Please Kill Me

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Und dann habe ich eines Abends meinen ersten Joint geraucht. Drogen wollte ich schon immer mal nehmen, aber das konnte ich leider nie, denn die einzige Droge, die ich kannte, war Marihuana, und ich litt unter schwerem Asthma. Davor habe ich mir nichts aus Drogen gemacht und war auch noch nie betrunken. Ich wollte einfach nur Musik machen und etwas in Bewegung set­zen, das war alles, worum es mir ging. Aber dieses Mädchen,Vivian, mit der ich in ihrem Auto nach Chicago gefahren bin, hatte mir ein wenig Grass gegeben. Also ging ich eines Abends zur Kläranlage unten beim Loop, wo der Fluss kom­plett industrialisiert war. Nichts als zubetonierte Ufer und Abwässer von den Marina Towers. Ich rauchte also diesen Joint, und dann durchfuhr es mich.

Ich dachte mir, ich sollte einfach meinen eigenen einfachen Blues spielen. Ich konnte meine Erfahrungen auf der Grundlage dessen beschreiben, wie diese Jungs auch ihre Erfahrungen beschrieben …

Und das tat ich dann auch. Ich eignete mir so einiges von ihrem Gesangs­stil und auch ihre Phrasierungen an, die ich entweder herausgehört oder falsch gehört oder aus Bluessongs verdreht mitbekommen hatte. So ist dann wahr­scheinlich „I Wanna Be Your Dog“ entstanden, was ich fälschlicherweise als „Baby Please Don’t Go“ herausgehört habe.

Ron Asheton: Iggy rief mich aus Chicago an und meinte: „Hey, Jungs, habt ihr nicht Lust, hierherzukommen und mich abzuholen?“ Das war der Moment, als sich Iggy entschieden hatte: „Warum gründen wir nicht eine Band?“

Iggy Pop: Als wir zum ersten Mal zusammen geprobt haben, war es tiefster Winter, und ich wohnte bei meinen Eltern, weil ich kein Geld hatte. Ich musste ungefähr eine achthundert Meter durch den Schnee bis zur Bushaltestelle gehen. Und dann musste ich nach einer vierzigminütigen Busfahrt noch mal zehn Minuten bis zum Haus der Ashetons laufen.

Ron Asheton: Iggy lebte damals in einem Wohnwagen in der Carpenter Road, am Stadtrand von Ann Arbor. Wenn er zu uns kam, nahm er den Bus nach Ann Arbor. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass er von seiner Mutter Geld brauchte, weil er sich eine Orgel kaufen wollte. Seine Mutter gab ihm das Geld nur unter der Bedingung, dass er sich die Haare schneiden ließ: „Ich werde dir die Orgel nur kaufen, wenn du dir die Haare schneiden lässt.“

Also bekam er diesen Raymond­Burr­Haarschnitt verpasst. Kennt ihr den Film, wo Raymond Burr zusammen mit Natalie Wood diesen geisteskranken Typen spielt? Er hatte diesen kurzen Mädchenpony, fast schon so eine Art Bürs­tenhaarschnitt. Jedenfalls bekam Iggy aus irgendeinem Grund diesen komi­schen Haarschnitt verpasst, und dann trug er diese weißen weiten Hosen, die beinahe wie ein Overall aussahen. In diesem Aufzug wurde er von der Polizei angehalten, weil die Bullen dachten, er wäre aus der Irrenanstalt ausgebrochen.

Iggy Pop: Ich musste mir schon was einfallen lassen, damit Ronny oder Scotty mir die Tür aufmachten. Die beiden haben nämlich immer bis Nachmittags gepennt. Ich klingelte und klingelte und klingelte, und manchmal machten sie die Tür auf, manchmal aber auch nicht. Also musste ich den Gartenschlauch nehmen und gegen ihre Fenster spritzen oder Steine gegen die Fenster werfen oder irgendwas Blödes rufen oder Schneebälle werfen. Schließlich gelangte ich irgendwie ins Haus rein, und dann musste ich sie noch ein paarmal wecken. Sie waren ziemlich launische Zeitgenossen – ich spielte ein paar Schallplatten, damit sie in Stimmung kamen. Später kam dann immer Dave Alexander dazu, der in derselben Straße wohnte. Ronny, Scotty und Dave waren sehr gute Träu­mer, denn darum geht es vor allem in diesem staubigen Mittleren Westen. Das Land, das von der Zeit vergessen wurde. Pete Townshend hat dazu etwas Gutes gesagt. Er sagte, dass es für einen klugen Menschen im Mittleren Westen ver­dammt hart sein muss, weil kein London oder New York City in der Nähe ist, um einen mit neuen Eindrücken zu versorgen, an dem man sich reiben kann und das einem jegliche Illusionen ausradiert …

