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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band

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»Halloh Miß Sarah,« lachte der also bezeichnete back-woodsman, der die Worte verstanden hatte, und mit seinem Sattel über dem linken Arm, seine Büchse in der Rechten, zum Hause heran kam, »haben Sie mich erwartet?«

»Ich nicht, Mr. Owen,« lachte das junge Mädchen, »aber eine fremde lady, die hier im Hause sitzt, und vor Sehnsucht nach Ihnen schon fast vergangen ist.«

»Alle Wetter,« rief der Jäger, seinen Sattel rasch unter den Zwischenbau der beiden Häuser legend und die lange Büchse daneben lehnend – »eine fremde lady? das wäre der Teufel.«

»Nun der Teufel gerade nicht Mr. Owen,« sagte die Matrone, mit einem leisen Vorwurf in dem Ton, mit dem sie das Wort wiederholte.

»Bitte tausend Mal um Entschuldigung Missis Rosemore,« sagte der Mann, leicht erröthend, indem er ihr die Hand entgegenstreckte – »es fuhr mir nur so heraus; Ihr wißt ja schon, ich mein' es nicht so bös.«

Es war eine kräftige, männliche Gestalt, der Mann, in die gewöhnliche Tracht der Hinterwäldler, in ein ledernes Jagdhemd mit eben solchen Leggins gekleidet; an den Füßen trug er Moccasins von demselben Stoff, auf dem Kopf aber einen alten abgetragenen, arg mißhandelten Filz, und an der rechten Seite seine Kugeltasche, während an der Linken in dem breiten Ledergürtel, das lange Amerikanische Bowie- oder Jagdmesser stak. Das Haar war gelockt, sein Auge blau und der Ausdruck seines Gesichts entschieden ehrlich und gerade aus, nur um den Mund und die selbst fein geschnittenen Lippen lag ein etwas harter Zug, der aber ebensogut Muth und Entschlossenheit deuten konnte, und den westlichen Amerikanern, die im Wald erzogen und allen seinen Beschwerden und Gefahren von Kindheit an preisgegeben sind, besonders eigen ist.

Jack Owen war mit einem Wort ein prächtiges Urbild jener kräftigen, stählernen Menschenrace, die den westlichen Urwald der Union erst als Jäger durchziehn, und dann mit ihren keck bis weit über die Grenzen der Civilisation vorgeschobenen »improvements« besiedeln, dem Indianer und Bären ihre Heimath abtrotzen, und nur mit Büchse und Axt bewehrt, im Schatten der dichten Wildniß eine Heimath schaffen. Diese Race bildet den Übergang von der Rothhaut zum weißen Mann, und wie der Wolfshund, der halb dem Wolfgeschlecht noch angehörig ist, keinen ärgeren Feind kennt als gerade den Wolf, so haßt der Pionier nichts ärger auf der Welt als den, in dessen Fußstapfen er doch hier getreten, den rothen Sohn der Wälder.

Als diese Männer, die mit dem freien, natürlichen Leben um sich her, auch eben solche Sitten angenommen haben, und sich, von Anderen dasselbe verlangend und glaubend, ebenso geben wie sie sind, das Zimmer betreten hatten, gingen sie auf die fremde Dame zu, boten ihr zum Willkommen freundlich die Hand, und dann ihre Sitze am Feuer einnehmend, an dem sie ihre Moccasins auszogen, und zum Trocknen aufhingen, war ihre erste Sorge den Frauen Bericht über die entlaufenen oder ausgebliebenen Kühe, die wie es schien wieder eingefangen waren, abzustatten. Das Gespräch drehte sich jetzt ausschließlich um Kühe, Rinder und Schweine, bis zum Abendbrod, welches die beiden Töchter der alten Mrs. Rosemore indeß bereitet hatten, und alle Theile der range, oder des Weidegrundes, wo sich noch ein oder das andere Stück verhalten, wurden durchgenommen. Die Frauen selber interessirten sich dabei so viel dafür wie die Männer, und Fräulein von Seebald, die dabei als stille Zuhörerin mit am Kamin saß, war wirklich erstaunt so viel Ortskenntniß bei ihnen zu finden, mit der sie die nach Meilen entfernten Stellen im Wald bezeichneten, und ihre Richtung dabei nicht etwa bei bestimmten Wegen, sondern nach den Himmelsgegenden und kleineren sie durchströmenden Wassercoursen bezeichneten.

