Berühmte Frauen der Weltgeschichte

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Kopfhängerei und Sentimentalität sind nicht Liselottes Fall. Die meisten Spiele der kleinen Mädchen verschmäht sie. Springen, singen und schreien, so recht aus vollem Halse, sind ihr lieber als Puppen. Mit Degen und Flinten versteht sie weit besser umzugehen. «Wäre gar gern ein Junge geworden», meint sie und wundert sich, dass sie bei dieser Ausgelassenheit nicht hundertmal den Hals gebrochen hat. An Freiheit in dieser Beziehung fehlt es ihr nun allerdings nicht am Hofe der Tante. Es geht dort bei aller Bescheidenheit doch immer lustig und fröhlich zu. Besonders als sich die Verhältnisse für den Herzog Ernst August im Jahre 1661 insofern besser gestalten, als der alte Bischof von Osnabrück das Zeitliche gesegnet hat und Ernst August und Sophie endgültig ins Schloss Iburg übersiedeln, wo sie ihre eigene Hofhaltung haben.

Wie ein Guckkasten bunt durcheinander zieht das Leben der vier Jahre an Liselotte vorüber. Um nichts möchte sie sie missen, und nichts vermag sie ihr aus dem Gedächtnis zu verwischen. Sie sind in ihrem Herzen eingegraben mit goldenen Lettern, unauslöschbar. Wie eine Heilige verehrt sie die liebe Tante Sophie, und je älter sie wird, desto mehr Verständnis bekommt sie für die Wesensart dieses Frauencharakters, der ihrem eigenen so sehr entspricht. Ihr Leben möchte Liselotte für Sophie hergeben, um sie unsterblich zu machen. Unantastbar, mit allen Vorzügen und herrlichen Eigenschaften ausgestattet, steht sie vor ihrem Geiste. Eine grosse, unendlich rührende Liebe und Verehrung für diese Frau keimt in des Kindes liebebedürftigem Herzen und wurzelt sich fest bis ans Ende. Die tiefste und aufrichtigste Dankbarkeit, wie es kaum eine Tochter für die Aufopferung und Fürsorge einer Mutter empfindet, fühlt dieses junge Fürstenkind für alles, was Sophie für sie getan hat. Selbst später, in den Briefen der alternden Herzogin von Orléans an die Kurfürstin von Hannover, meint man noch das liebe, zärtliche Mädchen vor sich zu sehen, das in verehrender Anbetung zu der Mutter aufblickt, der es alles verdankt. Und diesem prächtigen Charakterzug begegnen wir noch öfter bei Liselotte, denn jederzeit empfindet sie die grösste Dankbarkeit für diejenigen, die sie menschlich förderten oder ihr Liebes bezeugten. Nie hat sie ihre treue, oft sehr strenge Erzieherin, Fräulein von Offelen, spätere Frau von Harling, vergessen. Nie die Kinder der Raugräfin, mit denen sie Freud und Leid des Elternhauses teilte; immer war sie ihnen eine treue und liebevolle Schwester. Ihren Papa aber verehrte sie, trotz seiner Strenge, als den «besten Herrn der Welt». Weiss sie doch, dass es Karl Ludwig stets nur gut mit ihr gemeint und ihr Bestes gewollt habe. Eine heilige Scheu vor dem Begriff «Vater und Mutter» wohnt ihr inne. Wäre auf ihre zarte Jugend nicht der grelle Widerschein des Zerwürfnisses ihrer Eltern gefallen, wäre sie nicht schon frühzeitig zwischen beide Parteien gestellt worden, gewiss hätte sie auch mit derselben ergebenen Liebe an ihrer Mutter gehangen wie an der Tante Sophie, weil es eben ihre Mutter war. Aber die kalte, herrische Natur der Kurfürstin Charlotte hat es nicht vermocht, das Kind ganz für sich zu gewinnen. Es kamen andere, die es an ihr Herz nahmen; die Trennung bewirkte dann, dass die Tochter sich vollkommen der Mutter entfremdete, ohne jedoch Groll oder Abneigung gegen sie zu empfinden. Im Gegenteil, Liselottes stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl lässt sie trotz aller Bewunderung für jede Handlung des Vaters empfinden, dass er gegen die Mutter hart und ungerecht war.

