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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band

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»Nun? – wollen wir nicht weiter?« frug der Pensylvanier der diesen Farbenreichthum zu oft gesehn, etwas Außerordentliches darin zu finden, und jetzt nicht recht begreifen konnte weshalb die Fremden gerade hier anhielten, wo eben gar Nichts zu sehen und zu bewundern war, nicht einmal ein Eckbaum irgend einer Viertelsection mit zierlichen, auf der abgeschlagenen Rinde gemalten Buchstaben – »hier haben wir allerdings Nichts wie Wald, aber ein kleines Stückchen weiter unten kommen wir wieder zu einer Farm, und dann ist's genau noch eine Quartersektion bis zu dem Platz wohin wir heute wollen.«

»Welches wundervolle Farbenspiel in dem Laub hier« rief aber der Professor, die Mahnung kaum hörend – »sehn Sie nur Hopfgarten, jene Gruppe dort hinten, mit dem mächtig dunklen Baum zum Mittelpunkt, aus dem die Lichter ordentlich wie Strahlen nach allen Seiten schießen.«

»Und jene schillernden Festons die sich um jene Eiche schlängeln, mit den Gold und Purpur durchwirkten Blättern« rief von Hopfgarten, »und den Massen dunkelblauer, daran niederhängender Trauben – oh wie schön, wie wunderbar schön ist dieß Land!«

»Ja, 's ist putty considerable hübsch« sagte der Amerikaner, der Nichts dagegen hatte daß die Fremden den blanken Wald schön fanden, während er sein rechtes Bein, der Bequemlichkeit halber nach links mit über den Sattel legte und den rechten Arm darauf stemmte, »'s läßt sich ansehn, und famoser Boden dazu. Da unten wachsen Zucker-Ahorn und wilde Kirschen in Masse, nur ein Bischen viel Holz steht d'rauf, sonst wär' es ebenfalls schon lange gekleart worden. Aber das wird schon noch hübscher, wenn die Eisenbahn erst hier durchgeht; seht Ihr Leutchen, gerade über die kleine Ridge28 da drüben wo die vielen Hickorys stehn – sie sehn jetzt alle gelb aus – da soll sie weg gehn, und ein Bruder von mir hat sich da oben schon angekauft – aber 's ist jetzt noch ein Bischen einsam da.«

Die Männer konnten sich kaum von dem wundervollen Schauspiel, über dem sich der Himmel jetzt klar und rein ausspannte, losreißen, als Ezra Ludkins aber glaubte daß sie sich nun lange genug die »Blätter« angesehn, warf er sein Bein wieder zurück, angelte ein paar Secunden damit nach dem schlenkernden Steigbügel, und ritt dann langsam voraus den Hang hinab.

Eine halbe Stunde später, und immer noch in dem prachtvollen Wald hinreitend, wobei sie die ziemlich schlechte Straße ganz übersahen, erreichten sie endlich die Marken des bezeichneten Platzes, und Ezra hatte von dem Augenblick an das Wort. Hier kannte er jeden Baum, gezeichnet und ungezeichnet, auf jede Senke in der die Bäume stärker und laubiger standen, machte er sie aufmerksam, auf den sprudelnden Bach und den lehmig sandigen Boden, auf jede einzelne Pflanze die gern auf üppigem Boden wächst, auf die stämmigen Maisstengel endlich als sie die kleine Rodung erreichten, auf die guten und hohen Fenzen, auf den vortrefflichen Weideboden und die gesunde Lage, auf die netten Häuser – die sich allerdings nur wenig oder gar nicht von den früher gesehenen unterschieden, auf das kräftige Vieh, von dem sie einige Stücke im Wege trafen, bis sie zuletzt vor der Hütte selber hielten, und ein junger, etwas bleich aussehender Mann der nicht weit davon arbeitete, mit der Axt ein Ochsenjoch auszuschlagen, auf sie zukam, sie zu begrüßen und ihnen, mit Hülfe eines anderen etwa zehnjährigen Knaben die Pferde abzunehmen.

Der Pensylvanier, der dem jungen Mann zurief indessen, bis sie wieder zurückkämen »etwas zu essen« für sie bereit zu halten, führte die Fremden jetzt vor allen Dingen in das Maisfeld selber, wo die Kolben noch nicht gepflückt und eingesammelt, aber zum großen Theil nieder geknickt waren, damit Spechte und Raben nicht oben hineinpicken konnten, und einfließender Regen dann die Frucht anfaulte. Die Stengel standen aber in der That kräftig und stämmig da, die Kolben selber waren groß und stark, und mächtige Kürbisse lagen, mit dem Mais gepflanzt, durch das ganze Feld. Der Boden mußte hier allerdings fruchtbar sein, und der Weber besonders konnte sein Erstaunen und seine Freude über das herrliche Land kaum zurückhalten.

