Der Himmel Von Nadira

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Kapitel 3

Sommer 1060 (452 seit Hegirae) Rabaḍ von Qasr Yanna

Es war ein Freitag und unter der Mittagssonne ging Nadira zum Brunnen südlich des Rabad, um einen Eimer Wasser zu schöpfen; Ihre Nichte Fatima begleitete sie. Diese, rot gekleidet, trug ein dekoriertes Halsband, das mit verschiedenartigen geometrischen Fantasien und vielen hängenden Ornamenten verziert war und das an der Kopfbedeckung angebracht war, so wie es bei den Berbern für die Schmückung der Mädchen Brauch war. Es gab auch andere Frauen, die zum Brunnen gingen. Sie lachten und scherzten sorglos trotz der heißen Stunde.

Nachdem sie ihre Aufgaben erfüllt hatten, gingen sie den Weg zurück nach Hause und andere übernahmen ihre Eimer. Nur Nadira und Fatima blieben zurück.

“Ich habe gehört, dass dieser Brunnen ein Wunder ist.” sagte eine männliche Stimme.

Nadira, ließ überrascht das Seil los und der Eimer fiel zum Boden des Brunnens.

Dieser Kerl, ein junger Mann, der einen seltsamen gelben Kefiah26 um den Kopf gewickelt trug, kam heran, indem er seine Hände schüttelte und sie anflehte ihm für den Schreck zu vergeben.

“Ich hatte dich nicht gesehen, guter Mann.” antwortete Nadira, während sie ihr Gesicht bedeckte und die kleine Fatima an sich zog.

„Ich sagte, dass dieser Brunnen ein Wunder ist… und nun, da ich dir näher bin, überzeugt er mich noch mehr.“

Und lächelnd fuhr er fort:

“Denn wenn du kein Engel bist, dann erkläre mir welche Kreatur des Paradieses vor mir steht.”

“Nur die Schwester des Dorfleiters, ein Mann, der dem Qā’id sehr nahesteht.” erklärte Nadira, um ihn von eventuellen bösen Absichten abzubringen.

“Du musst dich nicht vor mir fürchten.”

Als er dann eine Verneigung mit den Händen auf dem Rücken andeutete, stellte er sich vor:

„Mus’ab, Dichter und Arzt.“

„Lass mich mit meinem Bruder sprechen, und dann werde ich dir die Gastfreundschaft entgegenbringen, die du verdienst, Mus’ab.“

„Du bist freundlich, aber ich glaube, dass ich alles was ich brauche, bereits gefunden habe.“

„Brauchst du Wasser? Mein Bruder wird sich nicht davon abbringen lassen, dir einen Eimer zuzugestehen.” fragte Nadira unschuldig, da sie dachte, er meine den Brunnen.

Doch der andere lächelte und erklärte:

„Ich bin trotz meines jungen Alters viel gereist: Von Bagdad nach Grenada. Ich muss sagen, dass ich viele Male türkis- und smaragdfarbene Augen gesehen habe, die den 72 Jungfrauen würdig sind, die Allah den Märtyrern versprochen hat. In Andalusien fand ich Mädchen von visigoter Abstammung mit Augen, die deinen… ähnlich sind, und zwischen den Bergen der Kabilia habe ich Frauen mit fast identischen Eigenschaften getroffen. Aber nie… nie… habe ich ein so intensives hellblau in einem Gesicht wie in deinem gefunden. Dein Aussehen verrät deine sicher berberische Abstammung, die ich von den Kleidern des kleinen Mädchens erahne… Und sogar unter den sizilianischen Ureinwohnern sah ich jemanden, der helle Augen hatte, aber nie wie die deinen. Vielleicht ist dein Vater ein Einheimischer? Oder vielleicht deine Mutter? Von wem hast du dieses Glück geerbt?»

“Du irrst dich… du warst sicher zu lange Zeit fort von dieser Erde und erliegst leicht der Täuschung. Es gibt keine Berber, Einheimische oder Araber hier, sondern nur Sizilianer, die das Wort des Propheten achten. Es stimmt, unter meinen Großeltern und unter deren Müttern gab es eingeborene Frauen, die zu den Diktaten des Korans konvertiert haben, wie es in jeder anderen Familie von Gläubigen auf dieser Insel der Fall ist. Aber das ist normal, wenn man bedenkt, dass in Sizilien in der ersten Zeit überwiegend Männer ankamen, und erst danach kamen die Familien, die vor der Verfolgung der Kalifen und der Emire von Ifrīqiya geflüchtet waren. Aber was meine Augen betrifft, warum sollte jemand jemals eine unergründliche Gabe Allahs beurteilen?”

