Please Kill Me

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Paul Morrissey: Während unseres Aufenthalts in L. A. sind wir in ein Tonstu­dio gegangen und haben unser erstes Album aufgenommen. Dieses Album war in zwei Nächten fertig und hat ungefähr dreitausend Dollar gekostet, was damals eine Menge Geld war. Andy hatte noch nie für etwas so viel Geld aus­gegeben. Die Warhol­Filme haben alle nur ein paar hundert Dollar das Stück gekostet. Andy dermaßen viel Geld aus dem Kreuz zu leiern war für mich …

Andy Warhol: Während der ganzen Zeit, als das Album aufgenommen wurde, schien niemand mit dem Ergebnis so richtig glücklich zu sein, vor allem Nico nicht.„Ich will, dass es wie Bawwwhhhb Deee­lahhhn klingt“, jammerte sie und war völlig verzweifelt, weil es nicht klappen wollte.

Lou Reed: Andy versuchte immer wieder sicherzugehen, dass die Sprache auf unserem ersten Album authentisch blieb. Ich glaube, dass es Andy vor allem darum ging, die Leute zu verblüffen und zu schocken und zu verhindern, dass wir uns bequatschen ließen und Kompromisse eingingen. Er sagte: „Ihr müsst unbedingt darauf bestehen, dass die schmutzigen Wörter drinbleiben.“ In dem Punkt war er völlig unnachgiebig. Er wollte nicht, dass irgendwelche schmut­zigen Wörter rausgeschnitten wurden, und weil er ständig dabei war, passierte das auch nicht. Und als Konsequenz daraus wussten wir sehr schnell, was es bedeutet, sich nicht beirren zu lassen.

Iggy Pop: Zum ersten Mal habe ich die Platte von Velvet Underground und Nico auf einer Party auf dem Campus der University of Michigan gehört und habe den Sound auf Anhieb gehasst und mir gedacht: „WIE IST ES BLOSS MÖGLICH, DASS JEMAND EINE PLATTE MACHT, DIE SICH WIE EIN RIESENGROSSES STÜCK SCHEISSE ANHÖRT? MANN, IST DAS EKEL­HAFT! ALL DIESE LEUTE MACHEN MICH VERDAMMT KRANK! DIESES VERDAMMTE HIPPIE­GESOCKS! VERDAMMTE BEATNIKS! DENEN WÜRDE ICH AM LIEBSTEN ALLEN DEN HALS UMDREHEN! DAS KLINGT JA WIE DER ALLERLETZTE SCHROTT!“

Und dann, sechs Monate später, bin ich total drauf abgefahren. „O mein Gott! WOW! Das ist einfach eine verdammt gute Platte!“ Die Platte wurde für mich zum Schlüsselerlebnis, nicht wegen dem, was sie aussagte, und weil sie großartig war, sondern weil ich andere Leute hörte, die ebenfalls gute Musik machen konnten – ohne dass sie herausragende Musiker waren. Das gab mir Hoffnung. Das war dasselbe wie damals, als ich Mick Jagger zum ersten Mal singen hörte. Er kann nur eine Note singen, es hat überhaupt keinen Klang, und er singt einfach nur „Hey, well baby, baby, I can be oeweowww …“ Jeder Song ist gleich monoton, und es ist einfach nur dieses Kindergeschwätz. Bei den Velvets war es genauso. Der Sound war ziemlich billig und trotzdem ziem­lich gut.

Paul Morrissey: Bei Verve/MGM wusste man nicht, was sie mit dem Album Velvet Underground and Nico anfangen sollten, weil es einfach sehr merkwür­dig war. Sie haben es auch nach einem Jahr noch nicht veröffentlicht, und ich glaube, dass sich in dieser Zeit in Lous Kopf der Gedanke manifestiert hat, dass das Album bald erscheinen und eine Menge Geld abwerfen würde. „Also lasst uns aus dem Vertrag mit Andy und Paul aussteigen.“ Tom Wilson von Verve/MGM hat mir das Album nur wegen Nico abgekauft. Bei Lou konnte er überhaupt kein Talent entdecken.

Sterling Morrison: Mit Nico gab es von Anfang an nur Scherereien, weil es nur soundso viele Songs gab, die zu ihr passten, und sie wollte sie alle singen – „I’m Waiting For The Man,“ „Heroin“, einfach alles. Und dann fing sie an, innerhalb der Band unterschwellig sexuell aktiv zu werden. Wer immer einen auch nur kleinen Einfluss auf den Gang der Ereignisse hatte, dem heftete sich Nico an die Fersen. Sie trieb es zuerst mit Lou und dann mit Cale, aber keine dieser Affären dauerte sehr lange.

