Please Kill Me

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KAPITEL 7: JAILHOUSE ROCK

Wayne Kramer: Für die MC5 begann es, abgesehen von dem Stress mit der Plattenfirma, auch aus anderen Gründen ziemlich ungemütlich zu werden. Immer wenn man einen politischen Standpunkt äußert, vor allem, wenn man anfängt, gewaltsame politische Parolen auszugeben, kann man sicher sein, dass eine ebenso gewaltsame Reaktion der herrschenden politischen Kräfte nicht lange auf sich warten lässt.

In und um Detroit forderten beispielsweise die Schulen, Eltern, Polizei und Staatsanwaltschaft: „Wann wird endlich etwas gegen die MC5 unternommen? Wir können einfach nicht zulassen, dass sie das äußern dürfen, was sie äußern!“

Bei unseren Auftritten hatten wir das Publikum aufgefordert, Grass zu rau­chen, ihre BHs zu verbrennen und auf der Straße zu ficken. Wir waren nicht nur ein bisschen zu wild für die Schallplattenindustrie – das waren wir zweifel­los –, sondern es ging noch darüber hinaus. Love und Peace mochten im König­reich der Schallplattenindustrie ja noch angehen, wenn man allerdings einen Schritt weiter in Richtung Revolution ging … dann wurde es übel.

Dennis Thompson: Nixon und seine cleveren Jungs steckten im Hinterzimmer der Politik die Köpfe zusammen und waren sich einig: „Die einfachste Mög­lichkeit, mit diesem verdammten Pack umzugehen, besteht darin, ihnen die Gunst der Partei zu entziehen.“

Die Regierung hatte nach einer Problemlösung gesucht. Das war offen­sichtlich.„Diese Leute rauchen Haschisch, nehmen psychedelische Drogen, und dann proben sie den Aufstand und propagieren ihre neuen Ideen wie:‚Lasst uns die Welt verändern und den faschistischen Politikern das Handwerk legen!‘ Das Intelligenteste wäre, ihnen das zu verabreichen, was sich auch in den Gettos über lange Zeit bestens bewährt hat.“ Und ganz plötzlich bist du, wo du auch gehst und stehst, immer nur mit Heroin konfrontiert. Es ist billig, und schon ist es da. So wurde Heroin unsere bevorzugte Droge, vor allem deshalb, weil man zur Rettung seiner Seele schlecht ein Kilo Grass kaufen konnte. Und es besteht überhaupt kein Zweifel, dass die Musik von den Substanzen beeinflusst wird, die man konsumiert.

Danny Fields: Ich wurde am 20. Januar 1969, dem Tag von Richard Nixons Amtseinsetzung als Präsident der Vereinigten Staaten, von Elektra vor die Tür gesetzt. Der Typ, der mich gefeuert hat, verprügelte mich und hat mir heftig eins aufs Maul gegeben, nur weil ich das Gerücht wiederholt hatte, dass eine seiner Familienangehörigen schwanger sei.

Ich glaube, das war ihr letzter Strohhalm. Ich denke, sie wollten mich aus der Firma rausschmeißen, weil ich Elemente in ihr sorgsam gehütetes Folkie­Yuppie­Gefüge eingeschleppt hatte, die ihnen nichts als Scherereien eingebracht haben. Ich weiß nicht, ob ich ihnen ebenso viel Geld wie Ärger eingebracht habe.

Wenn ich daran denke, was ich bei Elektra alles gemacht habe … Ich habe mich mit den Doors rumgeschlagen – Jim Morrison und ich hassten einander abgrundtief. Ich habe die MC5 unter Vertrag genommen – die sie dann gefeuert haben. Ich habe die Stooges unter Vertrag genommen – die sie gefeuert haben. Ich habe Nico unter Vertrag genommen – die nie eine Platte verkauft hat. Und ich habe David Peel and the Lower East Side unter Vertrag genommen, der die Firma mit seiner Platte „Have A Marijuana“ vor den Kopf gestoßen hat; sie ver­kaufte sich fast eine Million Mal, wobei sich ihre Produktionskosten gerade mal auf dreitausend Dollar beliefen.

Kurz nachdem ich gefeuert worden war, wurde John Sinclair wegen zweier Joints verhaftet und zu neun Jahren Gefängnis verurteilt.

Wayne Kramer: Warner Stringfellow war ein Rauschgiftspitzel aus Detroit. Er war es, der John zum ersten Mal wegen Drogenbesitz festgenommen hat, wor­aufhin John „The Poem for Warner Stringfellow“ verfasste.