In diesem Moment rief der Muezzin27 die Gläubigen zum Mittagsgebet auf. Nadira wandte sich dem Rabad und seinem Minarett zu und beeilte sich, um zurückzukehren.

„Meine Mutter wartet schon zu lange auf dieses Wasser.“

„Sag mir nur deinen Namen.“

„Nadira.“

„Nadira, ich werde über deine Augen schreiben!“ rief der Fremde.

Bereits auf dem Weg nach Hause, Fatima an der Hand nach sich ziehend, stieg bei Nadira die Gewissheit, dass Mus’ab bei Umar vorsprechen würde, um um ihre Hand zu bitten. Doch die Tage vergingen, und die Gewissheit verschwand, bis Anfang Oktober klar wurde, welche weit wichtigeren Auswirkungen diese Begegnung bei der Entwicklung ihres Schicksals hatte.

Kapitel 4

Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

Das Gesicht von Corrado strahlte im Rot des Sonnenuntergangs, das sich mit den sehr ähnlichen Farben seines Haares vereinte. Nadira war schon seit Stunden in das Haus zurückgekommen und verweigerte die Hilfe, um die er sie gebeten hatte; von diesem Moment an war niemand mehr aufgetaucht.

Dann, direkt bei Sonnenuntergang, begann Corrado im Delirium zu Schreien:

„Umar, komm raus! Komm raus und nehme es mit mir auf!»

Aber eine Stimme hinter ihm, die vom Eingang zum Hof kam, flehte ihn an:

“Bitte, hör auf!”

Und er:

“Nadira, Feigling… ist das dein Mitleid?”

Diese Stimme hinter ihm gab sich zu erkennen, als sie sich dem Pfosten näherte. Auch ein Mann des Schuldeintreibers, der für die Wache eingeteilt war, kam näher, aber dieser zeigte sich bedrohlich und wollte ihn für die Beleidigung seiner Herrin bestrafen.

„Nein, bitte! Er fiebert… er weiß nicht, was er sagt. Er glaubt sogar, dass ich dem Qā’id versprochen bin.»

Trotz der Bitten von Apollonia drohte die Wache:

„Noch ein weiteres Wort und ich hacke ihm den Kopf ab!“

Apollonia weinte, als sie ihn nur wenige Schritte entfernt besorgt anstarrte.

“Ich bin deine Schwester. Sieh mich an, Corrado, sieh mich an!»

Aber er drehte seinen Kopf krampfhaft weg und gab dann ein undefiniertes Geräusch von sich.

Apollonia warf sich ihm entgegen und umarmte ihn mitfühlend. Corrado war der größte Mann im Rabad und sie war eines der kleinsten Mädchen, daher verlor sich der Kopf der Schwester an seiner Brust, die von der zerrissenen Tunica und der Decke auf den Schultern entblößt war.

„Mut… Mut… es wird nicht so lange dauern.“

“Schwester…” antwortete er mit sehr leiser Stimme.

“Endlich erkennst du mich!”

„Wie lange bist du schon hier?“

„Seit jeher… seit jeher, mein Bruder. Ich wäre auch geblieben, nachdem ich dir letzte Nacht diese Decke gebracht habe, aber unsere Mutter zwang mich, wieder nach Hause zu gehen.“

“Und wo sind sie?”

“Unser Vater und unsere Mutter fürchten den Mann des Qā’id und hindern auch Michele daran hierher zu kommen.”

“Und du, Schwester?”

„Ich bin nichts, die Konsistenz eines Tautropfens… wer interessiert sich schon für mich?“

Corrado schloss seine Augen. Er hatte eine Art Spasmus im Gesicht und sagte dann zu ihr:

„Geh nach Hause. Merkst du denn nicht, wie stark die Sonne zu dieser Stunde ist?»

Die Wache hatte sich inzwischen wieder angenähert, um das Mädchen daran zu hindern, ihm Hilfe zu leisten.

„Bleib ihm fern!“

Apollonia löste sich aus der Umarmung und antwortete:

“Aber siehst du nicht, dass er deliriert ist? War die Lektion nicht genug?”