Mit dem Abendbrod, bei dem sich Alle um die im Zimmer zusammengerückten Tische sammelten, nahm aber auch das Gespräch eine andere Wendung; Jack Owen wurde der Fremden als der nächste Nachbar ihrer Schwester und jenes »Mr. Olnitzki« bezeichnet, und dann selber aufgefordert einen Rath zu geben, wie die junge Deutsche am Besten und Leichtesten mit ihrem Gepäck hinüber kommen könne.

Jack Owen schien übrigens die letzte Frage ganz zu überhören, denn wie er erfuhr daß die Fremde eine Schwester der »Missis Olnitzki« und über das Weltmeer nur einzig und allein herübergekommen sei sie zu besuchen, sah er sie mit den klaren treuherzigen Augen eine ganze Weile ernst und sinnend an, und fing dann auf einmal wieder, ohne ein Wort darauf zu äußern, von vorn an zuzulangen, als ob er bis dahin ganz vergessen habe zu essen.

»Und können Sie mir nicht etwas Näheres über die Schwester sagen?« bat Amalie, »ich habe schon so oft und oft gefragt, und wie verschollen schien sie dort im Wald zu wohnen; Niemand konnte mir Rede stehn, Niemand erinnerte sich in der That sie je gesehn zu haben.«

»Lieber Gott,« sagte der Jäger, ohne sein Essen auch nur auf einen Augenblick zu unterbrechen, »unsere Frauen kommen Alle wenig fort; manchmal zu einer Betversammlung oder irgend einem Nachbarfest beim Klötzerollen oder Decken-Steppen, und da die Nachbarn so dünn gesäet sind bei uns, fällt selbst das nicht häufig vor.«

»Aber Sie kennen sie doch?«

»Ich? – oh gewiß – wohne keine halbe Meile davon.«

»Und es geht ihr gut? – «

»Das kalte Fieber hat sie neulich einmal ein klein wenig abgeschüttelt, hatte aber nicht viel zu sagen, und ist bald vorüber gegangen.«

»Und ihr Kind? hat sich das arme kleine Mädchen erholt?«

»Das Mädchen?« – wiederholte der Mann, zum ersten Mal zu ihr aufschauend – »der Knabe, meinen Sie.«

»Hat Sidonie einen Knaben?« rief Amalie überrascht.

»Hm,« meinte der Jäger, sich ein neues Stück Wildpret auf den Teller nehmend, »seit wann haben Sie denn eigentlich keine Nachricht von ihr gehabt?« —

»Seit über zwei Jahren.«

»Lieber Gott,« sagte die alte Mrs. Rosemore.

»Dann freilich,« brummte der Jäger halb laut vor sich hin – »seit der Zeit ist das Mädchen gestorben und vor einigen Monaten ein Knabe geboren worden, und das Kind allerdings ist jetzt schwer krank.«

»Das Mädchen todt – du großer Gott – die arme, arme Sidonie.«

»Das Herz wird ihr wohl zu voll und schwer gewesen sein in der Zeit Briefe zu schreiben,« sagte die Matrone bedauernd, »ja aussprechen und ausweinen mag man sich dann wohl gern, aber zum Schreiben zwingt man die Hand da nicht.«

»Aber wie bekommt die Fremde die vielen Sachen hinüber Mr. Owens?« fiel Sarah hier ein, Amalie zu zerstreuen, daß sie sich nicht dem traurigen Gedanken zu sehr hingebe – »es wird schwer sein das Alles zu Pferde zu transportiren.«

»Ist's denn so viel?« frug Jack Owen.

»Ei die beiden Kisten hier, dann jene Koffer dort, und diese Schachteln und Reisesäcke.«

»Hm, das allerdings – packt sich auch verd – ungemein schlecht auf ein Pferd; aber das ist das wenigste – sind es Sachen für Mrs. Olnitzki bestimmt?«

»Zum großen Theil; wie auch mein eigenes Gepäck.«

»Sehr gut, dann schaffen wir auch Rath,« sagte der Jäger gutmüthig – »solltet Ihr nicht mit Euerem kleinen Wagen über die greenbriar ridge hinüberkommen können, Rosemore? nachher geht's glatt und leicht durch den offenen Wald, dicht an der Bayo hin.«