Auch die Gegend war reizend; die Farm lag in einem kleinen, rings von bewaldeten Hügeln eingeschlossenen Kessel, ein nicht großer, aber sehr klares Wasser haltender Bach lief munter plätschernd hindurch, und eine nicht unbedeutende Anpflanzung von jungen Äpfel- und Pfirsichbäumen, die allerdings noch keine Früchte trugen, aber für spätere Jahre reiche Erndten versprachen, gaben dem ganzen Platz auch schon eher etwas freundliches, wohnliches, und konnten einen guten Anfang bilden zu späterer Obstzucht und Gärtnerei. Die Verhältnisse mit dem Land waren ebenfalls annehmbar, und vierzig Acker die, wie ihnen der Pensylvanier sagte, schon von ihm als Eigenthum vom Staat erworben worden, während leicht noch mehr Land, wenn auch nicht gerade mehr zum Congreßpreis, in der Nähe zu kaufen lag. Nur die Wohnungen sahen noch wild und unbehaglich aus, und nachdem sie einen langen Spatziergang um das ganze Grundstück herumgemacht, und auch noch zu einer anderen Rodung geführt waren, wo der jetzige Eigenthümer eben begonnen hatte weitere fünf Acker urbar zu machen, sein Feld zu vergrößern, gingen sie langsam zu dem Haus zurück, in deren Thüre sie eine junge schlanke Frau in die einfache aber geschmackvolle selbstgewebte Tracht der Waldestöchter gekleidet, freundlich begrüßte.

Es war eine schlanke, fast edle Gestalt mit wundervollem Haar und Auge, aber wieder störten den Professor die bleichen Gesichtszüge, störte ihn die fast durchsichtige Haut – nur die Kinder, ein kleiner Bube von drei und ein Mädchen von zwei Jahren, sahen frisch und munter aus.

Das Haus war übrigens nur eine der gewöhnlichen Blockhütten, ohne Fenster und Ofen, mit einem riesigen Camin der fast die ganze hintere Wand einnahm, und ein paar eingetriebene Plöcke auf denen ungehobelte Breter lagen, die wenige Wäsche wie ein paar Bücher zu tragen, bildeten mit drei ordinairen Rohrstühlen und einem mit der Axt zugehauenen Tisch, das ganze Hausgeräth. Auf dem Tisch lag aber ein schneeweißes Tuch ausgebreitet, blanke zinnerne Teller und Blechbecher, die ihnen ordentlich entgegen blitzten, standen darauf, und eine riesige Kaffeekanne wie ein großer steinerner Krug voll Milch schienen die Gäste schon lange erwartet zu haben.

»So Kitty, trag auf was Du hast« sagte Ezra Ludkins in englischer Sprache, ohne sich auch nur die Mühe zu geben der Frau guten Tag zu bieten, »die Herren hier sind schon seit Tagesanbruch auf und draußen, und werden Hunger haben – keine süßen Kartoffeln?«

»Ja wohl Mr. Ludkins« sagte die junge Frau – »wenn die Herren niedersitzen wollen, es ist Alles bereit.«

Der Professor hatte wirklich Hunger bekommen, und ein braunes kuchenartiges Gebäck, das ihm aus der einen Schüssel warm entgegenduftete, sah so einladend aus, daß er selbst die Examination des inneren Hauses bis auf weiteres verschob, und der freundlichen Einladung, von Hopfgarten gefolgt, rasch nachkam. Nur der Weber blieb verlegen in der Thür stehn und betrachtete sich höchst aufmerksam das große Baumwollen-Spinnrad das unfern davon, mit der weißen Flocke noch am aufgewickelten Garn hängend, in der Ecke stand. Er dachte gar nicht daran sich mit dem Professor, seinem jetzigen Herrn, und dem Herrn Baron aus der Cajüte, an einen Tisch zu setzen.

»Nun Mister?« sagte der Pensylvanier – »keinen Hunger? kommen Sie her und fallen Sie zu; hier ist Ihr Platz.«

»Oh ich bitte – ich kann ja warten« stammelte der Mann.

