Please Kill Me

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Ich war entsetzt. Ich dachte, Raw Power wäre genial.„Search And Destroy“ war einer der besten Rock ’n’Roll­Songs aller Zeiten. Daran konnte man ein­fach nichts mehr besser machen.

Ich glaube, Bill Harvey wollte diese Band einfach nicht, weil er glaubte, sie wären nicht kommerziell genug. Womit er auch nicht Unrecht hatte – sie waren kommerziell nicht erfolgreich. Sie haben nie irgendwelche Platten verkauft. Ich dachte, sie würden die Investition um der Kunst willen machen. Ich dachte, dass das Publikum diese großartige Musik vielleicht eines Tages entdecken würde, wenn man einfach nur weiterhin ihre Platten produzierte und an sie glaubte. Und ironischerweise muss ich zugeben, dass er Recht hatte, denn mehr als zwanzig Jahre später klingt Raw Power immer noch sehr avantgardistisch.

Also musste ich Iggy mitteilen: „Sie haben euch von der Liste gestrichen.“

Er antwortete: „Das kann ich einfach nicht glauben. Wir haben so groß ­artig gespielt, und die Songs waren so großartig.“

„Das fand ich auch, aber was willst du machen? Sie wollen euch einfach nicht.“

Bill Cheatham: Ronny bekam einen Anruf von einem Typen von der Steuer­behörde, der ihm mitteilte, dass die Band noch eine Menge Steuerschulden hätte. Ronny antwortete: „Davon weiß ich nichts.“

Der Typ von der Steuer meinte, dass es dann wohl am besten sei, wenn sie der Sache einmal nachgingen.

Also sagte Ronny: „Hören Sie, Mann, wir sind alle drogenabhängig. Wir haben keine Ahnung, wo das Geld geblieben ist.“

Der Mann vom Finanzamt sagte nur: „Oh“, und legte auf. Die Stooges haben nie wieder was vom Finanzamt gehört.

Danny Fields: Iggy zu managen war die Hölle. Wir waren in New York und die Stooges in Detroit, und kein Mensch konnte mit Geld umgehen. Es war tat­sächlich überhaupt kein Geld da. Die Plattenfirma unterstützte sie nicht, Plat­ten verkauften sie auch nicht, und außerdem hatte Iggy ein Drogenproblem.

Die Alice Cooper Band und die Stooges traten mal zusammen in einer Show auf und kassierten pro Nacht eintausendfünfhundert Dollar. Kurz vor dem Auftritt suchten die Typen von Alice Coopers Band, professionell, wie sie waren, nach einem Spiegel, um sich die Augen zu schminken – und dann muss­ten wir Iggy suchen.

Als ich ihn fand, lag er vor der Kloschüssel und hatte eine Nadel im Arm. Ich musste die Nadel rausziehen, das Blut spritzte überallhin, und ich schlug ihm immer wieder ins Gesicht und rief: „Die Show fängt jetzt an!“

War das lustig? Und wie …

Dee Dee Ramone: Ich habe Iggy zum ersten Mal im Juni 1971 beim Stooges­Konzert im Electric Circus am St. Mark’s Place gesehen. Sie haben sehr spät angefangen zu spielen, weil Iggy keine Venen mehr finden konnte, um sich einen Schuss zu setzen, da seine Arme bereits total zerstochen waren. Er war stocksauer und wollte nicht aus der Toilette rauskommen. Also mussten wir warten.

Iggy Pop: Ich war hinter der Bühne und suchte eine Vene und schrie jeden an: „Verpisst euch! Verpisst euch!“ Sogar meine Freunde, die alle dachten:„O Gott, jetzt kratzt er ab.“ Bla, bla, bla.

Schließlich bin ich dann doch auf die Bühne, und sobald ich auf der Bühne rumlief, merkte ich, was los war – dass ich einfach nur kotzen musste. Ich wollte die Bühne trotzdem nicht verlassen, weil ich das Gefühl hatte, ich würde das Publikum im Stich lassen.

Dee Dee Ramone: Dann kam die Band schließlich auf die Bühne, und Iggy schien sehr aufgeregt. Er war am ganzen Körper mit silberner Farbe angemalt und trug nur eine Unterhose. Er war von Kopf bis Fuß angemalt, sogar die Haare. Seine Haare und Fingernägel waren golden. Und irgendjemand hatte ihn mit Glitzer besprüht. Sie spielten immer wieder den gleichen Song, der nur drei Akkorde hatte, und er sang immer wieder denselben Text: „I want your name, I want your number.“

Dann schaute Iggy ins Publikum und sagte:„Ihr Leute macht mich krank!“

Und dann musste er kotzen.