Ron Asheton: Iggy hörte die Doors zum ersten Mal, als sie im Yost Field House für die Studienabgänger der University of Michigan gespielt haben. Wir sind alle mitgefahren, aber Iggy war der Einzige, der reingelassen wurde, vielleicht, weil er mal an der University of Michigan studiert hat und noch seinen alten Studentenausweis besaß. Ich trieb mich draußen rum, weil ich die Band trotz­dem hören wollte. Morrison war sturzbesoffen, und die Kids schrien ständig nach „Light My Fire.“

Morrison machte sich einen Spaß daraus, sie zu verarschen. Er sagte: „Der Mann aus Michigan!“, und imitierte einen Gorilla. Ich glaube, sie haben mit Bierflaschen nach ihm geworfen und schrien während des ganzen Konzerts immer wieder „Light My Fire“.

Iggy Pop: Vor dem Gig im Yost Field House war ich eigentlich noch kein rich­tiger Fan der Doors, denn ihr musikalischer Ansatz war so grundlegend anders als der bei den Rockmusikern aus Detroit. Und die MC5 konnten die Doors nicht ausstehen. Fred Smith sagte immer: „Mein Gott, wie ich diese Mösen hasse.“

Ich habe sie in dieser Turnhalle gesehen, und das Konzert muss so eine Art Schulball für all diese typisch amerikanischen Fettsäcke und ihre Mädchen gewesen sein. Wahrscheinlich waren sie nur gekommen, weil sie die Band sehen wollten, die „Light My Fire“ spielte.

Die Band kam zuerst ohne Morrison auf die Bühne, und sie klangen wirk­lich wie die allerletzte Scheiße. Es klang schrecklich, noch schrecklicher als Mösen – wie alte Mösen nämlich, hahaha. Es klang hölzern und eklig und völ­lig unharmonisch – immer wieder spielten sie das Riff von „Soul Kitchen“, bis der Sänger endlich die Bühne betrat.

Morrison torkelte zwar auf die Bühne, tat das aber auf eine sehr sinnliche Art. Er sah umwerfend aus. Ich musste sofort an Hedy Lamarr in Samson und Delilah denken, weil er seine Locken trug, als hätte ihn ein Hollywood­Friseur zurechtgemacht. Sein Haar schimmerte blauschwarz und war pomadisiert und glänzte. Er hatte prima Haare, das kann ich euch flüstern.

Morrison hatte große, beinahe schwarze Augen, was an seinen enorm ver­größerten Pupillen lag. Er hatte offensichtlich irgendwelche Drogen genommen oder war einfach nur aufgeregt. Und er war wirklich gut angezogen mit seiner schwarzen Lederjacke und der Lederhose und den Filzstiefeln und dem Rüschen ­hemd. Er torkelte in Richtung Mikrofon, als wollte er sagen: „Ich werde schon noch singen, aber nicht sofort …“

Und diese amerikanischen Durchschnittstypen werden sich bestimmt gedacht haben: „Was ist denn das für eine Möse?“

Als Morrison seinen Mund zum Singen aufmachte, sang er mit einer Mösenstimme – einer Falsettstimme. Er sang wie Betty Boop und weigerte sich, in einer normalen Tonlage zu singen. Ich glaube, sie waren fast am Schluss des Songs angekommen und hörten ganz abrupt auf. Morrison schaute sich um, ging zum Gitarristen rüber und sagte: „Hey, Mann, spiel das hier …“

Ich glaube, es war „Love Me Two Times“. Und es ging ab. Bis Morrison wie­der anfing, mit dieser Betty­Boop­Stimme zu singen. Im Großen und Ganzen ging das ganze Konzert in diesem Stil weiter. Ich war völlig aufgeregt. Mir gefiel dieser Antagonismus; mir gefiel, dass er sein Publikum nervte, ja, ja ja. Lauter Verbindungstypen, Footballspieler, die zukünftigen Führer von Amerika – Leute, die heutzutage die Rockstars von Amerika sind –, und Morrison nervte sie nicht nur, er zog sie gleichzeitig in seinen Bann. Ich sprang das junge Mäd­chen an, das ich mitgenommen hatte, und dachte: Das hier ist große Klasse.