»Warten? – weshalb; hier haben wir alle Platz.«

»Aber die Madame« meinte Brockfeld, denn es war allerdings nur noch ein Sitz am Tisch frei.

»Kitty? – die ißt nachher – kommen Sie nur es wird kalt.«

»Machen Sie doch keine Umstände lieber Brockfeld« sagte ihm aber auch jetzt der Professor freundlich – »hier sind wir nun einmal in Amerika, und wo uns da etwas geboten wird müssen wir zulangen.«

»Nun wenn Sie denn befehlen« sagte der Weber, dessen Weigerung fehlender Appetit keineswegs verschuldet hatte, und über ein rundes wunderliches Gestell, das wie ein abgesägtes Stück Baumstamm aussah und mit einem dünnen Bret übernagelt war hintretend, setzte er sich darauf und langte tüchtig mit zu.

Den Mittelpunkt der Mahlzeit bildete übrigens ein groß mächtiges Stück warm aufgetragener Speck, von dem Ludkins jetzt, der hier förmlich zu Hause zu sein schien, große dicke Scheiben abschnitt und jedem vorlegte; eine dunkle Sauce wurde dabei herumgegeben, von der sich alle nahmen, und der Professor, der sich besonders viel von dem Brode zugelangt, dem ihm etwas zu fetten Braten damit nachzuhelfen, hatte seinen Speck kaum in die Brühe getunkt und zum Munde geführt, als er die Gabel auch erschreckt wieder absetzte, niederlegte und an zu lachen fing.

»Ich habe aus Versehn Syrup zu meinem Fleisch genommen,« sagte er dabei schmunzelnd, »das hätte doch curios schmecken sollen.«

»Du hast noch keinen Syrup? – oh, beg your pardon, hier steht er,« sagte Ezra freundlich.

»Essen Sie Syrup zum Speck?« frug der Professor, eben nicht angenehm von der neuen Kost überrascht.

»Thust Du das nicht?« frug der Pensylvanier mit einem halb ungläubigen Lächeln.

Die Fremden glaubten sich aber keine Blöße geben zu dürfen und langten von da an, ohne irgend eine Einwendung zu machen, wacker zu; aber auch das wunderschön aussehende Gebäck mit dunkelgelber krustiger Rinde, das dem schönsten Sandkuchen glich, erwieß sich als etwas sehr trockenes, bröckliges Maisbrod, das genau so schmeckte als ob wirklicher Sand dazwischen wäre, und nur auch in der That mit dem sehr fetten Fleisch genießbar schien. Auch gegen die sogenannten süßen Kartoffeln hatten sie, schon des Namens wegen, eine Art Widerwillen zu überwinden, und der gebratene Speck, den die Amerikaner zum Gekochten aßen, konnte den nicht zerstören.

 

Nichts destoweniger ging die Mahlzeit besser vorüber als sich den Umständen nach erwarten ließ. Die Leute waren eben hungrig, und da schmeckt Manches gut, was der gesättigte Magen selbst mit Widerwillen zurückweisen würde; so mit dem heißen Kaffee dazu, standen sie auch gesättigt vom Tische auf, ohne übrigens von der Amerikanischen Farmerskost, von der sie hier die erste Probe bekommen, sonderlich erbaut zu sein.

Vor allen Dingen besichtigten sie jetzt die Gebäude, fanden da aber allerdings noch viel zu wünschen übrig, denn die kleine Hütte, in der sie gegessen, mit einer Art Speisekammer daneben machte den Hauptbestandtheil derselben aus. Dann stand noch ein Maisschuppen etwa dreißig Schritt vom Haus entfernt, und eine Entschuldigung für einen Stall, ein offenes Gestell, eben nur nothdürftig gedeckt und kaum im Stande das dahineintretende Vieh gegen einen Nordweststurm zu schützen, da es jedem anderen Winde preisgegeben blieb. Aber die Summe für das Ganze war auch, wenigstens nach Europäischen Begriffen nicht hoch. Das schon vom Staat gekaufte Land sollte nur sieben Dollar der Acker kosten, wobei allerdings das Urbarmachen selbst wie die errichteten Fenzen und Hütten besonders zu bezahlen waren. Aber auch die Erndte selber mit dem dazu gehörigen Vieh, einige zwanzig Rinder, vielleicht vierzig Schweine und zwei Pferde nebst vier Zugochsen erbot sich ihm der Amerikaner billig zu überlassen – einzig und allein nur weil sein Sohn »nach dem Westen» zu ziehn beabsichtige, und er selber von der Stadt aus die Bebauung des Platzes nicht leiten könne, auch wirklich zu viel mit seinen städtischen Einrichtungen zu thun habe, und zu viel Geld dort brauche zu allen beabsichtigten Anlagen.