Das Gedicht ging ungefähr so: „Warner, was willst du dagegen tun, wenn deine Kinder Grass rauchen? Was willst du dagegen tun, wenn alle Rechts­anwälte dieser Welt Grass rauchen? Warner, was willst du tun, du engstirniges Arschloch?“

Überflüssig zu sagen, dass Warner es fortan auf John abgesehen hatte und ständig versuchte, uns diese Polizeispitzel auf den Hals zu hetzen. Sie waren immer in der Nähe, halfen uns beim Transport unserer Ausrüstung oder bedienten den Vervielfältigungsapparat und fragten: „Hat denn keiner Lust, einen Joint zu bauen?“

Leni Sinclair: Der Typ, der John verhaftet hat, war derselbe, der ihn auch beim ersten Mal eingelocht hat, nur kam er diesmal in einer völlig anderen Auf ­machung daher. Er war wirklich ein begnadeter Schauspieler. Diesmal sah er aus wie ein Hippie und hatte seine Freundin dabei. Seine Freundin war wirklich noch sehr jung. Sie hatte kurze Haare und trug immer Miniröcke. Sie kamen regel­mäßig zu unseren Abendessen und bedienten unsere Vervielfältigungsmaschine.

Eines Tages kam das Mädchen allein und fragte John:„Könnte ich vielleicht ein paar Joints haben, ich bin auf dem Weg zu einer Party.“

John, Frauenheld, der er war, überlegte nicht groß, denn es war ja ein Mäd­chen, und gab ihr zwei Joints. Ungefähr einen Monat lang passierte gar nichts, aber dann veranstalteten sie plötzlich eine Razzia, bei der fünfundsechzig Leute festgenommen wurden. Und dann hieß es: „GROSSER RAUSCHGIFTRING AUSGEHOBEN!“

Es war ganz offensichtlich, dass sie es ausschließlich auf John abgesehen hatten, weil alle anderen, abgesehen von John, mit einem blauen Auge davon­kamen.

Warner Stringfellow hatte eine Tochter, und die war eine von uns. Sie erzählte uns immer, dass ihr Vater von John als der Inkarnation des Bösen sprach. Er bezeichnete ihn als den Barbaren mit den schmutzigen Zehennägeln. Seine Tochter hing dann eines Tages an der Nadel, und er machte John dafür verantwortlich. Deshalb wurde John für ihn zum Symbol all dessen, was in unserer Gesellschaft schief gelaufen ist, und er dachte, er könnte die Revolution verhindern, indem er John die Hölle heiß macht, hahaha.

Später wurden die beiden Spitzel vom Gouverneur für ihre hervorragende Polizeiarbeit ausgezeichnet.

Danny Fields: John Sinclair war eine leichte Beute. Sein Engagement für den Marihuanakonsum hat ihm letztlich wohl viel mehr geschadet als seine Revo­lutionsgelüste oder die Aufforderung, auf der Straße zu ficken.

All die Hüter von Recht und Ordnung wurden in der Anfangsphase der Nixon­Regierung zu raschem Handeln aufgefordert – das war auch die Zeit, als der soeben ins Amt eingeführte Justizminister John Mitchell seine rigiden Anti­drogen­, Antijugendgesetze und Law­and­Order­Botschaften durchsetzte. Und John Sinclair war berühmt und unerschütterlich, und sie hatten sich ausgemalt, sie könnten der Bewegung das Handwerk legen, wenn sie ihn hinter Gitter brächten. Also verhafteten sie ihn wegen zweier Joints und verhängten die Höchststrafe gegen ihn. Die Gesetze waren damals drakonisch, ließen sich aller­dings selten durchsetzen, außer man wollte es unbedingt.

Und sie wollten John Sinclair.

John Sinclair: Warner Stringfellow war mein Rachegott. Ich war der Unruhe­stifter. O Mann, sie hatten uns im Visier. Ich meine, wir waren ja auch ständig auf Acid, wenn ihr versteht, was ich meine.

Ich war wirklich angeschissen. Für mich war es unausweichlich, dass ich entweder in den Knast wandern oder gekillt würde. Aber das war mir egal. Ich hätte nie gedacht, dass ich aufgrund der herrschenden Marihuanagesetze für zweieinhalb Jahre in den Knast wandern würde, aber eigentlich haben sie mich ja auch verurteilt, weil ich für die Gesellschaft eine Gefahr darstellte. Und ich wäre auch tödlich beleidigt gewesen, wenn sie nicht behauptet hätten, ich sei eine Gefahr für die Gesellschaft. Ich war entschlossen, eine Gefahr zu sein.

