Please Kill Me

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TEIL EINS: I WANNA BE YOUR DOG – 1967–1971

KAPITEL 1: POETRY? YOU CALL THIS POETRY?

Danny Fields: Wenn ich nicht gerade anderswo eine Nummer schob, bin ich jeden Abend ins Max’s Kansas City gegangen. Das war ein Restaurant mit Bar und lag zwei Häuserblocks von meiner Wohnung entfernt. Dort konnte man den ganzen Abend verbringen und sich immer wieder Kaffee holen. Den gab es umsonst. Denn man unterschrieb immer die Rechnung, aber bezahlte sie nie. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich so zwei­oder dreitausend Dollar offen hatte. In den Sechzigerjahren war das eine Menge Geld.

Einige meiner Freunde unterschrieben ihre Rechnungen auch schon mal mit „Donald Duck“ oder„Fatty Arbuckle“. Dort war es jedenfalls einfach wundervoll, all die Kellnerinnen waren wundervoll … und erst recht die Aushilfskellner.

Denn all diese Aushilfskellner konnte man ficken. Ich meine, natürlich nicht gerade vor Ort, aber später. Man konnte alles ficken, was das Restaurant betrat, weil sowieso jeder nur ins Hinterzimmer wollte. Man brauchte bloß zu sagen: „Du fickst mich jetzt, und ich besorge dir hinterher einen guten Platz an einem Tisch.“

Es ging sehr freizügig zu, aber es war kein Schwulenlokal. Zum Glück. Schwulenlokale fanden wir zum Kotzen. Schwulenlokale? Wer wollte schon in Schwulenlokale? Im Max’s konnte man alles ficken, was hereinkam, und das war das Tolle an dem Laden.

Leee Childers: Danny war Konzernfreak bei Elektra Records. Sein Job war es, zwischen den Konzernfritzen dieser dämlichen Plattenfirma und der Straße zu vermitteln. Leute wie ihn nannte man damals tatsächlich „Konzernfreak“. Er bestimmte für die Firma, was gut war und was nicht, vor allem aber, was cool war. Heute sind die Plattenfirmen immerhin so schlau, zuzugeben, dass sie nicht cool sind. In den Sechzigerjahren mussten sie einräumen, dass sie keine Ahnung hatten. Deshalb haben sie Leute angestellt, deren Job es war, cool zu sein. Eine großartige Idee.

Danny Fields: Sie stellten jemanden zu einem niedrigen Gehalt ein, der Schlag­hosen trug und Grass rauchte und im Büro LSD nahm – nämlich mich. Und ich habe in meinem Büro tatsächlich LSD genommen. Ich habe einfach nur rumgesessen und an dem Zeug geleckt. Meine Hände waren total orange.

Steve Harris: Ich arbeitete für Elektra und war mit Jac Holzman, dem Präsi­denten von Elektra, in Kalifornien, als er die Doors zum ersten Mal in seinem Leben im Whiskey gesehen hat. Als wir uns hinterher trafen, sagte er: „Ich habe eine wirklich interessante Band gehört, und ich glaube, ich werde sie unter Ver­trag nehmen.“ Und das tat er dann auch. Die Doors kamen dann nach New York und gaben ein Konzert im Ondine’s in der Achtundfünfzigsten Straße, da unten, unter der Brücke.

Danny Fields: Ich kann mich deshalb so gut daran erinnern, dass Morrison an diesem Abend „Light My Fire“ gesungen hat, weil es der einzige gute Song war.

Tom Baker: Ich saß mit Andy und seiner Entourage an einem langen Tisch in der Nähe der Bühne. Morrisons Freundin Pam Courson saß mir gegenüber und war total aufgeregt. Sie sagte: „Jim ist wirklich bestens vorbereitet auf das Kon­zert heute Abend.Vergiss diese Scheiße im Gazzari’s, heute Abend wirst du den wirklichen Jim Morrison erleben.“

Als ich Jim im Gazzari’s am Sunset Strip gehört hatte, war er zugedröhnt mit LSD gewesen und stockbesoffen. Sein Auftritt war völlig unspektakulär gewesen, bis auf den Moment, als er sich zu Beginn des Konzerts durch einen Song gestammelt hatte – und plötzlich aus tiefster Kehle einen markerschüt­ternden Schrei ausgestoßen hatte. Pam war total sauer auf ihn gewesen und hatte ständig auf mich eingeredet, dass ich ihn eben nicht in bester Verfassung erlebt hätte. Ich sagte ihr, er wäre ein guter Typ, aber er sollte aufpassen, dass er seinen Job nicht verliert.

