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Pfarre und Schule. Dritter Band.

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Es hatte sich indessen um den Jäger, den in seiner drohenden Stellung doch keiner, selbst Krautsch nicht, anzugreifen wagte, ein Kreis von Bauern gebildet, als Müllers Friede, durch den erhalten Schlag, wie durch den Schmerz seines Auges zur wildesten Wuth angestachelt, ausrief:

»Der Hund darf nicht gesund wieder fort, so lange ich noch ein Glied am Leibe rühren kann, aber erst wollen wir ihn einmal nackt durch Skorditz jagen, wie sie's dem Jäger in Hohenbuchen auch gemacht haben – nehmt ihm das Schießeisen ab und reißt ihm die grünen Fetzen vom Leibe und nachher soll er Spießruthen laufen!«

»Zurück da!« schrie Fritz, die Hand am Drücker, obgleich aber jetzt von allen Seiten die jungen kräftigen Bursche, die auch selbst nicht recht glaubten, daß er wirklich schießen würde, zusprangen, konnte er es nicht über's Herz bringen, abzudrücken – es war ein Menschenleben, das auf dem Spiele stand, und hier wehrte er sich vielleicht seiner eignen Haut auch noch so. Die Flinte also hoch haltend, um sie den Händen der danach Greifenden zu entziehen, schlug er mit der Rechten so tüchtig und kunstgerecht um sich her, daß er für wenige Momente die Andrängenden kräftig im Schach hielt und mit nur einiger Hülfe von Außen den Leuten wohl zu schaffen genug gemacht hätte; so aber konnte er gegen die Uebermacht doch nicht lange ankämpfen. Von hinten fielen sie ihm in die Arme, entrissen ihm das Gewehr, faßten ihm die Ellbogen, und hielten ihn so, daß er sich nicht regen und rühren konnte.

»Nun 'runter mit den Kleidern!« schrie Müllers Friede, der in dem letzten Kampfe noch einen Schlag bekommen hatte, vor Wuth schäumend – »runter damit und dann die Canaille durch's Dorf gejagt.«

»Runger mit den Lumpen!« rief die rohe Schaar jubelnd, in den niederträchtigen Vorschlag eingehend, und da das Ausziehn der Kleider mit zu viel Umständen verknüpft gewesen wäre, trennte ein Schnitt mit einem Genickfänger die grüne Piquesche über den Rücken herunter in zwei Hälften und von allen Seiten niedergezerrt, hing ihm das Kleidungsstück augenblicklich in Fetzen vom Leibe herunter.

»Laßt mich gehn!« rief da Fritz, der den Wüthenden doch jetzt am Ende die Ausführung ihrer schändlichen Drohung zutrauen mochte, »laßt mich gehn, oder beim – ewigen – Gott!«

»Hoho Birschchen,« lachte Krautsch, der ihm hinten die Ellenbogen mit Riesenkräften zusammenhielt – »nur nich so schtrampeln, das hilft doch niche – nur hibsch dusemang – so – nu halt emal de Beene.«

»Hülfe!« schrie der Jäger, der in wüthender Kraftanstrengung sich vergebens den Händen seiner Henker zu entziehen suchte – »Hülfe – Hülfe – Hülfe!«

Das rohe höhnische Lachen der Schaar war die einzige Antwort, die er erhielt, die ganze Schützengesellschaft, die ihn unverantwortlicher Weise den Händen dieser Brut überlassen, war längst hinter den höher liegenden Feldern verschwunden – sein Vater mußte bei dem Hasenwagen bleiben und keine Rettung schien für ihn aus der Gewalt dieser entmenschten Bauern.