»Über die greenbriar ridge mit dem Wagen, Mann,« sagte aber der Alte, dabei mit dem Kopfe schüttelnd, »wo denkt Ihr hin; da müßten wir erst eine ordentliche Straße durch brushy hollow aushauen, und blieben nachher noch immer im Sumpf an der andern Seite stecken. Nein nicht in acht Tagen brächten wir das fertig, aber mit den Thieren an der overcup flat hin geht es ganz gut; die Kisten und Koffer sind eben nicht übermäßig schwer, und lassen sich recht gut auf einen Packsattel laden. Freilich muß man nachher tüchtig im Wald herumlaviren mit den Thieren, freie Bahn durch die Bäume durchzufinden, aber es geht doch, und ich getraue mich sie in fünf bis sechs Stunden hinüber zu führen.«

»Aber Euer Falbe wird das nicht tragen wollen.«

»Bah, ich habe gerade Widdersons beide Maulthiere in meiner Fenz, die er von Santa Fé mitgebracht hat und nach Batesville hinaufnehmen will, die mögen ihr Futter abverdienen.«

»Das wäre vortrefflich!« rief Jack Owen, »wann wird aber die Dame nach Olnitzkis zu aufbrechen wollen?«

»Oh so bald nur irgend möglich« – rief Fräulein von Seebald – »ich ginge die Nacht hindurch, die Schwester nur eine Stunde früher zu sehen, zu begrüßen.«

»Das möchte uns durch den Wald doch wohl schwer werden,« lachte der Jäger gutmüthig, »aber morgen mit Tagesgrauen steh' ich zu Diensten, und bin gern bereit Sie hinüberzuführen; ich gehe doch zu Haus.«

»Aber nicht vor dem Frühstück,« fiel ihnen hier Mrs. Rosemore in die Rede, »mit leerem Magen verläßt Niemand mein Haus, wenn ich's verhindern kann, und die Mädchen werden schon früh auf sein, daß es nicht zu lange dauert.«

Amalie von Seebald fügte sich gern dem freundlichen Wunsch, noch dazu da sie ihren Führer nicht auch vor dem Frühstück fortziehen mochte, und die Männer besahen sich jetzt das Gepäck, und trafen ihre Eintheilung mit den Packen, die auf die beiden Maulthiere vertheilt werden sollten, wonach dann Jack Owen selber noch einmal mit seinem Pferd zurückkommen, und den Rest nachholen wollte. Die Maulthiere sollte Bill Jones selber mit seinem Knecht hinüber bringen, Jack Owen aber wollte rascher mit der Lady voraus nach Olnitzkis improvement gehn.

Der Morgen kam, und mit klopfendem Herzen hatte Amalie ihre Vorbereitungen zu dem Marsch getroffen, als Jack Owen, nach beendigtem Frühstück, einen Damensattel auf sein Pferd geschnallt, vor der Thür erschien, und die Lady einlud sein Thier zu besteigen, während er selber zu Fuß voran ging. Die junge Dame gestand jetzt freilich mit Erröthen, daß sie noch nie auf einem Pferd gesessen, der Einwand wurde aber nicht beachtet; Jack Owens Ponny war anerkannt das frömmste Thier in der range, ließ vor und neben sich schießen, wie der Reiter gerade Lust hatte, und ging seinen festen sicheren Schritt ruhig fort, fast wie ein Maulthier. Die Mädchen halfen ihr dabei lachend in den Sattel, ordneten ihre Kleider, gaben ihr eine kleine Gerte in die Hand, das Thier vorwärts zu treiben, und Jack Owen, mit der langen Büchse auf der Schulter, von fünf mächtigen Rüden umbellt, schritt ihr voran, in den dunklen Wald hinein.

 

Capitel 2
Die Gräfin Olnitzka

Im Anfang hatte Amalie von Seebald genug mit ihrem Pferd und dem neuen Sitz zu thun, auf dem sie sich noch nicht sicher fühlte, und deshalb auch nicht wohl befinden konnte; das Ungewohnte der Bewegung dabei, und das öftere Anstreifen an die überhängenden Büsche nahmen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und ließen sie sich ängstlich dabei an den Knopf des Sattels anhalten, nicht herunterzufallen, wie sie immer noch fürchtete. Das gutmüthige Thier, das Jack Owen auf seinen Jagden schon so abgerichtet hatte ihm wie ein Hund zu folgen, ging aber einen so ruhigen sicheren Schritt, und kümmerte sich so gar nicht um die wild und fröhlich es umbellenden Hunde, nur auf den Weg und die darüber hinliegenden Wurzeln und Stämme achtend, daß sie sich bald daran gewöhnte, und nach kaum halbstündigem Ritt schon fast die bis dahin gefühlte Angst vergaß.

