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Pfarre und Schule. Zweiter Band.

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Zehntes Kapitel.
Die Verabredung

Der Abend brach an, die Sonne sank hinter den glühenden Gipfeln der Bäume in ihr rosenbestreutes Bett und hier und da funkelte einer der klaren blitzenden Sterne nach dem andern von dem mattblauen Himmelsgewölbe nieder.

Auf dem Hofe des Rittergutes zu Horneck sah es ziemlich still und leer aus, die Knechte waren noch in der Schenke oben, oder saßen in der Gesindestube – die Mägde melkten die Kühe, um recht bald fertig zu sein, und den Tanz nachher nicht zu versäumen, und die Brennerei und andere Gebäude standen fest verschlossen. Nur im Zimmer der Herrschaft brannte helles Licht und eine laute Stimme schallte manchmal von dort herüber über den stillen Hof, daß Eines oder das andere vom vorübergehenden Gesinde wohl einen Augenblick stehen blieb, zuhorchte, dann mit dem Kopfe schüttelte und weiter ging.

Die breite steinerne Treppe, die, von zwei Seiten und in der Mitte zusammenlaufend, zur Eingangsthüre der herrschaftlichen Wohnung hinaufführte, stieg jetzt ein Mann hinauf, der wohl schon eine Viertelstunde unten im Schatten der Kastanien gestanden und der Stimme gelauscht hatte. Er blieb auch auf den Stufen noch einige Male stehen, und schien überhaupt gar nicht so recht entschlossen, ob er weiter gehen oder vielleicht gar lieber wieder umkehren solle. Endlich entschied er sich aber doch wohl für das erstere, sprang schnell die noch wenigen Stufen hinauf, öffnete rasch die Thüre und sah gerade wie von dem Schlüsselloch links – nach derselben Stube hinein, aus der das laute Sprechen tönte, eine dunkle Gestalt blitzesschnell zurück und der in die Gesindestuben niederlaufenden Treppe zufuhr.

»Poller!« rief aber der eben Gekommene, und der junge Bursche, der hier so unversehens beim Horchen ertappt worden, wandte sich rasch um und blieb stehen.

»Poller – pst!« wiederholte aber der Erstere, »auf ein Wort!«

»Hallo, Krautsch,« sagte mit überraschter, aber unterdrückter Stimme der Horcher, und kam mit geräuschlosen Schritten auf diesen zu – »was zum Teufel führt Dich denn eigentlich hierher – laß Dich nur um Gottes Willen nicht – und besonders heute nicht von dem gnädigen Herrn blicken, der ist schon wüthend genug auf Dich wegen Deines Wilddiebstahls, eine Sünde, die Du einmal nicht lassen kannst, und heute kämst Du ihm außerdem gerade recht.«

»Nu, was giehts denn grade hinte an en Sonndag?« frug Krautsch – »hot he sich mit Jemand gezankt?«

»Mit Jemand? – nein, die, welche Ursache hätte gegen ihn zu zanken, thut den Mund nicht mehr auf, so gut sie auch sonst die Zunge zu brauchen wußte!«

»Was? – habt' Ihr ene Leiche im Haus?« rief Krautsch erstaunt.

»Nein, fürchte Dich nicht,« lachte Poller – »'s ist nur die neue Frau von Gaulitz, die jetzt Schläge kriegt nach Noten.«

»De Frau von Gaulitz Schläge? – Papperlapapp,« sagte ungläubig der Mann – »ja, wenn unse Eeener verheirath' is, und seiner Olen eimal ene im Vertrauen sticht – aber die gnädige Frau von Gaulitz –«

»– Wird von dem alten Schuft mißhandelt, daß es eine Art hat,« ergänzte Karl Poller in nicht gerade ehrerbietiger Weise des Freundes Rede – »Die Geschichte spielt übrigens schon ein paar Monate – ja seiner ersten Frau, einer wirklichen Dame, hat er's nicht besser gemacht, und da braucht sich die jetzige, seine frühere Haushälterin, denn auch nicht zu wundern, daß es ihr nicht besser geht – na, verdient hat sie's – wenn auch nicht gerade um ihn.«

»Verdient? – wie so?« frug Krautsch neugierig.