Die für Vieh und andere Einrichtungen geforderten Preise kamen dem Professor, wie auch Herrn von Hopfgarten und dem Weber mäßig vor; jedoch wollte der Erstere keinesfalls abschließen ohne mit seiner Frau vorerst darüber gesprochen und ihr den Platz ebenfalls gezeigt zu haben; überdieß konnte er gar nicht dort einziehn ehe noch ein anderes Blockhaus dicht neben dem schon stehenden errichtet wäre, dem man dann zwei Abtheilungen geben, und die Familie wenigstens so lange darin unterbringen konnte, bis er selber im Stande war ein bequemes, und seinen Wünschen wie Bedürfnissen entsprechendes Wohnhaus aufzurichten.

Nach allen Einrichtungen, die er sich übrigens schon im Geist machte, schien der Professor mehr als halb gewillt die Farm, die er jedoch noch zu einem mäßigeren Preis zu bekommen hoffte, zu kaufen. Er konnte ja doch auch nicht mit seiner ganzen Familie und der nun einmal engagirten Dienerschaft im Lande herumziehn, wo er jedenfalls beinah soviel verzehrt hätte, als das ganze Land hier, mit Wohnungen und Vieh kostete – und die Familie hier lassen, während er allein reiste, war fast eben so mislich. Das Bedürfniß einen Platz zu haben den er sein nannte, und wo er anfangen konnte zu wirken und zu schaffen, kam dazu, und als er auf dem Heimweg, während der Pensylvanier mit dem Weber vorausritt, mit Herrn von Hopfgarten darüber sprach, und dieser ihm rieth doch am Ende nicht zu rasch in einer so wichtigen Sache zu handeln, vertheidigte er den Kauf schon, selbst nur den dritten Theil der Hoffnungen angenommen die der Amerikaner mit solcher Zuversicht über den Wachsthum der kleinen Stadt ausgesprochen hatte, auf das Lebendigste.

Von dem Kaufpreis wollte nun aber Ezra Ludkins Nichts herunter lassen; er behauptete schon die billigste Summe angegeben zu haben. Dem Professor aber zu beweisen wie er gern erbötig sei Alles in seinen Kräften stehende zu thun ihn zufrieden zu stellen, erbot er sich ihm, wenn sie sich über den Kauf einigten, noch ein solches Blockhaus an der bezeichneten Stelle unentgeldlich neu aufzurichten, wie ebenfalls ihn so lange bis das hergestellt sei mit der eigenen Familie, während der Weber gleich hinaufziehen sollte mit arbeiten zu helfen ohne weitere Bezahlung dafür zu nehmen, zu verköstigen.

Das war ein Vorschlag zur Güte, und am zweiten Tag, nachdem die Frau Professorin – zum ersten Mal in ihrem Leben im Sattel – auf dem vollkommen gutmüthigen Pferd ihrer Wirthin, mit ihrem Mann und dem Pensylvanier nochmals hinübergeritten war den Platz in Augenschein zu nehmen, wurde der Handel zwischen Ezra Ludkins und Professor Lobenstein abgeschlossen, und der Professor – war Farmer in Indiana.

Von Hopfgarten konnte im Ganzen nicht viel dagegen einwenden, obgleich es ihm – er wußte eigentlich selber nicht recht weshalb – doch ein gewissermaßen unbehagliches Gefühl war, die Damen in den Häusern, die sie da oben gefunden, als Bewohnerinnen zurückzulassen. Die Wirklichkeit war doch, so sehr er sich dagegen sträubte einzugestehn er wäre mit zu poetischen Ansichten nach Amerika gekommen, hinter seinen Erwartungen zurückgeblieben, und die blanke Thatsache der Blockhäuser mit dem schauerlichen Speck und Syrup ließ sich eben nicht fortphantasiren. Er selber hatte sich aber auch schon länger hier aufgehalten, als es im Anfang seine Absicht gewesen, denn er wollte vor allen Dingen nach Cincinnati, von da nach den Seen hinauf und den Niagarafall besuchen, und dann zurück nach New-Orleans, wo er sein meistes Gepäck gelassen, um von dieser Stadt eine weitere Tour nach dem Westen zu unternehmen. Jetzt war hierzu, besonders die nordische Reise abzumachen, die günstigste Jahreszeit, denn der sogenannte Indianische Sommer, der in Nordamerika ziemlich den ganzen Herbst umfaßte und einen wolkenleeren blauen Himmel über October und November, ja nicht selten bis über die Hälfte des December spannte, lag mit seiner wundervollen Reine und Frische auf dem Land. Konnte er in diesem seine nördliche Tour beendigen, so blieb ihm der ganze Winter für die südliche Reise, und er war dann vielleicht im Stande im nächsten Frühjahr – der erste Eindruck mußte doch kein so günstiger gewesen sein, daß er schon wieder an die Abreise dachte – nach Europa zurückzukehren.