Leee Childers: Geri Miller saß wieder einmal in der ersten Reihe. Sie hatte diese schreckliche Piepsstimme, saß in der ersten Reihe und schrie immer wieder: „Kotz doch! Kotz endlich! Wann kotzt du endlich?“ Und dann tat er es! Er kotzte. Iggy hat sein Publikum eben niemals enttäuscht.

Iggy Pop: Es war alles sehr professionell. Ich glaube nicht, dass ich jemanden getroffen habe.

Russell Wolensky: Ich saß in der ersten Reihe und habe was von der Kotze abgekriegt. Iggy hat mich an der Schulter getroffen.

Ron Asheton: Ich war Iggys Kotzerei ja schon lange gewöhnt. Er ist normaler­weise immer hinter den Verstärker gegangen, um es vor dem Publikum zu ver­bergen, aber inzwischen wusste jeder, was er da tat. Es war so erniedrigend …

Ich habe es irgendwann aufgegeben, irgendwas zu sagen, weil mir ja sowieso niemand zugehört hat. Ich meine, kurz vor dem Gig haben sie meine original Prä­CBS­Stratocaster mit nach Harlem genommen und sie dort gegen Heroin im Wert von vierzig Dollar getauscht. Mir sagten sie, sie wäre geklaut worden. Das hat mir das Herz gebrochen, Mann. Jahre später hat mir mein Bru­der Scotty erzählt, was wirklich gelaufen ist. Und ich habe mir damals während unseres Gigs im Electric Circus gesagt, dass ich die Schnauze voll habe …

Danny Fields: Irgendwann begann meine Beziehung zu den Stooges total zu bröckeln. Ich musste sie aus Hotels auslösen und meinen privaten Bankkredit für sie aufs Spiel setzen. Ich konnte mir das einfach nicht mehr leisten. Bei mir kam kein Geld mehr rein. Es ging das Gerücht, dass sie am Wochenende Tank­stellen überfielen, damit sie wenigstens ihre Miete bezahlen konnten, dass ihr Haus bald abgerissen würde und dass dort, wo das Fun House stand, eine Auto­bahn gebaut werden sollte. Und dann kam morgens um vier dieser Anruf von den Stooges, die mir mitteilten, sie wären soeben in Ann Arbor mit einem vier Meter zwanzig hohen Lastwagen unter eine vier Meter hohe Brücke gefahren.

Ron Asheton: Die Washington Street Bridge – die hat so viele Laster gefres­sen. Scotty saß am Steuer. Er fuhr ungefähr sechzig Stundenkilometer – und RUMMS! Das hat glatt das Dach abrasiert … hat einfach das Dach vom Last­wagen abgeschält.

Ich war im Fun House, als das Telefon klingelte: „Waaaas?“

Ich bin sofort ins Krankenhaus, und man weiß ja, wie diese Kranken­schwestern an der Rezeption so sind. Die rücken einfach nicht raus mit der Sprache. Alles, was sie sagte, war: „Alle befinden sich in einem kritischen Zustand, mehr kann ich im Moment nicht sagen.“

„O Mann.“

Also bin ich zu der Brücke gegangen. Der Lastwagen war völlig hinüber. Dann bin ich ins Krankenhaus zurück. Da saßen sie, die beiden Roadies Larry und Jimmy und mein Bruder Scotty.

Sie sahen immer noch genau so aus wie drei Stooges – Larry hatte Zahn­lücken, mein Bruder eine genähte Zunge, und Jimmy war von oben bis unten bandagiert. Also bin ich mit Larry und Scotty nachhause gefahren, und plötz­lich sagte Larry: „Fahr mal zu der Brücke zurück!“

„Wie bitte, spinnst du? Okay …“

Als wir dort ankamen, sprangen sie aus dem Auto und fingen an, das Unkraut zu durchstöbern. In dem Moment fand ich heraus, dass sie Speed gefressen hatten und völlig high waren. Als die Bullen angerückt waren, hatten sie das Tütchen mit dem Amphetamin aus dem Autofenster geschmissen. Also mussten wir noch einmal zurück und das Zeug suchen.

Ich sagte nur: „Ihr Vollidioten habt ja wohl total den Verstand verloren.“

Scott Asheton: Mir hat keiner gesagt, dass der Laster drei Meter achtzig hoch ist und die Brücke nur drei Meter zwanzig. Ich wurde aus dem Lastwagen geschleudert und bin ungefähr zwei Meter weit geflogen. Einer ist auf das Arma­turenbrett geknallt und hat sich alle Zähne ausgeschlagen. Er war bewusstlos. Und der andere ist gegen die Windschutzscheibe geknallt und hatte ein riesiges Loch in seinem Kopf und ist blutüberströmt durch die Gegend gerannt. Und ich war mir ziemlich sicher, dass der andere Typ tot war.