„Geh und rede mit Umar… Ich hätte ihn schon freigelassen, und ich wäre nach Hause, in die Wärme gegangen.“

Apollonia lief daraufhin zum Eingang des Haupthauses. Als Umar benachrichtigt worden war und zur Tür kam, warf sie sich zu seinen Füßen und flehte ihn an:

“Bitte, Herr, was auch immer… aber lass meinen Bruder frei!”

„Ich habe ihm drei Tage versprochen, ich kann das Wort nicht zurückziehen.“

„Er wird diese Nacht nicht überleben; er hat hohes Fieber! Bitte Herr, bindet mich an diesen Pfahl, aber lasst ihn gehen oder er wird sterben.“

„Er wird sterben, wenn es geschrieben steht, dass er sterben wird und er wird leben, wenn es geschrieben steht, dass er leben wird… gebe ihm noch eine andere Decke, wenn du willst. Und demütige dich nicht auf diese Weise für jemanden, der es nicht verdient.“

Dann befahl er jemandem in der Nähe, dem Mädchen, das zu seinen Füßen lag, Nahrung zu geben und sie dann weg zu schicken. Apollonia stand wieder auf und erwiderte wütend, so dass es im ganzen Haus zu hören war:

“Ich will nicht dein Essen, ich habe schon einen, der meinen Hunger stillt!”

Daraufhin wurde die Tür vor Ihren Augen zugeschlagen, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, diese Entscheidung anzufechten. Jetzt gaben ihre Beine nach und sie glitt über die Tür und weinte noch lauter als zuvor.

Als dann der Muezzin die Gläubigen für die ṣalāt28 des Sonnenuntergangs aufrief, und sie beobachtete, dass sich die Wache darauf vorbereitete, sich nach Mekka zu beugen und dem Verurteilten den Rücken zu kehren, nutzte sie dies aus, um gegen das Verbot, sich ihrem Bruder nicht zu nähern, zu verstoßen.

„Corrado, mein Atem und mein Leben… Corrado!“

Aber er stöhnte nur unverständlich und mit geschlossenen Augen.

Apollonia nahm dann sein Gesicht zwischen ihre Hände und sagte zu ihm:

 

„Erinnere dich, wer du bist, Corrado, und erinnere dich daran, wer dein Vater ist.“

“Alfeo… aus dem Rabad.” antwortete er geschwächt.

“Corrado, Bruder, erinnere dich, wer dein Vater ist” wiederholte Apollonia verzweifelt, da sie sich mit der Antwort nicht zufriedengab.

“Alfeo… unser Vater.” sagte er, noch immer mit geschlossenen Augen.

“Erinnere dich nicht an denjenigen, der dich wie einen Sohn liebte, sondern an den, der dich gezeugt hat. Diese Geschichten, die du mir abends am Feuer erzähltest und die dir dein Vater übermittelt hat… dein wirklicher Vater. Erinnere dich daran, wie du mir von den Landen im Norden erzählt hast, die aus Eis und Schnee gemacht sind und wie sich die Menschen deiner Abstammung an die extreme Kälte gewöhnt haben. Erinnere dich Corrado und vielleicht kann dich dein Blut des Nordmannes wärmen, um zu überleben.”

„Die normannische Kompanie…“

„Richtig, Corrado, die normannische Kompanie… erinnert sich immer noch!“

„Mein Vater, Rabel… Rabel de Rougeville.“

„Ja, Corrado, man sah ihn das letzte Mal während des Sommers vor zwanzig Jahren. Ich habe es oft erzählt.“

„Ich sah die Mauern von Syrakus…“, brummte er, bevor er sein Bewusstsein in einem tiefen, fieberhaften Schlaf verlor.

Kapitel 5

Anfang Sommer 1040 (431 seit Hegirae), vor den Mauern von Syrakus

Von Sizilien war sie das “Tor zum Orient”, die Stadt, die vor der Ankunft von Rom die glorreichste im gesamten zentralen Mittelmeer war. Die Heimat der Tyrannen und des großen Archimedes, eine Perle, die von göttlichen Delfinen vom Meeresgrund hervorgezogen wurde; dies war Syrakus! Und in der Tat war die aretusische Stadt ein zu prestigeträchtiges Ziel, um ignoriert zu werden, ein Meilenstein, den der General des orientalischen Reichs, Giorgio Maniace, in seiner Mission nicht vernachlässigen konnte.