Vorher aber hatte er noch etwas auf dem Herzen, dessen er sich erst vor allen Dingen entledigen mußte, und zwar Befürchtungen, die in ihm – er wußte sich selber keinen bestimmten Grund dafür anzugeben – gegen Henkels Charakter aufgestiegen waren, und ihn mit Sorge für das Glück der jungen Frau erfüllten. Aber er scheute sich diesen in Gegenwart der Damen, die er vielleicht unnöthiger Weise ängstigte, Worte zu geben, hätte er nicht gerade ihrer Hülfe bedurft, Gewißheit zu erhalten. Den letzten Abend also, wie sie in Ludkins Inn beisammen saßen, brachte er zuerst das Gespräch auf die beiden jungen Gatten, und die auffällige Veränderung in dem ganzen Wesen der jungen, sonst so munteren und lebenslustigen Frau während der letzten Tage an Bord, und erst als ein Wort das andere gab, und Marie zuletzt gestand, daß der Abschied von der Freundin ihr einen unendlich schmerzlichen, ja unheimlichen Eindruck hinterlassen, rückte er selbst mit seiner Furcht heraus, und gab dadurch dem Verdacht, der in Mariens wie Annas Herzen bis dahin fast unbewußt gelegen, gleichfalls Worte.

Vermuthungen und Combinationen halfen ihnen aber Nichts, sie mußten sich eben Gewißheit darüber verschaffen, und das war für jetzt nur schriftlich möglich. Es ließ sich auch denken, daß sich Clara, wenn ihr irgend etwas das Herz bedrücke, schriftlich eher gegen die Freundin aussprechen würde, als mündlich, Marie sollte ihr also deshalb schreiben – Stoff und Grund hatte sie ja genug dafür, und rechtfertigte ihre Antwort dann den Verdacht, dann wollte von Hopfgarten, wenn er wieder nach New-Orleans hinunter kam – ja was er dann thun wollte, wußte er eigentlich selber noch nicht, aber Clara sollte doch wenigstens nicht ganz ohne Freund, von Allen vergessen, in der fremden Welt da stehn, und war Hülfe und Beistand nöthig, dann fand sich auch vielleicht ein Mittel ihn zu leisten.

Henkel hatte dem Professor Lobenstein seine Adresse gegeben, die sich von Hopfgarten jetzt ebenfalls in sein Taschenbuch schrieb, und nicht allein versprach auf seiner Rückreise aus dem Norden hier wieder anzuhalten, sondern sogar seinen Koffer bei ihnen zurückließ, und nur seine Reisetasche mitnahm, durch überflüssiges Gepäck bei möglichen Abstechern bald dort bald dahin, nicht zu sehr behindert zu werden. Er wollte dann auf dem Rückweg, bis wohin jedenfalls eine Antwort von New-Orleans eingetroffen war, wieder Briefe mit hinunter nehmen, was ihm zugleich eine doppelte Einführung gab, und versprach selber auf das Ausführlichste zu berichten, wie er die Verhältnisse gefunden.

Am liebsten wäre er nun freilich von hier zu Lande nach Cincinnati gegangen, das Innere mehr und besser in Augenschein nehmen zu können, die von Ezra Ludkins im Geist angelegten Schienenwege bestanden aber noch nicht; die Tour zu Pferde zu machen, dazu war er nicht Reiter genug, fürchtete sich auch, aufrichtig gestanden, nicht etwa vor Gefahren, die hätte er eher aufgesucht, nein vor dem Maisbrod und Speck der Farmer, was ihm gar nicht gemundet hatte, und beschloß also mit dem nächsten stromaufgehenden Dampfboot seine Reise rascher und bequemer fortzusetzen.