Jack Owen ging dabei meist vor ihr, oft neben ihr her, die Büchse auf der linken Schulter, über deren Kolben die linke Hand herunter hing, die Hunde hinter sich, die jetzt, im wirklichen Walde drin, keinen Lärm mehr machen durften, etwa irgendwo stehendes Wild nicht zu verscheuchen, und sein Blick schweifte dabei ruhig und forschend über alle offene Stellen die sie passirten, haftete oft auf einem, vom Herbst gefärbten Busch, ob sich nicht doch in den gerötheten Blättern die schlanke Gestalt eines Hirsches berge, und suchte dann wieder in dem weichen Boden des Pfads die frisch eingedrückten Fährten des Rothwildes oder Raubzeuges, die herüber und hinüber gewechselt waren.

So hatten sie schweigend einen großen Theil des Wegs zurückgelegt, und Amalie sah schon in jedem helleren Waldesfleck der vor ihnen lag, die so heiß ersehnte Lichtung von ihres Schwagers Farm; aber ein Dickicht wechselte nur mit dem anderen, der Weg, der bis dahin ziemlich breit in den Wald hinein gereicht hatte, wurde zum engen, kaum mehr begangenen Pfad, und noch immer zeigten sich nicht jene Spuren der Civilisation, die unzertrennlich von einer größeren Ansiedlung sind, und wie der dünne Rauch über einer Stadt, die Nähe des schaffenden Treibens thätiger Menschen verrathen. Kein Fuhrwerk hatte diesem Boden hier je seine Räder eingedrückt, keine Axt noch die mächtigen Stämme berührt, und selbst die wenigen Pferdespuren im Pfad waren von Hirsch- und Pantherfährten fast unkenntlich gemacht, und doch näherten sie sich mehr und mehr der Farm des Grafen, doch konnte nur kurze Strecke Waldes mehr, sie von dort trennen. Nur eins war da noch möglich, daß sein ganzer Verkehr mit jener nördlich von ihm gelegenen Stadt bestand, die ihm doch wohl näher liegen mußte als Little Rock, ja vielleicht gar durch einen Strom die Verbindung erleichterte; aber das Herz des armen Mädchens füllte sich dennoch, so sehr sie auch dagegen ankämpfen wollte, mit einer unbestimmten Furcht, und wenn sie der auch keinen Namen zu geben wußte, drängte es sie doch zuletzt, von ihrem wortkargen Führer das unheimliche Gefühl verscheucht zu sehn.

»Es ist so einsam hier und still,« brach sie das Schweigen endlich, »und doch können wir nicht mehr so weit von jener Farm entfernt sein, der dieser Weg zuführen soll.«

»In einer Stunde kann man's von hier aus, wenigstens in dieser Jahreszeit gehn,« sagte der Mann, »aber im Winter ist's weiter, denn die Gräben sind dann mit Wasser gefüllt, und man muß Umwege machen ihrem Schlamme auszuweichen.«

»Daß sich Olnitzki so tief im Walde angesiedelt hat,« sagte die Deutsche, fast mehr zu sich selbst als zu dem Führer redend.

»Ja, s' ist etwas einsam hier, für eine Frau wenigstens,« lautete die Antwort, »aber der Mann fühlt sich desto wohler unter den Bäumen, und mir ist, wenn ich's aufrichtig gestehen soll, nichts fataler auf der Welt, als wenn ich an eine Fenz komme – meine eigene ausgenommen.«

»Wie es Sidonie nur ausgehalten hat.«

»Ist das der Name Euerer Schwester?« frug der Jäger, mit etwas leiserer Stimme, und sein Blick glitt über die Gestalt der Fremden flüchtig aber doch forschend hin.

»Ja – kennt Ihr ihn nicht, als nächster Nachbar?« sagte Amalie rasch und etwas bestürzt.

»Es ist Sitte bei uns, die Frauen nur nach dem Namen ihres Mannes zu nennen,« erwiederte der Jäger, »selbst unsere eigenen; ich kann ihn aber trotzdem doch wohl einmal gehört haben, denn ich kam früher öfter mit Olnitzki zusammen.«

»Und jetzt nicht mehr?« —

»Oh doch ja, dann und wann wenigstens,« sagte der Mann ausweichend; »er ist gerade ebenso wie wir Anderen – eben nicht umgänglicher Natur, und hält seine Büchse und Hunde für die beste Gesellschaft auf der Welt.«

»Aber die arme Frau – sie verkehrt doch wenigstens mit ihren Nachbarn?« frug Amalie.