Ronnie Cutrone: Nico war einfach zu sonderbar, als dass man mit ihr eine län­gere Beziehung hätte haben können. Sie war keine von den Frauen, mit der man zusammenlebt oder die man liebt oder mit der man spielt oder mit der man seine Zeit verbringt. Nico war wirklich sonderbar. Sie war einerseits sehr unter­kühlt und reserviert, aber andererseits so unsicher, dass es lästig war.

Nico war total uncool, weil sie nie aus dem Haus gehen konnte, ohne vor­her hundertmal in den Spiegel zu schauen: „Ronnie, wie sieht das aus?“ Und dann machte sie ein paar kleine Tanzschritte, und ich sagte ihr nur:„Verdammt noch mal, Nico, geh doch einfach tanzen.“ Sie war zwar eine Eisprinzessin, aber trotzdem hinreißend, eine richtige Killerblondine. Aber Nico war wirklich eine verdammt merkwürdige Nummer, anders kann man es nicht bezeichnen. Schön, aber äußerst merkwürdig. Zu Nico konnte man einfach keine Beziehung haben. Und Lou ging Nicos Gegenwart enorm gegen den Strich, denn Lou wollte derjenige sein, der Velvet Underground verkörpert, und er wollte Rock ’n’ Roll machen. Lou hatte dieses Auf­Kunst­Machen gründlich satt. Er wollte den unverfälschten Rock ’n’ Roll. Genug war genug.

Die Velvets wurden nicht im Radio gespielt. Es gab keine großen Schall­plattenverträge. Aber das war nicht Andys Schuld, wenn man bedenkt, wovon die Songs handeln, nämlich von Heroin und von Matrosen, die tot am Boden liegen. Ich meine, es lag doch auf der Hand, dass „Venus In Furs“ nicht im Radio gespielt wurde!

Nico: Velvet Underground setzten sich aus lauter Egomanen zusammen. Jeder wollte ein Star sein. Ich meine, Lou wollte immer der Star sein – was er ja natür­lich auch immer war. Aber die Zeitungsfritzen kamen die ganze Zeit immer nur zu mir. Ich wollte immer „I’m Waiting For The Man“ singen, aber Lou ließ mich nicht. Lou war der Boss und ließ das immer raushängen. Habt ihr Lou mal ken­nen gelernt? Was haltet ihr von ihm – ist er sarkastisch? Das liegt nur daran, dass er ständig diese Pillen frisst – an diesem Pillencocktail, den er immer frisst … Er ist schnell, ungeheuer schnell. Ich hingegen bin sehr langsam.

Ronnie Cutrone: Man darf vor allem nicht vergessen, dass wir neun Tage die Woche auf Methedrin waren. Und ich selbst weiß bis heute nicht, wie es wirk­lich war, denn wenn du neun Tage am Stück auf den Beinen bist, kann einfach alles passieren, dann wird die Paranoia so massiv, dass du sie mit der Axt spal­ten kannst. Und so staute sich die ganze Wut über Monate, vielleicht sogar über Jahre. Ich werde nie den Abend vergessen, an dem wir schlechtes Speed erwischt haben. Wir sind dann allerdings trotzdem aufgetreten und haben später her­ausgefunden, dass jeder vom anderen dachte, er wollte einem eins auswischen. Während „Venus In Furs“ habe ich meine Peitsche normalerweise immer auf den Boden geschmissen, und Mary hat sich ihr dann mit Tanzbewegungen genähert, aber an diesem Abend, als ich meine Peitsche auf den Boden geschmis­sen habe, ist Mary draufgetreten, und ich konnte sie nicht unter ihren Füßen wegziehen. Gerard machte genau dasselbe, und jeder dachte, dass der andere einem eins auswischen wollte.

Das war nicht untypisch. Es hieß häufig: „Ich weiß, dass der und der hin­ter meinem Rücken schlecht über mich redet.“ Oder: „Er versucht dies und das.“ Oder: „Er versucht ständig, mir eins auszuwischen.“

Jeder buhlte um Andys Aufmerksamkeit. Es herrschte ständig dieses sub­lime und manchmal eben nicht sehr sublime Klima von Rivalität und schwe­rer, wirklich sehr schwerer Paranoia. Ich meine, wir waren neun Tage nonstop auf den Beinen, das Nervenkostüm wurde immer dünner, alles im Zimmer bewegte sich, man stieg durch nichts mehr durch, und eine beiläufige Bemer­kung bekam plötzlich eine irrsinnig tiefe Bedeutung und wurde so wichtig wie der Kosmos. Das macht einen natürlich ganz schön fertig.