»Nackigd muß er dorch's Dorf!« schrie Müllers Friede und riß mit einem Ruck seiner starken Faust die Halsbinde entzwei und das Hemd hinten von einander – »nachens kann er springen.«

Fritz erwiederte kein Wort, aber mit einem plötzlichen Stoß gelang es ihm, seinen rechten Arm frei zu bekommen, und ehe die Nächststehenden diesen erfassen konnten, fuhr er in die rechte Tasche seiner weiten hellfarbenen Beinkleider, aus denen er mit glücklichem Griff den dort bewahrten Genickfänger riß, die Scheide flog im Herausziehen ab, und Krautsch, der ihn jetzt an der Gurgel gefaßt hielt, mit scharfem Strich das Messer durch's Gesicht ziehend, daß dieser laut aufschreiend zurücktaumelte, schwang er es hoch und brachte dadurch seine Henker zu einem plötzlichen fast unwillkürlichen Rücksprung.

Mit raschem kundigen Blick überflog aber jetzt der, zur Verzweiflung getriebenen Jäger das Terrain; gerade dort an der lichtesten Stelle stand ein kleiner Junge, der die ihm selbst genommene Flinte halten mußte; auf den flog er, ehe nur Einer sein Vorhaben ahnen oder gar verhindern konnte, zu, riß, indem er ihn zu Boden schlug, das Gewehr an sich und wandte sich zur Flucht.

»Halt ihn!« schrie da Müllers Friede und warf sich ihm mit heiserem, wüthenden Zornesruf entgegen – und noch ein Moment und er hatte ihn ergriffen – dann aber –

Ein Schuß schmetterte mitten in die entsetzt zurückfahrende Schaar hinein.

»Ich bin getroffen!« schrie da Müller – lief mit ausgestreckten Armen wohl fünf Schritte hinter dem jetzt in flüchtigen Sätzen entspringenden Jäger her und stürzte dann – eine Leiche – auf das Gesicht nieder.

»Faßt ihn – haltet ihn!« rief Krautsch, dem durch den Schnitt über's Gesicht das Blut in die Augen gelaufen war, daß er diese nicht einmal öffnen konnte.

Aber keiner regte sich von der Stelle – der Tod war zu plötzlich und entsetzlich zwischen sie getreten, als daß sie in diesem Augenblicke Lust zu weiterer Gewaltthat gehabt, oder auch nur an Verfolgung gedacht hätten.

Fritz entsprang dem Walde zu, um dort den Feinden, falls sie ihm nachsetzen sollten, am leichtesten zu entgehn, da er aber keinen derselben hinter sich sah, änderte er seine Richtung und floh jetzt, so rasch er konnte, dem unteren Theile von Horneck, in dem das Rittergut lag, zu.

Zweites Kapitel
Der Oberpostdirector

»Der Herr Oberpostdirector sind eben von der Jagd zurückgekommen, aber sogleich zu sprechen – wenn der Herr Doctor sich nur einen Augenblick gedulden, und hier gefälligst eintreten wollten,« sagte der alte Poller, und öffnete mit einem knechtischen unterthänigsten Diener die Thür des nächsten Zimmers.

»Gut – schön,« sagte Wahlert zerstreut, nahm den Hut ab, und betrat das Gemach, wo er, als er Niemanden darin erblickte, rasch und ungeduldig hin und wieder schritt – manchmal am Fenster stehen blieb, in den Hof hinabsah, wieder umkehrte, und seine Wanderung von Neuem begann.

Endlich ging die aus dem Nebenzimmer hereinführende Thür auf, und der Herr von Gaulitz betrat mit höflicher, mild freundlicher Verbeugung das Zimmer. Doctor Wahlert erwiederte kalt und förmlich den Gruß.

»Ah, Herr Doctor Wahlert,« sagte, als ob er einen lieben, lange nicht gesehenen Freund ganz plötzlich wieder erkannt hätte, der Oberpostdirector – »ei, das freut mich ja doch ganz ungemein, daß Sie mir die Ehre geben. Es waren allerdings ganz eigenthümliche Verhältnisse, unter denen wir uns das letzte Mal sahen, aber die Zeit – die Umstände – Sie werden – Sie haben gewiß – Sie tragen mir gewiß keinen Groll deshalb nach, nicht wahr, mein guter Herr Doctor – ganz eigenthümliche Verhältnisse. – Was – wenn ich fragen darf, – verschafft mir denn jetzt eigentlich das so ganz unerwartete Vergnügen? – aber bitte, wollen Sie sich denn nicht setzen?«