»Sie? – o ja – ja wohl« – sagte der Jäger – »im letzten Winter war sie zweimal bei uns hüben, und meine Alte auch dort, und wie ihr vor zwei Jahren das Kind krank wurde und dann starb, ist wenigstens eine von den benachbarten Frauen fortwährend und abwechselnd bei ihr gewesen – sie wurde auch damals selber krank und mußte doch eine Pflege haben.«

»Lieber Gott, im letzten Winter,« seufzte Amalie still und kaum hörbar vor sich hin, und der Wald schien ihr ordentlich unheimlich dazu zu rauschen, in seiner öden Einsamkeit. Sie fürchtete auch von dem Augenblick an wirklich eine weitere Frage zu thun, bis ihr Führer selber wieder das Schweigen brach.

»Ihr habt die Schwester seit langer Zeit nicht gesehn?«

»Seit zehn Jahren nicht.«

»Eine lange Zeit, und wir werden alt dabei.«

»Sidonie war noch so jung wie sie die Heimath verließ.«

»Aus glücklichen, ruhigen Verhältnissen vielleicht heraus« sagte der Jäger, und sein Blick schweifte dabei wieder über den engen Waldeshorizont, der ihm da frei lag, nach einem Wilde auszuspähn.

»Aus den glücklichsten,« sagte die Schwester, seufzend der Zeit gedenkend, »lieber Gott, sie hatte Alles was das Herz begehrt, begehren kann; in Überfluß und Reichthum erzogen, wurde sie von den Ältern auf Händen getragen, und die glänzenste Zukunft hätte ihrer im alten Vaterland gelacht.«

»Hm,« sagte der Jäger, seine Büchse etwas weiter zurück über die Schulter werfend, und den Tabackssaft seines Priemchens gegen die nächste Eiche spritzend – »hm – und Mr. Olnitzki hatte auch viel Geld?«

»Der Graf Olnitzki? – nein,« sagte Amalie, »aus Polen flüchtend, wo sein Volk besiegt und zerstreut worden, waren ihm von dem Russischen Czaaren die Güter confiscirt, war ihm selbst die Rückkehr in sein Vaterland abgeschnitten worden, und jenen unglücklichen Tapferen blieb damals nichts übrig, als in der neuen Welt auch eine neue Heimath zu suchen und zu gründen.«

»Aber wie bekam er da so geschwind die reiche Frau?« frug der praktische Amerikaner, halb ungläubig dazu den Kopf schüttelnd.

»Ich weiß nicht ob Sie sich jener Zeit noch erinnern,« sagte, tief aufseufzend wieder Amalie, »weiß auch nicht ob Sie in Amerika damals unsere Gefühle getheilt; aber in Deutschland war es fast, als ob ein neuer lebendiger Geist über das ganze Volk gekommen, und die träumenden Nationen aus ihrem Schlafe aufgerüttelt habe. Ein Schrei für Polen ging durch Deutschlands Gauen, nicht bei den Regierungen zwar, die es mit dem Nordischen Koloß nicht verderben wollten, wohl aber bei den Völkern. Doch statt das Schwert aufzugreifen für den bedrohten, geknechteten Nachbarstaat, begnügten sich die Männer Sammlungen zu veranstalten, den Verwundeten und Beraubten Hülfe zu bringen, die Frauen zupften Charpie und sandten Leinwand und Bandagen in die Lazarethe, und als die letzte Schlacht geschlagen, als die ungeheueren Russischen Heere das kleine Reich mit ihren Massen überschwemmten, als Polen zertreten, vernichtet unter den stampfenden Rossen seiner Feinde lag, und die Wenigen seiner tapferen Krieger, die sich noch bis zur Grenze durchgeschlagen, fremden Boden Hülfe suchend betreten mußten, da war es Deutschland besonders, das ihnen seine Arme öffnete, das sie in seine Familien, an seinen Heerd nahm, die Kranken und Verwundeten pflegte und kräftigte, die Armen unterstützte, die Besiegten aufrichtete, mit Trost und Hoffnung und eigener That. Feste, Bälle und Concerte wurden gegeben, Summen zusammen zu bekommen und den Flüchtigen Reisegeld nach Amerika zu verschaffen, und Frauen und Mädchen besonders wetteiferten darin ihre Sympathieen für die zertretene Nationalität der Unglücklichen zu zeigen. Wir trugen in den Schleifen und Zierrathen unseres Costümes nur die Polnischen Farben, Polnische Flaggen wehten in den erleuchteten Festesräumen, und viele, viele von uns gaben was sie an Schmuck und goldenen Zierrathen besaßen willig her, die Spende für die tapferen Krieger zu erhöhn.«

»Hm, hm, hm, hm,« sagte der Jäger, der mit dem Kopf heftig dabei schüttelnd, rascher neben dem Pferde herging.