Die nun elfjährige Prinzessin verlässt ihre geliebte Tante nur ungern. Fräulein von Offelen hat inzwischen in Hannover den Oberstallmeister von Harling geheiratet und ist zur Oberhofmeisterin der Herzogin von Hannover ernannt worden. Liselotte kann sie nun nicht mit nach Heidelberg nehmen. Ein weiterer Schmerz für das Kind. So scheidet Liselotte mit Bedauern und gleichzeitig mit der unauslöschlichen Erinnerung in ihrem Herzen, ein paar wunderschöne, ungetrübte Kinderjahre hinter sich und «nie schönere Tage» erlebt zu haben. Es gilt jetzt, der heranwachsenden Prinzessin etwas mehr beizubringen, als nur Märchen, Gesangbuchlieder und Katechismussprüche. Karl Ludwig ist zwar nicht viel daran gelegen, seiner Tochter zu grossem Wissen zu verhelfen, immerhin aber hat er Pläne mit ihr, zu deren Ausführung eine gewisse Bildung unbedingt nötig erscheint. Denkt Karl Ludwig auch damals noch nicht an eine Verbindung mit dem französischen Hof, so hofft er doch ganz bestimmt für seine Tochter eine glänzende Partie zu finden, die auch seiner Politik Vorteile bringen kann. Es ist ihm daher nicht unlieb, dass Liselotte wieder unter seine direkte Aufsicht kommt. Jedenfalls hat er mit grösserem Verstand und mehr Einsicht als bei der Erziehung seines Sohnes den Erziehungs- und Lehrplan für Liselotte aufgesetzt. Sie hat ihr Lebtag nicht allzuviel Lernstoff in sich aufnehmen brauchen, und die gute Jungfer Colb, die sie im Jahre 1663 zur Erzieherin erhielt, hat Liselotte nie so recht ernst genommen.

Weit besser versteht es der Erzieher ihres Bruders Karl, der Gelehrte Ezechiel Spanheim, die junge Liselotte für seine Weisheit zu interessieren, ohne dass sie direkt an den Unterrichtsstunden des Erbprinzen teilnimmt, der ganz nach den Vorschriften des Vaters erzogen wird. Es fallen genug Brosamen von Spanheims gelehrtem Tisch, die unserer Liselotte zugute kommen. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten im Heidelberger Schloss unterhält sich der Erzieher fast ausschliesslich mit den beiden kurprinzlichen Kindern, und Liselotte sind die kleinen Spässe, die er mit viel Witz und Trockenheit in die Unterhaltung einzuflechten verstand, sowie auch seine grosse Gelehrsamkeit unvergesslich geblieben. Ihr beweglicher Geist fasst rascher die geistreichen Bemerkungen Spanheims, sprudelt selbst eine schlagfertige Antwort heraus, während der Bruder, ein stiller, schüchterner Junge, immer viel länger braucht, ehe er den Sinn der Rede seines Lehrers erfasst. Ueberhaupt ist Liselotte eine viel robustere Natur als der Erbprinz, den die häuslichen Zerwürfnisse der Eltern stark deprimieren. Liselotte ist anderen Schlages. Sie ringt sich durch mit ihrem eigenen Willen und tut nur, was sie will, obwohl auch ihr die harte Hand des Vaters droht. Unter dem Zwang, der über dem ganzen väterlichen Haushalt liegt, lebt das Kind sein Leben für sich. Natürlich zieht sie sich dadurch oft den scharfen Tadel des Vaters zu. Nicht oft genug kann er ihr das gute Beispiel des sanfteren Erbprinzen vor Augen halten. Es sind indes nur vorübergehende Unzufriedenheiten, die Liselotte ihrem Vater bereitet. Ernstlichen Grund zur Sorge hat sie ihm nie gegeben, denn auch in ihrem rebellischen Herzen ist das Gefühl der Pflicht und des Gehorsams so tief verwurzelt, dass sie es nie gewagt hätte, sich dem Willen ihres Vaters ernstlich zu widersetzen.

