Wanda und Wendelin

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ANNEHMEN OHNE WARUM

Er atmete tief, ein und aus, ein und aus. Der Beginn einer wohltuenden Gelassenheit entspannt Körper und Psyche. Wendelin spürt irgendwo im Innern, so etwas wie Ruhe und gleichzeitig eine tiefe Müdigkeit für diesen Moment. Was Wanda gesagt hat, scheint sein Inneres erreicht zu haben. Er überlässt sich seinem starken Bedürfnis nach Frieden, ja, er lässt los. Und plötzlich übermannt ihn das ganz natürliche Bedürfnis, einfach auszuruhen.

„Glaubst du an Reinkarnation?“

Von weither hört er die Stimme. „Wanda, ich würde gerne ein andermal mit dir darüber sprechen. Ich bin so müde“

SÜD AFRIKA

Den November muss man mögen. Oder aber man lehnt ihn total ab. Wenn Sehnsucht nach warmen Ländern unruhig macht, das Rauschen des Meeres in den Ohren hallt, bei Vollmond das Wasser des Ozeans im Silberglanz erscheinen lässt, dann heißt es, das Weite suchen. Denn es gibt diesen November.

Sich an der Natur orientieren. Nicht alle Vögel bleiben während des Winters in kalten, vertrauten Gefilden. Viele nehmen die Strapazen einer sehr langen, gefahrvollen und erschöpfenden Reise auf sich, um die Wärme der Sonne auch während der Winterzeit zu spüren …

Ein wichtiger Mensch in Wandas Leben formulierte es so:

„Die Vögel verlassen uns. Sie ziehen gen Süden. So werde auch ich mein Bündel schnüren, der Sonne entgegen gehen …“

Es kann wunderbar sein, im November vom vertrauten Gurren der heimischen Taube am südlichsten Zipfel von Afrika geweckt zu werden. Oder den lautlosen Flügelschlag des Milan zu beobachten, der im nächsten Sommer wieder im Norden sein wird. –

Das Geräusch der Motoren wirkt einschläfernd. Wanda hat eine bequeme Position gefunden, sie möchte nun schlafen. Nachdem der Flieger seine vorgesehene Höhe erreicht hat, das Essen abgeräumt ist und die Stimme des Kapitäns durch den Lautsprecher in unterschiedlichen Sprachen einen angenehmen Flug wünscht, wird es ruhig in der Kabine. Die Passagiere setzen oder lehnen sich in ihren Sitzen zurück, suchen eine bequeme Position um die nächsten Stunden möglichst zu schlafen.

Nichts ist wie gestern und doch wiederholt sich alles. Ob mein Sohn lebt oder tot ist, wird keinen Unterschied machen. Nicht im Weltgeschehen, nicht in seiner Bank, und nicht in meinem Leben. Auch ich lebe weiter. Fliege mit einer Frau, die ich vor einigen Wochen noch nicht kannte, nach Süd-Afrika, um dem europäische Winter zu entfliehen. Verhalte mich so, als hätte sich nichts verändert. Was bedeutet der Mensch dem Menschen?

‚Marcel, ich bin bei dir und du bist hier und fliegst mit mir nach Süden. Du wirst nun immer bei mir sein. Viel näher als jemals zuvor. Wanda erzähle ich von dir. Ein Part von dir lebt in mir weiter. Irgendwann werde ich zu dir in die andere Dimension eintreten.

Du lebst nicht mehr – doch, du lebst, deine Seele lebt. Hast nur deine körperliche Hülle abgestreift, bist frei.

Der erste Tag in Süd Afrika beginnt mit dem Anflug über dem Atlantik. Seitlich unter ihnen nähert sich mit einem Lichtermeer die südlichste Metropole von Süd Afrika, Cape Town. Dann leuchten die Begrenzungslichter der Landebahn auf. Hier in Kapstadt sind sie die letzten Passagiere in dieser Nacht und die ersten des neuen Tages.

