Za darmo

Inselwelt. Erster Band. Indische Skizzen

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2

Wie das über ihm rauschte und zitterte, in einsamer, wundervoller Waldespracht! – Wie das flüsterte und raschelte, und mit den langen, herrlichen Blättern wehte und ineinandergriff! – Hier war nichts Fremdes, nichts Verhaßtes mehr; das war sein eigenes, schönes Vaterland, die Cocospalme seines Stammes Bild, und wie das Herz ihm wieder aufging in Stolz und Lust und die Sehnsucht nach der Geliebten es rascher schlagen machte, wurde sein Schritt auch leichter und elastischer, und freundlich nickte er den Leuten zu, die er am Wege traf, und die Reis und andere Feldfrüchte, oder Matten und Körbe in die Stadt zu Markte trugen.

Schon hatte er hier die Gärten erreicht, die theils mit der rothblühenden Butju (rosa sinensis), theils mit der Buntaja (einer sehr giftigen Rankenpflanze, welche durch bloße Berührung schon Entzündungen und Anschwellungen bewirkt) eingezäunt waren, und hie und da schaute aus dem dunklen Laub einzelner Kaffee- und Muskatnußbüsche, oder zwischen den hochgezogenen Sirih-Ranken die stille, lauschige Bambushütte der Eingeborenen hervor, während die Cocospalmen in einem dichten Hain ihre Kronen in einander legten und kühlen Schatten auf den zwischen ihnen durchführenden Weg warfen.

Jetzt hatte er die ersten Wohnungen der Stadt erreicht; rechts am Wege leuchtete ihm schon das helle Dach des Gustis – des Dorfoberhauptes – entgegen, und von dort hinauf, der Cocosnußölmühle zu, die von den Weißen angelegt worden, gleich über dem breiten Platz, der sich dort ausdehnte – wie rasch das Herz ihm an zu pochen fing – dort wohnte Kassiar, und mit fast kindischer, jubelnder Lust malte er sich schon im Geiste die Überraschung der Geliebten aus, die keine Ahnung von seiner Nähe hatte.

Mehrere junge Mädchen waren ihm begegnet; manche aufgeputzt, wie zu einem ihrer Feste, andere in das einfach gewebte Zeug des Landes gekleidet. Aber er achtete ihrer nicht; sein Auge suchte zwischen den an ihm vorbeigleitenden Dächern hin, die wohlbekannte Gruppe schlanker Arekapalmen, die das Haus der Geliebten umstanden, und jetzt – schon wollte er um des Gustis Garten in die Straße einbiegen, denn dort ragten die schlanken Wipfel grüßend und freundlich nickend schon hervor, – da schritt ein junges Mädchen die Straße herab, und sein Fuß haftete wie angewurzelt an dem Boden fest.

Das war Kassiar – und wieder war sie's nicht. Die lieben dunklen Augen gehörten freilich ihr – der schlanke Wuchs, der leichte elastische Gang, dem Kiedang ihrer Wälder gleich – und dennoch schien sie ihm vollkommen fremd, denn Tracht und Sitte, wie er's bis jetzt an ihr gewohnt gewesen, glich sich gar nicht mehr. Das dunkle volle Haar war mit Blumen, rothen Beeren und kleinen farbigen Muscheln geschmückt, wie den Putz ähnlich auch andere eingeborene Mädchen trugen, aber in den Ohren hingen ihr goldene Zierrathen, wie sie die verhaßten Weißen mit herüber gebracht, den weichen runden Arm umschloß ein goldenes, steinbesetztes Band, und um die Schultern lag ihr ein himmelblau und roth gestreiftes seidenes Tuch und hing mit dem einen Zipfel vorn über die linke Brust herab. Leichten Schrittes kam sie den Weg herab, der nach dem Strande nieder führte, und wenn ihr Blick auch auf den jungen Krieger über die Straße herüber fiel, war sie doch zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um viel auf ihn zu achten. So wollte sie eben an ihm vorüber eilen, als sein Ruf sie aufhielt und rasch nach ihm herüber sehen machte.

„Kassiar!“ – Der eine Blick genügte – zitternd und erschreckt, die Hände vorgestreckt, ihre Farbe, die selbst unter der zarten aber dunklen Haut sichtbar wurde, kommend und schwindend, die Arme halb nach dem geliebten Manne ausgestreckt, halb ihn damit abwehrend, stand das junge Mädchen einer schönen Statue gleich da.

„Glentek!“ hauchte sie dabei, „wo kommst du her, oder liegt dein Körper oben in den Bergen, von scharfer Waffe oder Tigerzahn zerrissen, und nur dein Geist hat mich hier aufgesucht?“

Glentek barg einen Augenblick die Stirne in der Hand und strich sich die langen Haare dann zurück, indem er seinen Blick dabei scheu und erstaunt auf die Jungfrau heftete.