Auch Liselottes Erziehung ist der Hofmeisterin bis in die kleinste tägliche Einzelheit vorgeschrieben. Man muss jedoch Karl Ludwig Gerechtigkeit widerfahren lassen und zugeben, dass er dabei nicht so pedantisch zuwege ging wie bei seinem Sohn. Besonders vernünftig dachte er in bezug auf die religiöse Erziehung seiner Kinder. Sie sollten vollkommen frei von jeder Konfession sein, und der Religionsunterricht sollte nicht mehr als eine Stunde in der Woche in Anspruch nehmen. Darüber wundert sich sogar Liselotte, die doch bereits vom hannoverschen Hofe her eine gute Dosis Liberalismus hinsichtlich der Kirche kennengelernt hatte. «Mich deucht», schreibt sie später, «dass unser Herr Vater, der Kurfürst selig, uns eben nicht gar eifrig in Religion hat erziehen lassen.» Karl Ludwig stand über den Konfessionen. Es genügte ihm, ein guter Christ zu sein. So auch seine Tochter, die er dazu erzog, dass sie später, als sie längst als Herzogin von Orleans den katholischen Glauben angenommen hatte, sagen konnte: «Der Unterschied des Glaubens bei Lutheranern und Katholiken ist so gering, dass es gar nicht der Mühe wert ist, darüber zu disputieren. Wenn ich die Wahrheit sagen soll, so bin ich, wie Apostel Paulus sagt, weder apollisch, noch paulisch, noch kephisch, weder reformiert noch katholisch oder lutherisch, sondern ich werde soviel wie möglich ist, eine rechte Christin sein und darauf leben und sterben.»

Einen grösseren Raum als der Religionsunterricht nimmt die Anstandslehre im Stundenplan der Prinzessin ein. Aber daraus macht sich Liselotte ebensowenig wie aus dem «Moralisiertwerden» in den Katechismusstunden. Nur die derben und kräftigen Tischreden Luthers gefielen ihr. Für Geister- und Gespenstergeschichten hat sie grosse Vorliebe, hat auch immer einen grossen Vorrat zur Hand, um selbst welche zum besten zu geben. Das übrige findet sie langweilig. Nicht selten hat die Jungfer Colbin, die dem wilden Ungestüm der Prinzessin durchaus nicht gewachsen ist, Grund, sich zu beklagen; denn die Ausgelassenheit ihres Schützlings überschreitet bisweilen die Grenze des Erlaubten. Nimmt doch Liselotte einmal auf einem Spaziergang in ihrem Uebermut die rundliche Rückseite einer behäbigen Heidelberger Bürgersfrau zur Zielscheibe ihrer Armbrust. Die arme Frau, die friedlich ihres Weges schritt, bekam einen solchen Schrecken, dass sie beinahe platt auf die Erde gefallen wäre. Liselotte, froh ihres übermütigen Streiches, will sich totlachen, während die sie begleitende Colbin «vor Scham hätte in die Erde sinken mögen» über die Kühnheit der wohlerzogenen Tochter des Kurfürsten. Lachen und Fröhlichkeit ist für Liselotte Hauptzweck des Lebens, und noch begreift sie nicht das immer wiederkehrende Mahnwort der Hofmeisterin, dass «es nirgends wunderlicher zuginge als in der Welt». Das sollte die Prinzessin erst später einsehen.

So vergingen die Jahre auch in Heidelberg in sorgloser Jugend ebenso rasch wie in Hannover und in Iburg. Die Vergnügungen, die man sich am Heidelberger Hofe gestattete, durften nicht viel Geld kosten. Man ging zur Kirmes und sah sich dann und wann die Vorstellung einer wandernden Schauspielertruppe an. Im Sommer gab es Spaziergänge in die prächtige Umgebung Heidelbergs oder Wasserfahrten auf dem Neckar, im Winter bisweilen Schlittenpartien, sogar nicht selten mit einem Maskenfest verbunden. So ist das Leben im Heidelberger Schlosse doch bei aller Sparsamkeit nicht gerade eintönig. Karl Ludwig umgibt sich gern mit Gelehrten und Künstlern. Am meisten liebt er die englischen Schauspieler. Da aber schon an und für sich um den Heidelberger Hof eine dicke Wolke Klatsch schwebt, und Karl alles Gerede soviel wie möglich vermeiden will, verbietet er den Schauspielern, die er an seinen Hof befiehlt, sich auf ihrer Reise durch die Pfalz als Komödianten auszugeben. In der Verkleidung von Studenten und Gardereitern kamen sie bis an die Grenzbäume, und erst dann trafen sie unter dem Schutze des Kurfürsten ihre Vorbereitungen.