Der Gig dauerte nur fünfzehn oder zwanzig Minuten, weil sie Morrison von der Bühne zerren und ihn schnell in Sicherheit bringen mussten, da das Publi­kum kurz davor war, auf ihn loszugehen. Das hat mich schwer beeindruckt.

In dem Augenblick dachte ich: „Mein Gott, wie furchtbar die sind, und die haben es in den amerikanischen Singlecharts auf Platz eins geschafft! Wenn der das kann, kann ich das auch. Und zwar auf der Stelle. Ich habe absolut keine Zeit zu verlieren.“

Ron Asheton: Den ersten Gig hatten wir im Grande Ballroom. Ich sagte: „Ich finde, Dave Alexander sollte Bass spielen, ich spiele Gitarre, und mein Bruder sollte Schlagzeug spielen, auf was immer wir für ihn auftreiben werden.“

Am Vorabend unseres Auftritts wussten wir nicht, was Iggy anziehen würde, aber er meinte nur: „Keine Panik, er werde schon irgendwas Passendes finden.“

Als wir ihn abholten, hatte er ein altes weißes Nachthemd aus dem acht­zehnten Jahrhundert an, das ihm bis zu den Knöcheln ging. Er hatte sein Gesicht weiß geschminkt wie ein Pantomime und sich aus zusammengedreh­ter Alufolie eine Afroperücke gebastelt.

Während der Fahrt zum Grande Ballroom haben wir ein paar Joints geraucht. Es war unser erster Auftritt, und wir waren furchtbar nervös. Dann fuhr plötzlich dieses Rowdypack direkt neben uns und versuchte, uns von der Straße zu drängen. Als wir beim Ballroom ankamen, waren wir alle mit den Ner­ven völlig fertig, und als wir aus dem Auto stiegen, fragte uns der schwarze Park­platzwächter:„Motherfucker, ist das ein Android oder was?“ Er bepisste sich fast vor Lachen.

Scott Asheton: Iggy hatte sich die Augenbrauen abrasiert. Wir hatten einen Freund namens Jim Pop. Jim hatte durch irgendeine Nervenkrankheit all seine Haare verloren, inklusive seiner Augenbrauen. Nachdem Iggy seine Augen­brauen abrasiert hatte, nannten wir ihn nur noch Pop.

An dem Abend herrschte im Ballroom eine Bullenhitze, und Iggy geriet mächtig ins Schwitzen. Von da an wusste er, wozu der Mensch Augenbrauen braucht. Am Schluss unseres Sets waren seine Augen von all dem Öl und Glit­zerkram total geschwollen.

John Sinclair: Es war alles so verdammt realistisch, dass es einfach kaum zu glauben war. So etwas wie Iggy hatte man vorher noch nie erlebt. Es war nicht wie eine Band, es war nicht wie MC5, es war nicht wie Jeff Beck, es war einfach mit überhaupt nichts zu vergleichen. Es war auch kein Rock ’n’ Roll.

 

Irgendwie erzeugte Iggy diesen mächtigen psychedelischen Sound für das, was er als Frontmann abzog. Die anderen Musiker waren buchstäblich nichts weiter als seine Marionetten. Sie haben einfach nur dieses wahnsinnige Gedröhne in Gang gesetzt, das waren keine richtigen Songs, sondern eher ziem­lich schräge Grooves – „Trancezustände“ nannte ich das. Das hatte viel mehr Ähnlichkeit mit nordafrikanischer Musik als mit Rock. Und dann tanzte Iggy durch die Gegend, dass man dachte, das ist Warten auf Godot fürs Ballett cho­reografiert. Er war nicht wie Roger Daltrey, falls ihr versteht, was ich meine.

Ron Asheton: Wir haben ein paar Instrumente erfunden, auf denen wir bei unse­rem ersten Auftritt gespielt haben.Wir hatten einen Mixer, in den wir ein bisschen Wasser reingeschüttet hatten. Dann haben wir ein Mikrofon reingehängt und das Ding eingeschaltet. Wir haben das Teil ungefähr eine Viertelstunde laufen las­sen, bevor wir auf die Bühne gegangen sind. Es war ein irrer Sound, vor allem, weil er über die voll aufgedrehte Anlage kam. Dann hatten wir noch ein Wasch­brett mit Kontaktmikrofonen. Iggy zog Golfschuhe an und ist auf das Waschbrett gesprungen und darauf mit den Füßen herumgeschlurft. An den Zweihundertfünfzig Liter Ölfässern, auf denen Scotty trommelte, hatten wir ebenfalls Kon­taktmikrofone angebracht, und als Trommelschlägel benutzte er zwei Hämmer.