Wayne Kramer: Ich habe mich mit John Landau beraten, und wir haben ver­sucht, einen Prozentsatz unseres Verdiensts zu errechnen, den wir John Sinclair zur Verfügung stellen wollten, während er im Knast saß. Kurz nach Johns Ver­haftung haben Fred Smith und ich uns mit seiner Frau getroffen, weil wir wis­sen wollten, ob sie Geld bräuchte. Sie sagte uns, sie bräuchte keins und dass alles in Ordnung wäre.

John Sinclair: Als die Geschworenen von ihrer Beratung zurückkamen und mich schuldig sprachen, bin ich sofort in den Knast gewandert und für zweiein­halb Jahre dringeblieben. Ich hatte absolut keine Chance, meine Angelegenhei­ten zu regeln. Meine Frau war gerade schwanger, und ich hatte eine zweijährige Tochter, und ich wurde einfach so abgeholt. Und die MC5 haben mich ziem­lich hängen lassen, wenn ihr versteht, was ich meine. Sie haben mich einfach im Knast schmoren lassen.

Wayne Kramer: John war wütend und verletzt. Ich glaube, er hatte das Gefühl, wir hätten ihn einfach aus unserem Bild radiert. Er sagte, er hätte nie wegen des Geldes in der Band mitgemacht, sondern weil er die Musik liebte. Er sagte: „Ihr wolltet immer berühmter sein als die Beatles, aber ich wollte, dass ihr berühm­ter würdet als der große Vorsitzende Mao.“

Dennis Thompson: Wir hatten mit dem großen Vorsitzenden Mao nichts am Hut. Wir wollten nicht jeden durchfüttern – das wären ja an die zweihundert Leute gewesen.

Wir haben eine Band namens Up unterstützt, bei denen im Haus nebenan ungefähr zwanzig Leute wohnten – Roadies, Köche, Flaschenreiniger, Freun­dinnen und Mädchen, die Kleider nähten. Da konnte ich wenigstens sehen, wo unser ganzes Geld blieb – von unserem Geld konnten sich alle braunen Reis und Rosinen kaufen, hahaha.

Wir wurden alle wie kleine Kommunisten behandelt, aber ich bin lieber ein guter Schlagzeuger in einer berühmten Rock ’n’Roll­Band.

John Sinclair war immer wieder stocksauer auf mich: „O du elender Polacke.“

Und ich sagte dann zu John: „Und du John? Bist ein alter Beatnik­Hippie, der sich vom selben Bullen, nur weil er einen anderen Schnurrbart trug, gleich zweimal in den Knast sperren ließ.“ Hahaha.

 

Wayne Kramer: Normalerweise rasten die Leute komplett aus, wenn sie in den Knast gesperrt werden. In den Knast gesperrt zu werden ist auch eine sehr trau­matisierende Angelegenheit, und uns schien es fast, als wäre John für seine Arbeit mit den MC5 eingelocht worden.

Deshalb dachte er wohl auch, dass ich ihn ausbooten wollte. Aber in Wirk­lichkeit hatte er jede Menge Leute hinter sich, die darüber weit mehr aufge­bracht waren als er selbst – seine Frau, den Verteidigungsminister und seinen Bruder. Sie alle hassten uns.

Nachdem wir bei Elektra rausgeflogen waren, kam uns Danny Fields erneut zu Hilfe und fädelte für uns diesen Deal mit Jerry Wexler bei Atlantic Records ein – sie gaben MC5 fünfzigtausend Dollar, weil Wexler an die Band geglaubt hat.

Aber trotz der fünfzigtausend Dollar hatten wir kein Geld. Keiner von uns hat jemals Geld dafür bekommen, weil er in der Band mitspielte. Das Geld wan­derte immer in einen großen Topf, aus dem die laufenden Rechnungen bezahlt wurden. Wir hatten ein Dach über dem Kopf, wir hatten zu essen, wir hatten was zum Anziehen, aber wenn wir was zu rauchen brauchten, mussten wir um Kleingeld für eine Schachtel Zigaretten betteln.

Gut, wir hatten zwar unser Grass, aber wir hatten nie Geld oder irgend­welchen persönlichen Besitz.