Das kam aber schon am nächsten Morgen kurz nach Sonnenaufgang, und ehe Hopfgarten selber im Stande gewesen war seine Toilette ordentlich zu beenden und sich bei den Damen zu empfehlen. Versäumen durfte er es aber auch nicht, und so, während der älteste Knabe des Pensylvaniers nach unten gelaufen war das Boot, das sie schon eine Zeitlang hatten stromauf dampfen hören, anzurufen und zum Beilegen zu bringen, stopfte er die schon bereit gelegten Sachen schnell in die Reisetasche, ließ sich durch Eduard, der ihn hinunter begleitete, noch seinen Eltern und Schwestern auf das Freundlichste empfehlen und wenige Minuten später Grahamstown mit all seinen Hoffnungen künftiger Größe hinter sich.

Als das Boot eben um die nächste Biegung, oberhalb der Stelle wo die Stadt lag, einlenken wollte, sah er noch wie ihm Jemand mit einem weißen Tuche vom Hügelkamm aus nachwinkte, aber er konnte schon nicht mehr erkennen wer es war.

Capitel 9
Das deutsche Wirthshaus zu New-Orleans

Die »Haidschnucke« hatte indessen, wie schon vorher erwähnt, ihren Passagieren gleich am ersten Tage angekündigt, daß sie sich nun, je eher desto besser, ihr Unterkommen an Land selber suchen sollten, da das Schiff nicht weiter verpflichtet sei für sie zu sorgen. Fast alle waren auch, so rasch sie nur ihr Gepäck bekommen konnten, von Bord gegangen, selber froh, dem Schiffsleben mit seiner groben monotonen Kost endlich enthoben zu sein; nur einige der ärmeren Familien, und unter ihnen wunderbarer Weise die Oldenburger, die unterwegs gerade am meisten und lautesten über Kost und Behandlung raisonnirt, und sogar häufig davon gesprochen hatten die Schiffsrheder, wenn sie nur erst in New-Orleans wären, für nicht erfüllte Versprechungen zu verklagen, zeigten noch nicht die mindeste Lust sich durch Hinüberschaffen ihrer Kisten an Land von dem Fahrzeug zu trennen.

Sie waren, der Sprache natürlich nicht mächtig, von dem sie überall umwogenden Menschen-Gewühl wie betäubt, den ganzen Tag in den Straßen der ungeheueren Stadt förmlich umher getaumelt, und nur hie und da mit anderen Deutschen, in gleichen Verhältnissen zusammengetroffen, die auch Arbeit suchten und ebenso wie diese der Meinung schienen, daß man sie ihnen auf der Straße anbieten würde. Hie und da fanden sie dabei irgend ein deutsches Schild über einer Thür, das entweder einem Wirthshaus oder Kleiderladen gehörte, und dort sprachen sie dann vor, wollten sich nach den Verhältnissen des Landes erkundigen und wurden, wenn sie in dem einen Nichts verzehrten, oder in dem andern Nichts kauften, wenn auch nicht mit groben, doch sehr kurzen Worten abgefertigt. So verging der Tag, und kleinlaut und niedergeschlagen kehrten sie Abends an Bord zurück.

Capitain Siebelt dachte aber viel zu menschlich und vernünftig die Leute, besonders da sie Familien hatten, wirklich gleich hinauszujagen; auf die paar Mahlzeiten, die ihnen noch gegeben wurden, kam es nicht an, der Koch war an dem Tag auch noch darauf eingerichtet, und Abendbrod und Frühstück wurde ihnen gern und ohne weiteres Wort gegeben; aber der nächste Morgen brachte ihnen keine besseren Aussichten. Vergebens wandten sie sich an Alles was nur deutsch sprach und ihnen in den Weg lief, Arbeit zu bekommen. »Vor drei Monaten, ja,« so wurde ihnen fast überall die Antwort, »wie die Krankheit Alles hinaustrieb aus New-Orleans, was eben nicht zu bleiben gezwungen war, da hätten sie Arbeit bekommen können, Arbeit und Lohn, so hoch sie ihn nur fordern sollten – bis man sie selbst nach Pottersfield hinausgefahren – aber jetzt waren die Tausende mit anderen Schaaren aus dem Norden wieder zurückgekehrt, und Arbeit war schon noch zu bekommen, aber eben nicht mehr so leicht; man mußte Geduld haben.