Ich habe mir sogar den Staubsauger meiner Mutter ausgeliehen, weil der sich wie ein Flugzeugmotor anhörte. Den Sound von Düsenflugzeugen habe ich schon immer geliebt. WWWWWWRRRR!

Scott Asheton: Die Leute wussten wirklich nicht, was sie davon halten soll­ten. John Sinclair, der Manager der MC5, stand einfach nur da und kriegte den Mund nicht wieder zu. Das war unser Masterplan: Mauern niederreißen und den Leuten die Scheiße aus dem Hirn blasen. Es anders zu machen als die ande­ren war das Einzige, was wir wollten.

Es gab eine Menge Leute, die damit überhaupt nichts anfangen konnten, aber das waren letztlich die Leute, die dann doch bei jedem Auftritt auftauch­ten. Die schrien herum, weil sie eine Reaktion wollten, aber Iggy gab ihnen zu verstehen, dass sie sich verpissen sollten.

Iggy Pop: An meinem einundzwanzigsten Geburtstag sind wir als Vorgruppe von Cream aufgetreten. Ich hatte den Tag damit verbracht, ein Siebenhundertfünfzig Liter Ölfass von Ann Arbor noch Detroit zu transportieren, an das wir ein Kontaktmikrofon angebracht haben, und auf dem schlug Jimmy Silver den einen durchgehenden Beat unseres besten Songs. Ich habe das Ding ganz allein die drei Stockwerke zum Grande Ballroom hinaufgeschleppt. Und dann haben wir festgestellt, dass unsere Verstärker nicht funktionierten. Und als wir auf die Bühne gegangen sind, schrie das Publikum: „Wir wollen Cream hören, wir wol­len Cream hören, runter von der Bühne, wir wollen Cream!“

Ich stand da, hatte vorher zwei Trips gefressen und sagte: „Fuck you!“ Das war einer unserer beschissensten Gigs überhaupt.

Danach bin ich dann zu Dave Alexander mit nachhause gegangen. Ich war am Boden zerstört und dachte: „Und das an deinem einundzwanzigsten Geburtstag! Das war’s dann wohl. Das haut alles überhaupt nicht hin.“

Daves Mama servierte mir einen Cheeseburger mit einer Kerze in der Mitte. Es ging darum, die Dinge am Laufen zu halten, damit es besser werden kann. Bloß nicht aufgeben.

KAPITEL 3: THE MUSIC WE’VE BEEN WAITING TO HEAR

Steve Harris: Mit dem Erfolg der Doors­Single „Light My Fire“ trat Elektra Records in einen regelrechten Wettbewerb ein, weil wir dadurch genügend Ein­fluss hatten, auch andere Bands unter Vertrag zu nehmen. Wir waren plötzlich nicht mehr das kleine feine Folklabel.

Danny Fields: Bob Rudnick und Dennis Frawley hatten im East Village Other eine „Kocaine Karma“ betitelte Kolumne, und die beiden überhäuften mich gnadenlos mit ihrer Werbung für diese Band aus Detroit, MC5, was „The Motor City Five“ bedeutete.

Rudnick und Frawley lagen mir ständig in den Ohren:„Du musst dir unbe­dingt diese Band anhören! Du musst diese Band unter Vertrag nehmen! Das ist die großartigste Band! Sie sind unglaublich populär! Die verkaufen den Grande Ballroom aus! Die verkaufen den gesamten Mittleren Westen aus! Das ist nicht einfach nur eine Band, das ist ein Lebensstil!“

Und MC5 wurden tatsächlich zur Legende, weil sie als einzige Band wäh­rend der Ausschreitungen der Democratic National Convention in Chicago gespielt haben. Sogar Norman Mailer hat über sie geschrieben.

Wayne Kramer: Als die jungen Gauner, die wir damals waren, haben wir von MC5 schon sehr bald geschnallt, dass dieses Hippiezeug einiges bewegen würde. Und dass es was Großes würde, weil all diese Kids aus den Vorstädten nach Detroit kamen und angezogen waren wie Hippies auf einem Wochenendaus­flug. Uns war klar, dass wir es nur schaffen konnten, diese Hippies für uns zu begeistern, wenn es uns gelingen würde, auch den Oberhippie zu begeistern, und dieser Oberhippie war John Sinclair.