John Sinclair: John Landau produzierte ihr nächstes Album, und er übte trotz­dem einen schlechten Einfluss auf sie aus, indem er ihnen immer erzählte, dass sie es nie zu etwas bringen würden, solange sie sich mit uns abgeben würden: „Diese Leute sind doch total daneben, sie betrügen dich, sie nehmen dir dein ganzes Geld weg, und dann wollen sie dich einfach nur benutzen …“

Dabei war ich derjenige, der diese Typen zwei Jahre lang durchgefüttert hat, als sie pro Auftritt nur fünfundzwanzig Dollar verdienten. Ich war derjenige, der sie durch die Gegend chauffiert und ihnen ihre Anlage aufgebaut und ihre Pressemitteilungen geschrieben hat. Und plötzlich soll ich derjenige gewesen sein, der sie ausgenutzt hat?

Und das alles nur, weil sie einen Schallplattenvertrag bekommen hatten.

Dennis Thompson: Nachdem wir den Vertrag unterzeichnet hatten, kriegte jeder von uns gerade mal eintausend Dollar auf die Hand. Klasse, was? Also mussten wir unsere Eltern überreden, für die Kaufverträge unserer Autos zu bürgen.

Wayne Kramer kaufte sich einen Jaguar XKE, Mike Davis einen Buick Riviera, Fred Smith eine Fastback Corvette, Baujahr 1966, und Rob Tyner einen Kombi, hahaha.

Ich hatte den besten Schlitten der Band – eine Corvette, Baujahr 1967, sie­ben Liter und dreihundertneunzig PS mit sechs Rücklichtern und einem lila Hardtop. Das Auto war ein Biest. Es hatte immerhin fast vierhundert PS. Ich habe es in ungefähr acht Monaten auf sechsundsechzig Punkte im Strafregister gebracht. Ich bin meinen Führerschein ungefähr drei­oder viermal losgewor­den und in den Knast gewandert, weil ich gefahren bin, obwohl man mir den Führerschein weggenommen hatte.

Michael und ich sind mit dem Schlitten nach Florida gedüst. Das war der schnellste Trip nach Florida, den ich je mit einem Auto gemacht habe – wir fuh­ren im Durchschnitt ungefähr einhundertneunzig Sachen. Hat Spaß gemacht. Was hatten Autos mit Leuten zu tun, die sauer auf uns waren?

Wayne Kramer: Wir sind wegen der Verfolgung konterrevolutionärer Ideale aus der White Panther Party ausgeschlossen worden, weil wir uns Sportwagen gekauft haben, für die unsere Eltern die Kaufverträge unterschrieben hatten. Ich hatte mir einen Jaguar XKE gekauft. Das war neben Rock ’n’ Roll das coolste Teil, das ich je gehabt habe. Von diesem Auto träume ich heute noch. Oh, war das ein Zuckerstück. Fred Smith hatte sich eine gebrauchte Corvette gekauft, Dennis eine Corvette Stingray, sieben Liter – ein wahres Kraftpaket. Michael Davis einen Riviera. Und Rob Tyner bekam den Kombi der Band.

Wir waren schrecklich. Kurz nachdem Rob den Kombi bekommen hatte, kam er eines Tages voll beladen mit Einkäufen aus dem Supermarkt und musste entsetzt feststellen, dass sein Auto nicht mehr da war. Keiner von uns hatte je daran gedacht, irgendwann mal die laufenden Raten abzudrücken, also haben sich die Händler die Karren einfach wieder unter den Nagel gerissen.

Dennis Thompson: Ich meine, wir sind alle an der Dragster­Piste groß gewor­den. Aber schnelle Autos und Bier passten eben nicht so gut mit braunem Reis und Zen zusammen. Da waren die Konflikte vorprogrammiert. Nicht unbe­dingt politische Konflikte, sondern eher kulturelle.

Nun ist es überhaupt nicht so, dass wir John im Stich gelassen hätten. Wir konnten nur einfach nichts für ihn tun. John war wie der Rest dieser durchge­knallten Hippies immer noch der Überzeugung, dass die Revolution eines Tages siegen würde. Sorry, aber Nixon hatte eine Menge Nazibullen rekrutiert, die schon dafür sorgten, dass das NICHT passierte, liebe Genossen.