»Hm,« meinte Poller wichtig – »das sind Familiengeheimnisse, die besser ›unter uns‹ bleiben – man hat auch seine Rücksichten zu nehmen. – Aber was führt Dich eigentlich auf's Schloß her, willst Du wirklich den gnädigen Herrn selbst sprechen.«

»Ne, ich danke,« brummte der Wilddieb, »där mechte mer schiane uf de Hucke steigen – ich wulle Dich sprächen – he Karl, wie stiahts denn egentlich mit meiner Geschichte – han ich was zu ferchten, un is es verleicht besser, ich bin emal Morgens ganz wegg?«

»Besser jedenfalls,« erwiederte ihm vorsichtig Poller – »außerdem liegt der Wilddiebstahl nicht allein gegen Dich vor, sondern ich weiß aus ganz sicherer Quelle, daß, der Teufel mag errathen woher, noch eine andere Klage gegen Dich aufgetaucht ist, die – doch Du wirst schon wissen, was ich meine.«

»Dunnerwetter!« rief, aber mit ganz leiser, erschreckter Stimme der Bursche – »das wiare en schiane Geschichte, aber Mosje Poller, in där stiaken mer nich alleene drin – zu där sein noch angere Personen nethig, die nachens eben so dusemang fortmachen kennten wie unser Ener.«

»Sprich nicht so laut,« flüsterte Poller – »ich weiß wohl, es ist eine verfluchte Bescheerung und ich werde Dich darin nicht im Stiche lassen; ich kann's aber am besten noch abwarten, denn hier sitz ich an der Quelle, und bin jeden Augenblick im Stande, zu erfahren, wie die Sachen stehen. Ist's nachher Zeit, nun zum Henker noch einmal, dann müßt's ja keine Eisenbahnen geben, und so viel, daß man nicht gerade gleich verhungert, nun dazu wird wohl noch Rath werden.«

»Here, bei dem Verhungern,« flüsterte Krautsch, »fällt mer en verflucht guder Gedanke in – wie wärsch denn nu, wenn mer –«

»Pst!« sagte Poller, und horchte aufmerksam nach der Thür herüber, hinter der der Lärmen gerade von Neuem auszubrechen schien – »jetzt geht's wieder los, na der klopft seine eine Hälfte in der Nacht noch windelweich – so einen Mann wünscht' ich mir auch, wenn ich eine Frau wäre – alt, geizig wie ein Harpar, häßlich wie die Nacht, ein Tyrann wie ein Tiger und ein frommer Betbruder dabei, der so voller Bibelverse steckt, wie ein alter Käse voller Maden.«

»Jetzt sagt sie wuhl was?« flüsterte Krautsch, hinüberhorchend.

Poller erwiederte Nichts, sondern schlich nur, während im Innern die klagende Stimme der Frau laut wurde, vorsichtig wieder auf seinen alten Platz zur Thüre, und legte erst das Auge und dann das Ohr so dicht als möglich an das Schlüsselloch an.

»Ich bitte Dich um Gottes Barmherzigkeit Willen, Gaulitz, schlage mich nicht mehr,« flehte die Frau, »was habe ich Dir denn zu Leide gethan, daß Du Alles das, was Du mir früher geschworen, so ganz vergessen hast, und mich jetzt wie eine Verbrecherin behandelst – wohl bin ich schuldig und heute – heute seh' ich ein, was ich an ihr begangen, aber Du wahrlich solltest doch der letzte Mann auf der weiten Gotteswelt sein, der mich darum mißhandelte.«

»Hinaus mit Dir – hinaus und in die Gesindestube hinunter, wohin Du gehörst,« rief aber jetzt, durch diesen Vorwurf wohl um so mehr gereizt, da er so sicher gezielt war, daß er das schlummernde Gewissen des Mannes im innersten Herzen traf, der Oberpostdirector – »in die Gesindestube mit Dir und –«

»Hülfe!« schrie die Frau, und ehe Poller, der in diesem Augenblicke gerade versucht hatte, einen Blick in das Innere zu gewinnen, im Stande war, zurückzufahren, flog die Thür auf und traf den Horchenden mit solcher Gewalt an die Stirn, daß er rücklings zur Erde geschleudert wurde. Krautsch behielt eben noch so viel Zeit, sich in die Fensterbrüstung zu drücken. Poller aber fühlte sich, ehe er im Stande war, wieder in die Höhe zu springen und zu entfliehen, in der kräftigen Faust des Oberpostdirectors, der den Stock, den er eben in der Hand hielt, derb auf Kopf und Schultern niederfallen ließ und den armen Teufel so lange bearbeitete, als er nur noch einen Arm möglicher Weise rühren konnte.

»So – Canaille!« rief er endlich, als er erschöpft inne halten mußte, »da –« und er stieß ihn verächtlich mit dem Fuße von sich – »das hast Du für's Horchen und ich will Dich lehren, Deine Ohren wieder an Zimmerthüren zu legen, hinter denen ich spreche – thust Du's, dann sei versichert, daß ich Dich Jesum Christum noch besser erkennen lehre.«

Damit trat er zurück, warf die Thüre hinter sich mit aller Gewalt in's Schloß und ließ den Mißhandelten fast bewußtlos vor Schmerz und Wuth auf der Erde liegen.