Die vollständige Rückeroberung Siziliens zugunsten von Konstantinopel war nicht einfach und wenn man erfolgreich sein wollte, musste man Syrakus den Sarazenen wegnehmen, damit es zu einem soliden Brückenkopf für die Ankunft der Verstärkung aus dem Osten wurde. Die Stadt hingegen war gut versorgt. Sie hatte Wasserquellen im Inneren und wurde von Soldaten verteidigt, die sich nach den ersten Zusammenstößen hinter den Mauern zurückgezogen hatten. Der Aufruf der Muezzins auf den Minaretten erinnerte die Belagerer daran, dass die Eroberung ein langes und mühsames Unterfangen werden würde.

Giorgio Maniace war ein rauer und despotischer Mann, und erwies sich besonders in Bezug auf seine Truppen und Offiziere, die ihm untergeben waren, oft als gewalttätig… kurz gesagt, ein perfekter Krieger. Sogar sein Aussehen bezeugte seinen brutalen Charakter: Blind auf einem Auge, war er größer als der Durchschnitt und seine Gesichtszüge waren unangenehm und roh. Alles an ihm erzeugte Angst, sowohl unter seinen eigenen Leuten als auch unter den unglücklichen sarazenischen Milizen, die mit ihm zusammengestoßen waren. Sein Wert war schon unumstritten, bevor der Kaiser des Orients ihm die Mission anvertraute, Sizilien den Arabern zu entreißen. Aber jetzt, da von Messina bis zu den Toren von Syrakus wieder Kreuze erschienen, wurde sein Ruf absolut. Im Übrigen benötigte er auch einen starken Charakter und eine unbestrittene Autorität, wenn er in einem größeren Unterfangen als demselben Krieg gegen den Islam erfolgreich sein wollte: nämlich die vielfältige, um die von ihm befohlene Armee zu kontrollieren. Giorgio Maniace hatte viele Söldner verschiedenster Abstammung unter sich versammelt: Männer aus Konstantinopel und seinen Besitztümern, Männer aus Apulien, Kalabrien, Armenien, Mazedonien, Paulicianer29…, aber auch Söldner, die Konteraten30 , die ihre Lanze im Gefolge des Langobarden Arduino schwangen… die Variaga-Wache, Nordmänner, die die slavischen Steppen überquert hatten, um dem Kaiser des Orients zu dienen und von Harald Hardada angeführt wurden… und die Normannen des Unterlaufs der Seine, die zu den geschicktesten Kriegern gehörten.

Gerade einer dieser letzten - aber noch kein Soldat - sah sich um die fünfte Nachmittagsstunde das Meer an, wobei sein Blick über die Ruinen der antiken Stadt auf dem Festland schweifte. Tatsächlich war die Stadt früher viel größer gewesen und erstreckte sich auch über einen beträchtlichen Teil der gegenüberliegenden Küste auf der Insel Ortigia, wo sich der Kern des berühmten Syrakus befindet. Seit zweihundert Jahren, nach dem verheerenden Sarazenen-Angriff, bestand die Stadt jedoch nur aus dem Inselteil und einem kleinen Teil der Halbinsel, die sich bereits unter der Kontrolle von Maniace befand. Die Männer wandten ihre Gedanken und Waffen den Überresten von Syrakus zu, um die monatelange Belagerung jenseits des engen und kargen Kanals, der die Stadt teilte, erfolgreich zu überstehen.

Conrad war neun Jahre alt und hatte den Krieg früh kennen gelernt, damit er sich an das Schicksal gewöhnen konnte, das ihn sein ganzes Leben lang begleiten würde. Tatsächlich konnte jeder normannische Mann von Natur aus nichts anderes als ein Krieger sein. Aber Conrad war auch ein Träumer… Vielleicht, weil sein Vater es für richtig hielt seine Waffentaufe noch hinauszuzögern, wusste Conrad zu träumen, ohne an die Gräueltaten der Menschen beim Massaker denken zu müssen, die die Augen trüben und den Geist vernebeln. In den grünen Augen von Conrad konnte man also noch die Hoffnung und die Idee von Haus und Familie sehen, die ihm durch den vorzeitigen Tod seiner Mutter, einer fränkischen Edelfrau, teilweise vorenthalten wurde.