Danny Fields: Ich habe Lou und John immer wieder gepredigt: „Ihr wisst ganz genau, dass ihr für so was viel zu schade seid. Wieso versucht ihr es nicht als Band?“ Ich dachte dabei an die visuellen Effekte von Exploding Plastic Inevitable und fand sie richtig bescheuert und völlig daneben. Barbara Rubins Diapro­jektionen fand ich ebenfalls blöd und total daneben. The Exploding Plastic Ine­vitable war die reinste Kindergartenscheiße und hatte auch nicht ansatzweise die Aussagefähigkeit der Musik. An der Musik war wirklich überhaupt nichts auszusetzen. Wäre die Lightshow ebenso gut gewesen wie die Musik, ja dann vielleicht, aber das war sie nun mal nicht – Lichtpunkte und Filme, ich meine, was soll das? Deshalb dachte ich, dass die Velvets sich besser als Band machen würden, aber ich vermute, dass sie sich unter Andys Fittichen sicher gefühlt haben, weil ihnen das Möglichkeiten eröffnete, die sie sonst vielleicht nicht gehabt hätten. Als ich Lou und John sagte, dass ich sie bei weitem besser fände als dieses Exploding Plastic Inevitable, haben sie geantwortet:„Aber Andy behan­delt uns immer anständig. Wieso sollten wir ihn im Stich lassen?“

John Cale: Andy war ein prima Katalysator. Egal, mit wem er zusammen­arbeitete, er nahm sich ihrer an und rückte jeden ins rechte Licht. Es wurde allerdings mühsam, als er begann, das Interesse an unserem Projekt zu verlie­ren. Wir tourten durch die ganzen USA, aber Andy hatte plötzlich das Interesse verloren, und innerhalb der Band machten sich unerträgliche Spannungen breit. Vor allem, weil es schon an Manie grenzte, wenn man mit siebzehn Leu­ten und einer Lightshow und allem auf Tournee geht und dann noch nicht ein­mal genug Geld damit verdient. Der einzige Grund, weshalb wir genug Geld bekamen, war der, dass Andy dabei war.

Paul Morrissey: Lou hatte sich eigentlich schon von der Band gelöst, noch bevor das Album Velvet Underground and Nico erschienen war, und verkündete, er wolle aus dem Vertrag aussteigen, weil er sich professionellere Manager suchen wollte. Professionellere Manager? Hätte ich nicht interveniert, wären sie zurück nach Queens gegangen und in der Versenkung verschwunden.

Lou Reed: Andy war außer sich. Ich habe Andy nie wütend erlebt, außer an diesem Tag. Er war richtig in Rage. Er lief puterrot an und hat mich als Ratte beschimpft. Das war das Mieseste, was ihm einfallen konnte. Mir kam es vor, als hätte ich das Nest verlassen.

 

Paul Morrissey: Andy fühlte sich nicht mehr wohl in seiner Haut, wenn Lou Reed in der Nähe war. Aber Andy fühlte sich bei keinem wohl in seiner Haut – aber in Lou Reeds Gegenwart fühlte er sich noch tausendmal unwohler, denn für ihn war Lou ein doppelzüngiger, unzuverlässiger und raffgieriger Typ. Somit ist jede Konfrontation, die Lou als etwas zwischen ihm und Andy herunterspielt, ein pures Hirngespinst. Andy sagte immer: „Oh, da kommt schon wieder die­ser Lou, seht bloß zu, dass der ganz schnell wieder verschwindet. Sagt ihm, ich bin nicht da.“ Andy wollte mit Leuten wie ihm einfach nichts zu tun haben. Und ich kann ihm da keinen Vorwurf machen. Ich habe mich immer für Andy mit Lou herumschlagen müssen, aber Lou hat sich immer über alles hinweggesetzt.