Aber als er sein Konzert im Ondine’s beendet hatte, kam ich aus dem Stau­nen nicht mehr heraus. Ich schaute zu Pamela hinüber. Sie beugte sich zu mir vor und sagte: „Ich hab’s dir doch gesagt.“

Hinterher gaben die Doors eine Party in einem Club, um ihren Erfolg zu feiern. Nachdem die Party vorüber war, standen Jim und ich unten an einer Treppe, die zur Sechsundvierzigsten Straße hinaufführte. Es war schon spät, und in der Gegend wimmelte es von Bullen und allerlei merkwürdigen Gestalten. Plötzlich begann Morrison, leere Gläser die Treppe hinaufzuschmeißen.

Ich packte ihn am Arm und brüllte: „Bist du total übergeschnappt? Was soll der Scheiß?“ Aber er beachtete mich nicht, sondern schmiss einfach weiter Gläser die Treppe rauf und stieß dazu einen seiner markerschütternden Schreie aus. Ich hatte eigentlich erwartet, dass jetzt eine kleine Bullenarmee anrücken würde. Nach einem letzten Schrei und einem letzten Glas drehte sich Jim dann auf dem Absatz um und verschwand. Das hat mich ziemlich frustriert, weil ich ihm gern noch gesagt hätte, dass ich endlich jemanden getroffen hatte, der wirklich besessen ist.

Danny Fields: Ich musste am nächsten Tag sowieso in die Plattenfirma, also erzählte ich ihnen von diesem Song über Feuer und sagte: „Solltet ihr eine Single von den Doors planen, dann nehmt diesen Song.“ Aber sie meinten, der sei viel zu lang. Dann fingen noch andere Leute an, sie von dieser Idee zu überzeugen. Zuerst fanden sie, es wäre unmöglich, aber nachdem ihnen auch die Diskjockeys erklärt hatten, dass sie es mit einem potenziellen Hit zu tun hätten, allerdings ohne diesen prätentiösen Blödsinn in der Mitte, da wurden sie hellhörig. Es war ein echter Ohrwurm. Also schickten sie Paul Rothschild ins Studio und sagten ihm: „Paul, kürz den Song.“ Und Paul kürzte den Song. Man kann den Schnitt in der Mitte hören. Und es funktionierte und wurde ein Nummer­eins­Hit.

Steve Harris: Ich denke, Danny hatte Probleme mit Jim Morrison, weil Danny glaubte, er könnte Jim herumkommandieren. Im Castle in Kalifornien sind sie ziemlich aneinander geraten, als sich Jim an Nico ranmachte. Sie hingen im Castle rum, Jim war stockbesoffen und völlig stoned, und Danny hatte Angst, er würde sich zu Tode fahren, wenn er sich hinters Steuer setzte. Also nahm Danny die Schlüssel von Jims Auto an sich, und Jim hatte eine Mordswut auf Danny.

Danny Fields: Ich war in L. A. und wohnte im Castle, zusammen mit Edie Sedg­wick und Nico, die aus irgendeinem Grund, an den ich mich nicht mehr erin­nern kann, ebenfalls in Hollywood waren. Das Castle war ein zweigeschossiges Gebäude, das irgendeiner alten Hollywood­Tunte gehörte, die es an Rockbands vermietete. Alle waren schon mal dort – Bob Dylan, Jefferson Airplane und die Velvets. Der Besitzer hat den Schuppen vor allem an Rockbands vermietet, weil er in einem derartig baufälligen Zustand war, dass es wirklich keine Rolle mehr spielte, was darin passierte.

Kurz bevor ich in L. A. ankam, war ich in San Francisco gewesen, um die Doors im Winterland zu hören.Als ich nach dem Konzert hinter die Bühne ging, war Morrison von einem Haufen schlampiger und hässlicher Groupies umgeben. Ich fand, dass das seinem Image schaden würde. Deshalb beschloss ich, Morrison mit Nico zu verkuppeln. Es war ein „shiddach“, was Jiddisch ist und verkuppeln bedeutet. Ich wollte, dass er Nico kennen lernt und sich in sie verliebt und dass er lernen würde, mit was für Mädchen er seine Zeit verbringen sollte. Ich meine, für mich war das eine sehr nervenaufreibende Angelegenheit. Eigentlich war es wirk­lich nicht meine Aufgabe, mich in so was einzumischen, aber …

Ich habe Oliver Stone noch nie besonders respektiert, aber nachdem ich seine Version der Begegnung zwischen Morrison und Nico im Doors­Film – „Hallo, ich bin Nico, möchtest du mit mir ins Bett gehen?“ – gesehen habe, muss ich sagen, dass der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fiktion größer nicht hätte sein können.