»Auch in unsere Familie,« fuhr Amalie fort, »hatten wir einen jungen edlen Polen aufgenommen, der unsere Schwelle, von Fieberfrost geschüttelt, mit einer Menge ungeheilten Wunden, mit zerrissener Uniform, dem Untergang schon nahe, betrat, und kaum ein Lager für sich eingerichtet bekommen, als ein hitziges Fieber sein Leben bedrohte, und ihn für Monate an den Rand des Grabes brachte. Sidonie und ich pflegten ihn in der Zeit wie Schwestern; Sidonie besonders wich kaum mehr von seinem Bett, und wir hatten die Freude den Unglücklichen nach langen Monden dem Leben, der Gesundheit zurückgegeben zu sehn. Vollkommen endlich wieder hergestellt, und mit Allem reichlich versehn was er zu einer so weiten Reise brauchte, wollten meine Ältern dann den Fremden entlassen – aber es war zu spät; Sidoniens Herz hing an dem fremdem Mann und konnte – wollte ihn nicht lassen. Vater und Mutter baten und beschworen sie – umsonst, der Pole durfte nicht länger auf deutschem Boden weilen, unsere deutschen Regierungen fürchteten das Misvergnügen des Czaaren zu erregen, und mit der warmen Frühlingsluft die über die Berge zog, und unsere Ströme vom Eis befreite – mit dem ersten Schiff, das den aufgethauten Strom befuhr – verließ Sidonie als Olnitzkis Gattin das väterliche Haus.«

Amalie schwieg, und Jack Owen ging wieder eine ganze Zeitlang lautlos, aber recht schwer aufathmend neben dem Pferde her – endlich sagte er leise:

»Aber Olnitzki hatte Vermögen wie er Amerika betrat.«

»Mein Vater ist wohlhabend, und wollte die Tochter nicht der Ungewißheit einer selbst zu erkämpfenden Existenz preis geben.«

Jack Owen blieb stehen und sah die Fremde überrascht und ungewiß an – er hatte augenscheinlich nicht recht verstanden was sie mit den Worten meinte.

»Olnitzki hat also sein Geld nicht mit von Polen herüber gebracht?« frug er endlich.

»So reich er dort gewesen sein mochte,« sagte Amalie, »der Krieg verschlang Alles, und jene edlen Herzen warfen nicht allein ihr Leben, nein Alles was sie auf Erden ihr eigen nannten in die Schaale, das Vaterland zu retten.«

»Hm, hm, hm, hm, hm!« sagte der Jäger wieder, und schritt rascher vorwärts, als ob er die versäumten Minuten einholen müsse; aber er erwiederte nichts weiter, schien sogar jedes fernere Gespräch vermeiden zu wollen, und beschäftigte sich ausschließlich mit dem Weg, der hier auch in der That noch eher wilder und verworrener wurde, und seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, der Fremden nur einiger Maßen Bahn zu brechen. Amalie aber fühlte sich beunruhigt durch das ihr auffällige Benehmen des Führers, trieb ihr Pferd, jetzt schon vollkommen an den Ritt gewöhnt, und dreist gemacht durch den sanften Schritt des Thieres, zu etwas schärferem Schritt mit der Gerte an, und sagte halb schüchtern, halb entschlossen jeder weiteren Ungewißheit ein Ende zu machen:

»Wie geht es meiner Schwester – ist sie glücklich, und lebt sie so wie wir es in Deutschland erwartet haben daß sie leben würde und sollte?« —

»Pst!« sagte ihr Führer aber als einzige Antwort, und bei der rasch doch vorsichtig abwärts gedrehten rechten Hand, blieb das gelehrige, aufmerksame Thier wie in den Boden gewurzelt stehn, regte sich nicht mit dem Kopf, und schüttelte weder Schweif noch Mähne. Der Jäger aber, mit der Hand langsam, keine rasche auffällige Bewegung zu machen, nach vorne deutend, zeigte der Fremden, die dem ausgestreckten Finger mit den Augen folgte, die schlanke prächtige Gestalt eines stattlichen Hirsches, der aus einem dichten Gebüsch herausgetreten war und sich, keine Gefahr ahnend, über eine kleine Waldblöße langsam hinüber äßte.