Dieser raffte sich endlich mit leisem Stöhnen und einem bitteren, zwischen den Zähnen hervorgemurmelten Fluch auf und wandte sich, als ob er die hintere Treppe hinunter gehen wollte, Krautsch aber glitt in diesem Augenblicke aus der Fenstervertiefung vor, faßte den Freund am Arm und zog den nicht Widerstrebenden, ohne weiter ein Wort mit ihm zu wechseln, zur vordern Thür hinaus, die steinerne Treppe, dem Thore zu, hinunter, und vor das Gut, in den dicht daran stoßenden in dieser Abendzeit sonst von keinem Menschen betretenen Obstgarten hinaus.

»Nun, was hast Du? – was soll?« knurrte Poller endlich, mürrisch und erzürnt genug, als sein Freund hier, und an der höchstgelegensten Stelle, von wo aus sie nach allen Richtungen hin das Nahen eines Dritten leicht erblicken konnten, stehen blieb und lauschte, ob sie auch wirklich allein und von Niemandem behorcht seien – »was soll die Allfanzerei, Gott verdamm mich, ich fange an, es satt zu kriegen, vor dem ›gestrengen Herrn‹ da drinn Versteckens zu spielen. Hol' ihn der Teufel, ich will mich nicht weiß brennen, aber geniren würd' ich mich, die Sonne auf mich niederscheinen zu lassen, wenn ich ein so niederträchtiger und hundsföttischer Schurke wäre wie der Herr Oberpostdirector.«

»Willst Du Dich rächen,« flüsterte ihm Krautsch leise und vorsichtig in's Ohr. Poller fuhr rasch nach ihm herum, und schaute ihm fest und fragend in das schlau blinzende tückische Angesicht.

»Ob ich's will,« sagte er nach einigen Secunden, »aber wie? – weißt Du ein Mittel? – verrathen darf ich ihn nicht – ich stecke selbst zu verdammt tief mit in alle den Geschichten, sonst gäb' es Nichts leichteres auf der weiten Gotteswelt, als den Burschen Hals über Kopf in's Zuchthaus zu schicken.«

»Zuchthaus?« meinte Krautsch verächtlich – »da sägst Du dernach aus, so 'ne hohe Perschon in's Zuchthaus zu kriegen, als ob die nich Winkelzige genug kennten, drim herim zu gehn – ene Krahe hackt der angeren de Oogen noch lange nich aus, un wo mer sich hier nich selber hilft, da husten Enen die Angeren erscht recht was – ne Poller, aber ich weeß Der en Mittel – machst De mit?«

 

»Nun heraus mit der Sprache – erst muß ich's jedenfalls wissen, ehe ich 'was Bestimmtes dazu sagen kann – he?«

»Ich habe schonst oben im Hause davon angefangen, als der Spektakel losgung – Du meentest doch 'was von Verhungern –«

»Hm – und weiter.«

»Nun siehst De,« fuhr Krautsch eben so leise fort – »wir zwee Beede haben das Heifige gerade nich – wenn mer aber so en Platz wißten, wo mer mit eenem Ruck – verstehst De mich – so was zesammen derwischen kennten. –«

»Nun? –«

»Nu? – ih nu, denn meen ich, mer ließen uns de Zeit nicht lange währen, en griffen zu. – Merkst De noch nix?«

»Hm – nun sprich aus,« sagte Poller sinnend, und seinen Freund dabei etwas mißtrauisch von der Seite anschauend.

»Da is weiter nischt mehr groß auszesprechen,« brummte aber der Bursche – »wenn De mich alleweile noch nich verstiahst, so hast'n Brät vorm Kopp – Willst es aber absolut deitsch haben, so kannst' es ooch kreihn – wie viele Geld hat der Postdirecter neilich mit heeme gebracht?«

»Wie viel? – hm – wenn wir Beide es hätten, könnten wir für unser künftiges Leben zufrieden sein.«

»Na also, un worum kennen wir Beede das nich etwa kreihn? Das mecht ich wissen. –«

»Das geht nicht,« sagte Poller nach kurzem finsteren Brüten – »am Tage ist das Zimmer, wo das Geld liegt, fest und sicher verwahrt, und liegt so von den übrigen Wohnungen umgeben, daß an ein Einbrechen gar nicht zu denken wäre, und in der Nacht schläft jetzt, seit es auf dem Gute ist, der Oberpostdirector selbst darin, und hat immer zwei geladene Pistolen neben sich über dem Bette hängen. Das Einzige wäre –«