Rabel de Rougeville hatte seinen Sohn und dessen Kinderfrau mit nach Italien gebracht, als das Kind nur ein Jahr alt war. Nach Salerno, gezogen durch die reichen Vergütungen, die den adligen normannischen Kadetten gewährt wurden und durch die Nachrichten der Landsleute, die ihm vorausgegangen waren. Bestärkt hatte Rabel damals beschlossen, sich seinen Mitstreitern anzuschließen und sich in den Dienst des besten Bieters zu stellen. In diesen Ländern fehlten die Kriege nicht… Länder, die durch die endlosen Konflikte zwischen Konstantinopel und den letzten langobardischen Fürstentümern mit Blut durchtränkt waren. Ganz zu schweigen von den anhaltenden Überfällen arabischer Räuberbanden an der Küste Kalabriens. Und als dann Giorgio Maniace die Armee für die Invasion Siziliens zusammenstellte, hatten Rabel und seine Kommilitonen auf den Appell reagiert. Messina war sofort gefallen, aber die nachfolgenden Kämpfe waren grausam und verheerend, sowohl für die Bevölkerung als auch für beide Armeen, mit großen Verlusten innerhalb des normannischen Kontingents. In zwei Jahren Krieg war Maniace nicht mehr gelungen, als bis unter die Mauern von Syrakus zu gelangen und die Ionische Küste zu kontrollieren. Die Leute des Iqlīm von Demona, der nordöstlichen vorwiegend christlichen Spitze der Insel, hatten die Invasion unterstützt, doch der Rest von Sizilien stand in der Tat unter dem Lehen der Sarazenen und ihn zu erobern, wäre ein langes und schwieriges Unterfangen gewesen.

Mit dem Blick über den kleinen Hafen und die Stadt hinaus breitete Conrad seine Arme in dem unmöglichen Versuch aus, das Meer und den Horizont zu umarmen. Sein Vater beobachtete ihn von hinten nun schon seit Minuten und als er sich näherte und ihm durch die langen blonden Haare strich, wandte sich Conrad überrascht und fast als fürchtete er, dass ihn der andere für die banale Geste die er machte, Vorwürfe machen könnte.

“Willst du das Meer ergreifen, mein Sohn?” fragte Rabel, der eine einfache weiße Tunika trug, aber bewaffnet war.

“Es ist das Schönste, was es gibt!”

„Ich fürchte, deine Taschen sind zu klein, um es ganz aufzunehmen…”

“Gott kann es aber halten!”

“Vielleicht ist es genau das, die Erde… seine Taschen… und wir sind drin.”

“Roul sagt, dass Gott uns unter allen Menschen auserwählt hat, weil unser Blut das Beste ist, das es gibt.”

Rabel lächelte und sah auch auf das Meer.

“Jede Nation, wie jedes Volk, glaubt besser zu sein als die anderen. Schau dir dieses Land an… die Mohammedaner glauben, dass sie Gottes Gunst haben, der Kaiser von Konstantinopel glaubt, dass er sein Vikar ist und der Papst glaubt dasselbe… und versuche mal, durch das Judenviertel einer dieser Städte zu gehen und zu fragen, auf welcher Seite Gott steht. Conrad, mein Kind, versuche dich selbst zu einer besseren Person zu machen, unabhängig von deinem Blut.

Ich habe Mohammedaner gesehen, die sich mit mehr Ehre als unsere Leute schlagen… Ich bin sicher, dass Gott sie in seiner Herrlichkeit schätzt, unabhängig davon, welchem Meister sie dienen. Seit wir auf dieser Erde sind, wurden mir die Augen für viele Dinge geöffnet.”

„Und Roul?“

“Roul ist mein bester Freund, aber wir kämpfen aus unterschiedlichen Gründen.”

„Bedeutet das, dass ihr nicht für die Belohnung kämpft?“

„Ich bin als Soldat geboren, und mein Vater hat mich dazu erzogen einer zu werden. Seit unsere Sippe die kalten Länder Jyllands31 verlassen hat, haben wir nie etwas anderes in die Hand genommen als ein Schwert. Das ist unser Handwerk und die Bezahlung für den Kampf ist unser Lohn. Doch mein lieber Conrad, die Bezahlung kann dir die Taschen und auch dein Herz füllen; es liegt an dir, zu entscheiden, wo du sie investieren willst.“

„Meint Ihr damit, dass die Belohnung gefährlich sein kann?“

„Alles kann gefährlich sein, wenn es uns zu einem Laster führt und für egoistische Ziele genutzt wird. Macht, Geld und Frauen… Hüte dich vor all diesem gut!»