 

Sehr oft begleitet Liselotte ihren Vater zu diesen fahrenden Künstlern. Aus dieser Zeit ist ihr wohl auch die grosse Vorliebe fürs Theater gekommen, die sie später am Hofe von Frankreich in so hohem Masse befriedigen konnte. Heidelberg aber erscheint ihr doch immer als Paradies auf Erden, wenn sie daran zurückdenkt. Die goldene Freiheit ihrer Jugend bleibt die schönste Erinnerung ihres Lebens. Oft zwar brummt der Vater, dass Liselotte nicht «seriös» genug sei, aber im Grunde genommen, ist sie ja nur sein getreues Ebenbild. Auch Karl Ludwig liebt, trotz aller Strenge und allen Ernstes, einen derben, übermütigen Spass, einmal recht aus vollem Herzen zu lachen. Besucht er doch auch mit seiner Tochter in heiterer Laune die Kirmes von Schwetzingen und Mannheim. Manch fröhliches pfälzisches Volks-Trinklied bringt er ihr bei, und schon sehr früh werden die kurprinzlichen Kinder mit «dem allzeit gesunden» Neckarwein bekannt gemacht. Und so ist Liselotte auch in Heidelberg sehr glücklich unter dem strengen väterlichen Joch. Aber der Gipfel ihres Glückes in dieser Zeit ist doch das Wiedersehen mit ihrer Tante Sophie, die anlässlich der Vermählung des Erbprinzen von Hannover an den Hof kommt. Eigentlich ist die ganze Heiratsgeschichte ihr Werk gewesen; denn der Herzog Ernst von Hannover hat als Erster in sehr lobenden Worten von der dänischen Prinzessin zum Kurfürsten von der Pfalz gesprochen, und Sophie wird später eine warme Fürsprecherin für die Braut.

2. Die Braut

Während Liselotte so jugendfrisch und sorglos in den Tag hineinlebt, denkt man in ihrer Umgebung daran, sie möglichst bald und gut zu verheiraten. Sie hat beinahe ihr 18. Lebensjahr erreicht, und es muss für sie ein Mann gefunden werden. Eine Schönheit ist die junge Prinzessin gerade nicht, aber ihr frisches, frohgemutes Wesen, ihr unerschöpflicher Humor und die Jugend helfen über vieles hinweg. Ihr Bruder hat ihr zwar den schönen Spitznamen «Dachsnase» gegeben, doch das kränkt sie nicht, im Gegenteil, sie macht sich jederzeit selbst über ihre Hässlichkeit lustig. «Ihro Liebden, Unser Herr Vater selig haben mir oft genug gesagt, dass ich hässlich sei. Ich lachte und habe mich niemals darüber geärgert.» Sie hat sich also schon sehr jung mit ihrem Aeussern abgefunden und war darum nicht weniger glücklich als andere, schöne, junge Mädchen. Gerade dieser Verzicht auf alle Ansprüche der Schönheit, auf alle Koketterie und Eitelkeit schützte Liselotte vor Enttäuschungen in dieser Beziehung. Dass sie infolge ihres wenig vorteilhaften Aeusseren keinen Erfolg bei Männern hatte, wusste sie und gab sich deshalb auch gar keine Mühe, in irgendeiner Weise deren Bewunderung zu erregen. Schon als junges Mädchen musste sie jeder so nehmen, wie sie war. Nicht wie andere Mädchen ihres Alters träumt sie von zukünftigem Liebes- und Eheglück. Der Gedanke an eine Heirat ist ihr eher unsympathisch. Sie wäre viel lieber unverheiratet geblieben und hätte ihre goldene Freiheit behalten, auf die sie so grosse Stücke hielt. «Aber man entgeht diesem Schicksal nicht», und, so wie es Gott gewollt hat, muss es sich vollziehen», meint sie. «Denn der Prinzessinnen Heirat wird selten aus Liebe geschehen, sondern durch Raison, und dazu tut Schönheit nichts.»

Mehrere Heiratspläne sind sowohl vom Kurfürsten, ihrem Vater, als auch von der Kurfürstin von Hannover in Betracht gezogen worden. Aber Liselotte weigerte sich energisch, den einen, einen kurländischen Prinzen, zu heiraten. Den andern aber, den benachbarten Markgrafen Friedrich Magnus von Baden, dessen Gemahlin sie beinahe geworden wäre, entfernte ein drolliger Zwischenfall von ihr. «Der gute Herr» ist ihr übrigens viel zu affektiert und abgeschmackt, und so ist sie froh, dass ein gütiges Geschick sie auch vor diesem Gatten bewahrte. Des jungen Markgrafen Vater hielt es nämlich für unbedingt nötig, auch in Kassel bei der verlassenen Kurfürstin Charlotte um Genehmigung zur Heirat ihrer Tochter mit seinem Sohne zu bitten. Nachdem er vom Kurfürsten von der Pfalz die Zusage bereits erhalten hat, macht er sich eines Tages mit einem prächtigen Gefolge auf den Weg nach Kassel. Aber, oh Unglück! Gerade um diese Zeit sind die pfälzischen Dörfer von lothringischem Kriegsvolk heimgesucht, das dort plündert und Pferde stiehlt. Als die Pfälzer Bauern die vornehmen badischen Kavaliere mit den schönen, prächtigen Pferden die Strasse nach Kassel heraufkommen sehen, halten sie sie für die verwegenen Pferdediebe und ziehen nun mit Knüppeln und anderen handfesten Gegenständen hinter ihnen her. Als sie sie eingeholt haben, verprügeln sie sie aufs schönste und nehmen ihnen die vermeintlich gestohlenen Pferde weg. Der Markgraf aber dachte, dass der Kurfürst von der Pfalz seinen Bauern eigens befohlen habe, ihn durchzuprügeln, zur Strafe, weil er es gewagt habe, auch um den Segen der Mutter Liselottes zu bitten. Jedenfalls machte der Brautwerber wutschnaubend kehrt, und sein Sohn heiratete später eine holsteinische Prinzessin.