»Nu – 'raus mit das Eenzige.«

»Das Einzige wäre, wenn er einmal wieder in dieser Zeit sein gewöhnliches Reißen bekäme und das Bett den Tag über hüten müßte; dann ging es allenfalls, dann sind wir, ich und mein Alter, die einzigen Personen, die zu ihm hinein dürfen, und nachher – Gift und Tod, das müßte eine Wonne sein, dem alten schurkischen Geizhals den so heilig gehaltenen Mammon von der Seele reißen zu können, und das wäre allerdings eine Rache. Ich glaube, er ließ, wenn ihm die Wahl gegeben würde, zehntausendmal lieber sein Leben als sein Geld, und verdammt will ich sein, wenn er es da nicht auch ganz richtig taxirt. – Wart Bursche, den Karl Poller hast Du nicht umsonst wie einen Hund geschlagen und getreten, und gedenken thut Dir's der, so lange er ein Glied rühren und einen Plan ausbrüten kann.«

»Also wenn er im Bette liggt, nachens kennten mer ankommen?« frug Krautsch.

»Die Leute wären nur immer noch zu sehr im Weg,« brummte Poller leise vor sich hin – »wenn man nachher etwas auffinden könnte, sie alle hinten nach den Scheunen hinzulocken.«

»Hm, das wäre nu grade keene Kunst niche,« lachte der Mann – »en kleen Bischen Feier in's Untertenne mißte ungeheier schiahn aussähn – nachens sterzten se sicher Alle hinger.«

»Brandstifter?« sagte Poller erschreckt – »alle Wetter nein – das geht doch nicht – da steht Kettenstrafe drauf und zehn oder funfzehn Jahre mit einer Kette am Bein Straßen zu kehren – nein, damit wäre der Spaß doch ein Bischen zu theuer erkauft.«

»Papperlapapp!« sagte mit heiserem Lachen Krautsch, »wenn mer sich derwischen läßt, so hat mer's nich wegen Brandstiften, sondern wegen's d'Erwischen lassen verdient – mer werd aber nich so dumm sin – mir kommen weck, davor sin mer sicher.«

»Ich weiß doch nicht – die Sache ist mir zu gefährlich, das will ich gerade nicht sagen, klingt aber zu bös und – könnte Einen in verdammte Verlegenheiten bringen – ich will mir's lieber noch eine Weile überlegen – wir können morgen wieder einmal darauf zurückkommen.«

»Zurückkommen?« brummte Krautsch ärgerlich – »wenn se mich vor – und die angere Geschichte rauskreihn, nachens, dächt' ich, sprächen mer Beede nich sehre mehr von Zerickkommen, un da mer nu noch da sin, wär's meiner Six de rechte Zeit. Nu, Poller, machst De mit?«

»Du willst das Feuer anlegen, und mich nachher – laß einmal sehen – ja – an der Blutbuche neben der kleinen Waldwiese treffen und wenn wir dann im nächsten Dorf leicht einen Wagen kriegen könnten, der uns auf den Bahnhof bis Tagesanbruch führte –?«

»Na ob – ich bin en merkwirdiger Feierwerker – aber wie wärsch denn, wenn mer die Sache gleich morgen machten? da han se ja Treibjagd uff'n Feldern.«

»Nein morgen geht es noch unter keiner Bedingung – den Tag würd' ich schon bestimmen – also Du besorgtest das, und nachher?«

»Dann theelen mer.«

»Gleiche Hälften?«

»Nu verstäht sich – worum denn niche?«

»Hm – ja, versteht sich – ich will mir die Sache doch lieber noch einmal erst überlegen.«

Poller wollte sich abwenden, um zum Schloß zurückzugehen, Krautsch frug ihn lachend, ob er sich vielleicht noch eine zweite Tracht Prügel und einige Fußtritte holen wolle – der Oberpostdirector scheine gerade dazu in der rechten Laune gewesen zu sein. – Poller ging mit untergeschlagenen Armen bis ans Thor des Obstgartens, blieb da stehen, kehrte wieder zurück und flüsterte dann mit dem ihn lächelnd Erwartenden wohl noch eine halbe Stunde auf das Angelegentlichste zusammen, dann glitt er leise und vorsichtig wieder in das Thor des Schloßhofs hinein, dessen kleine Pforte noch aufstand und erreichte auch, ohne vermißt zu sein, die Stube, die er mit seinem Vater theilte, während Krautsch durch den Obstgarten hinging und am anderen Ende desselben über die niedere Lehmmauer stieg, die ihn von der in's Dorf hineinführenden Straße trennte.