Ich sagte immer nur: „O nein, o nein“, und wusste eigentlich immer noch nicht so genau, was passiert war, und dann drehte ich mich um und sah, dass der Lastwagen einfach nicht unter der Brücke durchgepasst hatte.

Also spielten sie ihren Gig an diesem Abend ohne mich. Sie haben mir mein Kinn mit sechs Stichen genäht, aber den Stich, den sie mir in meine Zunge verpasst haben, werde ich nie im Leben vergessen. Das war der schrecklichste Schmerz, den ich je erlebt habe. Ich dachte, ich drehe durch. Ich dachte, ich kratze ab. Wenn man sich diese Brücke heute anschaut, sieht man immer noch die Spuren. Die Brücke ist immer noch im Arsch.

Danny Fields: Sie haben den Laster zu Schrott gefahren, sie haben die Instru­mente, die wir nur gemietet hatten, zu Schrott gemacht, und sie haben die Brücke zu Schrott gemacht. Also wurden sie vom Lastwagenbesitzer verklagt, vom Besitzer der Instrumente und von der Stadt Ann Arbor. Und von mir woll­ten sie um vier Uhr morgens wissen, was ich jetzt unternehmen würde.

Was ich unternommen habe? Ich bin wieder zurück ins Bett gegangen.

Bill Cheatham: Irgendwann schuldete Scotty Asheton dieser Motorradgang einen Haufen Geld, und sie waren natürlich hinter ihm her. Scotty schuldete ihnen das Geld, aber wir rechneten auch damit, dass sie zu uns kommen und uns den Arsch aufreißen und unsere Instrumente klauen und die Bude verwüs ­ten würden.

Es herrschte eine Art Belagerungszustand, und wir haben das Fun House buchstäblich in eine Festung verwandelt. Die Fenster im Erdgeschoss haben wir mit Sperrholz zugenagelt, und wir haben uns bis an die Zähne bewaffnet. Wir hatten viele Waffen – Schrotflinten, Pistolen und Gewehre, wirklich alles.

In den ersten paar Tagen haben wir uns beim Wacheschieben abgewech­selt. Scotty hatte beschlossen, dass er im Moment nicht so gern in diesem Haus wohnen wollte. Er kam nur ab und zu zum Üben und dann verpisste er sich wieder. Aber die Sache war die, dass wir, um ins Haus reinzukommen, das Poli­zeischloss herausreißen und wieder neu montieren mussten, wenn wieder jemand reinwollte. Dadurch wurde die Tür mit der Zeit immer löchriger.

 

Nach ungefähr vier Tagen kam Scotty wieder zurück. Die Biker ließen sich niemals blicken, und uns juckte es irgendwie in den Fingern, endlich mal unsere Knarren zu benutzen.„Verdammt, ich würde dieses Ding zu gern mal benutzen.“

Wir saßen auf dem Sofa, und gegenüber vom Sofa hing ein Bild von Elvis. Scotty starrte ständig auf das Bild. Schließlich spannte er den Hahn seiner Schrotflinte und RRUMMSS, verpasste er Elvis ein Loch. Dann eröffnete auch ich das Feuer, und wir fingen an, die Wand zu durchsieben.

Plötzlich hörten wir diese lauten Schreie: „Hört auf zu schießen! Hört sofort auf zu schießen!“

Wir wussten nicht, dass John Adams unten im Keller war und geschlafen hatte. Er kam herauf, von unten bis oben in Gips, sah uns und fing an zu zetern: „Was zum Teufel geht hier ab?“

Nachdem wir herausgefunden hatten, dass die Stadt das Gebäude abreißen wollte, haben wir uns gesagt: „Ach, scheiß drauf“, und das Haus regelrecht zusammengeschossen.

Aber Ronny blieb bis zum bitteren Ende.

Ron Asheton: Nachdem wir bei Elektra rausgeflogen waren, kam Danny nach Ann Arbor zurück, weil er all diese schrecklichen Junkiegeschichten gehört hatte. Es war in meinem Apartment, als Danny John Adams gefeuert hat. Wir haben zu all dem nichts gesagt, weil wir ihn sehr gern hatten. Wir wussten aller­dings nicht, dass John Adams im ganzen Land mit Dope dealte. Ich hätte viel zu viel Schiss gehabt, um mit ihm zu fliegen. Und kurz nachdem er John raus­geschmissen hatte, sagte Danny, dass er am Ende wäre und nicht mehr weiter­machen könnte.