Für Liselotte ist die Vernichtung dieses Heiratsplanes, wie sie selbst gesteht, eine «von den grossen Freuden, die sie in ihrem Leben gehabt hat»; denn sie denkt nicht gern ans Heiraten. Vielleicht aber wäre sie mit dem jungen Friedrich Magnus ganz glücklich geworden; denn beide fühlten später grosse Freundschaft zueinander und lernten sich schätzen.

Die jugendliche Liselotte indes hielt nicht viel von der Liebe und Treue der Männer. Und die Ansichten, die sie als reife und leider auch in dieser Hinsicht erfahrene Frau äusserte, unterscheiden sich im grossen und ganzen nicht wesentlich von denen des unerfahrenen Mädchens. Sie betrachtet es als hellen Wahnsinn, wenn eine Frau es sich in den Kopf setzt, unbedingt einen Mann haben zu müssen. Schlimm sei es, einen Arm zu verlieren, noch schlimmer aber einen Mann zu haben; denn der beste sei den Teufel nicht wert. Die grösste aller Dummheiten aber scheint ihr eine Heirat aus Liebe. «Denn», sagt sie, «es ist ein Wunder, wenn einmal eine Liebesheirat reüssiret.» Das war die Ansicht der Prinzessin Liselotte von der Pfalz über Liebe und Ehe, und doch entging auch sie ihrem Schicksal nicht.

Der Friede von Aachen im Mai 1668 gebot den Siegeszügen des Sonnenkönigs für einige Zeit Einhalt; denn der Dreibund zwischen Schweden, England und den Generalstaaten war ihm in den Arm gefallen. Dass jedoch Ludwig XIV. nur auf die Gelegenheit wartete, sein Reich noch mehr zu erweitern, war jedem klar. Nicht mit Unrecht und nicht ohne Grund fürchtete man besonders in Deutschland, dass der Besitzgierige an den morschen deutschen Grenzpfählen nicht Halt machen würde, sobald er erst die Generalstaaten niedergerungen hätte. Alle deutschen Fürsten waren daher aufs eifrigste bemüht, Schutzbündnisse zu schliessen und sich Freunde gegen den mächtigen, drohenden Feind zu erwerben. Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz hatte indes wenig Hoffnung auf die Unterstützung des Reichs. Das war ihm bereits im Lothringer Kriege klar geworden, bei dem man ihm keinerlei Hilfe gewährt hatte. Und so sah er die einzige Rettung aus der Bedrängnis in einem direkten Anschluss an Frankreich selbst, von dem die Gefahr zu erwarten war. Die emsigen Hände einer Frau waren schnell bereit, das Netz zu knüpfen, in das sich die Pfalz und Frankreich so arg verstricken sollten.