John Cale: Lou fing an, äußerst komisch zu werden. Er hat diesen falschen Hund Steve Sesnick angeschleppt. Der sollte unser Manager werden. Es dauerte nicht lange, und jeder intrigierte gegen jeden. Lou bezeichnete uns als seine Band, und Sesnick versuchte, für Lou eine Solokarriere zu lancieren. Gut mög­lich, dass sich Lou durch seinen damaligen ständigen Drogenkonsum so nega­tiv verändert hat. Geholfen hat es ihm letztlich nicht.

Ronnie Cutrone: Ich kann mich noch gut erinnern, als wir uns als The Explo­ding Plastic Inevitable aufgelöst haben. Wir sind im Scene aufgetreten. Damals konnte niemand richtig tanzen. Wenn wir auf der Bühne getanzt haben, konnte man merken, wie uns das Publikum beobachtet hat, als wollten sie sagen: „Oh, wow, cool.“ Aber nach fünfzig oder einhundert Auftritten mit EPI hatte das Publikum den Bogen raus.

Die Bühne im Scene war wirklich sehr niedrig, und ganz plötzlich traten wie aus dem Nichts ungefähr fünf oder zehn Leute auf die Bühne und mach­ten mit. Mary und ich schauten uns bloß an, als wollten wir sagen: „Das war’s dann wohl, oder?“

Ich war eigentlich ziemlich erleichtert. Ich hatte damals eine Freundin und konnte mir diesen Groupie­Lifestyle nicht länger erlauben. Ich trug damals acht Fingerringe und hatte immer einen Ochsenziemer um die Hüften geschlungen, so eine Peitsche mit einem kurzen Griff und einer extrem langen, geflochte­nen Lederschnur. Also ging ich hinter die Bühne, streifte mir die Ringe von den Fingern und warf sie aus dem Fenster, nahm den Ochsenziemer von der Hüfte und warf ihn ebenfalls aus dem Fenster. Dann drehte ich mich zu meiner Freun­din um und sagte: „Ich liebe dich. Ab sofort ist Schluss mit diesem Theater.“ Vermutlich hat sie sich gesagt: „Wunderbar, ab jetzt gehört er nur noch mir allein. Jetzt können wir endlich nachhause gehen und uns in aller Ruhe unsere Schüsse setzen.“

Ed Sanders: Wenn man seine Sache für die Gosse öffnet, wird es problematisch. Ich finde, das ist dasselbe, als würde man sich mit Satanismus beschäftigen oder mit bestimmten Lebensstilen oder Drogen experimentieren, die das Bewusstsein erweitern. Ich meine, ich bin kein religiöser Mensch, aber wenn du dem Raum gibst, hat es dich ganz schnell in der Hand. Da sollte man vorsichtig sein.

Das Problem bei den Hippies war immer, dass sich innerhalb dieser Gegen­kultur sofort Feindseligkeiten entwickelt hatten zwischen denen, die auf etwasVer­gleichbares wie ein Vermögen zurückgreifen konnten, und denen, die sich auf eigene Faust durchschlagen mussten. Es stimmt, dass die Schwarzen im Sommer der Liebe 1967 gegen die Hippies einen gewissen Groll gehegt haben, weil diese Kids in ihren Augen nichts anderes taten, als Blumenmuster in ihre Notizblöcke zu zeichnen,Räucherstäbchen abzufackeln und Trips zu fressen, aber jederzeit wie­der aussteigen konnten, wenn ihnen danach war. Sie konnten jederzeit nachhause zurückkehren. Sie konnten ihre Mama anrufen und sagen:„Mama, hol mich hier raus.“ Wohingegen es für jemanden, der in einer Mietskaserne auf der Columbia Street groß geworden ist und im Tompkins­Square­Park rumhing, kein Entkom­men gab. Diese Kids hatten keinerlei Ausweichmöglichkeiten. Sie konnten nicht einfach nach Great Neck oder nach Connecticut zurückgehen. Sie konnten nicht auf ein Internat nach Baltimore zurückgehen. Sie saßen nämlich in der Falle.

Somit entwickelte sich eine andere Art, die des verwahrlosten Hippies näm­lich, der wirklich eine schlimme Kindheit hinter sich hatte – mit Eltern, die ihn hassten und aus dem Haus geworfen haben. Vielleicht kamen sie auch aus reli­giösen Familien, wo die Kinder als Schlampen beschimpft wurden: „Was, du musstest eine Abtreibung machen lassen? Raus mit dir!“ Oder:„Ich habe in dei­ner Handtasche Antibabypillen gefunden! Verschwinde und lass dich nie wie­der blicken.“ Solche Kids entwickelten sich in der Folge zu feindlich gesinnten Typen, zu Punks eben.