Hinter der Passkontrolle erwartet sie Bert Brenner vom Hotel Continental. Auf einem Schild, das er hoch über seinem Kopf hin und her wedelt, lesen Wanda und Wendelin ihre Namen. Mit dem Hotel Transfer erreichen sie zwanzig später Minuten das Hotel. Zuerst mal nur schlafen.

Wendelin und Wanda gehen langsam durch den weißen Sand zurück zu ihrem Hotel. Sie haben sich für ein Mittagsschläfchen entschieden.

„Das Ausruhen gibt uns neue Energie. Vielleicht gehen wir heute am Spätnachmittag zur Waterfront. Dort finden wir kleine, hübsche Shops, Restaurants und Cafes. Ich würde gerne in der Mall ein bisschen stöbern.“

Wanda findet in fast jedem Shop etwas Hübsches, das sie in Augenschein nimmt. Wendelin wartet geduldig bei einem Glas Wein auf die Rückkehr seiner Wanda. Er sieht sie schon von weitem. Ein blauer Beutel mit der Aufschrift ZARA in der einen Hand und ihre Tasche über der anderen Schulter, so erreicht sie den Tisch. ‘Wie ein junges Mädchen, Bewegungen, ein spitzbübisches Lächeln, das ist meine Wanda.

„Ich habe einen luftigen Top gefunden, gerade so, wie er mir für die Sonnentage hier am Meer gefällt.“

Mit dieser Ankündigung zaubert Wanda ein leichtes hellblaues Etwas aus dem Beutel, hebt es zur Begutachtung hoch.

Erwartungsvoll schaut sie Wendelin an. Mit einem Schmunzeln drückt Wendelin seine Zustimmung aus.

„Du sagst nichts. Gefällt es dir nicht, was ich gekauft habe?“

„Ich muss das Kleid angezogen sehen, dann werde ich meine…“

„Wendelin, es ist kein Kleid, es ist ein Top!“

„Oh, sorry Liebes, du siehst, ich muss es an deinem Körper sehen, dann werde ich dir meine ehrliche Bewunderung geben. Jedenfalls sieht es lustig aus.“

Enttäuscht packt Wanda ihr erstandenes Oberteil wieder ein. „Du meinst lustig oder luftig?“

„Beides. Genaueres sage ich dir bei Anprobe, einverstanden?“

Nach einer kurzen Pause will Wendelin wissen: „Wie wäre es mit einem Glas Wein? Oder lieber Sekt?“

„Einen Chardonay, halbtrocken, wäre fein.“

Nachdem der Wein mit Nüssen und Salzgebäck serviert ist, fühlt Wanda eine Müdigkeit aufsteigen. „Lass uns ein wenig laufen, dann werde ich wieder richtig wach.“

Mit einem zustimmenden Kopfnicken legt Wendelin seine Hand auf Wandas Arm. „Eine gute Idee, der Wind und die Bewegung werden unsere Lebensgeister wieder wecken.“

Beim Spaziergang auf einem befestigten Gehweg entlang des Wassers beobachten sie die Möwen, die die hereinkommenden Fischerboote begrüßen. Nicht des Begrüßens willen, vielmehr erwarten sie ein delikates Abendbrot.

BLUEBERGSTRAND

Das Hotel bietet alle Annehmlichkeiten, die man sich als Gast wünscht. Aber es ist ein wenig laut. Wendelin und Wanda halten Ausschau nach einem etwas ruhiger gelegenen Hotel. Bei der Information erhalten sie hilfreiche Angebote und ziehen am nächsten Tag in eine ruhige Privat Pension.

An das Linksfahren gewöhnen sich Wanda und Wendelin schnell. Kennt Wendelin doch diese Fahrweise aus Australia.

Am Fuß des Table Mountains lehnt sich Kapstadt wie schutzsuchend an den Berghang. Cape Town ist geprägt von den Holländern. Jedoch hat auch die Präsenz der Engländer ihre Spuren hinterlassen. Gegenüber von Old Town House findet auf einem Parkplatz am Wochenende der Fleemarket statt. Hier kann man afrikanische Kunst sehen und preiswert erwerben. Das South African Museum sowie die St. Mary’s Cathedral erzählen ihre Geschichte, eine von unterschiedlichen Kulturen bestimmte und daraus geprägte Geschichte von Süd Afrika. „Company’s Garden“ bietet eine Oase der Entspannung mitten in der City. Eine Gruppe Gospel singender Männer und Frauen laden zum Mitsingen ein. Die Religion hat in Süd Afrika eine große Bedeutung.