Danny Fields: Es wurde unhaltbar. Ich hatte die Sache nicht mehr im Griff. Sie waren stoned, ich wahrscheinlich auch, und ich sagte bloß: „Ich kann so nicht weitermachen.“

Mir wuchs das alles über den Kopf. Ich brauchte einen anständigen Job. Also fing ich an, für das Magazin 16 zu arbeiten.

TEIL ZWEI: THE LIPSTICK KILLERS – 1971–1974

KAPITEL 9: PERSONALITY CRISIS

Penny Arcade: Meine Eltern dachten, ich wäre ein Kind des Teufels. Als ich ungefähr siebzehn war, bin ich von zuhause abgehauen. Meine Mutter hatte Anzeige gegen mich erstattet, und ich habe in meiner Heimatstadt New Britain, Connecticut, eine Nacht im Knast verbracht. Meine Mutter kam am nächsten Morgen und hat mich aus dem Knast abgeholt, und als ich mit meiner Mutter nachhause gelaufen bin, bin ich einfach immer weitergelaufen. Nachdem ich nach Provincetown und Boston gegangen bin, bin ich schließlich im East Vil­lage hängen geblieben.

Das war in der Ära der sich verlagernden Fixertreffs, in denen man vorü­bergehend pennen konnte. Die Junkiekultur erstreckte sich damals vom Chel­sea Hotel bis zum Hotel Earle und vom Henry Hudson bis zum Seville. Irgend­jemand ging in ein Hotel, mietete eine Suite, und dann sind fünfzehn Leute dort eingezogen. Ständig versuchte irgendjemand, dich zu vögeln, dabei war ich damals nur ein Kind, das einen Platz zum Pennen gesucht hat.

Also begann ich in dieser Pizzeria an der Ecke Siebte Straße und Zweite Avenue rumzuhängen, wo ich diese Speedfreaks kennen lernte und auch der „A­Clique“ vorgestellt wurde, was die Abkürzung für „Amphetamin­Clique“ war. Das war eine ziemlich wilde Szene, keine Hippies, sondern ein Haufen kri­mineller, homosexueller, Drogen konsumierender, nach Spiritualität suchender künstlerischer Männer. Alles ziemliche Spinner. Trickbetrüger, Fassadenklet­terer. Legendäre Charaktere, die über Jahre ihr Ding durchgezogen haben. Und es sah so aus, als sei ich der Neuzugang in dieser langen Geschichte.

Brooklyn­Frankie, Short­Haired Sammy und Black Frank waren die A­Cli­que­Mitglieder mit Straßenniveau. Dann gab es da noch die höheren Ränge, Leute wie Ruby Lynn Rainer, den legendären Amphetamindealer Ondine, Vel­vet Underground und all die anderen Leute aus Andy Warhols Factory. Damals vermischte sich die Welt der Kunst mit der Welt der Drogen.

Zuerst habe ich nur mit der A­Clique rumgehangen, ohne Speed zu sprit­zen, weil ich ohnehin mühelos drei Tage ohne Schlaf auskommen konnte, aber nach einigen Monaten wollten sie, dass ich genauso high werde wie sie. Also fing ich an, Speed zu spritzen. Ich fand es wunderbar. Das war meine Droge. Ich kam ganz gut damit klar und mochte die Leute, die Speed nahmen.

Dann gab mir eines Tages, als ich mich in einem Coffeeshop in der Green­wich Avenue ein wenig runterbringen wollte, jemand einen Zettel, auf dem stand: „An das Mädchen im grünen Kleid. Wann hast du Feierabend?“ Ich schaute mir den Zettel an und fragte mich: „Was soll das denn?“ Der Zettel kam von Jackie Curtis, der an einem anderen Tisch saß und eine Einkaufstüte mit seinen Thea­terstücken und Zeitungsausschnitten und Gott weiß was noch dabeihatte.

Jackie kam an meinen Tisch, weil er mich kennen lernen wollte. Wir wur­den sofort Freunde und hingen den Rest des Tages gemeinsam rum. Er war damals noch ein Junge; er zog sich immer noch an wie ein Junge, und er nahm auch gern Speed, aber er spritzte es nicht. Er nahm nur Pillen. Ab da verbrachte ich viel Zeit mit Jackie, und kurze Zeit später entdeckte ich John Vaccaros Play­house of the Ridiculous Theater.