Elftes Kapitel.
Wahlert und Kraft

Treibjagd in Horneck – ei, was für ein fröhliches frisches Leben da gleich über die Leute kommt, die sonst so still und stolz ihre Bahn gehen; ist es denn nicht gerade, als ob sie mit den Wasserstiefeln und der Pelzmütze auch den Philister aus- und den vernünftigen Menschen auf einmal angezogen hätten, und nun mit ihres Gleichen, das heißt, mit anderen zweibeinigen Söhnen Gottes, mögen sie ein paar tausend Thaler mehr oder weniger im Vermögen haben, als sie selber, so freundschaftlich und vertraut verkehren, als wie gerade mit – »eben ihres Gleichen?«

Auf der Jagd hört jeder Standesunterschied auf, die verschiedenen Herren Barone, Grafen und Rittmeister von so und so sind eben nicht Barone, Grafen und Rittmeister mehr, sondern einfach, mit den Bauern, Jägern, Pachtern etc. etc. »die Herren Schützen,« und die Hasenfelle kehren sich eben so wenig an den Stand, sondern brennen durch, wo sie ein »Loch« sehen, mag das nun durch einen Grafen oder Bauer gemacht sein.

»Auf der Jagd hört jeder Standesunterschied auf, lieber Leser? Bitte um Verzeihung, wenn Du das glaubst, bist Du noch nie mit in Horneck auf der Jagd gewesen, denn gerade da wäre Dir der Unterschied der zwischen ›von‹ und ›nicht von‹ gemacht wurde, um so mehr aufgefallen, da Du ihn in der einfachen, sonst so gemüthlichen Dorfkneipe doch sicherlich nun und nimmer vermuthet.«

Herr von Gaulitz, dem die Jagd gehörte, hatte nämlich zu dieser, der ersten Treibjagd in diesem Jahr, eine sehr große Schützenzahl eingeladen, da die Aufhebung der Jagdgerechtigkeit zu nahe bevorstand, um nicht wenigstens jetzt noch Alles todt zu schießen, was irgend vorkam. An Schonen konnte gar kein Gedanke mehr sein, denn daß er, wie ihm die Bauern geneigt waren, die Jagd unter keiner Bedingung von denen in Pacht bekam, und wenn er sie wirklich hätte außergewöhnlich hoch bezahlen wollen, lag auf der Hand. Die Losung hieß daher, da auch einige Stücken Holz sollten mit abgetrieben werden, »Rikke und Bock,« und wenn Fasanen vorkamen, »Hahn und Henne.«

»Druff uf Alles was rauch is,« sagten die Bauern – »ich wäre mich aber hiten un en Reh schießen; die loofen mer gut genung bis zum nächsten Jahre rim, un nachens han ich se sälber – nur rächte Lecher machen.«2

Da es aber nun außer aller Frage war, daß der Herr Oberpostdirector von Gaulitz eben die Sprößlinge altadliger Geschlechter mit den »Schützen« – die er nun doch einmal gezwungen war einzuladen, damit sein Treiben nicht zu klein, und die Rehe und Hasen nicht verscheucht würden, ehe nur einmal zum Eindrücken abgeblasen wäre – nicht in eine und dieselbe Stube sperren und mit einem und demselben Frühstücke versehen konnte, so war der Wirth der Hornecker Schenke angewiesen worden, das gewöhnliche Gastzimmer für die »Schützen und Treiber,« oder mit anderen Worten für Alles, was zu Fuß oder in Droschken kam, und das grüne Zimmer, zu dem auch noch ein besonderer Eingang von außen führte, für die »Herrschaften,« oder alles das, was in eigenen Equipagen oder zu Pferde kam, herzurichten. In der Gaststube gab es dabei Eierbier, Franzbrödchen, Bratwürste und richtigen Korn; in der grünen Stube dagegen Wein, Caviar, Schweizerkäse, Franzbrödchen und Gänse- und Schweinebraten.