An der „Victoria-and-Alfred-Waterfront“, dem neueren Teil der Stadt, pulsiert das Leben bis spät in die Nacht. Die „Waterfront“ mit ihren 130 Shops und Restaurants gibt dieser kosmopolitischen Stadt am Südzipfel des afrikanischen Kontinents ein exotisches Flair. Cape Town bietet mit seinen 800.000 Einwohnern und 21 Millionen Besuchern im Jahr, ein weltbedeutendes Wirtschaftsleben und ein exotisches Reiseziel. Auf dem medizinischen Sektor wurde Kapstadt bekannt durch die erste Herztransplantation durch Dr. Barnard.

Das Police Department, unweit des Regierungsgebäudes in der Lane Street vermittelt, ein Gefühl der Sicherheit. Etwa 65 000 Deutsche haben diese Region als ihre neue Heimat gewählt und sie hier gefunden.

Von hier aus erreicht man in wenigen Minuten die Cable Car, die die Gäste auf den 1048 m hohen Table Mountain bringen.

Auf dem Plateau führen befestigte Wanderwege zu unterschiedlichen, aus Beton angelegten Aussichtspunkten. Diese Plätze erheben sich über die Felswand hinaus. Durch dicke Eisenträger, die im Felsen verankert sind, erhalten sie ihre Stabilität. Zerklüftetes Felsmassiv wechselt zu Steinen mit seidig glatter Oberfläche. Bei klarem Wetter hat man einen Blick über den Ozean.

„Clipp-Schliefer“, kaninchengroße Pelztiere, laufen und klettern zwischen den Felsspalten hindurch. Die jungen Tiere aalen sich in der Sonne. Sie sind an Besucher gewöhnt. Fast zutraulich bewegen sie sich, laufen zwischen den Touristen hin und her.

Aus dem kargen Boden wachsen einzelne Pflanzen. Neugierig strecken sie ihre Blütenköpfchen der Sonne entgegen.

Ohne auf die Plattform des Aussichtpunktes zu gehen, bietet sich immer noch ein grandioser Blick über das Wasser.

Unweit der Küste von der Südseite des Table Mountain einzusehen, präsentiert sich Robben Island, ein Gefängnis, das bekannt geworden war durch die Inhaftierung Nelson Mandelas, der hier mehr als zwanzig Jahre gefangen war.

Wenn Nebelwolken den Table Mountain einhüllen und er vom Strand aus nicht zu sehen ist, so sagen die Einheimischen, über dem Table ist ein Tischtuch ausgebreitet.

„Wendelin, schau nur, hier sind wir dem Himmel ganz nah!“

Wendelin legt seinen Arm um Wandas Schulter. „Ach Wanda, manchmal denke ich, dass ich mit dir überall dem Himmel näher bin.“

Zur linken Seite erhebt sich der Signal Hill. Man kann mit dem Auto bis zum höchsten Punkt fahren. Eine wunderschöne Landschaft breitet sich unterhalb des Signal Hills aus, in die der Botanische Garten eingebettet liegt. Etwas weiter westlich erstreckt sich eine schroffe Felswand die Küste entlang. Den Signal Hill haben schon viele Verliebte als ihr ganz persönliches Hochzeitsziel gewählt. Immer wieder sieht man Brautpaare und der durch den ständigen Wind bewegte Schleier der Braut wird meist als erstes sichtbar, wenn das Brautpaar die geschmückte „Hochzeitskutsche“ verlässt.

 

In einem Mietwagen unternehmen Wanda und Wendelin kurze Tages- meist Halbtagestouren. Am Atlantischen Ozean ist das Wasser unerwartet kalt. Bis zu 16 Grad Celsius. Das bewirkt der Bengoela Strom, der – entgegen des Golfstroms – vom Südpool her die poolische Kälte zur Westküste bringt. Das Wasser im Indischen Ozean, also an der Ostseite von Süd-Afrika, ist deutlich wärmer.