In Wirklichkeit sind Morrison und ich uns in meinem Büro bei Elektra in Los Angeles begegnet, und er fuhr in seinem Leihwagen hinter mir her zum Castle. Morrison ging in die Küche. Nico war bereits da, und die beiden begannen ein­ander zu umkreisen. Dann starrten sie auf den Boden,und keiner von beiden sagte einen Ton. Sie waren beide zu poetisch, um in einem solchen Moment irgendwas zu sagen. Es war etwas sehr Langweiliges, Poetisches und Ruhiges, was sich zwi­schen den beiden abspielte. Sie haben auf Anhieb einen mystischen Pakt mitein­ander geschlossen – ich glaube, Morrison zog an Nicos Haaren und fing dann an, sich fürchterlich zu betrinken, und ich fütterte ihn mit allem, was von meinem Drogenvorrat noch übrig war und was Edie Sedgwick mir noch nicht geklaut hatte.

Damals bin ich nie ohne mein gut bestücktes Drogenköfferchen gereist. Mein Vater war Arzt, so hatte ich Zugriff auf Reds, Yellows, Blacks, Tuinal – auf alles, was das Herz begehrt. Seit ich allerdings in New York mit Edie zusam­menwohnte, wurde mir sehr schnell bewusst, was für eine raffinierte Klepto­manin sie war, besonders, wenn es um Drogen ging. Edie hatte einfach einen unbestechlichen Riecher für rezeptpflichtige Drogen. Also habe ich mich, sobald ich das Castle betrat und wusste, dass mir Edie den Rücken zukehrte – sie stand mit Dino Valenti in der Auffahrt und gab ihm Abschiedsküsse –, nach oben ver­zogen und meine Drogenvorräte sorgfältig an einem, wie ich annahm, sicheren Ort versteckt, nämlich unter einer Doppelmatratze im hinteren Zimmer.

Als ich später nachschauen ging, waren die Vorräte, wie nicht anders zu erwarten, natürlich enorm geschrumpft. Edie hatte alles entdeckt. Also nahm ich das bisschen Acid, das sie mir noch übrig gelassen hatte, und gab es Morri­son. Innerhalb kürzester Zeit war er stoned und stockbesoffen, wollte aber unbedingt mit dem Auto wegfahren.

Also zog ich den Schlüssel aus dem Zündschloss und versteckte ihn unter der Fußmatte in seinem Wagen. Ich hatte Angst, er würde in seinem besoffenen Zustand Auto fahren und sich womöglich über eine Klippe zu Tode stürzen und dass ich meinen Job bei Elektra los wäre. Immerhin wurde ich von Elektra bezahlt, und es hätte keinen guten Eindruck gemacht, den Leadsänger zu verlieren, weil ein Firmenangehöriger ihn mit Drogen voll gepumpt hat.Also kidnappte ich ihn.

 

Da es im Castle kein Telefon gab, saß er praktisch in der Falle. Morrison wusste, dass ich ihm die Schlüssel weggenommen hatte, aber er war so stoned … und ich bin dann irgendwann ins Bett.

Kaum war ich eingeschlafen, kam Nico in mein Zimmer gestürmt und schrie: „Hilfe, er will mich umbringen! Er will mich umbringen!“

Ich sagte: „Au, Nico, lass mich doch in Ruhe! Ich versuche zu schlafen!“

Sie schluchzte. Sie verließ mein Zimmer, und dann hörte ich sie schreien. Ich schaute aus dem Fenster auf den Innenhof und sah, dass Morrison sie nur an den Haaren riss, und ging wieder ins Bett. Dann kam David Numan, der ebenfalls im Castle wohnte, in mein Zimmer gestürmt und rief: „Nun unter­nimm doch mal was!“

Ich bin dann also wieder aus dem Bett. Nico stand in der Auffahrt und heulte immer noch, während Morrison im Mondschein splitternackt auf den Dächern rumturnte. Er sprang von einem Ecktürmchen zum anderen, während Nico unten heulte.

Ich legte mich wieder ins Bett, und die Lage der Dinge war: Er zog sie an den Haaren, er rannte nackt in der Gegend rum, sie schrie wie am Spieß, und ich habe für ein oder zwei Tage seinen Autoschlüssel versteckt, während er sich von seinem Drogenexzess erholte.