»Wunderbarer Weise führen mich eben so eigenthümliche Verhältnisse, auch durch die Zeit geboten, zu Ihnen her,« erwiederte ihm, die Einladung zum Sitzen mit leiser Handbewegung ablehnend, Wahlert. »Herr Oberpostdirector, ich komme nicht für mich, sondern für ein anderes unglückseliges Geschöpf, das Sie elend gemacht haben, hierher, Gerechtigkeit zu verlangen – Gerechtigkeit zu fordern, und wenn ich sie nicht erlangen kann, sie im schlimmsten Fall zu – erzwingen. Es ist besser, daß wir uns ohne weiteres auf den Standpunkt stellen, auf dem wir zusammen stehen müssen, wir ersparen dabei eine Menge Umstände, die uns im anderen Falle nur die kostbare Zeit rauben würden.«

»Sie sind ungemein aufrichtig und ungenirt,« lächelte der Herr von Gaulitz in süßer Verlegenheit den jungen Mann an – »spannen aber doch, wie ich wirklich gestehen muß, und trotz Ihrer lobenswerthen Eile, um zur Sache zu kommen, meine Neugierde in peinlichster Weise auf die Folter. Dürfte ich Sie wohl ersuchen, mir zu sagen, was dieser langen, schönen Rede kurzer Sinn eigentlich ist, und ob Sie auch in der That den Oberpostdirector von Gaulitz gesucht haben, um an ihn all' diese wunderbaren, und durch ein so treffliches Vorwort eingeleiteten Anforderungen zu stellen?«

»Herr Oberpostdirector,« sagte Wahlert, der sarkastischen Kälte wiederum ernste Ruhe entgegenstellend, »die Sache geht Sie tiefer an, als Sie vermuthen, und ich erbitte für wenige Minuten mir Ihre volle Aufmerksamkeit.«

»Aber bitte, wollen Sie sich denn nicht setzen?«

Wahlert ließ sich, ohne etwas darauf zu erwiedern, dem Oberpostdirector dicht gegenüber auf einem Stuhle nieder, und sagte mit leiser, absichtlich halb unterdrückter Stimme:

»Kennen Sie Marie Meier?«

Der Oberpostdirector entfärbte sich leicht, sammelte sich aber bald wieder, sah eine kurze Zeit, wie über etwas nachdenkend vor sich nieder, und antwortete dann:

»Hm, hm – ich dächte – ich dächte, eine Marie Meier wäre einmal vor einiger Zeit Wirthschafterin bei mir gewesen – ich kann mich aber doch nicht mehr so recht darauf besinnen.«

»Herr Oberpostdirector,« sagte Wahlert aufstehend, »ich kenne Ihr ganzes Verbrechen, Verstellung – Leugnen, helfen Ihnen nichts mehr – Marie hat mir Alles gestanden, und Sie wissen, was Ihnen bevorsteht, wenn ich diese Thatsachen der Oeffentlichkeit übergebe.«

»Mein Herr –« sagte von Gaulitz, der noch immer hoffte, durch eine kecke Stirn dem jungen unerschrockenen Mann zu imponiren – »Sie vergessen, mit wem Sie reden – ich bin ein Mann, dessen frommer Wandel der Welt bekannt ist, und den ehrenschänderische Gerüchte nicht im Stande sind, weder vor den Augen des Publicums, noch vor Gericht zu verdächtigen. Ich ersuche Sie in meinen eigenen vier Pfählen um die Achtung, die ich in meiner Stellung erwarten und beanspruchen kann.«

»So zwingen Sie mich denn,« erwiederte mit finsterem Blick und Ton Wahlert, »zu einem Schritt, den ich Ihretwegen gern vermieden hätte. – Herr Oberpostdirector, ich kenne Ihren ganzen Charakter – mein Vater ist, wie Sie wissen, Generalsuperintendent, und Ihnen, wenn auch nicht befreundet, doch bekannt – durch ihn erfuhr ich diese sogenannte Frömmigkeit, mit der Sie vor den Augen der Welt den Ruf eines gottesfürchtigen ehrlichen Mannes zu behaupten wußten.«

 

»Herr Doctor Wahlert!« rief von Gaulitz, seinen aufsteigenden Zorn kaum unterdrückend.