Kapstadt und Pretoria sind die beiden Hauptstädte von Südafrika. Hier leben Farbige und Weiße in harmonischem Einvernehmen, so scheint es jedenfalls. Sie geben der Stadt ein exotisches Flair.

Wanda und Wendelin besuchen heute eine Veranstaltung, die von afrikanischen Frauen organisiert wird. Es ist ein Projekt der UNO zur Familienplanung. Südafrikanerinnen, die in Europa und Amerika gelebt und studiert haben, wollen die Weiterentwicklung im eigenen Land fördern und setzen sich für Frauenrechte ein. Es sind die Einheimischen, die dieses Projekt ihren afrikanischen Schwestern präsentieren. Ihr Bonus zeigt sich darin, dass sie das Vertrauen der Afrikanerinnen genießen, die ungeschriebenen Gesetzte der seit Generationen übertragenen Tradition kennen und sich durchaus der sich daraus gebildeten Macht in der Gesellschaf bewusst sind. Daher wirken sie überzeugender als die Entwicklungshelfer, die aus fremden Nationen kommen. Verhütungsmittel kennen zu lernen und sie anzuwenden, ist primäres Ziel und in erster Linie Frauensache.

Es erfordert ein echtes Einfühlungsvermögen und die sprichwörtliche „himmlische Geduld“, die uns verloren gegangen ist – die die Menschen in dieser Region mit der Muttermilch aufgenommen zu haben scheinen – sie hilft ihnen, diesen Entwicklungsprozess, wenn auch zuerst zögernd, aber dann doch beständig, voran zu treiben. Vor allem ist es wichtig, dass Verhütungsmittel und Familienplanung auch von den Midland-People akzeptiert werden, somit im Landesinnern ein Umdenken bewirken. Eine über Jahrhunderte bestehende Tradition durch eine neue, fremde, völlig unbekannte Denk- und Handlungsweise zu ersetzen, ist ein nobles Ziel.

Es scheint, als würde die Sonne sich in den Farben der Garderobe widerspiegeln. Auch einige Männer gehören zu den Gästen. Es ist sehr wichtig, dass die Männer einbezogen werden und ihre Meinung in partnerschaftlicher Weise mit den Frauen diskutieren. Die Vorstellung, viele Kinder zu haben, sei eine gute Altersversorgung, muss auch in den Köpfen der Männer reformiert werden.

Ein über Grenzen, Tradition und Farbe hinweg sich zeigendes, solidarisches Verhalten, das Frauen auf der ganzen Welt miteinander verbindet, zeigt sich hier in verblüffender Weise. Sicher gibt es Unterschiede, bedingt durch genetisches Erbe, Erziehung und Bildung. Die wirkungsvollste Veränderung – Geburtenregelung – in einem Land geht oft von den Frauen aus, weil sie betroffen sind. Vor allem heißt es, bei den jungen Männer und Frauen ein Umdenken sowie Verantwortungsübernahme für sich selbst, die Familie und das Land, zu übernehmen. Es ist ein Lernprozess auf allen Ebenen.

Mit einem Gedicht in Afrikaans gesprochen, werden alle Gäste zum Buffett gebeten. Hier gibt es selbstgebackenen Kuchen und Konfekt. Unterschiedliche Getränke werden gereicht. Rotwein und Weißwein aus der Gardenregion rings um Stellenbusch. Natürlich gibt es auch alkoholfreie Getränke.

Lebhafte Konversation entsteht. In kleinen Gruppen sitzen und stehen die Menschen und diskutieren. Wanda und Wendelin sitzen an einem Tisch mit einer Französin und einer Dänin zusammen. Ein Herr aus Germany, Martin, kommt dazu. Er war als Arzt lange in Tansania und später in Äthiopien tätig. Er kennt die Probleme in diesem Land und die Notwendigkeit einer Veränderung. Einige Projekte unter deutscher Leitung haben einen Teil des erwarteten Erfolges gebracht. Interessant berichtet er von seinen Erfahrungen in diesem Land. Er erwähnt das Projekt „Menschen für Menschen“ unter der Leitung von Karl Heinz Böhm, dessen Popularität die Spendenfreudigkeit der Menschen speziell in Deutschland und Österreich positiv angeregt hat und einen entsprechenden Erfolg verbuchen kann.