Selbstverständlich hasste er mich von dem Moment an, als ich ihn gekid­nappt hatte.

Nico: Ich stritt mit Jim. Er fragte mich, ob ich mit ihm auf dem Dach des Castle entlanglaufen würde. Ich fragte: „Wozu denn das?“ Aber Jim wusste keine Ant­wort.

Das war kein positiver Akt und auch kein destruktiver; es änderte näm­lich überhaupt nichts. Warum sollte ich also etwas tun, was so dermaßen sinn­los war, einfach nur, um ihm zu folgen? Das war weder spirituell noch philo­sophisch. Er war nur ein betrunkener Mann, der sich produzierte.

Ronnie Cutrone: Ich liebte Jim wirklich über alles, aber mit Jim durch die Bars zu ziehen war alles andere als lustig. Ich war mit ihm fast ein Jahr lang jeden Abend unterwegs. Wenn Jim ausging, lehnte er sich an die Theke, bestellte acht Screwdriver, schluckte sechs Tuinal, und dann musste er pissen. Weil er aber die restlichen fünf Screwdriver nicht einfach so stehen lassen konnte, holte er sei­nen Schwanz raus und fing an zu pissen, und dann kam auch schon ein Mäd­chen und blies ihm einen, und dann trank er die restlichen Screwdriver, nahm die übrigen vier Tuinal und pisste sich in die Hose, und dann kam Eric Emer­son und brachte ihn nachhause.

Das war eine typische Nacht mit Jim. Wenn er aber auf Acid war, dann sprühte er vor Witz und war einfach großartig. Aber die meiste Zeit war er nichts weiter als ein lausiger Pillenfresser.

Ray Manzarek: Jim war ein Schamane.

Danny Fields: Jim Morrison war ein gefühlloses Arschloch, ein obszöner, gemeiner Typ. Ich habe Morrison mit ins Max’s genommen, und er hat sich auf­geführt wie ein Monster. Wie ein Schwein. Und seine Poesie war echt Scheiße. Er hat den Rock ’n’ Roll als Literatur erniedrigt. Langweiliges Scheißgebrab­bel. Vielleicht hatte er ein oder zwei gute Bilder.

Patti Smith war eine Poetin. Ich glaube, sie hat den Rock ’n’ Roll zur Lite­ratur erhoben. Bob Dylan hat ihn zur Literatur erhoben. Morrison war dage­gen kein Poet. Das war nur Müll, der als Teeniescheiße verpackt daherkam. Das war vielleicht guter Rock ’n’ Roll für Vierzehnjährige.

Ich denke, dass Morrison als Person wesentlich mehr Magie und Kraft hatte als seine ganze Poesie. Er war größer als das. Er hatte definitiv mehr Sex als seine Poesie – als Performer war er viel mysteriöser, viel komplizierter und viel cha­rismatischer. Es musste schon einen Grund dafür geben, weshalb Frauen wie Nico und Gloria Stavers, die Herausgeberin der Zeitschrift 16, so heftig in ihn verliebt waren, denn er war Frauen gegenüber immer extrem obszön.

Aber das hatte ganz bestimmt nichts mit seiner Poesie zu tun. Nein, an sei­ner Poesie lag es bestimmt nicht. Er hatte einen großen Schwanz, und ich denke, das war der Grund.

Gerard Malanga: Ich lief die Achte Straße entlang und hörte, wie zwei Mäd­chen hinter mir tuschelten.„Ist das nicht Jim Morrison?“ Hahaha. Ich hätte am liebsten gesagt: „Nein, dazu habe ich einen viel zu kantigen Kiefer.“ Ich fühlte mich ein wenig unterlegen, aber im Grunde war es mir wirklich egal.

Danny Fields: Der ultimative Rockstar ist ein Kind. Wie kann man nicht von allem, was einem begegnet, verdorben werden? Was das Leben für die meisten Rockstars bereithält, ist im Grunde nichts als Verderbtheit, Herumgestoßen­werden, Ausbeutung, Verschleiß und Ruin. Und was passiert, wenn du Fett ansetzt, wie es Jim Morrison passierte? Dann siehst du nicht mehr hübsch aus in deinem Bühnenaufzug.