 

Vorsichtig nahm der Jäger die Mütze vom Kopf, ließ sie geräuschlos auf den Boden gleiten, und eine Bewegung seiner Hand, mit einem Blick den die klugen Thiere wohl verstanden, gebot den Hunden den Platz zu wahren bis er wiederkehre. Nur Einer von ihnen, Deik, ein alter, von Narben zerrissener Bursche mit ganz kurz abgeschlagenem Schwanz und eben solchen Ohren, zugestutzt, als ob sein Herr eben nicht mehr von ihm hätte haben wollen als unumgänglich nöthig war, wußte sich von dem Befehl ausgenommen, und als der Jäger jetzt, sich nieder duckend und den Schutz eines kleinen Busches benützend, rasch aber lautlos durch das feuchte gelbe, den Boden bedeckende Laub hinglitt, folgte er ihm dicht auf den Fersen, haltend, wenn jener stehen blieb, und vorsichtig ausschreitend wenn es der Jäger für rechtzeitig hielt weiter vorzuschleichen.

Amalie selbst vergaß aber in dem neuen Eindruck der Jagd, der jetzt den Wald mit einem eigenen, kaum geahnten Zauber füllte für den Moment wenigstens, alles Andere. Das edle, sich so sicher fühlende Wild; die in das Gras gedrückten klugen Hunde; die lebendige ausdrucksvolle Gestalt des Jägers mit dem schleichenden Thier an seinen Fersen; das Pferd selbst auf dem sie saß, das wie ängstlich den klugen Kopf nach dem leisen Rascheln ihres Kleides wandte; das Rauschen der mächtigen Wipfel dazu, durch das weit, weit herüber, der gellende Schrei eines Falken tönte – sie preßte fast unwillkürlich ihre rechte Hand auf's Herz, so laut kam ihr jetzt dessen Klopfen vor, und während sie in ängstlicher Sorge um das Leben des wunderschönen Thieres bangte, das so frei und glücklich dort durch den Wald schritt, mochte sie selbst kaum athmen, dem Bedrohten nicht die Nähe des Feindes zu verrathen.

Jack Owen aber war in diesem Augenblick nur noch einzig und allein Jäger; an seine Schutzbefohlene kaum denkend die er jedoch auch sicher auf dem Thiere wußte, glitt er, jetzt den Stamm einer Eiche oder eines Sassafrasbaumes benützend, jetzt einen Busch oder umgestürzten Baumstamm als Schutz gebrauchend, zugleich aber auch nicht ganz direkt auf das Wild zu, sondern etwas seitab schleichend, damit durch irgend ein vielleicht unvorsichtig gemachtes Geräusch die Aufmerksamkeit des scheuen Wildes nicht etwa auf das im Wege haltende Pferd gelenkt würde, rasch und geräuschlos über den Boden hin, bis in vielleicht noch hundert Schritt von seiner Beute. Da knickte ein trockner unter dem Laub versteckt gelegener Zweig, und ob sich der Moccasin über ihm zusammenzog, und Jäger wie Hund instinktartig zusammensanken wo sie standen, war der schwache Laut doch hinübergedrungen zu dem Hirsch, der gerade selber mit Äsen aufgehört hatte, und hinüberhorchte nach dem Schrei des Falken. Die Thiere der Wildniß haben eine Sprache untereinander, die der Mensch nicht versteht – eine Stimme zu warnen und zu rufen, zu locken und zu verscheuchen, und sie achten darauf, wenn selbst ein feindliches Geschlecht die Warnung gäbe.

Einmal aufmerksam geworden, wußte Jack Owen aber auch recht gut, daß sich das scheue Thier nicht wieder beruhigen würde, weitere Annäherung zu gestatten, so also rasch die Büchse hebend, die er in der Bewegung spannte, suchte das Auge den tödtlichen Fleck, der Finger zuckte, scharf schmetterte der Schlag durch den Wald, und wie sich der Hirsch hob und zusammenbrach, und wieder empor und mit wilden Sätzen in das Dickicht hineinschnellte, fuhren die Rüden, die sich nicht länger halten ließen, von dem Platze auf, an dem sie gekauert, und folgten heulend und kleffend der flüchtigen Beute. Jack Owen aber wischte indessen vollkommen ruhig seine Büchse mit dem, an den Ladestock geschraubten Krätzer aus, lud sie wieder, und sie dann auf die Schulter werfend, kehrte er zu seinem geduldig haltenden Pferd zurück, seine Mütze aufzuheben, und das Thier mit sich zu der Stelle zu führen wo sie das Wild verendet finden sollten.