Leee Childers: Dieses skandalöse Undergroundtheater, das John Vaccaro, Char­les Ludlam und Tony Ingrassia in den Sechziger­und Siebzigerjahren betrieben, wurde als Merkwürdiges Theater bekannt, was eine ähnliche Bezeichnung war wie Absurdes Theater.JohnVaccaro und Charles Ludlam dachten beide,dass The Play­house of the Theater of the Ridiculous ihr Markenzeichen sei,aber es war zu einem Genre geworden, zu einer Theatergattung – zum Merkwürdigen Theater.

Meiner Meinung nach war John Vaccaro allerdings wichtiger als Charles Ludlam, denn Ludlam orientierte sich am traditionellen Theater und setzte oft Männer in Frauenkleidern ein. Die Leute fühlten sich sehr wohl bei ihm. Jeder, der sich ein Theaterstück von Charles ansehen wollte, ging in der Absicht dahin, sich eine wirklich lustige, respektlose Slapstick­Transvestitenshow anzuschauen. Man fühlte sich nie peinlich berührt.

Bei John Vaccaro hingegen taten sich Abgründe auf.Sehr,sehr tiefe Abgründe. John Vaccaro war gefährlich. Er konnte auf den unterschiedlichsten Ebenen extrem peinlich sein. In seinen Stücken kamen Contergan­Babys vor und sia­mesische Drillinge, die am Arschloch zusammengewachsen waren. Ein Schau­spieler hatte einen Riesenpimmel aus Pappmaché aus dem Hosenschlitz hän­gen, der ihm bis an die Knie ging. Außerdem hatte er seine Verdauung nicht im Griff, und ihm lief ständig die Scheiße an seinen Beinen hinunter. Die Zuschauer liebten das. Die Leute liebten diese Art Theater der visuellen Kon­frontation. Und John Vaccaro benutzte tonnenweise Glitzerzeug. Das war sein Markenzeichen. Jeder trug dieses Glitzerzeug. Sein ganzes Ensemble war stän­dig mit diesem Glitzerzeug überzogen.

Die Leute haben lange Zeit dieses Glitzerzeug getragen, und die Transves­titen trugen es auf der Straße, aber ich glaube, dass dieses Glitzerzeug erst dann richtig in Mode kam, als John Vaccaro auf einem Einkaufsbummel diesen klei­nen Laden in Chinatown entdeckte, der all sein Glitzerzeug ausverkaufte. Er kaufte alles auf – gigantische Einkaufstüten voll von diesem Glitzerzeug in allen möglichen Farben.

John schleppte die Tüten ins Theater und ermunterte jeden, davon so viel wie möglich und ganz egal wo zu benutzen. Natürlich waren ihre Gesichter mit diesem Glitzerkram zugekleistert und die Haare auch. Die Schauspieler, die im Rentier vom Mond mitspielten, hatten ihre Körper von oben bis unten mit grü­nem Glitzerzeug angemalt. Bei Baby Betty, die ein Contergan­Baby spielte, kam das Glitzerzeug sogar aus der Möse raus – es ist also John Vaccaro zuzuschrei­ben, dass dieses Glitzerzeug zu einem Synonym für Peinlichkeit wurde.

Die ganze Bühne war mit dieser Glitzerkacke bedeckt. Das lag natürlich vor allem daran, dass die mit diesem Glitzerkram beschmierten Schauspieler stän­dig in Bewegung waren und tanzten und einander anrempelten und von irgendwelchen Sachen runtersprangen, sodass das Zeug überall in der Gegend rumflog. Die gesamte Atmosphäre auf der Bühne war ständig mit kleinen flie­genden Glitzerpartikeln erfüllt, was durch die Bühnenbeleuchtung sehr gut zur Geltung kam.

John Vaccaro: Ich habe nie an so etwas wie eine „Glitzerbewegung“ gedacht. Ich hatte dieses Glitzerzeug bei meinen Theateraufführungen bereits seit Mitte der Fünfzigerjahre benutzt. Aber im Grunde war ich nie an Manieriertheiten interessiert. Ich war auch nie daran interessiert, Homosexualität salonfähig zu machen. Meine Empfindungen haben mit Manieriertheit nicht das Geringste zu tun. Es gab zwei Kategorien: die Homosexuellen und die Theaterleute. Einige von diesen Homosexuellen machten etwas, das sie für Theater hielten – warum sollte man nicht in einen Nachtclub gehen und einen Travestieakt wie Ein Käfig voller Narren aufführen? Genau das war es. Aber es war kein Theater. Das hatte mit Theater überhaupt nichts zu tun.