Sinclair hatte sechs Monate wegen Drogenbesitz in einer Besserungsanstalt in Detroit abgesessen, und seine Knastentlassungsparty wurde das kulturelle Sommerereignis schlechthin. Wir waren auch eingeladen und mussten den gan­zen Tag auf unseren Auftritt warten. Zuerst waren diese ganzen dichtenden Dichter und tanzenden Tänzer dran, deshalb konnten wir erst um vier Uhr morgens auftreten. Und dann drehten wir unsere Einhundert­Watt­Verstärker auf volle Lautstärke und dröhnten all diese Hippies und Beatniks voll. Denen war es scheißegal, was man gespielt hat – die Hippies tanzten zu was auch immer. Und dann, mitten in einem Set, als wir einen Song zu Ehren von John Sinclair gespielt haben, kam seine Frau und stellte uns einfach den Saft ab.

Unsere Beziehung zu John hatte also auf einer üblen Note begonnen. Er hatte eine Kolumne in einer lokalen Underground­Zeitschrift und schrieb in seinem Artikel über uns:„Was ist bloß los mit diesen Jive­Rock ’n’Rollern? Wieso hören die keine vernünftige Musik? Zum Beispiel von Sun Ra oder John Coltrane?“ Das habe ich mir entschieden verbeten. Ich bin zu ihm nachhause gegangen und hab ihm gesagt: „Hey, Mann, was soll dieser Blödsinn? Wir gehö­ren auch zu dieser Gemeinschaft, und wir wissen sehr wohl, wer John Coltrane ist, und wir brauchen einen Platz zum Üben. Können wir den Artist Workshop nicht auch benutzen?“ Also rauchten wir einen Joint, und die Sache war geritzt.

Danny Fields: 1968 hatte sich die Stimmung im Land sehr verändert. Ich habe meinen Ohren nicht getraut, als Präsident Lyndon B. Johnson am Abend ver­kündete: „Ich will nicht suchen, ich will nicht weglaufen.“ Ich meine, wen sollte man denn jetzt noch hassen? Klar, danach formierte sich die Chicago Demo­cratic National Convention …

John Sinclair: Wir haben darauf bestanden, dass wir 1968 beim Festival of Life während der Democratic Convention in Chicago auftreten konnten. Wir waren diese erfolgshungrige Band aus Detroit – wir wollten bekannt werden, wir woll­ten Aufmerksamkeit, wir wollten einen Schallplattenvertrag, um es auf den Punkt zu bringen.

Gleichzeitig wollten wir aber dazugehören, weil sich all das absolut mit unserer eigenen Weltsicht deckte. Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, sagten wir uns: Wenn wir dort auftreten, können wir Teil des Festival of Life sein und treffen sogar möglicherweise noch irgendwelche Journalisten, die über uns schreiben. Vielleicht wird ja sogar Norman Mailer auf uns aufmerksam!

Wayne Kramer: Ungefähr eine Stunde vor unserem Auftritt kamen ein paar Typen auf uns zu und boten uns Haschischplätzchen an: „Esst aber bitte nur eines, sie sind nämlich sehr stark.“ Deshalb aßen wir natürlich jeder nur eines, aber irgendwann haben wir uns alle vier oder fünf von diesen Dingern geteilt: „O ja, lass mich auch noch mal abbeißen, ich merke nämlich überhaupt nichts, merkst du was? Nein, überhaupt nichts. Ich brauch noch mehr.“

Als es dann Zeit für unseren Auftritt war, merkte ich plötzlich, wie mir das Zeug einfuhr. Ich war total stoned. Ich glaube, wir spielten gerade unseren Song „Starship“ und waren mitten in dieser Spacemusik drin und redeten über den Krieg und den menschlichen Rasenmäher und so weiter, und auf einmal ratter­ten die Chicagoer Polizeihubschrauber über unseren Köpfen.

Sie kamen immer tiefer, direkt auf uns zu, und das Geräusch der Hub­schrauber passte perfekt zu meinem Gitarrenspiel – ja, Mann, das war wirk­lich perfekt, waaaaahhhhh!

Im Publikum gab es jede Menge Agents provocateurs von der Polizei, und die fingen plötzlich an, Schlägereien anzuzetteln und die Leute rumzuschubsen – Typen in diesen Armyjacken mit kahl rasierten Schädeln und Sonnenbrillen. Das sorgte sofort für schlechte Vibes. Und diese ganze Aktion machte für mich absolut Sinn.

