du verspürst, wenn du an sein Opfer denkst, wird dir helfen. Du wirst ein sehr guter Krieger sein, dessen bin ich sicher. Doch denke heute Abend nicht an Rache, sondern denke nur daran, deinen Vater zu ehren. Wirst du zum Lager gehen, um ihm die Augen zu schließen?»

Conrad trocknete sich mit einer Hand sein Gesicht und antwortete:

„Ich werde gehen.“

Daraufhin schaute sich Roul um und sagte:

“Wir werden deinen Vater hier im Inneren unter den wachsamen Augen des Herrn und all dieser Heiligen begraben. Ich sehe hier keinen besseren Orte im Umkreis.“

“Die Brüder des griechischen Ritus kommen hier her, um zu beten.”

“Das bedeutet, dass sie sich freuen werden, über diesen Märtyrer des Christentums zu wachen.”

Sie gingen zum Lager hinunter und als sie die Augen des armen Rabel geschlossen und die Leiche vorbereitet hatten, zogen sie in einer feierlichen Prozession zur Felsenkirche hinauf. Sie legten den Körper unter das Kreuz des Knieschoners. Die Ordensleute, die Frauen und die edlen Soldaten umringten den kleinen Jungen und wachten die ganze Nacht hindurch mit ihm.

Am nächsten Morgen hielt der Priester, der sich Jacob nannte und den Conrad gehasst hatte, die Beerdigung ab und dann begruben sie Rabel in einem Grab, das sie in der Höhle und inmitten einer Einfriedung aus Schieferplatten ausgehoben hatten. Sie bedeckten die Leiche mit seinem Schild. Das lange Ende mit der Spitze nach unten, wie es bei den Normannen üblich war und dann versiegelten sie das Grab mit Erde.

Conrad wachte auch nach dem Begräbnis noch einen vollen Tag an diesem Ort. Er schlief zusammengesackt in der Nähe des Knieschoners, aß nichts und weinte mehrmals. Außerhalb dieser Höhle wartete auf ihn das Leben; das Leben ohne seinen Vater und er war sich sicher, dass er es nie und niemals allein schaffen könnte. Rabel lag unter seinen Füßen begraben und er wünschte, er hätte treu auf ihn gewartet, ohne sich von irgendjemandem ablenken zu lassen. Seine Seele starb jedes Mal, wenn er daran dachte, dass sein Vater, die letzten Worte, die er ihm sagen wollte, mit in sein Grab genommen hatte. Dann starrte er die Heiligen an der Felswand an und konnte sie im Gegensatz zu dem, was ihm Roul gesagt hatte, nicht hassen.