Und vor der Thür standen die Treiberjungen in ihren abgerissenen Jacken und Hosen – denn zur Jagd wurde natürlich immer das Schlechteste angezogen – mit großen rauhgeschnittenen Stöcken in der Hand, die Hände in die Jacken vorn gesteckt, und die schmutzigen Mützen bis über die Ohren gezogen, und schauten sehnsüchtig hinein nach den wohlbesetzten Tischen und zechenden Gästen, nach den lockenden Braten und gut duftenden Würsten. O, was hätten sie d'rum gegeben, nur ein einziges Mal so recht aus vollen Kräften und mit unbeschränkter Quantität hineinbeißen zu dürfen in all' das Wonneausströmende – nur ein einziges Mal auch sich mit so fettigem Mund und Seligkeit strahlenden Zügen, in der rechten Hand eine Gänsekeule, in der linken ein Glas blinkenden Rothwein dastehen zu sehen, wie den kleinen dicken Mann in dem grünen Rock und der flachen Mütze – aber nein – laufen durften Sie mit, und Hasen schleppen – angeschossenen nachjagen, bis sie nicht mehr konnten, und Jagdtaschen tragen und Hunde führen, aber sonst brauchten sie nichts – das Stückchen Schwarzbrod, was sie in der Tasche trugen, war ihre einzige Nahrung – und auch das fror manchmal, wenn der Nordwind so recht über die harten Sturzäcker und durch ihre dünnen Kleider pfiff – außerdem bekamen sie auch wohl noch einen Schnaps und fünf Silbergroschen auf den Tag. –

Aber den Anblick hatten sie frei – sie konnten doch wenigstens sehen, wie der lange Herr da mit dem großen Schnurrbart und dem riesigen Muff um den Leib, ein halbes Franzbrod nach dem anderen die unermüdliche Kehle hinabsandte, und nur manchmal die Brod- und Fleischteller verließ, um eine verhältnißmäßige und angemessene Quantität Flüssigkeit nachzuspühlen – oder jener beleibte Herr mit dem Pfaffengesicht – nur ein Buchhändler aus der Residenz, aber Einer, der sich gern mit zur »Aristokratie« zählte, oder sich wenigstens unter jeder Bedingung dazu hielt – unbestimmte Massen in zu diesem Zwecke besonders mitgebrachtes Papier einwickelte, und –

»Wollt Ihr fort da, verdammte Jungen!« fuhr sie in dem Augenblick eine grimme Baßstimme an, und die armen Teufel stoben wie Spreu vor einem plötzlichen Sturmwind aus einander – es war der Rittmeister von Gaulitz, ein Vetter des Gutsherrn, der, einen wilden Blick um sich herwerfend, und zornige Flüche dabei in den fuchsrothen Bart murmelnd, aus der Thüre stolzirte, um sich draußen in frischer Luft von dem etwas zu eifrig eingeladenen Frühstück ein wenig zu verschnaufen. Die Treiber zogen sich etwas ängstlich vor der breitkräftigen Gestalt in einen entfernteren Theil der Hausflur zurück, und die Thür zu den »Herrschaften« wurde geschlossen.

Lebendiger und wo möglich noch weniger ceremoniell ging es in der Gaststube zu, wo sich die eingeladenen Revierjäger aus der Umgegend, die Bauern, Verwalter etc. etc. mit Amtsschreibern, Steuerbeamten, Controleuren etc. etc. versammelt hatten, und zwischen ihnen durch die Treiber mit ihren langen Stecken manchmal hin und herschritten, und bald hier von dem einen Schnaps, bald von dem eine Tasse Eierbier eingeschenkt bekamen.

Besonders um einen Tisch in der Mitte hatte sich eine muntere Gruppe gebildet, deren Glanzpunkt ein kleiner wohlbeleibter Bauer mit rother, in's bläuliche spielender und ungewöhnlich großer Nase war. Die kleine dicke Gestalt sprudelte von einer Art trockenen Humors, und das ganze Aussehen des Mannes gab jedem, was er sagte, etwas nur um so mehr, und oft unwiderstehlich Komisches. Je öfter ihn die Umstehenden zu necken suchten, mit desto schärferer Münze zahlte er sie zurück, bis das Gespräch endlich ernster und ernster, und auch auf den jetzigen wie den künftigen Zustand der Jagd gelenkt wurde.

 

»Nun Beukel, und was macht Ihr denn, wenn Ihr die Jagd auf Eueren eigenen Aeckern und Wiesen wirklich in Wald und Teich freibekommt, schont Ihr?« frug den Bauer einer der Revierjäger.

»Nich 's Kalb im Mutterleibe« schwur Beukel und schlug mit der schweren Hand donnernd auf dem Tisch – »die Freude dauert doch am Ende nicht lange – und nachher ärgerte man sich erst recht, wenn man den Großmüthigen gespielt hätte.«

»Na das wird eine schöne Aasjägerei werden – nachher kann unser Einer nur die Flinte an den Nagel hängen.«

»Habt sie auch lange genug auf fremder Leute Grund und Boden herumgeschleppt« meinte Beukel – »dem Bauer schmeckt sein Hase auch.«

»Daß er dran erstickte« murmelte der Jäger leise vor sich hin.