»Hierdurch aufmerksam gemacht,« fuhr aber Wahlert, den aufwallenden Grimm des Mannes gar nicht beachtend, fort, »und den Interessen des Volkes meine Zeit widmend, nahm ich mir die Mühe, mich näher nach Ihnen zu erkundigen – meine Menschenkenntniß wollte ich mit dem Resultat bereichern, ob ein Mann von Ihrer Bildung, in Ihrer Stellung und von – Ihren Zügen – denn ich gebe etwas auf Physiognomie – wirklich so fromm und gottesfürchtig sein, und doch stets mit leeren Bibelsprüchen um sich her werfen, und seine Briefe und Gespräche damit würzen könnte. Ich fand daß ich mich nicht geirrt.«

»Diese Unverschämtheit ist so originell,« sagte endlich der Oberpostdirector mit einem erzwungenen Lachen »daß sie wirklich interessant wird – fahren Sie fort,« und er biß seine Lippen fest zusammen, verschränkte die Arme, und stand, die Augen mit einem recht boshaft tückischen Ausdruck auf das offene Angesicht des ihm gegenüber Stehenden geheftet, still und schweigend dem weiteren Verlauf der Rede lauschend, da.

»Das ist meine eigene individuelle Meinung,« fuhr Wahlert fort, »und die braucht Sie wenig zu kümmern; andere Thaten aber ruhen im Mund Ihrer Untergebenen, und nur an einem unerschrockenen Auftreten hat es bis jetzt gefehlt, ihnen Worte zu geben. – Die Sünde, die Sie an Marien begangen, brauche ich Ihnen nicht zu wiederholen – sie allein wäre hinreichend, tausendfältigen Fluch auf ihr schuldbeladenes Haupt herab zu rufen – andere Verbrechen sind es aber noch, deren Sie bezüchtigt werden, und soll mir Gott in meiner letzten Stunde beistehen, wie ich auftreten will gegen Sie, fügen Sie sich nicht dem, was ich jetzt von Ihnen fordere.«

»Was wissen Sie von mir, Herr?«

»Gut denn, wenn Sie es nicht anders wollen,« sagte Wahlert, mit düsterer Entschlossenheit im Blick, »so hören Sie, und urtheilen Sie dann selber, ob ich im Stande wäre, Ihnen gefährlich zu werden. – Auf dem Verbrechen, das Sie an Marien begangen, steht Eisenstrafe, daß Sie Ihnen freundlich gesinnte Dirnen an Ihre Untergebenen verheirathet, und diese dann ungerechter Weise bevorzugend, in höhere Stellen einrücken ließen, wie vor gar nicht langer Zeit auf solche Art einen Postillon, der schurkisch genug war, sich Ihrem Willen zu fügen, in eine Secretariatsstelle, glaub' ich – das sind Nebensachen. Das vornehme ›Gesindel‹ in den Städten liebt dergleichen Unterhaltungen, und lohnt stets auf anderer Leute Kosten; aber ich weiß auch, daß Sie des Ehebruchs, selbst in neuster Zeit überführt sind, und kann Ihnen die – falschen Zeugen vor Gericht bringen, die Sie gegen Ihr armes Weib gedungen. Jetzt also, Herr Oberpostdirector, frage ich Sie zum letzten Mal, wollen Sie es, mir gegenüber, zum Aeußersten kommen lassen; wollen Sie Alles leugnen, und dann versuchen, wie weit ich die Sache treibe?«

Der Oberpostdirector schwieg, und schaute, an den Nägeln der linken Hand kauend, stier vor sich nieder.