Stoned, wie ich war, machte es für mich absolut Sinn. Das passte perfekt ins Bild.

Dennis Thompson: Als ich all diese Bullen sah, ging mir nur ein einziger Gedanke durch den Kopf: Herr im Himmel, wenn das hier die Revolution sein soll, sind wir aber verloren. Ich dachte, das war’s jetzt wohl. Ich schaute über meine Schulter und sah keinen einzigen Bus von den anderen Bands.„Hey, John Sinclair, wo sind denn all die anderen?“

Das war wie Custer und die Indianer – „Wo ist die Kavallerie?“ Es war keiner da! Ich dachte, außer uns wären noch andere Bands hier! Wo ist Janis Joplin? Sie sollte doch auch hier sein, sie wollte uns doch das Bier mitbringen … Au, Scheiße!

Es müssen an die vier­oder fünftausend Kids gewesen sein, die da im Lin­coln­Park rumsaßen. Wir haben ungefähr fünf oder sechs Songs gespielt, und plötzlich kam berittene Polizei mit Schlagstöcken in den Park gestürmt. Der gesamte Park war von Polizisten umstellt. Im wahrsten Sinn des Worts umstellt – mit Helikoptern und allem, was dazugehört.

John Sinclair: Abbie Hoffman stieg auf die Bühne, schnappte sich das Mikro­fon und stimmte eine Art Rapgesang an über „die Schweine“ und „die Belage­rung Chicagos“.

Ich sagte: „Nein, meine Lieben, das verheißt nichts Gutes“, und irgendwie versuchte ich den anderen zu signalisieren:„Lasst uns verdammt noch mal zuse­hen, dass wir hier wegkommen.“

Die Roadies begannen fieberhaft, alles einzupacken, alles, außer dem Mikro­fon, das Abbie benutzte. Schließlich sagten sie: „Also, Abbie, tut uns leid, aber es geht leider nicht anders … wir sollten ganz schnell von hier verschwinden.“

Wayne Kramer: Wir sind mit unserem Transporter einfach direkt an die Bühne gefahren und haben die ganze Scheiße hineingeschmissen. Ich war total bekifft und wusste, dass in der Minute, in der wir zu spielen aufhören würden, die Kra­walle losgehen würden. Das hatten wir bereits mehr als einmal beobachten kön­nen – wir wussten, dass die Menge jetzt nichts mehr hätte, worauf sie sich hätte fokussieren können, sobald wir aufhören würden zu spielen, und dass im Hand­umdrehen die Krawalle losgehen würden. Und so war es dann auch.

John Sinclair: Ich drehte mich um und sah, wie dieses Heer von Polizisten auf das Publikum losstürmte. Wir sind mit unserem Transporter quer über die Wiese gefahren und haben uns nicht um irgendwelche Wege gekümmert, weil wir einfach nur so schnell wie möglich zum Ausgang wollten.

Dort stand der Wagen der Gruppe Up, die aus Ann Arbor angereist war, und wir sagten ihnen, dass sie so schnell wie möglich wieder umkehren müssten.

Wir konnten zum Glück entkommen, hahaha. Wir sind schnurstracks nachhause gefahren. Aber danach gehörten wir irgendwie dazu.

Aber trotzdem war ich immer froh, dass wir aus Chicago flüchten konnten und unsere Instrumente heil geblieben sind, weil wir ja schließlich weiterhin Musik machen mussten – wir hatten ja nicht vor, in den nächstbesten Flieger zu steigen, um im nächsten College für fünftausend Dollar eine Rede zu halten, sondern wir fuhren zurück nach Michigan, um für zweihundert Dollar in irgendwelchen Teenieclubs aufzutreten.

Dennis Thompson: Chicago hätte eigentlich ein Ort der Solidarität sein sollen, verdammt noch mal. So was schimpft sich also Alternativkultur? Das kann ja wohl nicht sein. Wo waren denn all die anderen Bands?

Außer uns hat sich dort niemand blicken lassen. Das war’s, was mich am meisten angekotzt hat. Mir war klar, dass die Revolution in diesem Augenblick vorüber war – ich schaute über meine Schulter, und keine Sau war da! Wir waren diejenigen, die an den Galgen geliefert werden würden. Ich sagte: „Das war’s denn wohl. Es gibt keine Revolution. Die existiert nicht. Das ist alles Blöd­sinn. Die Bewegung ist tot.“

 

Danny Fields: Am ersten Herbstwochenende 1968 habe ich mich auf den Weg gemacht, um die Jungs von MC5 zu treffen. Sie haben mich am Flughafen abge­holt, und dann sind wir zu ihnen nachhause gefahren. Ich war einfach nur ver­blüfft. So etwas hatte ich vorher noch nicht erlebt. John Sinclair, der Manager von MC5, sprühte vor Charme, Energie und Intellekt. Und dann sein Aussehen und seine Statur – er war einer der beeindruckendsten Menschen, die mir je begegnet sind. Und dann dieses Haus!