Lou Reed: Es spricht viel dafür, nicht im Rampenlicht zu stehen. Mit anderen Worten: Andy hatte es nicht nötig, diese Sonnenbrille und die schwarze Leder­jacke zu tragen, zwei Attribute, mit denen er die Aufmerksamkeit auf sich zog. Es ist jedem klar, dass du damit einen ganz bestimmten Personenkreis anspre­chen willst, sowohl in negativer wie auch in positiver Hinsicht, wenn du aus­gehst und dich so zurechtmachst.

Paul Morrissey: Andy Warhol gewährte Valerie Solanas finanzielle Unterstüt­zung, weil er ein netter Mensch war. Aber dann sagte Andy zu ihr: „Warum ver­dienst du nicht dein eigenes Geld, Valerie? Du könntest in einem Film auftre­ten.“ Anstatt ihr also zwanzig Dollar in die Hand zu drücken, um sie schnell wieder loszuwerden, versuchte er, sie zu rehabilitieren, so, wie er es immer und mit jedem versuchte. Versuchte, dass sie sich nützlich machte: „Sag einfach irgendetwas vor der laufenden Kamera, und dann geben wir dir zwanzig Dol­lar, und dann sieht es so aus, als hättest du das Geld selbst verdient.“

I, a Man wurde an einem Abend gedreht. Der ganze Film wurde in zwei oder drei Stunden fertig gestellt, und Valerie trat in einer fünf­oder zehnminü ­tigen Szene auf, und das war’s dann schon.

Ultra Violet: Valerie Solanas war ein wenig schreckhaft, aber ich mochte sie, weil ich das Gefühl hatte, sie sei brillant. Ich habe ihr Manifest SCUM – The Society for Cutting Up Men (Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Män­ner, Maro Verlag; Anm. d. Ü.) gelesen und fand es zwar ziemlich verrückt, aber auch brillant und witzig. Ich bin zwar von Haus aus keine Feministin, aber als ich ihr Manifest gelesen habe, musste ich zugeben, dass es einige sehr intelli­gente Aussagen enthält – eben dass seit Adam die Männer die Welt beherrschen und dass es höchste Zeit ist, diesen Zustand zu ändern.

Paul Morrissey: Ich musste mir Valerie Solanas dreimal vom Hals halten. Und dann tauchte sie eines Tages in Andys Begleitung auf und zog in dem Moment, als niemand hinschaute, einfach eine Pistole und fing an, wild um sich zu bal­lern. Dieses verrückte Weib. Eigentlich wollte sie an diesem Tag jemand ande­ren über den Haufen schießen, aber der war nicht zuhause, also beschloss sie, Andy zu erschießen. Was soll man von so jemandem halten? So jemanden kann man nicht analysieren. Dahinter verbirgt sich kein tieferer Sinn. Und mit Andy hatte das überhaupt nichts zu tun.

Billy Name: Ich hörte die Schüsse, als ich in der Dunkelkammer stand. Ich hörte irgendwelche undefinierbaren Geräusche, aber ich arbeitete gerade an etwas und wusste, dass Fred Hughes und Paul zu Besuch waren, also dachte ich, was immer das auch sein mag, sie werden schon selbst damit fertig. Ich wollte erst meine Arbeit erledigen und dann nachschauen, ob irgendetwas run­tergefallen war.

Als ich die Tür öffnete und den vorderen Teil der Factory betrat, lag Andy auf dem Fußboden in einer Blutlache. Ich kniete mich sofort neben ihn, weil ich sehen wollte, ob ich etwas für ihn tun konnte. Ich schob meine Hand unter seinen Körper und fing an zu heulen. Es war einfach nur komisch, denn Andy sagte zu mir: „Bitte, bring mich nicht zum Lachen, es tut so verdammt weh.“ In dem Moment tauchte der Sanitäter auf, und ich habe nicht weiter darauf geach­tet, was um mich herum passierte …

Gerard Malanga: Es war furchtbar. Er wäre beinahe gestorben. Sein Puls war so niedrig, dass er so gut wie klinisch tot war. Er ist von mindestens zwei oder sogar drei Kugeln getroffen worden. Er hat bei dem Anschlag seine Milz ver ­loren und einen Teil seiner Lunge oder Leber. Er musste ein Jahr lang ein Kor­sett tragen, damit seine Eingeweide an Ort und Stelle blieben.