In nächster Nähe des französischen Königs und seines Bruders, des Herzogs von Orléans, lebte eine Schwägerin Karl Ludwigs, Anne de Gonzaga de Clèves, die Witwe des Pfalzgrafen Eduard. Sie war eine nahe Freundin Mazarins gewesen und hatte zur Zeit der Fronde eine bedeutende Rolle gespielt. In Paris nannte man sie kurzwegs «La Palatine» oder «La Princesse Palatine», und die feinen Kenner der Frauendiplomatie, wie Kardinal von Retz, sprachen von ihr als von einer Art politischen Genies. Anna von Gonzaga wohnte beständig in Paris und gehörte zu den Vertrauten Monsieurs, des jüngeren Bruders Ludwigs XIV. Auch in der Familie ihres Mannes schätzte man sie ihrer grossen Klugheit und Geschicklichkeit wegen. Ihr Schwager Karl Ludwig von der Pfalz verwandte sie immer mit Erfolg bei allen schwierigen Unterhandlungen, die er mit dem französischen Hofe zu führen hatte. Zwar meinte die Kurfürstin Sophie von Hannover, es fehle Anna von Gonzaga an Aufrichtigkeit und Offenheit, auch sei sie äusserst fruchtbar an «Hirngespinsten»; das verhinderte Sophie indes nicht, sehr enge Beziehungen zu ihr zu unterhalten, und beide Frauen standen jederzeit im regsten Briefwechsel miteinander. Anna von Gonzaga befand sich eben auf einer Reise zu ihren deutschen Verwandten von Hannover und der Pfalz, als sie in Frankfurt die Nachricht von dem unerwarteten Tode der Herzogin Henriette von Orléans erfuhr, der Gemahlin Monsieurs. Die schöne Henriette ist ganz plötzlich unter den furchtbarsten Schmerzen in der Nacht vom 29. zum 30. Juni 1670 gestorben. Sofort verbreitet sich das Gerücht einer Vergiftung der kaum 26jährigen Prinzessin und verstärkt sich immer mehr, nicht allein in Frankreich, sondern besonders in England, der Heimat Henriettes, in Holland, Spanien und Deutschland. Karl II. von England, der Onkel des Kurfürsten von Hannover und Anna von Gonzagas, weigert sich sogar, den Brief zu empfangen, worin Herzog Philipp von Orléans ihm den Tod seiner Gemahlin anzeigt. Denn man war damals in den englischen Hofkreisen vollkommen überzeugt, Henriette sei durch Gift von der Hand des eigenen Gatten gestorben.

Trotz dieser furchtbaren anklagenden Gerüchte denkt «La Palatine» sofort an eine Wiederverheiratung «Monsieurs» mit ihrer jungen Nichte, der Kurprinzessin Liselotte von der Pfalz, und bedauert es unendlich, gerade in diesem Augenblick nicht in Paris anwesend zu sein.

Aber auch fern vom französischen Hofe gibt die kluge Diplomatin das Spiel nicht auf. Was sie vorläufig nicht durch ihren persönlichen Einfluss auf den Herzog von Orléans vermag, versucht sie durch sehr geschickte Briefe. Mit ihrem Schwager Karl Ludwig und der Kurfürstin Sophie steht sie von diesem Augenblick an in beständigem Briefaustausch. Ihr scheint es wie eine «Fügung des Himmels», dass Monsieur gerade in diesem Augenblick Witwer geworden ist, als die Pfalz den mächtigen Schutz Frankreichs am meisten und dringendsten zu bedürfen und zu suchen scheint. Aber die Verhandlungen nehmen doch immerhin einige Zeit in Anspruch, ehe etwas Bestimmtes in dieser Angelegenheit entschieden werden kann.

Nachdem man noch einige andere Partien für Philipp von Orléans in Betracht gezogen hat, kommt man schliesslich der pfälzischen Heirat immer näher. Anna von Gonzaga betreibt die Sache so energisch, dass es ihr schliesslich gelingt, alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Jetzt erst tritt Karl Ludwig dem Plane auch seinerseits ernstlich näher. Es bereitet ihm dabei das grösste Vergnügen, zu beobachten, mit welch scharfsinniger Gewandtheit seine Schwägerin diese Angelegenheit handhabt. Anna entwickelt eine so grosse Geschicklichkeit in der Intrige, dass sie den ganzen Plan, der Liselotte als Herzogin von Orléans nach Frankreich und zum Katholizismus führt, bis ins einzelne ganz allein entwirft. Und zwar geht sie dabei mit so grosser Vorsicht zuwege, dass der Kurfürst von der Pfalz weder in den Augen des Kaisers und Reiches noch vor seinen evangelischen Untertanen blossgestellt wird. Sie ist es auch, die Karl Ludwig den Vorschlag machte, sie wolle Liselotte als Braut in Strassburg in Empfang nehmen.