Süd Afrika geht einer ungewissen Zukunft entgegen. Nelson Mandelas Werk, das er im Amt des „President of South Africa“ innehatte und nach seiner Inhaftierung mit der verbleibenden Kraft wahrnimmt, setzt er neue Impulse. Jedoch fordert das Alter seinen Tribut. Er gibt sein Amt in jüngere Hände. Mit dem neuen Präsidenten stagniert die Weiterentwicklung, Korruption wird immer häufiger entlarvt. Vor allem in den Bereichen Bildung und Schulwesen, Universitäten, Handel und Wirtschaft, Gesundheitswesen und Altersversorgung. Nicht zu übersehen ist, dass an die Stelle von Vertrauen und der daraus sich entwickelnden Motivation zur Eigenverantwortung, die Situation eines schwelenden Vulkans spürbar wird. Die farbige Bevölkerung ist unruhig, will über die Weißen herrschen, ist aber gleichzeitig unerfahren und unfähig.

Helen aus Lyon wendet sich an Wanda. „Ich bin Helen, ich glaube, Sie sind zum ersten Mal hier bei uns. Leben sie hier in Kapstadt?“

„Hallo Helen, ich bin Wanda und das ist Wendelin. Wir beide kommen aus Deutschland. Bisher haben wir nur aus Medienberichten über Süd-Afrika gehört.“

„Etwas außerhalb von Kapstadt, haben sich Townships gebildet. Flüchtlinge aus dem Kongo und Ruanda leben hier in armseligen Blechhütten. Vor Krieg und Unruhen im eigenen Land sind sie geflohen, hoffnungsvoll, sich ein neues Leben hier aufzubauen, landeten sie in den Slums von Süd Afrika. Das birgt eine große Gefahr für Kapstadt. Die Menschen haben keine Arbeit, leben oft unter menschenunwürdigen Bedingungen. Es ist der Nährboden für Gewalt, für Aids und andere Krankheiten. Die UNO versucht zu helfen, indem sie die Regierung auffordert, die Flüchtlinge zu integrieren, ihnen Land zu geben, damit sie sich eine Existenz aufbauen können. Für viele ist das zu spät. Vor allem die jungen Leute brauchen dringend eine Aufgabe. Erfreulicherweise beobachten wir immer wieder, dass ein Teil dieser Menschen Arbeit gefunden hat, in Steinhäusern wohnt und ihre Kinder zur Schule schickt. Leider gibt es immer noch zu viele Gangs, die glauben, es gebe nur eine Problemlösung, die durch Gewalt geschieht. Es ist ein langer Weg. Manchmal möchte man resignieren. Wenn das eine Problem gelöst ist, und man aufatmen will, sieht man sich plötzlich neuen, noch größer scheinenden Problemen gegenüber. Es endet nie. Eine gute Arbeit wird von Organisationen der Kirche geleistet. Dazu gehört die Betreuung der Flüchtlinge mit Hilfe zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus. Ein erster, wichtiger Schritt, der eine Arbeitserlaubnis gewährt.“

In der Commercial Street, unweit der Regierung, gibt es Scalabrini, eine erste Anlaufstelle für Flüchtlinge. Eine Schule ist integriert, die Englisch- und PC-Kurse anbietet für Newcomer. Außerdem erhalten die Flüchtlinge Hilfe bei der Antragstellung zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus. In Scalabrini gibt es Gästezimmer für Touristen. Der Erlös dieser Einnahme wird zur Unterhaltung und Abdeckung der Kosten für die Seminare verwendet.