»Gut – es steht in Ihrer Gewalt!« sagte Wahlert plötzlich nach einer langen Pause, in der er auf eine Antwort gewartet zu haben schien – »thun Sie, was Sie für sich selber als das Beste halten – aber bedenken Sie auch, daß wir nicht mehr das alte System haben, unter dem die ›Großen des Reichs‹ wie fast unverletzliche Personen standen, und Einer durch den Anderen beschützt wurden – Gerechtigkeit herrscht jetzt im Lande, Herr Oberpostdirector, und denken Sie sich Ihr fürchterliches Loos, wenn Ihnen Gerechtigkeit würde.«

»Sie häufen Beleidigungen auf Beleidigungen,« sagte Herr von Gaulitz mit leiser, heiserer Stimme, verließ seinen Platz am Tisch, und ging mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab –

»Und Ihre Antwort?« frug Wahlert ernst.

Der Gutsherr, dessen Gesicht eine Leichenfarbe angenommen hatte, blieb plötzlich stehen, sah den jungen Mann mit einem Blick des tiefsten, bittersten Hasses an, den dieser jedoch mit einem trotzigen Lächeln erwiederte, und sagte schnell:

»Sie können mir Nichts beweisen, Herr, nicht das Mindeste – alle Ihre Beschuldigungen sind falsch – falsch, wie die Hölle, in der sie gebraut wurden. – Wagen Sie es, mit solchen Klagen gegen den Oberpostdirector von Gaulitz vor Gericht zu treten – wagen Sie es, aber ›der Herr wird seine Feinde vernichten, und die in den Staub werfen, so wider Ihn die Waffen ergreifen – das Licht des Gottlosen wird verlöschen, und der Funke seines Feuers wird nicht leuchten.‹«

»Herr Oberpostdirector,« erwiederte ihm leise der junge Mann, »ich könnte Sie vielleicht selbst mit Bibelversen schlagen, läge mir daran, einen Wortstreit mit Ihnen zu haben. ›Ein falscher Zeuge bleibt nicht ungestraft, und wer Lügen frech redet, wird nicht entrinnen‹ – was sagen Sie z. B. zu der Stelle. – Doch genug der Worte – Thaten will ich jetzt, und die letzte Frage möchte ich hiermit an Sie richten – wollen Sie sich meiner Forderung fügen?«

»Was wollen Sie von mir!« sagte der Oberpostdirector, die Nägel seiner linken Hand noch immer mit den Zähnen beschneidend, während er sich halb von dem jungen Manne abwandte, als ob er den Blick desselben nicht ertragen könnte – »was ist es – was fordern Sie?«

»Nichts für mich,« entgegnete ihm Wahlert ruhig, »nur die Unterschrift dieser Zeilen.«

Der Oberpostdirector nahm sie schweigend aus seiner Hand, und überflog sie rasch mit dem Blick –

»Sind Sie wahnsinnig?« frug er da rasch und plötzlich – »halten Sie mich für einen Crösus?«

»Ich weiß, daß der Herr Oberpostdirector gute Geschäfte mit Geld auf Zinsen zu leihen nicht verschmäht, und arme Teufel, die von ihm ein Capital geborgt, plötzlich sehr geschickt und zur rechten Zeit um ein halbes oder ganzes Procent zu erhöhen weiß – natürlich nur der ›schlechten Zeiten‹ wegen, aber stets unter Androhung der Aufkündigung des Capitals. Was sind dreihundert Thaler jährlich für ein armes Mädchen, deren Lebensglück auf das Schändlichste, Nichtswürdigste zerstört und vernichtet wurde, und die dieser Summe nur eigentlich zu Nichts weiter bedarf, als – um nicht auch noch betteln zu gehn.«

»Es thut mir leid, daß sich Marie Meier in so traurigen Umständen befindet,« versicherte der Oberpostdirector – »und ich will gern Alles thun, was –«

»Wollen Sie dieses Papier unterschreiben?« frug ihn Wahlert eintönig.