“Aber du hast meine Mutter geliebt…”, sagte Conrad verwirrt und zweifelnd.

“Es gibt nichts Schlechtes an der Macht, wenn deine Untergebenen zu deinen Kindern werden; nichts, das am Geld schlecht ist, wenn es deinen und den Hunger derjenigen stillt, die du befehligst; und aus keinem Grund der Welt ist die Wärme der Frau, die du liebst, falsch. Aber ich, mein Sohn, liebte eine einzige Frau und keine andere konnte jemals ihren Platz einnehmen. Du siehst ihr sehr ähnlich… deine Augen, deine Haare, dein Teint… und dein Name Conrad, geerbt von ihrer Sippe… Sie haben mir bereits zwei Wochen nach ihrem Tod ein hübsches Mädchen vorgestellt, aber ich wollte nicht, dass irgendjemand ihren Platz einnimmt und dass du eines Tages eine andere “Mutter” nennen würdest; ich hätte es nicht ertragen. Wenn wir eine Mutter brauchen würden, gab es bereits die Kinderfrau.“

“Was muss ich also fürchten?”

„Den Wunsch, der zur Brutalität führt. Wenn der Wunsch, etwas zu haben, die Ehre und alle Regeln menschlichen Mitleids außer Acht lässt.“

“Und die Frauen?” fragte verwirrt Conrad, wegen der typischen Neugier seines Alters, das an dem geheimnisvollen Wesen der Frau interessiert ist, es bis jetzt aber nur in der Brust der Kinderfrau kannte.

„Die Frauen… nichts verbietet es dir sie zu lieben, aber hüte dich vor den Augen einer Frau, die dir nicht gehört!“

„Rabel!“ rief jemand, der gerade aus dem Lager zwischen den Ruinen kam.

„Roul, ist das schon der Moment?“

Diese Frage zeigte den Charakter. Roul, die harte Faust war der Waffengefährte. von dem Rabel sich nie getrennt hatte. Sie waren zusammen in Richtung Italien aufgebrochen und hatten sich im Kampf immer gegenseitig geschützt. Roul war ein Verrückter von fast zwei Metern, mit einer mächtigen Stimme und schlechtem Benehmen. Ein vollerer Bart als es normal war, zeichnete sein Gesicht und sein Haar war dunkler als der Durchschnitt, wobei ein langer Zopf an der rechten Seite des Kopfes herunterhing. Sein abnormaler fast mediterraner Teint wurde durch die blauen Augen, die nordischen Gesichtszüge und seine außergewöhnliche Statur überführt. Er war ein Gauner, das wussten alle, aber er war auch ein sehr guter Soldat, einer der besten im Umgang mit der Kampfaxt. Viele fragten sich, was Roul mit Rabels edler Gesinnung zu tun haben könnte, aber vielleicht war genau der barmherzige Charakter des Zweiten das Band dieser Freundschaft. Rabel tolerierte die Exzesse von Roul, weil sie zusammen aufgewachsen waren und weil Roul ihm im Kampf den Rücken deckte.

„Noch nicht, sie werden morgen früh darüber reden. Aber der Wein ist da und jeder wartet auf Bruder Rabel, um zu feiern.»

“Bruder Rabel”, so nannte die gesamte normannische Kompanie den edlen De Rougeville, seit sie zu dreihundert den Leuchtturm32 überquert hatten. Jetzt war der Wein angekommen und sie forderten die Anwesenheit aller.

 

Obwohl die arabischen Reisenden, die sich der Weltlichkeit widmeten, den Wein von Sizilien gerühmt hatten, war er selten zu finden. Da die Islamisten den Anbau von Reben auf den von ihnen kontrollierten Gebieten verboten hatten, waren in diesen Gebieten nur geringe Mengen von Trauben zu sehen. Schon bei der Ankunft von Maniace im Jahre 1038 hatten die Christen bald die Rebstöcke neu gepflanzt, um die Massenproduktion wieder zu beleben, aber es waren noch nicht genügend Trauben gewachsen, und man musste große Mengen des Getränks importieren, wenn man auf ein gutes Schicksal anstoßen wollte.