„Und das ist Kassiar?“ sagte er endlich halblaut und schüchtern, indem er langsam über die Straße hinüber schritt und vor dem zitternden Mädchen stehen blieb; „ist das das Weib, das ich mir in die Berge holen wollte, um sie der Gefahr hier zu entziehen, die ihr von Fremden und fremdem Glanz und Luxus droht? – Es ist zu spät, wie ich sehe, und Kassiar hat nicht allein Glentek vergessen, sondern auch ihr Vaterland. Wie sie sich da aufgeputzt, mag sie wohl einem der fremden Männer für kurze Zeit gefallen; werden aber die jungen Leute von Bali ihr wieder ihre Heldenlieder singen?“

„Glentek!“ bat das Mädchen, ihm die Hand entgegen streckend mit herzlichem, flehendem Ton, „ist das dein Gruß, mit dem du mich nach so langer Zeit der Trennung empfängst, und hast du in den Bergen oben deine Kassiar so ganz vergessen – so ganz vergessen und verlernt sie zu lieben?“

Glentek erwiderte nichts darauf, aber sein Blick hing noch immer fest und vorwurfsvoll an dem bunten, fremdländischen Staat, der die Geliebte schmückte, an den goldenen Ringen im Ohr und um den Arm, an dem seidenen Tuch, das ihre Schultern umschloß. Endlich sagte er langsam und traurig:

„Dich vergessen, Kassiar? – Mächtiger Brachma, mein Herz vergäße ebenso leicht zu schlagen, mein Ohr den Ruf des Vaterlandes zu hören! Dich vergessen, Kassiar? – Und bin ich deinetwegen nicht drei Tage gewandert und die letzte Nacht, um nur recht bald dein liebes Antlitz wieder zu schauen, deine Hand in der meinen zu fühlen, dem Flüstern deiner Worte zu lauschen? Die Sterne haben mir von dir gesprochen, wenn sie vom dunklen Himmel niederfunkelten, der Wasserfall rauschte mir deinen Namen Tage lang, Nächte lang, und meiner Palmen Wipfel kannten keinen andern Laut. – Dich vergessen, Kassiar? – Jeder Vogel zwitscherte mir das liebe Wort, in jedem Tropfen perlenden Thaues sah ich dein Bild, und nur die Sehnsucht nach dir hielt Schritt mit der wachsenden Liebe – und jetzt –“

„Und jetzt, Glentek?“ sagte das Mädchen und streckte ihm freundlich die Hand entgegen, „war das nun der ganze Gruß, den du deiner Kassiar bieten konntest?“

„Ich weiß nicht,“ entgegnete der junge Krieger leise und mit tief bewegter Stimme, „ich weiß ja gar nicht, ob es noch meine Kassiar ist. Die Augen lachen mich noch so freundlich an, wie vordem, wenn auch nicht so offen, so treuherzig mehr. Die süße Stimme ist es immer noch, aber der äußere Tand, der sie umschlossen hält, der Schmuck des Fremden, der ihre schlanken Glieder entstellt, anstatt sie zu zieren – der ist mir fremd, der verhüllt mir Kassiar, daß mein Auge das alte Herz nicht mehr darunter finden kann. Und ich weiß nicht, wem es jetzt entgegenschlägt.“

„Du böser Glentek,“ lächelte die Maid, seine Hand ergreifend und ihr Haupt an seine Schulter lehnend, „du weißt nicht, wem es schlägt?“

„Von wem ist denn der Putz – von wem das Tuch?“ sagte der junge Balinese noch immer nicht beruhigt.

„Wenn es dich ärgert, nehm ich's ab und trag's im Leben nicht wieder,“ rief schnell Kassiar, das Tuch von ihren Schultern ziehend.

„Und wer gab es dir?“ fragte Glentek finster. „Kassiar ist nicht so reich, daß sie der Fremden kostbarste Stoffe mit Reis und Kaffee kaufen könnte.“

„Du brauchst mich deshalb nicht so finster anzusehen, Glentek,“ sagte, mit einem halbscheuen Blick zu ihm empor, das junge Mädchen. „Du weißt, daß – daß die Fremden jetzt alles thun, der Balinesen guten Willen zu erkaufen und sie zu Freunden sich zu machen – und da –“

„Und da?“ wiederholte Glentek finster, aber seine Frage wurde überhört.