»Ne ne,« lachte aber der Bauer, der die kaum hörbaren Worte doch verstanden hatte, »der erstickt schon nicht dran, überhaupt wissen die armen Leute jetzt noch gar nicht einmal, daß Hasenbraten gut schmeckt, und es wäre doch recht schön, wenn sie das bei der Gelegenheit auch einmal erführen.«

»Bei der Gelegenheit nun schon nicht« sagte ein Förster, der hinter Beukels Stuhl stand und seine Pfeife stopfte.

»Bei der Gelegenheit nicht? – und weshalb? Wenn der Gutsbesitzer nicht mehr alle Hasen allein schießen darf, und die kleinen Leute auch hinausgehn können, und ihr Stück Wild hereinholen, wirds da nicht etwa besser für die Armen? – die großen Herren haben ihnen doch wahrhaftig bis jetzt auch Nichts geschenkt.«

Die Bauern, die um den Tisch herum standen, lachten, der Förster ließ sich aber nicht irre machen und brummte dagegen:

»Die kleinen Herrn aber noch viel weniger und dann hat's mit der Jagdfreiheit auch einen anderen Haken. Daß sie Einer den Andern auf dem Felde todtschießen werden, wenn jeder mit seinem Kuhfuß draußen 'rum laufen und knallen darf, versteht sich von selbst und ist jetzt auch schon genug dagewesen, das schadet aber auch Nichts, die Art Schützen mag sich unter einander selbst aufreiben, und ordentliche Jäger werden ihnen schon nicht zu nahe kommen, aber der arme Mann ist gerade der, der unter der Jagdfreiheit zu leiden hat – nicht etwa die ›großen Herrn‹ wie sich's der Bauer immer auf allen Bierbänken rühmt.«

»Der arme Mann?« sagte Beukel erstaunt und drehte sich nach dem Förster um, »na um die Erklärung gäb' ich auch ein Töpfchen Bier.« –

»Dem armen Mann thats wuhl guat, wenn de Raichen Hasenbraten fraßen?« frug ein anderer dabei stehender Bauer lachend, und die Uebrigen stimmten mit ein.

»Gewiß thats ihm gut« fiel aber hier der Förster mit Wärme ein, »denn während der Reiche Wildpret verzehrte, konnte er kein anderes Fleisch essen, und Rindfleisch z. B. behielt einen Preis, den dann und wann auch wohl einmal ein armer Mann bestreiten und bezahlen konnte. Wie wird das aber jetzt werden, wenn das Wild, wenn Hasen und Rehe alle weggeschossen sind, heh? – Wir wollen einmal die Residenz nehmen; zu ganz geringem und durchschnittlichen Maasstab gerechnet sind dorthinein bis jetzt jährlich doch wenigstens 20000-25000 Hasen geschafft und darin consumirt worden – ebenso eine verhältnißmäßige Quantität Rehe, Hühner, Birkwild, Fasanen, etc. Wer verzehrt dieß Alles? – Die Reichen und fehlt ihnen das Wild, so sind die natürlich die Letzten, die ohne Fleisch leben; können sie kein Wildpret, keine Hühner, Rehe und Hasen bekommen, ei so essen sie Rind- Kalbs- oder Schweinebraten, diese 20000 Hasen und die vielen tausend Pfund anderes Wild fehlen aber jetzt, dafür wird anderes Fleisch also verbraucht, und dieses muß natürlich bei einem so gesteigerten Bedarf auch ebenso verhältnißmäßig im Preise steigen. Wird der Arme nun noch im Stande sein, sich dann und wann ein Huhn in seinen Topf oder ein Pfund Rindfleisch zu kaufen? – Fragt einmal übers Jahr wieder nach, und Ihr werdet hören, wie sie in den Städten darüber schimpfen.«

»Ah bah, in den Städten mögen sie's thun« lachte Beukel, »so schöpfen wir auf dem Lande doch wenigstens das Fett von der Suppe.«

»Wir? – die schöpfen es, welche die Schüssel schon bis jetzt immer vor sich gehabt« sagte ärgerlich der Jäger – »die armen Häusler und Tagelöhner, die kein eignes Feld haben, kriegen immer noch nichts. Uebrigens schöpft nur – ein, höchstens zwei Jahr habt Ihr noch ein paar Rebhühner zu schießen, und nachher wird Sturm geläutet, wenn sich einmal ein Hase auf dem Felde draußen blicken läßt.«

»Treiber vor!« tönte eine Stimme draußen auf der Diele, und die Treiber, die sich in der Stube befanden, bewegten sich langsam der Thüre zu, um sich draußen zu präsentiren und hinaus zu der Stelle geführt zu werden, von wo das erste Treiben ausgehen sollte.