Lou Reed: Irgendwie war ich zu feige, Andy anzurufen. Als ich es dann aber schließlich doch tat, fragte mich Andy: „Wieso hast du dich nicht blicken lassen?“

Ronnie Cutrone: Nachdem Andy beinahe erschossen worden war, hat der Vor­fall eine sehr, sehr schwere Paranoia in ihm ausgelöst. Er fragte sich, ob er in sei­nem Leben vielleicht die eine oder andere falsche Richtung eingeschlagen hätte und ob er sich nicht hätte mit Leuten umgeben sollen, die dermaßen verrückt sind. Nach diesem Vorfall hielten die Anzug­und Krawattenträger Einzug in die Factory.

Andy hatte sich sehr verändert, nachdem auf ihn geschossen worden war. Andy grüßte mich zwar immer noch und unterhielt sich mit mir, aber er war wirklich total verängstigt. Er war verängstigt über die Erkenntnis, die ihm diese Art geistige Verwirrtheit beschert hat – nämlich sechs Kugeln in seinem Bauch. Andy versuchte also sein Leben zu ändern, ich versuchte ebenfalls mein Leben zu ändern, Lou versuchte kommerziell zu werden, und Nico … ich habe abso­lut keine Ahnung, was damals mit Nico passierte. Sie hat sich einfach nicht mehr blicken lassen, vielleicht dachte sie, dass sie wieder ins Filmbusiness ein­steigen sollte … Ich weiß es wirklich nicht genau, denn damals war wahrlich nicht die Zeit, dass die Leute ihre Gefühle zeigten.

Sterling Morrison: Lou bat mich und Maureen Tucker um ein Treffen im Riviera Café im West Village, weil er uns mitteilen wollte, dass John Cale aus der Band ausgestiegen war. Ich fragte: „Du meinst, er ist für heute oder für diese Woche ausgestiegen?“ Und Lou antwortete: „Nein, er ist für immer ausgestie­gen.“ Ich sagte, dass wir die Band sind, fertig aus, da gäbe es nichts zu disku­tieren. Danach haben wir noch ausgiebig und heftig gestritten und mit den Fäusten auf den Tisch gehauen,und schließlich sagte Lou:„Ihr könnt euch nicht entscheiden? Okay, die Band ist hiemit aufgelöst.“

Ich hätte jetzt sagen können, dass es viel wichtiger gewesen wäre, die Band zusammenzuhalten, statt sich wegen John Cale graue Haare wachsen zu lassen. Aber das war nicht unbedingt das, was mich wirklich bewegte. Deshalb wägte ich schließlich zwischen meinem eigenen und John Cales Interesse ab und ver­pfiff ihn. Ich sagte Lou, ich würde es schlucken, aber passen würde es mir trotz­dem nicht.

Ich muss dazu sagen, dass Lou John aus purer Eifersucht rausgeekelt hat. Einer meiner Freunde sagte mir, Lou hätte ihm gestanden, dass er schon immer ein Solostar sein wollte. Lou hat uns nie in seine Pläne eingeweiht, aber John und ich haben schon immer gewusst, dass er die Aufmerksamkeit nicht nur als Mitglied einer Band auf sich lenken wollte.

John Cale: Am Anfang sind Lou und ich mit einem beinahe religiösen Eifer an die Sache herangegangen und haben zum Beispiel versucht, einige Ideen von La Monte Young oder Andy Warhol in den Rock ’n’ Roll einfließen zu lassen. Aber bereits nach dem ersten Album haben wir den Ehrgeiz und die Geduld verloren. Wir konnten uns nicht einmal mehr daran erinnern, was für eine Richtschnur wir angelegt haben.

Lou Reed: Rock ’n’ Roll ist so großartig, dass die Leute anfangen sollten, dafür zu sterben. Das versteht ihr vielleicht nicht, aber Musik gibt einem den Rhyth­mus zurück, damit man träumen kann. Eine ganze Generation, die mit einem Fender­Bass durch die Gegend rennt …

Die Leute müssen einfach für diese Musik sterben wollen. Die Leute ster­ben doch für allen möglichen Scheiß, warum also nicht auch für Musik? Stirb dafür! Ist das nicht schön? Würdet ihr nicht für etwas Schönes sterben wollen?

Vielleicht sollte ich sterben. Schließlich sind die großen Bluessänger auch schon alle gestorben. Aber das Leben wird jetzt besser.

Ich will nicht sterben. Oder etwa doch?