„Gibt es ein Programm für die Kinder aidskranker Eltern?“

„Es gibt kleinere Hilfsorganisationen die bewundernswerte Arbeit leisten. Ich habe von „Child care“ gehört. Die Kinder, deren Eltern an Aids erkrankt oder schon gestorben sind, werden von dieser Organisation betreut. Aber es sind natürlich viel zu wenige Plätze vorhanden. Außerdem gibt es eigens für an Aids erkrankte Kinder eingerichtete Krankenhäuser. Auch hier verrichten die Kirchen in ihren Einrichtungen sehr gute Arbeit. Sie erhalten Unterstützungen aus Europa von ihrem Mutterhaus oder durch Spenden. Viele der Einrichtungen können nur bestehen, weil die Mitarbeiter viel Eigeninitiativ und Idealismus aufbringen. Sie bringen sich ganz ein für die Kinder. Es gibt einzelne sehr harte Fälle. Eine kleine Jody, gerade sechs alt, fand ich völlig entkräftet sitzend auf dem Boden neben der sterbenden Mutter. Sie hielt die Hand der Mutter, rief ihren Namen immer wieder, als die Mutter längst schon gestorben war. Ich nahm das Mädchen bei der Hand, aber es wollte seine Mutter nicht loslassen. Sie sagte mir, dass die Mutter schlafe und sie wolle bei ihr bleiben bis sie wieder aufwache. Oft sind es Kinder unter zehn Jahren, die die schwerkranke Mutter bis zum Sterben begleiten. Sie bleiben dann alleine, verlassen und hilflos auf der Straße zurück. Glücklicherweise gibt es immer wieder Helfer, die sich um die Straßenkinder kümmern.“

„Ich habe heute sehr viel mehr erfahren, als ich erwartet hatte. Wie gut, dass wir gekommen sind. Vielleicht gibt es ja noch einmal eine Veranstaltung ähnlich dieser hier. Wir möchten uns nun verabschieden. Es war ein langer Tag.“ Mit diesen Worten verlassen Wanda und Wendelin die Damen vom Rotary Club und anderen Organisationen. In den nächsten Tagen wollen sie eine Missionsstation besuchen, etwa 80 Kilometer von Cape Town entfernt.

Wanda ist erschöpft. Zu viel hat sie in den letzten Wochen an Ungewöhnlichem erlebt.

Spontan entscheiden Wanda und Wendelin, am Morgen des Heilig Abend in den Botanic Garden zu gehen. Südöstlich, also hinter dem Table Mountain, erstreckt sich der Botanic Garden. Ein Temperaturunterschied von mehr als 10° C erwartet sie hier. Hier im Botanic Garden ist man geschützt vor dem herben Wind an der Westküste.

Exotische Vögel leben hier ungestört. Ein Summen und Zwitschern vermischt sich mit unterschiedlichen Lauten der Pinguine und erzählt von der Lebendigkeit dieses Paradieses. Aber auch die Flora bietet ein Meer von unterschiedlichen Blütenfarben und Düften.

Nach dem Besuch im Botanic Garden fahren sie, einem spontanen Entschluss folgend, noch einmal zur Waterfront. Wanda möchte noch ein kleines Geschenk für Wendelin besorgen, es ist ja Weihnachten!

Überrascht sehen sie, dass hier am Seeufer ein Open Air Christmas Concert stattfindet, das um 17:00 Uhr beginnt. Vor der Kirche sind Stuhlreihen aufgestellt. Bei näherem Hinschauen sehen sie, dass die ersten Besucher schon Platz genommen haben. Sie finden günstige Plätze, von wo aus sie die Darbietung gut übersehen können. Rote Kleider tragen die Damen des Chors, die nun die Bühne betreten. Es werden Weihnachtslieder in Englisch und Africaans vorgetragen, von einem Piano, zwei Geigen und einer Gitarre begleitet. Mit diesen vertrauten Melodien entsteht nun doch, ganz unerwartet, eine Weihnachtstimmung.