 

Geduld – ja das ist ein ganz gutes Wort, wenn die Gewißheit eines Erfolgs dahinter sitzt, und der Mensch eben bis dahin, neben seiner Geduld Brod hat, davon zu zehren; wo das aber fehlt, und der fremde Einwanderer sich zum ersten Mal in seinem Leben ganz allein auf sich selber angewiesen sieht, und mit Schrecken fühlt daß er sich eben auf sich selber, ohne andere Hülfe, gar nicht verlassen kann, da ist's dann freilich eine misliche Sache um die Geduld, und das Menschenherz verzagt da nur zu oft, und glaubt sich gleich vom ersten Ansprung ab verloren.

Der Capitain hätte die Leute aber selbst am nächsten Tag noch nicht fortgetrieben, und ihnen, wenn auch nicht mehr besonders für sie gekocht werden konnte, doch wenigstens Schiffszwieback und etwas kaltes Fleisch geben lassen, wenn sie nicht gleich ein Unterkommen finden konnten; der Steuermann aber, der sich gerade über diese Burschen die ganze Reise hindurch am meisten geärgert, weil ihnen auch gar Nichts recht gemacht werden konnte, und kein Essen gut genug war, selbst wenn sich niemand Andres darüber beklagte, ließ sich am dritten Morgen auf keine weiteren Unterhandlungen mit ihnen ein, befahl den Matrosen die Kisten und Kasten, die schon an Deck standen, da das Zwischendeck abgebrochen wurde, ohne weiteres auf die Levée zu schaffen, und erklärte dann den bisherigen Passagieren daß sie von diesem Augenblick an nichts weiter von der Haidschnucke zu erwarten hätten – »er wolle ihnen nicht zumuthen ihr faules Brod und stinkiges Fleisch, den ranzigen Speck und den dünnen Thee noch länger zu kauen und hinterzuschlucken.«

Das war wenigstens deutlich, und die Frauen weinten und baten den Capitain, als er von Land zurück kam, um Gottes Willen sie nicht hier im Elend sitzen zu lassen, sondern lieber wieder mit zurück nach Deutschland zu nehmen, wo sie arbeiten wollten Tag und Nacht, ihre Passage abzuverdienen – nur daß sie hier nicht in dem fremden Land auf der Straße verderben und umkommen müßten.

Schiffscapitaine haben sonderbarer Weise sehr häufig eine höchst ungünstige Idee von dem Inneren Amerikas, das sie nur in sehr seltenen Fällen zu sehn bekommen, denn da ihnen häufig Matrosen desertiren, sind sie so daran gewöhnt diesen das schrecklichste Schicksal und Hunger und Elend zu prophezeihen, daß sie ihre eigenen Prophezeihungen zuletzt wirklich selber glauben. Sie fühlen dabei nicht selten ordentlich eine Art von Mitleid mit all den unglücklichen Schlachtopfern, die sie in das fremde Land transportiren müssen, und die ihrem Elend da höchst wahrscheinlich schnurstracks entgegenlaufen; sie aber wieder mit zurückzunehmen, so weit lauten ihre Instruktionen nicht, und die Leute, die vorher alles Mögliche gethan haben nur von Deutschland nach Amerika hinüber zu kommen, müssen nun auch sehen wie sie hier drüben »fertig werden.«

Es ist ein schmerzlich, wehmüthiges Gefühl, in Deutschland die langen Züge armer Auswanderer zu sehn, die, das Herz wohl voll frischer Hoffnungen, aber dabei nur zu oft mit Mangel und Noth kämpfend, die Heimath mit Frau und Kindern verlassen, in die Fremde zu ziehn. Unpraktisch dabei bis zum Äußersten, scheu und schüchtern vor Jedem, der einen besseren Rock trägt wie sie, herumgestoßen und geprellt, so lange noch etwas aus ihnen herauszupressen ist, in der dritten oder vierten Klasse der Eisenbahn, wenn sie so viel Geld erschwingen können, oder zu Fuß mit den schweren Packen auf den Rücken oder den Kindern auf dem Arm, arbeiten sie sich dem Hafenplatz zu, das Schiff zu erreichen; und wenn sie dann dort am Strande sitzen und des Bootes harren, das sie hinüber führen soll zum großen Schiff, möchte man weinen über die Unglücklichen, die die Gräber ihrer Väter verlassen haben in Schmerz und Kummer, und die Scholle jetzt meiden müssen, an der ihr Herz mit allen Fasern hängt.