Wayne Kramer: Kurz bevor die Krawalle in Chicago losgingen, sind wir 1967 wegen der Rassenunruhen in Detroit nach Ann Arbor umgezogen. Es war wirk­lich beängstigend. Ich lebte in einer Wohnung an der Ecke Second und Alexan­drine, und die ersten Morde passierten direkt in der Nachbarschaft. Die gingen allesamt auf das Konto der Polizei. Die Bullen sind einfach durchgedreht und haben eine Woche in der Gegend rumgeballert – und dabei vierzig oder fünf­zig Leute abgeknallt.

Danach war die Scheiße ziemlich am Kochen. Ein paar unserer Freundin­nen wurden vergewaltigt, und uns wurden ein paarmal unsere Instrumente geklaut. Immer wenn wir in unseren Übungsraum gegangen sind, war die Tür bereits aufgebrochen, und es waren drei Gitarren weniger da. Also sind wir in zwei Studentenwohnheime in Ann Arbor gezogen.

Danny Fields: In diesen Studentenwohnheimen ging es zu wie in einer Wikin­gerkommune. In jedem Haus gab es ungefähr einhundert Schlafzimmer, und jedes dieser Schlafzimmer war von seinen Bewohnern auf fast schon psyche­delische Art ausgestattet worden. Matratzen auf dem Fußboden, indische Tücher von den Decken, eben der typische Sechzigerjahre­Scheiß. Der Keller war gerammelt voll mit Druckerpressen, es gab Designstudios, Workshops und Dunkelkammern. Eine Menge Propagandaplakate wurde unten in der Drucke ­rei hergestellt. Und überall lagen rote Bücher herum. Mao­Bibeln, wohin das Auge sah. Ohne Mao­Bibel warst du nur ein halber Mensch. Es gab sie in allen Größen. und sie waren überall im Haus verstreut.

Wayne Kramer: In diesem Haus floss die Selbstgerechtigkeit in Strömen. Und tatsächlich war „Gerechtigkeit“ ein Begriff, den alle bei allen Gelegenheiten in den Mund nahmen.„Das ist nicht gerecht, Mann … Nein, das ist wirklich nicht gerecht, Mann …“

Uns kam dieses Wort total ätzend vor, und wir wollten uns da in nichts hin­einziehen lassen. Wir wollten etwas anderes, vor allem wollten wir nicht in aller Herrgottsfrühe aufstehen, und wir wollten auch keinen richtigen Job.

Es war immer dasselbe. „Dies ist ätzend, das ist ätzend, dies ist komisch“ oder „Das macht aber überhaupt keinen Spaß“. Bei einer Burger­Kette wie Big Boy zu arbeiten machte überhaupt keinen Spaß, in einer Band zu spielen machte Spaß, zu Dragster­Rennen zu gehen machte Spaß, mit dem Auto durch die Gegend zu heizen und Bier zu trinken machte Spaß. Es spielte sich irgend­wie alles auf einer gefühlsmäßigen Ebene ab – das war die Ebene unserer Poli­tik –, wir wollten für unser Dasein andere Wege einschlagen.

Unser politisches Programm bestand folglich aus Drogen, Rock ’n’ Roll und Sex im Freien. Das war unser ursprüngliches politisches Dreipunkteprogramm, das sich später auf ein Zehnpunkteprogramm ausweitete, als wir vorgaben, seriös zu sein. Dann riefen wir die White Panther Party ins Leben, was ursprünglich der MC5­Fanklub war. Ursprünglich nannte der sich The MC5’s Social and Ath­letic Club. Dann hörten wir von den Black Panthers und dass die Revolution dem Untergang geweiht war, deshalb dachten wir: „Oh, dann sollten wir das in White Panthers umbenennen.“ Also waren wir fortan die White Panthers.

Danny Fields: Auf der einen Seite existierte eine Politik aus Revolution und Gleichheit und Freiheit, auf der anderen Seite gab es die Frauen, die den Mund nicht aufmachten und lange Kleider trugen und den ganzen Tag am Herd stan­den, um Riesenfleischmahlzeiten zuzubereiten, die dann den Männern gebracht und serviert wurden – die sie dann allein aßen.