Ron Asheton: Schließlich hatten die Five die Nase voll, immer alles zu teilen. Sie wussten immer, wenn die Stooges gutes Haschisch hatten, und kamen dann ins Fun House rüber: „Können wir ein bisschen Haschisch rauchen und ein­fach ein bisschen bei euch rumgammeln? Diese ständige Teilerei bei uns im Haus, das ist schon ziemlich unheimlich.“

Danny Fields: Nachdem John im Knast gelandet war, habe ich viel Zeit damit verbracht, zwischen New York und Ann Arbor zu pendeln, weil John Landau und ich das Management von MC5 unter uns aufgeteilt hatten. So haben wir uns mit dem Babysitten immer gegenseitig abgewechselt.

John Landau hatte mich und die Band an Atlantic Records vermittelt. Jerry Wexler war der Präsident von Atlantic und stand auf junge intelligente und coole Typen. Deshalb hingen Lisa Robinson, Lenny Kaye und ich oft bei ihm zuhause rum und fraßen jede Menge Acid. Ich kann mich besser an die Acid­trips erinnern als an das, was damals passiert ist. Ich bin durch das Universum geflogen und habe mit Gott geplaudert, ich bin auf die Knie gegangen und konnte in die Zukunft schauen. Auf einem Trip war ich fest davon überzeugt, ich hätte einen IQ von dreitausend. Aber nicht nur das. Ich konnte mir sogar Wesen ausmalen, die einen IQ von dreihunderttausend hatten …

Höher hinauf als mit LSD wollte ich nicht.

KAPITEL 8: FUN HOUSE

Scott Asheton: Nachdem unser erstes Album erschienen war, bekamen wir nicht sofort die große Aufmerksamkeit, und der Verkauf ging auch eher schleppend. Aber wir hatten einen Vertrag über drei weitere Alben, und Elektra hatte beschlos­sen, dass wir unser zweites Album in ihren Studios in L. A. aufnehmen sollten.

Auf unserem zweiten Album, Fun House, haben wir versucht, wieder wie die Originalformation von unserem ersten Album zu klingen – mehr freie For­men, mehr Improvisationen –, und außerdem holten wir den Saxofonisten Steve MacKay dazu. Im Grunde genommen war es ein im Studio aufgenom­menes Livealbum.

Love und Peace spielten keine so große Rolle bei diesem Album. Es war wirklich nicht unser Ding, dafür zu sorgen, dass sich auch alle glücklich fühl­ten. Uns ging es vielmehr um das, was wirklich abging, wie langweilig diese ganze Scheiße war und was man sich tatsächlich alles bieten lassen muss.

Der Song„Dirt“ ist der perfekte Beleg für unsere damalige Einstellung.Scheiß auf all den Scheiß, wir sind Dreck, uns geht das alles total am Arsch vorbei.

Iggy Pop: Im Anschluss an die Aufnahmen in Kalifornien sind wir im April oder Mai 1970 nach Detroit zurückgekehrt, wo sich die Dinge zwischenzeit­lich verändert hatten. Die Arbeitslosigkeit vertrieb die Leute aus Detroit, die ganze Atmosphäre hatte sich verändert, und wir fingen an, harte Drogen zu nehmen.

Kathy Asheton: Als ich eines Abends das Haus betrat, saß da plötzlich ein völlig fremder Mann. Dieser Typ war buchstäblich ins Fun House eingebrochen und saß einfach da und wartete auf die Stooges. Ich dachte, dieser Typ wäre ein Groupie. Er wusste viel über die Band und ganz offenbar auch, wo sie wohnte, und er hatte es sich fest in den Kopf gesetzt, bei ihnen mitzumachen.

Im Nachhinein betrachtet war James Williamson so etwas wie eine schwarze, sich herabsenkende Wolke.

Ron Asheton: Ich habe James Williamson kennen gelernt, als wir auf der High­school einen Gig lang zusammen gespielt haben. Sein Vater, ein früherer Oberst in derArmee,wollte James von diesem ganzen Rock ’n’Roll­Zirkus fern halten und schickte ihn deshalb nach New York auf eine Schule für schwer erziehbare Kinder, denen dort Disziplin beigebracht werden sollte. Der Oberst hasste lange Haare. Deshalb durften wir sein Haus nicht betreten – aber uns immerhin auf der Veranda aufhalten.

Ich habe James erst wieder gesehen, als wir im Chelsea Hotel unser erstes Album aufgenommen haben. Wir haben ein paar Tage zusammen verbracht, aber danach war er wieder verschwunden.