Am späten Nachmittag erreichen sie ihre Pension am Bluebergstrand, wo sie von Lady Dina und deren Tochter zu einer Weihnachtsfeier mit internationalen Gästen erwartet werden. Ein schwedisches Ehepaar, ein Herr aus Spanien und die beiden aus Germany oder Australia und Florida, bilden mit den Gastgebern Lady Di, wie sie liebevoll genannt wird, ihrer Tochter Dana und deren Mann Winston, sowie ihre beiden Kinder, die Weihnachtsgesellschaft. Alle singen Weihnachtslieder. Dabei werden sie von Winstons erwachsenem Sohn mit der Gitarre begleitet. Dana liest die Weihnachtsgeschichte, die immer wieder von einem „Stille Nacht … unterbrochen wird. Eine feierliche Atmosphäre ist spürbar.

Wanda und Wendelin haben vorgesehen, in der ersten Januarwoche den Bluebergstrand zu verlassen und zur Weiterfahrt aufzubrechen. Die Küste entlang zum Indian Ocean und von dort aus weiter in den Norden. Die genaue Wegstrecke wollen sie von einem Tag auf den anderen festlegen.

Von Winston, dem Gastgeber der letzten, Tage haben sie erfahren, dass es in der Nähe eine alte, hübsche Kapelle gibt. Unweit, zur Kapelle gehörend, soll es ein Waisenhaus geben, für Kinder, deren Eltern an Aids erkrankt oder verstorben sind. Wanda möchte den Ort aufsuchen, da es sich um eine deutsche Stiftung handelt. Etabliert wurde dieses Waisenhaus von einem Ehepaar aus Köln. Die Unterhaltung wird heute überwiegend aus Spenden finanziert und durch freiwillige Helfer, Ärzte und Schwestern unterstützt, die einige Monate oder länger hier arbeiten.

„Ich finde es bewundernswert, dass sich Leute für dieses Projekt einsetzten. Gerne würde ich sehen, wie das in der Praxis gestaltet wird. Lass uns den kleinen Umweg machen, bevor wir dann in den Norden aufbrechen.“

„Willst du etwa dort tätig werden?“

„Wenn ich 20 Jahre jünger wäre, würde ich bestimmt meinen Einsatz einbringen. Aber so, in meinem Alter – leider zu spät. Aber ich würde gerne wissen, was ich versäumt habe.“

 

Mit dem Auto brauchen sie etwa 50 Minuten bis zur Kapelle. Mitten im Wald in einer Lichtung gelegen, stehen sie vor einer Kapelle in einem Gutshof ähnlichen Park gelegen.

Der Spätnachmittag vermittelt ein ungewöhnliches Licht. In dem einzigen Innenraum scheinen die letzten Sonnenstrahlen das Licht zu verstärken und zu bündeln, als würde später die Nacht von diesem gespeicherten Licht erhellt, somit den Energiefluss innerhalb dieses Raumes in den nächsten Tag fließen lassen, um dann wieder neu zu beginnen und neue Energie aufzunehmen.

Eine Türe führt zur modern eingerichteten Küche. In der Mitte steht ein Gasherd mit sechs Kochstellen und rechts neben dem Geschirrschrank befindet sich der Kühlraum. Back- und Micro-ofen sowie Arbeitsplatten sind neben dem Spülautomaten angebracht. Von dieser funktionstüchtigen Küche in gepflegtem Zustand, können Gäste mit Essen versorgt werden. Obwohl niemand hier zu sein scheint, sind alle Türen geöffnet. Die Missionsanlage besteht aus einem U-förmigen Gebäude. Im kleineren Teil befindet sich der sakrale Raum. Wanda ist begeistert von der Lage und von der Einrichtung. Zu gerne hätte sie gewusst, welche und wie häufig hier Veranstaltungen stattfinden. Es wäre der geeignete Ort für eine soziale Einrichtung.