»Was in meinen Kräften steht, will ich thun,« sagte von Gaulitz – »aber das – das ist zu viel.«

»Zu viel für ein Menschenleben,« lachte der Doctor im zornigen Unmuth – »es wäre wahrlich eine Verlockung, sich dem Teufel zu verschreiben, wenn man nur vermuthen müßte, daß solche Menschen einst in den Himmel kämen. Doch genug der Worte, ich habe Sie nicht aufgesucht, um mit Ihnen zu feilschen und zu handeln und um Procente zu streiten. Meine Frage gilt einfach dem Mann, dem ich als Mann gegenüber stehe, und die Alternative ist die, daß ich mich von hier aus auf ein Pferd werfe und morgen früh schon in der Residenz die Klage gegen den Oberpostdirector von Gaulitz beim Criminalgericht eingebe, und daß ich die Zeugen stelle, darauf können Sie sich verlassen. Einfach also Ihre Antwort – hier ist das Papier – dort steht Feder und Dinte – wollen Sie, oder nicht?«

»Mit der Pistole auf der Brust« – sagte verlegen der Gutsherr.

»Bitte um Verzeihung, Herr von Gaulitz,« erwiederte mit besonderem Nachdruck der junge Mann »ich bin unbewaffnet – die Pistole wäre nur – Ihr Gewissen, die Ihnen hoffentlich geladen und gespannt bis zu Ihrer letzten Todesstunde vor den Schläfen stehen soll. – Ich bitte um Ihre Entscheidung.«

»Dreihundert Thaler jährlich? –«

»Bis zu ihrem Tod – in dem Fall aber hundert Thaler an ihren Vater.«

Der Oberpostdirector ging mit verschränkten Armen wohl fünf Minuten lang rasch und schweigend im Zimmer auf und ab; Wahlert lehnte an der Ecke eines Spieltisches und sprach kein Wort, störte sein Nachdenken durch keinen Laut, durch keine Bewegung, nur sein Auge haftete mit seiner Adlerschärfe auf ihm, und folgte ihm, wohin er sich wandte, und es schien fast, als ob der Gutsherr das wisse, und der Blick gerade es sei, der ihn so unruhig herüber und hinüber jage, denn nicht ein einziges Mal schlug er das Auge zu dem so unwillkommenen Besuch empor. Endlich, doch wohl einsehend, daß ihm hier wirklich nur die Wahl zwischen öffentlicher Schmach und einem, wenn auch bedeutenden Geldopfer liege, schien sein Entschluß gefaßt. Er trat an den Tisch auf dem, neben dem Dintenfaß das Dokument lag, ergriff die Feder – und noch zögerte seine Hand.

Wahlert schaute mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf ihn hinüber – plötzlich zuckte ein triumphirendes Lächeln über seine Züge – das Kritzeln der hastig geführten Feder kündete ihm seinen Sieg. Im nächsten Augenblick reichte ihm der Oberpostdirector das Blatt hinüber – er warf einen Blick darauf, verbeugte sich, faltete es zusammen, schob es in seine Brusttasche und öffnete eben die Thür, das Zimmer wieder zu verlassen, als draußen eine wildverstörte, blutbedeckte, von Lumpen umhangene Gestalt mit der aufgezogenen Jagdflinte in der Hand in die Thüre sprang, und eine heisere Stimme in kaum hörbaren Lauten frug –

»Wo ist der Herr?«

»Heiliger Gott!« rief Wahlert und trat, entsetzt über den schaurigen Anblick, auf den Vorsaal hinaus, der Oberpostdirector aber, durch den Ausruf aufmerksam gemacht, folgte ihm rasch, sah zuerst die Gestalt, die er wahrscheinlich nicht einmal gleich erkennen mochte, erstaunt an und rief dann, mehr überrascht als bestürzt: –

»Fritz Holke – was machst Du in dem Aufzug hier? – Mensch wie siehst Du aus?«

»Retten – Schützen Sie mich!« war aber Alles, was der arme Teufel vor Erschöpfung und Angst und Aufregung über die Lippen bringen konnte – »ich habe – ich habe einen Menschen – erschossen – den Müllerburschen aus – aus der Rauschenmühle – sie werden – sie werden gleich hier sein – großer allmächtiger Gott, ich bin ein Mörder!«

Wahlert war an die Seite und etwas zurückgetreten, und ein schweigender aber wachsamer Zeuge der folgenden Scene.