Nachdem Dave Alexander bei den Stooges rausgeflogen war, wurde unser früherer Roadmanager Bill Cheatham unser neuer Bassist, der allerdings über­haupt nicht Bass spielen konnte. Ich habe ihm ein paar rudimentäre Akkorde beigebracht. Nachdem er aber bei sechs Konzerten mitgespielt hatte, wollte er lieber wieder unser Roadmanager sein.

Also ließen wir Musiker vorspielen, und dann tauchte irgendwann James Williamson zum Vorspielen auf. Ich habe hauptsächlich Power­Akkorde und ähn­liches Zeug gespielt und er eher melodische Akkorde. Er hatte mir und meinem Stooges­Stil ein wenig was voraus. Das war also optimal – ich kannte ihn bereits, und er war ein sehr guter Gitarrist. Nachdem ich ihm gesagt hatte, dass er in unse­rer Band mitspielen könnte, hat er als Erstes seinen Verstärker für siebenhun­dertfünfzig Dollar verkauft. Er sagte, er würde das Geld mit uns teilen, damit jeder Geld hätte, um sich etwas zu essen zu kaufen. Also hat er das Geld aufgeteilt, und ich dachte: „Wunderbar, jetzt habe ich ein bisschen Geld bekommen.“

Dann kam Iggy mit einer seiner glorreichen Ideen und meinte: „Ihr gebt mir alle euer Geld, damit ich dafür Heroin besorgen kann, von dem ich einen Teil weiterverdealen werde, und ihr bekommt dann das Doppelte von dem zurück, was ihr mir jetzt gebt.“

Ich antwortete: „Bei dir piept’s wohl!“

Aber er ließ einfach nicht locker, und schließlich willigte ich ein:„Hier hast du die verdammte Kohle, aber lass mich jetzt in Ruhe!“

Scott Asheton: Ich war mit einem der Roadies von MC5 befreundet und bin mit ihm zu einem „Free Concert“ von Parliament/Funkadelic gegangen. Wir haben hinter der Bühne rumgehangen und einen aus der Band gefragt, ob er Lust hätte, ein bisschen Haschisch zu rauchen.

Wir sind dann in den Lastwagen von Parliament geklettert, und dieser Typ holte diese kleinen Päckchen mit dem weißen Pulver hervor.

„Ist das Koks?“

„Nein, Mann, das ist Heroin!“

Ich hatte bereits hin und wieder ein paar Linien Koks geschnupft, aber ich hatte keine Ahnung, was Heroin ist.

„Willst du mal probieren?“

„Warum nicht?“

Ich kann mich noch erinnern, wie ich danach im strömenden Regen in irgendeinem Wald stand. Ich habe versucht zu pissen, es ging aber nicht, doch ich fühlte mich trotzdem ziemlich gut.

John Adams nahm überhaupt keine Drogen – er befolgte eine streng makrobiotische Diät, rauchte nicht und trank auch keinen Alkohol. Aber für uns war er trotzdem immer noch der ältere Typ mit der dunklen Vergangen­heit. Er war früher mal Junkie gewesen, und er hatte echt was von einem Gangs­ter. Er war siebenundzwanzig und somit wirklich alt.

Als ich wieder nachhause kam und nachdem ich all diese Geschichten aus Johns Vergangenheit gehört hatte, ging ich zu ihm und erzählte ihm, was ich gemacht hatte. Ich hatte das Gefühl, ich hätte schlafende Hunde geweckt, denn er wurde plötzlich ganz aufgeregt und wollte unbedingt aus dem Haus, um Stoff zu besorgen. Und Bruder Iggy wollte plötzlich auch was.

So fing alles an.

Ron Asheton: Unser Roadmanager John Adams war früher mal Junkie und wurde dann eines Tages wieder rückfällig und hat gleichzeitig Scotty und Iggy mit hineingezogen.

Als ich irgendwann einmal mit John allein im Fun House war, rief er mich zu sich in sein Zimmer. Also ging ich in sein Zimmer, das unten im Keller war. Auf seinem Tisch lag ein weißer, ungefähr babyfaustgroßer Pulverklumpen.

„Wow, ist das Koks?“

Er hatte sich mit seiner Nase ganz dicht darüber gebeugt und schaute auf den Klumpen, und ich hatte mich mit meiner Nase ebenfalls dicht darüber gebeugt. Wir starrten beide auf das Zeug, und er sagte: „Nein, Mann.“

 

„Das ist aber nicht etwa Heroin?“

„Doch.“

„O Mann, so was kannst du doch nicht machen!“

Ich war ziemlich wütend, aber John reagierte überhaupt nicht auf mich. Inzwischen waren auch die anderen nachhause gekommen, und an diesem Abend haben sie gemeinsam zum ersten Mal Heroin geschnupft. Ich habe nicht mitgemacht. Ich habe immer die Finger davon gelassen.