»Wo hören wir denn eigentlich wieder auf?« frug da ein Verwalter aus der Nachbarschaft, »wenn wir nicht hierher zurückkommen, möcht' ich auch meinen Mantel fortschicken.«

»In Skorditz« sagte der alte Holke, der in diesem Augenblick in's Zimmer getreten war und die Anwesenden zu überzählen schien – »gleich neben der Windmühle.«

»Die Skorditzer Bauern haben gesagt, wenn die Schützen auf ihre Felder kämen, schlügen sie Generalmarsch im Dorfe und rückten aus« meinte ein Bauer aus Horneck, der mit dem Verwalter an einem Tische saß.

»Die Skorditzer Bauern können zu – Grase gehn,« brummte Holke, ohne sich in seinem Zählen irre machen zu lassen – »sechs und zwanzig, – sieben und zwanzig, – acht und zwanzig, – denen ist auch zu wohl, und sie wollen erst einmal versuchen wie's thut, wenn man einen Haufen Militair im Orte hat – neun und zwanzig – dreißig – hol sie der Teufel alle mit einander – eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben und dreißig im Ganzen – hm wird wohl langen – ist Fritz noch nicht dagewesen?«

»Er war erst vor einer Viertel Stunde bei den Treibern draußen, Herr Förster,« sagte das Schenkmädchen mit freundlichem Gruß und stellte ein Glas gewärmten Bieres vor ihn hin – »vielleicht ist er hinüber zur Herrschaft gegangen – soll ich einmal nachsehn?«

»Nein, danke schön – es wird bald ausgeblasen!«

Er goß das Bier mit raschem Zuge hinter, strich sich den grauen großen Bart aus und verließ mit einem »Gleich wirds fortgehn,« das Zimmer wieder.

»Die Bauern wollen's nicht leiden, daß wir in Skorditz jagen?« frug ein Controleur aus der Stadt und schnallte sich den neben ihm liegenden Muff dabei um.

»Ne,« sagte einer der Treiber, der noch hinter seinem Stuhle stand und eben im Begriff war, das Zimmer zu verlassen, »se han gesaiht se werren erscht alle de Jiagers met Schtung un Stiel usrotten, ähe se se uf ehre Fälder liaßen – das sin Mordskerle – die ferchten sich vor'n Deibel nich.« –

Er schüttelte lachend mit dem Kopf und sprang schnell hinaus als draußen das Signal zum Sammeln geblasen wurde – die meisten der Jäger standen ebenfalls auf, dem Ruf Folge zu leisten, während die älteren, und mit dem gewöhnlichen Gang des Treibens schon mehr vertrauten, noch ruhig bei ihrem Glase oder Warmbier sitzen blieben, den »Schwarm« erst ablaufen zu lassen, und nachher mit aller Gemüthsruhe einzurücken.

Die Jäger zogen mit den Treibern in einem dichten, nur hier und da durch einzelne Ausläufer umgebenen Trupp, einen engen Dorfpfad, der von niederen Mauern eingeschlossen zwischen den höher liegenden Gärten hinführte, dem Felde zu, und etwa zweihundert Schritte hinter ihnen kamen, zwei und zwei mit einander plaudernd, hier und da auch Einer allein in stillem Ernst die »Herrschaften.« Den Schluß bildeten einzelne Nachzügler, oder später Gekommene.

Dieser schmale Gartenweg lief ziemlich südöstlich aus dem Dorfe hinaus, und weiter oben, gerade nach Norden hinauf lag die größere, schon öfter erwähnte, und unfern von da in's Holz, nach Sockwitz laufende Fahrstraße, von der aus man gerade die Felder, auf denen das erste Treiben gehalten werden sollte, überschauen konnte.

Auf dieser hin schritt langsam, in schwarzem Filzhut und braunem mit Schnüren besetzten Burnus, ein Mann, hielt dann und wann an, die rege Gruppe der Jäger zu beobachten, die gerade ihren Sammelplatz auf einer flachen Wiese erreicht hatte, und von dort, um das ganze Treiben zu umzingeln, nach rechts und links Schützen und Treiber abwechselnd aussandte, und blieb endlich an dem nämlichen Steine stehen, an welchem wir dem alten Schulmeister Kleinholz gleich im Anfang unserer Erzählung begegneten.

2»Löcher machen,« beim Treibjagen nicht die richtige Entfernung von seinem Nebenmann halten, daß eine zu große Lücke oder ein Loch entsteht.