Als Jim Morrison im Winter 1966 das erste Mal hier auftauchte, sah er rich­tig gut aus. Und auch 1967, als das erste Album erschien, sah er noch blendend aus. Da war er noch in Hochform. Ein Jahr später wurde er zum Teenageridol und legte plötzlich massiv an Gewicht zu. Seine Gene hatten leider die unan­genehme Eigenschaft, alles Gewicht in seine Backen zu verlagern, wodurch seine Augen, die sowieso nie sehr groß waren, fast komplett verschwanden. Dann ließ er sich einen Bart wachsen und wurde fett, alkoholabhängig und verschlampte.

Deshalb dachte ich nur: Schickt mir jemand Neues. Serviert mir den Kopf von diesem hier auf einem Tablett. Schickt mir einen Neuen.

KAPITEL 2: THE WORLD’S FORGOTTEN BOYS

Ron Asheton: Mein jüngerer Bruder Scotty und unser Nachbar Dave Alexan­der waren durch und durch Punks. Ich war einfach nur ein verrückter Bengel. In der Schule war ich entweder der Vollidiot oder der Knallkopf oder der Freak, und irgendwann fingen sie sogar an, mich als „Fat Beatle“ zu beschimpfen, weil ich bei offiziellen Anlässen immer Anzüge wie die Beatles trug.

Viele Freunde hatte ich nicht. Meistens habe ich mich mit irgendwelchem Nazizeug beschäftigt. Ich habe Deutsch gelernt und Hitler­Reden geschwungen. Ich bin mit SS­Abzeichen in die Schule gegangen und habe all meine Bücher mit Hakenkreuzen voll geschmiert, ich habe überall Gesichter mit Hitlerbärt­chen verziert und mir SS­Runen auf den Arm gemalt. Man kann also nicht gerade behaupten, dass ich mit Leib und Seele so ein Punkrowdy war wie Scotty und Dave.

Wir konnten uns einfach nicht anpassen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir mal versuchten, wieder zur Schule zu gehen. Ich habe mit Scotty und Dave Wetten abgeschlossen, wie lange sie es dort aushalten würden. „Dave, du hältst es vielleicht drei Stunden aus, Scotty, du schaffst vielleicht einen halben Tag, und ich vielleicht einen ganzen.“

Dave drehte sich zu mir um, er hatte eine Jumbodose Colt­45­Bier in der Hand. Er hatte bereits zwei von den Dingern gekippt. Es muss so gegen neun Uhr morgens gewesen sein, und Dave meinte: „Die Wette hast du schon ver ­loren, ich verpiss mich nämlich jetzt sofort.“

Scotty wollte unbedingt von der Schule fliegen, also ging er auf einen Mit­schüler los, der an seinem Spind stand, packte ihn am Oberarm und drang­salierte ihn mit einer spitz zulaufenden Kombizange. Der ist natürlich sofort zum Direktor gerannt, und dann hörten wir’s auch schon über die Lautspre­cheranlage: „Scott Asheton, sofort ins Direktorzimmer kommen!“ Er ging hin und wurde auf der Stelle von der Schule geschmissen.

Iggy Pop: Diese Typen waren die faulsten, kriminellsten Gammlerschweine, die man sich nur vorstellen kann. Ein wirklich verrottetes und von ihren Müt­tern verzogenes Pack. Scotty Asheton – der war schon als Jugendlicher krimi­nell. Sein Vater war gestorben, seiner und Rons, also herrschte bei ihnen zuhause nicht sehr viel Disziplin … Ich meine, Dave Alexander und Ron Ashe­ton haben die Schule geschmissen und sind nach Liverpool gegangen, um in der Nähe der Beatles zu sein.

Ron Asheton: Dave Alexander und ich waren ganz versessen auf irgendwel­che Bands. Wir haben immer nur rumgesessen und uns Platten angehört und über die Beatles und die Stones gesprochen. Wir hatten sogar selbst eine Band – oder so etwas Ähnliches wie eine Band. Wir nannten uns The Dirty Shames. Wir spielten immer zu den Platten und sagten dann: „Wir sind großartig!“ Dann nahmen wir die Platten vom Teller und meinten: „Tja, so großartig sind wir nun auch wieder nicht.“

Wir haben das Gerücht in die Welt gesetzt, wir wären eine richtig gute Band, obwohl wir nie aufgetreten sind. Und dann sind wir tatsächlich einmal zu Discount Records bestellt worden, um diesen Typen zu treffen, der das erste Rolling­Stones­Konzert im Olympiastadion in Detroit promotet hat. Er wollte die Dirty Shames als Vorgruppe für die Stones. Wir waren alle furchtbar auf­geregt, bis wir realisierten: „Hilfe, wir können ja überhaupt nicht spielen!“ Also haben wir dem Typen gesagt, dass wir da gerade in L. A. zum Vorspielen seien.