Sie nahmen dann ab und zu mal was von dem Zeug, indem sie es einfach schnupften, und irgendwann zeigte ihnen „The Fellow“, wie wir John Adams damals nannten, wie man sich Heroin spritzt. Sie machten das heimlich und hinter meinem Rücken, weil sie wussten, dass ich was dagegen hatte. So war ich plötzlich ein Außenseiter.

Kathy Asheton: Ich bin zum ersten Mal persönlich mit Heroin in Kontakt gekommen, als Iggy mich aus einer heruntergekommenen Absteige in Romulus anrief, einer ziemlich üblen Gegend von Detroit. Er bat mich, ihm etwas Grass vorbeizubringen, das er gegen Heroin tauschen wollte. Er gab mir seine Adresse, aber erst als ich mich langsam diesem merkwürdigen Viertel näherte, realisierte ich, dass ich zu dieser heruntergekommenen Absteige fuhr. Ich klopfte an die Tür, und Iggy machte mir auf. Mein Bruder Scotty war auch da und diese schwarzen Typen mit ihren Knarren. Ich war eine der ganz wenigen, die kein Heroin nah­men und die Iggy trotzdem in seiner Nähe duldete, was sehr ungewöhnlich war, denn soweit ich wusste, akzeptierten Junkies nur andere Junkies in ihrer Nähe.

Ron Asheton: Im Fun House setzten sie sich ihre Schüsse immer nur im Apart­ment meines Bruders. Es hatte ein Schlafzimmer und ein Badezimmer und war ein optimaler Ort, um sich Heroin zu spritzen. Es hatte dunkelgrüne Fliesen,einen großen runden Tisch und eine Zimmerdecke mit billigen weißen Styroporplatten, wie man sie aus Arztpraxen kennt.Typisch Fünfzigerjahre eben.Die Wände waren schon ziemlich braun, aber am schlimmsten sahen die Styroporplatten an der Zimmerdecke aus. Blutspritzer,wohin das Auge sah.Auch auf dem Fußboden und an den Wänden waren überall große Blutflecken, denn wenn man sich die Nadel aus dem Arm zieht, nachdem man sich einen Schuss gesetzt hat,gerät immer etwas Blut in die Spritze, was man nur dadurch wieder rausbekommt, dass man es raus­spritzt. Sie haben die Wände und die Zimmerdecke ziemlich voll gespritzt. Sprrrritzzz … Blut an der Decke, Blut an den Wänden, dicke, fette Tropfen, so, als hätte jemand mit einer Wasserpistole einfach Wasser da hinaufgespritzt. Das ging eine ganze Zeit so. Die Tropfen waren allerdings nicht mehr rot,sondern aus ihnen wurden mit der Zeit hässliche braune Flecken, aber oft waren die Flecken doch rot und frisch. Das Blut tropfte auf den Tisch und auf den Fußboden, wo sie ihre Wat­tebällchen hinwarfen. Das hatte etwas so Erniedrigendes.

Im Nachhinein wünschte ich mir, ich wäre damals so mutig gewesen und hätte Fotos gemacht. Das wären bestimmt Meisterschüsse geworden. Aber mich hat das einfach zu sehr angeekelt.

Danny Fields: 1971 haben sich die Stooges auf ihr drittes Album vorbereitet. Der ehemalige Stooges­Manager Jim Silver hatte die Band verlassen, weil er zwi­schenzeitlich mit Biofutter handelte, was sich als wesentlich profitabler her­ausstellte, als die Stooges zu managen, die sich als wahre Geldvernichtungs­maschine entpuppten. Nachdem er sich nach und nach von der Band distan­ziert hatte, wurde ich de facto der neue Manager der Gruppe.

Ich habe sie per Telefon gemanagt, da ich ja in New York für Atlantic Records arbeitete. Die Stooges hatten ihre Songs für ihr drittes Album, das Raw Power heißen sollte, fertig geschrieben, und ich liebte es heiß und innig. Ich war einfach total begeistert.

Also rief ich Bill Harvey, den Vizepräsidenten von Elektra, an, der mich damals gefeuert hatte. Wir hassten einander immer noch, aber ich musste trotz­dem mit ihm in Verbindung bleiben, weil die Stooges nach wie vor bei ihm unter Vertrag waren – und ich sagte ihm, es sei Zeit, sich zu entscheiden.