»Ein Mörder?« rief der Gutsherr jetzt wirklich bestürzt, und blickte die Leidensgestalt, in deren Antlitz jeder Zug die Wahrheit der Worte bestätigte, forschend an, »Mensch, Du siehst fürchterlich aus!«

Fritz erzählte jetzt mit flüchtigen Worten, und so gedrängt als möglich, den ganzen Vorfall, wie er von den Bauern mishandelt, mit was er bedroht worden, und endlich nur in letzter Verzweiflung, seiner selbst fast unbewußt, nach der Waffe gegriffen und die Mündung dem vorspringenden Feind drohend vorgehalten habe – dann war der Schuß gefallen – der Mann – als er sich nach ihm umschaute, gestürzt, und weiter wußte er selber Nichts mehr, weder von sich selbst noch von der ihn umgebenden Welt – Flucht war sein einziger Gedanke gewesen, Flucht, vor dem Erschlagenen fast mehr als den verfolgenden Menschen, und er, der Gutsherr, der ihm selber befohlen habe, streng gegen alle Wildfrevler zu verfahren, sei der Mann, der ihn schützen werde, schützen müsse vor der Rache der Bauern.

»Nun das hätte mir noch gefehlt!« rief jetzt der Herr von Gaulitz, der in dem Interesse, das er an der athemlosen Erzählung seines Jägerburschen nahm, die Anwesenheit des dritten Mannes ganz vergessen zu haben schien. – »Ich soll mich in deine Streitigkeiten mit dem Bauergesindel mischen, und wohl gar noch einen Mörder und Todtschläger in meinem Hause beherbergen, daß sie mir nachher das Dach über dem Kopf anstecken? – nein wahrhaftig nicht – wer hieß Dich gleich abdrücken, der, der Blut vergießt, des Blut soll wieder vergossen werden, steht in der heiligen Schrift – ›wo Jemand an seinem Nächsten frevelt und ihn mit List erwürget, so sollst Du denselben vor meinen Altar nehmen, daß man ihn tödte‹ und ›Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brand um Brand, Wunde um Wunde, Beule um Beule!‹«

»Herr des Himmels« stöhnte da Fritz in Todesangst, – »Sie sagen das, Sie, der Sie mir hier an dieser Stelle, wo wir jetzt bei einander stehn, zuriefen – ›Schieße die Wildfrevler nieder – und auf meine Verantwortung?‹ An mich gehalten hab' ich und Alles ertragen, um nicht ein Mörder zu werden, die Feindschaft aller Bauern dabei durch den Eifer auf mich gelenkt, den ich in Ihrem Dienst bewiesen, und jetzt – jetzt, wo ich in Selbstvertheidigung vielleicht mein Leben, oder was noch mehr ist, meine Ehre retten mußte – jetzt, wo ich den ärgsten Wilddieb, der je auf Hornecker Revier mit der Flinte herumgezogen, auf Hornecker Revier, niedergeschossen habe, jetzt bin ich ein ruchloser Mörder und soll allein, elend in die Welt hinausgestoßen werden. Gut, ich will gehen, den Bauern will ich entgegengehn und sagen hier – hier Ihr Schurken – hier nehmt Rache an dem vergossenen Blut – Auge um Auge, Zahn um Zahn – aber mein Blut kommt über den Gutsherrn drinn und Gott möge ihm einst in seiner letzten Stunde –«

 

»Poller – Poller!« rief der Oberpostdirector, in voller Aufregung zu der schmalen steilen Treppe gehend, die in die Bedientenstube hinunterführte – »Poller!«

»Zu Befehl Euer Gnaden!« antwortete die bereite Stimme des Dieners, der unten an der Treppe gehorcht, sich aber wohl gehütet hatte, seinen Kopf oben blicken zu lassen.