Rasches, donnerndes Pferdegestampf schallte die Straße nieder, die von Tuban herüber führte, und als sich die beiden jungen Leute darnach umsahen, kam ein kleiner Trupp Europäer, mit einer Dame an der Spitze, an deren Seite ein paar eingeborene Rajahs und auch der Gusti von Kota dahin sprengten. Sie wollten quer über den mit Waringhis bewachsenen Platz hinüber nach eines Holländers Wohnung, die dort lag. Die Dame warf auch nur im Vorbeisprengen einen flüchtigen Blick auf das junge Paar, als sie plötzlich ihrem Pferd rasch in die Zügel griff, daß es aufbäumte und schäumend in sein Gebiß knirschte und zurücklenkte, wo jene Beiden standen.

„Mein Tuch!“ rief sie dabei; „beim Himmel, die Dirne dort hält mein gestohlenes Tuch!“

„Aber, liebes Kind!“ rief ihr Gatte, der Capitain des auf der Rhede liegenden holländischen Schiffes, „mach' hier keine Scene. Reite hinüber zum Haus, ich werde das Tuch reclamiren und sehen, wie es sich damit verhält.“

Die Dame aber, taub gegen die Vorstellungen, rief gereizt:

„Daß mir die Diebin in die Hecken schlüpft und sich nicht wieder an der Küste sehen läßt, nicht wahr. Mich hat ein glücklicher Zufall hierher geführt, und den will ich benutzen.“

„Was ist – was gibt's?“ rief der Gusti, der ebenfalls sein Pferd rasch parirt hatte und gerade an ihre Seite sprengte, als sie vor dem trotzig zu ihnen aufschauenden Glentek und dem Mädchen hielten.

„Das Tuch ist, glaub' ich, gestohlen und Madame hat es wieder erkannt,“ dolmetschte ein anderer Europäer dem eingeborenen Richter in balinesischer Sprache.

„Gestohlen?“ schrie Glentek, der die Worte gehört hatte, wild emporfahrend, und seine Hand zuckte wie unwillkürlich nach dem Radotan.

„Ruhig, mein Bursche!“ rief aber finster der Gusti; „die Sache wird sich finden. – Her das Tuch, Kassiar – zögerst du, Dirne?“

Kassiar hatte erbleichend die Beschuldigung gehört, und ihr Auge haftete eine Weile in Angst und Schrecken auf dem einen Fremden, dem Capitain des Schiffs, als ob sie von ihm Schutz und Entschuldigung erwarten dürfe. Der Gusti hatte ihr indeß das Tuch aus der Hand genommen und der weißen Frau hingereicht, damit sich diese überzeugen könne, ob es wirklich das ihre sei.

 

„Gewiß – gewiß!“ rief aber diese, als sie es auf dem Pferd mit der einen Hand in die Höhe hob und einen forschenden Blick darauf geworfen. „Das ist mein Tuch, das ich seit Jahren nicht mehr getragen und in meines Mannes Sekretär liegen hatte. Als ich aber neulich zufällig einmal darnach fragte und es zu sehen verlangte, war es verschwunden. Niemand konnte sich erklären wie, und jetzt trägt es die Dirne in der Hand.“

„Und hast du keine Vertheidigung für dich, Kassiar?“ rief mit unterdrückter Stimme, aber in Todesangst der junge Bergbewohner. „Läßt du die Fremden dich eine Diebin nennen, und wirfst ihnen die Lüge nicht zurück in ihr Gesicht?“

„Woher hast du das Tuch?“ fragte jetzt der Gusti das zitternde und mit niedergeschlagenen Augen vor ihm stehende Mädchen. „Nun, wirst du deinem Richter antworten, Dirne?“

Wieder hob sich der Blick Kassiars scheu und flüchtig zu dem Fremden empor, aber nur einen Moment weilte er dort. Erbleichend wandte sie ihr Haupt ab, dem Geliebten zu, und barg ihr Antlitz dann, wie ihre Schuld bekennend, in den Händen.

„Man wird dich reden machen,“ sagte indessen ruhig der Gusti. „Cheh Lascie, Maras, führt sie in mein Haus und haltet sie dort bewacht, bis ich selbst hinüber komme.“

Und seinem Pferd die Sporen gebend, winkte er der übrigen Gesellschaft freundlich, ihren Weg fortzusetzen. Die kleine Cavalcade sprengte auch gleich darauf wieder dem Hause des Holländers zu, wo sie zahlreiche Diener empfingen, ihnen die Pferde abnahmen und sie in die Halle geleiteten. Sie waren alle dort zu Tische geladen, ebenso der Gusti von Kota, und es wurde neun Uhr Abends, ehe dieser wieder in seine Wohnung hinüber ging, um der Verhafteten für die Nacht in einem der Gefängnisse einen Platz anzuweisen. Das Hauptverhör sollte am nächsten Morgen sein.