Ich glaube, er wollte ohnehin keinen Gebrauch von seinem Optionsrecht machen und hörte mir nur der Form halber zu.

Ron Asheton: Dann ist Iggy aus dem Fun House in die University Towers in der Innenstadt von Ann Arbor gezogen. Das Fun House lag für Iggy und Scotty zu sehr außerhalb der Stadt. Sie hatten beide kein Auto und mussten in der Stadt wohnen, damit sie näher an ihrer Drogenconnection waren.

Iggy konnte nicht Auto fahren, was schwer vorstellbar ist, wenn man an sein Koordinationsvermögen auf der Bühne denkt. Wir hatten diesen Leih­wagen, den wir eigentlich nur ein paar Tage behalten wollten, aber Iggy behielt ihn einen ganzen Monat. Die Bullen griffen ihn auf, als er die Sharon Street mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig entlangfuhr, weil er voll auf Quaaludes war und alles Mögliche umgepflügt hatte. Also zog Iggy in die University Towers, wo es auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Biff’s gab, ein Restaurant, das rund um die Uhr geöffnet hatte. In diesem verdammten Biff’s hingen sie bis drei Uhr morgens rum, um sich ihren Stoff zu beschaffen.

Wayne Kramer: Iggy und ich haben nebenbei ein bisschen mit Drogen gedealt. Ich habe ihn mit einigen meiner Connections in Detroit bekannt gemacht, und wir haben seine Connections in Ann Arbor benutzt, um selbst ins Drogen­geschäft einzusteigen. Es kamen jede Menge Kids zu Iggy in die University Towers und kauften ihren Stoff bei ihm. Ich selbst hatte auch ein paar Con­nections. Also legten wir ein paar hundert Dollar zusammen und haben dafür Dope gekauft, eine Menge, die ungefähr neun Schuss ergab. Aber dann musste ich mit den MC5 auf Tournee gehen.

Ron Asheton: Iggy hat sich die von seinen Eltern gemopsten Schecks bei Dis­count Records einlösen lassen. Scheiße, das waren mehrere tausend Dollar. Iggy wurde schließlich von den Bullen festgenommen, aber seine Eltern haben das ganze Geld zurückgezahlt.

Wayne Kramer: Ich hatte eigentlich erwartet, dass sich mein Geld verdoppelt haben würde, als ich wieder nachhause kam, und dass mein Heroin nach dem Pyramidenschema für achtzehn Schuss reichen würde. Das war unser typischer „Lass es uns verdoppeln“­Drogendeal. Das hat allerdings nur einmal funktio­niert. Als ich das zweite Mal auf Tournee gehen musste und dann zurückkam, fragte ich meine Freundin: „Und wo sind die Drogen?“ – „Ja weißt du, Iggys Venen sind kollabiert, und er musste ins Krankenhaus, und jetzt ist kein Geld mehr da und keine Drogen.“

Also bin ich in Iggys Wohnung gegangen, weil ich gehört hatte, es gäbe dort massive Probleme. In seiner Wohnung sah es immer katastrophal aus. Als ich diesmal in seine Wohnung kam, war aber alles sauber und aufgeräumt. Seine Mutter war da gewesen und hatte seinen Saustall ausgemistet und seine Kleider zusammengelegt. Iggy hat sich tausendmal wegen des Geldes entschuldigt und gesagt, ich wäre der Erste, der sein Geld zurückbekäme …

Danny Fields: Bill Harvey und ich sind zusammen nach Ann Arbor geflogen, damit er sich das neue Material der Stooges anhören könnte. Ich hatte gedacht, dass sie so gut vorspielen würden, dass Bill Harvey gar nichts anderes übrig bliebe, als zu sagen: „Yeah, diese Band hält einfach immer, was sie verspricht.“

Ich war einfach nur stolz und froh.

Ron Asheton: Ich habe Bill Harvey Ohrenstöpsel gegeben, die er sich reintun sollte, während wir gespielt haben. Er versuchte, nett und freundlich zu sein, aber er fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut.

Danny Fields: Wir sind zurück in unser Motel in Ann Arbor, und ich strahlte förmlich und fragte: „Und?“ Bill Harvey antwortete: „Ich habe ehrlich gesagt überhaupt nichts gehört.“ Das war der Augenblick, in dem die Stooges von Elektra fallen lassen wurden.