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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band

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Bis sie aber die immer deutlicher werdenden Häuser erreichten, wollten manche der Zwischendeckspassagiere gern von den Matrosen, die schon erklärt hatten daß sie in New-Orleans gewesen waren, etwas Näheres über die Stadt und deren Umgegend wissen; die Leute waren aber viel zu sehr beschäftigt ihren Fragen Rede stehn zu können, und sie mußten sich zuletzt darein finden eben abzuwarten, wie sich ihnen die Stadt selber zeigen würde. Ewig konnte das ja nun doch nicht mehr dauern.

Ziemlich langsam gegen die starke Strömung rückten sie indessen vorwärts, die schon in Sicht gekommenen Gebäude, in den Windungen des Flusses bald rechts bald links lassend, und erreichten endlich den Platz wo eine Anzahl hölzerner Gebäude auf Pfählen, und nur von Schilf und Schlammwasser umgeben mitten in diesem entsetzlichen Sumpfe standen und in der That auch nur durch hochgelegte Planken unter sich verbunden waren.

Dieß Lootsendorf, die sogenannte Balize, bot in der That einen traurigen Anblick, und man begriff nicht wie Menschen dort überhaupt existiren konnten. Die weite Fläche der See selbst that dem Auge, in Vergleich mit dem öden Sumpfe wohl, der sich hier nach Norden, Osten und Westen ausdehnte, und die Passagiere erschraken als die Glocke des Dampfschiffs läutete, denn sie fürchteten jetzt das, was sie noch an dem Morgen so heiß ersehnt – gelandet zu werden. Das Signal galt aber einem, noch eine kleine Strecke weiter oben liegenden Segelschiff, das jetzt seine Flagge aufhißte und zur Freude der Auswanderer die Hamburger Farben zeigte. Dort waren halbe Reise- und ganze Leidensgefährten, und als die Haidschnucke, mit der Bremer Flagge noch immer auswehend, dem Hamburger Schiffe näher kam, grüßte sie von dort, wie sie erst selber den Amerikaner bewillkommt, ein donnerndes Hurrah, das sie allerdings, aber lange nicht mehr so kräftig wie heute früh, beantworteten.

Sie erfuhren jetzt auch, daß der Dampfer das andere deutsche Schiff ebenfalls in's Schlepptau nehmen würde, aber sie freuten sich nicht besonders darüber, denn nicht mit Unrecht fürchteten sie dadurch nur soviel langsamer von der Stelle zu rücken. Das kümmerte jedoch den Amerikaner wenig, der sich für die Fahrt den doppelten Verdienst natürlich nicht entgehen ließ, und das Hamburger Schiff, Orinoko wie es hieß, erst hierher gebracht und vor Anker gelegt hatte, noch ein zweites aus dem Golf dazu zu holen, ehe er es nach New-Orleans hinauf zog.

Der Hamburger hatte indeß, unter dem lauten taktmäßigen Singen der Matrosen, seinen Anker aufgeholt, als der Dampfer an ihn hinanlief und ihn an den anderen Bug nahm, die Taue wurden befestigt, wie sie früher an der Haidschnucke befestigt waren, und wenige Minuten später schnaubt das kleine aber kräftige Boot mit seiner doppelten Last, aber nicht viel langsamer als vorher, den mächtigen Strom hinauf.

Die Zwischendeckspassagiere der Haidschnucke hatten nun allerdings nichts Eiligeres zu thun als einen Versuch zu machen, von ihrem Schiff hinunter, über das Dampfboot hinweg, an Bord des Landsmannes zu klettern, und dort Bekanntschaft mit dessen Passagieren zu machen. Darin sollten sie sich aber getäuscht sehn, denn die Steuerleute verboten es ihnen nicht allein auf das Entschiedenste, sondern die Wacht des Dampfers selber hatte strenge Ordre Niemanden hinunter auf ihr Deck oder hinüber zu lassen, und weder Bitten noch Protestiren half, die Capitaine zu einer Änderung der Maaßnahme zu bewegen. Die angegebene Ursache war nicht allein Unordnung zu vermeiden, sondern auch ihren eignen Schiffahrtsgesetzen nachzukommen, nach denen sie keine Communication mit fremden Schiffen, ehe sie den Hafen erreicht hätten, unterhalten durften.