Kurze Zeit darauf erzählte mir Dave, dass er nach England gehe: „Habt ihr Lust, mitzukommen?“ Also habe ich mein Motorrad verkauft. Ich hatte eine Honda 305, die ich mir anstelle eines Autos gekauft hatte, als ich meinen Führerschein gemacht hatte. Also haben wir das Motorrad verkauft und sind nach England geflogen.

Dort haben wir uns The Who im Cavern angehört. Die Leute standen dicht gedrängt wie die Ölsardinen. Wir haben uns bis ungefähr drei Meter vor der Bühne durch die Menschenmenge gequetscht, und dann fing Pete Townshend an, seine zwölfsaitige Rickenbacker zu zertrümmern.

Das war meine erste Begegnung mit dem totalen Chaos. Es sah aus, als würde ein überdimensionaler Hundehaufen aus Menschen versuchen, sich Teile von Townshends Gitarre zu schnappen, und als die Leute versuchten, auf die Bühne zu klettern, schwang er seine Gitarre über ihren Köpfen. Das Publikum jubelte nicht, sondern es hörte sich viel eher an wie tierische Geräusche, wie ein Geheul. Im Saal herrschte inzwischen eine ziemlich primitive Atmosphäre – als hätte man einer halb verhungerten Horde von Tieren, die seit einer Woche nichts mehr zu fressen bekommen hat, einen Fleischfetzen hingeworfen. Ich bekam einfach Schiss. Mit Spaß hatte das für mich nichts zu tun, aber faszinie­rend war es trotzdem. Es herrschte eine Atmosphäre wie „Das Flugzeug brennt, das Schiff sinkt, da können wir uns auch gegenseitig die Köpfe einschlagen!“. Ich hatte noch nie erlebt, dass Leute dermaßen durchgedreht sind – diese Musik konnte die Leute zu unglaublichen Extremen treiben. Das war der Moment, an dem mir klar wurde: Das ist genau das, was ich auch machen will.

Als wir wieder zuhause waren, sind Dave und ich von der Schule geflogen, weil wir so lange Haare hatten. Ich hatte mir außerdem gigantische Koteletten wachsen lassen und trug kniehohe Beatles­Stiefel aus schwerem Leder mit klobigen Absätzen, dazu eine Lederweste und einen Rollkragenpullover. Der Rektor war völlig außer sich:„Das geht entschieden zu weit.“ Also sagte ich mir: „Leckt mich am Arsch“, und hing ab sofort vor Discount Records rum, wo Iggy arbeitete.

1966 hieß Iggy noch Jim Osterberg, und als ich ihn auf der Highschool kennen lernte, war er immer noch ein anständiger Junge. Er traf sich mit den anständigen Mitschülern, die Bundfaltenhosen, Kaschmirpullis und Slipper tru­gen. Iggy rauchte keine Zigaretten, nahm kein Rauschgift und trank nicht. Nach der Schule arbeitete er im Laden von Discount Records, und zu der Zeit lernte ich ihn näher kennen. Damals hingen auch mein Bruder Scott und Dave Alex­ander vor dem Plattenladen rum und spuckten vorüberfahrende Autos an.

Wayne Kramer: Eine bemerkenswerte Eigenschaft an Scotty Asheton, die ich unbedingt erwähnen möchte, ist, dass er ein couragierter Kämpfer ist. Einmal hat er mir und Fred Smith den Arsch gerettet.

Eines Abends sind wir nach Ann Arbor, weil wir Iggy hören wollten, der bei den Prime Movers Schlagzeug spielte – das war eine Bluesband, die wirk­lich viel eklektisches Zeug brachte. Iggy war zweifellos der beste Schlagzeuger in ganz Ann Arbor. Er war einfach nicht zu toppen.

Damals habe ich mir mein Haar immer noch nach hinten gekämmt, ich hatte mich noch nicht mit der neuen Haarmode angefreundet. Fred hatte seine Haare nach vorn gekämmt, und sie hingen ihm fast bis über die Ohren, was für damalige Verhältnisse extrem lang war. Wir waren völlig friedlich und haben der Band zugehört, als plötzlich eine Gruppe von Verbindungstypen auf Fred zugingundanfing,ihmandenHinterkopf zuschlagen,undihnfragte:„Bistdu nun ein Junge oder ein Mädchen?“

 

Sie waren eindeutig in der Überzahl, und ich dachte mir:„Scheiße, da sind nur Fred und ich, da wird es höchstens zwei Minuten dauern, und die Typen haben uns kaltgemacht. Das sieht aber überhaupt nicht gut aus für uns.“

In dem Moment, als es wirklich brenzlig wurde, kam Scotty Asheton zu uns rüber. Er packte sich einen dieser Typen und beförderte ihn mit einem einzigen Arschtritt quer über die Tanzfläche, und dann sagte er zu diesem Typen, er solle gefälligst die Finger von uns lassen, weil wir seine Freunde wären.