Der Höhepunkt des Theaters ist schon immer der gegen sich selbst gerichtete Mensch gewesen: Hamlet, König Lear, Willie Loman, Blanche DuBois. Und ich habe immer gedacht, der Höhepunkt des Theaters sei die Welt gegen sich selbst. Scheiß auf den„Menschen“. Ich habe mit dem„Menschen“ nichts mehr am Hut. Ich bin viel eher an der Welt interessiert. Nichtsdestotrotz gab es zwei Kategorien. Meine Kategorie hatte einen sozialen Inhalt, die andere hingegen nicht.

Das Glitzerzeug habe ich als eine Möglichkeit der Präsentation eingesetzt. Es stand synonym für die Kitschigkeit Amerikas, so habe ich es zumindest inter­pretiert. Und ich fand es hübsch. Dieses Glitzerzeug war Make­up. Ich habe es benutzt, weil es Amerika in amerikanischen Gesichtern reflektieren sollte. Es sollte die Protzigkeit des Times Square symbolisieren. Denn was bleibt vom Times Square übrig, wenn man dort alle Lichter ausschaltet? Nichts.

Leee Childers: Während der Proben zu Heaven Grand in Amber Orbit, einem Theaterstück, das Jackie Curtis geschrieben und in dem sie auch die Hauptrolle gespielt und bei dem John Vaccaro Regie geführt hat, geriet alles ein wenig außer Kontrolle. Es war äußerst schwierig, mit John Vaccaro zusammenzuarbeiten, weil er das Element Wut dazu benutzt hat, aus seinen Schauspielern das raus­zuholen, was aus ihnen rauszuholen war. Und Jackie war nun mal ein Speed­freak und extrem paranoid und immer sehr vorwurfsvoll – schon die kleinste Unstimmigkeit brachte sie total in Rage. Deshalb stritten sie und John Vaccaro ununterbrochen. Einmal hat er sogar all ihre Kleider in Fetzen gerissen und mit ihren Schuhen nach ihr geworfen. Und dann hat er sie gefeuert und die Treppe runtergestoßen. Er war berüchtigt für so etwas. Und dann hat Ruby Lynn Rai­ner die Hauptrolle übernommen.

Ein paar Tage nach dieser Auseinandersetzung stand Jackie Curtis vor mei­ner Tür und sagte, dass es zwischen ihr und John Vaccaro zum endgültigen Bruch gekommen und sie aus dem Stück ausgestiegen sei. Jetzt wollte sie, dass jeder in New York dachte, sie hätte Selbstmord begangen. Also wollte sie in mei­ner Wohnung bleiben, weil niemand auf die Idee kommen würde, dass sie sich bei mir aufhalten könnte, und somit davon ausginge, dass sie sich das Leben genommen hätte.

Ich fand die Idee fabelhaft. Ich liebte sie geradezu. Ich sagte zu ihr: „Komm rein!“ Am nächsten Tag stand Holly Woodlawn vor der Tür und war von Kopf bis Fuß in schwarzen Samt gehüllt und hatte schwarze Straußenfedern im Haar und meinte: „Ich bin in Trauer.“ Dann zog auch Holly bei mir ein.

John Vaccaro: Jackie Curtis war die untalentierteste Person, mit der ich je zusammengearbeitet habe. Jackie Curtis war ein Transvestit, der immer und überall seine Zeitungsausschnitte über sich in einer Einkaufstüte mit sich rum­schleppte. Das machten Leute wie er einfach – sie schleppten ihre Zeitungs­ausschnitte mit sich herum. Das gab ihnen angeblich Halt. Sie konnten nicht existieren, wenn sie dieses Zeug nicht mit sich rumschleppten.

Ich habe eines von Jackies Theaterstücken auf die Bühne gebracht, aber ich habe es nicht so inszeniert, wie Jackie es geschrieben hat. Jackie hat ein homo­sexuelles Theaterstück über eine Cafeteria in der Zweiundvierzigsten Straße und einen Kassierer namens Heaven Grand in Amber Orbit geschrieben. Das war der Name des Hauptdarstellers. Jackie hat für das Stück Namen benutzt, die sie auf Wettscheinen für Pferderennen entdeckt hatte.

 

Ich habe den Schauplatz des Stücks in die Zirkuswelt verlegt. Bei mir tra­ten siamesische Drillinge auf. Ich habe daraus ein Musical und eine Nebenauf­führung gemacht – das Stück handelte von den Problemen der Welt und davon, dass es keine Kriege geben würde, wenn sich die Machthaber endlich einmal richtig ausscheißen würden. Während des gesamten Stücks saß eine Frau auf dem Klo und sprach den von ihrer Verstopfung diktierten Text. Ein anderer Schauspieler hatte einen Toilettenstampfer am Arschloch befestigt – all das kam in Jackie Curtis’ Stück ursprünglich gar nicht vor.