3

Der nächste Morgen kam, und Maderai, der Gusti von Kota, hatte seinen Platz zwischen den übrigen Richtern eingenommen, während das Volk in neugierigem, dichtem Schwarm den weiten Raum der großen Bambushütte füllte. Jedes Schmuckes baar, die Haare glatt und schlicht herabgekämmt, die Schultern mit einem dunklen selbstgewebten Zeug bedeckt, ohne Goldringe in den Ohren oder um die Arme, stand das wunderschöne Mädchen seitwärts in einer kleinen Einfriedigung von Bambusstäben und harrte der Klägerin, die vorgefordert war, gegen das des Diebstahls beschuldigte Mädchen aufzutreten. Das verhängnißvolle Tuch hing an einem Stab neben des Gusti Sitz. Immer aber noch erschien die Klägerin nicht, und draußen das Schiff in der Bai, das seine Segel heute Morgen schon gelöst, seine Flagge aufgehißt und seine Boote an Bord genommen hatte, war augenscheinlich im Begriff, ihre Küste zu verlassen. Ließen die Weißen also die Klage gegen das Mädchen fallen, so war sie frei. Von den Eingeborenen konnte ihr Niemand die Schuld beweisen.

Da senkte sich wieder eins der Boote zum Wasser nieder, deutlich konnte man, selbst von hier aus, erkennen, wie der Capitain mit seiner Frau hineinstieg, die hellen Kleider der Europäerin, die noch einmal an Land kam, um eins der eingeborenen Mädchen verurtheilen zu lassen, schimmerten bis hier herüber, und langsam und regelmäßig fielen die Ruder ein, das scharfgebaute Boot zum Ufer treibend, das bald seinen scharfen Bug an dem Corallensand des Strandes scheuerte.

Capitain Van Soeken kam aber nicht freiwillig heute Morgen zum Gericht. Das Schiff lag zur Abfahrt bereit mit Fracht und Wasser an Bord, Wind und Strömung waren günstig, seine Papiere in Ordnung und selbst den Anker hatte er schon früh am Morgen heben lassen, um jeden Augenblick die Segel loswerfen und in See gehen zu können.

„Was liegt denn an dem Tuch?“ sagte er beschwichtigend, als seine Frau am frühen Morgen darauf drang, hinüber zu rudern an Land und es beim Gusti, mit Hinterlegung ihrer Klage, abzuholen. „Du mochtest es so nicht mehr tragen, und kommen wir nach Amsterdam zurück, so sollst du dir eins dafür aussuchen, wie es dein Herz verlangt.“

„Mir liegt nichts an dem Tuch,“ entgegnete aber, den Blick fest und mißtrauisch auf den Gatten geheftet, die Frau. „Mir ist's der Sache selber wegen, die Diebin zu bestrafen. Drei- oder viermal hab' ich sie schon hier an Bord gesehen; was hatte sie anders hier zu thun, wenn nicht – Gelegenheit auszuspüren?“

„Sie kam mit den andern Mädchen,“ sagte kopfschüttelnd der Capitain, „lieber Gott, bei dem Volke muß man der Neugierde auch etwas zu gut halten.“

„Und wie kam sie in die Kajüte hinunter und in den Sekretär?“ rief Madame, die Worte scharf betonend. „Van Soeken, hier liegt, wie ich fast fürchte, ein Geheimniß zu Grunde, das die Schuld der Dirne um ein gewaltiges vergrößert – und verringert. Ich gebe dir mein Wort –“

„Aber liebes, gutes Kind,“ bat sie der Capitain, „sei doch vernünftig, und setze dir nicht eine Menge thörichter Sachen muthwillig in den Kopf. Wenn wir hinüber könnten zum Verhör, würde ich dir rasch beweisen, wie das Ganze ein einfacher Diebstahl ist, wegen dem ich dich aber recht herzlich bitte, kein großes Aufheben zu machen und die Sache lieber fallen zu lassen. Du weißt, wie furchtbar streng die Eingeborenen jeden Diebstahl unter sich strafen, wie die Frauen schwere jahrelange Gefängnißstrafe in niederen Bambuskäfigen und Verbannung, die Männer den Tod zu gewärtigen haben. Die Eingeborenen sind dabei so unendlich freundlich und gastfrei gegen uns gewesen; laß uns nicht mit einer solchen Erinnerung, einer solchen Kleinigkeit wegen, von ihnen scheiden.“