Dem Kurfürsten war im Grunde seines philosophischen Herzens der Glaubenswechsel seiner Tochter nur eine äussere Form, und nur der Oeffentlichkeit wegen nahm er Anstoss daran. Er persönlich ist überzeugt, dass jeder auf seine Weise und gleichviel in welcher Religion selig werden könne. Das aber durfte er nicht öffentlich bekennen. Immerhin will er nicht, dass Liselotte zu dem Glaubenswechsel gezwungen werde, zumal sie selbst erklärt, es sei kein Beweis wahrer Frömmigkeit, einen Glauben anzunehmen, den man gar nicht kenne und nur «um einen Mann zu haben». Er beauftragt daher seinen Sekretär, den französischen Gelehrten Urban Chevreau, seine Tochter im geheimen und fern vom Hofe im katholischen Glauben zu unterrichten und sie auf die neue Lehre vorzubereiten. Chevreau entledigt sich seines Amtes glänzend. Es bedarf nur weniger Tage und Unterrichtsstunden, um der schnell auffassenden jungen Prinzessin die Grundzüge der katholischen Lehre beizubringen. Nun steht der Heirat keinerlei Hindernis mehr entgegen. Anna von Gonzaga kann das Werk vollenden, das sie begonnen hat.

 

Liselotte war bis jetzt noch nicht über ihre Meinung hinsichtlich ihres zukünftigen Gatten befragt worden. Prinzessinnen haben keine Meinung in solchen Angelegenheiten. Man kümmerte sich recht wenig um die Gefühle, die sie dem Manne entgegenbrachte, der ein ganzes Leben mit ihr verbringen sollte. Sie kannte den Herzog von Orléans nicht, hatte ihn nie in ihrem Leben gesehen, und das, was sie in ihren Kreisen von ihm erzählen hörte, war gerade nicht dazu angetan, sie besonders glücklich zu stimmen. Zudem war er ein ausländischer Prinz, dem diese deutscheste aller Prinzessinnen angetraut werden sollte. Liselotte wurzelt mit ihrem Herzen so tief in ihrer Heimat, dass der Gedanke, ihr schönes, geliebtes Deutschland auf immer verlassen zu müssen, sie unendlich traurig stimmt. Aber der Gehorsam gegen den Vater und die Tante Sophie entscheiden alles. «Es ist wohl wahr», schreibt Liselotte später, «dass ich nur aus reinem Gehorsam gegen Ihro Liebden, meinen Herrn Vater und meinen Onkel und meine Tante von Hannover nach Frankreich gekommen bin, denn es war durchaus nicht meine Neigung ...» Und in einem anderen Brief: «Papa hatte mich auf dem Hals, war bang, ich möchte ein alt Jüngferchen werden, hat mich also fortgeschafft, so geschwind er gekonnt.»

In der Tat schien es Karl Ludwig sehr eilig zu haben, seine Tochter nach Frankreich zu bringen, sobald alles im reinen war und er wegen des Uebertrittes zum Katholizismus keine Gewissensbisse mehr zu haben brauchte. In Strassburg sollte der Handel besiegelt werden. Pfalzgräfin Anna erwartete ihn dort in Begleitung ihres Jesuitenpaters Jourdan, um Liselotte aus seinen Händen in Empfang zu nehmen und sie dann weiter bis Paris zu geleiten. Ganz inkognito sollte die Reise geschehen und die «Welt erst dann von allem unterrichtet werden, wenn es vollendete Tatsache war. Eilig wird für die junge Prinzessin eine kleine Ausstattung von Wäsche, sechs Nachthemden, sechs Taghemden und den nötigsten Kleidern hergerichtet. Für den Hochzeitstag hat man für sie ein weisses Atlaskleid gewählt. Später wurde diese ärmliche Ausstattung der Pfälzerin gewissermassen zum Spott am französischen Hofe, und Karl Ludwig war gezwungen, sie noch nachträglich zu vervollkommnen, um seine Tochter in Paris nicht ganz und gar lächerlich zu machen. Denn man sprach bereits öffentlich davon, dass «Madame» nicht einmal das Nötigste mitbekommen hätte, um die Wäsche zu wechseln.

In Begleitung der Tante Sophie von Hannover und der Jungfer Colb reist Liselotte mit ihrem Vater nach Strassburg. Der Abschied vom alten lieben Heidelberg ist bitter. Niemals hat Liselotte den Tag vergessen, da sie mit den Ihrigen schluchzend die Hofkutsche bestieg, und der Vater und die Tante Sophie das Lied anstimmten: «Es ist bestimmt in Gottes Rat, dass man vom Liebsten, was man hat, muss scheiden.» Wehmütig schaut sie auf der Fahrt in die herrliche Pfälzer Landschaft hinaus, die sie einst von demselben Volke verwüstet wiedersehen sollte, zu dem sie jetzt reist. Alles, was Liselotte Schönes in der Heimat erlebt hat, kommt ihr ins Gedächtnis, und immer wieder drängt sich ihr der Gedanke auf: es wird nie wieder so schön werden, wie es bis jetzt war!