Das aber verhinderte Steinert nicht eine sehr lebhafte, und natürlich außerordentlich laut geführte Unterhaltung von der Back der Haidschnucke aus, mit einigen Passagieren des Orinoko, über das Dampfschiff weg, anzuknüpfen, sich nach Zeit der Abfahrt und Erlebnissen der Reise zu erkundigen, und seine einzelnen Ansichten über die Haidschnucke, die nicht immer zu Gunsten derselben ausfielen, einzutauschen. Andere schlossen sich dem an, und die Conversation, von allen hohen Theilen des Schiffs und selbst den Wanten und Marsen ausgeführt, wurde bald allgemein; bis die Scenerie auf dem Strome selbst diesem ein Ende machte.

Schon seit einiger Zeit hatte ein Theil der Passagiere Bäume wirkliche Bäume voraus entdeckt, denn das einzige was sich ihnen bis jetzt an Vegetation außer dem Schilf und alten eingeschwemmten und versenkten Baumstämmen gezeigt hatte, waren nur niedere Weidenbüsche gewesen, und wie sie jene erreichten sahen sie auch den ersten festen Boden aus der gelben Fluth hervorragen.

»Da ist Land – da ist Land!« jubelte es in dem Augenblick vom Deck, als ob die Leute in der That geglaubt hätten daß Amerika im Wasser liege – »da sind Bäume, da ist Gras. Hurrah für Amerika.«

»Hurrah für Amerika!« jauchzte das Schiff nach und die Matrosen des Schleppdampfers hatten Nichts dagegen in den ihrer eignen Heimath gebrachten Jubelruf mit einzustimmen.

Es war indessen ziemlich spät am Tag geworden; während das Ufer aber zu beiden Seiten einen festeren Charakter annahm, mit hohen Bäumen besetzt und nur noch hie und da von Schilf durchwachsen, ließen sich noch immer keine menschlichen Wohnungen, hie und da eine kleine unansehnliche Hütte abgerechnet, erkennen; das Land schien eine unbewohnte Wildniß, die von den Passagieren schon mit Bären, Panthern und Büffeln belebt wurde, und die cultivirte Gegend lag jedenfalls noch weiter oben. Einzelne Schiffe begegneten ihnen jedoch jetzt, und zweimal sogar eine ordentliche kleine Flotte, von einem einzigen Dampfer stromab bugsirt, der an jedem Bord ein großes Schiff führte, und drei kleinere noch hinten an langen Leinen im Schlepptau hatte. Auch kleine Küstenfahrzeuge segelten und ruderten auf dem Strom, manche von ihnen mit farbigen Leuten bemannt, ihre kleinen Fahrzeuge bunt bemalt, und herüber und hinüber kreuzend gegen die starke Strömung des »Vaters der Wasser«.3

Aber die Sonne neigte sich ihrem Untergang, und was Manchem von ihnen schon auf der See aufgefallen war, die kurze Dämmerung, machte sich hier, wo sie das schattige Laub der hohen Bäume an ihrer Seite hatten, nur noch mehr bemerkbar. Kaum war das Taggestirn hinter dem dunkeln Waldstreifen, der das jenseitige ziemlich ferne Ufer deckte, verschwunden, als die Nacht mit einer Schnelle anbrach, von der sie bis jetzt wirklich keine Ahnung gehabt. Sie hielten dabei dem linken Ufer des Stromes zu, dort Holz für den Dampfer, dessen Kohlen auf die Neige gingen, einzunehmen, und die Passagiere freuten sich schon das Ufer betreten und die wunderliche Vegetation des neuen Landes beschauen zu dürfen, dessen riesige Bäume hier alle mit wehendem silbergrauen Moos bis hinab auf den Grund behangen schienen; doch hatten sie dasselbe noch lange nicht erreicht, als es schon unter den Bäumen dunkelte und das Licht der einzelnen dort wie versteckten Hütte, seinen rothglühenden Schein herüberschickte.