Ich meine, ich war vollkommen verblüfft, so nach dem Motto:„Hey, Mann, super!“ Dabei kannte ich ihn praktisch gar nicht. Ich wusste nur, dass Scotty der Bruder von einem Mädchen war, mit dem Fred sich manchmal traf.

Kathy Asheton: Ich sah Iggys Band The Prime Movers zum ersten Mal in Ann Arbor in einem Club namens Mother’s. Ich war vierzehn und immer noch Jung­frau. Am Tag darauf traten die MC5 auf. Sie kamen aus Detroit, und kein Mensch kannte sie. Die MC5 waren typische Rowdys aus Detroit. Widerliche Typen. Wayne Kramer hatte total eingefettetes Haar, aber Fred hatte lange Haare, was damals eher selten war. Ich habe mich auf der Stelle in Fred verliebt. Und er kam tatsächlich von der Bühne herunter und fragte mich, ob ich Lust auf einen langsamen Tanz hätte, während der Rest der Band einfach weiter­spielte. Ich antwortete ihm: „NEIN!“

Fred war von meiner Antwort irgendwie ein wenig verblüfft, denn insge­heim hatte er wohl gedacht, ich würde vor Freude in die Luft springen. Aber er konnte mich trotzdem zu einem Tanz überreden – zu einem langsamen Tanz.

Wayne Kramer: Es hatte uns bereits in den verschiedensten Formationen gege­ben, bevor wir als MC5 bekannt wurden. Fred und ich hatten in Lincoln Park, einem Vorort von Detroit, in miteinander verfeindeten Bands gespielt. Freds Band nannte sich The Vibratones, und meine hieß The Bounty Hunters, die sich nach Conrad Collettas Dragster benannt hatte.

Wir alle teilten eine Leidenschaft für frisierte Autos und aufgemotzte Moto­ren. Ich habe an der Dragster­Piste sogar einen Job als Eiscremeverkäufer ange­nommen – „EISKALT, EISKALTE EISCREME!“, einfach nur, um jede Woche dort sein zu können. Dragster­Rennen lagen uns im Blut. Die waren nämlich laut und genauso schnell wie die Musik.

Diese gegenseitige Befruchtung von Dragster­Rennen und Rock ’n’ Roll ist witzig:Mein erstesRock ’n’Roll­Livekonzertfand an einerDragster­Pistestatt. Es war Del Shannon, der von so ’ner Instrumentalband aus Detroit namens The Ramrods begleitet wurde. Alle trugen denselben roten Blazer, sie hatten eine nagelneue Fender­Ausrüstung und machten choreografierte Tanzschritte auf der Rücklaufbahn der Dragster­Piste. Damals dachte ich, das wär das Coolste, was ich je gesehen habe.

Fred Smith und ich gründeten kurz darauf eine super Gruppe, die wir mit den besten Musikern aus unseren beiden Bands besetzten. Später kam noch Rob Tyner dazu, ein Beatniktyp. Von ihm stammt auch der Name MC5. Rob fand, das würde sich anhören wie eine Seriennummer – es passte also hervorragend zum Leben zwischen Autofabriken.

Immerhin kamen wir aus Detroit, und die MC5 hörten sich an, als wären sie auf dem Fließband entstanden. Und wir hatten diesen Jugendkriminellen­Look, diesen Automechaniker­Look. Wir hatten unser Haar zu einer Tolle zurückgekämmt und trugen hautenge Hosen.

Kathy Asheton: Nach dem MC5­Konzert im Mother’s fuhr mich Fred Smith nachhause. Ich war damals mit einer Freundin unterwegs, die bei mir über­nachtete, also bat ich sie, schon mal ins Haus zu gehen, weil ich noch ein wenig mit Fred allein sein wollte.

„Sag einfach, ich käme gleich.“

Fred entpuppte sich als sagenhaft guter Küsser. Er war vermutlich der beste Küsser, den ich je hatte.