„Wenn wir hinüber könnten, sagst du?“ rief die Frau. „So willst du nicht gehen?“

„Aber siehst du denn nicht, daß unser Fahrzeug segelfertig liegt und ich wahrhaftig vor meinen Leuten nicht verantworten kann, die schöne Zeit zu versäumen?“

„Das Schiff ist dein – ist unser Eigenthum, wir können damit thun, was wir wollen. – Aber ich sehe schon, wie es ist. – Rücksicht auf die Leute willst du nehmen – auf dein Weib nicht. Und soll ich dir sagen, weshalb du dich fürchtest, das Land wieder und jenen Gerichtshof zu betreten?“

„Fürchten? – Aber, bestes Kind –“

„Soll ich's dir sagen, oder glaubst du gar, ich sei blind und hätte den Blick nicht gesehen, den das Mädchen gestern auf dich warf, als ich sie des Diebstahls beschuldigte?“

„Auf mich?“

„Auf dich, hab' ich gesagt, und wagtest du heute, der Dirne mit einer Klage gegenüber zu treten, würfe sie dir entgegen, daß du ihr das Tuch geschenkt.“

„Aber liebe, beste Marie!“

„Das Tuch geschenkt, sag' ich!“ rief die Frau, mehr und mehr in eifersüchtigen Zorn gerathend, da die augenscheinliche Verlegenheit des Mannes ihren Verdacht nur mehr und mehr bestätigte. „Und wenn du mir das Gegentheil jetzt nicht beweisest, so schwör' ich dir, so wahr ich Marie heiße und das Unglück habe, dein Weib zu sein, das Schiff hier zu verlassen und am Lande Schutz zu suchen.“

„Aber Marie, so nimm doch nur Vernunft an!“ bat der Capitain.

„Und weigerst du dich, auch mich an Land zu setzen, dann, bei dem ewigen Gott, spring ich über Bord und mache diesem Leben, das doch von da an nur Qual und Elend für mich haben müßte, ein rasches Ende. – Verrathen und betrogen – lieber nicht leben, als mit der Gewißheit dem Grabe langsamer aber ebenso sicher entgegen sehen.“

„Aber so sprich doch nur vernünftig!“ rief Van Soeken, so gewissermaßen zur Verzweiflung getrieben. „Wenn dir das Schiff selber so wenig am Herzen liegt, einer solchen Bagatelle, einer wahnsinnigen Idee wegen Wind und Strömung zu versäumen, gut, so sag' mir wenigstens, was du verlangst und eile damit.“

„Was ich verlange?“ rief rasch triumphirend die Frau, „augenblicklich mit dir an Land zu fahren und Zeuge der Gerichtsverhandlung zu sein.“

„Du mit mir? weshalb? – Einer genügt vollkommen, und wenn du es verlangst und wenn es dich beruhigt, will ich hinüber fahren, die Klage einlegen und dir das Tuch, an dem dein Herz so hängt, zurückbringen.“

„Du allein? – Das glaub' ich dir!“ lächelte die Frau den Gatten hämisch an. „Wenn du mich hier an Bord wüßtest, wär' das Geschäft da drüben wohl bald und glücklich abgemacht. Fort mit dir! Euch allen ist nicht zu trauen, und wo der Eine den Andern unterstützen kann, thut er's mit Freuden, gilt es ja doch nur, das arme, verrathene Weib zu täuschen.“

„So komm denn, meinetwegen,“ sprach der Capitain, der keinen Ausweg weiter sah, der peinlichen Geschichte zu entgehen, „du bist auch im Stande, eher den Lügen der Dirne zu glauben, wenn sie sich irgend eine Ausflucht suchen sollte, als deinem Mann. Aber komm, du sollst wenigstens sehen, daß ich deine wahnsinnige Anklage nicht fürchte und mit gutem Gewissen dem Verhör entgegen gehe. Ist mein Boot noch unten, Steuermann?“ rief er dann mit lauter Stimme dem vorn am Anker stehenden Officier hinüber.

„Ja, Mynheer,“ lautete die Antwort zurück; „soll gleich aufgeholt werden. Alles fertig.“

„Halt! – wir fahren noch einmal an Land.“

„Noch einmal an Land?“ brummte der Steuermann nicht wenig erstaunt, „na, da bitt' ich zu grüßen, Ebbe und Brise, wie sie im Buche stehen, alles klar, und noch einmal an Land? Wo so eine Schürze an Bord ist, hört doch der ordentliche Dienst gleich auf. Hol's der Teufel, möchte nur wissen, was jetzt wieder im Wind ist.“

Das Brummen half ihm aber nichts. Die Jölle wurde langseits gehalten, der Kajütsjunge hing die Treppe wieder aus, und wenige Minuten später schnitten die Ruder in die klare Fluth und trieben das schlanke Boot pfeilschnell dem Lande zu.