Das Einnehmen von Holz zeigte mit den tiefgehenden Schiffen seine Schwierigkeit, da der Dampfer mit diesen nicht so dicht an Land fahren konnte, und die Capitaine nicht gern vor Anker gehen wollten. Der Eigenthümer des Holzes war aber schon darauf eingerichtet, und hatte eine Anzahl Klafter in einem niederen und sehr breiten Boote mit flachem Boden aufgestapelt, mit dem er, auf den Anruf des Capitains eine Strecke in den Fluß hinaus fuhr und sich queer vor dem Bug des Dampfers legte. Von hier aus wurden die Scheite, während die Maschine wieder an zu arbeiten fing, und alle vier Fahrzeuge doch wenigstens gegen die Strömung stemmte, rasch an Bord geworfen, die Taue der Haidschnucke aber dann gelößt, damit das entladene Holzboot zwischen ihnen durch mit der Strömung zurücktreiben konnte, und der Schleppdampfer setzte seinen Weg jetzt wieder, in der Nacht ziemlich die Mitte des Stromes haltend, den zahlreichen im Flußbett angeschwemmten Stämmen auszuweichen, langsam fort.

Es war ein wundervoller Abend, der Mond hob sich, als sie kaum eine Stunde gefahren waren, über die Bäume, und goß sein silbernes Licht auf den breiten Strom, und die Passagiere der verschiedenen Schiffe hatten sich vorn auf Deck gelagert, und sangen wechselsweise in volltönenden oft harmonischen Chören ihre heimischen Lieder, die meist ernsten, schwermüthigen Inhalts gar wunderbar ergreifend über den stillen Strom klangen.

Frau von Kaulitz hatte unter der Zeit versucht ihre gewöhnliche Whistparthie zu Stande zu bringen, heute jedoch nicht einmal Herrn von Benkendroff bewegen können daran Theil zu nehmen, und saß jetzt, eine Patience legend, allein in der Cajüte. Es war ihr ein verlorener Abend den sie ohne Karten zubrachte. Die übrigen Passagiere saßen und standen in schweigenden Gruppen auf dem Quarterdeck umher, oder flüsterten leise mit einander, so eigen berührt waren sie selber von den heimischen Klängen denen sich das Herz, mag es das Vaterland noch so lang verlassen und es fast vergessen haben, doch nie verschließt.

Es liegt ein eigener Zauber in den Tönen die wir als Kind gekannt, geliebt, und die nicht selten schon Wurzel in der Kindesbrust geschlagen. Alte Gedanken, liebe und trübe Erinnerungen wecken sie dann wo wir sie wieder hören, und das Herz lauscht ihnen wollte selbst das Ohr den lieben Lauten den Eingang weigern.

»Wie das so reizend klingt auf dem stillen Strome« sagte Marie, die den Arm um der Schwester Schulter gelegt, neben Clara und Hedwig unfern der Quarterdeckstreppe stand, und nach dem Mond hinüberschaute – »ich könnte den Liedern die ganze Nacht lauschen, und doch habe ich sie schon so oft, so oft gehört.«

 

»Das ist es ja gerade was sie uns so lieb macht« lächelte die Schwester sich freundlich zu ihr neigend – »weißt Du noch wie wir daheim in unserem Gärtchen saßen, und die Zimmerleute unten vom Bauplatz, Abends, wenn sie an unserer Mauer vorbei zu Hause gingen all diese Lieder sangen, und wir sie weit weit noch hören konnten durch den stillen Abend.«

»Unser liebes Gärtchen« seufzte leise Marie, und auch der Schwester Brust hob sich in der schmerzlichen Erinnerung an das Zurückgelassene, aber sie wollte jetzt nicht jene Bilder heraufbeschwören und sagte rasch, der Schwester Arm berührend und dann nach dem Nachbarschiffe hinüber deutend, wo sie eben wieder ein anderes Lied begannen.

»Kennst Du das, Marie?«

»Noah« lachte die Schwester, »Herrn Kellmanns Leiblied, ei wenn er jetzt bei uns wäre, wie er da einstimmen würde nach Herzenslust. – Was er jetzt wohl treibt?«

Anna schwieg und lauschte den Tönen, bis sie in der Nacht verklungen waren.