Leee Childers: Ich weiß nicht, ob irgendjemand tatsächlich dachte, dass Jackie Selbstmord begangen hatte, oder ob irgendjemand in New York wirklich wusste, wie die Dinge standen, aber für mich war es die fabelhafteste Lüge überhaupt. Es ging ungefähr sechs Wochen lang gut. Die totale Farce. Ein Event. Holly Wood­lawn kam in einem fantastischen Traueroutfit in das Hinterzimmer von Max’s Kansas City, mit Schleier und allem, was dazugehört, und trauerte um Jackie.Wir gingen alle immer noch jeden Abend ins Max’s, und jeder fragte jeden, ob er irgendetwas Neues von Jackie gehört habe. Und alle antworteten: „Nein.“

In der Zwischenzeit hatten wir Plastiktüten mit Lebensmitteln gefüllt und brachten sie Jackie. Und wenn Jackie und Holly zusammen in einer Wohnung leben, dauert es nicht lange, dass auch Candy Darling aufkreuzt. Am Ende leb­ten Jackie, Holly, Rio Grande, Rita Red, Johnny Patten, Wayne County und ich zusammen in meinem Einzimmerapartment in der Lower East Side.

Meiner Meinung nach waren Jackie Curtis und Holly Woodlawn und all die anderen die glamourösesten Menschen, die mir je begegnet sind. Das waren nicht bloß Transvestiten. Sie waren auch nicht verrückt. Das waren einfach nur Leute, die rund um die Uhr in Frauenkleidern und Omaschuhen durch die Gegend liefen. Jackie wusch sich nie und stank zehn Kilometer gegen den Wind. Holly war der totale Speedfreak, und es war ihr scheißegal, ob man von ihr wusste, ob sie ein Mann oder eine Frau oder ein Marsmensch war.

Mein Herd war im Nu vom Enthaarungswachs versaut, weil sie sich stän­dig ihre Gesichter mit diesem Zeug eingeschmiert haben. Damals entfernte man sich seinen Bart noch mit Enthaarungswachs. Was dabei herauskam, war aller­dings kein sehr femininer Look.

Man nahm heißes, geschmolzenes Wachs und klatschte sich das Zeug ins Gesicht, ließ es trocknen, und hinterher riss man sich das Zeug vom Gesicht. Dadurch wurde der Bart an den Wurzeln herausgerissen, mit dem Resultat, dass das Gesicht rot und total geschwollen und aufgedunsen und hässlich war. Dann schmierten sie sich dieses billige Make­up von Woolworth ins Gesicht. Etwas anderes konnten sie sich nicht leisten. Mit diesem orangestichigen Make­up von Woolworth haben sie sich ihre roten Gesichter zugekleistert und sind so auf die Straße gegangen! Es kam keiner auf die Idee, zu denken, dass sie Frauen wären, aber es dachte auch keiner, dass sie Männer wären! Es wusste keiner so genau, was sie waren! Und dann trugen sie ständig diese Altweiberklamotten. Als in der Wohnung neben mir eine alte Frau gestorben war, ist Jackie über den Fens­tersims in ihre Wohnung eingestiegen und hat ihre gesamte Garderobe geklaut. Diese Klamotten hat sie dann getragen. Die Klamotten von der toten alten Frau!

Holly zog immer einfach irgendwas an. Manchmal hat sie sich nur in ein Bettlaken gehüllt. Und irgendwann bekam Holly dann auch ziemlichen Stress mit der Wohlfahrtsbehörde. Sie lebte von der Wohlfahrt. Alle lebten von der Wohlfahrt. Sie trug Straußenfedern und falsche Wimpern, und in diesem Auf­zug ist sie dann in das Büro der Wohlfahrtsbehörde gegangen, um sich ihren Scheck abzuholen. Eines Tages wurde sie in ein Büro geführt, und dort sagte man ihr: „Sir, Sie befinden sich hier in der Wohlfahrtsbehörde, und Sie kom­men in Abendrobe und Straußenfedern. Die anderen Wohlfahrtsempfänger sind äußerst ungehalten über Ihre Aufmachung.“

Holly antwortete nur: „Dann besorgen Sie mir doch Jeans. Ich würde sie schon anziehen. Und ansonsten gebe ich mein Geld aus, wie es mir passt, und ich gebe es nun mal gern für Straußenfedern aus.“

Penny Arcade: Beim Playhouse of the Ridiculous Theater konnte jeder mit ­machen. Die Schauspieler kamen alle von der Straße. Homosexuelle, Hetero­sexuelle, Lesben – das war völlig egal, es kümmerte niemanden. Es waren alles Außenseiter. John Vaccaro wollte mich ebenfalls engagieren, aber ich habe abgelehnt.