Lächelnd nimmt sie Wendelins Arm und die beiden gehen weiter in den Wald. Es ist sehr heiß. In den Bäumen geht es sehr lebendig zu. Vögel fliegen zwitschernd zwischen den Zweigen hindurch, Eichhörnchen huschen den Baumstamm hinauf, überall ist Leben und Lebensfreude spürbar. Durch ein leises Scharren im Laub aufmerksam geworden, entdeckt Wendelin eine Eidechse, die sich durch das Unterholz schlängelt. Wendelin hat einen kleinen Steinhügel entdeckt, dem er seine ganze Aufmerksamkeit widmet. Er schiebt einen der oberen Steine etwas zur Seite und ihm eröffnet sich eine Welt voller Leben. Es wimmelt und krabbelt von unzähligen Käfern, Würmern und Insekten, die sich hier zwischen den Steinen ihre Wohnung gebaut haben. Eine ganze Weile beobachtet er das geschäftige Treiben, ähnlich eines Ameisenhügels.

Versunken in Erinnerung an seine Kinderzeit, betrachtet Wendelin mit welch einer Emsigkeit die Insekten ihren Tag gestalten.

„Wanda, schau’ nur wie viel Leben sich unter diesen Steinen verbirgt.“

Lächelnd geht sie zu Wendelin und streicht über seinen Rücken.

Was für ein wunderbarer Mann.

Wendelin setzt sich zu Wanda auf die Bank. Schweigend hängt jeder seinen eigenen Gedanken nach. Beide haben ja ein Leben ohne den anderen schon gelebt, bevor sie sich neu begegneten.

Aus einem plötzlichen Impuls legt Wanda ihre Hand auf seinen Arm. „Wendelin, soll ich dir sagen, was ich jetzt gerne möchte?“

Wendelin schaut ihr in die Augen. Am liebsten würde er die Hand von Wanda streicheln, die auf seinem Arm ruht. Aber er fürchtet, sie würde sie zurückziehen.

„Was möchtest du Wanda?“, er versucht seiner Stimme Festigkeit zu geben, was ihm aber nicht ganz gelingen will.

„Ich möchte dich einfach küssen.“

Wendelin umfasst ihr Gesicht mit beiden Händen. Er schaut auf ihre Lippen, die sich leicht geöffnet haben. Langsam nähert sein Mund sich dem ihren. In einem langen Kuss bestätigen sie beide, was sie für einander empfinden.

„Ich habe bei dir ein Gefühl, was ich es damals als Oberschüler hatte, als ich zum ersten Mal ein Mädchen in den Armen hielt. Eben ein Gefühl der Unsicherheit. – Schon lange habe ich mir gewünscht, dich zu küssen. – Du bist ein wunderbares Mädchen!“

„Oberschüler“ hat er gesagt, einer der noch zur Penne geht!

„Wo bist du denn zur Schule gegangen, als Oberschüler?“

Ohne eine Antwort zu geben, streichelt Wendelin über ihren Rücken und ihre nackten Arme. So sitzen sie lange ohne ein Wort.

Wendelin hält eine neue Wanda in seinen Armen. Von der selbstbewussten Frau ist nun nichts mehr zu spüren. Dabei kehrt seine Selbstsicherheit zurück, beschützend drückt er sich an sich. Sie scheint in diesem Augenblick so zerbrechlich.

Eine ganze Weile hatten sie auf dem Baumstamm gesessen verträumt dem lebendigen Treiben auf dem Biotop zugeschaut.

Ob das, was sie zu Wendelin hinzieht, mit Liebe zu definieren ist? Was ist schon Liebe? Abnutzungserscheinungen weist sie auf. Ein zu oft und zu schnell gesprochenes Wort. Seiner eigentlichen Bedeutung scheint es oft so weit entfernt zu sein. Für Wanda ist Liebe etwas so Besonderes, dass sie es nur sehr selten in ihrem Leben ausgesprochen hat! Das wird sich auch nicht ändern.

Sie, Wanda, ist sehr vorsichtig geworden, mit diesem Wort. Und sie glaubt, je häufiger man es benutzt, umso mehr verliere es seinen Wert. Aber nun will sie sich nicht mit diesen Gedanken beschäftigen und schiebt sie weg. Was ist nur los? Unterschiedliche Erinnerungen, fast chaotisch anmutend, die vergessen waren – oder nur verdrängt – scheinen sie einzuholen. Warum gerade jetzt?

Einfach nur da sein, ruhig sein, dem inneren Frieden lauschend Geborgenheit spürend.

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