Die Passagiere der Haidschnucke antworteten dem letzten Lied mit »Schweizers Heimweh«. Wenn aber die einzelnen Schiffe bis dahin allein gesungen, und so gewissermaaßen einen Wechselchor gebildet hatten, dessen einer immer erst begonnen wenn der andere geendet, und dem die Mannschaft des Schleppdampfers mit lautlosem Schweigen lauschte, so waren die ersten Töne dieses alten lieben heimischen Sanges kaum angeschlagen, als das Hamburger Schiff ebenfalls mit einstimmte, und der volle Chor weich und klagend durch die Nacht drang.

 
Herz mein Herz, warum so traurig,
und was soll das ach und weh,
S' ist ja schon im fremden Lande —
Herz mein Herz, was willst Du mehr.
 

Still und lautlos lauschten die Mädchen den lieben, schwermüthigen Klängen, und leise, leise, mit kaum bewegten Lippen fielen sie endlich mit ein in die Melodie, bis sie mehr Muth gewannen, und mit lauterer Stimme, aber innigem Gefühl dem Liede folgten. Wie aber der Schluß verklang, »doch zur Heimath wird es nie«, schwiegen beide Chöre – lautlose Stille legte sich über Deck – Keiner hatte mehr das Herz, nach diesen Strophen noch ein anderes, vielleicht gar triviales Lied zu beginnen. Dem neuen Vaterland hatten sie heute ein donnerndes Hurrah gebracht, als sie dessen Flagge zum ersten Male in der Brise wehen sahen, dem alten brachten sie das Lied, mit mancher heimlich zerdrückten Thräne, mit manchem, gewaltsam in die Brust zurückgedrängten Seufzer.

Auch die Cajütenpassagiere waren recht still und nachdenkend geworden, Herr von Hopfgarten, der sich anfänglich mit dem Professor in einen großen ökonomischen Streit eingelassen, hatte den und die ganze Verhandlung in dem Lied vergessen, und horchte ihm noch viele Minuten, als es schon längst in dem Rauschen des Stromes und dem monotonen Klappern der neben ihnen arbeitenden Maschine verschwommen war.

Herr Henkel ging indeß auf der einen, Herr von Benkendroff auf der anderen Seite des Besahnmastes spatzieren, während Frau Professor Lobenstein, ihre beiden jüngsten Kinder an sich geschmiegt am Fuße desselben auf einer Bank saß, und der Nacht dankte die ihr die einzeln niederrollenden Thränen verbarg vor dem Auge der Menschen.

Nur Doctor Hückler lag behaglich der Länge nach ausgestreckt auf der Scheilichtklappe, dampfte seine Cigarre in den wundervollen Abend hinein, und trommelte zu den Liedern den falschen Takt auf dem Holz, auf dem er ruhte.

Eine Zeitlang hatte ununterbrochenes Schweigen an Bord geherrscht; es war fast, als ob sich Jeder scheute den Zauber zu brechen der auf den Schiffen, durch diese einfachen vaterländischen Weisen heraufbeschworen lag, als plötzlich vom vorderen Theil der Haidschnucke, ja fast wie von dem jetzt ziemlich nahen Lande kommend, an das sie das Fahrwasser des mächtigen Stromes gebracht hatte, der volle glockenreine klagende Ton einer Nachtigall herüber drang.

»Was ist das?« rief Marie fast erschreckt auffahrend – »giebt es hier Nachtigallen in den Wäldern?«

»Das ist nicht im Wald, das ist an Bord« sagte aber Anna, sich hoch empor richtend – »doch zum ersten Mal schlägt sie, seit wir in See sind.«

»Du lieber Gott, sie hat die nahen Bäume gespürt und sehnt sich nach dem Lande« sagte Marie tief aufseufzend, – »ist es uns doch selbst ganz weh und weich um's Herz geworden, als wir wieder die rauschenden Bäume hörten. Oh weißt Du, Clara, noch die Nachtigall, die immer so wundervoll vor Deinem Fenster schlug – aber – um Gottes Willen was ist Dir – Clara – liebe Clara!«