Aber dann haben sie mich doch rumgekriegt, so, wie mich immer alle rum­kriegen. Irgendjemand sagte zu mir: „John Vaccaro hat eben angerufen, und er braucht dringend jemanden, der ihm hilft.“ So bin ich nun mal. Wenn jemand Hilfe braucht, bin ich sofort zur Stelle. Mein Job war es, die Kostüme von Elsie Sorrentino zu halten, das war eine der Schauspielerinnen, die als Vorlage für die Figur Tralala in Hubert Selby Jrs. Letzte Ausfahrt Brooklyn gedient hat. Dann kam John Vaccaro eines Abends auf mich zu, nahm mir die Kostüme aus der Hand, schubste mich buchstäblich auf die Bühne und sagte: „GEH JETZT DA RAUS UND MACH IRGENDWAS!“

Leee Childers: John Vaccaro war berüchtigt für seine Gewaltausbrüche, seinen Größenwahn – und dafür, dass er anderen Gegenstände und Obszönitäten an den Kopf warf und all diese Teenager in seiner Theaterkompagnie demütigte, die alle schon auf Speed waren und immer bei irgendjemandem auf dem Fuß­boden schliefen und nicht einmal das Geld hatten, sich bei McDonald’s einen Hamburger zu kaufen. Er machte ihnen Angst, und ich glaube, das machte wie­derum ihm Angst, und das war wohl auch der Grund, weshalb er es manch­mal so extrem auf die Spitze trieb.

An irgendeinem Neujahrsabend hat John Vaccaro Candy Darling tatsächlich zwei Treppen runtergestoßen. Sie fiel sieben oder acht Stufen hinunter und wollte gerade wieder aufstehen, aber er stand direkt hinter ihr und schubste sie noch weiter die Treppe runter. Draußen tobte ein Schneesturm, und es lagen zehn Zen­timeter Schnee, und er schubste sie in ihrer eleganten Abendgarderobe in den Schnee. Aber damit es an dieser Stelle keine Missverständnisse gibt: Candy liebte es, in den Schnee geschubst zu werden. Sie liebte diese dramatischen Situationen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich bereits am nächsten Tag wieder blicken ließ und sich beim Tee mit ihm über den Vorfall der letzten Nacht unterhielt.

Man darf auch nicht vergessen, dass alle auf Speed waren, und da blieben natürlich die großen Dramen und Gefühlsausbrüche nicht aus. Die Auseinan­dersetzungen verliefen immer extrem dramatisch, und vor allem spielten sie sich häufig in der Öffentlichkeit ab – im Hinterzimmer vom Max’s wurden Ohrfei­gen verteilt, Drinks in die Gesichter geschüttet und Flaschen über die Schädel gezogen.

Penny Arcade: Jackie Curtis hatte ein Theaterstück mit dem Titel Femme Fatale geschrieben, das auf Gegebenheiten basierte, die Jackie Curtis, ich und ein Typ namens John Christian erlebt hatten. Aber John Christian entpuppte sich als Oberjunkie, der unter extremer Platzangst litt. Er weigerte sich strikt, seine Wohnung zu verlassen und in unserem Theaterstück mitzuspielen. Deshalb teilte mir John mit, dass dieses Mädchen da, Patti Smith, die Rolle von John übernehmen würde.

Die meisten Leute fanden Patti ziemlich hässlich – als ob es eine Sünde wäre, hässlich zu sein. Aber sie war gar nicht so hässlich, sie sah einfach nur aus, wie damals kein Mensch aussah. Sie war wirklich sehr dünn und immer sehr merkwürdig angezogen. Sie hatte diesen Look, der absolut auf sie zugeschnitten war, und im Nachhinein betrachtet kann man sagen, dass sie die Vorläuferin der Punkbewegung gewesen ist. Sie trug immer diese espadrilleartigen Ringer­schuhe, hautenge schwarze Hosen und meistens ein weißes Herrenhemd, das sie in die Hose steckte, und darunter trug sie ein Herrenunterhemd. Sie trug nie einen BH und hatte ein sehr ausgemergeltes Gesicht und sehr schwarze Haare. Und nachdem sie schwanger geworden war, war ihr Bauch voller Schwanger­schaftsstreifen. Und da sie ihre Hose immer unterhalb der Hüften trug, konnte man immer diese Schwangerschaftsstreifen sehen.