»Ruf mir den Christoph und Dietrich – schnell – sie sollen mir den Burschen da aus dem Hause prügeln.«

»Prügeln!« rief der arme mishandelte und in den Staub getretene Jägerbursche, und wie unwillkürlich fuhr er mit der gewohnten Waffe empor.

Der Oberpostdirector wandte sich in diesem Augenblick nach ihm um, sah die drohende Bewegung des so schon zur Verzweiflung getriebenen Jägers, der mit flatternden Haaren und blutbedecktem Antlitz, wie ein zum Sprung bereiter Panther vor ihm stand, und trat, mit einem nur halblaut ausgestoßenen Schrei einen Schritt zurück. Dicht hinter ihm aber waren die Stiegen, er verfehlte die oberste Stufe, glitt aus, griff nach dem Geländer – der schwere Körper gewann aber das Uebergewicht und polternd, und Hülfe rufend, stürzte er die wohl zwanzig Fuß tiefe, sehr steile Treppe, mit dem Kopf voran, unaufhaltsam hinunter.

»Gebe Gott, daß er den Hals gebrochen hat!« sagte Wahlert ruhig, während Fritz in stummem Entsetzen zur Treppe sprang, um nach zu sehn, ob sich der Gutsherr wirklich Schaden gethan. Wahlert aber ergriff seinen Arm, zog ihn mit sich nach der Thür und sagte hier rasch und leise:

»Jetzt fort mit Ihnen – überlassen sie den Cadaver seinem Schicksal – ob er todt oder lebendig ist, braucht uns wenig zu kümmern – es wäre ein Gottesgericht gewesen – aber auch zu milde, denn wenn es überhaupt Gerechtigkeit in der Welt giebt, hatte ich immer noch gehofft den Schurken einmal hängen zu sehn. Für Sie ist aber kein Bleibens mehr im Ort – auch drüben bei Ihrem Vater können Sie sich nicht aufhalten, Sie würden jedenfalls, dem souverainen Volk jetzt gegenüber, eingezogen – vielleicht gestraft, und doch sagt mir Ihr ganzes Aeußere, daß Sie recht gehandelt.«

»Aber wo soll ich hin?« rief Fritz verstört und unschlüssig – »in diesem Aufzug –«

»Dazu kann Rath werden« erwiederte Wahlert – »hier« – und er zog seinen Burnus aus, hing ihn dem Jägerburschen über und drückte ihm dann den eignen Hut in die Stirn. – »So, hier drinn steht eine Flasche mit Wasser, da – nehmen Sie dieß Taschentuch, so – über dem Auge ist noch etwas – oh das ist eine Wunde, nun die wird schon heilen; ziehen Sie den Hut ein wenig in's Gesicht und gehn Sie jetzt geraden Wegs nach Bachstetten hinüber zum Schullehrer – halt – der ist heute Abend hier in Horneck – desto besser – so kann er Sie selbst mitnehmen – jetzt nur fort. Oben wo der Graben in den Wald läuft, in welchem ich damals von gewissen Leuten verfolgt, heraus und nach der Pfarre zu kroch, treffen wir uns – fort – die Leute kommen mit dem Gestürzten herauf.«

»Aber meine Flinte? –«

»Nehme ich unterdessen und werde dafür sorgen, daß sie wieder in Ihre Hände kommt.«

»Und mein Vater?«

»Soll durch mich erfahren, daß Sie in Sicherheit sind.« –

»Und –«

»Und wer?« – Fritz antwortete nicht – »Fort denn,« sagte Wahlert, »Sie haben keine Secunde mehr zu verlieren!«

Er zog den Jäger mit sich aus der Thür, die er hinter sich wieder schloß, brachte ihn vor das Gut hinaus und sah dort noch eine Weile hinter ihm drein, als er nach flüchtigem aber herzlichen Dank in der mehr und mehr einbrechenden Dämmerung auf schmalen dunkeln, ihm aber wohlbekannten Gartenpfaden durch das Dorf hinauf und wahrscheinlich direkt der ihm von Wahlert bezeichneten Stelle zufloh, wo er später einen sicheren Versteck sollte angewiesen bekommen.