4

Lautes Murmeln durchlief die Versammlung der Eingeborenen, zu denen sich auch jetzt der auf Bali wohnende Europäer eingefunden hatte, um Zeuge der Verhandlung zu sein.

„Dort kommt der Fremde mit der weißen Frau – arme Kassiar – wie viel lange Jahre wird sie in dem Käfig sitzen müssen, des bunten Lappens wegen – und wie bleich sie aussieht und geknickt! – Wie rachsüchtig die Fremden sind und wie habgierig – arme Kassiar!“

Zwischen den Eingeborenen lehnte ein junger Mann an einer der hölzernen Stützen des Hauses. Er ging in die Tracht der Bergbewohner gekleidet, mit dem Radotan im Gürtel, und sein Blasrohr mit der Lanzenspitze im Arm. Aber er sprach mit Niemand; kein Laut kam über seine Lippen, kein Ton des Mitleidens mit dem Opfer, oder des Hasses gegen die Kläger. Es war Glentek, und als Kassiars Blick ihn dort erspäht, wo er stand, hatte ihr Auge den Boden gesucht und sich noch nicht wieder von dort gehoben.

Jetzt traten die Fremden in den Saal. Der Holländer war ihnen entgegen gegangen, die Dame zu dem für sie bestimmten Sitz zu führen. Der Gusti nickte ihnen freundlich zu, und als das Geräusch verstummt war, das ihr Betreten des Raumes verursacht hatte, erhob sich der Gusti von seinem Sitz, überflog mit flüchtigem, aber strengem Blick die Versammlung, und begann dann mit seiner lauten, klangvollen Stimme die Anrede.

„Männer von Bali! wir sind versammelt, die Anklage einer weißen Frau zu hören gegen eine unseres Stammes, die des Diebstahls bezüchtigt wird. Ihr wißt, wie streng unsere Gesetze sind, wie sie den Diebstahl beim Mann mit dem Tode, bei der Frau mit schwerem Kerker strafen, und ihr werdet Zeugen sein, daß den Fremden Gerechtigkeit werde in unserm Lande.“

Nach dieser Einleitung forderte er den der Bali-Sprache vollkommen mächtigen Europäer, der sich erboten hatte, für die Dame zu dollmetschen, auf, seine Klage vorzubringen und hier, öffentlich vor Gericht, zu bestätigen, daß das Tuch der Europäerin und von Bord des Schiffes entwendet sei. Sie habe dabei anzugeben, ob es dort offen gelegen, oder aus einem verschlossenen Raum genommen wurde, was die Strafe für das Vergehen noch verschärfen würde.

Die Klage lautete jetzt, von dem Dollmetscher in balinesischer Sprache vorgetragen, auf allerdings erschwerende Umstände, da das Tuch von Bord, und zwar aus einem verschlossenen Kasten gestohlen sei. Hiergegen trat aber der Capitain selber auf, indem er erklärte, er habe mehrere jener Stücke Zeug vor einiger Zeit aus seinem Kasten genommen und draußen liegen lassen. Das Tuch könne darunter gewesen sein.

Kassiar wurde jetzt gefragt, wie sie zu dem Tuch gekommen sei, ob sie es wirklich heimlich von Bord genommen, oder irgend etwas vorzubringen habe, was zu ihrer Entschuldigung in der Sache reden könne. Zitternd stand das Mädchen von ihrem Sitze auf. Mehrere Minuten gebrauchte sie, sich so weit zu sammeln, daß sie den Blick zu ihrer Klägerin erheben konnte. Neben dieser stand der Capitain, und ihr Auge schweifte kurze Zeit von Van Soeken zu dessen Gattin und zurück, bis es sich endlich auf den Seemann heftete. Dieser aber konnte dem Blick, so viel Mühe er sich auch gab, nicht begegnen. Langsam erhob sich dabei ihr Arm, bis er auf den Kläger deutete, und eine Weile stand sie so, einer wunderschönen Statue gleich, kein Glied des Körpers regend, nicht mit den Wimpern zuckend, dem Manne gegenüber. Auch die Frau des Capitains war aufgesprungen, der nächste Moment sollte vielleicht schon ihren längst gefaßten Verdacht bestätigen, und ihr Auge flog wild, in fast peinlicher Spannung, von den Lippen des Mädchens zu den unverkennbar bleichen Zügen des Gatten.