Der Ausruf galt der jungen unglücklichen Frau, die schon, von den heimischen Liedern aufgeregt, nur mit Mühe ihre Fassung bewahrt hatte, jetzt aber bei der so wohlbekannten so heißgeliebten Weise der Nachtigall, die mit furchtbarer Kraft die Erinnerung an die verlassene Heimath – an ihr jetziges Elend zurückrief in das gequälte Herz, das mächtig ausbrechende Gefühl nicht mehr zurückdrängen konnte und das Antlitz an Hedwigs Schulter bergend, heftig weinte. Marie hatte ihren Arm um sie gelegt und suchte sie emporzurichten und zu sich herüberzuziehen; sie wehrte ihr leise, behielt aber ihre Hand die sie wie krampfhaft preßte, in der ihren.

»Liebe, liebe Clara!«

»Laß mich, mein liebes Kind – es wird gleich besser sein« flüsterte die Frau – »nur eine Art von Weinkrampf ist's, der wohl mit meinem Unwohlsein zusammenhängt.«

»So will ich Deinen Mann rufen – es muß doch wohl – «

»Nein – nein!« rief Clara aber rasch und fast heftig – »nicht – nein, es ist nicht nöthig« setzte sie langsamer hinzu, »und wird gleich vorüber gehen ja ist schon vorbei. Mir ist schon wieder besser Marie, so ängstige Dich nicht meinethalben.«

»Du solltest doch einmal einen Arzt fragen liebes Herz« sagte aber auch jetzt Anna, die zu ihr getreten war und ihren Arm leise berührte »Du siehst seit einigen Tagen bleich und krank – recht krank aus, Clara, viel kränker wie Du es vielleicht selber denkst, und darfst nicht zu fest auf Deine, sonst so kräftige Natur trotzen. Auch das Plötzliche Deines Zustandes hat etwas beunruhigendes, das nicht vernachlässigt werden darf.«

»Was kann ihr der Doctor helfen« flüsterte aber Marie, von dem, unfern von ihnen ausgestreckt liegenden Stiefsohn Aesculaps nicht gehört zu werden – »der ließe sie höchstens zur Ader und erzählte uns bei Tisch wieder ein paar blutige Geschichten.«

»Der Doctor soll ihr auch Nichts helfen« erwiederte Anna, »aber im Zwischendeck ist, wie mir Hedwig erzählt, ein recht tüchtiger junger Arzt, der schon viele dort, rasch und anspruchslos wieder hergestellt, und den zu fragen, da wir ihn doch jetzt bei der Hand haben, gewiß Nichts schadete.«

»Nein, nein« bat aber Clara jetzt »ich weiß selber besser, wie nur ein Arzt, und wäre er der geschickteste, mir sagen könnte was mir fehlt. Es ist Nichts wie Erkältung mit vielleicht einiger Aufregung dazu, die mir der Abschied von zu Hause doch gemacht, und die sich, wenn auch etwas spät, in den Folgen zeigt. Ruhe ist das Einzige was mir helfen kann. Laßt mich still meinen Weg gehen, und wenige Tage haben mich vollkommen wieder hergestellt.«

»Oh wenn die Nachtigall nur noch einmal schlagen wollte« sagte Marie – »es war gar so schön – wenn ich nur wüßte wer sie mit auf See genommen.«

Während sie sprach war sie vorn an die Reiling des Quarterdecks getreten, an der Fräulein von Seebald stand und nach dem Mond hinaufschwärmte. Unten in Sicht auf dem niederen Deck saß nur eine einzige Person, und das helle Licht des Mondes fiel voll auf die ebenfalls andächtig erhobenen Züge des jungen Dichters.

Der zweite Steuermann kam jetzt von vorn und ging zu dem, seit das Schiff im Schlepptau hing, befestigten Steuer, die Taue nachzusehn.

»Oh wie wundervoll das war« seufzte in diesem Augenblick Fräulein von Seebald, mit dem Taschentuch eine Thräne von der Wange entfernend – »wie das Herz und Seele ergreift und mit den weichen, liebevollen Klängen alle Nerven nachfibriren läßt.«

»Ja, Schultze pfeift recht hübsch« sagte der Seemann, der gerade die kleine Treppe heraufkam und an ihnen vorbei wollte – »er macht seine Sache ausgezeichnet – es klingt ordentlich natürlich.«

»Wer pfeift recht hübsch?« rief Fräulein von Seebald entsetzt, die gegen den prosaischen Menschen seit jenem Gespräch einen Widerwillen hatte, den sie kaum so weit bezwingen konnte nicht unartig gegen ihn zu sein.