“Und er bringe auch Conrad mit; Es ist an der Zeit, dass er sich so amüsiert, wie es Männer können!”

Rabel starrte seinen Sohn an und schüttelte den Kopf, wodurch er seine Ablehnung in Bezug auf die Einladung des anderen zeigte.

„Willaume und Dreu?“

„Die Brüder de Hauteville33 sitzen schon seit einer Stunde am Tresen der Taverne.“

Guglielmo de Hauteville, Willaume wurde in seiner eigenen Sprache als Eiserner Arm betitelt. Man erzählte, er habe mit nur einer Hand und mit einem Speer einen sarazenischen Champion getötet, der in einem früheren Zeitraum während der Belagerung von Syrakus ein großes Massaker unter den Griechen und Nordmännern angerichtet hatte. Aber es war offensichtlich, dass die Geschichte unwahrscheinlich war, obwohl sich die Legende unter den Truppen schon verbreitet hatte. Der Name seines Hauses wurde jedoch unter den Männern des normannischen Kontingents, das bereits seinem Kommando unterstand, immer mehr verherrlicht.

“Es wäre klüger, sich im Gebet und in der Kontemplation zu versammeln. Wir benötigen vor allem die Hilfe Gottes. Abd-Allah hat die ganzen Kräfte Siziliens gesammelt, und aus Afrika sind noch andere dazugekommen. Er glaubt, dass er es schaffen wird, die Belagerung dieser Stadt zu beenden, und er wird alles tun, um uns wieder dorthin zurückzutreiben, wo wir hergekommen sind. Wir müssen den Gegenangriff zurückweisen, bevor der Emir kommt, um uns an diese Mauern zu quetschen. Diesmal fürchte ich jedoch, dass der Mut der Mutigsten nicht ausreicht, um die gesamte Armee mitzureißen.“

„Wenn du mehr trinken und dafür weniger beten würdest, wärst du optimistischer!“

Da sich Rabel bewusst war, dass er bei dem Versuch den anderen zu überzeugen, wenig erreichen würde, wandte er sich sehr ernst an seinen Sohn.

„Hast du gehört? Morgen bei Sonnenaufgang geht es los. Du weißt, was du zu tun hast.»

Dann folgte er Roul auf dem Weg zur Taverne.

Conrad wusste genau was er tun sollte. Genau das, was er schon seit zwei Jahren tat: Das Gepäck seines Vaters vorbereiten, seine Rüstung bereitlegen, das Schwert ein letztes Mal schleifen und die Standarte mit ihrem Familienwappen vorbereiten, eine dänische Axt, die von einem grünen Eichenblatt überragt wurde auf einem roten Schild… eine Standarte, die Conrad, zu Pferde, neben seinem Vater auf dem Weg zum Schlachtort tragen würde.

Diese Diskussionen über Frauen und Wein erweckten eine seltsame und neue Gier in Conrad - das Geheimnis des Verbotenen stachelt die Jungen immer an -, sodass, sobald die beiden Ritter den Ort der Ruinen verließen, auch er in die Taverne ging. Diese war eigentlich ein Treffpunkt, der von einem christlichen Bauern hergerichtet worden war, der darauf spekulierte, mit den Bedürfnissen der Truppen zu verdienen.

Es war gerade die fünfte Stunde, wie gesagt, und die Sonne schien noch stark auf Conrads Kopf. Er spazierte zwischen den mit Soldaten überfüllten Zelten, durch Gruppen auf der rechten und linken Seite, die sich alle in ihrer eigenen Sprache unterhielten, … und zwischen den Predigern, die auf Podien standen, und nach Jahrzehnten der geflüsterten Gebete, jetzt mit lauter Stimme ihre Meinung sagten. Sie segneten jeden Soldaten, der an ihren Hockern vorbeikam und auch den Jungen, als er ihnen nahekam.

Dann betrat Conrad die Taverne und sah sich dem finsteren Laster gegenüber, das die Erwachsenen beherrschte. Die Kelche voller Wein, Würfelspieler an jedem Tisch und eine Handvoll Prostituierte, die die sich selbst für Geld verkauften, und die die gezwungen wurden, weil sich die Jungfrauen des Volkes den Eroberern hingeben mussten. Conrad lief schnell wieder hinaus, da er fürchtete, dass unter diesen Männern der Blick seines Vaters auf ihn fallen könnte.