»Er ist davongelaufen« sagte Amalie von Seebald, als der Schütze herankam, und sein Pferd ihm – ohne jedoch seine Stelle zu verlassen, freudig entgegenwieherte – halb zufrieden damit, halb in getäuschter Erwartung.

»Ja Miß« lachte der Jäger, »aber nicht weit; ich bin gut abgekommen und die Kugel sitzt, vielleicht nur ein wenig tief, auf dem rechten Fleck; die Hunde haben ihn schon.«

»Die Hunde? wo? – sie bellen ja noch.«

»Ja,« lachte der Hinterwäldler, »aber nicht mehr gegen den Hirsch, sondern gegen Deik an, der Besitz von ihm genommen, und keinen der anderen mehr hinanläßt; der alte Bursche weiß schon was sich schickt, kommen Sie jetzt mit mir, wir gehen sogar nicht einmal um, sondern schneiden dort hinüber durch die jetzt vollkommen trockene Gründorn-Ebene eher noch ein paar hundert Schritte ab bis zu Olnitzkis Fenz, die auf der anderen Seite daranstößt; ich will nur den Hirsch aufbrechen und in die Slew hängen, damit ihn die Schmeißfliegen nicht gleich bedecken; nachher hol ich ihn ab.«

Einen leisen Pfiff dabei ausstoßend, den das Poney gut genug verstand, drehte er sich, von diesem jetzt dicht gefolgt, wieder auf dem Absatz herum, und die dichtesten Plätze vermeidend, führte er die Fremde ganz unbekümmert mitten in das Herz der Waldung hinein. Näher und näher aber kam dabei das Bellen der Hunde und als sie diese endlich erreichten, war es wie Jack Owen vorher gesagt. Deik hatte seinen Platz dicht neben dem schon verendeten Hirsch genommen und sich, seiner Autorität bewußt, ruhig dabei zusammengekauert, die Ankunft seines Herrn zu erwarten, während die anderen Rüden ihn kleffend und knurrend, immer aber in achtungsvoller Ferne, umsprangen, und die Zeit nicht schienen erwarten zu können, wo ihnen ein Theil des Wildprets preis gegeben wurde. Das geschah bald; Jack hatte im Nu den Hirsch herumgeworfen, aufgebrochen und zerwirkt, und dann den vorderen Theil, die beiden Blätter mit Hals und Kopf an dem das Geweih noch saß, vom übrigen Körper trennend und in einzelnen mächtigen Stücken den verschiedenen Rüden zuwerfend, zog er ein Stück Bast von einem dicht dabeistehenden Papaobaum ab, und durch die Hessen der Hinterläufe des Erlegten, schleifte das Wildpret dann zum kaum zehn Schritt davon entfernten Wasser, dem das tödtlich getroffene Thier noch zugeeilt war, und hing es hinein, wusch sich dann selbst die Hände in der Fluth, warf die Büchse wieder über die Schulter und schritt, dem Poney ein neues Zeichen gebend, rasch mitten durch den Wald hin, einer bestimmten Richtung zu.

Diese brachte die Wanderer aber nach kaum viertelstündigem rüstigen Marsch an die Ecke eines eingefenzten, mit Mais bepflanzten, aber sonst noch ziemlich wild aussehenden Feldes, in dem die meisten Bäume nur geringelt und abgestorben oder mitten hinein in das Feld gebrochen, standen und lagen, und um das hin ein schmaler Feldweg führte.

»Da sind wir am Ziel« sagte der Jäger, als er den Arm gegen das Maisfeld ausstreckte und zugleich um die Ecke desselben bog, von der aus sie einen freieren Blick auf die kleine Ansiedlung selber erlangen konnten, »das hier ist Olnitzkis Feld, und er hat drüben auf der anderen Seite im letzten Jahr noch drei andere Acker Land urbar gemacht.«

»Und wie weit haben wir noch bis zum Haus?« frug Amalie der das Herz anfing in fast fieberhafter Aufregung zu klopfen, indem sie fast unwillkürlich den Zügel des Poneys anhielt, sich erst zu sammeln.

»Zum Haus? – dort liegt es« sagte der Jäger, und sein Blick haftete wie in Mitleid auf der bleichen, zitternden Gestalt, die in Angst und Schreck die Hände faltete, als das suchende Auge nur eine kleine niedere Hütte traf, aus der dünner Rauch in die blaue Morgenluft emporkräuselte.

»Das?« hauchte sie mit kaum hörbarer, trostloser Stimme – »das Olnitzkis Haus? – das der Aufenthalt meiner armen Schwester? – «