Männer und Frauen aßen nie zusammen an einem Tisch. Die Männer aßen entweder vor oder nach einem Gig. Wenn sie nachhause kamen, schlugen sie mit der Faust auf den Tisch wie die Höhlenmenschen. Und die Frauen ver­hielten sich ruhig. Man erwartete auch keinen Protest von ihnen. Man erwar­tete von den Frauen, dass sie ihre Männer stillschweigend bedienten.

Kathy Asheton: John Sinclair war ein Schwein. Er hat MC5 buchstäblich in Beschlag genommen und sie für seinen politischen Müll missbraucht. Sie sind wirklich in diesen ganzen Bruder­und­Schwester­Scheiß hineingezogen wor­den, was zwar gut war für irgendwelche Liveauftritte, aber ansonsten …

Ich konnte das nie ernst nehmen. Meine Brüder und Iggy ebenso wenig, und es hat sich sehr bald gezeigt, dass sich zwischen den Stooges und den MC5 eine Kluft gebildet hatte. MC5 waren zwar immer noch eine gute Band, aber sie waren längst nicht mehr so witzig wie früher. Sie waren regelrecht chauvinis­tisch geworden. Ich hatte mit diesem Leben als Dienstmagd definitiv nichts am Hut, aber das war genau das, wovon sich alle so angezogen fühlten. Ich habe um all diese Mädchen vom Trans­Love einen riesengroßen Bogen gemacht. Diese Mädchen waren alle dermaßen unterwürfig, dass einem das Kotzen kommen konnte. Bei mir hingegen war das Partyfieber ausgebrochen, und ich habe mich immer aufgebrezelt für die Nacht, während diese Mädchen auf ihren Knien rumrutschten und die Fußböden schrubbten. Meiner Meinung nach waren sie ziemlich krank im Kopf, dass sie so etwas mit sich machen ließen.

Wayne Kramer: Wir waren sexistische Bastarde. Wir waren nicht die Spur poli­tisch korrekt. Wir haben nur ständig die entsprechende Rhetorik angewendet und behauptet, dass wir revolutionär, modern und anders wären, aber in Wirk­lichkeit ging es uns nur darum, dass die Jungs die Mädchen ficken konnten und dass die sich hinterher nicht beklagten.

Und falls sich die Mädchen hinterher doch beklagten, wurden sie als bour­geoise und konterrevolutionäre Hexen abgestempelt. Wir haben uns wirklich wie die Arschlöcher aufgeführt.Wir haben es mit der freien Liebe ausprobiert,und als das nicht funktioniert hat, haben wir wieder den traditionellen Weg eingeschla­gen:„Nein, Liebling, ich habe unterwegs mit niemandem gevögelt. Und übrigens, ich muss zu einem Arzt für Geschlechtskrankheiten.“ Was das anging, war ich in unserer Band der Vizeweltmeister. Ich glaube, ich habe mir neunmal einen Trip­per eingefangen. Aber Dennis hat mich geschlagen – er hatte zwölfmal einen.

Danny Fields: Klar, ich dachte, diese Männerbündnisse wären sexy. Das war eine Welt, die ich vorher nicht kannte. Sicher, es gab da diesen Mythos, der durch den Beatles­Film Help entstanden war, wo man dachte, sie würden alle zusammen in diesen miteinander verbundenen Häusern wohnen. Bei unserer Band war es aber tatsächlich der Fall!

Also dachte ich, das wäre total verwegen. Ich dachte nur, sie wären die ero­tischsten Typen, die mir je begegnet sind. Ich dachte einfach nur, das ist ziem­lich verschroben! Ich meine, es gab da einen Verteidigungsminister, der mit einem Gewehr rumlief! Und der so ein Kugelding trug – einen Patronengurt! Mit echten Kugeln drin! Ich habe vorher noch nie einen Mann gesehen, der einen Patronengurt trägt. Sogar die Mädchen trugen so ein Teil. Und meinten es vollkommen ernst!

Wayne Kramer: Eines Tages lief ich auf unser Haus zu und ich hörte nur KABUMM! Und kurz darauf dieses Sirenengeheul nur ein paar Häuserblocks entfernt. In diesem Augenblick kam John Sinclairs Freund Pun auf seinem Fahr­rad angefahren und umarmte seine Freundin Genie auf zünftig revolutionäre Art.