Endlich am 28. Oktober langte man in Strassburg an, wo die «Princesse Palatine» alles aufs beste zum Empfang der Braut vorbereitet hat. Pater Jourdan findet an der jungen Konvertitin nichts mehr auszusetzen; denn Chevreau hat seine Aufgabe so gut gelöst, dass dem Jesuiten «nichts mehr zu sagen übrigbleibt».

Anna von Gonzaga hat sogar den Heiratskontrakt fix und fertig mitgebracht. Er braucht nur unterschrieben zu werden. Die Frage der Mitgift erledigt sich ebenso leicht und so schnell wie die des Glaubenswechsels. Karl Ludwig muss, freilich nicht ohne tiefe Scham zu empfinden, erklären, er könne seiner Tochter vorläufig kein Heiratsgut mitgeben, denn die Verhältnisse seines Landes seien dermassen zerrüttet und seine Untertanen vom Reiche aus mit allen möglichen Lasten bedrängt, dass er unmöglich von ihnen auch noch fordern könne, die Mitgift für die Erbprinzessin aufzubringen. Bei dieser Gelegenheit bringt der französische Hof seinen Reichtum ziemlich taktlos in den Vordergrund. Er erwidert huldvollst, man besitze selbst Mittel genug und dringe nicht auf die Auszahlung der Mitgift, die der Kurfürst einmal in besseren Zeiten begleichen könne. Im übrigen war der Heiratskontrakt für die pfälzische Erbprinzessin so ungünstig wie möglich, und Liselotte selbst begreift später nicht, als sie zur Kenntnis dieser Dinge gelangt, wie ihr Vater sie unter solchen Bedingungen dem Herzog von Orléans zur Frau hatte geben können. Nur dringende politische Gründe mussten für ihn damals massgebend gewesen sein.

Freilich, für die Pfälzerin, die mit 64 000 Franken barem Gelde und etwa für 10 000 Franken an Schmuck, Kleidern, Wäsche und Toilettegegenständen nach Frankreich kommt, ist der Herzog von Orléans eine glänzende Partie. Ausser dem Palais- Royal und Saint-Cloud besitzt er noch viele andere schöne Schlösser. Seine Apanage beläuft sich auf eine Million Franken, aber ausserdem bezieht er vom König eine Rente von 560 000 Franken und einen weiteren Zuschuss von jährlich 100 000 Franken. Diesen, für die damaligen Zeiten ansehnlichen Summen werden bald darauf noch 200 000 Franken hinzugefügt, so dass eine Jahresrente von nahezu zwei Millionen herauskommt. Für Liselotte, die an ihres Vaters Hofe niemals von derartigen Summen hatte reden hören, ist das geradezu phantastisch. Monsieur schenkte seiner zukünftigen Gemahlin einen Brautschatz, der an Edelsteinen, Ringen, Geschmeide usw. einen Wert von 150 000 Franken darstellte.

Von allen diesen geschäftlichen Dingen weiss nun allerdings die junge Prinzenbraut auf ihrer Fahrt nach Strassburg nichts. Ihre Gedanken nehmen einen ganz anderen Flug und beschäftigen sich mehr mit ihrer glücklichen Vergangenheit als mit der ungewissen Zukunft. In Metz soll die Prokuratrauung mit dem Marschall Du Plessis-Praslin stattfinden, und da man sich in Strassburg nicht lange aufhält, hat Liselotte auch nicht viel Zeit, über alles nachzudenken. Es kommt der Abschied von den Ihrigen und damit von allem, was sie Liebes auf Erden besitzt. Ihr Schmerz ist herzzerreissend, als sie zum letzten Male ihre liebe Tante Sophie und ihren Vater umarmt.

In Metz findet dann die Hauptsache statt: die Glaubensabschwörung und die Trauung. Liselotte ist gefasst. Sie betrachtet die ganze Zeremonie auf ihre Weise. «Mir las man nur etwas vor», schreibt sie später darüber, «wozu ich nur ja oder nein sagen musste, welches ich auch nach meinem Sinn getan und ein paarmal nein gesagt, wo man wollte, dass ich ja sagen sollte, es ging aber durch, musste in mich selber darüber lachen.» Gegen der Eltern Verdammung, weil sie Ketzer waren, protestiert sie indes energisch, und man bekommt darüber kein Wort aus ihr heraus. «Ohne Herzklopfen können solche Spektaklen nicht vorgehen», fügt sie noch lakonisch hinzu.