Meine Brüder flippten natürlich aus, dass ich mit einem fremden Typen draußen rumstand. Meine Mutter hatte es auch mitbekommen und war außer sich. Ich war ja erst vierzehn. Aber als Fred mich an die Tür brachte, kam mein Bruder Ronny raus. Ronny hatte damals lange Haare und Fred ebenfalls, und sie verstanden sich auf Anhieb: „Ist schon in Ordnung.“

Aber ich war völlig aus dem Häuschen. Ich war in Fred verschossen wie ein kleines Mädchen. Ich hatte definitiv ein Auge auf ihn geworfen.

Ron Asheton: Nachdem Dave und ich aus England zurück waren, spielte ich in dieser Band, The Chosen Few, und als sich die Band nach der Highschool auflöste, spielte ich bei The Prime Movers, bei denen Iggy Drummer war.

Aber ich wurde gefeuert. Später arbeitete ich dann als Roadie für sie, und manchmal durfte ich bei einigen Stücken auch schon mal mitspielen. Iggy ver­ließ die Band ziemlich bald. Er hatte entschieden, dass Sam Lay, der berühmte schwarze Bluesdrummer, sein Mentor werden sollte, und ging deshalb nach Chicago.

Iggy Pop: Nachdem ich die Paul Butterfield Blues Band und John Lee Hooker und Muddy Waters und sogar Chuck Berry seine eigenen Stücke hatte spielen hören, konnte ich unmöglich zurück und die Musik dieser Briteninvasion hören, eine Band wie die Kinks zum Beispiel. Die Kinks waren wirklich groß­artig, keine Frage, aber wenn man jung ist und herauszufinden versucht, wo seine Eier sind, kam man leider sehr schnell zu der Feststellung, dass diese Jungs wie Mösen klangen.

Ich habe versucht, aufs College zu gehen, aber das hat leider nicht funk­tioniert. Ich hatte Mike Bloomfield, den Gitarristen von Paul Butterfield, ken­nen gelernt, und der sagte mir: „Wenn du wirklich Musik machen willst, musst du nach Chicago gehen.“ Also bin ich mit neunzehn Cent in der Tasche nach Chicago gegangen.

Ein paar Mädchen, die bei Discount Records arbeiteten, nahmen mich im Auto mit. Die haben mich dann bei einem Typen namens Bob Koester abge­setzt. Bob war Weißer und der Betreiber vom Jazz Record Mart. Ich pennte dort, und dann ging ich raus in die Gegend, in der Sam wohnte. Ich war der einzige Weiße dort. Das war irgendwie beängstigend, aber andererseits auch ein Reise ­abenteuer – all diese kleinen Schallplattenläden und Voodoo­Amulette und die Leute in ihren bunten Klamotten. Ich ging zu Sams Adresse, und seine Frau war sehr erstaunt, dass ich nach ihm suchte. Sie sagte: „Er ist leider nicht zuhause, aber möchten Sie vielleicht ein Brathähnchen?“

So lernte ich Sam Lay kennen. Er spielte zusammen mit Jimmy Cotton, und ich beobachtete sie beim Spielen und versuchte, so viel wie möglich von ihnen zu lernen. Und hin und wieder durfte ich sogar mitspielen, ich hatte dann einen billigen Gig für fünf oder zehn Dollar. Einmal habe ich für Johnny Young gespielt – er war von einem weißen Kirchenchor angeheuert worden. Viel Gage verlangte ich nicht, also ließ er mich mitspielen.

Das hat mir den totalen Kick gegeben. Es war total aufregend, in so unmit­telbarer Nähe von diesen Typen zu sein, die alle ein spezielles Auftreten, eine spezielle Sprache hatten. Was mir bei diesen schwarzen Jungs besonders auf­gefallen ist, war, dass ihnen ihre Musik einfach so aus den Fingern floss. Rich­tig kindhaft und charmant in ihrer Einfachheit. Einfach eine sehr natürliche Art, wie sie ihren Lebensstil zum Ausdruck brachten. Sie waren ständig betrun­ken und führten sich nicht wie die üblichen Sexprotze auf, sondern waren ein­fach nur Jungs, die keine Lust zum Arbeiten hatten, sondern lieber gute Musik machen wollten.

Mir wurde schnell klar, dass mir diese Typen haushoch überlegen waren und dass das, was sie da machten, so vollkommen natürlich daherkam und dass es für mich völlig absurd gewesen wäre, wenn ich sie einfach nur kopiert hätte, so, wie es die meisten weißen Bluesbands taten.