 

„Ihr wollt wissen, woher das Tuch in meine Hand gekommen?“ sagte da endlich Kassiar mit leiser, wunderbar ruhiger Stimme, ohne ihre Stellung auch nur mit dem Zucken einer Muskel zu verändern, – „und jene Frau dort klagt Kassiar des Diebstahls an – so hört denn – ich habe jenes Tuch –“

Dicht hinter dem Holländer hob sich in diesem Augenblick die schlanke Gestalt Glenteks still und ruhig empor, und auch sein Blick hing in athemloser Spannung an den Lippen der Angeschuldigten. Da traf ihn Kassiars Auge, und plötzlich in sich zusammenbrechend, ihr Antlitz in den Händen bergend, rief sie mit markdurchschneidender Stimme aus:

„Gestohlen!“ und sank bewußtlos auf den Boden nieder.

„Armes Kind – arme Kassiar!“ klang es von den Lippen der Eingeborenen, und einige der Frauen drängten sich durch die Wachen, die Ohnmächtige zu unterstützen und ins Leben zurückzurufen.

„Das Geständniß genügt,“ sagte da der Gusti ernst, der sich ebenfalls von seinem Sitze erhoben hatte, indem er das neben ihm hängende Tuch von dem Stabe herunter nahm und einem seiner Diener übergab, damit er es der Europäerin, als ihr Eigenthum, zurückbringe. – „Das unglückliche, junge Mädchen mag indeß der Sorgfalt der Frauen überlassen bleiben, bis es sich erholt hat, dann aber der Obhut der Gefängnißwärter übergeben werden. In dem Krankeng büße sie fünf Jahre lang.“

„Halt!“ rief da eine ernste, klangvolle Stimme in den Tumult von Tönen hinein, der diesem Urtheilsspruch folgte, „halt, hört erst mich. – Das Mädchen ist unschuldig!“

Wunderbar war die Wirkung, die diese wenigen Worte auf die Versammelten ausübten, und selbst die Ohnmächtige schienen sie ins Leben zurückgerufen zu haben. Zu gleicher Zeit sprang Glentek, der junge Krieger aus den Bergen, die Ballustrade, die ihn von dem innern Raume trennte, mit einem Satz überspringend, in diesen hinein und ging mit leichtem Schritt dem Gusti zu, vor dem er, auf seine kurze Lanze gestützt und das Haupt vor ihm beugend, ehrerbietig, doch fest entschlossen stehen blieb.

„Wer bist du?“ fragte dieser freundlich den ihm fremden Krieger, indem sein Auge mit Wohlgefallen auf den schlanken, kräftigen Gliedern, wie den offenen Zügen des Jünglings hafteten. „Was weißt du von der Schuld des Mädchens hier, das ihr Vergehen schon offen eingestanden?“

„Ich selber bin der Dieb,“ sagte der Eingeborene, und wenn auch seine Lippen bei der Lüge zitterten und seine Wangen sich entfärbten, begegnete er fest und unerschüttert dabei dem Blick des erstaunt zu ihm niederschauenden Richters.

„Du wärst der Dieb?“ sagte da der alte Gusti nach langer, peinlicher Pause, indeß er sorgfältiger als vorher noch die edle Gestalt des jungen Eingebornen gemustert hatte und ernst und zweifelnd dabei mit dem Kopfe schüttelte; „wer bist du und woher stammst du?“

„Ich heiße Glentek und meines Vaters Haus liegt in dem Hochland von Benoi.“

„Bist du mit dem Rajah Glentek dort verwandt?“ rief rasch und erschreckt der Gusti.

„Er ist mein Vater,“ erwiderte mit kaum hörbarer Stimme der junge Balinese.

„Unglücklicher!“ rief der Gusti da, die Hand abwehrend vor sich ausstreckend, „wozu bekennst du dich? Und weißt du, welche Strafe dir bevorstände?“

„Der Tod!“ sagte Glentek ruhig und unerschüttert – „ich weiß es, Gusti; aber ein Glentek kann nicht dulden, daß ein Weib seinetwegen unschuldig leide.“

Ein wildes Gemurmel durchlief wieder die Schaar der Eingeborenen, und der Holländer war zu seinen Freunden hinüber getreten, diesen die Wendung mitzutheilen, welche die Sache zu nehmen schien.