Und doch ist der Augenblick, so schrecklich das auch klingt, beneidenswerth und glücklich im Vergleich mit dem, wo sie das neue Vaterland betreten haben, und rathlos – trostlos, verzweifelnd an seinem Ufer stehn – Fremde, Ausgestoßene an einer Küste, von der es keinen Rückweg für sie giebt.

Als sie die Heimath verließen, und wenn das auch in Sorg' und Noth geschah, ihr Herz war doch voll Hoffnung und schlug dem neuen Vaterland in freudiger Zuversicht entgegen. »Wir wandern aus!« in dem Bewußtsein lag ihnen reicher Trost für Alles was sie hier traf und niederdrückte. Alle Beschwerden, die sie ertragen mußten, der Schmerz der Trennung von ihren Lieben, von dem eigenen noch so kleinen Heerd, verschwand nur in dem einen Wort: Amerika! und hinter ihnen lag aller Gram und Kummer, wenn nicht vergessen oder leicht und herzlos abgeschüttelt, doch gemildert von dem frohen Licht, das ihre eigene Phantasie, die Zuversicht, mit der sie hoffend dem neuen Leben entgegen gingen, darüber warf.

Viele malen sich dann noch das Land mit bunten Farben aus, Luftschlösser steigen empor mit Zauberschnelle, die eigenen wie der Freunde Herzen tröstend, betäubend – Amerika, oh nur den Fuß erst dort an Land gesetzt und Alles, Alles ist vorbei, was sie da noch mit Sorge, Ängsten füllen könnte.

Und dort? – zerknirscht, gebrochen, mit jeder Hoffnung geknickt, da ihnen nicht beim ersten Landen gleich der Amerikaner froh die Arme öffnet, von den Fremden unbeachtet, von ihren Landsleuten verlassen, zurückgestoßen, stehen sie da, jedes Trostes baar, Enttäuschung, Reue, Angst in den bleichen Zügen, und die wogende kalte Menschenmenge sehn sie vorüber drängen, wie der Schiffbrüchige, der sich auf nackten Felsen gerettet vor dem augenblicklichen Tod, die blitzenden Wellen vorbeiströmen sieht, und nicht den Muth hat, mit starkem Arm und mit entschlossenem Muthe sich dahineinzuwerfen und die Fluth zu theilen. Oh es zerreißt Einem das Herz, die Unglücklichen so da stehn zu sehen, und nicht helfen zu können aller Noth.

Wenn sie aber unrecht hatten, im alten Vaterland sich blind und leichtsinnig zu wilden überspannten Hoffnungen hinzugeben, so haben sie das doppelt jetzt, wo gleich beim ersten Anlauf der erste Sprung nicht etwa schon misglückt ist, nein wo sie noch gar nicht einmal zum Sprunge angesetzt, und nun jenen schmalen Küstenstreifen, auf dem fast täglich hunderte von Auswandern landen und in dem Menschenstrom spurlos, unbeachtet verschwinden, für das Land selber halten.

Der Hafenplatz ist erst die Brandung der neuen Welt, die Bank an der sich alle Wellen brechen, wild und toll aufschäumend dabei, einander überstürzend, wieder hebend. Durch die hindurch muß erst der Auswanderer den schwanken Kahn zum Ufer führen, und darf sich nicht durch das wilde Tosen derselben betäuben, entnerven lassen; ruhig nur das Steuer in der Hand, und fest den stürzenden Wellen auf den Kamm geschaut, der Gefahr zu entgehn, den günstigen Moment zu benutzen, muß er stehn, nicht blos vorn im Bug sitzen, die Hände im Schooß, und die Blicke verzweifelnd in die Wolken gerichtet. Hat er den Muth gehabt sich von der Heimath loszureißen, darf er sich jetzt auch nicht davor fürchten ein wenig herüber und hinüber gestoßen zu werden. Das ist ein Übergang, und ein Jahr später nur und er stößt selber mit.

Ein Bild trostloser Niedergeschlagenheit saßen die Oldenburger aber, so gewaltsam hinausgestoßen in die Welt, auf ihren Kisten an der Levée, die Männer mit den Händen in den Taschen, an die Hessen denkend, die sie weiter oben in ähnlicher Lage gesehn, und gleich verzweifeltes Loos für sich erwartend, die Frauen ihre Kinder im Arm, die Augen voll Thränen, die Herzen voll Kummer und Sorge für die Zukunft.

28Hügelrücken.