»Ih nu Schultze« sagte der Untersteuermann lachend – »er sitzt vorn auf der Back und pfiff wie eine Nachtigall; wie sie aber von allen Seiten auf ihn zu kamen, schwieg er still und will das Maul nicht mehr aufthun.«

»Das war keine Nachtigall?« rief Marie erstaunt, und Fräulein von Seebald seufzte nur leise und mit innerster Entrüstung.

»Schultze!«

»Ach das ist der Mann!« rief die lebendige Marie, die in der neuen Entdeckung bald die Nachtigall vergaß, »von dem Sie uns erzählten daß er den sonderbaren Glauben hätte, wir Menschen seien alle früher Vögel gewesen, und meine Mama eine Nachtigall. Eduard war er schon in Bremen aufgefallen, wo er sie scharf beobachtet hatte, wahrscheinlich mit der Entdeckung der Ähnlichkeit beschäftigt.«

»Jede Enttäuschung schmerzt« sagte aber Fräulein von Seebald, »und ich hatte mir das schon so reizend ausgemalt, es war ein so hochpoetischer Gedanke, daß wir in den waldigen Schatten Amerikas durch eine heimische Nachtigall begrüßt werden sollten – es ist vorbei – der Traum ist verschwunden und wir sind erwacht.«

Ein tief ausgeholter Seufzer vom untern Deck antwortete – es war Theobald, der ihre Worte gehört und schmerzlich mit empfunden hatte – er saß still und regungslos, den Kopf auf die Hand gestützt, an der Nagelbank des großen Mastes, und wie ihm die dunklen Locken fast unheimlich die bleiche Stirn umspielten, schaute er voll und lange in den Mond und nach dem Deck hinauf, auf dem die beiden Damen standen, und schloß dann die Augen, das Bild in seinem Inneren fest zu halten.

Der Untersteuermann kam wieder zurück (Fräulein von Seebald trat, den Kopf abwendend, von ihm fort) stieg die Treppe hinunter und wollte eben wieder nach vorn gehn, wo Leute postirt waren nach etwaigen Gefahren im Strom selber auszuschaun; da fiel sein Blick auf das bleiche Antlitz des Dichters und zu ihm hinantretend und ihn derb an der Schulter schüttelnd rief er gutmüthig:

»Sie da, Sie wollen wohl ein schiefes Gesicht kriegen, daß Sie hier im Monde liegen und schlafen.«

»Ich habe nicht geschlafen – lassen Sie mich zufrieden!« rief Theobald, entrüstet aufspringend.

»Nu, nu, Fiepchen biet mi nich« sagte der Steuermann lachend weitergehend – »es ist doch hoffentlich kein Unglück geschehn.«

Marie, die wie Fräulein von Seebald Zeuge der Scene gewesen war, lachte heimlich vor sich hin, aber ihre ältere Freundin sagte seufzend:

»Das ist ein entsetzlicher Mensch, dieser Untersteuermann, roh an Geist und Gemüth, wie an Gestalt.«

»Mich amüsirt er« lachte Marie, »und was kann man von ihm viel verlangen. Er ist Seemann, und scheint sein Geschäft aus dem Grunde zu verstehen; daß er derb ist, gehört mit dazu.«

»Ich werde schlafen gehn« sagte Fräulein von Seebald – »dieser Abend hat meine Nerven furchtbar angegriffen, und eine lange Zeit wird dazu gehören das wieder gut zu machen. Gute Nacht!«

Sie sprach die letzten Worte ziemlich laut, und ein Seufzer klang fast wie antwortend vom Fuß des großen Mast's herauf. Marie sah sich danach um, aber ihre Mutter rief sie in dem Augenblick; es wurde feucht an Deck in dem Flußnebel, und die Damen zogen sich in ihre Cajüten zurück.

3Der Mississippi heißt in der bilderreichen Sprache der Indianer der »Vater der Wasser.«