„Wie kann der Bursche dort der Dieb sein?“ rief da Mevrouw Van Soeken rasch und zürnend, „ich habe ihn noch nie an Bord gesehen. Er hat, so viel ich weiß, das Schiff in seinem Leben nicht betreten.“

„Das ist eine Liebesgeschichte,“ sagte der Holländer kopfschüttelnd, „ich glaube selbst nicht, daß der junge Bursche mit der ganzen Geschichte etwas zu thun gehabt, und will dem Gusti wenigstens meine Meinung darüber sagen.“

„Du siehst nun, liebes Kind,“ flüsterte der Capitain, dem sich bei dieser Wendung eine große Last von der Seele wälzte, der Gattin zu, „daß dein Verdacht vollkommen grundlos war. Der Bursche dort ist sehr wahrscheinlich der Bräutigam, vielleicht der Mann der Dirne, der jetzt bekennt, das Tuch entwandt zu haben, um der Geliebten ein seiner Meinung nach kostbares Geschenk damit zu machen.“

„Wir wollen sehen, wir wollen sehen!“ murmelte Madame in fast fieberhafter Aufregung. „Aber – sie können ihn doch nicht deshalb ermorden?“

„Der Balinesen Strafe auf Diebstahl ist der Tod,“ sagte der Capitain gleichgültig. „Ich glaube nicht, daß sie mit ihm eine Ausnahme machen werden. Doch will ich sehen, was sich bei dem Gusti für ihn thun läßt. Lieber Gott, wenn wir jetzt nur nicht Wind und Strömung damit versäumten!“

Der Gusti hörte aufmerksam an, was ihm der Weiße als Aussage der Klägerin mittheilte, und wandte sich dann langsam und ernst an den Jüngling.

„Hast du das Schiff dort draußen je betreten, Glentek?“ fragte er ihn, und sein Auge haftete dabei fest und prüfend auf den Zügen des jungen Mannes.

„Könnt' ich das Tuch sonst entwendet haben?“ entgegnete dieser finster.

„Zu welcher Zeit war das?“

„Bei Nacht.“

„Bei Nacht, und die Wachen entdeckten dich nicht?“

„Die stumpfsinnigen Europäer sind nicht so schlau, daß sie ein Balinese nicht betrügen könnte,“ rief aber der Krieger zornig, „Glenteks Fuß berührt den Boden, wie des Nachtvogels Flügel die Luft. Nicht der Tiger hört ihn, wenn er im Teing Dickicht ihn beschleicht, nicht der scheue Hirsch im Alang Alang.“

„Glentek!“ rief da Kassiars Stimme mit herzzerreißendem Ton ihn an. „O glaubt ihm nicht, meinetwegen will er dem ehrlosen Tode trotzen. So edel jeder Tropfen Blutes in ihm, er lügt, wenn er sich meinetwegen schuldig nennt.“

„Hörst du das Mädchen?“ sagte der Gusti auf die Jungfrau zeigend, die sich in angstvoller Hast jetzt vom Boden hob und, die Haare aus der Stirn streichend, auf den Jüngling zustürzte, vor ihm zu Boden sank, seine Knie umfaßte und bittend ausrief:

„O Glentek, Glentek, kannst du deiner Kassiar verzeihen?“

Starr und regungslos blieb der Krieger stehen, und nur ein eigener Ausdruck von Schmerz und Liebe durchzuckte seine Züge. Doch auch diese Schwäche, wenn es je etwas derartiges gewesen, schwand im Augenblick. Eisern wie vorher blieb das Antlitz der edlen, dunklen Gestalt, und er sagte finster:

„Hat das Wort einer Dirne hier Gewicht gegen die Aussage Glenteks von Benoi? – Ihr seid Männer, und euch gegenüber erkläre ich, daß ich jenes Tuch vom Bord des Schiffes heimlich entwendet habe. Wie und weshalb, darauf weigere ich die Antwort. Jetzt thut mit mir nach dem Gesetz.“

„Darnach bleibt nichts mehr zu erfüllen als der Richterspruch,“ sprach feierlich und ernst der Gusti. „Glentek von Benoi, bereite dich zum Tode, denn du hast keine Viertelstunde mehr zu leben.“

„Ich bin bereit,“ erwiderte ruhig und mit fester Stimme der junge Balinese.

„Halt – das geht nicht – das kann nicht sein!“ rief aber hier der Capitain, der ebenfalls hinzugetreten war, und genug vom Balinesischen verstand, den Sinn des eben hier Verhandelten zu begreifen.

„Weiß der Europäer etwas, das die Schuld von den Händen des Verurtheilten nimmt?“ sagte der Gusti rasch.

„Nein, das nicht,“ versetzte halb scheu und doch auch wieder entschlossen der Capitain; „aber – giebt es nichts in euren Gesetzen, das im Stande ist, den Urtheilsspruch zu mildern? – Kann das Verbrechen nicht durch irgend eine Buße – durch Geld vielleicht – gesühnt werden? Ich mag die Küste hier nicht verlassen und das Blut eines ihrer Kinder, die mich alle so freundlich hier empfangen haben, mit hinaus nehmen auf das blaue Wasser.“ –